Urteil vom Verwaltungsgericht Freiburg - 4 K 557/21

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 17.04.2020 und der Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums Freiburg vom 16.02.2021 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich dagegen, dass ihr die Beklagte ein Zwangsgeld zur Durchsetzung einer Auflage zur Anlage eines Kinderspielplatzes angedroht hat.
Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Ihre Mitglieder sind gemeinschaftliche Eigentümer des mit zwei Mehrfamilienhäusern bebauten Grundstücks FlSt.-Nr. x, der Gemarkung der Beklagten.
Die Lage des Grundstücks lässt sich folgender Darstellung aus dem Geodaten-Portal der Beklagten (x) entnehmen:
Die Beklagte erteilte der damaligen Bauherrin, der x, am 05.12.1997 eine Baugenehmigung für die Errichtung von zwei Mehrfamilienhäusern mit insgesamt 14 Wohneinheiten auf dem Grundstück. Die Baugenehmigung enthielt u.a. folgende Auflage (Ziff. 1.6.00): „Auf dem Baugrundstück ist ein Kinderspielplatz anzulegen (§ 9 Abs. 2 LBO). Der Kinderspielplatz ist nach § 1 LBOAVO auszuführen.“
Bei der Schlussabnahme am 21.10.1999 war kein Kinderspielplatz angelegt. Am 25.02.2000 wies die Beklagte darauf hin, dass ein solcher noch herzustellen sei. Am 29.02.2000 wandte sich der Architekt an die Beklagte und bat darum, die Durchsetzung der Spielplatzauflage auszusetzen, bis sich Grundstückseigentümer und Bauherrin über die Ausführung geeinigt hätten. Damit erklärte sich die Beklagte einverstanden und ging offenbar davon aus, dass der Spielplatz alsbald errichtet werden werde.
Im Jahr 2015 erhielt die Beklagte Hinweise darauf, dass ein Kinderspielplatz auf dem Grundstück nicht errichtet worden war.
Mit Schreiben vom 24.06.2019 forderte die Beklagte die x als Verwalterin und Vertreterin der Klägerin dazu auf, zu veranlassen, dass der fehlende Spielplatz innerhalb von vier Monaten angelegt und die Fertigstellung schriftlich bestätigt werde.
Eine örtliche Überprüfung am 17.04.2020 ergab, dass der Kinderspielplatz weiterhin nicht errichtet worden war.
Mit Bescheid vom 17.04.2020 drohte die Beklagte der Klägerin für den Fall, dass ein Kinderspielplatz nicht bis zum 31.07.2020 gemäß der Auflage in der Baugenehmigung errichtet werde, ein Zwangsgeld in Höhe von 5000,- EUR an. Zur Begründung führte sie aus: Die Auflage zur Herstellung eines Kinderspielplatzes bestehe fort. Sie sei weder durch Zeitablauf erloschen noch aufgehoben worden. Auch habe sich die Rechtslage seit Erteilung der Baugenehmigung insoweit nicht entscheidend geändert. Insbesondere bestehe nachweislich ein Bedarf an der Herstellung eines Kinderspielplatzes.
10 
Die Klägerin legte am 11.05.2020 Widerspruch ein und trug vor: Seit der Novelle der Landesbauordnung (LBO) von 2019 seien Kinderspielplätze nur noch bei Bedarf anzulegen. Der Landesgesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 9 Abs. 2 LBO ausdrücklich klargestellt, dass die Entscheidung, ob bzw. wann ein Bedarf bestehe, allein Sache des Grundstückseigentümers sei. Nach neuer Rechtslage sei der Bauherr lediglich zur Freihaltung von geeigneten Grundstücksflächen verpflichtet und nicht zur tatsächlichen Herstellung eines Spielplatzes.
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Zugleich beantragte die Klägerin bei der Beklagten, die Auflage von 1997 dahin abzuändern, dass ihr nur aufgegeben werde, in dem Bereich, der nach dem genehmigten Lageplan bei der Baugenehmigungserteilung für die Herstellung eines Kinderspielplatzes vorgesehen gewesen sei, eine hinreichend große Grundstücksfläche von baulichen Anlagen, Bepflanzung (außer Rasen) oder sonstiger Nutzung freizuhalten, die bei Bedarf mit festen oder mobilen Spielgeräten für Kleinkinder belegt werden könne.
12 
Mit Schreiben vom 02.06.2020 teilte die Beklagte mit, dass sie sich der Rechtsauffassung der Klägerin nicht anschließen könne. Der Bedarf für einen Kinderspielplatz sei objektiv zu bestimmen und ein solcher sei auch gegeben. Daher könne dem Widerspruch nicht abgeholfen und die Vollstreckung nicht ausgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund sehe sie auch kein rechtliches Interesse, über den Antrag, die Spielplatzauflage von 1997 an die heutige Rechtslage anzupassen, zu entscheiden.
13 
Am 10.06.2020 beantragte die Klägerin einstweiligen Rechtsschutz.
14 
Am 01.09.2020 reichte sie bei der Beklagten ein Nachtragsbaugesuch ein und kennzeichnete im Lageplan eine 43,4 m2 große Fläche, die sie für einen Kinderspielplatz bzw. für eine Belegung mit Spielgeräten für Kleinkinder freihalten wolle.
15 
Mit Beschluss vom 02.10.2020 (4 K 1969/20) gab die Kammer dem Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohung statt und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, es spreche Einiges dafür, dass sich die Rechtslage hinsichtlich der Pflicht zur Anlage von Kinderspielplätzen durch die LBO-Novelle 2019 maßgeblich verändert habe und die Vollstreckung der Spielplatzauflage daher womöglich unzulässig geworden sei.
