Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (1. Kammer) - 1 A 5518/19
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung zur Beantwortung von Fragen und Vorlage von Unterlagen sowie gegen die Androhung eines Zwangsgelds in einem den Flüchtlingsstatus betreffenden Widerrufsverfahren.
- 2
Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein am XXX in XXX geborener afghanischer Staatsangehöriger und dem Volk der Tadschiken zugehörig. Im Sommer 2015 reiste der Kläger in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. Januar 2016 einen Asylantrag. In seiner Anhörung bei der Beklagten gemäß § 25 AsylG am 1. Februar 2016 gab er unter anderem an, er habe den überwiegenden Teil seines Lebens im Iran und später in der Türkei verbracht. In der Türkei habe er für einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren gelebt. Vor vier Jahren sei er zum christlichen Glauben übergetreten, habe diesen bereits in der Türkei praktiziert und sei auch in Deutschland Mitglied einer christlichen Gemeinde. Eine Tazkira habe er nicht, jedoch sei es möglich, dass seine Mutter über diese verfüge.
- 3
Mit Bescheid vom 27. Februar 2016 erkannte die Beklagte dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zu. In einem am selben Tag erstellten Vermerk begründete sie diese Entscheidung mit der religiösen Überzeugung des Klägers. Er habe glaubhaft vorgetragen, dass seiner Konversion ein ernsthafter religiöser Einstellungswandel zugrunde liege. Personen, die ihren muslimischen Glauben aufgäben, könnten sowohl Übergriffen durch Dritte i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG ausgesetzt sein, gegen die sie keinen staatlichen Schutz erlangen könnten, als auch Übergriffen durch staatliche Stellen. Konversion werde nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe stehe. Eine öffentliche Ausübung des Glaubens sei nicht möglich.
- 4
Mit Schreiben vom 10. Juli 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass derzeit die in seinem Asylverfahren getroffene positive Entscheidung überprüft werde. Sie sei verpflichtet und berechtigt, seinen Schutzstatus im Rahmen eines Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahrens zu überprüfen. Zur Prüfung, ob die Voraussetzungen des Widerrufs oder der Rücknahme vorliegen, sei sie auf die Mitwirkung des Klägers angewiesen. Er sei hierzu auch verpflichtet. Sie forderte ihn auf, folgende Fragen bis zum 12. August 2019 schriftlich zu beantworten:
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„1. Schildern Sie bitte kurz, aus welchen Gründen sich Ihre Familie entschlossen hat, Afghanistan zu verlassen und im Iran zu leben.
- 6
2. Welche Befürchtungen haben Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan?
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3. Bitte schildern Sie, aus welchen Gründen Sie sich während Ihres Aufenthalts in der Türkei zum Übertritt zum christlichen Glauben entschieden haben.
- 8
4. Gibt es Dokumente, die Ihren Übertritt zum christlichen Glauben in der Türkei belegen? Falls ja, übersenden Sie uns diese bitte in Form einer Kopie.
- 9
5. In welcher Kirchengemeinde sind Sie derzeit Mitglied?
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6. Nehmen Sie an Gottesdiensten bzw. dem Gemeindeleben Ihrer Kirchengemeinde teil?
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7. Gibt es Belege für Ihre kirchlichen Aktivitäten? Falls ja, übersenden Sie uns diese bitte in Form einer Kopie.
- 12
8. Sind Sie inzwischen getauft? Falls ja, übersenden Sie uns bitte die Taufurkunde in Form einer Kopie.
- 13
9. Wie würden Sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan Ihren Glauben ausüben?
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10. Könnten Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan Ihren christlichen Glauben verborgen halten oder auf die Ausübung Ihres Glaubens verzichten?
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11. Haben Sie in Deutschland inzwischen eine Ausbildung aufgenommen oder einen Arbeitsplatz gefunden?
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12. Haben Sie noch Verwandte in Afghanistan?“
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Ferner wurde der Kläger in dem Schreiben aufgefordert, bis zum 12. August 2019 seine Tazkira im Original, und – soweit vorliegend – Belege über seine aktuellen kirchlichen Aktivitäten in Kopie sowie seine Taufurkunde im Original vorzulegen. Weiterhin teilte die Beklagte mit, dass, sollte der Kläger die Fragen bis zum angeordneten Termin die Fragen nicht beantworten bzw. die Unterlagen nicht vorlegen, ein Zwangsgeld angedroht werden könne.
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Vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten teilte der Kläger mit Schreiben vom 8. August 2019 mit, dass sich die Umstände die zur Zuerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft geführt hätten, nicht geändert hätten. Die Beklagte habe auch keinen Sachverhalt vorgetragen, der zu einer anderen Beurteilung führen würde. Es werde daher davon ausgegangen, dass das Überprüfungsverfahren eingestellt werde. Die Prozessbevollmächtigten baten ferner um Akteneinsicht.
- 19
Die Beklagte beschied den Kläger unter dem 8. November 2019 wie folgt:
- 20
„[Seite 1]
- 21
E n t s c h e i d u n g :
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1. Hiermit werden Sie im Rahmen des Widerruf-/Rücknahmeverfahrens aufgefordert
- 23
(Die Ihnen auferlegte/n Mitwirkungshandlung/en ist/sind durch Ankreuzen ausgewählt:)
- 24
die sich aus der Begründung des Bescheids (s. Seite 2) ergebende/n Frage/n bis zum 10. Dezember 2019 schriftlich zu beantworten und die Antworten bis zum angeordneten Termin an die Außenstelle des Bundesamtes in Hamburg, Sachsenstraße 12 und 14, 20097 Hamburg, zu senden (Datum ist Posteingang beim Bundesamt);
- 25
die sich im Hinblick auf die Begründung des Bescheids (s. Seite 2) angeforderte/n Unterlage/n – soweit vorliegend – bis zum 10. Dezember 2019 an die Außenstelle des Bundesamtes in Hamburg, Sachsenstraße 12 und 14, 20097 Hamburg, zu senden (Datum ist Posteingang beim Bundesamt).
