1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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| | Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Gebäudes für den Betrieb eines ...-Schnellrestaurants. |
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| | Die Klägerin ist Eigentümerin des im Nordwesten des Stadtgebiets der Beklagten gelegenen Grundstücks Flst.-Nr ..., ... (im Folgenden „Vorhabengrundstück“). In einer Entfernung von ca. 110 m nordwestlich des Vorhabengrundstücks befindet sich das Grundstück Flst.-Nr. ..., auf dem die ... einen Betrieb zur Rückgewinnung von Edelmetallen aus diesbezüglichen Abfällen sowie Anlagen zur Metallrückgewinnung – einschließlich einer Galvanik für Edelmetallbäder und einer Halbzeugherstellung – unterhält. Beide Grundstücke befinden sich im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. ... sowie des Bebauungsplans Nr. ... „... ... ...“ (Änderungssatzung) und des (Ergänzungs-)Bebauungsplans Nr. .... |
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| | Die Klägerin beantragte bei der Beklagten am 12.12.2016die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Gebäudes für den Betrieb eines ...-Schnellrestaurants auf dem Vorhabengrundstück. |
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| | Die Beklagte lehnte diesen Antrag nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 27.09.2017 ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass dem beantragten Vorhaben das in Art. 13 der Richtlinie 2012/18 EU (sog. Seveso-III-Richtlinie; im Folgenden: RL 2012/18 EU) geregelte Gebot der Berücksichtigung angemessener Sicherheitsabstände zwischen Störfallbetrieben und schutzwürdigen Nutzungen entgegenstehe. Das Vorabengrundstück befinde sich in einer Entfernung von ca. 110 m zum Betriebsgrundstück der ..., die als Störfallbetrieb unter die RL 2012/18 EU falle. Bei dem geplanten Vorhaben handele es sich um ein öffentliches Gebäude im Sinne der RL 2012/18 EU. Wie sich aus dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten der Firma ... ergebe, betrage der angemessene Abstand – d.h. der Abstand zwischen dem konkreten Betriebsbereich und schutzwürdigen Einrichtungen – 320 m für Chlor und 222 m für Blausäure, wobei sich das Vorhabengrundstück mit einem Abstand von ca. 110 m sowohl innerhalb dieser als auch der Abstandswerte nach Ziffer 3.1 des Leitfadens KAS-18 befinde. In unmittelbarer Nähe des Störfallbetriebs befänden sich mehrere schutzwürdige Objekte. Hierbei handele es sich z.B. um Einzelhandelsbetriebe, Tankstellen und das Restaurant einer Schnellimbisskette. Allein eine solche Vorbelastung könne indes nicht zur Rechtfertigung der ausnahmsweisen Zulassung des geplanten Vorhabens herangezogen werden. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei ein Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreite, nur ausnahmsweise zulässig. Im Rahmen des sog. Regel-Ausnahmeverhältnisses bedürfe es hierfür einer besonderen Rechtfertigung. Bei dem geplanten Vorhaben handele es sich um ein öffentliches Gebäude im Sinne der RL 2012/18 EU. In diesem stünden 69 Sitzplätze für einen überwiegend wechselnden Kundenkreis zur Verfügung, weshalb dieser nicht sinnvoll auf eine Störfallsituation vorbereitet werden könne. Zudem handele es sich vorliegend um eine Gemengelage, in der – bedingt durch die gewachsene Struktur – die gebotenen Abstände in der Vergangenheit nicht eingehalten worden seien. Speziell unter der Betrachtung der Zielvorgabe der RL 2012/18 EU derartige Gemengelagen künftig zu entzerren, könne die Zulassung der beantragten Nutzung in unmittelbarer Nähe des Störfallbetriebes baurechtlich nicht zugelassen werden. Zudem könne es bei Unterschreitung der in dem Gutachten genannten Entfernungen bei Eintritt eines Störfalls zu schwerwiegenden Auswirkungen kommen, die unter Umstände so stark ausfielen, dass die betroffenen Personen nicht mehr selbst in der Lage seien, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Eine eventuell eingeforderte Rücksichtnahme durch den neu hinzukommenden Betrieb könne demgegenüber nicht so weit reichen, dass im Falle der Erteilung der beantragten Genehmigung die Aktivitäten der ... eingeschränkt werden müssten. Denn der Betreiber der Störfallanlage habe wegen der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber der Errichtung einer neuen zusätzlichen Nutzung innerhalb des angemessenen Abstandes einen Abwehranspruch, wenn dieses für den Störfallbetrieb weiterreichende immissionsschutzrechtliche Anforderungen nach sich ziehen würde. Dies könne bei dem derzeitigen Verfahrensstand nicht ausgeschlossen werden bzw. sei wegen der unmittelbaren Nähe des Betriebsgrundstücks und wegen des aus dem Gutachten der Firma ... zu entnehmenden hohen Gefährdungsgrads für Leib und Leben sogar wahrscheinlich. Zwar sei eine Unterschreitung des störfalltechnisch ermittelten angemessenen Abstands möglich, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige Belange für die Zulassung des Vorhabens vorlägen; in Betracht kämen insbesondere soziale, ökologische und wirtschaftliche Belange. Da soziale und ökologische Gesichtspunkte indes augenscheinlich nicht gegeben seien, seien allein die wirtschaftlichen Gründe der Klägerin in die Wertung einzubeziehen. Bei dieser Wertung sei zu berücksichtigen, dass der Bauherr grundsätzlich ein schützenwertes Interesse daran habe, sein Grundeigentum durch Errichtung des Vorhabens sinnvoll zu nutzen. Dieses Interesse wiege umso schwerer, wenn sich die angestrebte Nutzung aufdränge, wie z.B. bei der Erweiterung einer bestehenden baulichen Anlage oder wenn sinnvolle Nutzungsalternativen nicht gegeben seien. Eine Bebauung des Vorhabengrundstücks mit einem Schnellrestaurant sei indes nicht zwingend erforderlich, da eine Nutzung gemäß den Vorgaben des Bebauungsplans für andere gewerbliche Zwecke möglich sei. Im Falle einer solchen Nutzung wäre die Zahl der gefährdeten Personen wesentlich geringer bzw. diese könnten in einem Schadensfall schneller durch die Einsatzkräfte in Sicherheit gebracht werden oder wären in der Lage sich selbst zu retten. Hingegen sei es der ... nicht zuzumuten, ihren Betrieb soweit einzuschränken, dass ein Schnellrestaurant zugelassen werden könne. Denn dies entspreche nicht der Intention des Gesetzgebers und würde das Rücksichtnahmegebot überspannen. Das Hauptinteresse des Betreibers des Störfallbetriebes sei darauf gerichtet, vor der Anordnung weitergehender Schutzmaßnahmen verschont zu bleiben, weshalb eine hinzukommende schutzbedürftige Nutzung nicht dazu führen dürfe, dass es innerhalb des bestehenden Betriebs zusätzlicher Schutzvorkehrungen oder sonstiger Maßnahmen bedürfe. Im Übrigen liege ein Großteil des beantragten Vorhabens außerhalb des in den Bebauungsplänen festgesetzten Baufensters, wobei einer derart massiven Überschreitung der planungsrechtlichen Vorgaben aus städtebaulicher Sicht nicht zugestimmt werden könne. Eine hierfür erforderliche Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB könne daher nicht in Aussicht gestellt werden. |
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| | Die Klägerin legte gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten am 27.10.2017 Widerspruch ein, ohne diesen näher zu begründen. |
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| | Das Regierungspräsidium Karlsruhe wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.2018 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass das Bauvorhaben bereits deshalb gegen Vorschriften des Bauplanungsrechts verstoße, da es nahezu vollständig außerhalb der im geltenden Bebauungsplan festgesetzten Baugrenzen liege und damit dessen Festsetzungen widerspreche. Die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB komme hierbei nicht in Betracht, da durch die Genehmigung des geplanten Vorhabens die Grundzüge der Planung berührt wären. Darüber hinaus scheide eine Genehmigung des Vorhabens auch wegen des sich in mittelbarer Nachbarschaft befindlichen Störfallbetriebes aus. Nach Art. 13 Abs. 1 RL 2012/18/EU seien die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihren Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung oder anderen einschlägigen Politiken das Ziel zu berücksichtigen, schwere Unfälle zu verhüten und ihre Folgen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt zu begrenzen. Hierbei hätten sie gemäß Art 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU dafür Sorge zu tragen, dass zwischen den unter die Richtlinie fallenden Betrieben und öffentlich genutzten Gebäuden ein angemessener Sicherheitsabstand gewahrt bleibe. Das geplante Vorhaben stelle in diesem Sinne ein öffentliches Gebäude dar, da dieses von einem unbegrenzten und wechselnden Personenkreis genutzt bzw. aufgesucht werde. |
