Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 29 K 6059/21
Tenor
Der mit E-Mail vom 25. Juni 2021 übersandte Beschluss ohne Datum wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der J. GmbH produziert und vermarktet Fernsehsendungen und -beiträge. Sie befindet sich in außergerichtlichen Auseinandersetzungen mit der E. GmbH über Vergütungsansprüche. Deren Geschäftsführerin, Frau K. C. (im Folgenden: Beschwerdeführerin), beschwerte sich mit Schreiben an die Landesbeauftragte für Informationssicherheit und Datenschutz (im Folgenden: LDI) vom 4. Dezember 2020, dass die Klägerin ihrem Auskunftsantrag nach der Datenschutz-Grundverordnung vom 16. Oktober 2020 nicht nachgekommen sei. Die LDI gab die Beschwerde mit Schreiben vom 18. Dezember 2020 zuständigkeitshalber an die Beklagte, die Datenschutzbeauftragte der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM NRW) ab.
3Auf die entsprechende Bitte der Beklagten nahm der Datenschutzbeauftragte der Klägerin unter dem 25. Januar 2021 zur Beschwerde Stellung.
4Mit der datenschutzrechtlichen Überprüfung beauftragte die Beklagte eine Anwaltskanzlei, die der Beklagten mit E-Mail vom 26. Mai 2021 zwei vorbereitete Schreiben als Word- Dokumente übersandte, je eines an die Vertreter der Beschwerdeführerin und eines an die Beschwerdegegnerin. In der E-Mail heißt es: „Wenn Sie mit den Entwürfen einverstanden sind, können Sie diese gerne einfach unter dem Briefkopf der LfM NRW versenden.“
5Nach einem Telefonat der Beklagten mit dem Datenschutzbeauftragten der Klägerin übersandte die Beklagte mit E-Mail vom 25. Juni 2021 das vorbereitete Schreiben, das mit der in eckigen Klammern gesetzten Kopfzeile „Mitteilung an die Beschwerdegegnerin“ überschrieben ist. In der E-Mail heißt es u.a.: „Haben Sie vielen Dank für das angenehme Telefonat. Anbei sende ich Ihnen, wie besprochen, den Beschluss über das oben genannte Auskunftsersuchen. Ich werde die Gegenseite ebenfalls über die Entscheidung in Kenntnis setzen.“
6Bei dem übersandten Schreiben selbst handelt es sich um eine ungeschützte MS-Word-Datei, die weder einen Briefkopf, noch ein Aktenzeichen, Datum oder eine Unterschrift bzw. Namensnennung der handelnden Person enthält. Es ist mit „Beschluss“ überschrieben und enthält die datenaufsichtsrechtliche Anweisung, der Beschwerdeführerin Kopien der sie betreffenden personenbezogenen Daten, die von der Klägerin verarbeitet werden, unverzüglich zur Verfügung zu stellen. Beigefügt war eine Rechtsbehelfsbelehrung.
7Mit Schreiben der vormaligen Bevollmächtigten der Landesanstalt für Medien NRW vom 5. Juli 2021 an die Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin teilten diese mit, dass ihre Mandantin dem Beschluss der Landesanstalt für Medien NRW vom 25. Juni 2021 Folge leisten werde.