- 26
[Seite 2]
- 27
2. Sollte/n bis zum angeordneten Termin die geforderte/n Unterlage/n nicht in der o.g. Außenstelle des Bundesamtes vorliegen, wird Ihnen ein Zwangsgeld in Höhe von 100 Euro angedroht.
[…]
- 28
Begründung:
- 29
1. Rechtsgrundlage für die unter oben 1. genannte Maßnahme ist
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- bei Anerkennung als Asylberechtigte/r und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft § 73 Abs. 3a in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 5 Asylgesetz,
- 31
- bei subsidiärem Schutz § 73b Abs. 4 in Verbindung mit § 73 Abs. 3a in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 5 Asylgesetz,
- 32
- bei Abschiebungsverboten § 73c Abs. 3 in Verbindung mit § 73 Abs. 3a in Verbindung mit § 15 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 5 Asylgesetz.
- 33
Die von Ihnen geforderten Unterlagen sollen das Bundesamt in die Lage versetzen, zu überprüfen, ob die vom Bundesamt getroffene positive Entscheidung (Asylberechtigung/ Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft/ subsidiärer Flüchtlingsschutz/ Abschiebungsverbote) weiterhin zu Recht besteht. Ihre Mitwirkung im Rahmen der schriftlichen Stellungnahme ist erforderlich, da das Bundesamt keine anderen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung als bei Ihnen hat. Die Maßnahme ist Ihnen auch zumutbar. Insbesondere können Sie Ihrer Mitwirkungspflicht per Post nachkommen, so dass ein persönliches Erscheinen zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht nicht erforderlich ist.
- 34
Das Bundesamt hatte Sie bereits zu einer schriftlichen Mitwirkung aufgefordert. Den gesetzten Termin haben Sie ohne Angabe von Gründen verstreichen lassen.
- 35
Unter Bezugnahme auf Punkt 1 der Bescheidtenorierung (s. Seite 1) bitte ich Sie folgende Frage/n schriftlich und wahrheitsgemäß zu beantworten:
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1. In welcher Weise üben Sie seit der Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes und zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ihren christlichen Glauben aus?
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2. Welche Befürchtungen haben Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan?
- 38
Unter Bezugnahme auf Punkt 1 der Bescheidtenorierung (s. Seite 1) bitte ich Sie folgende Unterlage/n vorzulegen:
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1. Ihre Tazkira im Original,
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2. Bescheinigung(en) über die religiöse Betätigung, z.B. über Aktivitäten im Umfeld Ihrer Kirchengemeinde bzw. eine Taufurkunde.
- 41
[Seite 3]
- 42
In der am 1. Februar 2016 in Bingen durchgeführten Anhörung im Asylverfahren gaben Sie an, Ihre Mutter könne über ihre Tazkira verfügen. Daher bitte ich Sie zu prüfen, ob Ihnen Ihre Tazkira zugänglich ist und sie diese beim Bundesamt vorlegen können.
- 43
2. Rechtsgrundlage für die unter oben 2. genannte Maßnahme sind § 6 Abs. 1, § 9 Abs. 1b), § 11, § 13 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG). Danach kann die Vorlage, Aushändigung und Überlassung von erforderlichen Unterlagen mit den Zwangsmitteln des § 9 VwVG durchgesetzt werden. Nach § 9 Abs. 2 VwVG muss das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen. Dabei ist Zwangsgeld das mildeste Mittel. Zwangsgeld als mildestes Mittel führt nur dann nicht zum Ziel, wenn es bereits erfolglos angewendet worden ist oder wenn bereits vor der Anwendung feststeht, dass es nicht zum Ziel führen kann (Urteil des VG Würzburg vom 16.11.2018, Az: W 3 S 18.32283). Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen ist die Androhung von Zwangsgeld verhältnismäßig.
- 44
Die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 100 Euro berücksichtigt, dass es sich bei dem Ausländer um einen ehemaligen Asylbewerber handelt, der im Regelfall weiterhin staatliche Leistungen bezieht. Deshalb wurde ein Betrag am untersten Ende der möglichen Höhe eines Zwangsgeldes ausgewählt.
- 45
Rechtsgrundlage für den Hinweis auf die Ersatzzwangshaft ist § 16 Abs. 1 S. 1 VwVG.