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Am 30.11.2020 legte die Beklagte den Widerspruch dem Regierungspräsidium Freiburg vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2021 wies dieses den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass die Freihaltepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO n.F. zur Herstellungspflicht nach Satz 1 subsidiär sei. Die Erfüllung der Kinderspielplatzpflicht allein durch die Freihaltung einer Fläche setze voraus, dass (zumindest vorübergehend) kein tatsächlicher Bedarf für einen Kinderspielplatz bestehe. Aus der Begründung zur Gesetzesänderung, wonach das Bauen von Wohnungen verbilligt werde, „da künftig Spielgeräte nur noch bei Bedarf aufgestellt werden müssten“ (LT-Drs. 16/6293, S. 11), folge, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit nach § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO n.F. nur bei fehlendem Kinderspielplatzbedarf habe eröffnen wollen. Könnte der Bauherr seine Kinderspielplatzpflicht stets nach eigenem Belieben auf die Pflicht zur Freihaltung einer Grundstücksfläche beschränken, hätte die Herstellungspflicht nach Satz 1 faktisch keinen Anwendungsbereich mehr. Der Gesetzgeber hätte dann allein eine Freihaltepflicht formuliert. Die Formulierung in Satz 3, dass die freizuhaltende Grundstücksfläche „bei Bedarf mit festen oder mobilen Spielgeräten für Kleinkinder belegt werden kann“, stelle die Ausstattung der Freifläche nicht in das Belieben des Bauherrn bzw. Gebäudebesitzers, sondern definiere die Eignung der Freifläche für das Aufstellen gegebenenfalls notwendiger Spielgeräte. Soweit es in der Gesetzesbegründung heiße, dass der Gebäudeeigentümer entscheiden könne, wann ein Bedarf vorliege (LT-Drs. 16/6293, S. 34), folge daraus nicht, dass die Freihalteverpflichtung nach Satz 3 eine echte Alternative zur Herstellungsverpflichtung nach Satz 1 sei. Die Gesetzesbegründung weise lediglich darauf hin, dass der Bauherr bei der Bauantragstellung oder später den Kinderspielplatzbedarf verneinen und dann die Freihalteverpflichtung nach Satz 3 erfüllen könne. Allenfalls insoweit sei die Vorschrift tatsächlich zunächst als alternativ anzusehen. Sobald sich jedoch ein tatsächlicher Bedarf ergebe, lebe die Herstellungspflicht nach Satz 1 wieder auf, so dass in diesem Bedarfsfall die Baurechtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Erfüllung der Herstellungspflicht durch die Ausstattung der Freifläche im Sinne von Satz 2 einfordern könne.
17 
Die Klägerin hat am 02.03.2021 Klage erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr Vorbringen: Die Zwangsgeldandrohung sei rechtswidrig, da ein Vollstreckungshindernis nach § 11 LVwVG vorliege. Der Erreichung des Vollstreckungszwecks im Sinne des § 11 LVwVG stehe es gleich, wenn der Zweck der Grundverfügung weggefallen sei. Dies sei der Fall, wenn das öffentliche Interesse an der Handlung, Duldung oder Unterlassung wegen veränderter tatsächlicher Umstände oder einer geänderten Rechtslage nicht mehr bestehe. Vor diesem Hintergrund habe das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen bereits 1965 entschieden, dass eine Zwangsgeldandrohung nicht mehr zulässig sei, wenn die Rechtsgrundlage für eine zu vollstreckende Auflage nachträglich wegfalle. So liege der Fall hier. Die Rechtslage habe sich hinsichtlich der gesetzlichen Spielplatzpflicht durch die LBO-Novelle 2019 grundlegend verändert. Die Spielplatzanlagepflicht sei durch § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO n.F. auf eine Flächenfreihaltepflicht beschränkt worden. Die zuständige Baurechtsbehörde könne daher nach aktueller Rechtslage weder verlangen, dass bei der Errichtung von Wohnungen ein Kinderspielplatz herzustellen sei, noch könne sie wegen eines angeblichen Bedarfs ablehnen, dass der Verpflichtung durch die Freihaltung einer geeigneten Grundstücksfläche entsprochen werde. Die Entscheidung, auf welche Weise das Bauvorhaben der gesetzlichen Spielplatzpflicht genüge, treffe allein der Bauherr. Anders sei dies nur für den Fall einer Ablöse der Spielplatzpflicht durch die Zahlung eines Geldbetrags in § 9 Abs. 3 LBO geregelt; hier komme der Baurechtsbehörde nach dem Wortlaut der Vorschrift („kann mit Zustimmung der Gemeinde zulassen, dass…“) Ermessen zu. Diese Gesetzessystematik und der Wortlaut von § 9 Abs. 2 LBO ließen keinen Spielraum für eine abweichende Auslegung. Gegenteiliges folge entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Freihaltepflicht gewährleiste, dass jederzeit geeignete Flächen zum Aufstellen und zur Nutzung von Spielgeräten zur Verfügung stünden. Damit sei die starre Spielplatzherstellungspflicht im Interesse einer bedarfsorientierten Regelung flexibilisiert worden. Anders als bisher sei es nach dem Gesetzeswortlaut möglich, auf der freizuhaltenden Fläche ausschließlich mobile Spielgeräte vorzuhalten. Im Einklang mit der Vorschrift stünden daher beispielsweise tragbare Fußballtore, ein Federballnetz, eine Slackline usw. Durch diese Flexibilisierung der Spielplatzpflicht werde auch den Bedürfnissen von Kindern besser Rechnung getragen als mit einer starren gesetzlichen Regelung, zumal Bauträger aus Kostengründen erfahrungsgemäß oftmals keine bedarfsgerechte Planung von Kinderspielplätzen vornähmen. Bei der Nutzung von mobilen Spielgeräten könne die jeweilige Ausstattung besser und kostengünstiger an die tatsächlichen Bedürfnisse der Bewohner angepasst werden. Bei diesem Verständnis des § 9 Abs. 2 LBO sei dessen Satz 1 entgegen der Annahme der Widerspruchsbehörde auch keineswegs inhaltsleer. Zum einen definiere er den Anwendungsbereich der Regelung („bei der Errichtung mit Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen, die jeweils mindestens zwei Aufenthaltsräume haben“). Zum anderen stelle der Umstand, dass möglicherweise eine große Zahl an Bauherren von der neuen Flexibilisierung der gesetzlichen Spielplatzpflicht Gebrauch machen werde, weder die Zweckmäßigkeit der Regelung noch die Absichten des Gesetzgebers infrage. Die Auffassung der Widerspruchsbehörde, dass je nach Vorhandensein oder Wegfalls eines Spielplatzbedarfs eine Herstellungspflicht wiederauflebe bzw. entfalle, hätte zur Folge, dass regelmäßig Anträge zur Änderung der Baugenehmigung gestellt werden müssten. Der Gesetzgeber habe das Bauen aber erleichtern und nicht massenhaft zusätzliche Verfahren auf Änderungen von Baugenehmigungen verursachen wollen.