8Am 7. September 2021 hat die Klägerin unter Beifügung des per E-Mail übersandten Schreibens als Anlage K2 Klage erhoben, mit der sie geltend macht: Die Klage sei als Anfechtungsklage statthaft, weil sie davon ausgehen müsse, dass es sich bei dem Dokument um einen belastenden Verwaltungsakt handele. Dem stehe nicht entgegen, dass sie die Nichtigkeit und damit Unwirksamkeit dieses Verwaltungsakts annehme. Sie könne nicht mit dem Rechtsschein belastet werden, der sich aus der faktischen Existenz einer Maßnahme ihr gegenüber ergebe. Die Anfechtung sei fristgerecht erfolgt, da der Beschluss nicht wirksam bekannt gegeben worden sei. Der erforderliche Bekanntgabewille könne aus Sicht des verständigen Empfängers nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden. In der Gesamtschau sei davon auszugehen, dass die Beklagte mit dem Dokument lediglich einen Entwurf übersandt habe. An dieser Bewertung ändere auch die Begleit-E-Mail vom 25. Juni 2021 nichts, da der Entwurfscharakter des angehängten MS-Word-Dokuments nicht durch belastbare Anhaltspunkte beseitigt worden sei. Der Adressat müsse sich aber sicher sein können, dass ihm gegenüber ein Verwaltungsakt verkündet worden sei. Unklarheiten gingen zu Lasten der Behörde. Jedenfalls sei der Verwaltungsakt mit der Folge der Unwirksamkeit nichtig, weil er die erlassende Behörde nicht erkennen lasse. Der Absender einer E-Mail sei nicht gleichzusetzen mit dem Aussteller eines als Anhang übersandten Dokuments. Im Begleittext der E-Mail sei auch nur von „Beschluss“ die Rede, nicht von „meinem Beschluss“. Der Beschluss sei ferner materiell rechtswidrig, weil dem Auskunftsanspruch der Beschwerdeführerin der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegenstehe.
9Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
101. den Beschluss (gemäß Anl. K2) aufzuheben;
112. hilfsweise festzustellen, dass dieser Beschluss (gemäß Anl. K2) nichtig ist.
12Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
13die Klage abzuweisen.
14Sie macht geltend: Die Klage sei bereits unzulässig, weil die Klagefrist nicht eingehalten worden sei. Der streitgegenständliche Beschluss sei der Klägerin bekannt gegeben worden. Sowohl der Datenschutzbeauftragte als auch die Geschäftsführung der Klägerin hätten den Beschluss tatsächlich zur Kenntnis genommen. Durch ihr Verhalten nach Übersendung des Beschlusses bestätige die Klägerin, dass sie den Beschluss tatsächlich erhalten habe, ihn als verbindlich angesehen habe und dass sie ihm Folge leisten wolle. Der Bekanntgabewille der Beklagten liege auf der Hand. Der Beschluss sei willentlich in den Machtbereich der Klägerin gelangt. Der Beschluss sei zuvor bereits angekündigt worden. Allen Beteiligten sei klar gewesen, dass der Beschluss gegenüber der Klägerin Rechtsfolgen habe auslösen sollen. Der Beschluss sei ausdrücklich und ausschließlich unter der Signatur der Beklagten und unter ausdrücklicher Nennung der Klägerin als Adressatin übermittelt worden. Der Beschluss sei Bestandteil einer E-Mail gewesen, hinsichtlich des Absenders der E-Mail gebe es nach einer objektiven Betrachtung keine Zweideutigkeit. Der Absender einer E-Mail könne mit dem Aussteller eines als Anhang übersandten Dokuments gleichgesetzt werden, wenn aus den Gesamtumständen für den Empfänger ersichtlich sei, dass der Absender der E-Mail auch der Absender des in Rede stehenden angehängten Dokument sein solle. Es gebe nur eine einzige Behörde, die in Erscheinung getreten sei. Im Übrigen sei der von der Klägerin angefochtene Beschluss auch materiell rechtmäßig. Rechtsmissbrauch könne der Geltendmachung von Auskunftsrechten nach der Datenschutz-Grundverordnung nur in äußerst krassen und evidenten Fällen entgegen gehalten werden.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin entschieden werden kann (§§ 101 Abs. 2, 87a Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), hat Erfolg.
18Sie ist mit ihrem Hauptantrag als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, zulässig und begründet.
19Gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts begehrt werden. Zwar handelt es sich bei dem per E-Mail übersandten Beschluss nicht um einen materiellen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 S. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW). Die Beklagte hat jedoch gezielt den Rechtsschein des Vorliegens eines Verwaltungsaktes dadurch erweckt, dass das streitgegenständliche Schreiben einen Entscheidungssatz und eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält.
