Beschluss vom Verwaltungsgericht Magdeburg (7. Kammer) - 7 B 229/15

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die ihm die Teilnahme am Freitisch in seiner Schule ermöglicht.

2

Der am 01.08.1999 geborene Antragsteller hat noch eine volljährige, nicht im selben Haushalt lebende behinderte Schwester, Sabrina A.. Der Vater des Antragstellers ist am 07.08.2014 verstorben. Die erziehungsberechtigte Mutter ist ebenfalls geistig behindert. Ob auch der Antragsteller geistig behindert ist, ist zwischen den Beteiligten streitig. Sowohl die Mutter des Antragstellers, als auch dieser selbst beziehen die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Die Mutter erhält darüber hinaus für sich selbst Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem SGB XII und für den Antragsteller Erziehungshilfe nach dem SGB VIII. Weiterhin steht die Mutter des Antragstellers im Hinblick auf die Vertretung gegenüber Ämtern, Behörden, Einrichtungen und (Sozial-) Versicherungsträgern sowie hinsichtlich der Vermögenssorge unter der Betreuung des Herrn J. (Amtsgericht A-Stadt, Geschäftsnummer: 7 XVII 111/13).

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Der Antragsteller besucht die Sekundarschule Könnern in Könnern. In dieser Schule bietet der Schulträger (Antragsgegnerin) für alle Schülerinnen und Schüler eine warme Vollwertmahlzeit an, wobei der Antragsteller diesbezüglich monatlich etwa 35,00 € aufzuwenden hat. Der Antragsteller nimmt bislang an dieser kostenpflichtigen Schulspeisung regelmäßig teil.

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Mit formlosem Schreiben vom 17.02.2015 sowie mit ausgefülltem Formular vom 09.03.2015 beantragte der bestellte Betreuer der Erziehungsberechtigten des Antragstellers unter Verweis auf die Bestellungsurkunde bei der Antragsgegnerin zugunsten des Antragstellers einen Freitisch für die Mittagsverpflegung an der Sekundarschule Könnern.

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Mit Ablehnungsbescheid vom 08.04.2015 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit der Begründung ab, ein besonderer Härtefall im Sinne des Schulgesetzes sei nicht gegeben, da davon auszugehen sei, dass für den Antragsteller Kindergeld gezahlt werde. Darüber hinaus wies die Antragsgegnerin darauf hin, dass anhand der eingereichten Unterlagen das der Bedarfsgemeinschaft zur Verfügung stehende Einkommen nicht ersichtlich sei und dass sich ohnehin mittels eines Antrages beim Jobcenter auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket das zu zahlende Essensgeld auf einen Euro pro Tag verringern würde.

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Unter dem 14.04.2015 erhob der Betreuer für den Antragsteller Widerspruch und berief sich zur Begründung auf die nach seiner Auffassung gegebene Einschlägigkeit des § 72 a SchulG LSA. Der besondere Härtefall ergebe sich aus den Umständen, dass die Mutter des Antragstellers Leistungen nach dem SGB II beziehe und für den Antragsteller Hilfe zur Erziehung in einem nicht unerheblichen zeitlichen Umfang erhalte. Zudem sei diesbezüglich zu berücksichtigen, dass der Mutter aufgrund ihrer geistigen Behinderung ein gesetzlicher Betreuer bestellt worden sei und dass diese wegen ihrer Behinderung nicht in der Lage sei, die Mittagsversorgung im Haushalt sicherzustellen.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2015 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch des Antragstellers zurück. Diesbezüglich führte sie an, dass der Bezug von Leistungen nach dem SGB II allein noch keinen besonderen Fall i. S. d. § 72 a SchulG LSA begründe. Weitere besondere Umstände, die es als unzumutbar erscheinen ließen, den Antragsteller auf die Entrichtung eines sozial angemessenen Preises für die Schulspeisung zu verweisen, seien insbesondere vor dem Hintergrund nicht gegeben, dass eine finanzielle Sondersituation und die Unzumutbarkeit der Beantragung von Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket nicht dargelegt worden seien.