18 
Die Klägerin beantragt,
19 
den Bescheid der Beklagten vom 17.04.2020 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 16.02.2021 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
21 
die Klage abzuweisen.
22 
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor: Bereits die Gesetzessystematik spreche zwingend für eine Subsidiarität der Freihaltepflicht gegenüber der Anlagepflicht. Denn wenn es stets genügen würde, eine ausreichend große Fläche freizuhalten, gebe es keinerlei Anwendungsbereich mehr für § 9 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 LBO, die nicht nur die Verpflichtung zur Spielplatzanlage vorsähen, sondern auch weitere Regelungen zur Art und Ausstattung des Spielplatzes träfen. Wäre die Freihaltepflicht nicht subsidiär, dann wäre kein Fall denkbar, in dem die Baurechtsbehörde rechtmäßig die Herstellung eines Kinderspielplatzes mit ordnungsgemäßer Ausstattung verfügen könnte, obwohl Satz 1 und 2 dies vorsähen. Wenn der Gesetzgeber dies gewollt hätte, hätte er allein eine Freihaltepflicht formuliert. Die Beibehaltung der Verpflichtung zur Anlage eines Kinderspielplatzes und die Anforderungen an diesen Spielplatz in Satz 1 und 2 zeigten hingegen, dass der Gesetzgeber diesen Bestimmungen weiterhin einen eigenständigen Anwendungsbereich habe zubilligen wollen, was jedoch nur dann der Fall sei, wenn der Anlagepflicht Anwendungsvorrang vor der Freihaltepflicht im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zukomme. In der Gesetzesbegründung sei auch nur die Rede davon, dass „die Pflicht zur Herstellung von Kinderspielplätzen im Wohnungsbau vereinfacht“ werde (LT-Drs. 16/6293, S. 21), nicht aber, dass sie aufgehoben werde. Zudem solle sich nach der Vorstellung des Gesetzgebers durch die Vereinfachung der Kinderspielplatzpflicht die Situation von Familien mit Kindern nicht nachteilig verändern, auch wenn künftig Spielgeräte nur noch bei Bedarf aufgestellt werden müssten (LT-Drs. 16/6293, S. 11). Folglich solle die Anlagepflicht (nur) dann entfallen, wenn kein Bedarf für einen Kinderspielplatz bestehe. Die Freihaltepflicht komme demnach als subsidiäre Möglichkeit nur dann zum Tragen, wenn bereits im Baugenehmigungsverfahren ersichtlich sei, dass zunächst kein Bedarf für einen Kinderspielplatz bestehe, da alle Bewohner des Grundstücks nicht mehr im Alter für die Benutzung eines solchen Spielplatzes seien. Gebe es unter den Bewohnern aber Kinder im entsprechenden Alter oder sei dies noch nicht abschließend zu beurteilen, so finde die Spielplatzanlagepflicht als Regelmaßnahme Anwendung. Da auf dem Grundstück der Klägerin derzeit ein objektiver Bedarf an einem Kinderspielplatz bestehe, sei die verfügte Anlageverpflichtung weiterhin aktuell. Die Auflage Ziff. 1.6.00 könnte somit auch in dieser Form noch heute erlassen werden. Mithin habe die Klägerin auch keinen Anspruch auf eine Abänderung der Baugenehmigung von 1997.
23 
Der Kammer liegen ein Heft Bauakten der Beklagten und die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Freiburg vor. Auf diese und die Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24 
Die Klage hat Erfolg.
25 
I. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft (vgl. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) und auch sonst zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein Vorverfahren erfolglos durchlaufen (vgl. § 68 Abs. 1 VwGO) und fristgerecht (vgl. § 74 Abs. 1 VwGO) Klage erhoben.
