Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - 10 K 3799/19

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Rechtsanwältin für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung auch bei Anwendung des gebotenen großzügigen Maßstabs (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.2012 – 2 BvR 820/11 –, juris m.w.N.) keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 2 ZPO). Zur weiteren Begründung wird auf die folgenden Ausführungen verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (10 K 3798/19) gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 13.08.2019 hinsichtlich der in den Ziffern III bis V des Bescheids verfügten Androhungen der Abschiebung nach Kasachstan sowie der Anordnung der Abschiebung aus der Haft ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO i.V.m. § 12 LVwVG statthaft.
Der Antragsteller hat zwar im Schriftsatz vom 13.09.2019 nicht explizit die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage auch hinsichtlich der in Ziffer II des Bescheids des Regierungspräsidiums verfügten Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis beantragt. Ein solcher Antrag wäre nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Abs. 5 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG statthaft, nachdem der Antragsteller zuletzt im Besitz einer bis zum 05.09.2006 befristeten Aufenthaltserlaubnis war und sein am 15.08.2006 gestellter Antrag auf Verlängerung dieses Aufenthaltstitels nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG eine Fortgeltungswirkung hatte, die durch die Verbescheidung des Antrags wieder erloschen ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.09.2018 - 11 S 1973/18 -, juris Rn. 13; Beschl. v. 20.11.2007 - 11 S 2364/07 -, juris Rn. 2).
Aus der Antragsbegründung ergibt sich jedoch, dass sich der Antragsteller auch im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes gegen die Ablehnung der Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis wendet. Sofern der Klage gegen diese Ablehnung aufschiebende Wirkung zukäme, wäre der Antragsteller nämlich nicht vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.11.2002 – 11 S 2364/07 -, juris Rn. 3). Aus diesem Grund sind die Anträge gemäß § 88 VwGO sachdienlich dahingehend auszulegen, dass auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis begehrt wird.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG analog ebenfalls sofort vollziehbar ist die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 2 AufenthG, welches im Falle der Ausweisung zu erlassen ist (§ 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Der Antragsgegner hat in Ziffer VI seines Bescheids – entsprechend der bis zum 21.08.2019 geltenden Rechtslage – dem Wortlaut nach zwar lediglich eine Befristungsentscheidung getroffen. Hierin muss jedoch auch eine konkludente Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gesehen werden, da andernfalls die Befristungsentscheidung isoliert keinen Sinn ergäbe. Da eine solche Anordnung jedoch zur Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG führt, könnte dem Antragsteller selbst dann keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er einen Anspruch auf eine solche nach dem Aufenthaltsgesetz hätte. Aus diesem Grund ist der Antrag gemäß § 88 VwGO zusätzlich sachdienlich dahingehend auszulegen, dass eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots begehrt wird.
III.
Der auch sonst zulässige Antrag ist unbegründet.
1. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung. Die Versagung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erweist sich als offensichtlich rechtmäßig, da schon nicht ersichtlich ist, aus welcher Rechtsgrundlage der Antragsteller momentan einen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis herleiten will. Insbesondere kommt keine Verlängerung aufgrund von § 28 Abs. 1 Satz 4 AufenthG in Betracht, da keine familiäre Gemeinschaft mit einem minderjährigen ledigen Deutschen gelebt wird. Laut einer Email des Jugendamtes beim Landratsamt Ortenaukreis vom 22.07.2019 haben seit 2011 keine Umgänge mehr mit dem 2004 geborenen Sohn R. des Antragstellers stattgefunden. Am Zustandekommen der Umgänge habe der Antragsteller auch nicht mitgewirkt. Er habe sich seit 2011 nicht mehr gemeldet. Der Sohn sei sehr enttäuscht und wolle keinen Kontakt mit seinem Vater. Auch habe der Antragsteller noch nie Unterhalt bezahlt.
2. Zudem löst die in Ziffer VI des Bescheids des Antragsgegners verfügte Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots die Titelerteilungssperre des § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG aus. Infolgedessen darf dem Antragsteller, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nach summarischer Prüfung ebenfalls rechtmäßig, weshalb auch insoweit keine Anordnung der aufschiebenden Wirkung erfolgt.
a) Zunächst liegt in Ziffer I des Bescheids des Antragsgegners eine wirksame Ausweisungsentscheidung vor, welche wiederum der Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zugrunde liegt.
10 
Die auch gegen die Ausweisung erhobene Klage lässt gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt. Soweit die Ausweisung deshalb aus Gründen eines wirksamen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – inzident – auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen ist (vgl. etwa BayVGH, Beschl. v. 24.07.2017 – 19 CS 16.2376 –, juris Rn. 4) begegnet sie keinen rechtlichen Bedenken.