20Die Auslegung des mit „Beschluss“ überschriebenen Dokuments nach Maßgabe eines objektiven Empfängerhorizonts unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben ergibt, dass eine für die Klägerin als Adressatin verbindliche behördliche Regelung nicht vorliegt und das am 25. Juni 2021 übersandte Schreiben damit nicht als Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG NRW zu qualifizieren ist.
21Maßgeblich für die Beurteilung, ob ein behördlicher Akt die materiellen Merkmale eines Verwaltungsakts aufweist, ist der objektive Erklärungswert der Maßnahme, d. h. wie der Adressat unter Berücksichtigung der äußeren Form, Abfassung, Begründung, Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung und aller sonstigen ihm bekannten oder erkennbaren Umstände nach Treu und Glauben bei objektiver Auslegung analog §§ 157, 133 BGB die Erklärung oder das Verhalten der Behörde verstehen durfte bzw. musste. Zu würdigen ist der gesamte Inhalt der Erklärung einschließlich der Gesamtumstände. Zur Auslegung können auch der Erläuterungsteil eines Schreibens sowie dem Schreiben bzw. dem Verwaltungsakt beigefügte Unterlagen herangezogen werden. Maßgeblich kommt es dabei auf den Empfängerhorizont an.
22Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW), Urteil vom 15. Oktober 2009 – 2 S 1457/09 -, juris Rn. 33; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 3a, 54, m.w.N.
23Der Wille der Behörde, einen Verwaltungsakt, also eine Maßnahme zu erlassen, welche die Kriterien des § 35 VwVfG erfüllt, reicht allein nicht aus.
24Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 3a.
25Hiernach ist das mit E-Mail der Beklagten vom 25. Juni 2021 übermittelte Dokument nicht als materieller Verwaltungsakt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG NRW zu werten.
26Zwar ist das streitgegenständliche Dokument mit „Beschluss“ überschrieben und enthält neben einem Tenor mit Begründung auch eine Rechtsbehelfsbelehrung. Das Schreiben konnte aus objektiver Empfängersicht gleichwohl nicht so verstanden werden, dass die Beklagte schon damit eine verbindliche, das Beschwerdeverfahren abschließende Anweisung erlassen wollte. Es erweckt bei objektiver Auslegung vielmehr den Eindruck eines Entwurfs, dem der eigentliche Verwaltungsakt noch nachfolgen würde.
27Das ergibt sich zunächst daraus, dass es sich bei dem übersandten Schreiben um ein elektronisch veränderbares Word-Dokument handelt und nicht um ein elektronisch geschütztes, unveränderbares Dokument. Die in eckige Klammern gesetzte Kopfzeile „[Mitteilung an die Beschwerdegegnerin]“ zeigt zudem, dass hier noch etwas auszufüllen gewesen wäre. Wenn ein elektronisches Dokument übermittelt wird, das ersichtlich noch bearbeitet werden soll und darüber hinaus auch (von beiden Seiten) verändert werden kann, spricht aus Empfängersicht bereits aufgrund dieser äußeren Form vieles dafür, dass es sich nicht um die gültige Endfassung handeln kann, sondern nur um eine vorläufige.
28Bei belastenden Maßnahmen – wie hier – sind unter dem Gesichtspunkt der Formenklarheit aber strenge Anforderungen für das Vorliegen eines Verwaltungsakts aufzustellen. Es muss unmissverständlich erkennbar werden, dass das Verwaltungsverfahren durch die Erklärung (bestandskraftfähig) abgeschlossen werden soll.
29Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage, § 35 Rn. 73.
30Das ist bei dem streitgegenständlichen Dokument nicht klar. Denn über die unübliche Formatierung hinaus weist das Schreiben auch sonst keines der für einen Verwaltungsakt typischen Formelemente auf. Es fehlen sowohl der Bearbeitername als auch die Signatur bzw. Unterschrift. Das Schreiben enthält außerdem weder den Behördenkopf, noch den Adressaten, noch ein Datum. Ebenso wenig findet sich darin ein behördliches Aktenzeichen. Dass es überhaupt aus der Sphäre der Beklagten oder der Landesmedienanstalt stammt, lässt sich allein der E-Mail der Beklagten entnehmen, mit der das Schreiben übersendet wurde. Für sich genommen ist das Dokument nicht als behördliches Schreiben zu erkennen.