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| | Mit dem Europäischen Gerichtshof sei das Gebot der Berücksichtigung angemessener Abstände nicht nur bei der Bauleitplanung, sondern auch bei der Erteilung einer Baugenehmigung zu beachten, sofern diesem Gebot – wie hier – nicht bereits bei der Aufstellung der Bauleitpläne Rechnung getragen worden sei. Im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei dies durch richtlinienkonforme Auslegung des in § 15 Abs. 1 BauNVO positivrechtlich verankerten Gebots der Rücksichtnahme zu bewerkstelligen. Dabei sei zunächst zu ermitteln, welcher Abstand für das beantragte Vorhaben angemessen sei und ob dieses innerhalb des ermittelten Abstandes liege. Dies erfordere eine Abschätzung der Risiken und Schäden sowie aller anderen in jedem Einzelfall relevanten Faktoren, wie etwa die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen könnten. Auf der anderen Seite könnten aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden könnten, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden könnten. |
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| | Das Bauvorhaben befinde sich mit einem Abstand von ca. 110 m innerhalb des in dem vorgelegten Gutachten der Firma ... errechneten angemessenen Abstands von 320 m. Zwar führe allein dieser Umstand nicht automatisch zu einer Ablehnung des Vorhabens. Vielmehr sei die Genehmigungsbehörde in einem solchen Fall verpflichtet, in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob ein Unterschreiten des angemessenen Abstands ausnahmsweise vertretbar sei. Die Rechtsprechung verlange insoweit eine Entscheidung im Wege „nachvollziehender Abwägung“. In diese seien neben den für die Ansiedlung des Vorhabens sprechenden „sozioökonomischen Belangen“ des Bauherrn, die Schutzwürdigkeit des betroffenen Betriebs, die Intensität der Beeinträchtigung, das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar sei, sowie der Schutzzweck der Seveso-III-Richtlinie einzustellen. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sei die Entscheidung der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden. Denn diese habe die Belange der Klägerin, die der ... sowie die an der Einhaltung des störfallspezifisch angemessenen Abstands bestehenden Belange einander gegenübergestellt und zutreffend gegeneinander abgewogen. |
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| | Die Beklagte habe dabei einerseits berücksichtigt, dass der Bauherr grundsätzlich ein schützenswertes Interesse daran habe, sein Grundeigentum nach eigenen Vorstellungen sinnvoll zu nutzen, was umso mehr gelte, je weniger Nutzungsalternativen in Betracht kämen. Zudem sei zu berücksichtigen gewesen, dass sich das Vorhabengrundstück aufgrund seiner guten Verkehrsanbindung innerhalb des Gebiets ... ... und der Nähe zur Autobahn A 8 aus wirtschaftlicher Sicht ganz besonders für die Nutzung mit einem Schnellrestaurant anbiete. Andererseits sei zu Recht darauf verwiesen worden, dass ein Schnellrestaurant nicht die einzige in Betracht kommende Nutzungsmöglichkeit darstelle. Die bereits bestehende Vorbelastung innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands streite in der Abwägung hingegen nicht für die Klägerin, da eine solche nicht zur Rechtfertigung der ausnahmsweisen Zulassung des geplanten Vorhabens herangezogen werden dürfe. Vielmehr sei eine Vorbelastung Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein Wertungsspielraum eröffnet sei. |
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| | Ferner habe die Beklagte die grundsätzliche Möglichkeit gesehen, den Störfallbetrieb soweit einzuschränken, dass ein Schnellrestaurant in der Nähe zugelassen werden könne, diese Möglichkeit im konkreten Fall jedoch mit dem Argument verworfen, dass dies der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufe und die Anforderungen des Rücksichtnahmegebots überspanne. Hierbei sei ergänzend in die Abwägung einzustellen gewesen, dass es im vorliegenden Fall auch nicht nur in geringem Umfang zu einer Risikoerhöhung komme, da der wechselnde Kundenkreis nicht sinnvoll auf einen Störfall vorbereitet werden könne sowie durch eine durchgängig hohe Kundenfrequenz gekennzeichnet sei, die üblicherweise vom Morgen des einen bis hin zum frühen Morgen des nächsten Tages reiche und zum Publikumsverkehr insbesondere auch die besonders schutzbedürftigen Jugendlichen und Familien mit Kindern zählten. Da der Klägerin auf dem Vorhabengrundstück alternative und wirtschaftlich sinnvolle Nutzungen möglich seien, wohingegen es dem bestehenden Störfallbetrieb billigerweise nicht zuzumuten sei, zusätzliche Schutzvorkehrungen zu treffen und das geplante Vorhaben zu einer Risikoerhöhung im Umfeld des Störfallbetriebes führe, habe die Beklagte den Interessen des Betreibers des Störfallbetriebs abwägungsfehlerfrei den Vorrang vor den Interessen der Klägerin einräumen können. Dies gelte umso mehr, als die Unterschreitung des angemessenen Sicherheitsabstands nur ausnahmsweise zulässig sei und es hierfür einer besonderen Rechtfertigung bedürfe, die vorliegend indes nicht gegeben sei. |
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| | Die Klägerin hat am 03.12.2018 Klage bei dem Verwaltungsgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass das Vorhaben vollständig die Vorgaben der hier gegenständlichen Bebauungspläne beachte. Ein Störfallbetrieb im Sinne der RL 2012/18/EU liege nicht vor. Eine Erklärung bzw. Erhebung zum Störfallbetrieb sei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt bekannt gemacht worden. In jedem Fall aber habe die Erhebung zum Störfallbetrieb – die, wenn überhaupt, erst vor wenigen Jahren erfolgt sein könne – das Baurecht der Klägerin weder zu beseitigen noch einzuschränken vermocht. |
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| | die Beklagte unter Aufhebung deren Bescheides vom 27.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 30.10.2018 zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung für die Errichtung eines ...-Restaurants auf dem Grundstück Flst.-Nr. ... (...) zu erteilen. |
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| | Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und trägt sie darüberhinausgehend vor, dass der Betrieb der ... einen Störfallbetrieb im Sinne der RL 2012/18/EU darstelle. Laut dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten würden in dem Betriebsbereich Stoffe gehandhabt, die in der Stoffliste im Anhang I der Störfall-Verordnung (12. BlmSchV) aufgeführt seien. Weshalb die Klägerin hieran zweifle, sei nicht verständlich, zumal sie diese Zweifel nicht näher begründe. Insbesondere habe es keiner förmlichen Erklärung oder Erhebung zum Störfallbetrieb bedurft, die der Klägerin habe bekannt gemacht werden müssen. |
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| | Dem Gericht lagen die den Vorgang betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Widerspruchsakte des Regierungspräsidiums Karlsruhe vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird hierauf sowie auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze verwiesen. |
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| | Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 30.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr am 12.12.2016 beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines Gebäudes für den Betrieb eines ...-Schnellrestaurants auf dem Vorhabengrundstück (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). |
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| | Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da es das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte baunachbarrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt.Denn mit Blick auf den nordwestlich des Vorhabengrundstücks befindlichen Betrieb der ... lässt es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme vermissen. |
