Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 28 K 1367/21
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Tatbestand
2Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung C. · Flur 000 · Flurstück 00 (C1. 00) in X. . Auf dem Grundstück steht ein Wohnhaus auf. Das Gebäude war vermutlich noch im 19. Jahrhundert auf dem Gelände eines Straßenbahndepots als Pumpen-, Wasser- oder Kesselhaus errichtet worden. Im Jahr 1923 wurde das Gebäude zu einem dreigeschossigen Wohnhaus umgebaut. Ob eine Baugenehmigung erteilt wurde, ist ungeklärt und lässt sich nicht aufklären.
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Quelle: TIM-Online
5Ausweislich des Fluchtlinienplans 000 aus dem Jahr 1914 sollte von der F.----straße im Bereich der Grenze des Grundstücks der Klägerin zum Nachbargrundstück Gemarkung C. · Flur 000 · Flurstück 00 eine Zuwegung zu der zwischenzeitlich zur F1. -X1. -Straße umbenannten X2. -Straße verlaufen.
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Quelle: Stadt X. Drs.-Nr. VO/0038/09
8Ein Fahrweg ist und war in der Örtlichkeit jedoch nicht vorhanden. Vielmehr findet sich nur ein Fußweg.
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Quelle: TIM-Online
11Das Grundstück der Klägerin grenzt an die Flurstücke 00, 000, 000 und 00 in der Flur 000 in der Gemarkung C. an. Das Flurstück 00 steht (zwischenzeitlich) im Eigentum der Beklagten und die Flurstücke 000, 000 und 00 im Eigentum der X3. GmbH. Zugunsten des Grundstücks der Klägerin lastet auf dem Flurstück 00 ein Geh- und Fahrrecht und auf den Flurstücken 00 und 000 ein Wegerecht und auf dem Flurstück 000 ein Gehrecht.
12Mit Wirkung zum 1. Juni 2006 wurde der in Richtung Südwesten verlaufende Stich der F.----straße eingezogen und durch Bescheid der Beklagten vom 25. August 2006 die Lagebezeichnung „F.----straße 0 x“ des Gebäudes auf dem Grundstück der Klägerin aufgehoben und die Lagebezeichnung „C1. 00“ festgesetzt. Durch Beschluss vom 27. März 2009 hob der Rat der Beklagten den Fluchtlinienplan 000 auf.
13Das Grundstück grenzte – soweit dies ermittelt werden kann – zu keiner Zeit an eine Öffentliche Verkehrsfläche an. Der Fußweg verläuft über die Flurstücke 000 und 000. Er wird über eine Treppe auf dem Flurstück 000 erreicht. Die Südwestseite des Grundstücks grenzt an die Flurstücke 00 und 000 an. Diese sind von der Privatstraße F1. -X1. -Straße (Flurstück 00) durch ein Werkstor getrennt.
14Im Zuge des Versuchs der Legalisierung eines Anbaus an das Wohnhaus der Klägerin zeigte sich im Jahr 2016, dass das Grundstück der Klägerin nicht erschlossen ist. Darauf wurde die Klägerin wiederholt hingewiesen. Nachgehende Versuche der Klägerin, die Erschließung des Grundstückes durch die Bewilligung der Eintragung von Baulasten auf Nachbargrundstücken zu sichern, scheiterten.
15Nachdem dieses zwischenzeitlich unbewohnt gewesen war, zogen im Januar 2019 Mieter in das Wohnhaus ein. Durch Ordnungsverfügung der Beklagten vom 1. April 2019 wurde diesen die Nutzung des Gebäudes untersagt. Den gegen die Nutzungsuntersagung gerichteten Eilantrag lehnte das Gericht durch Beschluss vom 30. Januar 2020 - 11 L 1403/19 - ab. Nachdem die Mieter das Gebäude im April 2020 geräumt hatten, ist das Klageverfahren nach der Abgabe von Erledigungserklärungen durch Beschluss des Gerichts vom 6. Mai 2020 - 11 K 3463/19 - eingestellt worden.
16Wiederholte Versuche der Klägerin, die Erschließung des Grundstückes durch die Bewilligung der Eintragung von Baulasten auf Nachbargrundstücken zu sichern, misslungen.
