Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (8. Kammer) - 8 A 5/11

Tatbestand

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Der Kläger führt die Disziplinarklage gegen die beklagte verbeamtete Gerichtsvollzieherin mit dem Ziel ihrer Entfernung aus dem Dienst.

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Die 1976 geborene Beamtin beendete 1994 ihre Schulausbildung mit der Ablegung des Abiturs. Anschließend wurde sie zum Vorbereitungsdienst für den mittleren Justizdienst zugelassen und zur Justizsekretäranwärterin ernannt. 1996 wurde die Beamtin zur Ausbildung für die Sonderlaufbahn Gerichtsvollzieher zugelassen und zur Justizsekretärin zur Anstellung ernannt. Nach Absolvierung der Gerichtsvollzieherprüfung mit „ausreichend“ (Note 3,6) wurde die Beamtin 1998 zur Justizsekretärin ernannt. In der Folgezeit wurde die Beamtin bei dem Amtsgericht D. und dem Amtsgericht K. verwandt. Im Jahr 2001 wurde sie zur Gerichtsvollzieherin ernannt und im Jahre 2003 erfolgte die Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Zum 01.05.2006 wurde die Beklagte zur Verwendung im mittleren Dienst an das Amtsgericht D. abgeordnet. Seit dem ist sie nicht mehr als Gerichtsvollzieherin tätig.

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Die Beamtin ist verheiratet und hat eine im Jahr 2005 geborene Tochter. Nach Auskunft der Bezügestelle vom 31.03.2011 erhielt die Beamtin zum Zeitpunkt der Einreichung der Disziplinarklageschrift 1.341,18 Euro zuzüglich 368,00 Euro Kindergeld ausgezahlt.

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Die Beklagte ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Ihr wurde mit Verfügung vom 08.12.2003 wegen verzögerter Sachbearbeitung sowie Verstoßes gegen § 65 Nr. 6 GVO und § 185 g GVGA ein Verweis erteilt.

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Mit Verfügung vom 16.11.2006 wurde die Beamtin wegen der Vorwürfe in der Disziplinarklage vom Dienst suspendiert. Das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer – hat mit Beschluss vom 19.02.2007 die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - den Antrag unter Aufhebung des Beschlusses abgelehnt. Den unter dem 30.06.2010 von der Beamtin erneut gestellte Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung hat das Verwaltungsgericht Magdeburg - Disziplinarkammer - mit Beschluss vom 24.01.2011 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beamtin hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt - Disziplinarsenat - mit Beschluss vom 04.11.2011 zurückgewiesen.

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Wegen der disziplinarrechtlichen Vorwürfe der fehlerhaften Wegegelderabrechnungen hat das Amtsgericht K. unter dem 23.05.2007 einen Strafbefehl erlassen, worin der Beamtin vorgeworfen worden war, insgesamt 201 Straftaten (Gebührenüberhebung in 193 Fällen und Betrug in 8 Fällen) begangen zu haben. Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 07.07.2008 (2 Cs 183/07) war die Beamtin der Gebührenüberhebung in 181 Fällen und des Betruges in 8 Fällen schuldig gesprochen worden; in 12 Fällen war sie von dem im Strafbefehl erhobenen Vorwurf der Gebührenüberhebung freigesprochen worden. Mit Urteil vom 29.10.2009 (7 Ns 161/08) hat das Landgericht Dessau-Roßlau die Beamtin in der Berufung wegen der Gebührenüberhebung in 158 Fällen (überhöhte Wegegelder) und wegen Betruges in 8 Fällen schuldig- und im Übrigen freigesprochen (23 Fälle der Abrechnung von nicht entstandenen Wegegeldern). Auf die Revision der Beamtin hat das Oberlandesgericht A-Stadt das Verfahren mit Beschluss vom 10.05.2010 (1 Ss 13/10) eingestellt, soweit die Beamtin nicht bereits rechtskräftig vom AG K. freigesprochen worden war. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Strafbefehl bezüglich der Darstellung des Tatvorwurfs der falschen Wegegeldabrechnung nicht dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspreche. Unter dem 25.01.2011 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau das Ermittlungsverfahren gegen die Beamtin gem. § 153 StPO eingestellt.

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Mit der Disziplinarklage vom 27.04.2011 wird die Beamtin angeschuldigt, ein Dienstvergehen gem. §§ 54, 55, 77 Abs. 1 Satz 1 Beamtengesetz Sachsen-Anhalt (BG LSA) begangen zu haben. Sie habe u. a.

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- Gebühren und Auslagen zum eigenen Vorteil zu Unrecht erhoben und entnommen;

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- unzulässig Verhaftungen zum Zwecke der Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vorgenommen sowie

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- in erheblichem Maße gegen Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung und der Gerichtsvollziehergeschäftsanweisung verstoßen.

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Ihr werden 10 Pflichtenverstöße zur Last gelegt:

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1. Die Beamtin habe gegen die sich aus § 55 BG LSA ergebene Pflicht, Anordnungen des Dienstvorgesetzten auszuführen und die allgemeinen Richtlinien zu befolgen, erheblich verstoßen.

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Am 28.09.2004 habe die Direktorin des Amtsgerichts K. der Gerichtsvollzieherin das Protokoll über die Geschäftsprüfung vom 11.08.2004 bis 28.08.2004 mit der Aufforderung übersandt, zu den einzelnen Beanstandungen binnen eines Monats Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin sei erst auf wiederholte und nachdrückliche Aufforderung der Direktorin des Amtsgerichts K. am 27.01.2005 eingegangen.

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2. Die Beamtin habe in den nachfolgenden Fällen gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) verstoßen.

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a) Die Beamtin habe in nachfolgend aufgeführten 32 Fällen ohne anders lautende Bestimmung der Gläubiger und trotz wiederholter Beanstandung in den Vorprüfungen Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei handelt es sich um Differenztage zwischen dem Tag der Zahlung, Tag der Buchung und Tag der Überweisung von wenigstens drei Tagen bis zu einmalig höchstens 45 Tagen. Auf diese Tabelle in der Disziplinarklage wird verwiesen. Die Disziplinarklage führt aus, dass das zwischen dem Tag der Einnahme und dem Tag der Auszahlung im Durchschnitt dieser Fälle 17 Tage gelegen hätten.

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b) In den Verfahren DR II 2256/03; 2243/02; 1958/03; 252/04; 2333/03 und 1978/03 am 19.03.2004 erzielte Versteigerungserlös sei am 18.08.2004 noch nicht an die Gläubiger abgeführt worden.

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c) Obwohl der Verstoß gegen § 106 Nr. 6 Satz 1 GVGA bereits Gegenstand des am 28.02.2005 eingeleiteten Vorermittlungsverfahren gewesen sei, habe die Gerichtsvollzieherin weiterhin Leistungen verspätet an die Gläubiger abgeführt. Dabei habe die Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen gelegen.

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3. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO und § 65 GVGA verstoßen:

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a) Sie habe Sachstandsanfragen von Gläubigern pauschal, ohne Bezug auf den tatsächlichen Sachstand und teilweise völlig irreführend beantwortet und dazu einen vorformulierten Text benutz, welcher lautete:

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„In der Zwangsvollstreckungssache ... teile ich mit, dass der o. g. Auftrag eingegangen ist und bei mir unter DR II Nr. ... registriert wurde. Da ich zurzeit stark überlastet bin, ist es mir zurzeit nicht möglich, die Monatsfrist für die Erledigung einzuhalten. Ich werde mich trotzdem bemühen, den Auftrag zügig zu erledigen.

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Es wird gebeten, die nächsten zwei Monate von Sachstandsanfragen abzusehen.“

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Dies sei in folgenden Verfahren geschehen:

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DR II 42/04:
Die Angelegenheit sei bereits erledigt gewesen, weil der Schuldner unbekannt verzogen war.

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DR II 64/04:
Der Auftrag sei bereits durch Pfandabstand erledigt gewesen.

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DR II 76/04:
Die Sache sei erledigt gewesen, weil bereits ein letzter Vollstreckungsversuch durchgeführt worden sei.

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DR II 8/04:
Auch hier sei Erledigung eingetreten gewesen.

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DR II 21/04:
Der Zwangsvollstreckungsauftrag sei durch Nichtermittlung des Schuldners erledigt gewesen.

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b) Die Gerichtsvollzieherin habe in den oben unter a) bezeichneten Verfahren die Gläubiger über den tatsächlichen Verfahrensstand getäuscht. Sie habe damit sowohl gegen das Informationsrecht des Gläubigers gem. § 65 a GVGA, als auch gegen die Pflicht zur sorgfältigen und vollständigen Aktenführung (§ 57 Nr. 2 Satz 5 GVO) verstoßen.

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4. Die Gerichtsvollzieherin habe gegen § 816 Abs. 4 ZPO, §§ 156, 1239 Abs. 2 BGB, §145 Nr. 2 b GVGA verstoßen. In mehreren Zwangsvollstreckungsverfahren gegen den Schuldner H. F. wurde die Versteigerung gepfändeter Gegenstände am 19.03.2004 durchgeführt. Der gepfändete PKW Mercedes Benz 320 cdi, sei mit 39.000,00 Euro und das Motorrad Suzuki mit 1.200,00 Euro angesetzt worden. Bei der Versteigerung sei der Schuldner anwesend gewesen und habe mitgeboten. Die Gerichtsvollzieherin habe das Gebot des Schuldners in Höhe von 35.000,00 Euro zugelassen und ihm den Zuschlag erteilt, wodurch das bisherige Meistgebot in Höhe von 33.000,00 Euro eines anderen Bieters erlosch. Nachdem die Gerichtsvollzieherin festgestellt habe, dass dem Schuldner eine Barzahlung nicht möglich gewesen sei, sei der PKW nochmals ausgeboten worden, wobei nur noch das Mindestgebot von 20.000,00 Euro als Versteigerungserlös erzielt worden sei.

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In dem diesbezüglichen Vermerk der Gerichtsvollzieherin in der Sonderakte DR II 2256/03 heißt es:

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„Es waren genügend Kaufgeneigte erschienen. Es wurde bis zu einem Betrag von 33.000,00 Euro sehr zügig geboten. Bei einem Gebot von 35.000,00 Euro erhielt der Schuldner den Zuschlag. Viele Bieter entfernten sich daraufhin. Ich forderte Herrn F. zur Zahlung auf. Als Herr F. das Büro im Versteigerungslokal betrat, teilte er mir mit, dass er einen bankbestätigten Scheck habe. Ich forderte wie zuvor auch in den wörtlich vorgelesenen Versteigerungsbedingungen bekannt gegeben, Herrn F. zur Barzahlung auf. Dieser erklärte, dass er kein Bargeld bei sich habe. Ich wollte den Scheck sicherstellen. Herr F. gab an, den Scheck in seinem Fahrzeug zu haben. Ich begab mich mit Herrn F. zu seinem Kfz. Den Scheck konnte er nicht vorlegen. ...“

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Diese Verfahrensweise stelle eine falsche Sachbehandlung dar und verstoße gegen die vorgenannten gesetzlichen Regelungen. Bei richtiger Sachbehandlung hätte im ersten Versteigerungsversuch der Erlös bei 33.000,00 Euro und nicht später nur noch bei 20.000,00 Euro gelegen. In Höhe der Differenz von 13.000,00 Euro sei ein Vermögensschaden eingetreten.

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5. Die Gerichtsvollzieherin habe in den Verfahren DR II 505/05, 506/05 und 556/05 gegen § 186 Nr. 5 GVGA und die Weisung des Erlasses des MJ LSA vom 21.06.2004 (2344-202.103) verstoßen.

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In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 596/05, 603/05 und 595/05 habe die Gerichtsvollzieherin darüber hinaus § 3 GvKostG nicht beachtet und auch dadurch zusätzlich überhöhte Kosten erhoben.

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Im Verfahren DR II 505/05 habe ein Verhaftungsauftrag vom 24.03.2005 vorgelegen. Am 11.04.2005 habe die Beamtin einen erfolglosen Verhaftungsversuch unternommen. Am 12.04.2005 sei die Schuldnerin in ihrer Wohnung angetroffen worden. Laut Protokoll habe die Schuldnerin das Vermögensverzeichnis und die Eidesstattliche Versicherung nach Verhaftung im Dienstzimmer der Gerichtsvollzieherin abgegeben. Aus den Protokollen sei nicht ersichtlich, dass die Schuldnerin gem. § 186 Nr. 5 GVGA vor der Verhaftung aufgefordert worden sei, die titulierte Forderung zu begleichen und befragt worden sei, ob sie freiwillig die geforderte Eidesstattliche Versicherung abgebe. Nach dem Inhalt des Protokolls ist davon auszugehen, dass die Schuldnerin noch im Verhaftungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung habe abgeben wollen. Die Verhaftung stelle einen Verstoß gegen das in § 901 ZPO postulierte Verhältnismäßigkeitsprinzip dar.

