Beschluss vom Verwaltungsgericht Hamburg (16. Kammer) - 16 AE 5247/19

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtanwältin G.-L. wird abgelehnt.

Gründe

I.

1

Die sich in Griechenland aufhaltenden Antragstellerinnen zu 1) und 2) und der sich in Deutschland aufhaltende Antragsteller zu 3) - syrische Staatsangehörige - begehren im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, gegenüber der Hellenischen Republik Griechenland die Antragstellerinnen zu 1) und 2) aufzunehmen und ihre Asylverfahren zu übernehmen.

2

Die Antragsteller sind syrische Staatsangehörige. Der Antragsteller zu 3) ist 1972 in „“ (Aleppo) geboren. Ausweislich des vorgelegten Familienbuches ist er mit der 1970 ebenfalls in „“ (Aleppo) geborenen syrischen Staatsangehörigen A. seit 1993 verheiratet und hat mit ihr vier Kinder. Die Ehefrau des Antragstellers zu 3) hat zu einem unbekannten Zeitpunkt Syrien verlassen. In Deutschland wurde ihr mit Bescheid vom 16. März 2017 internationaler Schutz gewährt wie auch den gemeinsamen Kindern.

3

Nach seinen aus der beigezogenen Asylakte entnommenen Angaben verließ der Antragsteller zu 3) Syrien 2016 oder Anfang 2017, lebte für ca. 1 ½ Jahre in der Türkei, wo er arbeitete, und hielt sich vom 5. Mai 2018 bis Januar 2019 in Griechenland auf. Währenddessen stellte er dort im August 2018 einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Ohne einen Bescheid abzuwarten verließ er Griechenland reiste in der Europäischen Union weiter. Nach zwischenzeitlichem Aufenthalt in den Niederlanden gelangte er im Januar 2019 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. In Deutschland stellte er bei der Antragsgegnerin im Februar 2019 einen Asylantrag. Die Anfrage der Antragsgegnerin vom 21. März 2019, den Antragsteller zu 3) zurückzunehmen, lehnte Griechenland mit Antwortschreiben vom 3. April 2019 ab.

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Am 3. April 2019 wandte sich der Antragsteller zu 3) durch seine Bevollmächtigte an die Antragsgegnerin und gab an, „mit Befremden“ zur Kenntnis genommen zu haben, dass sein Asylverfahren im Dublin-Referat der Antragsgegnerin „aufgelaufen“ sei. Er sei mit Frau A. verheiratet, die in Hamburg den subsidiären Schutzstatus erhalten habe. Daneben lebe auch die Tochter mit subsidiärem Schutzstatus in Deutschland. Ausdrücklich habe er und auch seine Ehefrau A. angegeben, dass sie in Hamburg in gemeinsamer familiärer Lebensgemeinschaft leben würden und dass sein Asylverfahren in Deutschland geführt werden solle.

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Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller zu 3) sodann mit Bescheid vom 20. April 2019 den subsidiären Schutzstatus nach § 26 AsylG zu, abgeleitet von seiner Ehefrau A. . Seine anschließende Klage beim Verwaltungsgericht Hamburg auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft über den subsidiären Schutz hinaus blieb ohne Erfolg. Am 12. Juli 2019 gab der Antragsteller zu 3) eine schriftliche Erklärung ab, wonach er sich damit einverstanden erklärte, dass seine Frau und sein Kind gemäß den Bestimmungen der Dublin III-VO zu ihm nach Deutschland kommen. Die Antragstellerin zu 1) ist am 1. Juli 1982 in Aleppo geboren. Zu einem unbekannten Zeitpunkt verließ sie Syrien und reiste am 5. Mai 2018 von der Türkei nach Griechenland. Ihre Tochter, die Antragstellerin zu 2), ist im Juni 2018 in Griechenland geboren.

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Wie sich der beigezogenen Asylakte entnehmen lässt, stellten sie am 23. August 2018 in Griechenland einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes. Dabei gab die Antragstellerin zu 2) an, mit dem Antragsteller zu 3) verheiratet zu sein. Am 12. Juli 2019 unterrichtete die Antragstellerin zu 2) die Behörde in Griechenland darüber, dass der Antragsteller zu 3) Griechenland verlassen habe und nach Deutschland gereist sei, wo er abermals um internationalen Schutz nachgesucht habe.

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Am 3. Oktober 2019 ersuchte die griechische Behörde die Antragsgegnerin, die Antragstellerinnen zu 1) und 2) in Deutschland aufzunehmen. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit Antwortschreiben vom 21. Oktober 2019 ab. Sie führte im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller zu 3) sich aus eigener Motivation von den Antragstellerinnen zu 1) und 2) getrennt habe. Es sei nicht Sinn des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, diese Vorschrift zur Übernahme in Fällen anzuwenden, in denen sich Familien aufgrund des bloßen Wunsches trennten, in einen anderen Mitgliedstaat zu ziehen. Zudem sei für die Bestimmung des zuständigen EU-Mitgliedstaates die Situation maßgeblich, in der der Schutzantrag zum ersten Mal bei einem EU-Mitgliedstaat gestellt werde. Zu diesem Zeitpunkt sei die Familie noch zusammen gewesen. Auch sei ein Familiennachweis nicht erbracht worden.

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Die griechische Behörde richtete sich mit Schreiben vom 11. November 2019 abermals an die Antragsgegnerin mit dem Anliegen zur Übernahme der Antragstellerinnen zu 1) und 2) nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO und übersandte dabei ein „legal statement“ der beim Rechtshilfebüro des dänischen Flüchtlingsrates in Thessaloniki, Griechenland, tätigen Rechtsanwältin P. vom 8. November 2019. Nach erneuter Prüfung des Antrags, bestätigte die Antragsgegnerin die bereits am 21. Oktober 2019 erfolgte Ablehnung gegenüber der griechischen Behörde und teilte mit, dass weitere Überprüfungen der Anfragen unter Berücksichtigung des Urteils des „Court of Justice“ vom 12. November 2018 nicht durchgeführt würden.