17Durch Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 10. Juli 2020 verwies die Klägerin darauf, gegen die Beklagte einen Anspruch auf (Wiederherstellung der) Erschließung des Grundstücks zu haben. Faktisch sei das Grundstück erschlossen, was als ausreichend erachtete werde könne. Zudem bestünde die Möglichkeit, dass die Beklagte gegen die Eigentümerin des Flurstücks 000 die Eintragung einer Baulast durchsetze. Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin durch E-Mail vom 10. August 2020 mit, dass auf eine Sicherung der Erschließung nicht verzichtet werden könne und diese vor einer Wiederaufnahme der Nutzung des Gebäudes zu gewährleisten sei.
18Durch E-Mail des Prozessbevollmächtigten vom 2. Februar 2021 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie das Gebäude nunmehr wieder vermieten werde und stellte anheim, eine Ordnungsverfügung gegen sie zu erlassen, welche jedoch ins Leere gehen werde, da sie gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erschließung des Grundstücks habe.
19Die Beklagte untersagte der Klägerin daraufhin durch Ordnungsverfügung vom 5. Februar 2021 die Aufnahme der Nutzung des Gebäudes und drohte der Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 Euro an.
20Die Klägerin hat am 4. März 2021 Klage erhoben.
21Die Klage war zunächst auf die Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 5. Februar 2021 gerichtet. Durch Schriftsatz vom 18. Februar 2022 hat die Klägerin dieses Begehren fallen gelassen und erstrebt nunmehr die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Erschließung des Grundstücks Gemarkung C. · Flur 000 · Flurstück 00 (C1. 00) in X. .
22Sie führt zur Begründung der Klage im Wesentlichen aus: Die Klage sei als Feststellungsklage zulässig. Der Vorrang von Gestaltungs- oder Leistungsklage stehe der Zulässigkeit nicht entgegen. Sie wende sich mit der vorliegenden Klage dagegen, dass die Beklagte sich nicht mehr in der Verpflichtung sehe, das Grundstück zu erschließen. Hingegen gehe es ihr nicht um konkrete Handlungen der Beklagten, um dieses Ziel zu erreichen, wie etwa um eine Aufnahme von Bauarbeiten zur Erstellung einer Straße. Vielmehr gehe es ihr grundsätzlich darum, dass die Beklagte ihre „Blockadehaltung“ aufgebe und in irgendeiner Form tätig werde, um die Erschließung zu sichern. Dieses Klageziel könne mit einer Leistungsklage zulässigerweise nicht verfolgt werden, da es einem solchen Antrag an der nötigen Bestimmtheit fehlen würde. Ein Leistungsantrag sei nur dann hinreichend bestimmt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung vollstreckungsfähig wäre. Vorliegend könne sie aber nicht darauf verwiesen werden, eine auf Vornahme einer konkreten Handlung zielende Leistungsklage zu erheben. Eine auf Aufnahme etwaiger Bauarbeiten zielende Klage wäre von vornherein ohne Aussicht auf Erfolg, weil sie auf etwas Unmögliches gerichtet wäre. Die für den Ausbau benötigten Grundstücke stünden teilweise nicht in der Verfügungsgewalt der Beklagten, so dass ein solcher Ausbau derzeit nicht stattfinden könne. Sie sei auch nicht gehalten, die Beklagte darauf zu verklagen, sich durch bestimmte Handlungen in die Verfügungsgewalt über die für den Straßenbau benötigten Grundstücke zu bringen, da es für die Beklagte mehrere Möglichkeiten gebe, sich die Verfügungsgewalt über die benötigten Grundstücke zu verschaffen, so etwa durch Enteignung, privatrechtlichen Erwerb, Einwirkung auf andere Eigentümer oder auch Umgestaltung und Umnutzung eigener Grundstücke. Sie könne und wolle keine bestimmte Vorgehensweise fordern, sondern die Auswahl der weiteren Verfahrensschritte der Beklagten überlassen. Ihr gehe es ausschließlich darum, die „Blockadehaltung“ der Beklagten im Hinblick auf die Erschließung des Grundstücks zu durchbrechen. Wenn sie nicht beantragen könne, die Beklagte zur Erschließung des Grundstücks zu verurteilen, müssen sie die Möglichkeit haben, eine gerichtliche Feststellung des Inhalts zu erlangen, dass die Beklagte zur Erschließung des Grundstücks verpflichtet sei. Die Klage sei zugleich begründet, da die Beklagte verpflichtet sei, das Grundstück zu erschließen. Nach § 123 Abs. 1 BauGB sei die