26 
II. Die Klage ist auch begründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 17.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums vom 16.02.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
27 
Es liegen zwar unstreitig die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vor (vgl. § 2 Nr. 1, §§ 18, 20, 23 LVwVG). Insbesondere ist die als Auflage (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG) zu qualifizierende Nebenbestimmung in Ziff. 1.6.00 der Baugenehmigung von 1997 bestandskräftig geworden, so dass der Zwangsgeldandrohung im angefochtenen Bescheid der Beklagten eine vollstreckbare Handlungsverpflichtung zugrunde liegt. Die Klägerin handelt dieser Verpflichtung auch zuwider, da sie einen Kinderspielplatz auf dem Grundstück FlSt.-Nr. x bis heute nicht angelegt hat. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten weiterhin, dass in den Mehrfamilienhäusern auf dem betroffenen Grundstück auch Kleinkinder im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 LBO, d.h. Kinder bis sechs Jahre (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 LBOAVO; Balensiefen, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK Bauordnungsrecht BW, Stand: 01.09.2020, § 9 LBO Rn. 16 m.w.N.), wohnen, dort mithin ein tatsächlicher Bedarf an einem Spielplatz für Kleinkinder besteht.
28 
Die Vollstreckung der Spielplatzauflage von 1997 ist allerdings unzulässig (geworden), da sich die Rechtslage hinsichtlich der Pflicht zur Herstellung von Kinderspielplätzen durch die am 01.08.2019 in Kraft getretene Neufassung des § 9 Abs. 2 LBO maßgeblich verändert hat und sich die Auflage daher nunmehr als rechtswidrig darstellt.
29 
§ 9 Abs. 2 Satz 1 LBO n.F. sieht zwar vor, dass bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen (statt nach alter Fassung zwei Wohnungen) auf dem Baugrundstück oder in unmittelbarer Nähe auf einem anderen geeigneten Grundstück ein ausreichend großer Spielplatz für Kleinkinder anzulegen ist. Neu eingefügt wurde mit der LBO-Novelle 2019 aber die Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO n.F., wonach es auch genügt, eine öffentlich-rechtlich gesicherte, ausreichend große Grundstücksfläche von baulichen Anlagen, Bepflanzung und sonstiger Nutzung freizuhalten, die bei Bedarf mit festen oder mobilen Spielgeräten für Kleinkinder belegt werden kann.
30 
Die Kammer geht mit der Klägerin davon aus, dass die Baurechtsbehörde die Anlage eines Spielplatzes für Kleinkinder nach neuer Rechtslage nicht mehr verlangen kann, sondern alternativ die Freihaltung einer ausreichend großen Grundstücksfläche genügt, die im Bedarfsfall mit Spielgeräten belegt werden kann. Denn der novellierte § 9 Abs. 2 LBO gibt dem Bauherrn ein Wahlrecht zwischen der Anlage eines Spielplatzes und der Freihaltung einer geeigneten Grundstücksfläche. Dies gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein tatsächlicher Bedarf an einem Kinderspielplatz besteht (so im Ergebnis wohl auch Balensiefen, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK Bauordnungsrecht BW, Stand: 01.09.2020, § 9 LBO Rn. 26, der ausführt, dass die Spielplatzanlagenpflicht durch den neu eingeführten § 9 Abs. 2 Satz 3 materiell auf eine Flächenvorhaltepflicht „reduziert“ werde, und Schlotterbeck, LBO BW, 8. Aufl. 2020, § 9 Rn. 26, der von einer sog. „Bedarfslösung“ spricht; a.A. jedoch Sauter, LBO BW, 3. Aufl., 55. Lfg., Stand: Sept. 2019, § 9 Rn. 35 und 50, der die Freihaltepflicht bei einem tatsächlich bestehenden Bedarf gegenüber der Anlagepflicht für nachrangig hält).
31 
Für dieses Verständnis des novellierten § 9 Abs. 2 LBO spricht insbesondere der Wortlaut, der die Grenze jeder Auslegung bildet und auf den es daher maßgeblich ankommt. Denn die Formulierung „Es genügt auch“ in Satz 3 der Vorschrift ist ein klarer Hinweis darauf, dass es sich bei der neu eingeführten Flächenfreihaltepflicht um eine echte Alternative zur Spielplatzanlagepflicht nach Satz 1 handeln soll.
32 
Soweit die Beklagte auf die Formulierung „bei Bedarf“ in Satz 3 verweist und sinngemäß vorträgt, damit werde die Nachrangigkeit der Freihaltepflicht gegenüber der Anlagepflicht zum Ausdruck gebracht, folgt die Kammer dem nicht. Denn hätte der Gesetzgeber die Freihaltepflicht tatsächlich auf die Fälle beschränken wollen, in denen (zunächst) kein Bedarf an einem Kinderspielplatz besteht, hätte er dies – worauf die Klägerin zutreffend hinweist – ohne Weiteres durch eine entsprechende Formulierung im Gesetzeswortlaut klar zum Ausdruck bringen können wie etwa: „Wenn kein Bedarf an einem Spielplatz für Kleinkinder besteht, genügt es auch, eine öffentlich-rechtlich gesicherte, ausreichend große Grundstücksfläche (…) freizuhalten.“ Dass, wie die Beklagte meint, ein (vorübergehend) fehlender Spielplatzbedarf ein Tatbestandsmerkmal der Freihaltepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO sei, findet in der aktuellen Fassung der Bestimmung demnach keine ausreichende Stütze (a.A. offenbar Sauter, LBO BW, a.a.O.).
