Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (2. Kammer) - 2 A 321/15
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt den Erlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Gewerbesteuer für das Veranlagungsjahr 2005.
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Die Klägerin gehört zur der Deutschen X-Gruppe, einem der größten deutschen Kabelnetzbetreiber und Multimediadienstleister. Sie ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer ehemaligen Tochtergesellschaft, der X-Region A-Stadt GmbH und Co. KG, und firmierte vormals als XXX-Management GmbH.
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Im Jahr 2005 befand sich der Konzern in einer finanziellen Krise. Zur Vermeidung einer drohenden Insolvenz fand daher konzernintern eine umfangreiche finanzielle Umstrukturierung statt. Dies erfolgte neben dem Verkauf der niederländischen Tochtergesellschaft unter anderem auch durch einen teilweisen Forderungserlass von fremdfinanzierenden Kapitalgebern, welcher im Ergebnis zu einem Buchgewinn - und letztlich zu einem Sanierungsgewinn - in Höhe von insgesamt 246 Mio. EUR (konzernweit) führte.
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Der Forderungserlass gestaltete sich derart, dass die Darlehensgeber zunächst gegenüber der P-AG (PAG) den Erlass der Forderung erklärten, denn diese (und nicht die Klägerin) war Vertragspartnerin (Darlehensnehmerin) des Darlehensvertrages und somit unmittelbar gegenüber den Gläubigern zur Rückzahlung des Darlehens verpflichtet. Da sich die PAG jedoch vertraglich zur Durchleitung der Kreditmitteln an die Klägerin verpflichtet hatte (Durchlaufkredit) und die Klägerin die ihr aus dem Darlehensvertrag über die PAG durchgereichten finanziellen Mittel zur Finanzierung ihrer Tochtergesellschaft (darunter auch die X-Region A-Stadt GmbH und Co. KG) einsetzte, war das betreffende Darlehen abweichend von der zivil- und handelsrechtlichen Betrachtungsweise für steuerliche Zwecke zu wesentlichen Teilen in Sonderbetriebsvermögen der Personengesellschaften, an die das Darlehen "durchgereicht" worden war, zu bilanzieren. Daher erfolgte auch die Erfassung des buchmäßigen Ertrages aus dem durch die Kapitalgeber ausgesprochenen Forderungserlass als Sanierungsgewinn im Sonderbetriebsvermögen der jeweiligen Tochtergesellschaften. Im Ergebnis wurde der Sanierungsgewinn, soweit er das Sonderbetriebsvermögen von Personengesellschaften betrifft, aufgrund der bestehenden steuerlichen Regelungen ausschließlich im steuerlichen Ergebnis der Personengesellschaften (u.a. auch der XXX ) gezeigt, obwohl diese nie Vertragspartner der finanzierenden Geldgeber beziehungsweise Begünstigte des Forderungserlasses gewesen waren. Handels- und zivilrechtlich erfolgte die Erfassung dem gegenüber ausschließlich auf Ebene der Muttergesellschaft (der Klägerin), die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aufgrund des von der PAG gewährten Durchlaufkredits als Fremdkapitalnehmerin fungierte.
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Auf Basis des Sanierungsgewinns in Höhe von insgesamt 246 Mio. EUR (Konzernebene) entstand infolge der besonderen steuerlichen Regelungen für die gesamte Gruppe eine Gewerbesteuerverpflichtung für das Veranlagungsjahr 2005 in Höhe von circa 26,5 Mio. Euro, welche sich auf insgesamt 55 Gemeinden verteilte.
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Mit Bescheiden vom 10.04.2008 setzte das Finanzamt M-Stadt erstmals einen Gewerbesteuermessbetrag und den hierzu auf die Beklagte - als eine der 55 Gemeinden - entfallenden Zerlegungsanteil fest. Auf dieser Grundlage setzte wenige Tage später die Beklagte mit Bescheiden vom 18.04.2008 erstmals die Gewerbesteuer 2005 und Zinsen gegenüber der xxx fest. Gegen beide Bescheide erhob die Klägerin fristgerecht Widerspruch.
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Nach Abschluss der Prüfungsmaßnahmen durch die Finanzbehörden bestätigte das Finanzamt M.-Mitte mit Schreiben vom 11.02.2009, dass die aufgrund der erklärten Forderungserlasse im Jahr 2005 entstandenen Gewinne als Sanierungsgewinne im Sinne des BMF-Schreibens vom 27. März 2003 zu qualifizieren seien und die Körperschaftssteuer entsprechend zu erlassen sei.