- 46
Nach § 75 Abs. 1 S. 2 AsylG hat die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs keine aufschiebende Wirkung, so dass die Androhung des Zwangsmittels mit dem Grundverwaltungsakt verbunden werden soll (§ 13 Abs. 2 S. 2 VwVG).“
- 47
Der Kläger hat gegen diesen, ihm am 13. November 2019 zugestellten Bescheid, am 27. November 2019 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus:
- 48
Die Klage habe aufschiebende Wirkung. Aus § 75 Abs. 1 Satz 2 AsylG folge lediglich, dass die Klage keine aufschiebende Wirkung „hinsichtlich des Verwaltungszwangs“ nach § 73 Abs. 3a Satz 3 AsylG habe. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG normiere jedoch ausdrücklich, dass Klagen gegen die Entscheidungen in den Fällen des § 73 AsylG aufschiebende Wirkung hätten. Die Aufforderung zur Mitwirkung finde sich in § 73 Abs. 3a Satz 1 AsylG. Es sei bereits im Gesetzgebungsverfahren darauf hingewiesen worden, dass jedes Mitwirkungsverlangen voraussichtlich in einem Zwischenverfahren mit der Anfechtungs- oder Unterlassungsklage angegriffen werden könne, wodurch das Entziehungsverfahren dann regelmäßig ruhen würde. Solange nicht entschieden sei, ob die Aufforderung zur Mitwirkung rechtmäßig ergangen sei, könne auch kein Verwaltungszwang vollstreckt werden. § 44a VwGO stehe der Klage nicht entgegen.
- 49
Ferner verstoße eine anlasslose Überprüfung von bestandskräftigen Entscheidungen zum internationalen Schutz gegen Unionsrecht. Aus Art. 45 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie, im Folgenden: AsylVerfRL) folge, dass es für die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens neuer Elemente oder Erkenntnisse bedürfe.
- 50
Eine Mitwirkungspflicht sei unionsrechtlich nicht vorgesehen. Die materielle Beweislast für das Vorliegen neuer Umstände weise das Unionsrecht der Beklagten zu. Dies folge ebenfalls aus Art. 45 Abs. 1 Buchst. a AsylVerfRL. Überdies weise auch Art. 14 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: QRL) die Beweislast eindeutig dem Staat zu.
- 51
Weder aus der QRL, noch aus dem AsylG ergäben sich Hinweise auf eine Durchbrechung der in Art. 45 AsylVerfRL und in § 28 VwVfG vorgesehenen Systematik, wonach der von einem Verwaltungsakt betroffenen Person zunächst schriftlich die Gründe mitgeteilt werden müssten, damit sich die Person in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht äußern könne. Auch aus § 73 Abs. 3a AsylG folge nicht anderes. Diese Vorschrift sei im Kontext des gesamten § 73 AsylG zu lesen. Eine Mitwirkung sei hier erst vorgesehen, wenn die Beklagte Umstände dargelegt habe, aus denen sich der Wegfall der Flüchtlingseigenschaft ergäben.
- 52
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt (Schriftsatz d. Beklagten v. 6.5.2021; Schriftsatz d. Klägers v. 21.5.2021).
- 53
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Az. XXX) vom 8. November 2019, zugestellt am 13. November 2019, aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
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Der Kammer haben bei der Entscheidung die Asylakten des Klägers vorgelegen. Auf diese sowie auf die Gerichtsakte wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Die Kammer kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben (§ 102 Abs. 2 VwGO).
II.
- 60
Die Klage ist zulässig (hierzu unter 1.), aber nicht begründet (hierzu unter 2.).
- 61
1. Die Klage, die sich gegen den Bescheid vom 8. November 2019 insgesamt richtet, ist zulässig. Sie ist statthaft als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO. Sowohl die in Punkt 1. enthaltene Aufforderung zu den Mitwirkungshandlungen als auch die in Punkt 2. des Bescheidtenors vorgenommene Androhung des Zwangsgeldes stellen Verwaltungsakte i.S.d. § 35 Satz 1 VwVfG dar (vgl. zu ersterer: VG Berlin, Beschl. v. 7.1.2020, 33 L 528.19 A, juris Rn. 12; VG Hamburg, Beschl. v. 11.10.2019, 10 AE 2406/19, BA S. 3, juris; implizit auch VG Potsdam, Urt. v. 1.12.2020, 12 K 588/19.A, juris Rn. 44; vgl. zu letzterer: BVerwG, GB v. 26.6.1997, 1 A 10/95, juris Rn. 19; Urt. v. 2.12.1988, 4 C 16/85, juris Rn. 10 f.).
- 62
§ 44a VwGO steht der Zulässigkeit der Klage hinsichtlich der Verpflichtung zur Mitwirkungshandlung nicht entgegen. Nach Satz 1 dieser Vorschrift können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies nicht, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen. Die Aufforderung zur Mitwirkung ist zwar eine Verfahrenshandlung i.S.d. Satzes 1. Die Verwaltungsaktsqualität steht dem nicht entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 1.9.2009, 6 C 4/09, juris Rn. 24). Die Aufforderung zur Mitwirkung unterfällt aber der Ausnahme § 44a Satz 2 1. Alt, da sie vollstreckt werden kann. Die Beklagte hat hier auf Grundlage des § 73 Abs. 3a Satz 3 AsylG für den Fall des Unterbleibens der Mitwirkung nach Fristablauf ein Zwangsgeld angedroht. Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 73 Abs. 3a Satz 3 AsylG und der darüber hinaus anwendbaren Vorschriften des VwVG vorliegen, hat sie damit zum Ausdruck gebracht, dass sie von der Vollstreckbarkeit der Aufforderung zu Mitwirkungshandlungen ausgeht, was im Rahmen des § 44a Satz 2 VwGO ausreichend ist (vgl. Stelkens/Schenk, in: Schoch/Schneider, VwGO, 40. EL Februar 2021, Rn. 27).
