Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (4. Kammer) - 4 AE 94/17

Tenor

Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 3. Januar 2017 (4 A 93/17) gegen die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. November 2016 anzuordnen, wird abgelehnt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten trägt der Antragsteller.

Gründe

I.

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Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. §§ 75 Abs. 1, 71a Abs. 4, 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG statthafte Antrag ist unzulässig.

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Die Klage gegen den Bescheid vom 29. November 2016 und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurden am 3. Januar 2017 und damit nach Ablauf der Wochenfrist des § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG bzw. § 74 Abs. 1, 2. Hs. AsylG erhoben (dazu 1.). Es ist keine Wiedereinsetzung in die Klage- bzw. Antragsfrist zu gewähren (dazu 2.).

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1. Die Erhebung der Klage und des Antrags gem. § 80 Abs. 5 VwGO erfolgte nach Ablauf der einwöchigen Klage- bzw. Antragsfrist. Der Bescheid vom 29. November 2016 wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 119 f der Asylakte) am 7. Dezember 2016 in der Niederlegungsstelle … unter schriftlicher Mitteilung bei der Wohnunterkunft des Antragstellers niedergelegt und gilt damit gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i.V.m. § 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt. Der Bescheid wurde damit mit Ablauf des 14. Dezember 2016 bestandskräftig.

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Der Bescheid war auch mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen, welche die Klagefrist gem. § 58 VwGO in Gang setzte. Die Rechtsbehelfsbelehrung lautete (Hervorhebungen im Original):

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„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von einer Woche nach Zustellung Klage bei dem
Verwaltungsgericht Hamburg
Lübeckertordamm 4
20099 Hamburg
erhoben werden. Für die Rechtzeitigkeit ist der Tag des Eingangs beim Verwaltungsgericht maßgebend.

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Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein. Sie ist gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium des Innern, dieses vertreten durch den Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in 90343 Nürnberg, zu richten. Sie soll einen bestimmten Antrag enthalten.

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Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel sind binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung dieses Bescheids anzugeben. Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung nicht genügend entschuldigt ist (§ 87 b Abs. 3 VwGO).

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Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung hat keine aufschiebende Wirkung. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO kann innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieses Bescheides bei dem oben genannten Verwaltungsgericht gestellt werden.“

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Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist allerdings nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie (generell) geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.1978, 6 C 77/78, juris-Rn. 22ff; Beschl. v. 14.2.2000, 7 B 200/99, juris-Rn. 3, m.w.N.; Urt. v. 21.3.2002, 4 C 2/01, juris-Rn. 12; Beschl. v. 31.8.2015, 2 B 61/14, juris-Rn. 8).

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Die dem hier streitgegenständlichen Bescheid beigefügte Rechtbehelfsbelehrung war jedoch nicht in diesem Sinne geeignet, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des Rechtsbehelfs hervorzurufen. Soweit einige Gerichte dem Bestandteil der Rechtsbehelfsbelehrung, die Klage müsse „in deutscher Sprache abgefasst“ werden, den Sinngehalt zuweisen, die Klage müsse durch den Kläger in Schriftform erhoben werden, sodass es an einem Hinweis auf die Möglichkeit der Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle fehle (so VG Hannover, Beschl. v. 15.9.2016, 3 B 4870/16, juris-Rn. 12; VG Düsseldorf, GB v. 28.6.2016, 22 K 4119/15.A, juris-Rn. 48 ff.; VG Gelsenkirchen, Urt. v. 24.6.2016, 3a K 4187/15.A, juris-Rn. 17), so hat diesem das Verwaltungsgericht Berlin zutreffend wie folgt entgegengehalten (Beschl. v. 16.11.2016, 6 L 1249.16 A, juris-Rn. 15-17; s.a. VG Berlin, Beschl. v. 15.12.2016, 28 L 409.16 A, juris-Rn. 6ff; VG Gelsenkirchen, Beschl. v. 15.11.2016, 14a L 2496/16.A, juris Rn. 20; VG Oldenburg, 15 B 5090/16, Beschl. v. 20.10.2016, juris-Rn. 10ff):

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„Legte man dieses Verständnis der Rechtsbehelfsbelehrung zugrunde, wäre sie unrichtig, denn eine Beschränkung auf die schriftliche Klageerhebung stünde in Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach Klagen beim Verwaltungsgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden können. Der von dem Antragsteller geltend gemachten Lesart der Rechtsbehelfsbelehrung ist jedoch entgegenzutreten.

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Die in dem angefochtenen Bescheid verwendete Rechtsbehelfsbelehrung enthält keinen Hinweis auf die Erforderlichkeit der schriftlichen Klageerhebung und schließt die mündliche Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht aus. Es ist schon zweifelhaft, ob dem Verb „abfassen“ zwangsläufig die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zukommt. So verwenden verschiedene deutsche Gesetze Formen des Verbes „abfassen“ mit der Ergänzung „schriftlich“, die überflüssig wäre, wenn dem Abfassen die Schriftform bereits immanent wäre (vgl. „schriftlich abzufassen“ in § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 41a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung – StPO – und § 84 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes – ArbGG –, „schriftlich abgefasst“ in § 129 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – BGB – und § 311 Abs. 2 Satz 3 der Zivilprozessordnung – ZPO –). Selbst wenn die Bedeutung des Abfassens einer schriftlichen Niederlegung entspräche, ließe sich der verwendeten Rechtsbehelfsbelehrung jedenfalls nicht entnehmen, dass der Betreffende selbst für die Schriftform zu sorgen hat. Denn auch eine mündlich zur Niederschrift erhobene Klage wird von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (in deutscher Sprache) schriftlich abgefasst (vgl. VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Oktober 2016, a.a.O., Rn. 10). Daraus ergibt sich, dass der Passus zur Abfassung in deutscher Sprache nicht auf die Schriftlichkeit oder Mündlichkeit der Klageerhebung abzielt, sondern lediglich verdeutlicht, dass die Klageerhebung in deutscher Sprache zu erfolgen hat.