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In der Folgezeit kam es aufgrund finanzgerichtlicher Einspruchsverfahren zu einer Änderung des Gewerbesteuermessbetrages und des auf die Beklagte entfallenden Zerlegungsanteils. So setzte das Finanzamt M-Stadt den Gewerbesteuermessbetrag mit Bescheiden vom 13.07.2010 neu auf 435.290,00 EUR und den auf die Beklagte entfallenden Zerlegungsanteil auf 4.618,46 EUR fest. Bei der Festsetzung ging das Finanzamt von einem Gewinn aus Gewerbebetrieb (einschließlich Hinzurechnungen und Kürzungen) in Höhe von 22.885.857 EUR aus sowie von einem viel höheren festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust von 60.033.651 EUR. Dieser festgestellte vortragsfähige Gewerbeverlust wurde jedoch unter Berücksichtigung der Grundsätze über die Mindestbesteuerung nicht vollständig vom Finanzamt auf den Gewerbeertrag angerechnet, so dass ein besteuerbarer Gewerbeertrag verblieb.
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Gegen diese Bescheide legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Bereits während des laufenden Einspruchsverfahrens setzte die Beklagte auf Basis des vorgenannten einspruchsbehafteten Zerlegungsbescheids die geänderte Gewerbesteuer 2005 durch Bescheid vom 24.02.2011 auf die hier auch weiterhin von der Beklagten geltend gemachten Höhe von 16.164,61 EUR fest. Auch hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Widerspruch ein und stellte zugleich am 16.03.2011 einen Antrag auf Erlass der Gewerbesteuer aus Billigkeitsgründen.
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Den Erlassantrag lehnte die Beklagte kurz darauf mit streitgegenständlichem Bescheid vom 11.04.2011 ab, wogegen die Klägerin am 20.04.2011 Widerspruch einlegte.
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In den Jahren 2011/2012 war die wirtschaftliche Existenz der Klägerin abermals konkret gefährdet. Zur erneuten Abwendung eines Insolvenzverfahrens wurde ein umfangreiches Restrukturierungskonzept mit den Gesellschaftern und Gläubigern der P-Gruppe ausgearbeitet. Voraussetzung für die Zustimmung der Gesellschafter und Kreditgeber zum Restrukturierungskonzept war, dass wesentliche Gemeinden (A-Stadt, M-Stadt, O-Stadt) die Gewerbesteuer 2005 erließen. Dies wurde nach intensiven Gesprächen mit den vorgenannten Gemeinden auch erreicht, so dass diese ausweislich der von der Klägerin eingereichten Anlage K21 die Gewerbesteuer für das Jahr 2005 in Höhe von ca. 19,9 Mio. EUR erließen. Auch weitere Gemeinden erließen in der Folgezeit die Gewerbesteuer, so dass letztlich im Juli 2017 noch offene Gewerbesteuerforderungen in Höhe von 1,2 Mio. EUR (inklusive Zinsen im Rechtsbehelfsverfahren) bestehen. Nach Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung seien von diesen 1,2 Mio. EUR ca. 600.000 EUR faktisch an die Gemeinden S-Stadt und F-Stadt ausgezahlt worden, wobei die Klägerin hierzu Rückzahlungsansprüche geltend mache. Die Zahlung an die F-Stadt in Höhe von ca. 500.000 EUR sei nur erfolgt, da die F-Stadt bei Nichtzahlung eine Kontopfändung angedroht hatte und eine Stundung nicht in Frage gekommen sei. Bei der Zahlung an die S-Stadt habe es sich um ein organisatorisches Versehen gehandelt. Für die noch offenen Gewerbesteuerforderungen sind Rückstellungen in Höhe von rund 407.000 EUR gebildet worden.
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Ungeachtet dessen, dass viele Gemeinden die Gewerbesteuer erließen, hielt die Beklagte – nachdem die Klägerin Ratenzahlung und Stundung abgelehnt hatte – weiterhin daran fest, die Gewerbesteuer nicht zu erlassen.