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2. Die Klage ist nicht begründet. Sowohl die Aufforderung zu den Mitwirkungshandlungen [hierzu unter a)] als auch die Androhung der Zwangsgeldfestsetzung [hierzu unter b)] sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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a) Die unter Punkt 1. des Bescheidtenors verfügte Aufforderung zu den verschiedenen Mitwirkungshandlungen ist rechtmäßig. Sie findet eine taugliche Befugnisnorm in § 73a Abs. 3a Satz 1 und Satz 2 AsylG [hierzu unter aa)]. Sowohl die formellen [hierzu unter bb)], als auch die materiellen [hierzu unter cc)] Anforderungen sind vorliegend erfüllt. Die Anwendung der Befugnisnorm im vorliegenden Fall verstößt auch nicht gegen Unionsrecht [hierzu unter dd)].
- 65
aa) Befugnisnorm für die Aufforderung zu den Mitwirkungshandlungen ist § 73 Abs. 3a Satz 1 und Satz 2 AsylG. Nach Satz 1 der Norm ist der Ausländer nach Aufforderung durch das Bundesamt persönlich zur Mitwirkung bei der Prüfung der Voraussetzungen des Widerrufs oder der Rücknahme der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verpflichtet, soweit dies für die Prüfung erforderlich und dem Ausländer zumutbar ist. Nach Satz 2 der Norm gelten u.a. § 15 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1, 4 bis 7, Abs. 3 sowie § 16 AsylG entsprechend. Die Aufforderung zur schriftlichen Beantwortung der dem Kläger in der Bescheidbegründung gestellten Fragen unterfällt dem Regelbeispiel des nach § 73 Abs. 3a Satz 2 AsylG entsprechend geltenden § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylG. Die Aufforderung zur Vorlage der Tazkira und der Bescheinigungen über die religiöse Betätigung unterfällt dem Regelbeispiel des § 15 Abs. 2 Nr. 5 – im Falle der Tazkira i.V.m. § 15 Abs. 3 Nr. 1 AsylG.
- 66
bb) Die aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht folgenden formellen Anforderungen an die Aufforderung zu den Mitwirkungshandlungen sind gewahrt. Insbesondere ist der Kläger vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids gemäß § 28 Abs. 1 VwVfG angehört worden. Mit Schreiben vom 10. Juli 2019 wurde er auf seine Mitwirkungspflichten im Rahmen des Widerrufsverfahrens hingewiesen und zur Beantwortung von mehreren Fragen, unter anderem zu seiner Religionsausübung sowie zur Vorlage von Belegen hierfür und seiner Tazkira aufgefordert. In dem Schreiben hat die Beklagte ihm eine (nach Akteneinsichtsgesuch durch seine Prozessbevollmächtigten jedenfalls stillschweigend verlängerte) Frist bis zum 12. August 2019 für diese Mitwirkungshandlungen gesetzt und angekündigt, nach Ablauf dieser Frist ein Zwangsgeld anzudrohen. Der Kläger wurde also vor dem streitgegenständlichen Bescheid über seine Mitwirkungspflichten in der von der Beklagten vorgenommenen Konkretisierung unterrichtet und hatte Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen, die er auch mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 8. August 2019 ergriffen hat. Dass ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme in dem Schreiben nicht ausdrücklich eröffnet wurde, es vielmehr bereits als finale Aufforderung formuliert war, ändert hieran nichts. Denn aufgrund des Hinweises der Beklagten, dass (erst) bei Nichtbeantwortung bzw. Nichtvorlage der Unterlagen nach Ablauf der Frist ein Zwangsgeld angedroht werden könne, hatte das Schreiben für den Kläger erkennbar einen Ankündigungscharakter.
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cc) Die materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 73 Abs. 3a Satz 1 AsylG liegen vor. Die Mitwirkungshandlungen, zu denen der Kläger im streitgegenständlichen Bescheid aufgefordert wird, sind erforderlich [hierzu unter (1)] und dem Kläger zumutbar [hierzu unter (2)].
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(1) Die einzelnen Mitwirkungshandlungen sind erforderlich. Für die Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen ist die Mitwirkung eines Betroffenen dann erforderlich, wenn die Mitwirkung geeignet ist, die Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen durchzuführen oder mindestens zu erleichtern und wenn kein einfacheres und besser geeignetes Mittel zur Prüfung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen auf Seiten des Bundesamtes vorhanden ist (VG Potsdam, Urt. v. 1.12.2020, 12 K 588/19.A, juris Rn. 51). Es müssen gewisse objektiv überprüfbare Anhaltspunkte bestehen, dass eine persönliche Mitwirkung zu für die Widerrufsprüfung relevanten Erkenntnissen führen kann (Camerer, in BeckOK MigR, 8. Ed. v. 1.5.2021, § 73 AsylG, Rn. 50; vgl. für eine sehr weite Interpretation: Hailbronner, Ausländerrecht, 108. Aktualisierung 2019, § 73 AsylG, Rn. 120).
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Dies ist vorliegend der Fall. Dem Kläger wurde die Flüchtlingseigenschaft deshalb zuerkannt, weil nach Auffassung der Beklagten aufgrund seines Bekenntnisses zum Christentum begründete Verfolgungsfurcht i.S.d. § 3 AsylG vorlag. Ob ein Bekenntnis des Klägers zum Christentum entfallen ist oder sich signifikant abgeschwächt hat, ist für die Widerrufsvoraussetzung des „Nicht-mehr-Vorliegens“ der Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 73 Abs. 1 AsylG sowie eines Wegfalls der Umstände i.S.d. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e QRL relevant. Angesichts dessen ist sowohl die Beantwortung der zwei Fragen, als auch die Vorlage der hier vom Kläger geforderten Unterlagen geeignet, für diese Frage relevante Erkenntnisse zu erbringen.