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Für diese falsche Sachbehandlung habe die Gerichtsvollzieherin demnach aufgrund der Verhaftung überhöhte Kosten in Höhe von 19,00 Euro erhoben.

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Ebenso habe die Klägerin in den anderen genannten Verfahren überhöhte Gebühren und Auslagen eingezogen.

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Die Gerichtsvollzieherin habe dadurch die Schuldner in ihren Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG verletzt.

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In den Verfahren DR II 529/05, 586/05, 595/05, 596/05 und 603/05 habe die Gerichtsvollzieherin neben der nicht gebotenen Verhaftung letztlich nicht beachtet, dass es sich hinsichtlich der Abnahme der Eidesstattlichen Versicherung nur um einen Auftrag gehandelt habe, wenn die Fortsetzung des EV-Termins innerhalb der in § 3 Abs. 4 GvKostG genannten Frist von drei Monaten beantragt werde. Vorliegend war die Gerichtsvollzieherin bereits im Vollstreckungsauftrag beauftragt worden, den notwendigen Haftbefehl zu beantragen. Die EV-Verfahren seien also lediglich fortzusetzen gewesen und bereits entstandene Kosten anzurechnen. Somit seien in den zuletzt genannten Verfahren überhöhte Kosten in Höhe von insgesamt 34,00 Euro zu viel erhoben worden.

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6. Die Gerichtsvollzieherin habe in mindestens 57 Fällen in erheblicher Weise gegen die §§ 64, 185 j GVGA und ihre Pflicht zur unverzögernden Bearbeitung der Verfahren verstoßen.

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In den aufgeführten 57 Fällen habe die Beamtin erst nach bis zu vier Monaten nach dem Nichterscheinen des Schuldners die Akten dem Vollstreckungsgericht vorgelegt. Dazu zählt die Disziplinarklage 57 Fälle mit Aktenzeichen auf, welche damit beginnen, dass der e.V.-Termin vom 11.01.2005 in sieben Fällen erst am 14.03.2005 beim Vollstreckungsgericht einging; die folgenden 50 Fälle beinhalten e.V.-Termine vom 16.11.2004, 23.11.2004, 07.12.2004, 11.01.2005, 10.08.2004 und 23.11.2004, die alle samt am 15.03.2005 beim Vollstreckungsgericht eingingen.

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7. Die Gerichtsvollzieherin habe Zustellauslagen in Höhe von 5,60 Euro für Zustellungen durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellung tatsächlich durch die Firma W. S. zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt worden sei. Damit habe sie gegen § 15 GVO und GvKostG KV 701 verstoßen.

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Danach darf der Gerichtsvollzieher Zustellauslagen nur in tatsächlich entstandener Höhe ansetzen. Bereits im Prüfungsbericht vom 10.09.2004 sei die Gerichtsvollzieherin auf die Einhaltung der Vorschriften hingewiesen worden.

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Dies ergebe sich aus acht in der Disziplinarklage genannten Verfahren. Auf diese Verfahren wird zur weiteren Darstellung verwiesen.

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In diesen Verfahren habe die Gerichtsvollzieherin trotz ausdrücklicher Belehrung durch den Prüfungsbeamten und ihrer Zusicherung vom 25.01.2005 Auslagen nicht in tatsächlicher Höhe erhoben.

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8. Die Gerichtsvollzieherin habe entgegen der Weisung des Prüfungsbeamten weiterhin Zahlungsprotokolle bei Vollzahlung oder Schlussrate an den Schuldner erteil und Dokumentenpauschalen gemäß Nr. 700 KV GvKostG erhoben, obwohl es hierfür keine gesetzliche Grundlage gebe.

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Bereits sei dem Jahre 2002 sei die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll von dem Prüfungsbeamten auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung der Dokumentenpauschale hingewiesen worden.

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Allein in den Monaten Januar bis August 2004 habe die Gerichtsvollzieherin in den in der Anlage 1 aufgelisteten 246 Fällen unberechtigt eine Dokumentenpauschale erhoben und damit einen Betrag von 432,00 Euro zu Unrecht eingenommen.

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Der Weisung des Prüfbeamten vom 10.09.2004 die Kostenrechnungen zu berichtigen und den jeweils überhöhten Betrag an die Landeskasse abzuführen, ist die Gerichtsvollzieherin erst nach mehrfacher Mahnung am 13.02.2006, mithin nach 17 Monaten nachgekommen.

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9. Die Gerichtsvollzieherin habe im folgenden Verfahren gegen § 57 Abs. 2 Satz 5 GVO, §§ 64, 105, 107, 132, 135, 140 und 142 GVGA sowie §§ 758, 762 und 803 ZPO verstoßen.

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Dem Verfahren DR II 617/04 liege ein Auftrag der Kreissparkasse K. zur Sachpfändung zugrunde. Mangels Protokollierung bleibt offen, ob, wann und wo die Gerichtsvollzieherin gepfändet hat. Die Gerichtsvollzieherin habe damit gegen das bei einer Pfändung zu beachtende Verfahren und gegen ihre Pflicht, alle Amtshandlungen zu Protokoll zu nehmen verstoßen (§ 762 ZPO). Ebenso fehlt die Aufnahme der Pfandstücke sowie Tag und Ort der Versteigerung im Protokoll. Bis zum 30.04.2004 hätte die Versteigerung stattfinden müssen. Erst durch ihren Dezernatsnachfolger sei am 16.09.2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden.

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Allein aufgrund des Umfangs des Pfandgutes anhand des Lagerverzeichnisses sei mit hohen Lagerkosten zu rechnen gewesen. Die Gerichtsvollzieherin habe durch ihre Handlungsweise gegen die Pflicht, die durch Einschaffung und Verwahrung des Pfandgutes anfallende Kosten auf das angemessene und unbedingt notwendige Maß zu beschränken, verstoßen (§ 140 Nr. 1 GVGA). Nach erfolgter Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes hätte die Gerichtsvollzieherin erkennen können, dass die Kosten der Pfändung und Verwertung weitaus höher sind, als der zu erzielende Erlös und somit ein Pfändungsverbot gem. § 803 Abs. 2 ZPO bestanden habe. Darüber hinaus sei sie ihrer Kostensicherungspflicht nach § 4 GvKostG nicht nachgekommen, da sie Kosten für die Einschaffung und Lagerung des Pfändungsgutes in unverhältnismäßiger Höhe verursachte, ohne einen ausreichenden Vorschuss von der Gläubigerin angefordert zu haben.

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Am 25.04.2006 habe der Präsident des Landgerichts Dessau die - zum Verwertungserlös in Höhe von 600,00 Euro zu keinem Verhältnis stehende - Restforderung des Spediteurs für die Einlagerung des Pfandgutes in Höhe von 7.531,30 Euro als Amtshaftungsanspruch anerkannt und habe diesen Betrag ausgezahlt. Mit Beschluss des Amtsgerichts K. vom 28.07.2006 seien die weiteren Vollstreckungskosten gegenüber der Kreissparkasse K. in Höhe von 7.571,30 Euro niedergeschlagen worden. Nachdem die Kreissparkasse K. wegen ihres geleisteten Kostenvorschusses in Höhe von 3.642,91 Euro abzüglich der bei einer Versteigerung bis zum 30.04.2004 entstandenen Kosten in Höhe von 2.269,22 Euro gegen das Land Sachsen-Anhalt eine Schadensersatzforderung in Höhe von 1.373,59 Euro geltend gemacht habe, erkannte der Präsident des Landgerichts Dessau einen entsprechenden Amtshaftungsanspruch an und zahlte den Betrag am 06.02.2007 aus. Am 12.09.2007 habe das Landgericht Dessau mit Regressprozess gegen die Gerichtsvollzieherin ein Versäumnisurteil über einen Gesamtbetrag in Höhe von 8.904,99 Euro erlassen, welches mit am 12.12.2007 verkündeten Urteil bestätigt wurde. Auf die Berufung der Gerichtsvollzieherin änderte das OLG A-Stadt mit am 25.06.2008 verkündeten Urteil (6 U 163/07) das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass die Gerichtsvollzieherin verurteilt worden sei, an das Land Sachsen-Anhalt einen Betrag in Höhe von 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich des weiteren, an den Spediteur gezahlten Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro wurde die Klage abgewiesen.

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10. Die Prüfung der Sonderakten DR II aus den Jahren 2001 bis 2005 habe ergeben, dass die Gerichtsvollzieherin im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 (DR II 2756/01 - 932/05) in 2.436 Verfahren Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro erhoben habe, die nicht oder nicht in der angesetzten Höhe angefallen seien.

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Soweit das OLG A-Stadt hinsichtlich der strafrechtlichen Bestimmtheitserfordernisse gerügt habe, dürfte dies nunmehr mit der in Anlage 3 zur Disziplinarklage eingereichten tabellarischen Aufstellung hinreichend nachgewiesen seien. An den Bestimmtheitsgrundsatz dürften keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden, welche im Disziplinarrecht nicht weiter reichen dürften als im Strafrecht. Bei einer Vielzahl gleichartiger Taten reiche es aus, wenn über die Angabe der Zahl der Taten, des Gesamtschadens und des gesamten Tatzeitraumes hinaus die gleichartigen Taten gruppiert bezeichnet, der gruppenspezifische Modus Operandi dargestellt und die Einzelheiten detailliert tabellarisch aufgelistet würden, weil hierdurch sowohl der Umgrenzungs- als auch der Informationsfunktion hinreichend genüge getan werde.

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An die Grundlagen der Wegegeldberechnung habe sich die Gerichtsvollzieherin in einer Vielzahl von Fällen nicht gehalten. Im Jahre 2001 habe sie in 390 Fällen Wegegelder abgerechnet, obwohl entweder ein geringeres Wegegeld oder mangels Zurücklegung eines Weges überhaupt kein Wegegeld angefallen wäre.

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In den Jahren 2002 bis 2005 habe sie dann in weiteren 2.046 Fällen ebenfalls nicht oder nicht in angesetzter Höhe angefallene Wegegelder berechnet.

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Die Beamtin habe die fehlerhafte Abrechnung nicht bestritten.

59

Die tabellarische Aufstellung enthalte keinen der Fälle mehr, in denen die Gerichtsvollzieherin vom Amtsgericht K. rechtskräftig freigesprochen wurde. Die Beamtin habe bei der Wegegeldabrechnung auch hinsichtlich der Fälle, wo überhaupt kein Weg zurückgelegt worden sei, mit direktem Vorsatz gehandelt. In den Fällen, in denen ein Wegegeld tatsächlich entstanden sei, aber überhöht abgerechnet worden sei, liege ebenfalls direkter Vorsatz vor. Denn die Bestimmung der Wegegeldzone stelle keinen komplexen und dementsprechend fehleranfälligen Vorgang dar. Vielmehr sei einfach die Luftlinie auf der Karte zu messen. Hinzu komme, dass die Gerichtsvollzieher mit ihren Bezirken und den dortigen Entfernungen sehr gut vertraut seien. Würde hier ein grundsätzliches Versehen vorliegen, müssten die betreffenden Orte auch immer gleichermaßen falsch abgerechnet worden sein, was aber nicht der Fall gewesen sei. Zudem falle bei der Durchsicht der tabellarischen Aufstellung auf, dass Wegegelder oft doppelt erhoben worden seien, und dass in einer Vielzahl von Fällen nicht nur die nächst höhere Stufe abgerechnet worden sei, sondern gleich mehrere Stufen übersprungen worden seien, was bei der irrtümlichen Annahme, sich bereits in der nächst höheren Zone zu befinden, nicht hätte passieren können. Besonders deutlich werde das Fehlen eines Versehens auch, soweit beispielsweise für Großpaschleben Gebührenzone II (10 bis 20 km) statt I (bis 10 km) abgerechnet werde, da G. unmittelbar an der Stadtgrenze zu K. liege. Hinzu komme, dass die falsche Wegegeldabrechnung über die Jahre hinweg kontinuierlich zugenommen habe (2002: 907,50 Euro, 2003: 2.355,00 Euro, 2004: 2.767,50 Euro). Die Gerichtsvollzieherin habe also nachdem die zunächst geringer ausfallenden Wegegeldüberhebungen im Rahmen der Geschäftsprüfungen nur sporadisch beanstandet worden seien, systematisch in immer größrem Umfang überhöhte Wegegelder geltend gemacht und dadurch im Jahre 2004 schließlich ein zusätzliches monatliches Einkommen in Höhe von knapp 230,00 Euro erzielt.“

60

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen habe die Gerichtsvollzieherin über einen sehr langen Zeitraum die Kernpflichten des Beamtenverhältnisses grundlegend verletzt. Sie habe in einer Vielzahl von Fällen gesetzliche Bestimmungen grob missachtet, dienstliche Weisungen nachhaltig ignoriert, grob fehlerhaft und äußerst nachlässig gearbeitet und damit nicht annähernd das berufserforderliche Verhalten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben gezeigt. Erschwerend komme hinzu, dass die Beamtin bereits am 08.12.2003 wegen fehlerhafter und nachlässiger Arbeitsweise einen disziplinarrechtlichen Verweis erhalten habe. Durch die vorsätzliche finanzielle Schädigung der Gebührenschuldner habe die Beamtin das Vertrauen in die Redlichkeit und Ehrlichkeit von Beamten grundlegend erschüttert und das Ansehen der Justiz in der Öffentlichkeit nachhaltig geschädigt.