31Auch bei einer Heranziehung des Begleitschreibens vom 25. Juni 2021 wird nicht deutlich, dass eine verbindliche Regelung getroffen werden sollte. Die dort verwendete Formulierung „anbei sende ich Ihnen, wie besprochen, den Beschluss über das oben genannte Auskunftsersuchen“ schließt die aus dem Entwurfscharakter des Schreibens resultierende Erwartung nicht aus, der „fertige“ Beschluss werde noch, wie üblich, per Post folgen. Eine Klarstellung des behördlichen Willens, hiermit einen Verwaltungsakt zu erlassen – etwa der Hinweis, dass das Beschwerdeverfahren mit dem übersandten Beschluss abgeschlossen sei – wurde im Begleitschreiben nicht vorgenommen.
32Unklarheiten hinsichtlich der von der Behörde gewählten Form gehen zu deren Lasten.
33VGH BW, Urteil vom 15. Oktober 2009 – 2 S 1457/09 -, juris Rn. 32; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rn. 55, m.w.N.
34Der Bürger als Empfänger einer nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt missverständlichen Willensäußerung der Verwaltung darf durch solche Unklarheiten nicht benachteiligt werden.
35BVerwG, Urteil vom 12. Januar 1973 – VII C 3.71, juris Rn. 16.
36Der Klägerin kann auch nicht entgegengehalten werden, sie habe das Dokument als verbindlichen Beschluss der Beklagten verstanden. Auf ihre subjektive Sicht kommt es bereits nicht an. Verwaltungsakte sind Willenserklärungen. Entscheidend für die Auslegung einer Willenserklärung ist der erklärte Wille der Behörde und der sich daraus ergebende objektive Erklärungsinhalt der Regelung, wie ihn der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen aus der Sicht eines objektiven Betrachters unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte.
37Vgl. VGH BW, Urteil vom 15. Oktober 2009 – 2 S 1457/09 -, juris Rn. 33.
38Nach Maßgabe eines objektiven Empfängerhorizonts ist das streitgegenständliche Dokument aber, wie oben ausgeführt, als unverbindlicher Entwurf zu werten. Abgesehen davon zeigt die vorliegende Klage, dass für die Klägerin gerade nicht unmissverständlich erkennbar war, dass das Aufsichtsverfahren durch das Schreiben bestandskraftfähig abgeschlossen werden sollte.
39Schließlich kann in dem der E-Mail vom 25. Juni 2021 vorangegangenen Telefonat zwischen der Beklagten und dem Datenschutzbeauftragten der Klägerin auch kein (verbindlicher) mündlicher Verwaltungsakt gesehen werden. In dem Telefonat hatte die Beklagte den Beschluss angekündigt. Sprechen aber Anzeichen dafür, dass die Behörde einen Verwaltungsakt schriftlich erlassen wird, kann eine mündliche Äußerung eines Bediensteten nicht dahin ausgelegt werden, sie sei bereits die abschließende Entscheidung.
40Die Klägerin kann gegen das streitgegenständliche Dokument im Wege der Anfechtungsklage vorgehen. Bedient sich die Behörde der Handlungsform des Verwaltungsakts und wählt die Rechtsbehelfsbelehrung entsprechend, darf der Adressat dies so hinnehmen und die Wahl seines Rechtsbehelfs danach ausrichten.
41Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. November 2002 – 3 CS 02.2258 –, juris Rn. 30.
42Die Anfechtungsklage ist auch zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.
43Maßnahmen, die aufgrund des von der Behörde gesetzten Anscheins vom Adressaten als Verwaltungsakt verstanden werden mussten, jedoch – wie hier - die übrigen Kriterien des § 35 Satz 1 VwVfG nicht erfüllen, sind aufgrund des von der Behörde zurechenbar gesetzten Rechtsscheins als (aufhebbare) Verwaltungsakte im nur formellen Sinne zu verstehen.