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Am 11. November 2019 haben die Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Hamburg nachgesucht. Sie tragen vor, die Antragstellerin zu 2) und der Antragsteller zu 3) seien „nicht offiziell“ verheiratet. Am 5. Mai 2018 seien sie gemeinsam illegal von der Türkei nach Griechenland gereist. Die in Griechenland am 25. Juni 2018 geborene Antragstellerin zu 1) sei das gemeinsame Kind der Antragsteller zu 2) und 3), wie es sich aus der vorgelegten Geburtsurkunde in griechischer Sprache ergebe. Die Antragstellerinnen zu 1) und 2) hätten am 4. Dezember 2018 einen formalen Asylantrag gestellt. Sieben Monate nach der Geburt der Antragstellerin zu 1) habe der Antragsteller zu 3) Griechenland wieder verlassen, um nach Deutschland zu ziehen, wo bereits seine Ehefrau A. gelebt habe. Mit seinen Kindern aus dieser Ehe habe er ein gutes väterliches Verhältnis. Dem Antragsteller zu 3) sei in Deutschland der subsidiäre Schutz gewährt worden und er sei im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Seine Ehefrau A. habe, wie auch seine vier Kinder, in Deutschland internationalen Schutz erhalten.

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Die Antragstellerinnen zu 1) und 2) hätten in Griechenland am 4. Dezember 2018 einen formalen Asylantrag gestellt, über den noch nicht entschieden worden sei. Der Antrag der griechischen Behörde auf Übernahme der Antragstellerinnen zu 1) und 2) sei von der Antragsgegnerin abgelehnt worden. Die griechische Verfahrensbevollmächtigte, Frau Rechtsanwältin P., habe gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin in Griechenland remonstriert.

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Die Antragsteller würden beabsichtigen, in Deutschland die familiäre häusliche Lebensgemeinschaft zwischen ihnen wiederherzustellen. Dem Kindeswohl der Antragstellerin zu 1) entspräche es, wenn die Antragstellerinnen zu 2) und 3) die Möglichkeit hätten, in Deutschland das Familienleben wiederaufzunehmen. Inzwischen habe der Antragsteller zu 3) auch eine eigene Wohnung.

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Da der Antragsteller zu 3) in Hamburg lebe, sei das Verwaltungsgericht für den asylrechtlichen Eilantrag zur Aufnahme der Antragstellerinnen zu 1) und 2) in Deutschland zuständig. Bei einer Stattgabe ihres Gesuches hätten sie in Hamburg, nämlich bei dem Antragsteller zu 3), ihren Wohnsitz zu nehmen. Die Antragsgegnerin sei gehalten, den Antragstellern zu 1) und 2) den Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen und ihren Asylantrag zu prüfen. Die Bundesrepublik Deutschland sei für ihren in Griechenland gestellten Asylantrag zuständig. Nach Art. 9 Abs. 3 Dublin III-VO sei derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrages zuständig, in dem ein Antragsteller einen Familienangehörigen habe, der in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt sei, sofern die betreffende Person diesen Wunsch schriftlich äußere. In der Dublin III-VO werde dem Wohl minderjähriger Flüchtlinge und der Herstellung der Familieneinheit große Bedeutung beigemessen. Die von der Antragsgegnerin geäußerte Erwägung, die Antragsteller seien selbst für die Trennung der Familie verantwortlich, fände in der Dublin III-VO keine Grundlage, um die Übernahme abzulehnen. Aus Art. 9 Dublin II)-VO ergebe sich ein Anspruch zugunsten der Antragstellerin zu 1) darauf, dass ihr Asylantrag von der Antragsgegnerin geprüft werden. Da ein Fall des Art. 9 Dublin III-VO gegeben sei, fände entgegen der Annahme der Antragsgegnerin die humanitäre Klausel in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO bezüglich der Antragstellerin zu 1) keine Anwendung. Daher bestehe auch kein Ermessen der Antragsgegnerin bezüglich der Antragstellerin zu 1). Bezogen auf die Antragstellerin zu 2) verdichte sich das Ermessen aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO dahin, dass es im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK zu einer Pflicht zum Selbsteintritt werde. Dies ergebe sich auch aus dem Erwägungsgrund 17 der Dublin III-VO.

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Eine Entscheidung über die Aufnahme der Antragstellerinnen zu 1) und 2) sei auch dringlich. Die Antragstellerin zu 1) sei noch ein Kleinkind, sodass eine auch nur kurzfristige Trennung zum Antragsteller zu 3) dem Kindeswohl schade und demgemäß der Ausgang eines Klageverfahrens nicht abgewartet werden könne.

14

Die Antragsteller beantragen,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sich unter Aufhebung ihrer Ablehnung des Übernahmegesuchs des griechischen Migrationsministeriums - nationales Dublin Referat - vom 21. Oktober 2019 für den Asylantrag der Antragsteller zu 1) und 2) als Familienangehörige des Antragstellers zu 3) für zuständig zu erklären.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Antrag nach § 123 VwGO zurückzuweisen.

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Sie bringt vor, dass die Antragsteller ihre Familienverhältnisse bislang nicht nachgewiesen hätten. Die eingereichte Geburtsurkunde könne wegen Unlesbarkeit nicht übersetzt werden. Vorbehaltlich der mangels nachgewiesenen subjektiven Rechts in Frage stehenden Antragsbefugnis der Antragsteller, sei der Antrag jedenfalls unbegründet.