33 
Eine Nachrangigkeit der Freihaltepflicht gegenüber der Anlagepflicht lässt sich im Übrigen auch der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2 LBO n.F. (LT-Drs. 16/6293) nicht entnehmen. Denn diese trifft zum Verhältnis von Satz 1 und Satz 3 keine eindeutige Aussage. Der mit der Gesetzesänderung verfolgte Zweck (Bauen verbilligen) und der Umstand, dass die bisherige Kinderspielplatzpflicht durch die Neuregelung „vereinfacht“ und „modifiziert“ werden sollte (vgl. LT-Drs. 16/6293, S. 1 und 11) spricht vielmehr gegen eine Nachrangigkeit der Freihaltepflicht gegenüber der Anlagepflicht oder legt ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis jedenfalls nicht nahe. Zu berücksichtigen gilt es zudem, dass sich der Gesetzgeber trotz der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken einiger Fachverbände gegen die Bestimmtheit der Formulierung „bei Bedarf“ in Satz 3 dafür entschieden hat, diese beizubehalten und es in diesem Zusammenhang in der Gesetzesbegründung ausdrücklich heißt, dass es „zur Erfüllung der Pflicht“ genügen soll, eine ausreichend große Grundstücksfläche freizuhalten, die im Bedarfsfall mit Spielgeräten ausgestattet werden könne, und der Gebäudeeigentümer dann entscheiden solle, wann ein Bedarf vorliege (vgl. LT-Drs. 16/6293, S. 33 f.).
34 
Eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO n.F. („es genügt auch“) bzw. eine Korrektur der Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion wäre nur möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führte, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (vgl. BFH, Urt. v. 17.06. 2010 - VI R 50/09 -, juris Rn. 16; OVG NRW, Urt. v. 21.09.2015 - 20 A 2219/14 -, juris Rn. 95; BVerwG, Urt. v. 28.02.2019 - 5 C 1.18 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Entgegen der von der Beklagten und der Widerspruchsbehörde im Anschluss an die Kommentierung von Sauter vertretenen Auffassung lässt sich jedoch nicht feststellen, dass das vorstehend dargelegte Auslegungsergebnis (Freihaltepflicht als echte Alternative zur Anlagepflicht) nicht vom Willen des Gesetzgebers gedeckt wäre.
35 
Zwar steht zu erwarten, dass sich die Mehrzahl der betroffenen Grundstückseigentümer bzw. Bauherrn bei einem Wahlrecht zwischen der Anlage eines Kinderspielplatzes und der Freihaltung einer geeigneten Grundstücksfläche aus Kostengründen für Letzteres entscheiden wird. Dies zwingt aber nicht zu dem Schluss, dass Anlage- und Freihaltepflicht in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis stehen (müssen). Denn im Hinblick auf den mit der Gesetzesänderung verfolgten Zweck (Kinderspielplatzpflicht vereinfachen und dadurch das Bauen verbilligen) liegt eher nahe, dass der Gesetzgeber diese (mögliche) Folge bewusst in Kauf genommen hat. Denn der Umstand, dass bei diesem Normverständnis die Anlagepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 1 LBO in der Praxis voraussichtlich weniger häufig zum Tragen kommt, macht die Regelung keineswegs sinnlos. Zum einen bleibt die Anlagepflicht als Alternative bestehen. Zum anderen kann es aus Sicht des Gesetzgebers durchaus berechtigt sein, die Freihaltung einer ausreichend großen Spielfläche, die je nach Alter der auf dem Grundstück wohnenden Kleinkinder bedarfsgerecht mit festen oder mobilen Spielgeräten belegt werden kann, als gleichwertige Alternative zu einem angelegten Spielplatz anzusehen. Schließlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass Spielplätze ohne ständige Pflege rasch unattraktiv werden und dann auch nicht mehr zu einer Verbesserung der Situation von Kindern und ihren Wohnbedingungen beitragen (vgl. LT-Drs. 16/6293, S. 11). Zudem dürfte der wesentliche Zweck der bauordnungsrechtlichen Spielplatzpflicht darin liegen, für die Kinder, bei denen dies nach der Art der Wohnverhältnisse nicht sichergestellt ist, Aufenthalt und Spiel im Freien auf einer geeigneten Fläche zu ermöglichen (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 04.12.1979 - I BA 95/78 -, juris Rn. 25 zu § 10 Abs. 2 BremLBO; zustimmend Büchner/Schlotterbeck, Baurecht, Band 2, 4. Aufl., Rn. 427).
36 
Darauf, ob sich die Rechtslage hinsichtlich der Anlagepflicht von Kinderspielplätzen durch die LBO-Novelle 2019 verändert hat, kommt es vorliegend auch an. Zwar hängt die Rechtmäßigkeit einer Zwangsgeldandrohung, um die es hier allein geht, grundsätzlich nicht von der Rechtmäßigkeit der Grundverfügung ab. Denn ist die Grundverfügung – wie hier – bestandskräftig geworden, kann ein Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung in der Regel nur verhindern, wenn es ihm gelingt, den zu vollstreckenden Verwaltungsakt im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens (§ 51 LVwVfG) aus der Welt zu schaffen. Als Ausnahme von diesem Grundsatz können Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung, die auf einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage beruhen, welche dazu führt, dass sich der zu vollstreckende Verwaltungsakt nun als rechtswidrig erweist, nach verbreiteter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer anschließt, analog § 767 Abs. 2 ZPO aber auch im Anfechtungsprozess gegen eine Vollstreckungsmaßnahme geltend gemacht werden (so zuletzt VG Berlin, Beschl. v. 04.07.2018 - 19 L 73.18 -, juris Ls. 3, Rn. 8 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 08.05.1958 - I C 181.57 -, juris Rn. 7 f. und Urt. v. 19.01.1977 - IV C 31.75 -, juris Ls.; vgl. auch OVG NRW, Urt. v. 18.03.1965 - 65 VII A 753/64 -, NJW 1965, 1499; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.1980 - III 1333/79 -, juris Rn. 14 und Beschl. v. 12.03.1996 - 1 S 2856/95 -, juris Rn. 17; VG München, Urt. v. 05.06.2008 - M 11 K 08.665 -, juris Rn. 31; Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2020, § 13 Rn. 6 und § 15 Rn. 73; Troidl, in: Engelhardt/App/Schlatmann, 11. Aufl. 2017, § 15 VwVG Rn. 9; offenlassend OVG Berlin-Brbg., Beschl. v. 16.05.2012 - OVG 2 S 4.12 -, juris Rn. 3; a.A. Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 38. EL Januar 2020, § 167 Rn. 62, Fn. 155 und OVG NRW, Beschl. v. 20.01.2012 - 4 B 1425711 -, juris Rn. 2 ff. mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 16.12.2004 - 1 C 30.03 -, juris Ls. 2, Rn. 15). Im Übrigen hat die Klägerin bereits am 11.05.2020 eine Abänderung der Spielplatzauflage in eine bloße Freihalteverpflichtung beantragt und damit in der Sache einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG gestellt, dem die Beklagte entgegengetreten ist. Dies verdeutlicht, dass es hier weder sachgerecht noch prozessökonomisch wäre, die Klägerin auf das Wiederaufnahmeverfahren zu verweisen und ihre – wie gezeigt – durchgreifenden Einwendungen gegen die Rechtsmäßigkeit der zu vollstreckenden Kinderspielplatzauflage im hiesigen Vollstreckungsprozess unberücksichtigt zu lassen.