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| | Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des beantragten Vorhabens richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. ... „...“ sowie des Bebauungsplans Nr. ... „...“ (Änderungssatzung) und des (Ergänzungs-)Bebauungsplans Nr. ... „...“, da diese – jedenfalls in ihrer Gesamtheit – die gemäß § 30 Abs. 1 BauGB an einen qualifizierten Bebauungsplan zu stellenden Anforderungen erfüllen. Das baunachbarrechtliche Gebot der Rücksichtnahme folgt hierbei aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Danach sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche Nutzungen in rücksichtsvoller Weise zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Zur Rücksichtnahme ist hierbei nicht nur derjenige verpflichtet, der Störungen verursacht, sondern auch derjenige, der ein schutzbedürftiges Vorhaben in der Nachbarschaft einer störenden Anlage errichtet. Nicht nur Vorhaben, von denen unzumutbare Belästigungen oder Störungen ausgehen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BauNVO), sondern auch solche, die sich unzumutbaren Belästigungen oder Störungen aussetzen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO), können gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.5.1998 - 4 B 45.98 -, NJW BRS 60 Nr. 182; Beschl. v. 10.01.2013 - 4 B 48.12 -,BauR 2013, 934; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.03.2014 - 3 S 183/14 -, VBlBW 2015,23; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; ders., Beschl. v. 25.11.2019 - 4 B 544/19 -, juris). |
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| | Geht es um die Beurteilung der Zulässigkeit eines öffentlich genutzten Gebäudes im Umkreis eines in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (Amtsblatt der Europäischen Union v. 24.07.2012, L 197/1 – Seveso-III-Richtlinie) fallenden Störfallbetriebs und ist dem in Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU normierten Erfordernis der Wahrung eines „angemessenen Sicherheitsabstandes“ nicht bereits auf Ebene der Bauleitplanung Rechnung getragen worden, so hat dies im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerten Rücksichtnahmegebots zu geschehen. Zu prüfen ist danach, ob das zur Genehmigung gestellte Vorhaben einen angemessenen Sicherheitsabstand im Sinne des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU einhält und falls dies nicht zutrifft, ob es gleichwohl ausnahmsweise zugelassen werden kann. Ist beides nicht gegeben, erweist sich das Vorhaben als rücksichtslos (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Beschl. v. 28.03.2013 - 4 B 15.12 -, BauR 2013, 1248; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; ders., Beschl. v. 25.11.2019 - 4 B 544/19 -, juris; VG Hannover, Beschl. v. 04.12.2019 - 12 B 1932/19 -, juris). Dies ist hier der Fall. |
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| | Der Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU ist vorliegend eröffnet. |
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| | 1. Bei dem auf dem Grundstück Flst.-Nr. ... befindlichen Betrieb der ... handelt es sich – entgegen der Auffassung der Klägerin – um einen gemäß Art. 2 Abs. 1 RL 2012/18/EU unter die Richtlinie fallenden „Betrieb“ im Sinne des Art. 3 Nr. 1 RL 2012/18/EU. |
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| | Nach Art. 3 Nr. 1 RL 2012/18/EU bezeichnet „Betrieb“ den gesamten unter der Aufsicht eines Betreibers stehenden Bereich, in dem gefährliche Stoffe in einer oder in mehreren Anlagen, einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen oder Tätigkeiten vorhanden sind. Die Betriebe sind entweder Betriebe der unteren Klasse oder Betriebe der oberen Klasse. Ein „Betrieb der unteren Klasse“ bezeichnet nach Art. 3 Nr. 2 RL 2012/18/EU einen Betrieb, in dem gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die den in Anhang I Teil 1 Spalte 2 oder Anhang I Teil 2 Spalte 2 genannten Mengen entsprechen oder darüber, aber unter den in Anhang I Teil 1 Spalte 3 oder Anhang I Teil 2 Spalte 3 genannten Mengen liegen, wobei gegebenenfalls die Additionsregel gemäß Anhang I Anmerkung 4 angewendet wird. Bei einem „Betrieb der oberen Klasse“ handelt es sich nach Art. 3 Nr. 3 RL 2012/18/EU demgegenüber um einen Betrieb, in dem gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die den in Anhang I Teil 1 Spalte 3 oder Anhang I Teil 2 Spalte 3 genannten Mengen entsprechen oder darüber liegen, wobei gegebenenfalls die Additionsregel gemäß Anhang I Anmerkung 4 angewendet wird. Gemäß Art. 3 Nr. 10 RL 2012/18/EU ist ein „gefährlicher Stoff“ ein Stoff oder ein Gemisch, der/das unter Anhang I Teil 1 fällt oder in Anhang I Teil 2 aufgeführt ist, einschließlich in Form eines Rohstoffs, eines Endprodukts, eines Nebenprodukts, eines Rückstands oder eines Zwischenprodukts. Das „Vorhandensein gefährlicher Stoffe“ meint dabei nach Art. 3 Nr. 12 RL 2012/18/EU das tatsächliche oder vorgesehene Vorhandensein gefährlicher Stoffe im Betrieb oder von gefährlichen Stoffen, bei denen vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass sie bei außer Kontrolle geratenen Prozessen, einschließlich Lagerungstätigkeiten, in einer der Anlagen innerhalb des Betriebs anfallen, und zwar in Mengen, die den in Anhang I Teil 1 oder 2 genannten Mengenschwellen entsprechen oder darüber liegen. |
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| | Hieran gemessen handelt es sich bei dem Betrieb der ... um einen „Betrieb der oberen Klasse“ nach Art. 3 Nr. 3 RL 2012/18/EU. Denn ausweislich der sachverständigen Stellungnahme des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.10.2019 sind im Betrieb der ... Gesundheitsgefahren begründende Stoffe der Gefahrenkategorie 1 „H1 AKUT TOXISCH“ in einer Menge von 53,6 t sowie solche der Gefahrenkategorien 2 und 3 „H2 AKUT TOXISCH“ in einer Menge von 200 t tatsächlich vorhanden, sodass die entsprechenden Mengenschwellen der Anlage I der Richtlinie 2012/18/EU – 20 t bzw. 200 t – erreicht bzw. überschritten sind. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte, an deren Richtigkeit dieser Stellungnahme des Regierungspräsidiums Karlsruhe zu zweifeln, zumal es auch die für den Betrieb zuständige Immissionsschutzbehörde ist. Auch die Klägerin hat solche nicht substantiiert aufgezeigt. Zudem ergibt sich nach der auf Betriebe der oberen Klasse anzuwendenden Additionsregel gemäß Ziffer 4 der Anmerkungen zu Anhang I der Richtlinie 2012/18/EU ein größerer Wert als 1, nämlich 3,63 bzw. 3,64, sodass auch insoweit der für einen Betrieb der oberen Klasse maßgebliche Schwellenwert überschritten ist. Dabei machen den Hauptanteil an toxischen Stoffen bzw. Gemischen der ... die Cyanide aus, die nach Ziffer 1 der Anmerkungen zu Anhang I der Richtlinie 2012/18/EU i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 zu den akut toxischen Stoffen bzw. Gemischen zählen (vgl. Nr. 006-006-00-X, 006-006-0-7, 006-007-00-5, 020-002-00-5 und 048-004-00-1 der Tabelle 3.1 der VO (EG) Nr. 1272/2008). |
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| | 2. Das von der Klägerin zur Genehmigung gestellte Vorhaben – ein ...-Schnellrestaurant – stellt auch ein „öffentlich genutztes Gebäude“ im Sinne des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU dar. Denn Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU liegt ein weites Verständnis des Begriffs des öffentlich genutzten Gebäudes zugrunde. Es kommt nicht darauf an, ob das Gebäude einem öffentlichen Zweck dient. Entscheidend ist vielmehr – was bei einem Schnellrestaurant wie dem hiesigen unstreitig der Fall ist –, dass das Gebäude über Publikumsverkehr verfügt, d.h. von einem unbegrenzten und wechselnden Personenkreis genutzt bzw. aufgesucht wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.04.2015 - 3 S 2101/14 -, juris; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Dem in Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU normierten Erfordernis der Wahrung eines „angemessenen Sicherheitsabstandes“ wurde vorliegend auch nicht bereits auf der Ebene der Bauleitplanung Rechnung getragen, so dass dies im Rahmen des nachgelagerten Genehmigungsverfahrens zu erfolgen hatte. Denn der Begründung des Bebauungsplans Nr. ... „...“ vom 17.07.2014 ist zu entnehmen, dass die Beklagte im Rahmen des diesbezüglichen Planungsverfahrens die Problematik „Störfallbetrieb“ zwar durchaus gesehen hatte und sich der Notwendigkeit eines „angemessenen Sicherheitsabstandes“ bewusst gewesen ist. Indes hat sie unter dem Gesichtspunkt planerischer Zurückhaltung davon abgesehen, die hieraus resultierenden Konflikte bereits abschließend auf der Ebene der Bauleitplanung zu lösen, da sie zutreffend davon ausgegangen ist, dass eine sachgerechte Konfliktbewältigung vorliegend auch noch im Rahmen nachfolgender Genehmigungsverfahren erfolgen konnte (Begründung zum [Ergänzungs-]Bebauungsplans Nr. ... „...“ vom 17.07.2014, S. 38 ff.; vgl. zur nachgelagerten Konfliktbewältigung im Rahmen des § 15 BauNVO BVerwG, Urt. v. 12.09.2013 - 4 C 8.12 -, BVerwGE 147, 379). |
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| | Das Vorhaben der Klägerin hält zum Betrieb der ... den angemessenen Sicherheitsabstand im Sinne des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU nicht ein. |