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Der Antragsteller hat am 19.06.2015 sowohl Klage (Az.: 7 A 228/15 MD) erhoben und um vorläufigen Rechtsschutz (Az.: 7 B 229/15 MD) nachgesucht, als auch – in beiden Verfahren – Prozesskostenhilfe beantragt. Er trägt vor, dass eine schriftliche Anhörung vor Erlass des Widerspruchsbescheides nicht erfolgt sei und beruft sich bezüglich seines materiell-rechtlichen Anspruches auf § 72 a SchulG LSA. Er führt im Hinblick auf die Definition des "besonderen Falles" die Entscheidung des VG Magdeburg vom 03.08.2009 zum Aktenzeichen 7 A 136/09 an und ist der Auffassung, dass auch der vorliegende Sachverhalt unter Berücksichtigung der bereits oben angeführten Umstände die in der Entscheidung aufgezeigten Voraussetzungen eines "besonderen Falles" erfülle. Bezüglich der Begründetheit seines Begehrens im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes führt der Antragsteller die nach seiner Auffassung bestehende Offensichtlichkeit der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung des Freitisches an und verweist darüber hinaus auf die Entscheidung des OVG Sachsen-Anhalt vom 24.09.2009 zum Aktenzeichen 3 M 308/09, welche einen vergleichbaren Fall betreffe und in welcher der Antragsgegner verpflichtet worden sei, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine kostenlose Versorgung mit einem warmen Mittagessen im Rahmen der Freitischregelung zu gewähren.

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Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

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1. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuerlegen, dem Antragsteller vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens eine kostenlose Schulspeisung zu bewilligen und
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2. dem Antragsteller unter Beiordnung des Rechtsanwaltes P. Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
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Die Antragsgegnerin beantragt

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die Anträge abzulehnen.

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Sie führt zur Begründung neben dem bereits im Widerspruchsverfahren Vorgetragenen zunächst die nach ihrer Auffassung bestehende Unbestimmtheit des Antrages an, weil der Antragsteller sowohl den formlosen Antrag vom 17.02.2015, als auch den formgemäßen Antrag vom 09.03.2015 anführe, ohne darzustellen, welcher Antrag maßgeblich sein solle. Darüber hinaus sei eine Anhörung nach § 28 VwVfG im Verfahren nicht unterblieben, ein etwaiges Fehlen sei jedoch in jedem Fall durch das durchgeführte Widerspruchsverfahren geheilt worden. Weiterhin führt sie an, die durch den Antragsteller zitierte Rechtsprechung des VG Magdeburg sei lediglich ergänzend und in den Grundzügen heranzuziehen. Dies vor allem, da sich die Gesetzeslage seit der Rechtsprechung durch die Einführung des Bildungs- und Teilhabepaketes 2011 geändert habe. Mit dieser habe der Gesetzgeber einer wirtschaftlichen Benachteiligung begegnen wollen. Nach einer entsprechenden Beantragung und Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket sei der Beitrag des Antragstellers zur Schulspeisung bis zu einem Eigenanteil von einem Euro reduziert. Die persönliche Situation des Antragstellers sei vorliegend nicht geeignet, eine solche Beantragung als unzumutbar erscheinen zu lassen. Darüber hinaus nehme der Antragsteller bereits an der Schulspeisung teil, weshalb eine Unterversorgung nicht zu befürchten sei. Zudem habe der Antragsteller bezüglich gegebenenfalls bestehender gesundheitlicher Beeinträchtigungen durch seine Lebenssituation nichts vorgetragen.

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Bezüglich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.

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Er ist zwar zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet.