Gewährleistung der Erschließung Aufgabe der Gemeinde. Zwar besteht nach § 123 Abs. 3 BauGB grundsätzlich kein Anspruch auf Erschließung, jedoch habe das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 4. Oktober 1974 - IV C 59/72 - ausgeführt, dass der Erlass eines Bebauungsplans, aber auch schon die Erteilung einer Baugenehmigung und vor allem die sich der Genehmigung anschließende Ausführung des genehmigten Vorhabens, eine gewisse verdichtende Wirkung auf die allgemeine Erschließungspflicht der Gemeinde habe. Die Verdichtung der allgemeinen gemeindlichen Erschließungspflicht könne – wie hier – so weit gehen, dass die allgemeine Pflicht zu einer aktuellen und auch fälligen Pflicht erstarke. Ihr Erschließungsanspruch sei nicht wegen rechtlicher Unmöglichkeit ausgeschlossen. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte zwischenzeitlich Eigentümerin des Nachbargrundstücks sei, mit der Folge, dass sie durchaus die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten habe, den Erschließungsanspruch zu erfüllen. Ob und in welchem Umfang die ursprünglichen Baupläne der Beklagten dort dann noch realisierbar seien, sei ihr unbekannt und angesichts ihres vorrangigen Erschließungsanspruchs auch von nachrangiger Bedeutung. Unabhängig hiervon wäre die Klage selbst bei Bejahung der rechtlichen Unmöglichkeit weder unzulässig noch unbegründet. Sie fordere gerade keine entsprechende Leistung ein, sondern vielmehr die Feststellung, dass die Beklagte zur Erschließung des streitbefangenen Grundstücks verpflichtet sei. Für diese Feststellung komme es aber ausschließlich darauf an, ob die Beklagte erschließen müsse und gerade nicht darauf, ob sie auch tatsächlich und rechtlich erschließen könne. Für die Bejahung des Feststellungsanspruchs sei es völlig unerheblich, ob der Erschließungsanspruch, dessen Feststellung begehrt werde, noch erfüllbar sei oder nicht, da es auch für die bei Unmöglichkeit bestehenden Sekundäransprüche der Feststellung bedarf, dass die Beklagte zur Erschließung des Grundstücks verpflichtet gewesen sei. Damit sei die Klage auf Feststellung der Verpflichtung selbst bei einer rechtlichen Unmöglichkeit weiterhin zulässig und begründet. Sie wäre dann Grundlage für eine Durchsetzung dieses Anspruchs oder aber für Amtshaftungsansprüche gegenüber der Beklagten.
23Die Klägerin beantragt,
24festzustellen, dass die Beklagte zur Erschließung des Grundstücks Gemarkung C. · Flur 000· Flurstück 00 (C1. 00) in X. verpflichtet ist.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Sie führt im Wesentlichen aus, es bestünden schon Bedenken an der Zulässigkeit der Feststellungsanträge, da grundsätzlich der Weg einer Verpflichtungsklage gangbar wäre. Die Klage sei jedoch auch unbegründet. Es besteht keine Verpflichtung und auch keine Möglichkeit, das Grundstück zu erschließen. Sie könne die Eigentümer der Grundstücke, die zur Erschließung benötigt würden, nicht verpflichten Baulasten eintragen zu lassen. Die Einziehung der F.----straße habe nicht zu der Insellage des Grundstücks der Klägerin geführt. Das Grundstück habe nicht an den eingezogenen Abschnitt der F.----straße angegrenzt. Zudem habe eine Erschließung über die F.----straße nicht erfolgen können, da stets auch das Flurstück 000 zu queren gewesen sei, für das weder eine Grunddienstbarkeit noch eine Baulast bestehe. Es habe sich somit nicht um ein Anliegergrundstück gehandelt, so dass eine Beteiligung der Eigentümer nicht notwendig gewesen sei. Die Absicht der Einziehung sei am 2. Dezember 2005 bekanntgemacht worden. Einwendungen seien nicht erhoben worden. Das Wegerechtsverfahren sei am 24. April 2006 mit dem Hinweis öffentlich bekannt gemacht worden, dass innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung Widerspruch gegen die Einziehung habe erhoben werden können. Ein Widerspruch sei nicht eingegangen. Zudem sei der Fluchtlinienplan 000 im Bereich der C1. 00 nicht umgesetzt und daher im März 2000 aufgehoben worden. Die von der Klägerin bemühte Rechtsprechung beziehe sich auf die Erteilung von Baugenehmigungen im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, sei also nicht auf den vorliegenden Sachverhalt übertragbar.
28Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten und der dem Gericht vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
29Entscheidungsgründe
30Der Einzelrichter kann, nachdem der Rechtstreit von der Kammer durch Beschluss vom 11. Februar 2022 auf ihn übertragen wurde (§ 6 Abs. 1 VwGO), ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Klägerin durch Schriftsatz vom 21. April 2022 und die Beklagte durch Schriftsatz vom 19. April 2022 hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
31Die Klageänderung von der Anfechtungsklage zu der Feststellungsklage ist nach § 91 Abs. 1 und 2 VwGO zulässig, da sich die Beklagte im Schriftsatz vom 1. März 2022 rügelos auf die Feststellungsklage eingelassen hat.
32Die Klage hat jedoch keinen Erfolg. Sie ist zulässig, jedoch unbegründet.
33Die Feststellungsklage ist zulässig.
34Im Besonderen steht der Zulässigkeit § 43 Abs. 2 VwGO nicht entgegen. Nach § 43 Abs. 2 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, nämlich der Verpflichtung der Beklagten, die notwendigen Schritte einzuleiten, um ihr Grundstück zu erschließen. Dieses Feststellungsbegehren ist nicht gegenüber einer Leistungsklage nachrangig im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Diese Vorschrift greift nur in den Fällen ein, in denen sich das Klageziel mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage ebenso gut oder besser erreichen lässt. Der Gesetzgeber will den Rückgriff auf die Feststellungsklage verhindern, wenn für die Rechtsverfolgung ein unmittelbareres, sachnäheres und wirksameres Verfahren zur Verfügung steht. Der dem Kläger zustehende Rechtsschutz soll aus Gründen der Prozessökonomie auf ein einziges Verfahren, nämlich dasjenige, das seinem Anliegen am wirkungsvollsten gerecht wird, konzentriert werden. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO gelangt zudem nur dort zur Anwendung, wo ohne die Subsidiarität die für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geltenden Sonderregeln unterlaufen würden.
35Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. September 2010 - 2 A 3182/08 -, juris Rn. 49 ff., m. w. N.
36So liegt es hier nicht. Eine Leistungsklage bietet gegenüber der vorliegend erhobenen Feststellungsklage nicht den unmittelbareren, sachnäheren und wirksameren Rechtsschutz. Die Klägerin kann nicht darauf verwiesen werden, eine auf ein Handeln der Beklagten gerichtete Leistungsklage zu erheben, da es verschiedene Möglichkeiten gibt, die Sicherung der Erschließung des Grundstücks der Klägerin zu gewährleisten. Effektiver Rechtsschutz kann (zur Zeit) nur im Wege der Feststellungsklage erreicht werden.
37Vgl. VG Arnsberg, Urteil vom 30. Oktober 2008 - 6 K 1935/07 , juris Rn. 23.
38Zugleich werden die für die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geltenden Sonderregeln nicht unterlaufen. Durch die Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung vom 5. Februar 2021 lässt sich die Erschließungspflicht der Beklagten nicht klären. Die Nutzungsuntersagung ist ein Dauerverwaltungsakt, den die Behörde „unter Kontrolle zu halten“ hat. Eventuell eintretenden Veränderungen der Sach- und Rechtslage hat sie nachzugehen und gegebenenfalls eine Anpassung oder Aufhebung der Anordnung von Amts wegen zu prüfen. Solange die Erschließung jedoch nicht – aus welchem Grund auch immer – gesichert ist, erweist sich die Nutzungsuntersagung als rechtmäßig. Im Wege einer Verpflichtungsklage – auf Erteilung einer Baugenehmigung – lässt sich die Erschließungspflicht aus den gleichen Gründen ebenso wenig klären.
39Die Klägerin hat zudem ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO. Das berechtigte Interesse umfasst jedes nach vernünftigen Erwägungen durch die Sachlage gerechtfertigte schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art. Ein derartiges Interesse kommt der Klägerin zu, die wissen will, ob die von der Beklagten in Abrede gestellte Erschließungsverpflichtung besteht und sie das auf dem Grundstück aufstehende Wohnhaus nutzen kann.