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| | 1. Der Begriff des „angemessen Sicherheitsabstandes“ ist ein zwar unbestimmter aber anhand störfallspezifischer Faktoren technisch fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff. Die behördliche Festlegung des angemessenen Abstands unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Dies hat zur Folge, dass der Genehmigungsbehörde bei der Ausfüllung dieses Rechtsbegriffes ein irgendwie gearteter Beurteilungs- oder Ermessensspielraum nicht zukommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Welcher Abstand „angemessen“ ist, ist weder im Unionsrecht noch im innerstaatlichen Recht geregelt. Dies gilt insbesondere für die Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV) vom 15. März 2017. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der angemessene Abstand im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren festzulegen. Im Falle der Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs sind der Anstieg des Unfallrisikos oder die Verschlimmerung der Unfallfolgen zu bewerten. Das erfordert eine Abschätzung nicht nur der Risiken und Schäden, sondern auch aller anderen in jedem Einzelfall relevanten (störfall-) „spezifischen Faktoren“, die je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete unterschiedlich ausfallen können. Das wird in aller Regel nicht ohne eine Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands möglich sein. Trotz Hinzuziehung dieses Sachverstandes darf aber nicht verkannt werden, dass der Ausdruck „angemessener Abstand“ einen erheblichen Auslegungsspielraum belässt. Es kann keine präzisen, absoluten und objektiven Grenzen der „Gefahrenzone“ um einen Betrieb geben (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Als störfallspezifische Faktoren, die im jeweiligen Einzelfall relevant sein können, sind die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können, zu berücksichtigen. Diese Nennungen sind nur beispielhaft. In Betracht zu ziehen sind ferner vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch einen vorhabenbedingten Anstieg der möglicherweise betroffenen Personen. Andererseits können aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden können, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden können (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Im Hinblick auf sonstige – nicht störfallspezifische – Belange unterliegt der angemessene Abstand demgegenüber keiner Relativierung. Insbesondere haben „sozioökonomische“ Faktoren, die für die Realisierung des heranrückenden Vorhabens sprechen, bei der Festlegung des „angemessenen“ Abstands außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | 2. Vorliegend ist von einem angemessenen Sicherheitsabstand von mindestens 200 m auszugehen. |
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| | Dies ergibt sich zunächst aus der Empfehlung der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz an die Beklagte vom Juli 2013, worin davon ausgegangen wurde, dass im Rahmen der Bauleitplanung ein angemessener Abstand von 200 m zu dem Betrieb der ... einzuhalten sei. Weiterhin kommt auch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten der Firma ... zu dem Ergebnis, dass unter Zugrundelegung des Szenarios „Freisetzung von Blausäure in Folge einer Stoffverwechslung“ der angemessene Abstand 222 m beträgt. Darüber hinaus ist auch der Anlage 2 des Leitfadens der Kommission für Anlagensicherheit „KAS-18“ ein angemessener Abstand zu entnehmen, der für Blausäure bzw. Cyanwasserstoff mindestens 227 m beträgt (vgl. Leitfaden der Kommission für Anlagensicherheit „Empfehlung für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG“ (KAS 18, S. 31). |
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| | 3. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben unterschreitet auch den angemessenen Abstand von mindestens 200 m, da der Abstand zwischen dem Gebäude des geplanten Schnellrestaurants und dem Betriebsgebäude der ... ca. 150 m betragen soll. |
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| | Das Vorhaben durfte vorliegend auch nicht ausnahmsweise innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zugelassen werden. |
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| | 1. Die Tatsache, dass ein öffentlich genutztes Vorhaben den angemessenen Sicherheitsabstand zu einem Störfallbetrieb nicht einhält, führt noch nicht zwangsläufig dazu, dass es rücksichtslos und damit unzulässig ist. Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU verlangt (lediglich) – soweit dies wie hier noch nicht auf der Ebene der Bauleitplanung erfolgt ist –, dass im Genehmigungsverfahren die unter störfallspezifischen Gesichtspunkten angemessenen Abstände bei der Zulassungsentscheidung berücksichtigt werden. Zwar wird mit jedem Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreitet, der störfallrechtlich unerwünschte Zustand in der Regel weiter verfestigt. Gleichwohl zwingt Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU nicht dazu, Neuansiedlungen in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ausnahmslos abzulehnen und das Abstandskriterium damit zum alleinigen Genehmigungskriterium zu machen. Das Abstandskriterium ist grundsätzlich nicht im Sinne eines Verschlechterungsverbots zu verstehen. Eine Unterschreitung des störfallspezifisch ermittelten angemessenen Abstandes ist vielmehr ausnahmsweise zulässig, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige nicht störfallspezifische Belange – insbesondere solche sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Art („sozioökonomische Faktoren“) – für die Zulassung des Vorhabens streiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Von diesem Grundsatz ist allerdings eine Ausnahme zu machen, wenn der angemessene Abstand zwischen schutzbedürftiger Nutzung und Störfallbetrieb erstmals unterschritten wird. Dann ist das Abstandsgebot regelmäßig als Verschlechterungsverbot zu verstehen. Da Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU die zeitliche Vorgabe enthält, dem Erfordernis der Wahrung eines angemessenen Abstands „langfristig“ Rechnung zu tragen, sind dort, wo Abstände bereits eingehalten werden, diese auch zukünftig zu wahren. Eine bereits bestehende Vorbelastung bzw. Gemengelage ist somit Voraussetzung dafür, dass Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU einen Wertungsspielraum eröffnet. Hingegen wird die erstmalige Schaffung einer Gemengelage im Regelfall unzulässig sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Bei der wertenden Entscheidung, ob ein schutzwürdiges Vorhaben innerhalb des angemessenen Abstandes zu einem Störfallbetrieb zugelassen werden kann, ist dem Abstandserfordernis „in spezifischer Weise“ Rechnung zu tragen. Verlangt wird eine die gesetzlichen Vorgaben und Wertungen konkretisierende „nachvollziehende“ Abwägung, die insbesondere der grundlegenden Wertung des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU gebührend Rechnung trägt, dass ein Unterschreiten des angemessenen Sicherheitsabstands nur ausnahmsweise zulässig ist und es hierzu einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Anders als die planerische Abwägung der Gemeinde im Rahmen des Bauleitplanverfahrens geht die „nachvollziehende“ Abwägung im Rahmen der gebundenen Zulassungsentscheidung nicht mit Gestaltungsspielräumen der Baugenehmigungsbehörde einher. Vielmehr handelt es sich um einen Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt, die der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; Otting/Olgemöller, NVwZ 2013, 1396; Uechtritz, NVwZ 2013, 724; sowie grundlegend zur „nachvollziehenden“ Abwägung BVerwG, Urt. v. 19.07.2001 - 4 C 4.00 -, BVerwGE 115, 17). |
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| | Zu berücksichtigen ist ferner, dass der „nachvollziehenden“ Abwägung im Rahmen des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots, die auf einen bipolaren Interessenausgleich ausgerichtet ist, weitaus engere Grenzen gesetzt sind als der planerischen Abwägung im Rahmen eines Bauleitplanverfahrens. Es sind nicht sämtliche denkbaren „sozioökonomischen Faktoren“ zu berücksichtigen, die die Zulassung eines Vorhabens rechtfertigen können. Städtebauliche oder sonstige öffentliche Gründe müssen unberücksichtigt bleiben. Soll ein Vorhaben aus öffentlichen Interessen, insbesondere städtebaulichen Gründen, zugelassen werden, kann dies nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans erfolgen, bei dessen Aufstellung die Anforderungen des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU im Rahmen des Abwägungsgebots planerisch zu bewältigen und vor allem auch zu verantworten sind. Im Rahmen dieser planerischen Entscheidung ist auch zu prüfen, ob Alternativstandorte für das Vorhaben gegeben sind. Bei der nachvollziehenden Abwägung sind deshalb gleichsam (nur) bipolar die für die Ansiedlung des Vorhabens sprechenden „sozioökonomischen“ Belange des Bauherrn dem in der Seveso-III-Richtlinie zum Ausdruck kommenden Interesse gegenüberzustellen, die Folgen eines „schweren Unfalls“ zu begrenzen. Das Material der nachvollziehenden Abwägung im Rahmen des Rücksichtnahmegebots ist folglich regelmäßig beschränkt auf die Interessen des Bauherren bzw. des Eigentümers des Baugrundstücks an einer wirtschaftlichen Ausnutzung des Grundstücks und die Belange, die an der Einhaltung des störfallspezifisch angemessenen Abstandes bestehen, das heißt das Risiko zu begrenzen, das insbesondere für das potentielle Publikum des öffentlich genutzten Gebäudes besteht (vgl. Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; Otting/Olgemöller, NVwZ 2013, 1396; Uechtritz, NVwZ 2013, 724). |
|
| | Dabei wird das „einfache“ Interesse des Bauherrn an einer wirtschaftlich möglichst sinnvollen Nutzung des betreffenden Grundstücks aufgrund der Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU zugrundeliegenden Wertung regelmäßig nicht geeignet sein, die nachvollziehende Abwägung zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen. Anderes kann ausnahmsweise dann der Fall sein, wenn sich die angestrebte Nutzung „aufdrängt“, etwa im Fall der Erweiterung eines bereits bestehenden Betriebs oder wenn alternative wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ausscheiden (vgl. Uechtritz, NVwZ 2013, 724; Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz, Arbeitshilfe - Berücksichtigung des neuen nationalen Störfallrechts zur Umsetzung des Art. 13 Seveso-III-Richtlinie im baurechtlichen Genehmigungsverfahren in der Umgebung von Störfallbetrieben, April 2018, S. 12). |
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| | a) Gegen die Genehmigung des in Rede stehenden Vorhabens spricht das in Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse, die Folgen eines „schweren Unfalls“ zu begrenzen, weshalb der angemessene Sicherheitsabstand von öffentlich genutzten Gebäuden regelmäßig frei bleiben soll. Dieses Interesse wiegt vorliegend umso schwerer, als das geplante Schnellrestaurant in einer Entfernung von lediglich rund 150 m zu dem Betriebsgebäude der ... errichtet werden soll und es den angemessenen Sicherheitsabstand damit deutlich unterschreitet. Hierbei handelt es sich auch nicht um einen bloßen – von der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz in ihrer Arbeitshilfe dargestellten – „Bagatellfall“, der nur in geringem Umfang zu einer Risikoerhöhung führt. Insbesondere geht es nicht allein um die Ansiedlung eines kleineren öffentlich genutzten Gebäudes mit begrenztem Publikumsverkehr (vgl. Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz, Arbeitshilfe - Berücksichtigung des neuen nationalen Störfallrechts zur Umsetzung des Art. 13 Seveso-III-Richtlinie im baurechtlichen Genehmigungsverfahren in der Umgebung von Störfallbetrieben, April 2018, S. 13). Denn wie den dem Bauantrag beigefügten Unterlagen und Zeichnungen zu entnehmen ist, soll das geplante Schnellrestaurant neben den stets anwesenden bis zu 11 Beschäftigten (vgl. S. 25 d. A.) nicht nur über Sitzmöglichkeiten für – soweit ersichtlich – mindestens 76 Personen (vgl. S. 11 d.A.) sowie über einen von mehreren Pkw gleichzeitig nutzbaren Drive-In-Bereich verfügen. Vielmehr wird ein Schnellrestaurant wie das Vorliegende auch typischerweise zusätzlich von solchen Gästen aufgesucht, die dieses allein zum Zwecke des Erwerbs von Speisen und Getränken betreten, ohne dort einen Sitzplatz einnehmen zu wollen. Vor diesem Hintergrund aber ist es keineswegs ausgeschlossen, sondern angesichts des attraktiven Standorts durchaus wahrscheinlich, dass sich auf dem Vorhabengrundstück zu Stoßzeiten mehr als 100 Personen aufhalten werden, sodass von den Folgen eines schweren Unfalls auf dem Nachbargrundstück eine nicht nur unerhebliche Anzahl zusätzlicher Personen betroffen wäre. Weiterhin kommt risikoerhöhend hinzu, dass Schnellrestaurants durch besonders lange Öffnungszeiten – hier: täglich von 9.00 Uhr bis 01.00 Uhr – gekennzeichnet sind, weshalb eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle eines schweren Unfalls Gäste in dem Restaurant der Klägerin anwesend wären. Und schließlich wird es sich bei diesen Gästen nicht nur häufig um minderjährige Personen – insbesondere Familien mit kleinen Kindern handeln, sondern – insbesondere aufgrund der Autobahnnähe – vielfach auch um ortsfremde Laufkundschaft, die weder mit der Örtlichkeit hinreichend vertraut ist, noch durch Schulungen auf einen etwaigen Störfall vorbereitet werden kann. |
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| | b) Zugunsten der Klägerin streitet demgegenüber allein ihr wirtschaftliches Interesse an einer möglichst profitablen Nutzung des Vorhabengrundstücks, dem angesichts der durch das Vorhaben eintretenden wesentlichen Risikoerhöhung indes keine das Interesse an der Einhaltung des angemessenen Sicherheitsabstands überwiegende Bedeutung beigemessen werden kann. Denn besondere Umstände des Einzelfalls, die ein ausnahmsweises Unterschreiten dieses Sicherheitsabstandes rechtfertigen könnte hat die Klägerin weder vorgetragen, noch sind solche für das Gericht ersichtlich. Insbesondere drängt sich die von der Klägerin beabsichtigte Nutzung vorliegend nicht etwa deshalb auf, weil für sie eine vergleichbar profitable Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich des Vorhabengrundstücks nicht besteht. Soweit insoweit geltend macht wird, dass der Bebauungsplan Nr. ... das Vorhabengrundstück mit einem Einzelhandelsausschluss belege, ist dies zwar zutreffend, da sich das Vorhabengrundstück nach den zeichnerischen Festsetzungen dieses Bebauungsplans in der rot umrandeten „Zone 2“ befindet, in der nach § 2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Einzelhandelsbetriebe ausgeschlossen sind. Indes ändert dies nichts daran, dass für das Vorhabengrundstück – auch in Ansehung seiner Größe – nach wie vor eine Vielzahl von anderweitigen Nutzungsmöglichkeiten insbesondere in Form nicht öffentlich genutzter Gewerbebetriebe besteht. Dass diese Nutzungen genauso oder auch nur vergleichbar profitabel wie die beantragte Nutzung zu sein hätten, ist indes ein Rechtssatz, der der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht entnommen werden kann. |
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| | Von der Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten wird abgesehen (§ 167 Abs. 2 VwGO). |
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| | Der Streitwert wird in Abänderung des vorläufigen Streitwertbeschlusses vom 10.12.2018 auf 71.331,00 EUR festgesetzt. |
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| | Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an die Ziffer 9.1.2.1 und 9.1.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18.07.2013. Dabei geht die Kammer vorliegend von einem Wert von 300,00 EUR pro m2 aus, der mit der Nutzfläche des geplanten Schnellrestaurants – ohne Nebenräume – von 137,71 m2 (112,71 m2 [Gastraum] + 125,00 m2 [Terrasse]) zu multiplizieren war. |
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| | Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 30.10.2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr am 12.12.2016 beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines Gebäudes für den Betrieb eines ...-Schnellrestaurants auf dem Vorhabengrundstück (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). |
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| | Gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 LBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem genehmigungspflichtigen Vorhaben keine von der Baurechtsbehörde zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da es das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte baunachbarrechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt.Denn mit Blick auf den nordwestlich des Vorhabengrundstücks befindlichen Betrieb der ... lässt es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme vermissen. |