37 
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
38 
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Klägerin, die einen entsprechenden Antrag gestellt hat, war notwendig im Sinne von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, da es ihr nach ihren persönlichen Verhältnissen und der Schwierigkeit des Falles nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. Bader, in: ders./Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 162 Rn. 19 m.w.N.).
39 
Die Berufung war zuzulassen. Denn die streitentscheidende Frage, ob die Spielplatzanlagepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 1 LBO bei einem tatsächlich bestehenden Bedarf gegenüber der Flächenfreihaltepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO vorrangig ist oder insoweit ein Wahlrecht des Grundstückeigentümers bzw. Bauherrn besteht, hat grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
40 
Beschluss vom 02.03.2022
41 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.7.1 Satz 1 und 3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 endgültig auf
42 
2.500,- EUR
43 
festgesetzt.

Gründe

24 
Die Klage hat Erfolg.
25 
I. Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft (vgl. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) und auch sonst zulässig. Insbesondere hat die Klägerin ein Vorverfahren erfolglos durchlaufen (vgl. § 68 Abs. 1 VwGO) und fristgerecht (vgl. § 74 Abs. 1 VwGO) Klage erhoben.
26 
II. Die Klage ist auch begründet. Denn der Bescheid der Beklagten vom 17.04.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums vom 16.02.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
27 
Es liegen zwar unstreitig die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vor (vgl. § 2 Nr. 1, §§ 18, 20, 23 LVwVG). Insbesondere ist die als Auflage (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 4 LVwVfG) zu qualifizierende Nebenbestimmung in Ziff. 1.6.00 der Baugenehmigung von 1997 bestandskräftig geworden, so dass der Zwangsgeldandrohung im angefochtenen Bescheid der Beklagten eine vollstreckbare Handlungsverpflichtung zugrunde liegt. Die Klägerin handelt dieser Verpflichtung auch zuwider, da sie einen Kinderspielplatz auf dem Grundstück FlSt.-Nr. x bis heute nicht angelegt hat. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten weiterhin, dass in den Mehrfamilienhäusern auf dem betroffenen Grundstück auch Kleinkinder im Sinne von § 9 Abs. 2 Satz 1 LBO, d.h. Kinder bis sechs Jahre (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 LBOAVO; Balensiefen, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK Bauordnungsrecht BW, Stand: 01.09.2020, § 9 LBO Rn. 16 m.w.N.), wohnen, dort mithin ein tatsächlicher Bedarf an einem Spielplatz für Kleinkinder besteht.
28 
Die Vollstreckung der Spielplatzauflage von 1997 ist allerdings unzulässig (geworden), da sich die Rechtslage hinsichtlich der Pflicht zur Herstellung von Kinderspielplätzen durch die am 01.08.2019 in Kraft getretene Neufassung des § 9 Abs. 2 LBO maßgeblich verändert hat und sich die Auflage daher nunmehr als rechtswidrig darstellt.
29 
§ 9 Abs. 2 Satz 1 LBO n.F. sieht zwar vor, dass bei der Errichtung von Gebäuden mit mehr als drei Wohnungen (statt nach alter Fassung zwei Wohnungen) auf dem Baugrundstück oder in unmittelbarer Nähe auf einem anderen geeigneten Grundstück ein ausreichend großer Spielplatz für Kleinkinder anzulegen ist. Neu eingefügt wurde mit der LBO-Novelle 2019 aber die Regelung in § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO n.F., wonach es auch genügt, eine öffentlich-rechtlich gesicherte, ausreichend große Grundstücksfläche von baulichen Anlagen, Bepflanzung und sonstiger Nutzung freizuhalten, die bei Bedarf mit festen oder mobilen Spielgeräten für Kleinkinder belegt werden kann.