40Die Klage ist jedoch unbegründet.
41Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erschließung des Grundstücks.
42Die Erschließung ist gemäß § 123 Abs. 1 BauGB Aufgabe der Gemeinde, soweit sie nicht nach anderen gesetzlichen Vorschriften oder öffentlich- rechtlichen Verpflichtungen einem anderen obliegt. Ein Rechtsanspruch auf Erschließung besteht gemäß § 123 Abs. 3 BauGB prinzipiell jedoch nicht, genauso wie es im Allgemeinen keinen Anspruch des Einzelnen auf Verwirklichung planerischer Festsetzungen gibt. § 123 Abs. 3 BauGB ist jedoch nicht dahingehend zu verstehen, dass es einen Erschließungsanspruch unter keinen Umständen geben kann. Er zieht nur die Konsequenz daraus, dass es nach § 123 Abs. 1 BauGB an einer hinreichend substantiierten Pflicht fehlt, der ein Anspruch korrespondieren könnte. Kommt es indes – ausnahmsweise – zu einer Erschließungspflicht, hindert § 123 Abs. 3 BauGB das Entstehen eines entsprechenden Anspruchs nicht.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. September 2010 - 2 A 3182/08 -, juris Rn. 72 ff., m. w. N.
44Eine ausnahmsweise Verdichtung der gemeindlichen Erschließungslast wird in verschiedenen, auf unterschiedlichen rechtlichen Gesichtspunkten beruhenden Fallgestaltungen angenommen. Ein solcher Erschließungsanspruch setzt in der Regel einen qualifizierten Bebauungsplan oder die Erteilung einer mangels Sicherung der Erschließung rechtswidrigen Baugenehmigung voraus.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1981 - 8 C 4/81 -, juris Rn. 20; OVG Niederachsen, Urteil vom 22. Januar 1999 - 9 L 6980/96 -, juris; Ernst / Grziwotz, in: Ernst / Zinkahn / Bielenberg / Krautzberger, BauGB, 143. Ergänzungslieferung (August 2021), § 123 BauGB Rn. 28 ff.
46Ob im Einzelfall die gemeindliche Erschließungslast mit Rücksicht auf Treu und Glauben für verdichtet zu halten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und lässt sich nicht generell festlegen
47Vgl. OVG Niederachsen, Urteil vom 22. Januar 1999 - 9 L 6980/96 -, juris Rn. 9.
48Ausgehend von diesen Maßstäben hat die Klägerin keinen Erschließungsanspruch gegen die Beklagte.
49Ein – eine Erschließung vorsehender – qualifizierter Bebauungsplan existiert nicht. Der Fluchtlinienplan 210 wurde im Jahr 2009 aufgehoben. Ohnehin galt der Fluchtlinienplan nur als einfacher Bebauungsplan weiter (§ 233 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 173 Abs. 3 BBauG). Ob und in welcher Weise eine Baugenehmigung erteilt wurde, ist ungeklärt. Insoweit trägt die Klägerin als Eigentümerin die Beweislast. Zwar mag die Beklagte zu Gunsten der Klägerin von einer Baugenehmigung ausgegangen sein. Dennoch muss der Eigentümer im Zweifel die Erteilung einer solchen nachweisen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die „Insellage“ des Grundstücks der Klägerin aus keinem Handeln der Beklagten ergeben hat, so dass zugleich an keine Folgenbeseitigungslast der Beklagten gedacht werden kann. Das Grundstück der Klägerin grenzt und grenzte – soweit dies ermittelt werden kann – zu keiner Zeit an eine Öffentliche Verkehrsfläche an. So hat im Besonderen die Einziehung des Teilstücks nicht dazu geführt, dass das Grundstück der Klägerin nicht mehr erschlossen ist. Es muss und musste – worauf die Beklagte zu Recht hinweist – stets auch das Flurstück 161 gequert werden, um von der F.----straße aus auf dem Fußweg das Grundstücks der Klägerin zu erreichen. Für das Flurstück bestand und besteht jedoch weder eine Grunddienstbarkeit geschweige denn eine Baulast. Unabhängig davon genügte der Fußweg in keiner Weise den Anforderungen des § 4 Abs. 1 BauO NRW an eine Erschließung. Danach muss ein Grundstück in für die Zufahrt und den Einsatz von Feuerlösch- und Rettungsgeräten angemessener Breite an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegen oder das Grundstück eine befahrbare, öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt zu einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche haben.