44Vgl. Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 22. Aufl. 2021, § 35 Rn. 3b; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 16.
45Es kann dahinstehen, ob daraus folgt, dass auch bei solchen Verwaltungsakten die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung einzuhalten ist. Denn vorliegend ist jedenfalls keine wirksame Bekanntgabe des mit „Beschluss“ überschriebenen Dokuments erfolgt. Mangels wirksamer Bekanntgabe des „Beschlusses“ wurde die Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO nicht in Lauf gesetzt.
46Gemäß § 41 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird.
47Unter Bekanntgabe ist allgemein die Eröffnung des Verwaltungsakts gegenüber dem Betroffenen, d.h. die Tatsache des Ergehens und des Inhalts des Verwaltungsakts, mit Wissen und Wollen der Behörde, die den Verwaltungsakt erlässt, zu verstehen.
48Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer Verwaltungsverfahrensgesetz, § 41 Rn. 6.; Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage, § 41 Rn. 53 m.w.N.
49Dabei setzt jede Form der Bekanntgabe voraus, dass ein sogenannter Bekanntgabewille der Behörde vorliegt.
50Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage, § 41 Rn. 53 m.w.N.
51Am Bekanntgabewillen der Beklagten fehlt es. Das streitgegenständliche Schreiben mag mit Willen der Beklagten in die Sphäre der Klägerin gelangt sein. Die Übersendung des Schreibens per E-Mail konnte von der Klägerin jedoch nicht zweifelsfrei als Bekanntgabe einer verbindlichen Anweisung erkannt werden. Denn die Vorgehensweise der Beklagten war, wie oben ausgeführt, missverständlich. Aufgrund der äußeren Form des Dokuments war unklar, ob die Beklagte der Klägerin nicht lediglich einen Entwurf zur Kenntnis gegeben hat und der eigentliche Verwaltungsakt nachfolgend per Post bekannt gegeben werden sollte.
52Regelmäßig wird der Bekanntgabewille bei schriftlichen Verwaltungsakten aus der Unterschrift oder Namenswiedergabe oder aus sonstigen Umständen geschlossen.
53Vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Auflage, § 41 Rn. 53.
54Das übersandte Schriftstück enthält aber weder einen Briefkopf noch ein Datum, Namen oder Unterschrift. Das Begleitschreiben trägt zur Verdeutlichung nichts bei.
55Hinzu kommt, dass die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts von der zuständigen Behörde veranlasst werden muss.
56Tegethoff, in: Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 22. Aufl. 2021, § 41 Rn. 7.
57Welche Behörde die Übersendung des „Beschlusses“ veranlasst hat, ist jedoch unklar. Sie erschließt sich aus dem Dokument selbst nicht, aber auch nicht aus der begleitenden E-Mail. In Betracht kommen entgegen der Auffassung der Beklagten zwei Behörden, nämlich sowohl die Beklagte als Aufsichtsbehörde, als auch die LfM NRW. Die E-Mail wurde zwar vom E-Mail-Postfach des damaligen Datenschutzbeauftragten Q. übersandt. Unter der Bezeichnung „Datenschutzbeauftragter“ findet sich aber zusätzlich „Landesanstalt für Medien NRW“ nebst deren Adresse, Internetadresse und Twitter-Account. Zu Recht weist die Klägerin darauf hin, dass der E-Mail-Absender und der Aussteller eines als Anhang der E-Mail übersendeten Dokuments nicht identisch sein müssen, so dass die Beklagte auch einen Beschluss der LfM NRW übersenden konnte. Aus dem Text der E-Mail wird die erlassende Behörde nicht deutlich. Darin ist in neutraler Form nur von dem Beschluss die Rede, nicht von „meinem“ Beschluss. Ob der Beklagten bewusst war, dass sie selbst als Behörde einen aufsichtsrechtlichen Beschluss erlässt, ist zudem zweifelhaft. Die beratende Anwaltskanzlei hatte, obwohl das Dokument Ausführungen zur Zuständigkeit der Beklagten enthält, darauf verwiesen, dass der Beschluss „unter dem Briefkopf der LfM NRW“ zu versenden ist. Dass das streitgegenständliche Dokument (auch) nach dem Empfängerhorizont offenbar nicht als verbindlicher Beschluss der Beklagten zu verstehen war, zeigt das Schreiben der früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin an die Prozessbevollmächtigten der Beschwerdeführerin vom 5. Juli 2021. Darin wird der „Beschluss der Landesanstalt für Medien NRW vom 25. Juni 2021“ genannt.
58Die durch die Form von E-Mail und übersandtem Dokument auf Seiten der Klägerin entstandene Unklarheit über die Bekanntgabe des „Beschlusses“ geht zu Lasten der Beklagten, die Vorsorge dafür treffen muss, dass eine von ihr gewollte Bekanntgabe per E-Mail vom Empfänger eindeutig als solche erkannt werden kann.
59Vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 15. April 1997 – Bs II 177/96 -, juris Rn. 21.
60Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene, mit E-Mail der Beklagten vom 25. Juni 2021 übermittelte „Beschluss“ ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Er erweckt den Rechtsschein, über das Auskunftsersuchen der Beschwerdeführerin abschließend in Form eines Verwaltungsakts, nämlich einer Anweisung gemäß Art. 58 Abs. 2 lit. c) DSGVO, zu entscheiden, zumal die Beklagte das mit „Beschluss“ überschriebene Dokument auch der Beschwerdeführerin zugeleitet hat. Bei dieser Sachlage gebietet nicht zuletzt das aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 Grundgesetz folgende Erfordernis der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, den von dem streitgegenständlichen Dokument ausgehenden Rechtsschein zu beseitigen. Der Bürger als Empfänger einer nach ihrem objektiven Erklärungsinhalt missverständlichen Willensäußerung der Verwaltung darf durch etwaige Unklarheiten nicht benachteiligt werden.
61Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Juni 1987 - 8 C 21/86 -, BVerwGE 78, 3 ff., juris Rn. 9.
62Die Beseitigung des Rechtsscheins kann im Entscheidungssatz nur dadurch erreicht werden, dass der von der Beklagten so bezeichnete "Beschluss" aufgehoben wird.
63Vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. Dezember 2010 - 2 B 260/10 -, juris Rn. 17; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 10. Dezember 2013 – 12 K 5403/11 -, juris Rn. 31 m.w.N.
64Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.
65Rechtsmittelbelehrung:
66Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) schriftlich die Zulassung der Berufung beantragt werden. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
67Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
68Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist.
69Die Berufung ist nur zuzulassen,
701. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
712. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
723. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
734. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
745. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
75Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster) schriftlich einzureichen.
76Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen.
77Im Berufungs- und Berufungszulassungsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die das Verfahren eingeleitet wird. Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Auf die zusätzlichen Vertretungsmöglichkeiten für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse wird hingewiesen (vgl. § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und § 5 Nr. 6 des Einführungsgesetzes zum Rechtsdienstleistungsgesetz – RDGEG –). Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen unter den dort genannten Voraussetzungen als Bevollmächtigte zugelassen.
78Die Antragsschrift und die Zulassungsbegründungsschrift sollen möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
79Beschluss:
80Der Streitwert wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
81Gründe:
82Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 2 GKG erfolgt.
83Rechtsmittelbelehrung:
84Gegen den Streitwertbeschluss kann schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf (Bastionstraße 39, 40213 Düsseldorf oder Postfach 20 08 60, 40105 Düsseldorf) Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls ihr nicht abgeholfen wird. § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
85Auf die seit dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
86Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten eingelegt wird, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
87Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,-- Euro nicht übersteigt.
88Die Beschwerdeschrift soll möglichst 3-fach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung als elektronisches Dokument bedarf es keiner Abschriften.
89War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist angerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
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