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Dieser Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache ist richtig. Gemäß § 55 VwGO i.V.m. § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG – ist die Gerichtssprache Deutsch. Eingaben in anderer Sprache können danach keine fristwahrende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1990 – 9 B 506.89 –, juris Rn. 2; Kissel/Mayer, GVG, 8. Auflage 2015, § 184 Rn. 5 m.w.N.; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016, a.a.O., Rn. 60). Der Hinweis auf die Notwendigkeit der Klageerhebung in deutscher Sprache wird auch nicht dadurch unrichtig, dass Eingaben in anderer Sprache ausnahmsweise dann fristwahrende Wirkung entfalteten können, wenn sie einen noch verständlichen Hinweis in deutscher Sprache enthalten, es werde ein Rechtsbehelf eingelegt (vgl. VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016, a.a.O., Rn. 62-63). Denn für die Wirksamkeit der Klageerhebung kommt es im Einklang mit der Formulierung der Rechtsbehelfsbelehrung auch in dieser Konstellation darauf an, ob einer deutschen Formulierung die Einlegung des Rechtsbehelfs zu entnehmen ist. Darüber hinaus trifft auch der Einwand nicht zu, der die Niederschrift aufnehmende Urkundsbeamte der Geschäftsstelle könne gemäß § 55 VwGO i.V.m. § 190 GVG den Dienst eines Dolmetschers wahrnehmen, sodass es einer deutschsprachigen Äußerung des Rechtsschutzsuchenden nicht bedürfe (vgl. VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016, a.a.O., Rn. 64). Ein Anspruch auf einen Dolmetscher zum Zweck der mündlichen Klageerhebung zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in einer Fremdsprache besteht nicht. Die Regelung nach § 190 GVG betrifft gerade nicht die Situation, in der der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle das mündliche Vorbringen einer der deutschen Sprache nicht mächtigen Person nicht versteht und deswegen einen Dritten als Dolmetscher hinzuzieht, sondern stellt lediglich klar, dass ein in einer mündlichen Verhandlung als Urkundsbeamter tätiger Bediensteter als Dolmetscher fungieren kann (vgl. KK-StPO-Diemer, 7. Auflage 2013, § 190 GVG Rn. 1).“

14

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an.

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2. Dem Antragsteller ist auch nicht Wiedereinsetzung in die Klage- bzw. Antragsfrist zu gewähren. Gem. § 60 Abs. 1 und 2 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen.

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Der Antragsteller hat – belegt durch eidesstattliche Versicherung – ausgeführt, dass er den Bescheid vom 29. November 2016 tatsächlich erst am 29. Dezember 2016 erhalten habe, nachdem ihm von der Antragsgegnerin am 27. Dezember 2016 die Zustellungsurkunde ausgehändigt worden sei und er sich zu der Poststelle … begeben habe. Die Anschrift auf dem Paket sei richtig gewesen. Vor Aushändigung des Pakets habe er kein Schreiben erhalten. Das Camp sei neu und es gebe Probleme mit Postzustellungen, da sich beim Camp eine Baustelle befinde.

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Dieser Vortrag ist nicht dazu geeignet, erhebliche Wiedereinsetzungsgründe im oben dargestellten Sinne glaubhaft zu machen. Aus dem Vortrag ergibt sich nicht, warum der Antragsteller ohne Verschulden verhindert war, die Klage- bzw. Antragsfrist einzuhalten. Dem Vorbringen ist nicht zu entnehmen, dass der Bescheid nicht bei der Wohnanschrift des Antragstellers durch Niederlegung zugestellt worden wäre; vielmehr ergibt sich aus dem Vortrag des Antragstellers gerade, dass der Bescheid unter der richtigen Anschrift zu übergeben versucht und sodann bei der Postannahmestelle hinterlegt wurde, wo der Antragsteller ihn, wenn auch verspätet, entgegennahm. Weiterhin sind dem Vorbringen keine Hinweise darauf zu entnehmen, dass der Antragsteller ohne sein Verschulden von der Niederlegung keine Kenntnis erhalten hatte. So ist schon nicht vorgetragen, dass der Antragsteller sich zwischen dem 7. und dem 27. Dezember 2016 überhaupt zu der Poststelle seiner Wohnunterkunft begeben hätte, wo er die Niederlegungsmitteilung hätte erhalten sollen. Auch ist der Hinweis auf eine Baustelle vor dem Camp nicht geeignet, Zweifel an der ausweislich der Postzustellungsurkunde vorgenommenen Übermittlung der Niederlegungsmitteilung an die Wohnunterkunft des Antragstellers zu nähren.

II.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

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