50Zudem ist ein Erschließungsanspruch wegen Unmöglichkeit ausgeschlossen.
51Die Unmöglichkeit schließt – abweichend von der Einschätzung der Klägerin – einen Feststellungsanspruch in gleicher Weise wie eine Verpflichtung- oder Leistungsklage aus.
52Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. September 2010 - 2 A 3182/08 -, juris Rn. 93.
53Die Erschließung des Grundstücks kann nur im Wege der Inanspruchnahme der Grundstücke Privater erfolgen. Eine Erschließung von der F.----straße erfordert zumindest die Querung der Flurstücke 00, 000 und 000. Nur das Flurstück 00 steht im Eigentum der Beklagten. Ein Zuwegung nur über das Flurstück 00 scheitert jedoch ersichtlich an der Bebauung des Grundstücks. Eine Erschließung von der F1. -X1. -Straße verläuft zwingend auf den Flurstücken 00, 000 und / oder 00, die wiederum im Eigentum privater stehen.
54Auf die Privatgrundstücke hat die Beklagte keinen Zugriff. Die Erschließung kann ohne die Mitwirkung der Grundstückseigentümer mithin weder im Wege einer Enteignung noch durch die Eintragung einer Baulast durchgesetzt werden. Die Baulasterklärung des Eigentümers ist stets freiwillig. Die Bauaufsichtsbehörde kann von einem Grundstückseigentümer die Übernahme einer Baulast nicht verlangen oder erzwingen.
55Vgl. Wenzel, in: Gädtke / Johlen / Wenzel / Hanne / Kaiser / Koch / Plum, BauO NRW, 13. Auflage (2019), § 85 Rn. 39.
56Eine Enteignung ist nach Maßgabe der in § 85 Abs. 1 BauGB aufgeführten Enteignungszwecke hier ersichtlich ausgeschlossen.
57Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
58Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war nicht – wie von der Klägerin (nach Auslegung des Antrages) begehrt – nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, da kein Vorverfahren stattgefunden hat. Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes, die im Verwaltungsverfahren entstanden sind, sind nicht nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ersetzbar.
59Vgl. W.-.R. Schenke / Hug, in: Kopp / Schenke, VwGO, 27. Auflage (2021), § 162 Rn. 16, m. w. N.
60Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
61Rechtsmittelbelehrung:
62Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
63Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
64Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
65Die Berufung ist nur zuzulassen,
661. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
672. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
683. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
694. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
705. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
71Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
72Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
73Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
74Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
75Dr. Werthmann
76Beschluss:
77Der Streitwert wird auf 20.000 Euro festgesetzt.
78Gründe:
79Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 1 GKG erfolgt. Sie ist an Ziffer 11 Buchstabe a) des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 2019 (BauR 2019, 610) orientiert. Maßgeblich für die Bestimmung des Streitwerts ist der geänderte Streitgegenstand.
80Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. Mai 2011 - 9 S 1167/11 -, juris Rn. 12.
81Der Klägerin geht es in der Sache um die Klärung der Nutzbarkeit des Wohnhauses. Interessengerecht erscheint es sonach – wie bei einer Nutzungsuntersagung – auf den – hier geschätzten – Jahresmietwert abzustellen.
82Rechtsmittelbelehrung:
83Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
84Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
85Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
86Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
87Die Beschwerdeschrift soll möglichst zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
88War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
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Referenzen
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- § 123 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 123 Abs. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 123 Abs. 3 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 6 1x
- VwGO § 91 1x
- VwGO § 43 5x
- BBauG § 173 Genehmigung, Übernahmeanspruch 1x
- § 85 Abs. 1 BauGB 1x (nicht zugeordnet)
- VwGO § 154 1x
- VwGO § 162 1x
- VwGO § 167 1x
- VwGO § 67 1x
- 11 L 1403/19 1x (nicht zugeordnet)
- 11 K 3463/19 1x (nicht zugeordnet)
- IV C 59/72 1x (nicht zugeordnet)
- 2 A 3182/08 3x (nicht zugeordnet)
- 6 K 1935/07 1x (nicht zugeordnet)
- 8 C 4/81 1x (nicht zugeordnet)
- 9 L 6980/96 2x (nicht zugeordnet)
- 9 S 1167/11 1x (nicht zugeordnet)