19

Art. 9 Dublin III-VO greife schon deshalb nicht, da die Zuständigkeit wegen Fristüberschreitung gemäß Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO auf Griechenland übergegangen sei. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO. Die humanitäre Klausel in dieser Vorschrift solle dazu dienen, eine Trennung von Familienangehörigen, die sich aufgrund einer Situation ergebe, die von der Verordnung nicht vorgesehen worden sei, zu verhindern. Er sei nicht Sinn der Dublin III-Verordnung Familienmitglieder zusammenzuführen, die sich allein deshalb getrennt hätten, um in einen anderen Mitgliedstaat zu gelangen und um dort ihr Asylverfahren durchführen zu können. Die Zuständigkeit Griechenlands für die Bearbeitung der Asylanträge habe für alle Antragsteller zu 1) bis 3) bestanden und bestehe weiterhin für die Antragstellerinnen zu 1) und 2). Die durch den Antragsteller zu 3) freiwillig geschaffene Familientrennung werde von der Dublin III-Verordnung dahin gelöst, dass von Deutschland ein Wiederaufnahmeersuchen für den Antragsteller zu 3) an Griechenland zu richten gewesen sei, was auch erfolgt sei. Für den Antragsteller zu 3) sei die Zuständigkeit für den Asylantrag lediglich aufgrund der rechtswidrigen Ablehnung des Wiederaufnahmeersuchens von Griechenland auf Deutschland übergegangen.

II.

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Der Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Hamburg ist zulässig (dazu unter 1.). Er hat aber in der Sache keinen Erfolg (dazu unter 2.).

21

1. Für den Eilantrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die Übernahme der sich in Griechenland aufhaltenden Antragstellerinnen zu 1) und 2) und Durchführung ihrer Asylverfahren durch die Antragsgegnerin ist das Verwaltungsgericht Hamburg zuständig. Für einen Rechtsstreit nach der Dublin III-Verordnung zum Nachzug von Asylantragstellern aus einem anderen EU-Mitgliedstaat – hier die Antragstellerinnen zu 1) und 2) - zu einem sich berechtigt in Deutschland aufhaltenden Ausländer - hier der Antragsteller zu 3) - zum Zweck der Familienzusammenführung ist gemäß § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO das Verwaltungsgericht örtlich zuständig, das bei einem erfolgten Nachzug bzw. nach Aufenthaltsnahme in Deutschland für alle weiteren asylrechtlichen Streitigkeiten zuständig wäre, wenn die Familienmitglieder gemeinschaftlich um gerichtlichen Rechtsschutz nachsuchen (BVerwG, Beschl. v. 2.7.2019, 1 AV2/19, juris Rn. 14). Dies entspricht auch den Äußerungen der Beteiligten dieses Verfahrens.

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Die Antragsteller sind auch analog § 42 VwGO antragsbefugt. Ein Anspruch - und die sich daraus ableitende Antragsbefugnis - der Antragsteller auf Übernahme der Antragsteller zu 1) und 2) im Dublin-Verfahren entsprechend ihres Eilantrages ist jedenfalls nicht offenkundig ausgeschlossen. Wie von ihnen zutreffend angeführt, haben mehrere Verwaltungsgerichte (u.a. VG Berlin, Beschlüsse v. 4.7.2019, 37 L 277.19 A und v. 2.10.2019, 23 L 539.19 A) einen solchen Anspruch nach der Dublin III-Verordnung sowohl dem sich in Deutschland aufhaltenden Familienmitglied, hier dem Antragsteller zu 3) - als auch den in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhaltenden Familienmitgliedern – hier den Antragstellerinnen zu 1) und 2) - zuerkannt.

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2. In der Sache ist dem Eilantrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, sich auf das von Griechenland an die Antragsgegnerin gerichtete Übernahmegesuch zur Durchführung der Asylverfahren der Antragstellerinnen zu 1) und 2) für zuständig zu erklären, nicht zu entsprechen.

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a) Nach der bisherigen Prüfung im Eilverfahren bestehen bereits durchgreifende Bedenken, ob sich für das Begehren der Antragsteller überhaupt ein klagbares subjektives Recht aus der Dublin III-VO ergibt. Nach Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO haben um internationalen Schutz ersuchende Antragsteller das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch das Gericht. Hier steht allerdings keine Überstellungsentscheidung, also ob die Antragsteller aus dem Bundesgebiet entfernt werden sollen, im Streit. Vielmehr streben sie eine Übernahmeentscheidung zugunsten der Antragstellerinnen zu 1) und 2) an, um von Griechenland nach Deutschland migrieren und hier ihr Asylverfahren betreiben zu können. Für solche Verpflichtungskonstellationen ist in der Dublin III-VO ein Rechtmittel in Form einer gerichtlichen Überprüfung nicht vorgesehen. So hat der Gerichtshof für die Europäische Union – EuGH – entschieden, dass Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO nicht dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eines EU-Mitgliedstaates vorzusehen, vom Selbsteintrittsrecht keinen Gebrauch zu machen (Urteil vom 23.1.2019, C-661/17, juris Rn. 73 ff. - zu Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO -; Hruschka, Urteilsanmerkung, NVwZ 2019, S. 301). Danach bleibt nur die Möglichkeit, Entscheidungen zur Zuständigkeit inzident im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten. Für dieses Verständnis eines beschränkten Rechtsschutzes spricht nicht nur der Wortlaut des Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO, sondern auch, dass nach der Dublin III-VO eine Rechtsbehelfsbelehrung einzig für Entscheidungen zur Überstellung in einen anderen EU-Mitgliedstaat vorgesehen ist, nämlich in Art. 26 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO.