61

Der Entschuldigung der Beamtin mit Verweis auf einen außerordentlich hohen Geschäftsanfall könne nicht gefolgt werden. Denn Feststellungen des Prüfungsbeamten und der Direktorin des Amtsgerichts K. habe die Beamtin im Jahre 2004 hinsichtlich 1.088 Verfahren und im Jahre 2003 bezüglich 1.346 Verfahren falsche Angaben gemacht. Tatsächlich seien die gesamten monatlichen Eingänge lediglich bei durchschnittlich 235 Aufträgen im Jahre 2003 und 245 Aufträgen im Jahre 2004 anzusetzen.

62

Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige die Entfernung der Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

63

Der Kläger beantragt,

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auf die erforderliche Disziplinarmaßnahme zu erkennen.

65

Die Beklagte beantragt,

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die Disziplinarklage abzuweisen,

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widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und erwidert:

68

Es fehle an einer hinreichenden Sachaufklärung, die Beamtin sei nicht angehört, Zeugen seien nicht vernommen worden. Die Disziplinarklage sei bereits wegen Zeitablaufs unzulässig. Denn das disziplinarrechtliche Gebot der Beschleunigung sei in außerordentlichem Maße verletzt worden.

69

Zu III., 1.

70

Der Vorwurf, eine Stellungnahmefrist versäumt zu haben, werde bestritten. Er könne schon aufgrund des Zeitablaufs nicht nachvollzogen werden. Die Beamtin dürfte innerhalb einer angemessenen Frist in Abstimmung mit der Frau Direktorin geantwortet haben.

71

Zu III., 2a

72

Kein einziger Gläubiger habe eine verspätete Leistung gerügt oder behauptet. Die Disziplinarklage verhalte sich nicht zu der Auslegung des Rechtsbegriffes „unverzüglich“, bestimme weder ein schuldhaftes Zögern der Beklagten noch ob andere Bestimmungen mit den Gläubigern getroffen worden seien. Die Disziplinarklage übersehe permanent die außerordentliche Belastung der Gerichtsvollzieherin. Dies sei beispielsweise im Prüfbericht vom 25.07.2002 ausgeführt und durch die Aussage des Zeugen S. vor dem Amtsgericht K. und dem Landgericht Dessau-Roßlau bestätigt. Danach habe die Belastung der Beklagten in den Jahren 2001 und 2002 bei rund 230 %, im Jahre 2003 bei 166 % und im Jahre 2004 bei 192 % gelegen. Die durchschnittliche Belastung eines Gerichtsvollziehers im Land Sachsen-Anhalt in den Jahren 2001 bis 2003 habe bei 140 % und in den Jahren 2004 und 2005 bei 130 bzw. 120 % gelegen.

73

Das Landgericht Dessau-Roßlau habe in seinem Urteil zur Aussage des Zeugen S. ausgeführt:

74

„Im Lande seien die Gerichtsvollzieher über Jahre in verantwortungsloser Weise jahrelang, gerade auch 2004, hoffnungslos mit Pensen von 1,4 bis 3,0 überlastet gewesen. Daher habe oftmals auch bei der Angeklagten die Aktenführung gelitten und es sei dort an sich zu beanstandungswürdigen Fehlern gekommen.“

75

Die außergewöhnliche Belastung der Beklagten hätten auch die Zeugen K. und die Direktorin des Amtsgerichts K. im Strafverfahren bestätigt.

76

Die in der Disziplinarklage vorgenommene Durchschnittsberechnung der Differenztage sei untunlich. Es sei jeder einzelne Fall für sich zu betrachten und zu einem schuldhaften Zögern vorzutragen.

77

Weiter sei auf die hohen Beitreibungsergebnisse der Beamtin abzustellen. Hohe Beitreibungsergebnisse implizierten einen hohen Zeitaufwand einerseits und viele Buchungs- und Überweisungsvorgänge andererseits.

78

Zu III., 3.

79

Die Gerichtsvollzieherin habe nicht stets einen Textbaustein verwandt. Aufgrund der Überlastung habe sie sich behelfen müssen. Eine Irreführung der Gläubiger sei nicht geschehen. Schließlich sei auch zu beachten, dass die Schreiben die Mitarbeiterin der Beklagten, die Zeugin G. auf den Weg gebracht habe. Dabei mögen der Mitarbeiterin Fehler passiert sein, dass sie entgegen der Büroanweisung keine Rücksprachen mit der Beamtin gehalten habe.

80

Zu III., 4.

81

Amtshaftungsansprüche in Höhe von 13.000 Euro seien nicht entstanden. Diese Behauptung sei falsch. Es fehle bereits an einer Pflichtverletzung. Der Vortrag sei nach wie vor ohne hinreichende Substanz. Die Gerichtsvollzieherin habe vor der Versteigerung die Versteigerungsbedingungen vorgelesen. Es seien 30 bis 50 Bieter anwesend gewesen. Es habe sich um eine umfangreiche Versteigerung gehandelt. Deswegen habe die Beklagte auch ihren Kollegen, den Gerichtsvollzieher H. um Unterstützung gebeten. Dem Kollegen H. sei der Schuldner ebenfalls bekannt gewesen. Der Beklagten sei der Schuldner zunächst gar nicht aufgefallen. Der Kollege H. habe die Beklagte dann aber auf den Schuldner F. aufmerksam gemacht. Die Beklagte habe nicht gewusst, ob der Schuldner F. mit bieten würde oder nicht. Sie habe in diesem Falle vorgehabt, die Versteigerung sogleich zu unterbrechen, um den Schuldner in das Büro zu bitten, um dessen Zahlungsfähigkeit festzustellen und ggf. eine Taschenpfändung durchzuführen. Nach dem Gebot des Schuldners in Höhe von 33.000,00 Euro (muss wohl richtig lauten: 35.000,00 Euro) habe die Beklagte die Versteigerung sofort unterbrochen. Sie sei mit dem Zeugen H. und dem Schuldner in das Büro gegangen. Dort habe sich herausgestellt, dass der Schuldner über kein Geld verfüge. Daraufhin habe die Beklagte mitgeteilt, dass sie die Sache neu ausbieten müsse. Ein Teil des Publikums hatte sich bereits entfernt. Die Versteigerung sei alles andere als „alltäglich“ gewesen.

82

Zu III., 5.

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Allein aus einer möglicherweise nicht hinreichenden Protokollierung könne nicht der Schluss gezogen werden, die Schuldner seien vor der Verhaftung nicht gefragt worden, ob sie freiwillig leisten bzw. die Eidesstattliche Versicherung abgeben wollten. Selbstverständlich habe die Beklagte so verfahren. Dessen ungeachtet habe die Beklagte - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - die Beträge aber sogleich erstattet.

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Zu III., 6.

85

Hier werde die außerordentliche Belastung der Beklagten nicht berücksichtigt. Die Fürsorgepflicht des Dienstherrn sei verletzt. Anders als ihre Kollegen habe die Beklagte häufig Versteigerungen durchgeführt. Versteigerungen seien aufgrund des damit verbundenen Zeit- und Arbeitsaufwandes von den Kollegen gemieden worden. Ungeachtet dessen habe die Beklagte bis in das Jahr 2005 hinein, als sie schwanger gewesen sei, keine Entlastung erfahren.

86

Zu III., 7.

87

Erhöhte Zustellkosten seien in früheren Prüfberichten nicht gerügt worden. Es habe keine Belehrung stattgefunden. Die Zustellungen rührten aus der Zeit der Beschäftigung der Mitarbeiterin W.. Die Beklagte habe die Mitarbeiterin ausdrücklich dazu angehalten, zwischen Zustellungen mit „grüner Post“ und solchen mit der „gelben Post“ zu unterscheiden. Die Mitarbeiterin habe in Einzelfällen möglicherweise fehlerhafte Zuordnungen getroffen.

88

Der Vorwurf im Prüfbericht vom 10.09.2004 sei ein nicht vergleichbarer Fall gewesen.

89

Ziff. III., 8.

90

In der Vergangenheit sei die Dokumentenpauschale als unproblematisch betrachtet worden. Es werde bestritten, dass eine Dokumentenpauschale nicht in Ansatz gebracht werden durfte. Die Beklagte sei erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 angewiesen worden, entsprechende Erhebungen zukünftig zu unterlassen. Der Prüfbeamte habe ausgeführt, dass die Rechtslage unklar sei und Erstattungen für die Vergangenheit nicht vorzunehmen seien. Zwei Wochen später habe man doch auf Rückzahlungen gepocht. Deshalb sei die Beklagte irritiert. Um die Streitfrage beizulegen habe die Beklagte die Pauschalen schließlich erstattet.

91

Zu III., 9.

92

Die Beamtin sei vom OLG A-Stadt letztlich zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.373,69 Euro an das Land Sachsen-Anhalt verurteilt worden. Jedoch sei die Klage überwiegend abgewiesen worden. Das OLG habe zwar Fehler der Beklagten beschrieben. In Höhe eines Betrages in Höhe von 7.531,30 Euro sei der Beklagten aber ein Vorwurf grobfahrlässigen Verhaltens nicht zu machen. Soweit das OLG hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 1.373,59 Euro auf grobe Fahrlässigkeit erkannt habe, sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass die Kreissparkasse K. selbst den Vollstreckungstitel zurückverlangt, die Einlagerungskosten gekannt und darum gewusst habe, dass die Beklagte, die den Titel schnellstmöglich zurückverlangt habe, auf den Titel gewartete habe, um weiter vollstrecken zu können.

93

Zu Ziff. III., 10.

94

Die Beklagte habe in keinem Fall Wegegelder erhoben, obwohl Wege nicht angefallen seien. Sie habe Wegegelder nicht doppelt abgerechnet oder Wegegeldstufen mehrfach übersprungen. Es sei wiederholt vorgetragen worden, dass die Beklagte Schuldner mehrfach aufgesucht und deshalb (mehrere) Wegegelder, etwa bei der Abholung von Raten, zu berücksichtigen gewesen seien. Gleichzeitig habe sich im Jahre 2001 das Gebührenrecht geändert und die Wegegeldzonen seien neu festgelegt. Sie habe daraufhin auf Anraten des damaligen Obergerichtsvollziehers S. eine Tabelle erstellt und diese zu den General- und Sammelakten gegeben. Beanstandungen hinsichtlich der Wegegeldabrechnungen habe es nie gegeben. Dabei sei der Gerichtsvollzieherprüfungsbeamte verpflichtet, Akten gerade auch wegen erhobener Wegegelder zu prüfen. Schließlich seien aufgrund des Disziplinarverfahrens gegen die Beamtin den Gerichtsvollziehern Abrechnungstabellen vorgegeben worden.

95

Zusammenfassend führt die Beklagte aus:

96

Die Beklagte sei als junge Gerichtsvollzieherin seit dem Jahre 2001 stets überlastet gewesen. Ihr seien zusätzliche Bezirke übertragen worden, die „brannten“. Dies sei der Dienstaufsicht bekannt gewesen. Der Vorwurf, das Ansehen der Justiz beschädigt zu haben, sei aufgrund der bewusst veranlassten Überlastung der Beklagten paradox. Die hohen Beitreibungsergebnisse der Gerichtsvollzieherin hätten das Ansehen der Justiz gestärkt.