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Die Kammer geht mit der Klägerin davon aus, dass die Baurechtsbehörde die Anlage eines Spielplatzes für Kleinkinder nach neuer Rechtslage nicht mehr verlangen kann, sondern alternativ die Freihaltung einer ausreichend großen Grundstücksfläche genügt, die im Bedarfsfall mit Spielgeräten belegt werden kann. Denn der novellierte § 9 Abs. 2 LBO gibt dem Bauherrn ein Wahlrecht zwischen der Anlage eines Spielplatzes und der Freihaltung einer geeigneten Grundstücksfläche. Dies gilt auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein tatsächlicher Bedarf an einem Kinderspielplatz besteht (so im Ergebnis wohl auch Balensiefen, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK Bauordnungsrecht BW, Stand: 01.09.2020, § 9 LBO Rn. 26, der ausführt, dass die Spielplatzanlagenpflicht durch den neu eingeführten § 9 Abs. 2 Satz 3 materiell auf eine Flächenvorhaltepflicht „reduziert“ werde, und Schlotterbeck, LBO BW, 8. Aufl. 2020, § 9 Rn. 26, der von einer sog. „Bedarfslösung“ spricht; a.A. jedoch Sauter, LBO BW, 3. Aufl., 55. Lfg., Stand: Sept. 2019, § 9 Rn. 35 und 50, der die Freihaltepflicht bei einem tatsächlich bestehenden Bedarf gegenüber der Anlagepflicht für nachrangig hält).
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Für dieses Verständnis des novellierten § 9 Abs. 2 LBO spricht insbesondere der Wortlaut, der die Grenze jeder Auslegung bildet und auf den es daher maßgeblich ankommt. Denn die Formulierung „Es genügt auch“ in Satz 3 der Vorschrift ist ein klarer Hinweis darauf, dass es sich bei der neu eingeführten Flächenfreihaltepflicht um eine echte Alternative zur Spielplatzanlagepflicht nach Satz 1 handeln soll.
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Soweit die Beklagte auf die Formulierung „bei Bedarf“ in Satz 3 verweist und sinngemäß vorträgt, damit werde die Nachrangigkeit der Freihaltepflicht gegenüber der Anlagepflicht zum Ausdruck gebracht, folgt die Kammer dem nicht. Denn hätte der Gesetzgeber die Freihaltepflicht tatsächlich auf die Fälle beschränken wollen, in denen (zunächst) kein Bedarf an einem Kinderspielplatz besteht, hätte er dies – worauf die Klägerin zutreffend hinweist – ohne Weiteres durch eine entsprechende Formulierung im Gesetzeswortlaut klar zum Ausdruck bringen können wie etwa: „Wenn kein Bedarf an einem Spielplatz für Kleinkinder besteht, genügt es auch, eine öffentlich-rechtlich gesicherte, ausreichend große Grundstücksfläche (…) freizuhalten.“ Dass, wie die Beklagte meint, ein (vorübergehend) fehlender Spielplatzbedarf ein Tatbestandsmerkmal der Freihaltepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO sei, findet in der aktuellen Fassung der Bestimmung demnach keine ausreichende Stütze (a.A. offenbar Sauter, LBO BW, a.a.O.).
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Eine Nachrangigkeit der Freihaltepflicht gegenüber der Anlagepflicht lässt sich im Übrigen auch der Gesetzesbegründung zu § 9 Abs. 2 LBO n.F. (LT-Drs. 16/6293) nicht entnehmen. Denn diese trifft zum Verhältnis von Satz 1 und Satz 3 keine eindeutige Aussage. Der mit der Gesetzesänderung verfolgte Zweck (Bauen verbilligen) und der Umstand, dass die bisherige Kinderspielplatzpflicht durch die Neuregelung „vereinfacht“ und „modifiziert“ werden sollte (vgl. LT-Drs. 16/6293, S. 1 und 11) spricht vielmehr gegen eine Nachrangigkeit der Freihaltepflicht gegenüber der Anlagepflicht oder legt ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis jedenfalls nicht nahe. Zu berücksichtigen gilt es zudem, dass sich der Gesetzgeber trotz der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Bedenken einiger Fachverbände gegen die Bestimmtheit der Formulierung „bei Bedarf“ in Satz 3 dafür entschieden hat, diese beizubehalten und es in diesem Zusammenhang in der Gesetzesbegründung ausdrücklich heißt, dass es „zur Erfüllung der Pflicht“ genügen soll, eine ausreichend große Grundstücksfläche freizuhalten, die im Bedarfsfall mit Spielgeräten ausgestattet werden könne, und der Gebäudeeigentümer dann entscheiden solle, wann ein Bedarf vorliege (vgl. LT-Drs. 16/6293, S. 33 f.).
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Eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO n.F. („es genügt auch“) bzw. eine Korrektur der Vorschrift im Wege der teleologischen Reduktion wäre nur möglich, wenn die wortgetreue Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führte, das vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt sein kann (vgl. BFH, Urt. v. 17.06. 2010 - VI R 50/09 -, juris Rn. 16; OVG NRW, Urt. v. 21.09.2015 - 20 A 2219/14 -, juris Rn. 95; BVerwG, Urt. v. 28.02.2019 - 5 C 1.18 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Entgegen der von der Beklagten und der Widerspruchsbehörde im Anschluss an die Kommentierung von Sauter vertretenen Auffassung lässt sich jedoch nicht feststellen, dass das vorstehend dargelegte Auslegungsergebnis (Freihaltepflicht als echte Alternative zur Anlagepflicht) nicht vom Willen des Gesetzgebers gedeckt wäre.