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| | Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des beantragten Vorhabens richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. ... „...“ sowie des Bebauungsplans Nr. ... „...“ (Änderungssatzung) und des (Ergänzungs-)Bebauungsplans Nr. ... „...“, da diese – jedenfalls in ihrer Gesamtheit – die gemäß § 30 Abs. 1 BauGB an einen qualifizierten Bebauungsplan zu stellenden Anforderungen erfüllen. Das baunachbarrechtliche Gebot der Rücksichtnahme folgt hierbei aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Danach sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden. Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche Nutzungen in rücksichtsvoller Weise zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich aus dem Gebot der Rücksichtnahme ergeben, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, namentlich davon, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Zur Rücksichtnahme ist hierbei nicht nur derjenige verpflichtet, der Störungen verursacht, sondern auch derjenige, der ein schutzbedürftiges Vorhaben in der Nachbarschaft einer störenden Anlage errichtet. Nicht nur Vorhaben, von denen unzumutbare Belästigungen oder Störungen ausgehen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BauNVO), sondern auch solche, die sich unzumutbaren Belästigungen oder Störungen aussetzen (§ 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO), können gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.5.1998 - 4 B 45.98 -, NJW BRS 60 Nr. 182; Beschl. v. 10.01.2013 - 4 B 48.12 -,BauR 2013, 934; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 25.03.2014 - 3 S 183/14 -, VBlBW 2015,23; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; ders., Beschl. v. 25.11.2019 - 4 B 544/19 -, juris). |
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| | Geht es um die Beurteilung der Zulässigkeit eines öffentlich genutzten Gebäudes im Umkreis eines in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (Amtsblatt der Europäischen Union v. 24.07.2012, L 197/1 – Seveso-III-Richtlinie) fallenden Störfallbetriebs und ist dem in Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU normierten Erfordernis der Wahrung eines „angemessenen Sicherheitsabstandes“ nicht bereits auf Ebene der Bauleitplanung Rechnung getragen worden, so hat dies im Rahmen des Genehmigungsverfahrens durch eine richtlinienkonforme Handhabung des in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerten Rücksichtnahmegebots zu geschehen. Zu prüfen ist danach, ob das zur Genehmigung gestellte Vorhaben einen angemessenen Sicherheitsabstand im Sinne des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU einhält und falls dies nicht zutrifft, ob es gleichwohl ausnahmsweise zugelassen werden kann. Ist beides nicht gegeben, erweist sich das Vorhaben als rücksichtslos (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Beschl. v. 28.03.2013 - 4 B 15.12 -, BauR 2013, 1248; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; ders., Beschl. v. 25.11.2019 - 4 B 544/19 -, juris; VG Hannover, Beschl. v. 04.12.2019 - 12 B 1932/19 -, juris). Dies ist hier der Fall. |
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| | Der Anwendungsbereich des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU ist vorliegend eröffnet. |
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| | 1. Bei dem auf dem Grundstück Flst.-Nr. ... befindlichen Betrieb der ... handelt es sich – entgegen der Auffassung der Klägerin – um einen gemäß Art. 2 Abs. 1 RL 2012/18/EU unter die Richtlinie fallenden „Betrieb“ im Sinne des Art. 3 Nr. 1 RL 2012/18/EU. |
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| | Nach Art. 3 Nr. 1 RL 2012/18/EU bezeichnet „Betrieb“ den gesamten unter der Aufsicht eines Betreibers stehenden Bereich, in dem gefährliche Stoffe in einer oder in mehreren Anlagen, einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen oder Tätigkeiten vorhanden sind. Die Betriebe sind entweder Betriebe der unteren Klasse oder Betriebe der oberen Klasse. Ein „Betrieb der unteren Klasse“ bezeichnet nach Art. 3 Nr. 2 RL 2012/18/EU einen Betrieb, in dem gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die den in Anhang I Teil 1 Spalte 2 oder Anhang I Teil 2 Spalte 2 genannten Mengen entsprechen oder darüber, aber unter den in Anhang I Teil 1 Spalte 3 oder Anhang I Teil 2 Spalte 3 genannten Mengen liegen, wobei gegebenenfalls die Additionsregel gemäß Anhang I Anmerkung 4 angewendet wird. Bei einem „Betrieb der oberen Klasse“ handelt es sich nach Art. 3 Nr. 3 RL 2012/18/EU demgegenüber um einen Betrieb, in dem gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die den in Anhang I Teil 1 Spalte 3 oder Anhang I Teil 2 Spalte 3 genannten Mengen entsprechen oder darüber liegen, wobei gegebenenfalls die Additionsregel gemäß Anhang I Anmerkung 4 angewendet wird. Gemäß Art. 3 Nr. 10 RL 2012/18/EU ist ein „gefährlicher Stoff“ ein Stoff oder ein Gemisch, der/das unter Anhang I Teil 1 fällt oder in Anhang I Teil 2 aufgeführt ist, einschließlich in Form eines Rohstoffs, eines Endprodukts, eines Nebenprodukts, eines Rückstands oder eines Zwischenprodukts. Das „Vorhandensein gefährlicher Stoffe“ meint dabei nach Art. 3 Nr. 12 RL 2012/18/EU das tatsächliche oder vorgesehene Vorhandensein gefährlicher Stoffe im Betrieb oder von gefährlichen Stoffen, bei denen vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass sie bei außer Kontrolle geratenen Prozessen, einschließlich Lagerungstätigkeiten, in einer der Anlagen innerhalb des Betriebs anfallen, und zwar in Mengen, die den in Anhang I Teil 1 oder 2 genannten Mengenschwellen entsprechen oder darüber liegen. |
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| | Hieran gemessen handelt es sich bei dem Betrieb der ... um einen „Betrieb der oberen Klasse“ nach Art. 3 Nr. 3 RL 2012/18/EU. Denn ausweislich der sachverständigen Stellungnahme des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 17.10.2019 sind im Betrieb der ... Gesundheitsgefahren begründende Stoffe der Gefahrenkategorie 1 „H1 AKUT TOXISCH“ in einer Menge von 53,6 t sowie solche der Gefahrenkategorien 2 und 3 „H2 AKUT TOXISCH“ in einer Menge von 200 t tatsächlich vorhanden, sodass die entsprechenden Mengenschwellen der Anlage I der Richtlinie 2012/18/EU – 20 t bzw. 200 t – erreicht bzw. überschritten sind. Das Gericht hat keine Anhaltspunkte, an deren Richtigkeit dieser Stellungnahme des Regierungspräsidiums Karlsruhe zu zweifeln, zumal es auch die für den Betrieb zuständige Immissionsschutzbehörde ist. Auch die Klägerin hat solche nicht substantiiert aufgezeigt. Zudem ergibt sich nach der auf Betriebe der oberen Klasse anzuwendenden Additionsregel gemäß Ziffer 4 der Anmerkungen zu Anhang I der Richtlinie 2012/18/EU ein größerer Wert als 1, nämlich 3,63 bzw. 3,64, sodass auch insoweit der für einen Betrieb der oberen Klasse maßgebliche Schwellenwert überschritten ist. Dabei machen den Hauptanteil an toxischen Stoffen bzw. Gemischen der ... die Cyanide aus, die nach Ziffer 1 der Anmerkungen zu Anhang I der Richtlinie 2012/18/EU i.V.m. der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 zu den akut toxischen Stoffen bzw. Gemischen zählen (vgl. Nr. 006-006-00-X, 006-006-0-7, 006-007-00-5, 020-002-00-5 und 048-004-00-1 der Tabelle 3.1 der VO (EG) Nr. 1272/2008). |
|
| | 2. Das von der Klägerin zur Genehmigung gestellte Vorhaben – ein ...-Schnellrestaurant – stellt auch ein „öffentlich genutztes Gebäude“ im Sinne des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU dar. Denn Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU liegt ein weites Verständnis des Begriffs des öffentlich genutzten Gebäudes zugrunde. Es kommt nicht darauf an, ob das Gebäude einem öffentlichen Zweck dient. Entscheidend ist vielmehr – was bei einem Schnellrestaurant wie dem hiesigen unstreitig der Fall ist –, dass das Gebäude über Publikumsverkehr verfügt, d.h. von einem unbegrenzten und wechselnden Personenkreis genutzt bzw. aufgesucht wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 29.04.2015 - 3 S 2101/14 -, juris; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
|
| | Dem in Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU normierten Erfordernis der Wahrung eines „angemessenen Sicherheitsabstandes“ wurde vorliegend auch nicht bereits auf der Ebene der Bauleitplanung Rechnung getragen, so dass dies im Rahmen des nachgelagerten Genehmigungsverfahrens zu erfolgen hatte. Denn der Begründung des Bebauungsplans Nr. ... „...“ vom 17.07.2014 ist zu entnehmen, dass die Beklagte im Rahmen des diesbezüglichen Planungsverfahrens die Problematik „Störfallbetrieb“ zwar durchaus gesehen hatte und sich der Notwendigkeit eines „angemessenen Sicherheitsabstandes“ bewusst gewesen ist. Indes hat sie unter dem Gesichtspunkt planerischer Zurückhaltung davon abgesehen, die hieraus resultierenden Konflikte bereits abschließend auf der Ebene der Bauleitplanung zu lösen, da sie zutreffend davon ausgegangen ist, dass eine sachgerechte Konfliktbewältigung vorliegend auch noch im Rahmen nachfolgender Genehmigungsverfahren erfolgen konnte (Begründung zum [Ergänzungs-]Bebauungsplans Nr. ... „...“ vom 17.07.2014, S. 38 ff.; vgl. zur nachgelagerten Konfliktbewältigung im Rahmen des § 15 BauNVO BVerwG, Urt. v. 12.09.2013 - 4 C 8.12 -, BVerwGE 147, 379). |
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| | Das Vorhaben der Klägerin hält zum Betrieb der ... den angemessenen Sicherheitsabstand im Sinne des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU nicht ein. |
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| | 1. Der Begriff des „angemessen Sicherheitsabstandes“ ist ein zwar unbestimmter aber anhand störfallspezifischer Faktoren technisch fachlich bestimmbarer Rechtsbegriff. Die behördliche Festlegung des angemessenen Abstands unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfung. Dies hat zur Folge, dass der Genehmigungsbehörde bei der Ausfüllung dieses Rechtsbegriffes ein irgendwie gearteter Beurteilungs- oder Ermessensspielraum nicht zukommt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
|
| | Welcher Abstand „angemessen“ ist, ist weder im Unionsrecht noch im innerstaatlichen Recht geregelt. Dies gilt insbesondere für die Zwölfte Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Störfall-Verordnung - 12. BImSchV) vom 15. März 2017. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der angemessene Abstand im jeweiligen Einzelfall anhand aller relevanten störfallspezifischen Faktoren festzulegen. Im Falle der Ansiedlung eines öffentlich genutzten Gebäudes in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs sind der Anstieg des Unfallrisikos oder die Verschlimmerung der Unfallfolgen zu bewerten. Das erfordert eine Abschätzung nicht nur der Risiken und Schäden, sondern auch aller anderen in jedem Einzelfall relevanten (störfall-) „spezifischen Faktoren“, die je nach den besonderen Gegebenheiten der Gebiete unterschiedlich ausfallen können. Das wird in aller Regel nicht ohne eine Heranziehung technisch-fachlichen Sachverstands möglich sein. Trotz Hinzuziehung dieses Sachverstandes darf aber nicht verkannt werden, dass der Ausdruck „angemessener Abstand“ einen erheblichen Auslegungsspielraum belässt. Es kann keine präzisen, absoluten und objektiven Grenzen der „Gefahrenzone“ um einen Betrieb geben (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
|
| | Als störfallspezifische Faktoren, die im jeweiligen Einzelfall relevant sein können, sind die Art der jeweiligen gefährlichen Stoffe, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren Unfalls, die Folgen eines etwaigen Unfalls für die menschliche Gesundheit und die Umwelt, die Art der Tätigkeit der neuen Ansiedlung, die Intensität ihrer öffentlichen Nutzung sowie die Leichtigkeit, mit der Notfallkräfte bei einem Unfall eingreifen können, zu berücksichtigen. Diese Nennungen sind nur beispielhaft. In Betracht zu ziehen sind ferner vorhabenbedingte Veränderungen, etwa die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch einen vorhabenbedingten Anstieg der möglicherweise betroffenen Personen. Andererseits können aber auch technische Maßnahmen zur Verminderung des Unfallrisikos oder zur weiteren Begrenzung möglicher Unfallfolgen zu berücksichtigen sein, sei es im Betriebsbereich, soweit diese dem Betreiber des Störfallbetriebs auferlegt werden können, sei es außerhalb des Betriebsbereichs, wie etwa Nutzungseinschränkungen oder besondere bauliche Anforderungen an das an den Störfallbetrieb heranrückende Vorhaben, sofern über diese Maßnahmen mögliche Schadensfolgen und damit auch die Angemessenheit des Abstands beeinflusst werden können (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Im Hinblick auf sonstige – nicht störfallspezifische – Belange unterliegt der angemessene Abstand demgegenüber keiner Relativierung. Insbesondere haben „sozioökonomische“ Faktoren, die für die Realisierung des heranrückenden Vorhabens sprechen, bei der Festlegung des „angemessenen“ Abstands außer Betracht zu bleiben (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | 2. Vorliegend ist von einem angemessenen Sicherheitsabstand von mindestens 200 m auszugehen. |
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| | Dies ergibt sich zunächst aus der Empfehlung der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz an die Beklagte vom Juli 2013, worin davon ausgegangen wurde, dass im Rahmen der Bauleitplanung ein angemessener Abstand von 200 m zu dem Betrieb der ... einzuhalten sei. Weiterhin kommt auch das von der Klägerin vorgelegte Gutachten der Firma ... zu dem Ergebnis, dass unter Zugrundelegung des Szenarios „Freisetzung von Blausäure in Folge einer Stoffverwechslung“ der angemessene Abstand 222 m beträgt. Darüber hinaus ist auch der Anlage 2 des Leitfadens der Kommission für Anlagensicherheit „KAS-18“ ein angemessener Abstand zu entnehmen, der für Blausäure bzw. Cyanwasserstoff mindestens 227 m beträgt (vgl. Leitfaden der Kommission für Anlagensicherheit „Empfehlung für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG“ (KAS 18, S. 31). |
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| | 3. Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben unterschreitet auch den angemessenen Abstand von mindestens 200 m, da der Abstand zwischen dem Gebäude des geplanten Schnellrestaurants und dem Betriebsgebäude der ... ca. 150 m betragen soll. |
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| | Das Vorhaben durfte vorliegend auch nicht ausnahmsweise innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zugelassen werden. |
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| | 1. Die Tatsache, dass ein öffentlich genutztes Vorhaben den angemessenen Sicherheitsabstand zu einem Störfallbetrieb nicht einhält, führt noch nicht zwangsläufig dazu, dass es rücksichtslos und damit unzulässig ist. Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU verlangt (lediglich) – soweit dies wie hier noch nicht auf der Ebene der Bauleitplanung erfolgt ist –, dass im Genehmigungsverfahren die unter störfallspezifischen Gesichtspunkten angemessenen Abstände bei der Zulassungsentscheidung berücksichtigt werden. Zwar wird mit jedem Vorhaben, das den angemessenen Abstand unterschreitet, der störfallrechtlich unerwünschte Zustand in der Regel weiter verfestigt. Gleichwohl zwingt Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU nicht dazu, Neuansiedlungen in der Nachbarschaft eines Störfallbetriebs ausnahmslos abzulehnen und das Abstandskriterium damit zum alleinigen Genehmigungskriterium zu machen. Das Abstandskriterium ist grundsätzlich nicht im Sinne eines Verschlechterungsverbots zu verstehen. Eine Unterschreitung des störfallspezifisch ermittelten angemessenen Abstandes ist vielmehr ausnahmsweise zulässig, wenn im Einzelfall hinreichend gewichtige nicht störfallspezifische Belange – insbesondere solche sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Art („sozioökonomische Faktoren“) – für die Zulassung des Vorhabens streiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Von diesem Grundsatz ist allerdings eine Ausnahme zu machen, wenn der angemessene Abstand zwischen schutzbedürftiger Nutzung und Störfallbetrieb erstmals unterschritten wird. Dann ist das Abstandsgebot regelmäßig als Verschlechterungsverbot zu verstehen. Da Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU die zeitliche Vorgabe enthält, dem Erfordernis der Wahrung eines angemessenen Abstands „langfristig“ Rechnung zu tragen, sind dort, wo Abstände bereits eingehalten werden, diese auch zukünftig zu wahren. Eine bereits bestehende Vorbelastung bzw. Gemengelage ist somit Voraussetzung dafür, dass Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU einen Wertungsspielraum eröffnet. Hingegen wird die erstmalige Schaffung einer Gemengelage im Regelfall unzulässig sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485). |
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| | Bei der wertenden Entscheidung, ob ein schutzwürdiges Vorhaben innerhalb des angemessenen Abstandes zu einem Störfallbetrieb zugelassen werden kann, ist dem Abstandserfordernis „in spezifischer Weise“ Rechnung zu tragen. Verlangt wird eine die gesetzlichen Vorgaben und Wertungen konkretisierende „nachvollziehende“ Abwägung, die insbesondere der grundlegenden Wertung des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU gebührend Rechnung trägt, dass ein Unterschreiten des angemessenen Sicherheitsabstands nur ausnahmsweise zulässig ist und es hierzu einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Anders als die planerische Abwägung der Gemeinde im Rahmen des Bauleitplanverfahrens geht die „nachvollziehende“ Abwägung im Rahmen der gebundenen Zulassungsentscheidung nicht mit Gestaltungsspielräumen der Baugenehmigungsbehörde einher. Vielmehr handelt es sich um einen Vorgang der Rechtsanwendung, der eine auf den Einzelfall ausgerichtete Gewichtsbestimmung verlangt, die der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.12.2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290; Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; Otting/Olgemöller, NVwZ 2013, 1396; Uechtritz, NVwZ 2013, 724; sowie grundlegend zur „nachvollziehenden“ Abwägung BVerwG, Urt. v. 19.07.2001 - 4 C 4.00 -, BVerwGE 115, 17). |
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| | Zu berücksichtigen ist ferner, dass der „nachvollziehenden“ Abwägung im Rahmen des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots, die auf einen bipolaren Interessenausgleich ausgerichtet ist, weitaus engere Grenzen gesetzt sind als der planerischen Abwägung im Rahmen eines Bauleitplanverfahrens. Es sind nicht sämtliche denkbaren „sozioökonomischen Faktoren“ zu berücksichtigen, die die Zulassung eines Vorhabens rechtfertigen können. Städtebauliche oder sonstige öffentliche Gründe müssen unberücksichtigt bleiben. Soll ein Vorhaben aus öffentlichen Interessen, insbesondere städtebaulichen Gründen, zugelassen werden, kann dies nur auf der Grundlage eines Bebauungsplans erfolgen, bei dessen Aufstellung die Anforderungen des Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU im Rahmen des Abwägungsgebots planerisch zu bewältigen und vor allem auch zu verantworten sind. Im Rahmen dieser planerischen Entscheidung ist auch zu prüfen, ob Alternativstandorte für das Vorhaben gegeben sind. Bei der nachvollziehenden Abwägung sind deshalb gleichsam (nur) bipolar die für die Ansiedlung des Vorhabens sprechenden „sozioökonomischen“ Belange des Bauherrn dem in der Seveso-III-Richtlinie zum Ausdruck kommenden Interesse gegenüberzustellen, die Folgen eines „schweren Unfalls“ zu begrenzen. Das Material der nachvollziehenden Abwägung im Rahmen des Rücksichtnahmegebots ist folglich regelmäßig beschränkt auf die Interessen des Bauherren bzw. des Eigentümers des Baugrundstücks an einer wirtschaftlichen Ausnutzung des Grundstücks und die Belange, die an der Einhaltung des störfallspezifisch angemessenen Abstandes bestehen, das heißt das Risiko zu begrenzen, das insbesondere für das potentielle Publikum des öffentlich genutzten Gebäudes besteht (vgl. Hessischer VGH, Urt. v. 11.03.2015 - 4 A 654/13 -, ZUR 2015, 485; Otting/Olgemöller, NVwZ 2013, 1396; Uechtritz, NVwZ 2013, 724). |
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| | Dabei wird das „einfache“ Interesse des Bauherrn an einer wirtschaftlich möglichst sinnvollen Nutzung des betreffenden Grundstücks aufgrund der Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU zugrundeliegenden Wertung regelmäßig nicht geeignet sein, die nachvollziehende Abwägung zu seinen Gunsten ausfallen zu lassen. Anderes kann ausnahmsweise dann der Fall sein, wenn sich die angestrebte Nutzung „aufdrängt“, etwa im Fall der Erweiterung eines bereits bestehenden Betriebs oder wenn alternative wirtschaftlich sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ausscheiden (vgl. Uechtritz, NVwZ 2013, 724; Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz, Arbeitshilfe - Berücksichtigung des neuen nationalen Störfallrechts zur Umsetzung des Art. 13 Seveso-III-Richtlinie im baurechtlichen Genehmigungsverfahren in der Umgebung von Störfallbetrieben, April 2018, S. 12). |
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| | a) Gegen die Genehmigung des in Rede stehenden Vorhabens spricht das in Art. 13 Abs. 2 a) RL 2012/18/EU zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse, die Folgen eines „schweren Unfalls“ zu begrenzen, weshalb der angemessene Sicherheitsabstand von öffentlich genutzten Gebäuden regelmäßig frei bleiben soll. Dieses Interesse wiegt vorliegend umso schwerer, als das geplante Schnellrestaurant in einer Entfernung von lediglich rund 150 m zu dem Betriebsgebäude der ... errichtet werden soll und es den angemessenen Sicherheitsabstand damit deutlich unterschreitet. Hierbei handelt es sich auch nicht um einen bloßen – von der Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz in ihrer Arbeitshilfe dargestellten – „Bagatellfall“, der nur in geringem Umfang zu einer Risikoerhöhung führt. Insbesondere geht es nicht allein um die Ansiedlung eines kleineren öffentlich genutzten Gebäudes mit begrenztem Publikumsverkehr (vgl. Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz, Arbeitshilfe - Berücksichtigung des neuen nationalen Störfallrechts zur Umsetzung des Art. 13 Seveso-III-Richtlinie im baurechtlichen Genehmigungsverfahren in der Umgebung von Störfallbetrieben, April 2018, S. 13). Denn wie den dem Bauantrag beigefügten Unterlagen und Zeichnungen zu entnehmen ist, soll das geplante Schnellrestaurant neben den stets anwesenden bis zu 11 Beschäftigten (vgl. S. 25 d. A.) nicht nur über Sitzmöglichkeiten für – soweit ersichtlich – mindestens 76 Personen (vgl. S. 11 d.A.) sowie über einen von mehreren Pkw gleichzeitig nutzbaren Drive-In-Bereich verfügen. Vielmehr wird ein Schnellrestaurant wie das Vorliegende auch typischerweise zusätzlich von solchen Gästen aufgesucht, die dieses allein zum Zwecke des Erwerbs von Speisen und Getränken betreten, ohne dort einen Sitzplatz einnehmen zu wollen. Vor diesem Hintergrund aber ist es keineswegs ausgeschlossen, sondern angesichts des attraktiven Standorts durchaus wahrscheinlich, dass sich auf dem Vorhabengrundstück zu Stoßzeiten mehr als 100 Personen aufhalten werden, sodass von den Folgen eines schweren Unfalls auf dem Nachbargrundstück eine nicht nur unerhebliche Anzahl zusätzlicher Personen betroffen wäre. Weiterhin kommt risikoerhöhend hinzu, dass Schnellrestaurants durch besonders lange Öffnungszeiten – hier: täglich von 9.00 Uhr bis 01.00 Uhr – gekennzeichnet sind, weshalb eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Falle eines schweren Unfalls Gäste in dem Restaurant der Klägerin anwesend wären. Und schließlich wird es sich bei diesen Gästen nicht nur häufig um minderjährige Personen – insbesondere Familien mit kleinen Kindern handeln, sondern – insbesondere aufgrund der Autobahnnähe – vielfach auch um ortsfremde Laufkundschaft, die weder mit der Örtlichkeit hinreichend vertraut ist, noch durch Schulungen auf einen etwaigen Störfall vorbereitet werden kann. |
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| | b) Zugunsten der Klägerin streitet demgegenüber allein ihr wirtschaftliches Interesse an einer möglichst profitablen Nutzung des Vorhabengrundstücks, dem angesichts der durch das Vorhaben eintretenden wesentlichen Risikoerhöhung indes keine das Interesse an der Einhaltung des angemessenen Sicherheitsabstands überwiegende Bedeutung beigemessen werden kann. Denn besondere Umstände des Einzelfalls, die ein ausnahmsweises Unterschreiten dieses Sicherheitsabstandes rechtfertigen könnte hat die Klägerin weder vorgetragen, noch sind solche für das Gericht ersichtlich. Insbesondere drängt sich die von der Klägerin beabsichtigte Nutzung vorliegend nicht etwa deshalb auf, weil für sie eine vergleichbar profitable Nutzungsmöglichkeit hinsichtlich des Vorhabengrundstücks nicht besteht. Soweit insoweit geltend macht wird, dass der Bebauungsplan Nr. ... das Vorhabengrundstück mit einem Einzelhandelsausschluss belege, ist dies zwar zutreffend, da sich das Vorhabengrundstück nach den zeichnerischen Festsetzungen dieses Bebauungsplans in der rot umrandeten „Zone 2“ befindet, in der nach § 2 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Einzelhandelsbetriebe ausgeschlossen sind. Indes ändert dies nichts daran, dass für das Vorhabengrundstück – auch in Ansehung seiner Größe – nach wie vor eine Vielzahl von anderweitigen Nutzungsmöglichkeiten insbesondere in Form nicht öffentlich genutzter Gewerbebetriebe besteht. Dass diese Nutzungen genauso oder auch nur vergleichbar profitabel wie die beantragte Nutzung zu sein hätten, ist indes ein Rechtssatz, der der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht entnommen werden kann. |
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| | Von der Erklärung der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten wird abgesehen (§ 167 Abs. 2 VwGO). |
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| | Der Streitwert wird in Abänderung des vorläufigen Streitwertbeschlusses vom 10.12.2018 auf 71.331,00 EUR festgesetzt. |
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| | Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an die Ziffer 9.1.2.1 und 9.1.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 18.07.2013. Dabei geht die Kammer vorliegend von einem Wert von 300,00 EUR pro m2 aus, der mit der Nutzfläche des geplanten Schnellrestaurants – ohne Nebenräume – von 137,71 m2 (112,71 m2 [Gastraum] + 125,00 m2 [Terrasse]) zu multiplizieren war. |
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