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Zunächst setzte sie jedoch, nachdem im Finanzverfahren der Einspruch gegen den Grundsteuermessbescheid und den Zerlegungsbescheid am 20.02.2015 zurückgewiesen und die Aussetzung der Vollziehung beendet worden war, mit Bescheiden vom 10.03.2015 erneut die Gewerbesteuer 2005 in unveränderter Höhe (d.h. 16.164,61 EUR) fest und taggleich auch die Zinsen für den Zeitraum vom 01.04.2007 bis zum 13.03.2015 in Höhe von 7.671,99 EUR, wogegen die Klägerin Widerspruch einlegte.
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Vier Monate später wies sie sodann mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2015 (der Klägerin am 03.08.2015 zugestellt) den Widerspruch gegen den Bescheid über die Ablehnung des Erlassantrages vom 11.04.2011 zurück. Im Tenor des Widerspruchsbescheids heißt es:
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"Den Widerspruch gegen die Ablehnung des Erlasses der Gewerbesteuer und der Zinsen zur Gewerbesteuer 2005 der XXX in Höhe von … zuletzt geändert mit Bescheid vom 10.03.2015 – weise ich als unbegründet zurück."
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In der Begründung führte sie u.a. aus, dass in sachlicher Hinsicht eine Billigkeitsmaßnahme nicht auf Erwägungen gestützt werden dürfe, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setze. Der Gesetzgeber habe mit Wirkung ab 1998 die bis dahin in § 3 Nr. 66 EStG a.F. normierte Steuerbefreiung für Sanierungsgewinne aufgrund der Doppelbegünstigung aufgehoben, die durch den unbegrenzten Verlustabzug und die gleichzeitige Steuerbefreiung der Sanierungsgewinne bewirkt werde. Damit entfalle wegen des ausdrücklichen abweichenden gesetzgeberischen Willens im Regelfall der Billigkeitsgrund für den Steuererlass bei Sanierungsgewinnen. Ein Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit scheide ebenfalls aus, da nicht nachgewiesen sei, dass die Klägerin allein wegen der Zahlung der Gewerbesteuer 2005 in Höhe von 16.164,61 EUR nebst Zinsen zahlungsunfähig werde und den Geschäftsbetrieb einstellen müsse. Als maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt legte die Beklagte den Zeitpunkt der Fälligkeit der Gewerbesteuer zu Grunde, d.h. hier den 13.04.2015.
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Hiergegen hat die Klägerin am 31.08.2015 Klage erhoben.
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Sie vertritt die Auffassung, dass eine Billigkeitsmaßnahme aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 227 AO geboten sei, da die Besteuerung des hier vorliegenden Sanierungsgewinnes im Widerspruch zu der gesetzgeberischen Wertung in Bezug auf die Insolvenzordnung stehe, da deren Leitgedanken, u.a. Förderung der Unternehmenssanierung/Unternehmenserhaltung, der Besteuerung von Sanierungsgewinnen zuwiderlaufe. Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber mit der Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. vermeintlich eine abweichende Position eingenommen habe. Die Abschaffung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. sei bereits mit Wirkung zum 01.11.1997 erfolgt, daher habe die Abschaffung die grundlegenden Neuordnungen der Insolvenz mit der am 01.01.1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung nicht beeinflussen können. Hinzu komme, dass der Gesetzgeber selbst bei Abschaffung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. die Möglichkeit eines Erlasses im Wege einer Billigkeitsmaßnahme ausdrücklich nicht ausschließen wollte. Darüber hinaus widerspreche die Besteuerung von Sanierungsgewinnen der Wertung des Gesetzgebers bei der Reformierung des Insolvenzrechts insoweit, als sie die Grundlage der Entscheidung zur Abschaffung des ehemaligen Fiskusprivilegs nach § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO konterkariere. Die Abschaffung des Fiskusprivilegs sei zentral damit begründet worden, dass sie sich unter anderem „wegen der Verbesserung der Sanierungsmöglichkeiten insgesamt schwerlich zum Nachteil des Steuerfiskus auswirken werde“. Die Klägerin verweist zudem zur Begründung u.a. auch auf den sog. "Sanierungserlass" vom 27.03.2003 mit Nachtrag IV C 6-S2140/07/1001 vom 22.12.2009, dessen tragende Gründe auch auf die Fälle des Gewerbesteuerrechts übertragbar seien, da kein Wertungsunterschied zwischen Einkommens- und Körperschaftssteuer einerseits sowie Gewerbesteuer andererseits bestehe, die gemeinsam zur Gruppe der Ertragssteuern gehören.