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So zielt die Frage nach der derzeitigen Religionsausübung sowie die Vorlage von Bescheinigungen über die religiöse Betätigung ersichtlich darauf ab, über äußere Anhaltspunkte (vgl. für deren Relevanz bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft OVG Münster, Beschl. v. 28.6.2018, 13 A 3261/17.A, juris Rn. 5) Erkenntnisse über die innere Tatsache der religiösen Identität zu erlangen. Auch die Beantwortung der Frage zu den Befürchtungen des Klägers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan kann – auch wenn sie vom Kläger zumindest teilweise eine eigentlich der Beklagten obliegende Lageeinschätzung verlangt – durch die subjektive Formulierung („Welche Befürchtungen haben Sie?“) potentiell relevante Erkenntnisse über die religiöse Identifikation des Klägers liefern. So ist es etwa denkbar, dass ein diesbezüglich ausführlicher Vortrag als ein Anhaltspunkt für eine starke religiöse Identifikation gewertet werden kann. Ebenso relevant für das Überprüfungsverfahren ist die Vorlage der Tazkira, die der Kläger nach den zutreffenden Ausführungen der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylG im Ausgangsverfahren nicht vorgelegt hatte. Sie dient der Bestimmung seiner Staatsangehörigkeit, die eine zentrale Rolle für die Frage der Flüchtlingseigenschaft einnimmt. Flüchtling ist nach § 3 Abs. 1 AsylG ein Ausländer, wenn er sich aus begründeter Verfolgungsfurcht außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Das Herkunftsland ist dabei in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG für nicht staatenlose Ausländer legaldefiniert als das Land, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
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Mildere Mittel als die gemäß Bescheid vom 8. November 2019 verwaltungsaktförmige Aufforderung zur schriftlichen Beantwortung der Fragen und die Vorlage der geforderten Unterlagen sind nicht ersichtlich, um eine vergleichbar aussagekräftige Erkenntnisgrundlage für die Prüfung der Voraussetzung des § 73 Abs. 1 AsylG zu erlangen. Auf die zuvor mit Schreiben vom 10. Juli 2019 angebrachte Bitte zur Mitwirkung hat der Kläger mit Schreiben vom 8. August 2019 zum Ausdruck gebracht, dass er die Fragen nicht beantworten und keine Unterlagen vorlegen werde.
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(2) Ferner sind die von der Beklagten angeordneten Mitwirkungshandlungen dem Kläger zumutbar. Zumutbar sind dem Ausländer Mitwirkungshandlungen dann, wenn sie dem Kläger möglich sind und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist. Dies ist hier der Fall. Dem Kläger ist es ohne Weiteres möglich, die ihm gestellten Fragen schriftlich zu beantworten. Die Vorlage der Belege über die aktuellen kirchlichen Aktivitäten ist von der Beklagten unter den Vorbehalt „soweit vorliegend“ gestellt worden, sodass die Verpflichtung bereits nach dem Wortlaut des Bescheides jedenfalls im Falle der Unmöglichkeit entfällt.
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Einen unverhältnismäßigen Eingriff in seine Grundrechte, hier das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG sowie das Recht auf negative Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 4 WRV stellen sie nicht dar. Dabei ist zu beachten, dass in diese Rechte vorliegend nur mit niedriger Intensität eingegriffen wird. Zum einen sind die Fragen eher objektiver Natur. Sie beziehen sich auf äußere Umstände der Religionsausübung und betreffen daher weniger den Kern- als eher den Randbereich der beiden Grundrechte. Zum anderen kann der Kläger seiner Verpflichtung durch schriftliche Beantwortung der Fragen und durch postalischen Übersendung der geforderten Unterlagen nachkommen und ist nicht zur Teilnahme an einer persönlichen Anhörung in seiner Anwesenheit verpflichtet. Angesichts dieser geringen Eingriffsschwelle stehen die Mitwirkungspflichten nicht außer Verhältnis zum von der Beklagten verfolgten Zweck, die Übereinstimmung von materieller Rechtslage mit verwaltungsaktförmigen Feststellungen zu überprüfen und ggf. wiederherzustellen, zu dem sie nach § 73 Abs. 1 AsylG ohne Ermessensspielraum verpflichtet ist.
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dd) Die Aufforderung zu den Mitwirkungshandlungen verstößt auch nicht gegen Unionsrecht. Dieses steht nicht deshalb entgegen, weil die Aufforderung zur Mitwirkung im Rahmen eines Aufhebungsverfahrens ergangen ist, das anlasslos aufgenommen wurde (hierzu unter (1)). Schließlich verstößt die Aufforderung zu Mitwirkungshandlungen nicht gegen die unionsrechtlich niedergelegte Beweislastverteilung (hierzu unter (2)).
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(1) Die Aufforderung zu Mitwirkungshandlungen verstößt nicht deshalb gegen Unionsrecht, weil der Beklagten zum Zeitpunkt ihres Erlasses keine konkreten Anhaltspunkte für die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen eines Widerrufs oder einer Rücknahme vorlagen. Art. 44 und Art. 45 AsylVerfRL stehen der turnusmäßigen, d.h. abgesehen von einem gewissen Zeitablauf anlasslosen, Einleitung eines Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens gemäß § 73 Abs. 2a AsylG nicht entgegen.