11 
Die Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 AufenthG und ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde der Antragsteller durch Schreiben des Antragsgegners vom 22.03.2018, 08.04.2019 und 13.06.2019 ordnungsgemäß i.S.d. § 28 Abs. 1 LVwVfG angehört.
12 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise des Ausländers mit dessen Interessen an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 – 1 C 3.16 –, juris Rn. 21 ff). Die Ausweisung setzt nach § 53 Abs. 1 AufenthG auf der Tatbestandsseite eine gerichtlich voll überprüfbare umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht. Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Die Berücksichtigung weiterer, nicht ausdrücklich benannter sonstiger Bleibe- oder Ausweisungsinteressen ist hierdurch jedoch nicht ausgeschlossen (BVerwG, Urt. v. 22.02.2017, a.a.O., juris Rn. 24). Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen den Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist.
13 
Hiernach wiegt das Interesse an der Ausweisung des Antragstellers nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer, nachdem er durch Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 18.02.2019 – 21 Ls 250 Js 4607/18 – wegen des schweren räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, des Diebstahls in fünfzehn Fällen, des versuchten Diebstahls in zwei Fällen und des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden ist. Zudem wiegt das Ausweisungsinteresse aufgrund der Verurteilungen wegen schweren räuberischen Diebstahls in einem minder schweren Fall (Taten Nr. 16 und 19 des Urteils des Amtsgerichts Freiburg vom 18.02.2019) auch gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG besonders schwer. Die auch gegen die körperliche Unversehrtheit des Opfers gerichtete Einzeltat (Tat Nr. 19) wurde durch das Amtsgericht Freiburg mit einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten geahndet, weshalb die Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 1a b) AufenthG erfüllt sind. Es liegt auch ein Fall des § 54 Abs. 1 Nr. 1a d) AufenthG vor. Denn das Amtsgericht hat den Antragsteller wegen der Taten Nr. 16 und 19 zu 1 Jahr und 9 Monaten bzw. 1 Jahr und 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem sieht das Gesetz für den minderschweren Fall des schweren räuberischen Diebstahls (§§ 252, 250 Abs. 3 StGB) eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe (vgl. § 38 Abs. 2 StGB, siehe auch Zeitler, HTK-AuslR / § 54 AufenthG / Abs. 1 Nr. 1a), Rn. 23) vor.
14 
Nach summarischer Prüfung ist auch davon auszugehen, dass sein weiterer Aufenthalt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG bewirkt. Es muss damit gerechnet werden, dass er bei einem Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland erneut Straftaten begehen wird.
15 
Jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose liegt eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist.
16 
Nach diesem Maßstab ergibt sich eine für den Antragsteller negative Prognose. Der ihn betreffende Bundeszentralregisterauszug vom 02.02.2018 enthält 29 Einträge wegen Straftaten aus den Jahren 2001 bis 2017, wobei auf den Zeitraum bis 2005, als der Antragsteller noch als Jugendlicher oder Heranwachsender zu betrachten war, sieben Einträge entfallen. Im Einzelnen handelt es sich um Einträge wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln, Erschleichens von Leistungen, versuchter Nötigung, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr sowie Beleidigung. Hinzu kommen die mit Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 18.02.2019 abgeurteilten Taten, die den Anlass für die verfügte Ausweisung darstellen.
17 
Insgesamt ist eine sich steigernde Delinquenz festzustellen. Hinzu tritt eine massive Drogenabhängigkeit, welche bislang weitgehend unbehandelt ist. Im Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 18.02.2019 wird ausgeführt, dass der Antragsteller mit 15 Jahren mit dem Konsum von Marihuana/Haschisch begonnen habe. Ab 16 sei der Konsum von Kokain und Heroin hinzugekommen. Seit dem Jahr 2003 bestehe bei ihm eine Opiatabhängigkeit. Er habe zwei stationäre Drogenentwöhnungstherapien abgebrochen. Vor seiner Entgiftung im ZfP R. vom 12.01.2012 bis zum 02.02.2012 habe der Antragsteller täglich 1,5 bis 2,5 Gramm Heroin intravenös konsumiert. Im Jahr 2013 sei es zu mehreren kurzfristigen Methadonsubstitutionsbehandlungen bei verschiedenen Freiburger Ärzten gekommen, die aufgrund unzureichender Mitarbeit des Antragstellers oder wegen Inhaftierungen geendet hätten. Er leide an einer Störung durch multiplen Substanzgebrauch, einer Politoxikomanie mit dem Schwerpunkt einer Abhängigkeit von Opiat, Amphetamin und Cannabis. Von Juli 2016 bis Februar 2017 habe er sich gemäß § 64 StGB im Zentrum für Psychiatrie in E. befunden. Die Behandlung sei wegen eines Drogenmissbrauchs des Antragstellers abgebrochen worden. Zuletzt habe er sich ab dem 28.08.2017 auf einer stationären Drogenentwöhnungstherapie im W. befunden, welche er im Oktober 2017 abgebrochen habe. Danach sei er ein halbes Jahr „nur am konsumieren“ gewesen und habe haltlos ohne festen Wohnsitz oder verschiedentlich bei Freunden unter dem Einfluss von Drogen gelebt.