25

Ein anderes Normverständnis ist auch nicht ausnahmsweise bezogen auf die hier in Rede stehende Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-Verordnung anzunehmen, wonach ein unzuständiger EU-Mitgliedstaat gegenüber dem zuständigen - bzw. dem um internationalen Schutz angerufenen - EU-Mitgliedstaat nach Ermessen erklären kann, die schutzsuchende Person aufzunehmen und infolgedessen deren Verfahren zu übernehmen. Soweit das Verwaltungsgericht Ansbach im Beschluss vom 26. November 2019 (AN 18 E 19.50958, juris Rn. 32; so im Ansatz auch: VG Berlin, Beschl. v. 17.6.2019, 23 K L 293.19 A, juris Rn. 22) ausführt, dass „diese Rechtsschutzlücke“ in der Dublin III-Verordnung „im Hinblick auf das wichtige Recht auf Familienzusammenführung und den Schutz des Kindeswohles“ gefüllt werden müsse, wird diese Ansicht nicht geteilt.

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Weitere Rechtsbehelfe als diejenigen gegen Überstellungsentscheidungen durch eine teleologische Extension aus Art. 27 Dublin III-VO zu schöpfen, würde zum einen dem Ziel, das dem mit der Dublin III-Verordnung eingeführten Verfahren zugrunde liegt und in deren fünftem Erwägungsgrund dargelegt ist, eine zügige Bearbeitung der Anträge auf internationalen Schutz und insbesondere einer raschen Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zu gewährleisten, zuwiderlaufen (EuGH, Urteil vom 23.1.2019, C-661/17, juris Rn. 73 ff.). Zum anderen spricht auch die Ausgestaltung des Verfahren in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO dafür, die Ermessensklausel nicht als ein klagbares subjektives Recht gegen die Ablehnung einer Übernahme eines nach der Dublin III-VO unzuständigen EU-Mitgliedstaates aufzufassen. Das Ersuchen auf Aufnahme in eines anderen EU-Mitgliedstaates wird nicht von dem Schutzbegehrenden selbst angebracht, sondern es wird von dem zuständigen bzw. den ersten Schutzantrag entgegennehmenden EU-Mitgliedstaat an einen anderen unzuständigen EU-Mitgliedstaat gerichtet. Daher handelt es sich um ein zwischenstaatliches bilaterales Verfahren bei dem die schutzsuchende Person nicht selbst Adressat der von dem unzuständigen EU-Mitgliedstaat getroffenen Ermessensentscheidung ist. Entsprechend ist gegen derartige Entscheidungen in der Dublin III-VO auch kein Rechtsmittel in Form einer Überprüfung durch ein Gericht bestimmt, sondern nur ein Schlichtungsverfahren nach Art. 37 Dublin III-VO vorgesehen. Die von der Schlichtungsstelle vorgeschlagene Lösung ist endgültig und kann nicht angefochten werden (Art. 37 Abs. 2 UAbs. 4 Dublin III-VO).

27

Obwohl die Entscheidung des Gerichts über den Eilantrag mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angegriffen werden kann, ist eine Richtervorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV, zur Klärung der Frage, ob Art. 27 Abs. 1 Dublin III-VO dahin auszulegen ist, dass er nicht dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, hier nicht veranlasst. Wegen der Ablehnung des Eilantrages aus den nachstehenden Gründen kommt es auf diese Frage nicht entscheidungserheblich an.

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b) Sollten sich entgegen der vorstehenden Ausführungen aus der Dublin III-VO auch klagbare subjektive Rechte auf Übernahme Schutzsuchender aus anderen EU-Mitgliedstaaten ableiten lassen, so läge jedenfalls in der Ablehnung der Antragsgegnerin gegenüber dem griechischen Staat, die Antragstellerinnen zu 1) und 2) zu übernehmen, kein Verstoß gegen Vorschriften der Dublin III-VO. Weder aus dem von den Antragstellern ins Feld geführte Art. 9 Dublin III-VO (dazu aa)) noch aus dem zwischen der Antragsgegnerin und aus dem von der griechischen Behörde und der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO (dazu bb)) ergibt sich eine Verletzung von Rechten der Antragsteller durch die Entscheidung der Antragsgegnerin gegenüber dem griechischen Staat.

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aa) Ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Erklärung der Übernahme der Antragstellerinnen zu 1) und 2) und auf Prüfung des in Griechenland gestellten Asylantrages dürfte sich aus Art. 9 Dublin III-VO nicht ergeben. Ungeachtet der Frage, ob die Antragsteller zu 1) und 2) tatsächlich Familienangehörige des Antragstellers zu 3) im Sinne des Art. 2 Buchst. g) Dublin III-VO sind, war der Antragsteller zu 3) zu dem nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung auf internationalen Schutz in Griechenland jedenfalls noch nicht als Begünstigter internationalen Schutzes in Deutschland aufenthaltsberechtigt. Die Anträge auf internationalen Schutz wurden von allen Antragstellern bereits 2018 in Griechenland angebracht. Dem Antragsteller zu 3) wurde der subsidiäre Schutzstatus in Deutschland erst nach seiner Weiterreise und seinem neuerlichen Antrag 2019 zuerkannt. Davon abgesehen würde es auch an einem fristgerecht gestellten Aufnahmegesuch der griechischen Behörde gegenüber der Antragsgegnerin fehlen. Die in Art. 21 Abs. 1 UAbs.1, 20 Abs. 2 Dublin III-VO enthaltene Frist von drei Monaten nach Antragstellung zur Stellung eines solchen Gesuchs wurde nicht eingehalten. Deutschland konnte deshalb nicht nach Art. 9 Dublin III-VO für die Anträge der Antragstellerinnen zu 1) und 2) nachträglich zuständig geworden sein. Nach den in den beigezogenen Sachakten der Antragsgegnerin befindlichen Daten haben die Antragsteller zu 1) und 2) am 23. August 2018 in Thessaloniki/Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wie auch der Antragsteller zu 3). Die griechische Behörde hat das Aufnahmegesuch erst am 3. Oktober 2019, also über ein Jahr nach der Antragstellung, an die Antragsgegnerin gerichtet. Selbst wenn man die Angabe der Antragsteller zugrunde legen würde, dass die Antragstellerinnen zu 1) und 2) einen „formalen“ Asylantrag in Griechenland erst später am 4. Dezember 2018 gestellt hätten, wäre auch dann die Frist von drei Monaten bei Anbringung des Aufnahmegesuches durch die griechische Behörde bei weitem verstrichen gewesen. Der jedenfalls nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO als EU-Mitgliedstaat des ersten Anlaufs für die Anträge der Antragsteller zuständig gewordene griechische Staat ist für die Anträge der Antragstellerinnen zu 1) und 2) mithin auch zuständig geblieben.