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Nach Art. 44 AsylVerfRL stellen die Mitgliedsstaaten sicher, dass eine Prüfung zur Aberkennung des internationalen Schutzes einer bestimmten Person eingeleitet werden kann, wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage treten, die darauf hindeuten, dass Gründe für eine Überprüfung der Berechtigung des internationalen Schutzes bestehen. Nach Art. 45 Abs. 1 Buchst. a AsylVerfRL sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, in Fällen, in denen die zuständige Behörde in Erwägung zieht, den internationalen Schutz abzuerkennen, den Betroffenen schriftlich davon in Kenntnis zu setzen, dass die zuständige Behörde den Anspruch auf internationalen Schutz überprüft und aus welchen Gründen eine solche Überprüfung stattfindet.
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Ein Verbot der anlasslosen Einleitung eines Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens enthalten diese Vorschriften nicht. Die dahingehende Ansicht des Klägers überzeugt nicht (vgl. aber im Ergebnis diese Ansicht teilend: Oberhäuser, Stellungnahme zum Gesetzesentwurf, BT-Drs 19(4)159 B, S. 5; ähnlich Marx, AsylG, 10. Aufl. 2019, § 73 Rn 110, 112; ebenfalls gegen eine Mitwirkungspflicht im Rahmen einer anlasslosen Überprüfung, jedoch ohne Begründung: Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Auflage 2020, Fn. 724 zu Rn. 548a; Funke-Kaiser, in: GK AsylG, Stand Dezember 2019, Band II, § 73 Rn. 83; vgl. im Ergebnis wie hier aber Thym, Stellungnahme zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes, BT-Drs. 19(4) 159 F, S. 5; Hailbronner, AuslR, 108. Aktualisierung, AsylG, § 73 Rn. 19).
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Vielmehr erschöpft sich der Regelungszweck der Art. 44 und Art. 45 AsylVerfRL darin, die Mitgliedsstaaten zu verpflichten, in ihrem nationalen Verfahrensrecht überhaupt erst Instrumente zu etablieren, die zur Aberkennung des internationalen Schutzes führen können (Art. 44 AsylVerfRL) und innerhalb dieser Verfahren dann gewisse Verfahrensgarantien für die Betroffenen zu etablieren (Art. 45 AsylVerfRL). Die klägerische Ansicht, wonach die Vorschriften auch eine negative Regelungsabsicht dergestalt haben, Aberkennungsverfahren unter gewissen Umständen (Anlasslosigkeit) zu verbieten, findet weder eine Stütze im Wortlaut der Vorschriften, noch entspricht sie dem Regelungsansatz der AsylVerfRL.
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Die Richtlinienbestimmungen enthalten nicht schon selbst eine Vollregelung, die von den mitgliedstaatlichen Behörden angewandt werden könnte. Schon von daher kann Art. 44 VerfRL nicht als konditionales, an die mitgliedstaatlichen Behörden gerichtetes Programm verstanden werden, erst aufgrund gesicherter Erkenntnis ein Verfahren einleiten zu dürfen.
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Art. 44 und 45 AsylVerfRL stellen den typischen Fall von Richtlinienbestimmungen dar, die nach Art. 288 AEUV für jeden Mitgliedsstaat hinsichtlich des zu erreichenden Ziels (hier: Etablierung von verfahrensrechtlichen Instrumenten zur Aberkennung des internationalen Schutzes) verbindlich sind, dem mitgliedstaatlichen Normgeber jedoch die Wahl der Form und Mittel (hier: Ausgestaltung der verfahrensrechtlichen Instrumente) überlässt.
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Im Hinblick auf den Wortlaut kommt die ausschließlich positiv-verpflichtende Absicht klar in der Formulierung des Art. 44 AsylVerfRL zum Ausdruck („Die Mitgliedsstaaten stellen sicher, dass eine Prüfung […] eingeleitet werden kann; in der englischen Fassung.: „Member States shall ensure that an examination […] may commence“). Der zweite Halbsatz des Art. 44 AsylVerfRL („wenn neue Elemente oder Erkenntnisse zutage treten“; in der englischen Fassung: „when new elements or findings arise“) ist nicht als notwendige Bedingung bereits für die initiale Einleitung eines Verfahrens zu verstehen. Ein solches „Ermittlungsverbot“ bedeutete einen tiefgreifenden Eingriff in das Verfahrensrecht der Mitgliedsstaaten, weshalb mindestens eine sprachlich deutlichere und eigenständige, d.h. nicht mit dem Regelungsgehalt des ersten Halbsatzes verknüpfte Regelung zu erwarten gewesen wäre.
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Soweit der Kläger meint, dass die in Art. 45 Abs. 1 Buchst. a AsylVerfRL vorgesehene Verpflichtung zur Mitteilung der Gründe einer Überprüfung des internationalen Schutzes für das Verbot einer anlasslosen Einleitung eines Widerrufs- oder Rücknahmeverfahrens spreche, ist dem ebenfalls nicht zuzustimmen. Die Vorschrift betrifft erst ein späteres Verfahrensstadium, nämlich den Zeitpunkt, in dem bereits in Erwägung gezogen wird, den Status abzuerkennen. Nicht notwendig bereits bei Einleitung des Aberkennungsverfahrens, aber jedenfalls rechtzeitig vor der Entscheidung über die Aberkennung muss der Betroffene zu den von der Behörde erwogenen Gründen angehört werden. Die Norm hindert die Mitgliedsstaaten indessen nicht daran, sich in einem vorherigen Schritt – auch unter Mitwirkung des Betroffenen – eine ausreichende Erkenntnisgrundlage zu beschaffen, um überhaupt in dieses Verfahrensstadium zu gelangen. Der durch Art. 45 Abs. 1 Buchst. a AsylVerfRL verfolgte Schutz der Verfahrensrechte des Betroffenen auf ein transparentes Verfahren und auf rechtliches Gehör ist damit nicht unterlaufen, sondern kann durch die – nach § 28 VwVfG im nationalen Recht ohnehin verankerte – Anhörung des Betroffenen vor einem eventuell ergehenden Widerrufsbescheid ausreichend gewährleistet werden.