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Zwar steht zu erwarten, dass sich die Mehrzahl der betroffenen Grundstückseigentümer bzw. Bauherrn bei einem Wahlrecht zwischen der Anlage eines Kinderspielplatzes und der Freihaltung einer geeigneten Grundstücksfläche aus Kostengründen für Letzteres entscheiden wird. Dies zwingt aber nicht zu dem Schluss, dass Anlage- und Freihaltepflicht in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis stehen (müssen). Denn im Hinblick auf den mit der Gesetzesänderung verfolgten Zweck (Kinderspielplatzpflicht vereinfachen und dadurch das Bauen verbilligen) liegt eher nahe, dass der Gesetzgeber diese (mögliche) Folge bewusst in Kauf genommen hat. Denn der Umstand, dass bei diesem Normverständnis die Anlagepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 1 LBO in der Praxis voraussichtlich weniger häufig zum Tragen kommt, macht die Regelung keineswegs sinnlos. Zum einen bleibt die Anlagepflicht als Alternative bestehen. Zum anderen kann es aus Sicht des Gesetzgebers durchaus berechtigt sein, die Freihaltung einer ausreichend großen Spielfläche, die je nach Alter der auf dem Grundstück wohnenden Kleinkinder bedarfsgerecht mit festen oder mobilen Spielgeräten belegt werden kann, als gleichwertige Alternative zu einem angelegten Spielplatz anzusehen. Schließlich ist nicht von der Hand zu weisen, dass Spielplätze ohne ständige Pflege rasch unattraktiv werden und dann auch nicht mehr zu einer Verbesserung der Situation von Kindern und ihren Wohnbedingungen beitragen (vgl. LT-Drs. 16/6293, S. 11). Zudem dürfte der wesentliche Zweck der bauordnungsrechtlichen Spielplatzpflicht darin liegen, für die Kinder, bei denen dies nach der Art der Wohnverhältnisse nicht sichergestellt ist, Aufenthalt und Spiel im Freien auf einer geeigneten Fläche zu ermöglichen (vgl. OVG Bremen, Urt. v. 04.12.1979 - I BA 95/78 -, juris Rn. 25 zu § 10 Abs. 2 BremLBO; zustimmend Büchner/Schlotterbeck, Baurecht, Band 2, 4. Aufl., Rn. 427).
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Darauf, ob sich die Rechtslage hinsichtlich der Anlagepflicht von Kinderspielplätzen durch die LBO-Novelle 2019 verändert hat, kommt es vorliegend auch an. Zwar hängt die Rechtmäßigkeit einer Zwangsgeldandrohung, um die es hier allein geht, grundsätzlich nicht von der Rechtmäßigkeit der Grundverfügung ab. Denn ist die Grundverfügung – wie hier – bestandskräftig geworden, kann ein Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung in der Regel nur verhindern, wenn es ihm gelingt, den zu vollstreckenden Verwaltungsakt im Wege des Wiederaufgreifens des Verfahrens (§ 51 LVwVfG) aus der Welt zu schaffen. Als Ausnahme von diesem Grundsatz können Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung, die auf einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage beruhen, welche dazu führt, dass sich der zu vollstreckende Verwaltungsakt nun als rechtswidrig erweist, nach verbreiteter Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer anschließt, analog § 767 Abs. 2 ZPO aber auch im Anfechtungsprozess gegen eine Vollstreckungsmaßnahme geltend gemacht werden (so zuletzt VG Berlin, Beschl. v. 04.07.2018 - 19 L 73.18 -, juris Ls. 3, Rn. 8 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 08.05.1958 - I C 181.57 -, juris Rn. 7 f. und Urt. v. 19.01.1977 - IV C 31.75 -, juris Ls.; vgl. auch OVG NRW, Urt. v. 18.03.1965 - 65 VII A 753/64 -, NJW 1965, 1499; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20.02.1980 - III 1333/79 -, juris Rn. 14 und Beschl. v. 12.03.1996 - 1 S 2856/95 -, juris Rn. 17; VG München, Urt. v. 05.06.2008 - M 11 K 08.665 -, juris Rn. 31; Sadler/Tillmanns, VwVG/VwZG, 10. Aufl. 2020, § 13 Rn. 6 und § 15 Rn. 73; Troidl, in: Engelhardt/App/Schlatmann, 11. Aufl. 2017, § 15 VwVG Rn. 9; offenlassend OVG Berlin-Brbg., Beschl. v. 16.05.2012 - OVG 2 S 4.12 -, juris Rn. 3; a.A. Pietzner/Möller, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 38. EL Januar 2020, § 167 Rn. 62, Fn. 155 und OVG NRW, Beschl. v. 20.01.2012 - 4 B 1425711 -, juris Rn. 2 ff. mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 16.12.2004 - 1 C 30.03 -, juris Ls. 2, Rn. 15). Im Übrigen hat die Klägerin bereits am 11.05.2020 eine Abänderung der Spielplatzauflage in eine bloße Freihalteverpflichtung beantragt und damit in der Sache einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 LVwVfG gestellt, dem die Beklagte entgegengetreten ist. Dies verdeutlicht, dass es hier weder sachgerecht noch prozessökonomisch wäre, die Klägerin auf das Wiederaufnahmeverfahren zu verweisen und ihre – wie gezeigt – durchgreifenden Einwendungen gegen die Rechtsmäßigkeit der zu vollstreckenden Kinderspielplatzauflage im hiesigen Vollstreckungsprozess unberücksichtigt zu lassen.
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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
38 
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Klägerin, die einen entsprechenden Antrag gestellt hat, war notwendig im Sinne von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, da es ihr nach ihren persönlichen Verhältnissen und der Schwierigkeit des Falles nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (vgl. Bader, in: ders./Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl. 2021, § 162 Rn. 19 m.w.N.).
39 
Die Berufung war zuzulassen. Denn die streitentscheidende Frage, ob die Spielplatzanlagepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 1 LBO bei einem tatsächlich bestehenden Bedarf gegenüber der Flächenfreihaltepflicht nach § 9 Abs. 2 Satz 3 LBO vorrangig ist oder insoweit ein Wahlrecht des Grundstückeigentümers bzw. Bauherrn besteht, hat grundsätzliche Bedeutung (vgl. § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
40 
Beschluss vom 02.03.2022
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Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.7.1 Satz 1 und 3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 endgültig auf
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2.500,- EUR
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festgesetzt.

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