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bb) Auch die von der Antragsgegnerin getroffene Ermessensentscheidung auf Grundlage des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO ist nach bisheriger Prüfung in diesem Eilverfahren rechtlich nicht zu beanstanden.

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(1) Die Ablehnung des Gesuchs der griechischen Behörde auf Aufnahme der Antragsteller zu 1) und 2) in das Bundesgebiet gemäß Art. 17 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO dürfte mit der Erwägung, dass der Antragsteller zu 3) die weiterhin in Griechenland weilenden Antragsteller zu 1) und 2) aus eigenen Beweggründen verlassen hat, um nach Deutschland weiter zu migrieren und einen erneuten Asylantrag zu stellen, nicht ermessensfehlerhaft sein. Die Antragsgegnerin dürfte mit ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten und von ihrem Ermessen in einem dem Zweck der Ermächtigung in Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben (§ 114 Satz 1 VwGO).

32

Nach dem bisherigen Kenntnisstand des Gerichts in diesem Eilverfahren hat sich der Antragsteller zu 3) ohne Not von den Antragstellern zu 1) und 2) abgesetzt und hat damit aus freien Stücken die etwaig in Griechenland bestandene Lebensgemeinschaft mit ihnen beendet, obwohl Griechenland für alle Verfahren – auch des Antragstellers zu 3) - zuständig war. Sollte eine familiäre Gemeinschaft bestanden haben, so wäre Griechenland auch im Hinblick auf diese Gemeinschaft nach Art. 10 oder 11 Dublin III-VO zuständig gewesen, um die Einheit der Familie zu wahren. Diese Zuständigkeit Griechenlands nach der Dublin III-VO hat der Antragsteller zu 3) unterlaufen, indem er sich ohne zwingenden Anlass nach Deutschland - in einen anderen EU-Mitgliedstaat seiner eigenen Wahl - begeben und hier einen weiteren Schutzantrag angebracht hat. Es handelt sich damit um eine sekundäre Binnenmigration, die die Dublin-Verordnung gerade zu verhindern sucht. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass zumindest die Antragstellerin zu 1) aufgrund ihres geringen Alters auf diese Entscheidung des Antragstellers zu 3) keinen Einfluss hat nehmen können (vgl. VG Hamburg, Beschl. v. 4.9.2019, 14 AE 3909/19, n.V.). Dass die Antragstellerinnen zu 1) und 2) nunmehr ohne den Antragsteller zu 3) in Griechenland weilen müssen, ist nicht durch die Antragsgegnerin herbeigeführt worden, sondern durch den Antragsteller zu 3). Die Trennung ist Folge seiner eigenmotivierten Entscheidung zur Weiterwanderung und nicht eines Handelns der Antragsgegnerin, die sich vor Durchführung des Asylverfahrens sogar mit dem Gesuch an Griechenland gewendet hat, den Antragsteller zu 3) wieder dort aufzunehmen. Würde die Antragsgegnerin in dieser Situation auch noch die Antragstellerinnen zu 1) und 2) in Deutschland aufnehmen, würde sich eine ungewollte Sekundärmigration, die der Antragteller zu 3) mit seiner Ausreise aus Griechenland begonnen hat, weiter perpetuieren. Es liegt auf der Hand, dass die Antragsgegnerin mit einer solchen Ermessenspraxis Anreize zum Unterlaufen der in der Dublin III-VO angelegten Zuständigkeitsordnung durch Weiterwanderung in unzuständige EU-Mitgliedstaaten unter Zurücklassung familiärer Gemeinschaften setzen würde, was sie im Einklang mit den Zwecken der Dublin III-VO ersichtlich zu vermeiden bestrebt ist.

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(2) Auch wenn davon auszugehen sein sollte, dass die Antragsgegnerin von ihrem Ermessen in einer nach § 114 Satz 1 VwGO zu beanstandenden Weise Gebrauch gemacht hätte, würde sich daraus noch kein Anspruch auf die mit dem Eilantrag erstrebte Verpflichtung der Antragsgegnerin ergeben, gegenüber der griechischen Behörde die Aufnahme der Antragstellerinnen zu 1) und 2) in Deutschland zu erklären. Vielmehr wäre dafür Voraussetzung, dass die Antragsgegnerin rechtmäßig nur die Entscheidung treffen könnte, gegenüber den griechischen Behörden die Aufnahme der Antragstellerinnen zu 1) und 2) zu erklären.