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Des Weiteren stünde eine Besteuerung von Sanierungsgewinnen im Widerspruch zum Leistungsfähigkeitsprinzip aus Art. 3 Abs. 1 GG, da Sanierungsgewinne mangels Zuflusses liquider Mittel nur Scheingewinne seien.
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Ferner habe die Klägerin auch einen Erlassanspruch wegen persönlicher Unbilligkeit. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des 29.07.2015 sei die wirtschaftliche Existenz der Klägerin immer noch gefährdet gewesen. Die Fortführung des Unternehmens sei nur unter dem Vorbehalt möglich gewesen, signifikante Liquiditätsabflüsse zu vermeiden und etwaige zur Verfügung stehende liquide Mittel vollständig zur Aufrechterhaltung des operativen Betriebs der Klägerin zu verwenden. Dem könne auch nicht entgegen gehalten werden, dass die Gewerbesteuerforderungen der Beklagten für den Erhebungszeitraum 2005 lediglich einen Teil der (noch offenen) Gewerbesteuerschulden der Klägerin ausmachten. Die besondere Gefährdung folge insoweit aus der Hebelwirkung bei Summierung der Vielzahl von Gewerbesteuerforderungen der einzelnen Gemeinden. Für die Frage der Existenzgefährdung sei daher die gesamte in 2005 entstandene und auf den Sanierungsgewinn entfallende Gewerbesteuer mit einzubeziehen. Ansonsten würde die Gemeinde einen Vorteil haben, die die mangelnde Leistungsfähigkeit eines Unternehmens ignoriere und auf den Sanierungsbeitrag anderer Gemeinden spekuliere.
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Der hier streitige Steuererlass sei zudem geeignet, die Normalisierung der wirtschaftlichen Situation der Klägerin weiter zu unterstützen. Neben der Vermeidung von signifikanten Liquiditätsabflüssen sei auch der Erlass von Gewerbesteuerforderungen durch verschiedene andere Gemeinden in Höhe von insgesamt ca. 25,4 Mio. Euro erst Voraussetzung dafür gewesen, dass Anteilseigner und Kreditgeber ihre Zustimmung zu den im Frühjahr 2012 durchgeführten, abermals notwendigen Restrukturierungsmaßnahmen erteilt hätten.
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Im Rahmen der Billigkeit seien zudem auch die Anstrengungen des Steuerpflichtigen selbst, seiner Anteilseigner sowie seiner Gläubiger zur Beseitigung der Existenzgefährdung im Rahmen der Erlassbedürftigkeit zu berücksichtigen. Daher könne ausgeschlossen werden, dass ein Erlass der Gewerbesteuer für den Erhebungszeitraum 2005 nebst Zinsen allein die übrigen Gläubiger der Klägerin begünstige (und nur die Beklagte belaste).
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Die Klägerin sei auch erlasswürdig. Sie habe ihre noch immer schwierige finanzielle und wirtschaftliche Lage nicht selbst verschuldet. Vielmehr resultiere diese aus den besonderen Herausforderungen des insgesamt schwierigen wirtschaftlichen Umfelds im Bereich der Multimediadienstleister. Insbesondere die erheblichen Anstrengungen der Klägerin, ihrer Anteilseigner und ihrer Gläubiger zur Eindämmung und Überwindung der kritischen Lage verdeutlichten, dass sie nach Kräften bemüht gewesen wäre und noch sei, ihren Beitrag zur Stabilisierung der eigenen wirtschaftlichen Situation zu leisten, um die Inanspruchnahme Dritter insbesondere der Allgemeinheit, so gering wie möglich halten zu können.
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Die Beklagte sei vorliegend zum Erlass der Steuer verpflichtet, da ihr Ermessen auf Null reduziert sei. Vorliegend verlange das Leistungsfähigkeitsprinzip als Ausschluss des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), wonach das Maß der Belastung eines Steuerpflichtigen mit Steuern auf den Ertrag am Zuwachs seiner finanziellen Leistungsfähigkeit auszurichten sei, dass hier eine Besteuerung ausscheide, da die vermeintlichen Erträge (Sanierungsgewinne) zu keiner tatsächlichen Steigerung der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen geführt hätten.
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Daneben habe die Beklagte den Billigkeitserlass auch ermessensfehlerhaft abgelehnt, da sie die sachliche Unbilligkeit mit Verweis auf die Abschaffung des § 3 Nr. 33 EStG a.F. begründet habe. Zudem habe sie ermessensfehlerhaft bei der Beurteilung der persönlichen Unbilligkeit entschieden, da sie zum einen auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Gewerbesteuer abgestellt habe und nicht auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, zum anderen habe sie ermessensfehlerhaft nur auf die Höhe der hier streitgegenständlichen Gewerbesteuerforderung abgestellt. Darauf komme es aber gar nicht an. Wie ausgeführt folge die besondere Gefährdung aus der Hebelwirkung bei Summierung der Vielzahl von Gewerbesteuerforderungen der einzelnen Gemeinden. Schließlich hätte die Beklagte auch berücksichtigen müssen, dass die Ablehnung des beantragten Erlasses dazu führt, dass die Beklagte lediglich von den Entscheidungen der ganz überwiegenden Anzahl von anderen Gemeinden profitieren würde, die auf ihre Gewerbesteuerforderungen für den Erhebungszeitraum 2005 insoweit verzichtet haben, als diese auf einen Sanierungsgewinn beruhen. Ohne die Sanierungsbeiträge der übrigen Gemeinden hätte die Klägerin in der Vergangenheit die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen müssen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 11.04.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2015 zu verpflichten, die durch Bescheid vom 18.04.2008 und 24.02.2011 gegenüber der damaligen XXX-Region A-Stadt GmbH und Co. KG sowie mit Bescheid vom 10.03.2015 gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der XXX-Region A-Stadt GmbH und Co. KG festgesetzten Gewerbesteuer für den Erhebungszeitraum 2005 in Höhe von 16.164,61 Euro nebst Zinsen zur Gewerbesteuernachzahlung für den Erhebungszeitraum 2005 in Höhe von 7.671,- Euro zu erlassen,
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hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Erlass der gegenüber der Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin der XXX-Region A-Stadt GmbH und Co. KG festgesetzten Gewerbesteuer für den Erhebungszeitraum 2005 neu zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie erwidert, ein Erlass der Gewerbesteuer scheide schon deswegen aus, weil die Gewerbesteuer 2005 bereits bestandskräftig festgesetzt worden sei, zuletzt durch Bescheid vom 10.03.2015. Insbesondere sei der Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.03.2015 – entgegen der Ansicht der Klägerin – im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid ebenfalls zurückgewiesen und eine weitere Klage nicht erhoben worden.
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Darüber hinaus lägen die Voraussetzungen für einen Erlass aus Billigkeitsgründen gem. § 227 AO nicht vor, da § 227 AO keine Ermächtigung zur generellen Korrektur des Gesetzes darstelle. Die Billigkeitsmaßnahme dürfe insbesondere nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein oder für bestimmte Fallgruppen außer Kraft setzen würde. Der sogenannte "Sanierungserlass" des Bundesministeriums der Finanzen, der im Einkommenssteuerbereich den Erlass von auf Sanierungsgewinnen beruhenden Steuerforderungen vorsehe, sei auf die in den Zuständigkeitsbereich der Kommune fallende Gewerbesteuer ausdrücklich nicht anwendbar. Zudem beruhe die Besteuerung vorliegend auf den Grundsätzen über die Mindestbesteuerung. Diese könnten jedoch nicht über § 227 AO korrigiert werden.
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Zu einer anderen rechtlichen Bewertung führe auch nicht das aktuelle Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz gegen stetige Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassung. Unbeschadet des Umstands, dass die Regelungen des Gesetzesentwurfes noch nicht in Kraft getreten seien, hätten diese auf den hiesigen Fall keinen Einfluss, da auch nach der neuen Gesetzeslage erst bei einem Schuldenerlass nach dem 08.02.2017 keine Erhebung von Gewerbesteuer auf Sanierungsgewinnen mehr erfolgen solle.
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Gründe für einen Erlass wegen persönlicher Unbilligkeit lägen mangels Erlassbedürftigkeit der Klägerin nicht vor. Die in diesem Verfahren streitige Forderung sei nicht geeignet, die Existenz der Klägerin zu vernichten oder auch nur zu gefährden. Dies werde auch von der Klägerin selbst nicht behauptet. Die Klägerin sei lediglich der Auffassung, wegen einer „Hebelwirkung“ auf weitere noch offene Gewerbesteuerforderungen läge eine solche Gefährdung vor. Ein derartiger Zusammenhang bestehe jedoch nicht. So habe die Klägerin die Gewerbesteuer für das Veranlagungsjahr 2005 an die F-Stadt gezahlt, nachdem von dieser eine Stundung abgelehnt worden war. Nach der Logik der Klägerin müssten bereits jetzt alle anderen Städte ebenfalls einen Erlass der Gewerbesteuer ablehnen, da die F-Stadt die Hebelwirkung bereits ausgelöst habe.
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Selbst wenn die von der Klägerin dargelegten Gewerbesteueraußenstände von rund 400.000 Euro geeignet wären, die Existenz der Klägerin zu gefährden, gäbe es mit Sicherheit einen Betrag, bei dem diese Gefährdung nicht mehr gegeben sei. Kommunen, die ihre Steuerforderungen zurück stellten bis dieser Betrag durch Zahlung oder Verzichtserklärung erreicht sei, könnten sich also dann zurecht darauf berufen, dass die Geltendmachung ihrer Steuerforderungen selbst in Verbund mit den weiteren noch offenen Forderungen die Existenz der Klägerin nicht mehr gefährden würden. Die Klägerin hätte es somit selbst in der Hand, welchen Kommunen sie die Steuer zubillige und bei welchem sie sich auf vermeintliche Erlassansprüche berufe. Ein solches Wahlrecht sehe das Gesetz jedoch nicht vor.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin liege auch keine Ermessensreduzierung auf Null vor. Die Beklagte sei weder durch eine für sie bindende Regelung noch im Wege der Selbstbindung durch eine entsprechende Übung an einer vom Antrag der Klägerin abweichenden Entscheidung gehindert gewesen.
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Darüber hinaus trug die Beklagte erstmals im Klageverfahren vor, dass ein Billigkeitserlass auch aufgrund ihrer angespannten Haushaltslage nicht gewährt werden könne.
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Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, den beigezogenen Verwaltungsvorgang und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten weder einen Anspruch auf Erlass der Gewerbesteuer noch auf erneute ermessensfehlerfreie Bescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts. Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 11.04.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
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Die rechtlichen Grundlagen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen finden sich in den Vorschriften der §§ 163, 227 AO, welche gemäß §§ 1 Abs. 2 Nr. 4, 3 Abs. 2 AO auf die Gewerbesteuer anwendbar sind. Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach § 227 AO können die Gemeinden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis - hier dem Gewerbesteueranspruch - ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.
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Die Entscheidung über eine abweichende Steuerfestsetzung im Steuererhebungsverfahren nach § 163 AO wie auch der vorliegend von der Klägerin begehrte Billigkeitserlass nach § 227 AO im Steuereinziehungsverfahren sind Ermessensentscheidungen ("können") der Gemeinde. Es handelt sich hierbei aber nach Auffassung der Kammer um kein voraussetzungsloses Ermessen. Vielmehr setzen die abweichende Steuerfestsetzung nach § 163 AO und der Erlass nach § 227 AO tatbestandlich voraus, dass die Erhebung bzw. Einziehung der Steuer nach Lage des Einzelfalls unbillig ist. Die Kammer geht jedenfalls mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung davon aus, dass das Tatbestandsmerkmal "unbillig" ein im gerichtlichen Verfahren vollständig überprüfbarer Rechtsbegriff ist (vgl. ausdrücklich hierzu: BFH, 1. Senat, U. v. 23.08.2017 - I R 52/14, zit. nach Juris Rn. 15 und BFH, Großer Senat, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 98-106 m.w.N., ebenfalls BVerwG, U. v. 19.02.2015 - 9 C 10.14 und OVG NRW, U. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, Juris). Dies steht auch nicht im Widerspruch zu der vom Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe (GmS-OGB) im Beschluss vom 19.10.1971 (GmS-OGB 3/170, Juris) ausgeführten Auffassung, dass die Entscheidung der Behörde darüber, ob die Einziehung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre, von den Gerichten nach den für die Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu prüfen sei. Allerdings rage der Begriff "unbillig" in den Ermessensbereich hinein und bestimme damit zugleich Inhalt und Grenzen der Ermessensausübung.