18

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin steht der Zulässigkeit des Antrages nicht eine vermeintliche Unbestimmtheit des Antrages entgegen. Ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nicht an den strengeren Voraussetzungen eines Klageantrages zu messen. Er muss zwar ein Rechtsschutzziel angeben, jedoch nicht analog § 82 Abs. 1 S. 2 VwGO bestimmt im engeren Sinne sein. Auch das Bezeichnen einer bestimmten Maßnahme gehört nicht zum notwendigen Inhalt eines Antrages im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO (Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 19. Auflage 2013, § 123 Rn. 17). Denn den Inhalt der einstweiligen Anordnung bestimmt das Gericht gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen. In Anwendung dieses Maßstabes ist der vorliegende Antrag ordnungsgemäß gestellt worden, da das Rechtsschutzziel des Antragstellers mit der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Bewilligung einer kostenlosen Schulspeisung hinreichend deutlich und unproblematisch erkennbar ist. Darüber hinaus hat er im Schriftsatz vom 15.07.2015 noch einmal klarstellend deutlich gemacht, dass bereits das Schreiben vom 17.02.2015 als Antrag auf kostenlose Schulspeisung zu verstehen und deshalb für sein Begehren maßgeblich ist. Diese nachträgliche Klarstellung ist zu berücksichtigen, da auch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgeblich ist.

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Dem Antrag muss jedoch in der Sache der Erfolg versagt bleiben.

20

Gemäß § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO.

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Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 940 ZPO sind der Anordnungsgrund und der Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.

22

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

23

Der Antragsteller kann sich nicht auf einen Anordnungsgrund berufen. Dieser bezeichnet ein besonderes Dringlichkeitsinteresse und ist gleichzusetzen mit der Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung.

24

Das Vorliegen dieses Anordnungsgrundes kann nicht bejaht werden, weil der Antragsteller zwar behauptet, aber nicht glaubhaft gemacht hat, warum die bisher geleisteten Zahlungen für die Teilnahme an der Schulspeisung nicht mehr erbracht werden können und deshalb eine Eilbedürftigkeit der Entscheidung gegeben sein soll. Eine dahingehende Glaubhaftmachung, dass die bisher erhaltenen sozialen Leistungen nunmehr für die Aufbringung der Kosten der Schulspeisung nicht mehr ausreichend seien, ist durch den Antragsteller nicht erfolgt. Der angebotene Zeugenbeweis durch Einvernahme des bestellten Betreuers genügt nicht den Anforderungen der Glaubhaftmachung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, da die Gründe, aus denen die weitere Finanzierung der Schulspeisung nicht mehr möglich ist, schon nicht substantiiert dargelegt worden sind. Vor diesem Hintergrund können auch die Einwände des Antragstellers, die Versorgung mit einer warmen Vollwertmahlzeit sei (wohl aufgrund nicht mehr vorhandener finanzieller Mittel) akut gefährdet und sei bis zum Ende des laufenden und insbesondere auch im Hinblick auf das bevorstehende neue Schuljahr abzusichern, nicht verfangen. Das Gericht hat mangels hinreichender Glaubhaftmachung durch den Antragsteller davon auszugehen, dass die bisher vorhandenen Mittel für die Absicherung der Schulspeisung immer noch zur Verfügung stehen und ausreichend sind.

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Insoweit kann ein zugunsten des Antragstellers ausgehender Vergleich mit der Entscheidung des OVG Sachsen-Anhalt vom 24.09.2009 im Hinblick auf das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht hergestellt werden. Der der dortigen Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt entspricht nicht der vorliegend zu beurteilenden Situation. Denn das OVG begründet in seinem Beschluss den Anordnungsgrund zugunsten der Schülerinnen mit der besonderen sozialen Notlage der Familie. Denn die eingeschränkten finanziellen Verhältnisse der Familie, die nicht unerhebliche Schuldenlast und der Umstand, dass die einem Betreuer unterstehende Mutter der Schülerinnen eine neun-köpfige Familie zu versorgen hatte, wobei die häusliche Ernährung allem Anschein nach nicht ausreichend und unausgewogen war, erforderten im Hinblick auf die Gesundheit der Schülerinnen eine zügige Entscheidung des Gerichts im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes. Den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt betrachtend ist festzustellen, dass gerade keine besondere soziale Notlage bezüglich der Familie des Antragstellers, welche die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung begründet, zu erkennen ist. Zunächst sind insbesondere der zwei Personen umfassende Haushalt (die Schwester des Antragstellers lebt nicht in selbigem Haushalt, weshalb sie diesbezüglich unberücksichtigt bleiben muss) und der damit einhergehende Aufwand um einiges kleiner, als der einer neun-köpfigen Familie. Eine Überforderung der Mutter wurde zwar geltend, jedoch jedenfalls nicht im Hinblick darauf hinreichend glaubhaft gemacht, dass diese eine zügige gerichtliche Entscheidung erfordert. Zwar beruht diese Überforderung überwiegend auf der geistigen Behinderung der Mutter des Antragstellers, jedoch handelt es sich dabei nicht um einen neu eingetretenen Umstand, der die bisherige Finanzierung der Schulspeisung nunmehr unmöglich und deshalb eine Eilentscheidung erforderlich macht. Darüber hinaus wurde auch eine auf finanziellen Gründen beruhende Notlage - wie bereits ausgeführt - nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Schließlich ist eine akute Gefahr für die Gesundheit des Antragstellers nicht ersichtlich, da dieser im Gegensatz zu den oben angeführten Schülerinnen bereits regelmäßig die von der Antragsgegnerin in der Schule angebotene Vollwertmahlzeit in Anspruch nimmt.

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Darüber hinaus besteht im Hinblick auf die begehrte Regelungsanordnung auch kein Anordnungsanspruch. Diesbezüglich handelt es sich um das in § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO angeführte "streitige Rechtsverhältnis", mithin den zu regelnden materiellen Anspruch des Antragstellers in der Hauptsache.

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Der Antragsteller kann sich entgegen seiner rechtlichen Auffassung nicht auf § 72 a S. 3 SchulG LSA berufen, weil dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt sind und der Antragsteller deshalb keinen Anspruch auf kostenlose Schulspeisung besitzt.

28

Zunächst weist das Gericht darauf hin, dass das zwischen den Beteiligten streitige etwaige Unterlassen einer Anhörung i. S. v. § 28 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 1 Abs. 1 S. 1 VwVfG LSA vorliegend nicht nur aufgrund einer möglichen Heilung, sondern insbesondere auch vor dem Hintergrund unerheblich ist, dass es sich vorliegend nicht um ein Anfechtungs-, sondern vielmehr um ein Verpflichtungsbegehren handelt.

29

Nach § 72 a S. 1 SchulG LSA sollen die Schulträger "im Benehmen mit dem Schülerrat und dem Schulelternrat schultäglich eine warme Vollwertmahlzeit für alle Schülerinnen und Schüler vorsehen". Gemäß § 72 a S. 2 SchulG LSA soll "ein sozial angemessener Preis gewährleistet werden". Nach § 72 a S. 3 SchulG LSA sind "in besonderen Fällen" Freitische zur Verfügung zu stellen.

30

Mit dieser durch das 4. Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes vom 27.08.1996 eingeführten Bestimmung soll sichergestellt werden, dass allen Schülern, die dies in Anspruch nehmen wollen, ein Mittagessen angeboten wird. Da den Schulträgern keine Kostenerstattung durch das Land zugesagt werden konnte, ist die Regelung, die in den Sätzen 1 und 2 getroffen worden ist, nur als Soll-Vorschrift formuliert worden (Wolff/Richter: Kommentar zum Schulgesetz des Landes Sachsen-Anhalt, 12. Nachlieferung, Stand: Februar 2009).

31

Eine Muss-Vorschrift stellt § 72 a S. 3 SchulG LSA dar. Danach sind „in besonderen Fällen“ Freitische zur Verfügung zu stellen. Ob dieses – die Schulträger verpflichtende – „Muss“ die Umsetzung der Soll-Vorschrift voraussetzt, also nur dann gilt, wenn sich der Schulträger entschlossen hat, allen Schülern eine warme Vollwertmahlzeit zum sozial angemessenen Preis anzubieten, braucht nicht entschieden zu werden, weil eine derartige „Freitischvoraussetzung“, ein Essensangebot für alle Schüler, besteht.

32

Die weitere Frage, ob das den Schulträgern auferlegte „Muss“ einen Rechtsanspruch für Schüler oder Eltern begründet oder begründen kann, d. h. ob den normierten Pflichten einklagbare Rechte gegenüberstehen, ist zu bejahen, weil § 72 a SchulG LSA im neunten Teil des Schulgesetzes normiert ist, der die „Aufbringung der Kosten“ regelt und auch noch andere Anspruchsgrundlagen (§§ 71 und 72 SchulG LSA) vorhält.

33

Entscheidend für das Vorliegen eines Anordnungsanspruches ist mithin die Auslegung der Anspruchsgrundlage (§ 72 a S. 3 VwGO), insbesondere des Tatbestandsmerkmals "in besonderen Fällen". Diesbezüglich handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Es ist kein Rechtsbegriff, der dem Schulträger ein (nur eingeschränkt überprüfbares) Einschätzungsvorrecht eröffnet, obwohl es die Schulträger sind, die im Zusammenwirken mit der jeweiligen Schulleitung die Fakten zusammenzutragen haben, die die Feststellung erlauben, ob ein „besonderer Fall“ vorliegt oder nicht.

34

Sprachlich und juristisch korrespondiert das Tatbestandsmerkmal des "besonderen Falles" mit Quantitäten oder Qualitäten beschreibenden Begriffen, wie etwa üblicherweise, ausnahmsweise, in der Regel, im Regelfall, im Einzelfall, in allen anderen Fällen, in vergleichbaren Fällen, im Ausnahmefall, in atypischen Fällen oder im Härtefall. Im Hinblick auf diesen Maßstab sind "besondere Fälle" atypische Fälle, welche in der Nähe der Härtefälle angesiedelt sind, die sich sehr häufig einer – auch gut gemeinten – Normierung entziehen (VG Magdeburg, Urt. v. 03.08.2009 - 7 A 136/09 MD -).

35

Jedenfalls lässt sich das Vorliegen eines "besonderen Falles" nicht allgemein verbindlich feststellen, vielmehr kommt es entscheidend auf die besonderen Umstände des Einzelfalles an. Regelmäßig ist ein "besonderer Fall" zu bejahen, wenn eine "besondere soziale Notlage" besteht. Das Angewiesensein auf den Bezug von Sozialleistungen, um den Lebensunterhalt einer Familie zu sichern, ist für sich allein nicht ausreichend, um einen "besonderen Fall" annehmen zu können. Ebenso wenig ist es diesbezüglich ausreichend, dass sich die Familie aufgrund einer (hohen) Schuldenlast in einer schwierigen finanziellen Situation befindet. Vielmehr bedarf es im Einzelfall des Hinzutretens besonderer Umstände, die über das Bestehen einer sozialen Notlage hinausgehen und welche es – speziell auch unter Berücksichtigung der Belange des Kindes und der familiären Gesamtsituation – unverhältnismäßig oder gar unzumutbar erscheinen lassen, die Kinder hinsichtlich einer vollwertigen Mahlzeit auf die Entrichtung eines Preises für die Schulspeisung zu verweisen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 24.09.2009 - 3 M 308/09 -).

36

Daran anknüpfend kann ein "besonderer Fall" in einer dahingehenden sozialen Notlage begründet liegen, dass etwa die drogenabhängigen Eltern ihren Kindern das notwendige Essensgeld vorenthalten (vgl. Wolff/Richter: a. a. O.). Er kann jedoch auch auf anderen, beispielsweise gesundheitlichen Gründen beruhen oder aufgrund des Zusammentreffens von mehreren Faktoren entstehen.

37

So liegt der Fall hier nicht. Denn in Anlegung des eben aufgezeigten Maßstabes sind bei der vorliegend allein vorzunehmenden summarischen Prüfung die Voraussetzungen für die Annahme eines "besonderen Falles" i. S. v. § 72 a S. 3 SchulG LSA nicht gegeben.

38

Der Antragsteller hat das Vorliegen einer "besonderen sozialen Notlage" nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Zunächst ist der Umstand des Beziehens von Sozialhilfe durch den Antragsteller und dessen Mutter nicht ausreichend, um eine "besondere soziale Notlage" anzunehmen. Aber auch die darüber hinaus gegebenen Umstände sind nicht geeignet, eine solche Notlage zu begründen. Zwar ist die Mutter des Antragstellers geistig behindert und aufgrund dessen unter Betreuung stehend. Auch geht das Gericht zugunsten des Antragstellers davon aus, dass dessen Mutter nicht in der Lage ist, die Mittagsversorgung im Haushalt sicherzustellen und den Antragsteller ohne die Inanspruchnahme von Hilfe nach dem SGB VIII zu erziehen. Jedoch ist daraus eine "besondere soziale Notlage" nicht ableitbar, da der Antragsteller bereits regelmäßig an der Schulspeisung teilnimmt und auf eine Vollwertmahlzeit im häuslichen Bereich nicht angewiesen ist. Dass eine solche Teilnahme aufgrund mangelnder finanzieller Mittel nun nicht mehr möglich sein soll, hat der Antragsteller - wie bereits mehrfach erwähnt - nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Deshalb und aufgrund dessen, dass Anhaltspunkte für eine bevorstehende Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands des Antragstellers für das Gericht nicht ersichtlich sind, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht von einer Gefährdung des Antragstellers wegen unausgewogener Ernährung ausgegangen werden.

39

Ein solcher Krankheitszustand war hinsichtlich der Entscheidung des VG Magdeburg vom 03.08.2009 jedoch ein ausschlaggebendes Kriterium für die Annahme eines für die Gewährung eines Freitisches notwendigen "besonderen Falles". Das Gericht hatte darin einen wesentlichen Sachverhaltssplitter des sogenannten Mosaikes erblickt. Denn die bei dem dortigen Schüler diagnostizierte Adipositas war ein deutliches Indiz für eine Gefährdung des Schülers, die als wesentliche Besonderheit einer sozialen Notlage zu werten ist. Das Berufen darauf, dass es sich hinsichtlich des vorliegenden um einen, der Entscheidung des VG Magdeburg vom 03.08.2009 zugrundeliegenden, vergleichbaren Sachverhalt handele ist zudem deshalb ausgeschlossen, weil auch ein weiteres für die Entscheidung maßgebendes Kriterium, nämlich das Vorliegen einer Behinderung des Antragstellers, nicht erfüllt ist. Denn die Antragsgegnerin hat das Vorbringen des Antragstellers, auch er leide an einer geistigen Behinderung, bestritten. Eine Glaubhaftmachung der Behinderung ist durch den Antragsteller nicht erfolgt. Denn lediglich das Berufen auf eben diese Behinderung kann den Anforderungen der Glaubhaftmachung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gerecht werden. Insbesondere sind auch Belege für das Vorhandensein der Behinderung anhand der dem Gericht bisher zur Verfügung stehenden Unterlagen, vor allem aus dem Verwaltungsvorgang, nicht ersichtlich.

40

Für das Gericht scheint es nach alledem gewährleistet, dass der Antragsteller auch ohne die Gewährung eines Freitisches eine warme Vollwertmahlzeit in Anspruch nehmen kann.

41

Der Einwand der Antragsgegnerin, die Gewährung eines Freitisches nach § 72 a S. 3 SchulG LSA sei im Zusammenhang mit den Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (Leistungen nach dem SGB II) als subsidiär zu betrachten, weshalb der Antragsteller auf einen diesbezüglichen Antrag zu verweisen sei, bedarf somit keiner gerichtlichen Klärung.

42

2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil – wie anhand der vorstehenden Ausführungen ersichtlich ist – die beabsichtigte Rechtsverfolgung, der gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).

43

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

44

Die Streitwertfestsetzung wird auf die §§ 52 Abs. 1 und 3 S. 1, 53 Abs. 2 Ziffer 1 GKG gestützt. Sie berücksichtigt die vorläufige Natur des Verfahrens (Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).


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