34

(aa) Eine solche Verpflichtung zu einer die betreffenden Personen begünstigenden Entscheidung dürfte bei den Ermessensklauseln in Art. 17 Dublin III-VO ausgeschlossen sein (vgl. VG München, Urt. v. 16.4.2019, M 9 S 18.50073, juris Rn. 33) und zwar selbst dann, wenn das Wohl eines Kindes in Rede steht.

35

Der EuGH hat zur Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ausgeführt (Urteil vom 23.1.2019, C-661/17, juris Rn. 58 f.):

36

„Aus dem Wortlaut […] geht klar hervor, dass diese Vorschrift insofern fakultativ ist, als sie es dem Ermessen jedes Mitgliedstaats überlässt, zu beschließen, einen bei ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien für die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates nicht für die Prüfung zuständig ist (vgl. In diesem Sinne Urteil vom 30. Mai 2013, Halaf, C 528/11, E:C:2013:342, Rn. 36). Diese Befugnis soll es jedem Mitgliedstaat ermöglichen, sich aus politischen humanitären oder praktischen Erwägungen bereit zu erklären einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er hierfür nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist (Urteil vom 4. Oktober 2018, Fathi, C 56/17, EU:C:2018:803, Rn. 539). Angesichts des Umfangs des den Mitgliedstaaten auf diese Weise gewährten Ermessens ist es Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von der Befugnis, die durch die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung eingeräumt wird, Gebrauch machen möchte, und zu entscheiden, ob er sich bereit erklärt, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist, selbst zu prüfen. Diese Feststellung steht im Übrigen auf einer Linie zum einen mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den fakultativen Bestimmungen derzufolge diese Bestimmungen den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen einräumen (Urteil vom 10. Dezember 2013, Abdullahi, C-394/12, EU:C:2013:813, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zum anderen mit dem Ziel dieses Art. 17 Abs. 1, die Prärogativen der Mitgliedstaaten bei der Ausübung des Rechts auf Gewährung internationalen Schutzes zu wahren (Urteil vom 5. Juli 2018, X, C-213/17, EU:C:2018:538, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).“

37

Zu Art. 6 Abs. 1 Dublin III-VO, wonach das Wohl des Kindes in allen Verfahren, die in der Dublin III-Verordnung vorgesehen sind, eine vorrangige Erwägung der EU-Mitgliedstaaten ist, hat der EuGH folgendes dargelegt (a.a.O., juris Rn. 71 f.):

38

„Angesichts dessen, dass bereits aus den Rn. 58 und 59 des vorliegenden Urteils hervorgeht, dass die Ausübung der den Mitgliedstaaten durch die Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung eröffnete Befugnis an keine besondere Bedingung geknüpft ist und es grundsätzlich Sache jedes Mitgliedstaats ist, die Umstände zu bestimmen, unter denen er von dieser Befugnis Gebrauch machen möchte, und zu entscheiden, ob er sich bereit erklärt, einen Antrag auf internationalen Schutz, für den er nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien nicht zuständig ist, selbst zu prüfen, ist festzustellen, dass auch Erwägungen des Kindeswohls einen Mitgliedstaat nicht dazu verpflichten können, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen und einen Antrag, für den er nicht zuständig ist, selbst zu prüfen. Folglich ist Art. 6 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat, der nach den in dieser Verordnung genannten Kriterien für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz unzuständig ist, nicht dazu verpflichtet, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen und diesen Antrag in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung selbst zu prüfen.“

39

Diese Ausführungen des EuGHs zur Ermessensklausel in Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sind auch auf die Ermessensklausel in Absatz 2 dieser Vorschrift zu übertragen. Da auch Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO dem unzuständigen EU-Mitgliedstaat die Befugnis eröffnet, selbst in die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutzes einzutreten, indem er den Antragsteller aus einem anderen EU-Mitgliedstaat aufnimmt (Art. 17 Abs. 2 UAbs. 3 Dublin III-VO), sind die Anwendungsbereiche beider Ermessensklauseln in ihren Folgen vergleichbar. Einziger wesentlicher Unterschied ist, dass sich die betreffende Person im Fall des Art.17 Abs. 1 Dublin III-VO bereits in dem unzuständigen EU-Mitgliedstaat aufhält, während er sich im Fall des Art.17 Abs. 2 Dublin III-VO noch einem anderen EU-Mitliedstaat weilt. In beiden Fällen geht es aber darum, außerhalb der eigentlichen Zuständigkeitsordnung nachträglich die Durchführung von Asylverfahren aufgrund übergeordneter Erwägungen nach Ermessen zu übernehmen. Demgegenüber vermag die Überlegung des VG Berlins (Beschl. v. 8.11.2019, 37 L 462.19 A, juris Rn. 22), dass Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zwar mit Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO korreliere, sich aber insofern unterscheide, dass es in Absatz 2 „eines Ersuchens eines anderen Mitgliedstaates“ bedürfe und dass Absatz 2 „eine größere Regelungsdichte“ aufweise, nicht zu überzeugen. Relevante Kriterien dafür, die Ermessensklauseln in Absatz 1 von Art. 17 Dublin III-VO als ungebundene, europarechtliche Befugnis aber die Ermessensklausel in Absatz 2 als einzelfallbezogene rechtliche Pflicht einzuordnen, werden mit den angeführten Unterschieden nicht aufgezeigt. Im Gegenteil erscheint es im Bereich des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO drängender, den Gerichten eine Ermessensreduzierung in Einzelfällen zu eröffnen, weil bei einer ablehnenden Entscheidung ein Eingriff in Freiheitsrechte die Folge ist, nämlich die Entfernung aus dem EU-Mitgliedstaat, in dem sich der Betreffende aufhält. Demgegenüber geht es im Bereich des Art. Abs. 2 Dublin III-VO darum, dem Betreffenden eine Leistung zu gewähren, nämlich die Aufnahme in einem anderen Mitgliedstaat. Auch die weitere Erwägung, dass bei einer Entscheidung zur Aufnahme nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO eine Sekundärmigration in der Europäischen Union erst in Gang gesetzt wird, lässt es naheliegender erscheinen, dass sich auch aus dieser Ermessensklausel keine Pflicht des unzuständigen EU-Mitgliedstaates zur Aufnahme - und damit zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 2 UAbs. 4 Dublin III-VO - ableiten lässt.

40

(b) Wird von den vorstehenden an die Rechtsprechung des EuGHs zu Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO anknüpfenden Betrachtungen abgesehen, ist weiter zu berücksichtigen, dass die Verwaltungsgerichte auch nach Maßgabe des § 114 Satz 1 VwGO auf eine Überprüfung der Ermessenbetätigung der Exekutive beschränkt sind. Das Gericht darf sich nicht an die Stelle der Behörde setzen, indem es eigene (Zweckmäßigkeits-)Erwägungen oder Bewertungen anstellt. Selbst wenn die von der Behörde getroffene Ermessensentscheidung nicht zwingend, aber jedenfalls im Rahmen des rechtlich zulässigen liegt, kann sie vom Gericht nicht aufgehoben werden. Die Verpflichtung der Behörde zu einer bestimmten Entscheidung - und nicht nur zur erneuten Ermessensbetätigung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts – kann es nur dann aussprechen, wenn eine besondere atypische Situation vorliegt, in der sich in concreto das Ermessen auf eine einzige Option verdichtet, also eine sog. Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.

41

Ferner ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 Abs. 1 VwGO zu beachten, dass das Gericht mit der Entscheidung im Eilverfahren grundsätzlich nicht die Entscheidung im Klageverfahren vorwegnehmen darf. Da bei einer Vorwegnahme im Eilverfahren eine Auseinandersetzung mit dem Streitstoff im Hauptsacheverfahren entfällt, ist sie lediglich ausnahmsweise und allein dann gerechtfertigt, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Außerdem müssten dem Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare Nachteile entstehen, die nachträglich durch eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Bei einer Entscheidung zugunsten der Antragsteller würde es zu einer solchen Vorwegnahme des - gegenwärtig noch nicht anhängigen - Klageverfahrens kommen, denn sie wären bei Abgabe der erstrebten Erklärung gegenüber dem griechischen Staat in Deutschland aufzunehmen und ihr Asylverfahren wäre hier durchzuführen, ohne dass es dazu noch einer weiteren Entscheidung des Gerichts über die Klage bedürfte.

42

Für die hiernach zum einen gebotene hohe Wahrscheinlichkeit des Obsiegens im Klageverfahren und die zum anderen erforderliche Ermessensreduzierung auf Null ist ein substantiierter schlüssiger Tatsachenvortrag und dessen Glaubhaftmachung nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO zu verlangen, der weitestgehend auch für eine tragfähige Überzeugungsbildung des Gerichts nach § 108 Abs. 1 VwGO im Hauptsacheverfahren geeignet wäre. Nach dem bisherigen Vortrag vermag das Gericht dies nicht zu erkennen.

43

Nach Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kann Deutschland die sich in einem anderen EU-Mitgliedstaat aufhaltenden und ihr Asylverfahren betreibenden Personen auf ein jederzeit mögliches Ersuchen eines anderen EU-Mitgliedstaates aufnehmen, bevor eine Erstentscheidung im Asylverfahren in der Sache ergangen ist, und zwar aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen. Ausweislich des Wortlautes dieser Vorschrift kann nicht bereits das Vorliegen einer verwandtschaftlichen oder familiären Beziehung, wie sie von den Antragstellern angeführt worden ist, als humanitärer Grund qualifiziert werden. Vielmehr muss sich der humanitäre Grund aus einem familiären Kontext ergeben, ist mithin nicht mit einem solchen gleichzusetzen, sondern setzt ihn als Grundlage voraus. Entscheidend kommt es also nicht nur auf das Vorliegen einer familiären Beziehung an, sondern hinzukommen muss ein Beistands-, Schutz- oder ähnliches Verhältnis, dass die persönliche Nähe zwischen Antragsteller und Familienangehörigen auch bereits während des Asylverfahrens gebietet.

44

Eine besondere atypische Situation, in der sich in concreto das Ermessen auf eine einzige Option beschränkt, setzt insofern einen besonders schweren Härtefall im Sinne einer besonderen Verdichtung humanitärer Gründe im familiären Kontext voraus (VG Berlin, Beschl. v. 15.3.2019, 23 L 706.18 A, juris Rn. 34; Beschl. v. 17.6.2019, 23 K L 293.19 A. juris Rn. 25; Beschl. v. 8.11.2019, 37 L 462.19 A, juris Rn. 23; VG Ansbach, Beschl. v. 10.7.2019, AN 18 E 19.50571, juris Rn. 23, Beschl. v. 26.11.2019, AN 18 E 19.50958, juris Rn. 39). Nur in besonders gelagerten Fallkonstellationen kann nämlich – wenn überhaupt - eine Ermessensreduktion im Rahmen des § 17 Abs. 2 Dublin III-VO in Betracht kommen. Dafür reicht namentlich die bloße Existenz eines humanitären Grundes, der den Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO überhaupt erst eröffnet, noch nicht aus. Zu fordern ist vielmehr eine besondere Verdichtung von humanitären Umständen, die unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls einen Härtefall begründen können, der jede andere Entscheidung unvertretbar erscheinen lässt. Ein bloßes Versäumnis von in der Dublin III-VO vorgesehenen Fristen wird eine solche Ermessensreduzierung im Anwendungsbereich des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO hingegen nicht schon rechtfertigen können (so aber VG Münster, Beschl. vom 20.12.218, 2 L 989/18.A, S. 22, n.V., eingereicht von den Antragstellern).