97

Von einem endgültigen Vertrauensverlust könne noch nicht ausgegangen werden. Denn der Kläger habe die Beklagte trotz Abschluss der Ermittlungen über viele Monate in den Innendienst versetzt und beschäftigt. Dort habe die Beklagte beanstandungsfrei gearbeitet.

98

Der Kläger erwidert:

99

Der lange Zeitraum des Disziplinarverfahrens sei den umfangreichen Ermittlungen geschuldet gewesen.

100

Zur angeblichen Überlastung werde auf den Beschluss des OVG LSA - Disziplinarsenat - vom 19.07.2007 (10 M 1/07) verwiesen, wo es heiße, dass „die von der Antragstellerin im wesentlichen eingeräumten zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sein wird“ und dass eine dienstliche Überlastung „weder eine beharrliche Verletzung von dienstlichen Kernpflichten, noch gar ein damit im Zusammenhang stehendes strafrechtliches Verhalten“ rechtfertige. Zudem seien die angegebenen Überlastungszahlen in den Jahren 2001 und 2002 nicht nachvollziehbar und die Vorgänge aus den Jahren 2004 und 2005 auch ohne Belang. Die von der Beklagten für die Jahre 2003 und 2004 genannten Werte von 166 % und 192 % entsprechen zwar den Feststellungen des Prüfbeamten in den Prüfberichten vom 10.9.2004 und 16.03.2005, beruhten allein aber auf den eigenen Jahresübersichten der Beklagten. Das Dienstregister zähle weitaus weniger Verfahren.

101

Zu III. 3.

102

Es sei festzustellen, dass Sachstandsanfragen durch eine Angestellte ohne konkreten Bezug zu dem nur aus der Akte ersichtlichen letzten Stand der Dinge beantwortet seien. Insoweit sei auch eine fehlerhafte Büroorganisation festzustellen.

103

Zu III. 4.

104

Der Vortrag ändere nichts daran, dass dem Schuldner der Zuschlag nicht hätte erteilt werden dürfen, ohne sich zuvor davon zu überzeugen, dass dieser den Betrag in Bar hinterlegt habe.

105

Zu III. 5.

106

Aus der fehlenden Protokollierung könne selbstverständlich die Nichtbefragung des Schuldners geschlossen werden. Im Übrigen hänge bei lebensnaher Betrachtung allein von der Fragestellung des Gerichtsvollziehers ab, ob der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben wolle oder nicht. Denn soweit sogleich mit der Verhaftung gedroht werde, werde der Schuldner die Eidesstattliche Versicherung abgeben, weil er die Verhaftung vermeiden will. Dann fielen sogleich 51,00 Euro an Gebühren an. Fragt der Gerichtsvollzieher hingegen nur, ob die Eidesstattliche Versicherung jetzt abgegeben werde und führt nach Verneinung der Frage die Verhaftung durch, seien insgesamt 70,00 Euro an Gebühren angefallen. Die Verfahrensweise der Beklagten sei dementsprechend allein dadurch motiviert gewesen, jeweils zusätzliche 19,00 Euro zu verdienen.

107

Zu III.6.

108

Gerügt sei die schlichte Nicht-Weiterleitung von Akten an das Vollstreckungsgericht. Soweit die Beklagte auf ihre hohen Beitreibungsergebnisse und das insoweit hervorgehobene „besondere Engagement“ verweise, erkläre sich dies damit, dass die Einnahmen der Gerichtsvollzieher damals wegen der Bürokostenentschädigung noch deutlicher erfolgsabhängiger gewesen seien als heute. Vor diesem Hintergrund fühlten sich die Gerichtsvollzieher damals mit einem Pensum von 1,3 bis 1,4 keineswegs überfordert, sondern wünschten eine deutlich über 1,0 Pensen liegende Belastung. Dementsprechend seien auch keine Überlastungsanzeigen erstattet worden. Bei dieser allen Beteiligten bestens bekannten Sachlage davon zu sprechen, es sei ein „Ausdruck grober Treuwidrigkeit, einen Gerichtsvollzieher zu überlasten“ werde den tatsächlichen Zusammenhängen nicht gerecht.

109

Zu III. 7.

110

Auch die Entlastung aufgrund Tätigkeiten durch die Mitarbeiterin W. könne nicht greifen. Denn insoweit liege auch hier ein Überwachungsverschulden vor.

111

Zu III. 8.

112

Auf die fehlerhafte Erhebung von Dokumentenpauschalen sei die Beklagte sei dem Jahr 2002 in jedem Prüfbericht hingewiesen worden. Zudem handele es sich um eine von der Beamtin selbst zu beantwortende Rechtsfrage. Hier zeige sich die beachtliche Kreativität der Beklagten in der Schaffung gesetzlich nicht vorgesehener Einnahmequellen.

113

Zu III. 9.

114

Der das Disziplinarverfahren bearbeitende Richter am OLG Dr. O. sei zum Zeitpunkt der Urteilsfindung nicht mit Disziplinarsachen befasst gewesen.

115

Zu III. 10.

116

Dass es an umfassenden Beanstandungen in den Geschäftsprüfungen bezüglich der Wegegelder fehle, beruhe darauf, dass die Wegegeldberechnung im Rahmen der Geschäftsprüfung eine völlig untergeordnete Rolle spiele.

117

Die Beklagte erwidert:

118

Soweit die Klägerin nunmehr hinsichtlich der Vorwürfe zu III. 3. und III. 7. auf ein Büro- und Organisationsverschulden der Beklagten verweist, handele es sich um einen neuen, von der Disziplinarklage nicht umfassten Vortrag. Der Vorhalt zu III. 5. bezüglich der Verhaftungen sei konstruiert und ehrenrührig. Hinsichtlich der zu III. 6. vorgetragenen Überlastungsproblematik verkenne der Kläger, dass die Überlastungen nicht jeweils mit dem Ablauf des Jahres enden. Selbstverständlich gebe es Überhänge. Es sei falsch, dass Überlastungen aus wirtschaftlichen Gründen bei den Gerichtsvollziehern gewünscht gewesen seien. Die Beklagte habe ihre Überlastung wiederholt thematisiert, insbesondere gegenüber ihrer Direktorin, gegenüber dem Prüfungsbeamten und gegenüber dem Mitarbeiter der „T.-F.“ S.. Die Beklagte könne ihrer Direktorin nichts anzeigen, was diese nicht schon gewusst habe.

119

Abschließend verweist die Klägerin erneut auf die Notwendigkeit individueller Überlastungsanzeigen. Diese Frage müsse individuell nach Ausbildungsstand, Befähigung, praktischer Erfahrung und Übung, Gesundheitszustand und Alter des Beamten geprüft werden.

120

Mit Beschluss vom 20.09.2012 hat das Disziplinargericht den Kläger aufgefordert, die in der Disziplinarklage unter Punkt 10 und der Anlage III aufgeführten 2.436 Akten dem Disziplinargericht in der Reihenfolge der Darstellung in der Anlage III bis zum 22.10.2012 vorzulegen und die Verfahren, welche Gegenstand der Verurteilung der Beamtin im Urteil des LG Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zum Tatkomplex Wegegelder waren, in der Anlage III kenntlich zu machen. Auf den daraufhin vom Kläger abgegebenen Schriftsatz vom 02.10.2012 (GA, Bl. 208) und 18.10.2012 (GA, Bl. 271) mit der dazugehörigen Tabelle (GA, Bl. 209 – 334) wird verwiesen.

121

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die der Verfahren 8 B 12/10 MD und 8 B 22/06 MD sowie die beigezogenen Verwaltungs-, Ermittlungs- und Zwangsvollstreckungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

122

I.) Die Disziplinarklage ist zulässig.

123

Das behördliche Disziplinarverfahren oder die Klageschrift leiden nicht unter einem wesentlichen Mangel im Sinne von § 52 DG LSA oder einem sonstigen beachtlichen Verfahrensfehler.

124

1.) Der Kläger ist klagebefugt. Die oberste Dienstbehörde kann ihre Befugnisse nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA durch allgemeine Anordnung ganz oder teilweise auf die ihr unmittelbar nachgeordneten Dienstvorgesetzten für deren Aufgabenbereich übertragen; die Anordnung ist zu veröffentlichen (§ 34 Abs. 2 Satz 2 DG LSA). Dies ist durch die allgemeine Anordnung des MJ vom 23.05.2006, Abschn. I, Ziff. 1 - 2030/01-101.8 - (MBl. LSA v. 19.06.2006) geschehen. Danach obliegt es dem Präsidenten des OLG die Disziplinarklagen gegen Beamte des einfachen, mittleren und gehobenen Dienstes einschließlich des Gerichtsvollzieherdienstes zu erheben. Die Beteiligung der obersten Dienstbehörde nach § 35 DG LSA ist geschehen. Nachdem das Ministerium der Justiz des Landes Sachsen-Anhalt den Disziplinarklageentwürfen unter dem 13.02.2007 und 14.07.2010 nicht zugestimmt hat, wurde dem Entwurf der Disziplinarklage vom 31.03.2011 mit Verfügung des MJ vom 19.04.2011 vorbehaltlich geringfügiger Änderungen zugestimmt.

125

2.) Der Begriff des wesentlichen Mangels im Sinne von § 52 DG LSA erfasst Verletzungen von Verfahrensregeln, die im behördlichen Disziplinarverfahren von Bedeutung sind (BVerwG zum gleichlautenden § 55 BDG; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; beide juris). Hierunter fallen Verstöße gegen verfahrensrechtliche Vorschriften und Rechtsgrundsätze, die den äußern Ablauf des behördlichen Disziplinarverfahrens bis zur abschließenden behördlichen Entscheidung, also bis zur Erhebung der Disziplinarklage oder bis zu dem Erlass einer Disziplinarverfügung, betreffen (BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09 mit Verweis auf Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 13.12.2012, 8 A 7/11; alle juris).

126

Vorliegend rügt die Beklagte innerhalb der Frist nach § 52 Abs. 1 DG LSA, dass keine ausreichende Sachaufklärung erfolgt sei, die Beamtin nach Abschluss des Verfahrens nicht hinreichend angehört und von ihr benannte Zeugen nicht vernommen worden seien.

127

a.) Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA sind die zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Es sind die belastenden wie die entlastenden Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind (§ 21 Abs. 1 Satz 3 DG LSA). Die Aufklärungspflicht aller tatsächlicher Umstände von disziplinarrechtlicher Bedeutung orientiert sich an den Bemessungsregeln und -maßstäben im Sinne des § 13 DG LSA (vgl. BVerwG zu § 13 BDG, Urteil v. 27.01.2011, 2 A 5.09; juris).

128

Das Vorgehen des Klägers genügt diesen Anforderungen. Dabei rügt die Beklagte bereits nicht substantiiert, welche konkreten Ermittlungen sie bei der Aufklärung des Sachverhaltes vermisst. Soweit sie meint, dass ihre persönliche Situation, ihre stetige vom Dienstherrn billigend in Kauf genommene berufliche Überlastung und ihre hohen Erledigungsleistungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, ist dies keine Frage der Sachverhaltsaufklärung sondern der rechtlichen Bewertung und hier insbesondere einer möglichen Milderung. Die disziplinarbehördlichen Ermittlungen haben sich nicht nur darauf beschränkt, die Tathandlungen der Beklagten festzustellen, sondern ziehen aus den von der Beklagten vorgetragenen Entlastungsgründen andere rechtliche Konsequenzen. Insoweit ist der vorliegende Fall nicht mit dem Sachverhalt zu vergleichen, welcher der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 27.01.2011 zugrunde lag (2 A 5.09; juris).

129

b.) Dem Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ist hinreichend genüge getan worden. Danach ist „nach Beendigung der Ermittlungen“ dem Beamten „Gelegenheit zu geben, sich abschließend mündlich oder schriftlich zu äußern“; § 20 Abs. 2 DG LSA gilt entsprechend. Die Anhörung kann (nur) unterbleiben, wenn das Disziplinarverfahren eingestellt werden soll. Letzteres ist vorliegend nicht geschehen.

130

Eine Verletzung der in § 30 Abs. 1 DG LSA (gleichlautend mit § 30 Satz 1 BDG) geregelten Pflicht zur abschließenden Anhörung ist als ein wesentlicher Verfahrensmangel anzusehen. § 30 Satz 1 DG LSA sichert den Anspruch des Beamten auf rechtliches Gehör im Sinne eines Rechts auf Information, Äußerung und Berücksichtigung. Er ist zudem Ausprägung des Grundsatzes, dass der Beamte nicht zum bloßen Objekt des Disziplinarverfahrens gemacht werden darf. Dieses Verständnis des Anspruchs auf rechtliches Gehör indiziert, dass sich die Anhörung des Beamten auf das weitere Disziplinarverfahren auswirken und für dieses von Bedeutung sein kann. Entsprechend hat der Gesetzgeber die Pflicht zur abschließenden Anhörung als zwingende Verfahrensvorschrift ausgestaltet, die leerlaufen würde, wenn das Gericht die Verletzung dieser Pflicht als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens nicht relevant einstufen würde (BVerwG, U. v. 08.12.2010, 2 WD 24.09; OVG Bremen, B. v. 07.02.2012, DB A 78/10; beide juris).

131

Den behördlichen Disziplinarvorgängen kann nicht entnommen werden, dass der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten ein dementsprechendes abschließendes Anhörungsrecht nach Beendigung der Ermittlungen ausdrücklich eingeräumt wurde. Dies scheint aber den Besonderheiten des Ermittlungsverfahrens hinsichtlich der gesetzlichen Veränderungen und dem Umfang der behördlichen Ermittlungen und Verfahren, die auch zur vorläufigen Dienstenthebung geführt haben, geschuldet gewesen zu sein.

132

Vorliegend ist das Disziplinarverfahren noch unter der Geltung der Disziplinarordnung Sachsen-Anhalt (DO LSA) mit Verfügung vom 28.02.2005 eingeleitet worden. Mit Verfügung vom 23.06.2005 wurde der Beamtin das Ergebnis der Ermittlungen mitgeteilt. Mit Disziplinarverfügung vom 08.09.2005 wurde ein disziplinarrechtlicher Verweis gegen die Beamtin erteilt. Dieser Verweis beinhaltete die Vorwürfe zu 2. (verspätete Auskehr), 3. (Sonderaktenführung; Textbausteine); 4. (Versteigerung F.). Wegen weiterer sich herausstellender Verdachtsmomente wurde dieser Verweis unter dem 05.10.2005 wieder aufgehoben und die Vorermittlungen entsprechend der neuerlichen Feststellungen im Prüfungsbericht vom 30.09.2005 (Gebührenüberhebung wegen Verhaftungsgebühr; Entnahme von Fremdgeldern {später nicht verfolgt}, Wegegelder, Zustellkosten, Dokumentenpauschalen; Verschleppung des Verfahrens {Sparkasse}) wurden erweitert. Am 17.03.2006 und 31.03.2006 wurden die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen erneut erweitert. Das wesentliche Ergebnis der Vorermittlungen ist den Berichten vom 02.06.2006 und 03.07.2006 zu entnehmen und wurde der Beamtin taggleich mitgeteilt. Unter dem 23.06.2006 wurden die Vorermittlungen gemäß § 26 Abs. 4 DO LSA abgebrochen. Es wurde festgestellt, dass das förmliche Disziplinarverfahren einzuleiten ist. Der Beamtin und ihrem Prozessbevollmächtigten wurde unter dem 07.07.2006 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, gemäß § 34 DG LSA Disziplinarklage zu erheben und sie Gelegenheit zur Stellungnahme erhalte.

133

Zu Recht wurde das im Jahr 2005 eingeleitete Disziplinarverfahren unter dem Regime des Disziplinargesetzes LSA nach dem 01.07.2006 fortgeführt (§ 81 Satz 3 DG LSA). Denn die Übergangsregelung in § 81 Abs. 4 Satz 1 DG LSA ist nicht einschlägig. Zwar hat die Disziplinarbehörde wenige Tage vor dem Inkrafttreten des Disziplinargesetzes, nämlich am 23.06.2006 festgestellt, dass ein förmliches Disziplinarverfahren - wie es nach der Disziplinarordnung LSA hieß - eingeleitet werden muss (vgl. § 26 Abs. 4 DO LSA). Nach § 33 DO LSA wird das förmliche Disziplinarverfahren durch schriftliche Verfügung der Einleitungsbehörde eingeleitet. Die Verfügung wird dem Beamten zugestellt. Die Einleitung wird mit der Zustellung an den Beamten wirksam (§ 33 Satz 4 DO LSA). Letzteres, also die Zustellung an die Beamtin ist jedenfalls nicht vor dem 01.07.2006 geschehen. Demnach sind seit dem 01.07.2006 die Regelungen des DG LSA anwendbar.

134

Wurde damit das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“, welches dazu führte, das man ein förmliches Disziplinarverfahren nach der DO LSA einleiten wollte, der Beamtin mitgeteilt, sind den Erfordernissen des abschließenden Anhörungsrechts nach § 30 DG LSA genüge getan worden. Denn die Ermittlungen waren abgeschlossen. In der Folgezeit nahm der Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht (August 2006) und der Bezirkspersonalrat wurde angehört (August 2006). Sodann wurde unter dem 14.11.2006 eine erste Disziplinarklage dem MJ LSA zur Zustimmung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 DG LSA vorgelegt worden. Diese Disziplinarklage wurde vom MJ LSA unter dem 13.02.2007 bemängelt und zur Überarbeitung zurückgegeben. Ebenso die zweite Disziplinarklage vom 20.04.2007. Nachdem das Disziplinarverfahren gem. § 22 DG LSA wegen des anhängigen Strafverfahrens ausgesetzt wurde, vermochte das MJ LSA auch nach Fortsetzung des Verfahrens unter dem 14.07.2010 den Entwurf der Disziplinarklage immer noch nicht zuzustimmen. Das MJ LSA bemängelte insbesondere, dass die strafrechtliche Historie und die letztendlich durch das OLG A-Stadt erfolgte Einstellung des Strafverfahrens in der Disziplinarklage nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Schließlich wurde die nunmehr vorliegende Disziplinarklage vom 20.04.2011 unter dem 19.04.2011 vom MJ LSA gebilligt.

135

Eine erneute, allein wegen dieser zeitlichen Komponente ausdrückliche Anhörung nach § 30 DG LSA musste nicht durchgeführt werden. Nach der Gesetzesbegründung zu § 30 DG LSA bedingt die Durchführung der Anhörung eine „Mitteilung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen“, was nach den allgemeinen Regeln des Verwaltungsverfahrensrechts selbstverständlich sei und deshalb im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt werde. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs ist davon auszugehen, dass die in Kap. 2 Teil 3 (behördliches Disziplinarverfahren) genannten Handlungen, die die Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens regeln, wie z. B. Beweiserhebung durchgeführt sein müssen. Demnach ist davon auszugehen, dass, wenn diese Handlungen durchgeführt sind, in der Regel die Erstellung des „wesentlichen Ergebnisses“ der Ermittlungen erfolgt und in einer in Kap. 3 genannten Abschlussentscheidung münden (Einstellung, Disziplinarverfügung, Disziplinarklage). Auch nach Zurückweisung der Disziplinarklage nach § 35 Abs. 1 DG LSA durch das MJ LSA fanden durch die Disziplinarbehörde keine neuen in Kap. 2 zur Durchführung des Disziplinarverfahrens genannten Maßnahmen statt, so dass der jeweiligen Überarbeitung der Disziplinarklage, § 30 DG LSA nicht im Wege steht. Daher ist entscheidend aber auch ausreichend, dass der Ermittlungsbericht des Ermittlungsführers der Beamtin oder ihrem Prozessbevollmächtigten zugegangen ist. Dies ist der Fall. Denn § 30 DG LSA setzt nicht etwa voraus, dass die fertige Disziplinarklage den Beamten vor Erhebung zur Kenntnis gegeben werden muss. Zudem waren die wesentlichen Disziplinarvorwürfe der Beamtin aufgrund der Verfahren bezüglich der vorläufigen Dienstenthebung bekannt. Denn diese waren auch Gegenstand des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Magdeburg - Disziplinarkammer - vom 24.01.2011 (8 B 12/10 MD).

136

c.) Dem disziplinarrechtlichen Schriftverkehr sind keine Beweisangebote oder Beweisanträge seitens der Beklagten zu entnehmen, so dass diesbezüglich auch keine Verletzung durch Nichtberücksichtigung vorliegen kann.

137

d.) Schließlich genügt die Disziplinarklage dem Bestimmtheitsgebot. Der diesbezügliche strafprozessuale Vorhalt, der zur prozessualen Aufhebung der Verurteilung durch das Oberlandesgericht A-Stadt führte, ist zur Überzeugung des Disziplinargerichts in der Disziplinarklage geheilt. Dabei muss aus der Klageschrift unmissverständlich hervorgehen, welche Sachverhalte angeschuldigt werden. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn bei verständiger Lektüre aus der Klageschrift eindeutig hervorgehet, welche konkreten Handlungen den Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B. v. 20.12.2011, 2 B 59.11 m. w. Nachw.; juris). Die der Disziplinarklage beigefügte Tabelle zu dem Pflichtenverstoß Nr. 10 (Wegegelder) genügt der hinreichenden Konkretisierung. Denn es ist verständlich und nachvollziehbar, was damit gesagt und belegt werden soll. Zudem hat der Kläger nach Aufforderung durch das Disziplinargericht die Anlage III dahingehend weiter konkretisiert, dass er die dem Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 29.10.2009 zugrunde gelegten Verfahren bezeichnet und im Übrigen dem Disziplinargericht vorgelegt hat.

138

II.) Die Disziplinarklage ist begründet. Die Beklagte hat ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen, welches die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis nach sich zieht.

139

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Dienstpflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass die Beklagte die ihr unter Ziffern 2. b., 6, 7, 9 und 10 der Disziplinarklage zur Last gelegten Pflichtenverstöße begangen hat. Dadurch hat sie gegen ihre dienstlichen Pflichten zur uneigennützigen und gerechten Dienstausübung verstoßen und ist nicht der Achtung dem Vertrauen gerecht geworden die ihr Beruf erfordert (§§ 33, 34 BeamtStG). Dabei wiegt der Vorwurf unter Ziffer 10 (Wegegeldabrechnungen) schwer und dominierend. Die Pflichtverletzungen sind als sogenanntes einheitliches Dienstvergehen zu sehen und zu ahnden. Hinsichtlich der vorgehaltenen Pflichtenverstöße zu Ziffern 1, 2. a. und c., 3, 4, 5 und 8 der Disziplinarklage ist die Beamtin freizusprechen.

140

1.) Der unter 1. in der Disziplinarklage genannte Vorwurf der verspäteten Abgabe einer Stellungnahme zur Geschäftsprüfung im Prüfbericht vom 10.09.2004 trägt nicht. Zum einen kann bereits in der Akte nicht die in der Disziplinarklage genannte Aufforderung vom 28.09.2004 durch die Direktorin des Amtsgerichts K. aufgefunden werden und zum anderen hat die Beamtin unter dem 27.01.2005 (Beiakte F, Bl. 90) umfassend zu dem Prüfbericht Stellung genommen. Wenn überhaupt, dann handelt es sich um eine Verzögerung von ca. 4 Monaten. Dies kann nicht als disziplinarrechtlich relevanter Gehorsamsverstoß angesehen werden. Der Beamtin mag vorzuwerfen sein, dass sie nicht hinreichend mit der Dienstaufsicht kooperiert. Dies ist aber auch der Vielzahl der im Prüfbericht festgestellten Vorwürfe zurechenbar. Dementsprechend mag auch die Fristsetzung von einem Monat für die Stellungnahme zu den umfangreichen Vorwürfen als zu kurz bemessen anzusehen sein. Auch die in der Disziplinarverfügung genannten wiederholten und ausdrücklichen Aufforderungen durch die Direktorin des Amtsgerichts sind den Akten nicht zu entnehmen.

141

2.) Bezüglich des unter 2. in der Disziplinarklage erhobenen Pflichtenverstoßes ist zu unterscheiden. Bereits fraglich ist, was unter verspäteter Abführung an die Gläubiger zu verstehen ist. § 106 Nr. 1 GVGA lautet:

142

„Die empfangenen Leistungen liefert der Gerichtsvollzieher unverzüglich an den Gläubiger ab, sofern dieser nichts anderes bestimmt hat.“

143

„Unverzüglich“ bedeutet grundsätzlich „ohne schuldhaftes Zögern“. Dabei ist auf den Einzelfall abzustellen. In der Disziplinarklage werden 32 Fälle aus dem Jahre 2004 benannt. Dabei gehen die Differenztage von wenigstens 3 bis in einem Fall längstens 45 Tagen; weitere Fälle von 38, 35 und 31 Tagen. Die vom Kläger gebildete Durchschnittsüberschreitung von 17 Tagen kann bereits nicht Maßstab für die Fristenüberschreitung sein. Insoweit müsste jeder Einzelfall beleuchtet werden. Im Übrigen stammt dieser Vorwurf vom 10.09.2004 (Bl. 55 Beiakte F). Die Beamtin führt in ihrer diesbezüglichen Stellungnahme vom 27.01.2005 (Bl. 90 Rs Beiakte F) aus:

144

„Die verzögerten Überweisungsfristen liegen auch darin begründet, dass ich mit Diskette überweise und dadurch im Einzelnen Übertragungsfehler in den Daten der Überweisungen auftreten.

145

Dann führt meine Bank die Überweisungsliste nicht aus. Die gesamte Liste muss dann erneut erfasst werden, was Verzögerungen hervorruft.

146

Auch ist es schon passiert, dass die Überweisungsaufträge von meiner Bank verspätet ausgeführt wurden.

147

Dies ist auch eine Verzögerung, die ich nicht zu vertreten habe. Ich betone aber, dass dies keinesfalls die Regel ist und überall Menschen arbeiten, denen Fehler unterlaufen.

148

Ich werde künftig dafür Sorge tragen, Verzögerungen, die ich selbst zu vertreten habe, zu meiden.“

149

Demnach mögen hier in den unter Nr. 2. a) dargestellten Verfahren im Einzelfall Verspätungen feststellbar sein. Diese hält die Disziplinarkammer aber disziplinarrechtlich für nicht gravierend, weil es sich allenfalls um eine nachlässige Arbeitsweise handelt.

150

Schwerer wiegt der unter 2. b) erhobene Vorwurf hinsichtlich des am 19.03.2004 erzielten Versteigerungserlöses, welcher am 18.08.2004 noch nicht abgeführt war. Mithin liegt hier eine Überschreitung von fünf Monaten vor. Zu diesem Vorwurf verhält sich die Beklagte nicht.

151

Die unter Ziffer 2. c) dargestellten 11 Verfahren weisen unstreitig eine Überweisungsfrist zwischen 7 und 11 Tagen auf. Auch hier vermag die Disziplinarkammer nicht eindeutig zu entscheiden, ob ein Verstoß gegen die „Unverzüglichkeit“ vorliegt. Ein Vorwurf mag der Beamtin darin gemacht werden, dass sie trotz der Feststellungen in dem Prüfbericht aus dem Jahre 2004 weiterhin wenig Kontrolle ihrer Überweisungen an den Tag gelegt hat. Der Vorwurf der mangelnden Organisation wird aber nicht erhoben.

152

3.) Den unter 3. erhobenen Pflichtenverstoß vermag das Disziplinargericht nicht zu teilen. Der unter a) geführte Vorwurf pauschale und irreführende Textvordrucke benutzt zu haben, kann so nicht erhoben werden. Die Beamtin hat sich nur eines vorgefertigten Textbausteins bedient, um auf eine Vielzahl von gleichlautenden Sachstandsanfragen zu reagieren. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dass diese Antworten in den aufgeführten fünf Verfahren unrichtig waren, weil die Vollstreckungsaufträge bereits erledigt waren, mag keinen Pflichtenverstoß begründen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - ist nicht der mit der Disziplinarklage erhobene Vorwurf der Täuschung belegt.

153

4.) Der Vorwurf zu 4. ist zur Überzeugung des Gerichts nicht - hinreichend - erfüllt.

154

Nach § 1239 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Eigentümer bei der Versteigerung mitbieten. Satz 2 der Norm bestimmt, dass das Gebot des Eigentümers zurückgewiesen werden darf, wenn nicht der Betrag bar erlegt wird. Dementsprechend führt § 145 Nr. 2 b GVGA aus, dass der Schuldner bei der Versteigerung mitbieten kann; sein Gebot jedoch zurückzuweisen ist, wenn er nicht den Betrag sofort bar hinterlegt. Der Zuschlag darf nicht ohne vorherige Prüfung der Liquidität erfolgen.

155

Die Beklagte stellt den Vorgang in der Klageerwiderung vom 30.06.2011 so dar, dass sie nach dem Gebot die Versteigerung sofort unterbrochen habe und mit dem Schuldner und dem Zeugen H. in das Büro gegangen sei. Dort habe sich die Illiquidität des F. herausgestellt. Demgegenüber hat sie im diesbezüglichen Vermerk zur Versteigerung vom 19.03.2004 – also direkt nach der Versteigerung - ausgeführt, dass der F. den Zuschlag erhalten habe. Erst danach habe sie die Liquidität des F. überprüft. Dementsprechend könnte hier in der Tat eine falsche Sachbehandlung vorliegen. Denn Folge dieser Illiquidität des Schuldners war, dass die Versteigerung erneut durchgeführt werden musste und es dann nur zu einem Gebot von nur 20.000,00 Euro kam, wohingegen zuvor ein unter dem Gebot des F. in Höhe von 35.000,00 Euro liegendes - wohl zuschlagsfähiges - Gebot in Höhe von 33.000,00 Euro lag; demnach entstand eine Differenz von 13.000,00 Euro. Andererseits ist dem Gericht aus dem Eilverfahren zur vorläufigen Dienstenthebung (8 B 12/10 MD) bekannt, dass der am Versteigerungstermin teilgenommene Zeuge S. in einer Eidesstattlichen Versicherung angab, er habe ein Gespräch zwischen der Beklagten und dem Gerichtsvollzieher H. mitverfolgen können, dass geplant gewesen sei, den F. im Falle der Versteigerungsteilnahme sofort zu überprüfen. Dann heißt es aber in der E.V.; „Dazu ist es nicht gekommen, da der fragliche F. bei der Versteigerung bis zum Schluss nicht mitgeboten hat. Als Schlussbietender wurde er sofort in das Büro gebeten.“ Demnach ist es so, dass der F. als Schlussbieter nicht zuvor das Geld zeigen musste. Dies berücksichtigt die Disziplinarklage nicht hinlänglich genug.

156

5.) Der Gerichtsvollzieherin wird unter Ziffer 5 der Disziplinarklage vorgeworfen, dass sie entgegen der Gesetzeslage zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung geladene Schuldner verhaftet hat, ohne ihnen zuvor Gelegenheit gegeben zu haben, die Eidesstattliche Versicherung freiwillig - ohne Verhaftung - abzugeben. Dabei steht in dem Vorwurf aber nicht die Verhaftung und damit Freiheitsberaubung im Vordergrund, sondern wohl die Erhebung zusätzlicher Kosten.

157

Ausgangslage ist also, dass der Schuldner verhaftet werden kann, wenn er die Eidesstattliche Versicherung ablehnt, um die Verhaftung als Druckmittel zu benutzen. Die Disziplinarklage führt aus, dass aus dem Protokoll zu dem Verfahren DR II 505/05 nicht ersichtlich sei, dass die Schuldnerin eben gerade vor der Verhaftung zur freiwilligen Abgabe der EV aufgefordert worden sei. Die Disziplinarklage geht aber weiter und interpretiert aus der fehlenden Aufnahme im Protokoll über die Befragung, dass davon auszugehen sei, dass die Schuldnerin noch im Verhandlungstermin mitwirkungsbereit gewesen sei und die Eidesstattliche Versicherung freiwillig habe abgeben wollen, da nicht dokumentiert sei, ob sie befragt worden sei, ob die Bereitschaft bestehe, die geforderte Eidesstattliche Versicherung freiwillig abzugeben. Diese Interpretation des Protokolls trägt den Disziplinarvorwurf nicht. Man mag der Gerichtsvollzieherin vorwerfen können, dass sie die Protokollierung nicht ordnungsgemäß vorgenommen habe. Dies ist aber gerade nicht Vorwurf der Disziplinarklage ist. Der Vorwurf ist vielmehr, dass unnötige Verhaftungen durchgeführt wurden, die zu unnötigen Kosten geführt haben; ein gänzlicher anderer Vorwurf.

158

Auch die weiteren in der Disziplinarklage genannten Verfahren betreffen die Nichtprotokollierung der freiwilligen Abgabe. Für sie gilt dasselbe.

159

6.) Der Beamtin wird unter 6. der Disziplinarklage vorgeworfen, in mindestens 57 Fällen aus den Jahren 2004, 2005 gegen ihre Pflicht zur unverzögerten Bearbeitung der Verfahren verstoßen zu haben. Dies sind alle samt Fälle, in denen der Schuldner nicht zur Abgabe der Eidesstattlichen Versicherung erschien, so dass die Akten zum Vollstreckungsgericht weitergereicht werden müssen. Dieses Verfahren ist in § 185 j GVGA geregelt. Entscheidend ist aber, dass dort keine Frist aufgeführt ist. Es heißt dort nur: „so legt der Gerichtvollzieher ... dem Vollstreckungsgericht ... vor“.

160

Auch der zitierte § 64 GVGA hilft nicht weiter. Denn die Disziplinarklage führt nur Satz 1 der Norm auf, wonach der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung schnell und nachdrücklich durchführt. Dies kann nur als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Dass es davon Ausnahmen gibt, bestimmt schon Satz 2 der Norm und der letzte Satz der Norm, wonach nach Monatsfrist ein Aktenvermerk zu fertigen ist. Im Übrigen fällt bei den in der Disziplinarklage aufgeführten 57 Verfahren auf, dass die Beamtin nachweislich der Daten die Fälle gesammelt hat, um sie dann gebündelt beim Vollstreckungsgericht vorzulegen. So beinhalten alleine 50 Fälle das Eingangsdatum beim Vollstreckungsgericht vom 15.03.2005, wobei diese ganz überwiegend vom Termin am 16.11.2004 stammten.

161

So verbleibt ein nicht schwerwiegender Vorhalt der unverzögerten Bearbeitung der Verfahren festzustellen.

162

7.) Der unter Nr. 7. der Disziplinarklage vorgehaltene Vorwurf trifft zu. Die Beamtin hat in acht Fällen Zustellungen in Höhe von 5,60 Euro durch die Deutsche Post AG in Ansatz gebracht, obwohl die Zustellungen tatsächlich durch einen privaten Kurierdienst zum Preis von 4,47 Euro durchgeführt wurden. Unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung liegt hier der disziplinarrechtlich relevante Pflichtenverstoß gegen die beamtenrechtliche Uneigennützigkeitspflicht vor.

163

8.) Der unter Nr. 8 der Disziplinarklage erhobene Vorwurf betrifft die Erhebung der sog. „Dokumentenpauschale“. Die Disziplinarklage führt aus, dass seit dem Jahre 2002 die Gerichtsvollzieherin in jedem Prüfungsprotokoll auf die falsche Sachbehandlung und Kostenberechnung hingewiesen worden sei. Dies bestreitet die Beamtin und trägt in der Klageerwiderung vor, dass sie erstmals in der Schlussbesprechung vom 10.09.2004 darauf hingewiesen worden wäre. In den Unterlagen sind die Prüfberichte 2002 nicht enthalten. Aufgrund der Ausführungen ist davon auszugehen, dass tatsächlich bezüglich dieser Erhebung gewisse Rechtsunsicherheiten und verschiedene Auslegungen bestanden. Dies führt die Gerichtsvollzieherin auch in ihrer Stellungnahme vom 27.01.2005 nachvollziehbar aus. Letztendlich - und dies ist auch zu bewerten - hat die Beamtin die überhöhten Kostenansätze in Höhe von insgesamt 432,00 Euro nach Aufforderung an die Landeskasse abgeführt.