18 
Zwar ist der Antragsteller – wie sich aus der Nachricht des Antragsgegners an das Verwaltungsgericht Freiburg vom 21.11.2019 ergibt – derzeit im ZfP E. untergebracht, wo möglicherweise eine Drogentherapie durchgeführt wird. Auch trägt der Antragsteller vor, er sei ausgesprochen motiviert, die Behandlung seiner Betäubungsmittelabhängigkeit nunmehr erfolgreich abzuschließen. Angesichts der bislang unternommenen erfolglosen Therapieversuche ist aus Sicht des Gerichts jedoch auch in Zukunft nicht zu erwarten, dass der Antragsteller das Problem nun in den Griff bekommen wird.
19 
Selbst in der Haft ist er immer wieder einschlägig disziplinarisch in Erscheinung getreten. So wurden beispielsweise in seiner Zelle 5 Liter Most, selbstgebautes Rauchwerkzeug mit Rückständen von THC, nicht identifizierbares Pulver und eine Flasche Bodylotion, welche mit Holzleim befüllt war, gefunden. Eine Urinkontrolle wurde von ihm verweigert. Dass das Amtsgericht Freiburg in seinem Urteil vom 18.02.2019 noch davon ausging, dass der Antragsteller nun eine hohe Motivation hinsichtlich einer Behandlung habe, ist vor diesem Hintergrund bei der Gefahrenprognose nur gering zu gewichten. Es sind keine Umstände erkennbar, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass eine Therapie im ZfP E. nun erfolgreich verlaufen könnte.
20 
Mit der Drogenabhängigkeit des Antragstellers geht eine sich immer weiter steigernde Straffälligkeit einher. Es ist auch in Zukunft zu erwarten, dass er zur Finanzierung seiner Abhängigkeit straffällig werden wird.
21 
Begründet der weitere Aufenthalt des Antragstellers insgesamt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, sind bei der Abwägung mit dem gegen-läufigen Bleibeinteresse des Ausländers gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG die Dauer seines Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen (BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 – 1 C 3.16 –, juris Rn. 25).
22 
Bei dieser erforderlichen Abwägung ist festzustellen, dass der Antragsteller keines der in § 55 AufenthG normierten besonders schwerwiegenden oder schwerwiegenden Bleibeinteressen erfüllt. Zunächst liegt kein Fall des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor. Zwar ist der Antragsteller als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist und hat sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten, allerdings besitzt er bereits seit dem 06.09.2006 keine Aufenthaltserlaubnis mehr. Diese wurde ihm in der Folge nicht mehr verlängert. Der Ausländer muss jedoch im Entscheidungszeitpunkt eine Aufenthaltserlaubnis besitzen, damit ein Fall des § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegen kann. Die bloße Beantragung steht dem Besitz der Aufenthaltserlaubnis auch unter Berücksichtigung des § 81 Absatz 4 AufenthG grundsätzlich nicht gleich. Eine erteilte Fiktionsbescheinigung genügt nicht (OVG Saarland, Beschl. v. 27.08.2014 – 2 D 282/14 –, juris Rn. 5; Bergmann/Dienelt/Bauer/Dollinger, 12. Aufl. 2018, AufenthG § 55 Rn. 6; BeckOK AuslR/Tanneberger/Fleuß, 24. Ed. 1.11.2019, AufenthG § 55 Rn. 7; NK-AuslR/Björn Cziersky-Reis, 2. Aufl. 2016, AufenthG § 55 Rn. 10).
23 
Auch liegt kein Fall des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG vor, da der Antragsteller – wie bereits ausgeführt – weder ein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen, noch sein Umgangsrecht mit diesem ausübt.
24 
Nach summarischer Prüfung spricht auch vieles dafür, dass bei der nach § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG gebotenen umfassenden Gesamtabwägung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes das Ausweisungsinteresse gegenüber dem Bleibeinteresse überwiegt. In diese umfassende Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sind das Interesse an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse sowie die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen.