45

Die Antragsteller haben einen Sachverhalt, der das Bestehen eines solchen Härtefalls begründen könnte, nicht vorgetragen. Wie oben dargelegt spricht gegen die Annahme eines Härtefalls, dass der Antragsteller zu 3) aus freien Stücken aus Griechenland ausgereist und sich damit von den Antragstellerinnen zu 1) und 2) bewusst abgesetzt hat. Im Übrigen haben die Antragsteller keinerlei Tatsachen vorgetragen, die es dem Gericht ermöglichen könnten, sich ein Bild von der Beziehung der Antragsteller zu 1) und 2) zu dem Antragsteller zu 3) machen und die familiären Bindungen einzuschätzen.

46

Die Geburtsurkunde der Antragstellerin zu 1) in griechischer Sprache ist von ihnen nicht in Übersetzung vorgelegt worden, sodass das Gericht schon die Behauptung, sie sei das gemeinsame Kind der Antragsteller zu 2) und 3) gegenwärtig nicht überprüfen kann.

47

Über den pauschalen in der Antragsschrift geäußerten Wunsch, „eine familiäre Lebensgemeinschaft wiederaufzunehmen“ hinaus, fehlt es auch sonst an Vortrag dazu, wie sich die Beziehungen zwischen den Antragtellern vor der Ausreise des Antragstellers zu 3) gestaltet haben und wie sie sich nach der erstrebten Aufnahme der Antragsteller zu 1) und 2) in Deutschland entwickeln sollen.

48

Zu ihrer Beziehung haben die Antragsteller zu 2) und 3) erst in ihrer Antragsschrift klargestellt, dass sie „nicht offiziell verheiratet“ sind, während sie sonst angegeben hatten, Eheleute zu sein. Aus den beigezogenen Akten ergeben sich auch keine greifbaren Erkenntnisse über diese Beziehung. So hat der Antragsteller zu 3) bei seiner Anhörung durch die Antragsgegnerin am 20. März 2019 die Existenz der Antragsteller zu 1) und 2) noch nicht einmal angedeutet. Zum Zeitraum seines 1 ½ jährigen Aufenthaltes in der Türkei hat er nur davon berichtet, dort gearbeitet zu haben. Auch bei der Schilderung der Überfahrt mit einem Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland hat er von der bei dieser Reise noch schwangeren Antragstellerin zu 2) nichts erwähnt. Im Gegenteil hat er mit Schreiben vom 3. April 2019 der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass er und seine Ehefrau „in Hamburg in gemeinsamer familiärer Lebensgemeinschaft“ lebe, sodass ihn eine Behandlung seines Antrages im Dublin-Referat befremde. Erst nachdem ihm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 10. April 2019 den subsidiären Schutz in Ableitung von seiner in Deutschland weilenden Ehefrau zuerkannt hatte, erhielt die Antragsgegnerin Kenntnis von den Antragstellern zu 2) und 3) in Griechenland. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2019 hat der Antragsteller zu 3) angegeben, „zwischenzeitlich eine eigene Wohnung“ zu haben, ohne zu erklären, ob er weiterhin mit seiner Ehefrau in familiärer Gemeinschaft lebt. Wie sich die Verhältnisse zu seiner Ehefrau und zu seinen aus dieser Ehe stammenden vier Kindern, die nach seinem Vortrag in Deutschland sind und zu denen er ein „gutes väterliches Verhältnis habe“, konkret darstellen, hat er auch sonst nicht offenbart.

49

Weiterführende Erkenntnisse über die Beziehung des Antragstellers zu 3) zu den Antragstellerinnen zu 1) und 2) können weder dem Vorbringen der Antragsteller noch dem Inhalt der beigezogenen Akten entnommen werden. Dazu, unter welchen Umständen die Antragsteller zu 2) und 3) in Syrien und in der Türkei gelebt haben, ob sie zusammenwohnten und in welcher Beziehung sie standen, als die Antragstellerin zu 3) in der Türkei gezeugt wurde, finden sich keine Angaben, wie auch zu der angeblichen gemeinsamen Weiterreise nach Griechenland, den Umständen der Geburt der Antragstellerin zu 1) in Griechenland und die weitere Lebensgestaltung der Antragsteller dort bis zum alleinigen Wegzug des Antragsellers zu 3). Ob und ggf. welchen Beitrag der Antragsteller zu 3) zur Entwicklung der Antragstellerin zu 1), die bei seiner Ausreise erst ca. ein halbes Jahr alt war, konkret erbracht hat, erschließt sich mangels jeglichen Vortrages hierzu nicht. Schließlich haben die Antragsteller nicht einmal ansatzweise erklärt, welche über die üblicherweise mit einer örtlichen Trennung hinausgehenden Nachteile im Sinne einer außergewöhnlichen Härte gegenwärtig für sie bestehen und welche eintreten werden, wenn die Antragstellerinnen zu 1) und 2) weiter in Griechenland weilen.

50

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 83b AsylG und § 154 Abs. 1 VwGO.

51

4. Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war nicht zu entsprechen. Zum einen haben die Antragsteller keine Erklärung zu ihren persönlichen wirtschaftlichen Verhältnissen vorgelegt (§ 166 i.V.m. § 117 Abs. 2 ZPO) und zum anderen bot der Eilantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

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