164

9.) Im Zusammenhang mit dem Tatbestand des Urteils des Oberlandesgerichts A-Stadt vom 28.05.2008 erschließt sich der Vorhalt zu Ziffer 9 der Disziplinarklage. Zunächst wird der Beamtin in der Disziplinarklage vorgeworfen, in dem Verfahren DR II 617/04 (Kreissparkasse) nicht ordnungsgemäß protokolliert zu haben. Es wird angeführt, dass in der Akte ein unausgefüllter Protokollvordruck vom 24.03.2004 enthalten sei. Es sei nicht ersichtlich, welche Pfandstücke gepfändet worden seien. Im Juni 2004 sei dann gegen die Schuldnerin das Insolvenzverfahren mit Untersagung der Zwangsvollstreckung eröffnet worden. Auch nach Freigabe des Pfandgutes durch den Insolvenzverwalter im Februar 2005 sei erst durch den Dezernatsnachfolger der Beklagten im September 2005 ein Versteigerungstermin bestimmt worden. Wegen der Lagerung der gepfändeten Gegenstände seien hohe Lagerkosten entstanden, welche durch eine zeitnahe Versteigerung hätten verringert werden können. So fehle es an der Schätzung des Verkehrswertes des Pfandgutes und damit an einem Verhältnis zu den Lagerkosten. Die Lagerkosten betrugen wohl 7.531,30 Euro. Der spätere Verwertungserlös nur 600,00 Euro. Es kam zum Amtshaftungsanspruch, weshalb die Beamtin letztendlich vom Oberlandesgericht A-Stadt verurteilt wurde, an das Land Sachsen-Anhalt 1.373,69 Euro zu zahlen; hinsichtlich eines Betrages von 7.531,30 Euro an den Spediteur wurde die Amtshaftungsklage abgewiesen. In dem Urteil vom OLG A-Stadt (6 U 163/07) ist ausgeführt, dass die Gerichtsvollzieherin durch die nicht zeitnahe Anberaumung eines Versteigerungstermins ihre Amtspflichten verletzt, die Einlagerungskosten unnötig erhöht hat und ihr grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

165

Die Disziplinarkammer schließt sich aus den Gründen des Amtshaftungsurteils dem Disziplinarvorwurf an. Soweit die Beamtin der Einschätzung des Oberlandesgerichts A-Stadt zur groben Fahrlässigkeit widerspricht ist anzunehmen, dass mindestens Fahrlässigkeit vorliegt.

166

10.) Der Schwerpunkt der Disziplinarklage liegt auf dem schwerwiegenden Pflichtenverstoß zu Nr. 10. Hier werden der Beamtin falsch abgerechnete Wegegelder in Höhe von 7.146,59 Euro im Zeitraum Oktober 2001 bis Juli 2005 vorgehalten. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts trifft dieser Vorwurf zu. Die Beamtin tritt dem auch nicht substantiiert entgegen.

167

Das Wegegeld wird nach § 37 Abs. 3 GvKostG (a. F.; bis 30.04.2001) und gemäß KV 711 GvKostG (n. F. ab dem 01.05.2001) nach Entfernungen berechnet. Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 GvKostRNeuOG v. 19.04.2001 waren dann, wenn der Auftrag vor dem 01.05.2001 erteilt worden war, die Kosten nach § 37 Abs. 3 GKG a. F. zu erheben. Nr. 711 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtsvollzieherkostengesetz sieht ein

168

Wegegeld je Auftrag für zurückgelegte Wegstrecken

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- bis zu 10 km von 2, 50 EUR

170

- von mehr als 10 km bis 20 km von 5,00 EUR

171

- von mehr als 20 km bis 30 km von 7,50 EUR

172

- von mehr als 30 km von 10,00 EUR

173

vor. Das Wegegeld wird erhoben, wenn der Gerichtsvollzieher zur Durchführung des Auftrags Wegstrecken innerhalb des Bezirks des Amtsgerichts, dem der Gerichtsvollzieher zugewiesen ist, oder innerhalb des dem Gerichtsvollzieher zugewiesenen Bezirks eines anderen Amtsgerichts zurückgelegt hat (Nr. 711 Abs. 1). Maßgebend ist die Entfernung vom Amtsgericht zum Ort der Amtshandlung, wenn nicht die Entfernung vom Geschäftszimmer des Gerichtsvollziehers geringer ist. Werden mehrere Wege zurückgelegt, ist der Weg mit der weitesten Entfernung maßgebend (Nr. 711 Abs. 2). Entscheidend ist, dass die Entfernung nach der Luftlinie zu messen ist (Nr. 711 Abs. 2 Satz 3).

174

a.) Gegen diese pauschalierte Wegegeldberechnung anhand der Luftlinie hat die Beklagte in den ihr vorgehaltenen Fällen verstoßen und damit nicht unerhebliche Beträge vereinnahmt, die ihr nicht zustanden. Exemplarisch sei dies an den Verfahren DR II 20/05 (Nr. 1 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage) hinsichtlich des Ortes Z., DR II 51/05 (Nr. 3 der Anlage III, S. 1 zu 2005 der Disziplinarklage), hinsichtlich des Ortes T., DR II-79/05 (Nr. 6 der Anlage III; S. 1 für 2005 der Disziplinarklage) und hinsichtlich des Ortes K. gezeigt. Alle diese - wie auch die Übrigen in der Anlage III der Disziplinarklage genannten - Orte liegen zweifellos in unmittelbarer Nähe zu dem Dienstsitz der Beamtin bzw. Amtsgericht, wobei beide Örtlichkeiten identisch sind, in K., nämlich T. 4 km Luftlinie, Z. 5 km Luftlinie und K. 7 km Luftlinie entfernt. Auch bei Unterstellung, dass es in den Jahren 2001 bis 2005 noch keine geeigneten Entfernungsberechnungsprogramme im Internet gegeben haben sollte, lässt und ließ sich auch damals diese örtliche Nähe unzweifelhaft unter Verwendung einer Karte ersehen, berechnen und sogar abschätzen. Dies auch deswegen, weil der Beklagten Ortskenntnisse hinsichtlich der in ihrem Bezirk liegenden Ortschaften unterstellt werden darf. So liegt z. B. die Ortschaft G. unmittelbar an der Stadtgrenze von K., so dass eine Einschätzung von über 10 Kilometer, wie exemplarisch in den Fällen DR II 319/05 (Nr. 42 der Anlage III, S. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) oder 323/05 (Nr. 44 der Anlage III, s. 2 zu 2005 der Disziplinarklage) geschehen, als ausgeschlossen erscheint. Wegen dieser objektiven Offensichtlichkeit der räumlichen Nähe dieser bis zu 10 Kilometer von K. entfernten und damit mit einem Wegegeld von 2,50 Euro abzurechnenden Ortschaften, handelte die Beklagte bei einer Abrechnung dieser Wegstrecken in Höhe von 5,00 Euro, weil eine Entfernung von mehr als 10 Kilometer bis 20 Kilometer vorliege, vorsätzlich und schuldhaft.

175

Ein Versehen, ein Irrtum, ein Vertun, eine Unachtsamkeit oder eine Fahrlässigkeit in Bezug auf die Entfernungsfestlegung erachtet die Disziplinarkammer unter diese objektiven Gegebenheiten als ausgeschlossen. Gegen diesen Einordnungsirrtum spricht auch, dass die Beklagte gleiche Orte überwiegend falsch, manchmal aber auch zutreffend abrechnete. Auch bei Unterstellung einer einmaligen, erstmaligen Fehleinschätzung der Entfernung hätte der Beklagten aufgrund der beschriebenen Offensichtlichkeit der Entfernungen dieser Irrtum bei der Vielzahl der vorgehaltenen und dann immer wieder kehrenden Kilometerangabe bewusst werden müssen. Daher würde die Beklagte auch die Verwendung einer von ihr - fehlerhaft - angefertigten Wegegeldtabelle nicht entlasten. Vielmehr wollte die Beklagte mit der Falschberechnung höhere Wegegelder abrechnen, welche aufgrund der Vielzahl der Fälle und über die Jahre gerechnet die als nicht unerheblich anzusehenden überhöhten Wegegelder ergaben. Hinter der Abrechnung stand System und war nicht nur auf wenige Einzelfälle und einem kurzen Zeitraum beschränkt.

176

b.) Dagegen sieht die Disziplinarkammer die der Beklagten vorgehaltene Abrechnung „nicht entstandener Wegegelder“ als nicht bewiesen an. Denn soweit die Beklagte ausführt, es habe jeweils Fahrten zu den Schuldnern gegeben, ist ihr dies allein wegen ihrer mangelnden Nachweisführung nicht mit der notwendigen Gewissheit zu widerlegen. So mag es sein, dass sie die Schuldner in den jeweiligen Ortschaften aufgesucht hat, so dass das Wegegeld entstanden ist, die Zahlung aber unter ihrem Dienstsitz in K. quittiert hat.

177

III.) Die Beklagte hat die in einem inneren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehenden Pflichtverletzungen im Sinne eines einheitlich zu bewertenden innerdienstlichen Dienstvergehens (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) vorsätzlich und schuldhaft begangen.

178

1.) Hinsichtlich der auszusprechenden Disziplinarmaßnahme ist die Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten richtungsweisend (vgl. § 13 DG LSA). Die Schwere beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzungen, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.11.2012, 8 A 12/11 und Urteil v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urteil v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; alle juris).

179

Für das danach zu findende Disziplinarmaß können die vom Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts für bestimmte Fallgruppen herausgearbeiteten Regeleinstufungen von Bedeutung sein. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und v. 03.05.2007, 2 C 9.06, alle juris).

180

Ein endgültiger Verlust des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit im Sinne von § 13 Abs. 2 Satz 1 DG LSA ist anzunehmen, wenn aufgrund der prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen seine Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

181

2.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urteil v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Dies ist vorliegend zweifellos die Falschabrechnung der Wegegelder, mithin eine Gebührenüberhebung. Damit hat die Beklagte jedenfalls gegen ihre beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit nach § 34 Satz 2 in Verbindung mit der sogenannten Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

182

3.) Verstöße gegen die Uneigennützigkeit werden in der Rechtsprechung der Disziplinargerichte seit jeher als sehr schwerwiegend eingestuft. Denn die uneigennützige, nicht auf den privaten Vorteil bedachte Führung der Dienstgeschäfte stellt eine wesentliche Grundlage des Berufsbeamtentums dar. Im Hinblick darauf ist die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis jedenfalls dann Richtschnur für die Bestimmung der angemessenen Disziplinarmaßnahme, wenn erhebliche Geldzahlungen geflossen sind (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10; juris). Zudem ist disziplinarrechtlich entscheidend, ob der Verstoß gegen die Uneigennützigkeit aufgrund einer besonderen Vertrauensstellung des Beamten beruht, das heißt, ob etwa ein Zugriff auf dienstlich anvertraute Gelder oder ein nicht unter Ausnutzung der dienstlichen Vertrauensstellung verübtes (Betrugs-)Delikt vorliegt (BVerwG, Beschluss v. 20.12.2011, 2 B 64.11, juris).

183

Dabei hängt die disziplinarrechtliche Einstufung als Zugriffsdelikt nicht von der strafrechtlichen Beurteilung ab. Es kommt nicht darauf an, ob ein Beamter dienstliche Gelder oder Güter z. B. durch Betrug, Diebstahl, Untreue oder Unterschlagung erlangt hat. Ein Zugriffsdelikt liegt vielmehr dann vor, wenn der Beamte dienstlich anvertraute Gelder und Güter veruntreut hat, wozu auch die Gebührenüberhebung, die Fundunterschlagung und der sogenannte Kollegendiebstahl zählen. Für die Bewertung als Zugriffsdelikt ist entscheidend, dass einem Beamten Gelder oder gleichgestellte Werte dienstlich anvertraut oder dienstlich zugänglich sind (BVerwG: stRspr; vgl. Urteil v. 8. 04.2003, 1 D 27.02; juris). Ein Beamter, der sich bei der Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit an Vermögenswerten vergreift, die seinem Gewahrsam unterliegen, zerstört damit in aller Regel das für die Fortdauer des Beamtenverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, wenn die Beträge insgesamt die Schwelle der Geringwertigkeit deutlich überschreiten. Denn die Verwaltung ist auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Bediensteten beim Umgang mit solchen Geldern und Gütern in hohem Maße angewiesen. Eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich und muss deshalb weitgehend durch Vertrauen ersetzt werden. Wer diese für das Funktionieren des öffentlichen Dienstes unabdingbare Vertrauensgrundlage zerstört, muss grundsätzlich mit der Auflösung des Beamtenverhältnisses rechnen (BVerwG, Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06, v. 25.10.2007, 2 C 43.07, v. 29.05.2008, 2 C 59.07; alle juris).