25 
Im Rahmen dieser Abwägungsentscheidung ist zugunsten des am 1985 in Kasachstan geborenen Antragstellers zu berücksichtigen, dass er seit dem Jahr 2000 – wenn wohl auch mit durch seinen Meldestatus dokumentierten kurzen Unterbrechungen – in der Bundesrepublik Deutschland lebt. Bis Frühjahr 2001 lebte er bei seinem Vater. Die momentane Beziehung zu diesem ist aus den Akten nicht ersichtlich. Andererseits ist zu sehen, dass in der Bundesrepublik Deutschland keine wirkliche Integration stattgefunden hat. Vielmehr ist er bereits im Jahr nach seiner Einreise straffällig geworden. Die aus der teilweise von massiver Gewaltbereitschaft geprägten Straftatbegehung (siehe die Verurteilung des Amtsgerichts Freiburg vom 19.03.2015 – 21 Ls 250 Js 26065/14 – wegen Raubes und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln) und der letztlich fehlenden Bereitschaft oder Fähigkeit zu einer nachhaltigen Resozialisierung abgeleitete hohe Gefahr einer erneuten Straftatbegehung berührt mit dem Schutz des Eigentums und der körperlichen Unversehrtheit potenzieller Opfer ein Grundinteresse des Staates, dem Vorrang auch gegenüber berechtigten Interessen des Ausländers an einem weiteren Aufenthalt in Deutschland und der Vermeidung einer Ausreise in sein Heimatland gebührt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller auch unter dem Eindruck der ihm drohenden Ausweisungsverfügung sowie trotz bereits zuvor verbüßter Freiheitsstrafen die ihm dargebotenen Chancen – beispielsweise durch Drogenentwöhnungstherapien – nicht ernsthaft genutzt hat und dass er wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen ist. Zwei stationäre Aufenthalte zur Behandlung seiner Sucht sowie eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sind gescheitert. Eine Ausbildung hat der Antragsteller nicht abgeschlossen, geschweige denn eine längerfristige Beschäftigung gefunden. Neben den im Zusammenhang mit seiner Drogenabhängigkeit zu sehenden Straftaten ist er auch anderweitig – beispielsweise durch Erschleichen von Leistungen – straffällig in Erscheinung getreten, was eine grundsätzliche Ignoranz gegenüber der deutschen Rechtsordnung widerspiegelt.
26 
Eine Reintegration in Kasachstan dürfte dem Antragsteller möglich sein. Er ist in Kasachstan aufgewachsen und hat dort die Schule besucht. Erst im Alter von 14 Jahren ist er in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Es ist daher davon auszugehen, dass er die Sprache seines Heimatlandes spricht und auch sonst mit den dortigen Gegebenheiten vertraut ist. Es ist aus den Akten nicht ersichtlich, dass seine Mutter nicht mehr in Kasachstan wohnt. Der Kontakt mit seinem Vater kann – sofern überhaupt gewünscht – durch Briefverkehr und moderne Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden.
27 
b) Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben Jahre bestehen keine Bedenken. Solche wurden durch den Antragsteller auch nicht vorgetragen.
28 
2. Die Abschiebungsandrohungen und die Anordnung der Abschiebung aus der Haft erweisen sich ebenfalls als offensichtlich rechtmäßig, weshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung auch insoweit überwiegt.
29 
Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung und der Anordnung der Abschiebung aus der Haft nach §§ 50, 58, 59 AufenthG sind erfüllt. Der Antragsteller ist unabhängig von der verfügten Ausweisung kraft Gesetzes zur Ausreise verpflichtet (§ 50 Abs. 1 AufenthG), weil er einen Aufenthaltstitel nicht mehr besitzt. Seine letzte Aufenthaltserlaubnis ist durch Ablauf ihrer Geltungsdauer zum 05.09.2006 erloschen.
30 
Die Ausreisepflicht des Antragstellers ist auch vollziehbar (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG), weil die ursprüngliche Aufenthaltserlaubnis trotz des Antrags auf ihre Verlängerung nach der Ablehnung dieses Antrags durch den Antragsgegner nicht mehr nach § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend gilt und diese Ablehnung ihrerseits – wie bereits gezeigt – nach § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG sofort vollziehbar ist.
31 
Die Abschiebungsandrohungen erfüllen auch die formellen Voraussetzungen nach § 59 AufenthG. Insbesondere bedurfte die Androhung der Abschiebung in Ziffer III keiner Fristsetzung, da der Antragsteller gemäß § 59 Abs. 5 i.V.m. 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG aus der Haft abgeschoben werden soll. Für den Fall, dass eine Abschiebung bis zum Haftende nicht erfolgen kann, wurde nur die in § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorgesehene Mindestfrist von 7 Tagen für die freiwillige Ausreise nach der Haftentlassung festgesetzt. Der Antragsteller hat jedoch bereits während der Haft ausreichend Zeit, sich auf die Ausreise vorzubereiten. Auch wurde mit „Kasachstan“ jeweils der Staat bezeichnet, in den der Antragsteller abgeschoben werden soll.
32 
Es ist auch nicht ersichtlich, dass in Bezug auf Kasachstan (zielstaatsbezogene) Abschiebungsverbote vorliegen. Insbesondere ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass in Hinblick auf die Suchterkrankung des Antragstellers Abschiebungsverbote bestehen.
IV.
33 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
V.
34 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen