Urteil vom Verwaltungsgericht Köln - 7 K 3011/15
Tenor
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Die am 00.00.0000 in der Russischen Föderation geborene Klägerin beantragte unter dem 07.01.2014 die Aufnahme als Aussiedlerin unter Einbeziehung ihrer Tochter J. und ihres Sohnes U. . In ihrem Antrag gab sie an, sich mit Unterbrechungen zwischen 2001 und 2006 in Deutschland aufgehalten und Asyl beantragt zu haben. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 14.05.2014 abgelehnt, weil die Klägerin ihren Wohnsitz nicht durchgehend im Aussiedlungsgebiet gehabt habe. Nach ihren eigenen Angaben habe sie bereits im Jahr 2001 die Russische Föderation verlassen und sich sodann in Deutschland, Schweden und Finnland als Asylsuchende dauerhaft aufgehalten. Gerade durch die Beantragung von Asyl habe sie gezeigt, dass sie nicht den Willen gehabt habe, in das Herkunftsgebiet zurückzukehren. Hiergegen legte die Klägerin am 20.05.2014 Widerspruch ein. Nach Verlängerung und erfolgslosem Ablauf der Begründungsfrist für den eingelegten Widerspruch, wurde der Widerspruch mit Bescheid vom 16.04.2015 zurückgewiesen, da die Wohnsitzvoraussetzung des § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG nicht erfüllt sei. Die Klägerin habe für einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren in Deutschland oder in einem Drittstaat gewohnt und Asyl beantragt, so dass der räumliche Schwerpunkt ihrer gesamten Lebensverhältnisse nicht im Aussiedlungsgebiet gelegen habe. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin erhielt den Widerspruchsbescheid laut Empfangsbekenntnis am 20.04.2015.
3Die Klägerin hat am 20.05.2015 Klage erhoben. Sie trägt vor, sie habe das Aussiedlungsgebiet gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter wegen einer lebensbedrohlichen Verfolgung im Heimatland zweitweise verlassen müssen in der Hoffnung, dass die Gefahr für Leib und Leben ein Ende finde. Ihre Verwandten seien in Russland verblieben. Sie habe sich nach eigener Erinnerung von Sommer 2001 bis 2003 in Deutschland, von 2003 bis ungefähr Januar 2006 in Schweden, im Februar und März 2006 in Finnland und im April 2006 in Deutschland aufgehalten. Sodann sei sie in das Aussiedlungsgebiet zurückgekehrt. Asyl sei ihr weder in Deutschland noch in einem anderen Land gewährt worden.Bis heute habe ein dauerhaft angelegter Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet bestanden. Sie sei durchgehend im Aussiedlungsgebiet gemeldet gewesen. Zum Beweis legte die Klägerin einen Auszug aus dem Hausbuch des Wohnhauses Nr. 00 b in der Straße M. vor.
4Die Klägerin beantragt,
5die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.05.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2015 zu verpflichten, ihr einen Aufnahmebescheid nach § 27 BVFG zu erteilen.
6Die Beklagte beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und führt aus, die Klägerin habe sich mehrere Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten und erfolgslos ein Asylverfahren betrieben. Wer sein Heimatland verlasse und Asyl in Deutschland beantrage, tue dies im Bewusstsein und mit der Absicht, sich hier zumindest auf unbestimmte Zeit niederzulassen. Der Dauerhaftigkeit stehe auch nicht die Ungewissheit über den Ausgang des Asylverfahrens oder die Möglichkeit wegen veränderter Verhältnisse die Niederlassung wieder aufzugeben, entgegen.
9Der Auszug aus dem Hausbuch reiche nicht zum Nachweis aus, dass die Wohnung in Barnaul tatsächlich beibehalten worden sei. Weitere Unterlagen und Belege über laufende Kosten seien nicht vorgelegt worden. Es fehle zudem an einem Nachweis deutscher Sprachkenntnisse im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsgänge Bezug genommen.
11Entscheidungsgründe
12Die zulässige Klage ist unbegründet.
13Der Bescheid vom 14.05.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG i.d.F. des 10. BVFG-Änderungsgesetzes vom 06.09.2013 wird Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten auf Antrag ein Aufnahmebescheid erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Ein solcher Anspruch steht der Klägerin nicht zu. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 BVFG müsste die im Jahr 1978 geborene Klägerin – neben weiteren Voraussetzungen – seit ihrer Geburt ihren Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten gehabt haben. Hieran fehlt es, da die Klägerin das Aussiedlungsgebiet im Jahr 2001 unter Aufhebung ihres dortigen Wohnsitzes verließ.
14Der Wohnsitzbegriff des Bundesvertriebenengesetzes entspricht dem des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), so dass die Frage, ob ein Aufnahmebewerber seinen Wohnsitz (noch) im Aussiedlungsgebiet hat bzw. hatte, nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 BGB zu beantworten ist.
15Vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.01.1989 - 9 B 356/88 -; OVG NRW, Beschluss vom 24.05.2006 - 12 A 613/04 -.
16Nach § 7 Abs. 1 BGB begründet, wer sich an einem Ort ständig niederlässt, an diesem Ort seinen Wohnsitz. Nach § 7 Abs. 3 BGB wird der Wohnsitz aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben. Der Wohnsitz wird begründet durch die tatsächliche Niederlassung verbunden mit dem Willen, den Ort zum ständigen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen. Erforderlich ist also in objektiver Hinsicht eine Niederlassung in dem Sinne, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Ort der Aufenthaltnahme gebildet wird, und in subjektiver Hinsicht der Wille, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dort dauernd beizubehalten.
17Vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.1990 - 2 BvR 116/90 -; BVerwG, Urteil vom 9.11.1967 - VIII C 141/67 -.
18Es ist eine Tatfrage des Einzelfalls, ob und gegebenenfalls wann ein ständiger Aufenthalt an einem bestimmten Ort begründet wird. Dabei sind alle für den Einzelfall bedeutsamen Umstände zu würdigen.
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 9.11.1967 - VIII C 141/67 -.
20Die Aufhebung des Wohnsitzes verlangt außer der tatsächlichen Aufgabe der Niederlassung einen Willensakt, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse nicht am bisherigen Wohnsitz zu belassen. Auch der Aufgabewille ist aus den konkreten Umständen des Einzelfalles zu ermitteln und kann häufig aus der Tatsache hergeleitet werden, dass die bisherige Niederlassung für lange Dauer, insbesondere mit dem Ziel der Auswanderung, verlassen und ein neuer Wohnsitz begründet worden ist.
21Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.09.1996 - 2 A 3387/93 - (nicht veröffentlicht); Beschluss vom 24.05.2006 - 12 A 613/04 -; Urteil vom 30.08.2012 - 11 A 2558/11 -.
22Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klägerin im Jahr 2001 einen Wohnsitz in Deutschland begründet und ihren Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet aufgegeben. Die Klägerin reiste 2001 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter nach Deutschland ein, da nach ihren eigenen Angaben eine - nicht näher konkretisierte - Bedrohung für sie und ihre Familie in Russland bestanden habe. Die Klägerin betrieb in Deutschland ein Asylverfahren. Damit hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie in Russland nicht mehr leben und sich mit ihrer Familie in Deutschland niederlassen wollte.
23Vgl. zu einem ähnlichen Fall OVG NRW, Beschluss vom 31.05.2005 - 2 A 4337/03 - (nicht veröffentlicht).
24Die Klägerin hielt sich sodann nach ihrer Erinnerung bis 2003 in Deutschland, von 2003 bis Januar 2006 in Schweden und im Februar und März 2006 in Finnland auf. Erst im April 2006 – nach fünf Jahren – kehrte sie nach Russland zurück. Der Umstand, dass die in Deutschland, Schweden und Finnland gestellten Asylanträge erfolglos blieben und der vorgetragene Wille, bei Wegfall der Bedrohung im Aussiedlungsgebiet zurückzukehren, ändern nichts daran, dass die Klägerin ihren Wohnsitz in Russland im Jahr 2001 aufgegeben und einen neuen Wohnsitz in Deutschland gegründet hat. Denn eine Ungewissheit darüber, wie lange der Aufenthalt dauern wird, steht dem nicht entgegen.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 - 9 C 6/89 -.
26Zwar ist die Verwirklichung des Willens zum dauernden Aufenthalt in diesen Fällen von ausländerrechtlichen Genehmigungen bzw. einer Änderung der Verhältnisse im Aussiedlungsgebiet abhängig. Die insoweit in der Regel bestehenbleibende rechtliche und tatsächliche Ungewissheit schließt aber, solange die mit der Verlegung des räumlichen Lebensmittelpunktes verbundene Niederlassung tatsächlich besteht, den auf dauernde Aufenthaltnahme gerichteten Niederlassungswillen und damit die Begründung des Wohnsitzes nicht aus.
27Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 - 9 C 6.89 -, m. w. N.; OVG NRW, Urteil vom 30.08.2012 - 11 A 2558/11 -.
28Auch die vorgetragene Beibehaltung einer Wohnung im Aussiedlungsgebiet führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Wohnsitz in Deutschland bzw. Schweden und Finnland ist als bestimmender Wohnsitz gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 und 3 BVFG anzusehen. Dort lag jeweils der Lebensmittelpunkt, da die Klägerin dort gemeinsam mit ihrer Familie wohnte.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 1989 - 9 C 6/89 -.
30Auf die Frage, ob der Auszug aus dem Hausbuch als Nachweis der Beibehaltung einer Wohnung im Aussiedlungsgebiet als ausreichend angesehen werden kann, kommt es daher nicht an.
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
32Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Referenzen
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- 9 B 356/88 1x (nicht zugeordnet)
- BVFG § 1 Vertriebener 1x
- VwGO § 154 1x
- BGB § 10 (weggefallen) 1x
- VwGO § 113 1x
- VwGO § 167 1x
- BGB § 9 Wohnsitz eines Soldaten 1x
- BGB § 7 Wohnsitz; Begründung und Aufhebung 3x
- 9 C 6/89 2x (nicht zugeordnet)
- VIII C 141/67 2x (nicht zugeordnet)
- BVFG § 4 Spätaussiedler 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- 12 A 613/04 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 11 Wohnsitz des Kindes 1x
- BGB § 8 Wohnsitz nicht voll Geschäftsfähiger 1x
- 2 A 3387/93 1x (nicht zugeordnet)
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