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Überdies widerspräche ein Verbot der Einleitung von Aberkennungsverfahren auch gerade dem speziellen Regelungsansatz der AsylVerfRL, wie er in ihren Erwägungsgründen 11, 12 und 13 zum Ausdruck kommt: Die von der AsylVerfRL vorgenommene Angleichung von Verfahrensvorschriften dient letztlich einem materiellen Ziel, nämlich gleiche Bedingungen für die Anwendung der QRL zu schaffen. Ein a priori herrschendes Verbot der Verfahrenseinleitung aus den hier in Rede stehenden rein formalen Gründen widerspräche gerade diesem Regelungsziel. Denn dies kann dazu führen, dass durch eine Bestimmung in der AsylVerfRL ein Zustand aufrechterhalten wird, der im Widerspruch mit Art. 11 QRL steht, der die Voraussetzungen regelt, in denen die Flüchtlingseigenschaft erlischt.
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(2) Auch verstößt die streitgegenständliche Verpflichtung zur Mitwirkung nicht gegen die von der QRL vorgesehene Beweislastverteilung. Nach Art. 14 Abs. 2 QRL weist der Mitgliedsstaat der dem Flüchtling die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 QRL alle maßgeblichen Tatsachen offen zu legen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen, in jedem Einzelfall nach, dass die betreffende Person gemäß Art. 14 Abs. 1 QRL nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist. Art. 14 Abs. 1 QRL verweist auf die in Art. 11 QRL vorgesehenen Erlöschensgründe.
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Art. 14 Abs. 2 QRL weist damit zwar die Beweislast in einem Aberkennungsverfahren den staatlichen Stellen zu, schließt es aber nicht aus, anerkannten Flüchtlingen Mitwirkungspflichten wie die hier streitgegenständlichen aufzuerlegen. Vor dem Hintergrund des Regelungscharakters einer Richtlinie würde dies bereits entscheidend gegen eine Unionsrechtswidrigkeit der Etablierung von Mitwirkungspflichten auf nationaler Ebene sprechen.
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Überdies – und vor allem – enthält die Vorschrift aber auch einen klaren Verweis auf Art. 4 Abs. 1 QRL. Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 1 QRL können es die Mitgliedsstaaten als Pflicht des Antragstellers betrachten, so schnell wie möglich alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte darzulegen. Nach Satz 2 der Norm ist es Pflicht des Mitgliedsstaats, unter Mitwirkung des Antragstellers die für den Antrag maßgeblichen Punkte zu prüfen. Der Verweis war bereits in der Vorgänger-Richtlinie 2004/83/EG enthalten und wurde dort eingefügt, um die Mitwirkungspflichten der Personen mit Flüchtlingsstatus im Aberkennungsverfahren zu unterstreichen (vgl. Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, RL 2011/95/EU, Art. 14, Rn. 9 mit Verweis auf das Dokument des Rates 14642/1/02 REV 1 v. 27.11.2002; vgl. auch Thym, Stellungnahme zum Gesetzentwurf, BT-Drs. 19(4)59 F, S. 6, Fn. 9). Er ist deshalb im Sinne eines Rechtsfolgenverweises zu verstehen, der gesondert für das Aberkennungsverfahren Mitwirkungspflichten konstituiert.
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b) Auch die unter Punkt 2. des streitgegenständlichen Bescheides erfolgte Androhung des Zwangsgeldes in Höhe von 100 Euro ist rechtmäßig. Sie stützt sich auf gesetzliche Befugnisnormen [hierzu unter aa)] und ist sowohl formell [hierzu unter bb)] als auch in Hinsicht auf das Vorliegen der materiellen tatbestandlichen Voraussetzungen [hierzu unter cc)] und auf die gewählte Rechtsfolge [hierzu unter dd)] rechtmäßig.
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aa) Die Androhung beruht auf der Befugnisnorm des § 73 Abs. 3a Satz 3 AsylG. Nach dieser Norm soll das Bundesamt den Ausländer mit Mitteln des Verwaltungszwangs zur Erfüllung seiner Mitwirkungspflichten anhalten. Mit dem Begriff des Verwaltungszwanges ist auf das VwVG verwiesen (Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs 19/4456, S. 11). Die Androhung eines Zwangsgeldes ist dort in §§ 9 Abs. 1 Buchst. b, 11, 13 VwVG vorgesehen.
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bb) Die Androhung ist auch formell rechtmäßig, insbesondere genügt sie noch dem Bestimmtheitsgebot des § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 13 Abs. 5 VwVG. Nach § 13 Abs. 5 VwVG ist der Betrag des Zwangsgeldes in bestimmter Höhe anzudrohen. Dies dient dem Zweck, dem Vollstreckungsschuldner zu erkennen zu geben, für welchen Fall der Nichterfüllung einer Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflicht ihm ein Zwangsgeld in welcher Höhe droht. Dem Bestimmtheitserfordernis ist bei einer Mehrheit von auferlegten Handlungspflichten dann nicht mehr Genüge getan, wenn für den Adressaten nicht erkennbar ist, für welchen Pflichtenverstoß ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht ist (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 17.8.1995, 5 S 71/95, juris Rn. 30).
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Diesen Anforderungen genügt die Androhung der Beklagten noch. Aus der Formulierung „die geforderte/n Unterlage/n“ ist für den Adressaten erkennbar, dass die Zwangsgeldandrohung sich nur auf die Pflicht zur Vorlage der Tazkira und der Bescheinigungen über die religiöse Betätigung bezieht und nicht auch auf die Pflicht zur schriftlichen Beantwortung der beiden Fragen. Denn auch nur bezüglich ersterer Pflicht, die im streitgegenständlichen Bescheid schon redaktionell klar von letzterer Pflicht abgegrenzt ist, wird die Bezeichnung „angeforderte/n Unterlage/n“ verwendet. Auch im allgemeinen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff Unterlagen“ etwas „schriftlich Niedergelegtes, das als Beweis, Beleg, Bestätigung o.Ä. für etwas dient; Dokumente; Urkunden; Akten o.Ä.“ (Duden, https://www.duden.de/rechtschreibung/Unterlage; zuletzt abgerufen am 25.8.2021) und nicht persönlich von einer Privatperson erst noch zu erstellende Schriftstücke.
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cc) Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Androhung eines Zwangsgeldes liegen vor. Im Einzelnen:
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Das Zwangsgeld ist für die hier in Rede stehenden unvertretbaren Handlungen gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 ein taugliches Zwangsmittel. Die Beklagte hat auch eine Frist nach § 13 Abs. 1 Satz 2 VwVG gesetzt.
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Der Grundverwaltungsakt, der den Kläger zur Mitwirkung auffordert (unter Punkt 1. des angefochtenen Bescheids), und dessen Vollstreckung mit Zwangsmittel teilweise angedroht wird (unter Punkt 2. des angefochtenen Bescheids), ist bei Ablauf dieser Frist auch vollstreckbar gewesen. Er ist sofort vollziehbar. Denn die vorliegende Klage hat in vollem Umfang keine aufschiebende Wirkung. Nach § 75 Abs. 1 Satz 2 AsylG hat „die Klage gegen Maßnahmen des Verwaltungszwangs (§ 73 Abs. 3a Satz 3)“ keine aufschiebende Wirkung. Dieser Gesetzestatbestand erfasst auch Grundverwaltungsakte nach § 73 Abs. 3a Satz 1 und Satz 2 AsylG, die Mitwirkungspflichten auferlegen, zu deren Erfüllung nach § 73 Abs. 3a Satz 3 AsylG das Bundesamt den Ausländer „mit Mitteln des Verwaltungszwangs“ anhalten soll. In einem Grundverwaltungsakt auferlegte Mitwirkungspflichten selbst können zwar keine Mittel des Verwaltungszwangs zur Erfüllung der Mitwirkungspflichten sein. Der Begriff der „Mittel des Verwaltungszwangs“ ist daher eng im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsrechts zu verstehen. Demgegenüber ist der Begriff der „Maßnahme des Verwaltungszwangs“ in § 75 Abs. 1 Satz 2 AsylG weiter zu verstehen. Die Gesamtmaßnahme aus Grundverwaltungsakt nach § 73 Abs. 3a Satz 1 und 2 AsylG und „Mittel des Verwaltungszwangs“ nach § 73 Abs. 3a Satz 3 AsylG ist aufgrund Gesetzes sofort vollziehbar. Für eine Anwendung des § 75 Abs. 1 Satz 2 AsylG auch auf zu Mitwirkungshandlungen verpflichtende Grundverwaltungsakte spricht entscheidend der Sinn und Zweck der Norm, Widerrufs- und Rücknahmeverfahren zu beschleunigen. Damit die Norm diese Wirkung zu entfalten vermag, muss sie zur sofortigen Vollziehbarkeit all derjenigen Verwaltungsakte führen, die es braucht, um den Ausländer zur Mitwirkung anzuhalten (im Ergebnis ebenso VG Berlin, Beschl. v. 20.7.2020, 23 L 272/20 A, juris Rn. 4; Beschl. v. 20.11.2019, VG 33 L 467.19 A; VG Hamburg, Beschl. v. 11.10.2019, 10 AE 2406/19, BA. S. 2, juris; zum gesetzgeberischen Zweck sich nicht verhaltend VG Frankfurt/Main, Urt. v. 25.11.2020, 8 K 2666/19.F.A, BA S. 3 f.).
- 94
dd) Ermessensfehler sind nicht ersichtlich. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, von dem nach § 73 Abs. 3a Satz 3 AsylG intendierten Entschließungsermessen im vorliegenden Fall abzuweichen. Auch hinsichtlich der Auswahl des Zwangsgeldes als Zwangsmittel sind keine Ermessensfehler i.S.d. § 9 Abs. 2 VwVG erkennbar. Insbesondere wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Das Zwangsgeld ist für die hier in Rede stehenden unvertretbaren Handlungen im Verhältnis zum unmittelbaren Zwang das mildere Mittel. Die Höhe von 100 Euro bewegt sich am unteren Ende des nach § 11 Abs. 3 VwVG vorgesehenen Rahmens von bis zu 25.000 Euro und ist daher – auch wenn dem Kläger nur ein geringes Einkommen zur Verfügung stünde – angemessen.
III.
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Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83b AsylG. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Satz 1 und 2 ZPO.
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