184

Diese Grundsätze gelten erst recht für einen als Gerichtsvollzieher beschäftigten Beamten. So stellt z. B. die Eigenverwendung dienstlich anvertrauter Gelder gerade bei einem Gerichtsvollzieher ein schwerwiegendes Dienstvergehen dar, welches regelmäßig zur Dienstentfernung führt (vgl.: BVerwG, Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; VG Karlsruhe, Urteil v. 01.04.2010, DL 13 K 1892/09; juris). Denn diesem ist als hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe übertragen, die er in weitem Umfang eigenverantwortlich und selbständig ausübt, mit der Folge, dass dem Dienstherrn nur eine vergleichsweise eingeschränkte Kontrolle seiner Tätigkeit möglich ist. Dem Gerichtsvollzieher obliegt es nach §§ 753 Abs. 1, 754 ZPO, im Auftrag, d.h. auf Antrag der Gläubiger, die Zwangsvollstreckung durchzuführen, soweit diese nicht den Gerichten zugewiesen ist. Entsprechend der Art der ihm übertragenen Aufgaben, die im Interesse einer zweckmäßigen und effektiven Erledigung der Vollstreckungsaufträge eine gewisse Flexibilität erfordern, ermöglichen die Vorschriften der Gerichtsvollzieherordnung - GVO - und der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher - GVGA - dem Gerichtsvollzieher, seine Tätigkeit weitgehend eigenverantwortlich und selbständig auszuüben (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.04.1982, a. a. O.; Bay. VGH, Beschl. v. 15.01.2009, 3 ZB 08.818; OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.06.2009 - 4 B 52.08 -, juris). Der Gerichtsvollzieher regelt seinen Geschäftsbetrieb nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen, soweit hierüber keine besonderen Bestimmungen bestehen (§ 45 Nr. 1 GVO), muss grundsätzlich an seinem Amtssitz ein Geschäftszimmer auf eigene Kosten halten (§ 46 Nr. 1 Satz 1 GVO), ist verpflichtet, Büro- und Schreibhilfen auf eigene Kosten zu beschäftigen, soweit es der Geschäftsbetrieb erfordert (§ 49 GVO), kann grundsätzlich Zeitpunkt und Reihenfolge der Erledigung der Vollstreckungsaufträge bestimmen (§ 6 GVGA) und führt den Schriftverkehr unter eigenem Namen mit Amtsbezeichnung (§ 53 Nr. 1 GVO). Er handelt bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig (§ 58 Nr. 1 Satz 1 GVGA), wobei er zwar der Aufsicht, aber nicht der unmittelbaren Leitung des Gerichts unterliegt (§ 58 Nr. 1 Satz 2 GVGA). Es ist die zentrale Aufgabe des Gerichtsvollziehers, im Auftrag der Gläubiger die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen der Schuldner vorzunehmen (vgl. § 808 Abs. 1 ZPO). Gepfändetes Geld hat er nach § 815 Abs. 1 ZPO an die Gläubiger abzuliefern. Der Gerichtsvollzieher hat bezüglich des Vollstreckungsauftrags gegenüber den Gläubigern die ihm kraft Gesetzes obliegende Pflicht, deren Vermögensinteressen wahrzunehmen (sog. Vermögensbetreuungspflicht; vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, § 266, Rn. 25; BGH, Urt. v. 20.10.1959 - 1 StR 446/59 -, NJW 1960, 52; OLG Celle, Beschluss v. 03.04.1990, 1 Ss 48/90; juris). Wenn ein Gerichtsvollzieher gegen diese Kernpflichten verstößt, zerstört er in der Regel die für die geordnete Vollstreckung unabdingbare Vertrauensgrundlage, weshalb er im Regelfall nicht mehr Beamter bleiben kann (VG Karlsruhe, a. a. O.).

185

4.) Die Disziplinarkammer sieht vorliegend keine Besonderheiten und Entlastungsgründe des Einzelfalls, die es rechtfertigen, die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung abzumildern. Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris). Diese Besonderheiten müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

186

a.) Grundsätzlich erscheint im Einzelfall auch eine dienstliche Überlastung als Milderungsgrund geeignet. Dies übersieht das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt in dem Beschluss zur vorläufigen Dienstenthebung vom 19.07.2007 (10 M 1/07), wonach die zahlreichen Verstöße gegen die einer Gerichtsvollzieherin obliegenden Dienstpflichten bereits für sich genommen ein Versagen im Kernbereich begründen, ohne dass dieses allein mit dem Hinweis auf die dienstliche Belastung zu rechtfertigen sei. Auch wenn ein Beamter die Vielzahl seiner Dienstgeschäfte fehlerhaft ausführt und es sich hier um schwerwiegende Dienstverletzung handelt, so sind Arbeitsüberlastung, außerdienstliche Probleme, die Tatsache, dass die Fehler kaum in die Öffentlichkeit gedrungen sind und die bisherige einwandfreie Dienstführung, die erwarten lässt, dass die Beamtin künftig fehlerfrei arbeitet, mildernd zu berücksichtigen (OVG NRW, U. v. 24.06.1983, 2 V 14/81; dort nur Gehaltskürzung; juris). Nicht jeder einzelne Fehler bei der Dienstausübung ist gleichzusetzen mit einer schuldhaften Verletzung dienstlicher Pflichten. Denn die Pflicht zur ordnungsgemäßen Dienstausübung hat eine im Ganzen durchschnittliche Leistung zum Gegenstand. Dies schließt gewisse Mängel der Arbeitsweise ein, wie sie selbst bei sehr fähigen und ausgesprochen zuverlässigen Beamten vorkommen können (vgl.: VG Magdeburg, U. v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD mit Verweis auf VG Düsseldorf, U. v. 04.03.2009, 31 K 5472/08.O; juris).

187

Festzustellen ist aber zum einen, dass vorliegend die Unzulänglichkeiten zu den Tatbeständen der Unverzüglichkeit wiederholt von dem Prüfbeamten gerügt wurden und die Beklagte diese zum Teil nicht mit der gebotenen Sorgfalt und Hingabe beachtet hat. Denn ihre Dienstausübung wies Mängel in der strukturellen Arbeitsorganisation auf, die nicht Folgenlos blieben. Zum anderen sind Anhaltspunkte für eine dienstliche Überlastung und Überforderung der Beamtin nicht von der Hand zu weisen, was auch das Landgericht Dessau-Roßlau in seinem Urteil vom 29.10.2009 feststellte. Die Direktorin des Amtsgericht K. führte in ihrem - später aufgehobenen - disziplinarrechtlichen Verweis vom 08.09.2005 aus, das „im Zeitraum der festgestellten Pflichtverletzungen unbestritten {eine} übermäßige Arbeitsbelastung“ vorlag und „auch bei hoher Arbeitsbelastung“ erwartet werde, die Dienstpflichten einzuhalten.

188

Mag daher eine dienstliche Überlastung als „Entschuldigung“ für die aufgrund einer mangelnden Arbeitsweise und damit organisationsbedingten Pflichtenverstöße herangezogen werden können, gilt dies aber nicht für die Gebührenüberhebung (Wegegelder). Denn die von der Beklagten vorgenommene Gebührenüberhebung beruhte auf einem vorsätzlichen Handeln zur Erschließung einer zusätzlichen Einnahmequelle. Ansonsten hätte es auch Fälle geben müssen, in denen sich die Beklagte zu Gunsten der Schuldner verrechnet bzw. zu geringe Wegegelder angesetzt hätte.

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b.) Aus dem gleichen Grund kann sich die Beklagte zu ihrer Entlastung auch nicht darauf berufen, der Dienstherr habe sie unzureichend kontrolliert oder sie im guten Glauben ihrer fehlerhaften Abrechnung gelassen.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat erneut in dem Urteil vom 15.03.2012 (2 WD 9.11; juris) ausgeführt, dass sich eine unzureichend ausgeübte Dienstaufsicht mildernd auswirken kann. Nach der Rechtsprechung setzt der Milderungsgrund der mangelnden Dienstaufsicht jedoch eine Überforderungssituation voraus, in der ein hilfreiches Eingreifen der Dienstaufsicht erforderlich ist; also eine dienstaufsichtliche Begleitung. Hier muss man zwischen „Überlastung“ und „Überforderung“ unterscheiden. Mit einer „Überlastung“ aufgrund hoher Arbeitsbelastung kann nicht die Begehung von Straftaten begründet werden. „Überforderung“ heißt, dass der Beamte z. B. hinsichtlich der Auslegung einer strittigen Rechtsfrage im Dienst allein gelassen wird und ihm später sein - falsches - Handeln zum Vorwurf gemacht wird. So versucht sich die Beamtin damit zu rechtfertigen, dass die Berechnung der Wegegelder nach der Änderung schwierig und kompliziert gewesen sei und sie eine von ihr erstellte Tabelle der Dienstaufsicht überlassen habe und zudem aufgrund des gegen sie geführten Disziplinarverfahrens, später die Kollegen mit Wegegeldtabellen versorgt worden seien. Dies vermag die Beamtin nicht zu entlasten. Denn wie - wiederholt - ausgeführt wurde handelt es sich bei der Einordnung der Entfernung nach der Luftlinie um keine schwierige Angelegenheit, welche die Gerichtsvollzieher überforderte und daher einer „Anweisung“ bzw. „Begleitung“ durch die Dienstaufsicht nicht bedurfte. Zudem haben andere Gerichtsvollzieher korrekt abgerechnet. Die Beklagte hat die fehlende Kontrolle vielmehr ausgenutzt und über lange Jahre falsch abgerechnet. Auch ein „verleiten“ zur Tat im Sinne einer Mittäterschaft durch die Dienstaufsicht ist aufgrund der fehlenden Kontrollen nicht gegeben. Dies ist eher bei einem „klassischen“ Zugriffsdelikt möglich, wenn etwa eine „offene Kasse“ zum Diebstahl verleitet. Es macht einen Unterschied, ob die Gerichtsvollzieherin vorsätzlich falsche Entfernungspauschalen ansetzt oder ob der die Gerichtsvollzieherin prüfende Beamte dies - neben anderen zu prüfenden Angaben - nicht erkennt. Wegen der fehlenden Entdeckung der Falschangaben durch die Dienstaufsicht kann auch nicht von „geduldeten Verhältnissen“ (vgl. dazu: BVerwG, Urteil v. 25.10.1977, I D 76.76; juris) ausgegangen werden.

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c.) Auch die zugegeben lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens rechtfertigen es, von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis abzusehen, wenn diese Maßnahme geboten ist. Dies steht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte oder den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 nicht entgegen (ständige Rechtsprechung BVerwG: vgl. nur zuletzt: Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; bestätigt durch BVerfG, Beschluss v. 28.01.2013, 2 BvR 1912/12; beide juris). Zwar kann eine pflichtenmahnende Disziplinarmaßnahme in diesen Fällen unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden. Bei Fortbestand des Beamtenverhältnisses kann das durch ein Dienstvergehen ausgelöste Sanktionsbedürfnis gemindert werden oder sogar entfallen, weil die mit dem Disziplinarverfahren verbundenen wirtschaftlichen und dienstlichen Nachteile positiv auf den Beamten eingewirkt haben, so dass sie eine günstigere Persönlichkeitsprognose ermöglichen. Demgegenüber geht es bei der Dienstentfernung darum, das Beamtenverhältnis in Fällen besonders schwerwiegender Dienstvergehen zu beenden, weil der Beamte im öffentlichen Dienst untragbar geworden ist. An dem endgültigen Vertrauensverlust, den er durch sein Fehlverhalten herbeigeführt hat, vermögen eine lange Verfahrensdauer oder ein langes Zurückliegen des Dienstvergehens nichts zu ändern. Das verlorene Vertrauen kann nicht durch Zeitablauf wiederhergestellt werden (BVerfG, Beschl. v. 04.10.1977, 2 BvR 80/77; Beschl. v. 09.08.2006, 2 BvR 1002/05; alle juris). Diesen Unterschied hat der Gesetzgeber auch dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er in § 15 DG - wie BDG - die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis im Gegensatz zu allen anderen Disziplinarmaßnahmen vom Maßnahmeverbot wegen Zeitablaufs ausgenommen hat (vgl. zusammenfassend: BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11/10; juris).

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5.) In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht nicht zu erkennen. Aufgrund des langjährigen, vorsätzlichen und zudem schuldhaften Handelns hinsichtlich der Gebührenüberhöhung kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Sonstige Gründe, die das Gericht in die Lage der möglichen Berücksichtigung derartiger Milderungsgründe setzt, sind von der Beklagten nicht vorgetragen worden und auch nicht erkennbar. Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, dass durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

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6.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


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