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Hierzu hat der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) in seiner aktuellen Grundsatzentscheidung zum sog. "Sanierungserlass" vom 28.11.2016 ausgeführt, dass die an sich unterschiedlichen Auffassungen zur Einordnung des Begriffs "unbillig" nicht zu voneinander abweichenden Ergebnissen führen (Große Senat des BFH, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 101). Denn "geht man mit der Formulierung des GmS-OGB davon aus, dass "der Begriff 'unbillig' in den Ermessensbereich hineinragt und damit zugleich Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimmt", kann es sich nur um einen Rechtsbegriff handeln, welcher der Definition bedarf, und zwar in derselben Weise, wie es bei einem Tatbestandsmerkmal erforderlich ist. Daher kommt auch der GmS-OGB mit seiner Entscheidung in BFHE 105,101, BStBl II 1972, 603 [B. v. 19.10.1971 - 3/70] zu dem Schluss, es mache "vom Ergebnis her keinen bedeutsamen Unterschied", ob man von einem Tatbestandsmerkmal und einer Rechtsentscheidung ausgehe, oder von einer Ermessensentscheidung, die auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Billigkeit geprüft werde" (Große Senat des BFH, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 101).
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Dem vorhergehend ging auch schon das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 19.02.2015 (9 C 10.14, zit. nach Juris) bezüglich Billigkeitsmaßnahmen gemäß §§ 163, 227 AO offensichtlich von einer uneingeschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit des Merkmals "unbillig" aus. So hat es in der vorgenannten Entscheidung die dort geltend gemachte sachliche Unbilligkeit der Steuereinziehung eingehend geprüft und verneint, ohne ein behördliches Ermessen oder eine daraus folgende nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfung der Behördenentscheidung auch nur zu erwähnen.
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Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 25.04.2017 (14 A 1479/13, zit. nach Juris) ebenfalls und insbesondere auch unter Beachtung der Rechtsprechung des GmS-OGB zunächst "nur" geprüft, ob die Erhebung oder Einziehung der Steuer unbillig sei und erst in einem zweiten Schritt, ob die Ablehnung des Erlassantrages durch die dortige Beklagte ermessensfehlerhaft gewesen sei (vgl. U. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, zit. nach Juris, Rn. 61). Folgerichtig kam es dann, nachdem es die "Unbilligkeit" in der Sache verneint hatte, nicht mehr zur Prüfung von Ermessensfehlern.
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Für die Kammer ist auch nicht erkennbar, dass im Fall der Bejahung des Tatbestandsmerkmals 'unbillig' zwangsläufig das Ermessen der Behörde in Bezug auf einen Billigkeitserlass auf Null reduziert sein muss und somit kein Raum mehr für ein eigenständiges rechtliches "Können" verbleibt (vgl. Argumentation des GmS-OGB, B. v. 19.10.1971 - 3/170, zit. nach Juris, Rn. 21, 25). So können unabhängig von der im ersten Schritt zu prüfenden Tatbestandsfrage, ob das Merkmal der sachlichen und persönlichen Unbilligkeit der Steuererhebung/Einziehung erfüllt ist, dann im zweiten Schritt im Rahmen der Ermessensausübung etwa haushalterische Belange zu berücksichtigen sein. Im Einzelfall erscheint es daher durchaus denkbar, dass beispielsweise trotz bestehender sachlicher Unbilligkeit in Bezug auf die Besteuerung des Steuerschuldners (Tatbestandsebene) aufgrund einer haushalterischen Schieflage des Steuergläubigers ein Billigkeitserlass nicht zweckmäßig ist (Ermessensebene). So führt auch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt in seinem Urteil vom 10.11.2016 (4 L 97/15, zit. nach Juris, Rn. 24) aus, dass die Haushaltslage des Steuergläubigers im Rahmen des Billigkeitserlasses grundsätzlich zu berücksichtigen ist, allerdings erst dann, wenn nach der zugrunde liegenden Konstellation eigentlich eine sachliche Unbilligkeit gegeben sei. Das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt hat zwar in seinem vorgenannten Urteil im Übrigen "nur" geprüft, ob die von der Beklagten vorgenommen Ablehnung des Erlasses der Gewerbesteuer aus Billigkeitsgründen ermessensfehlerhaft sei, wobei es der Formulierung des GmS-OGB folgte, dass die Entscheidung der Gemeinde über einen Erlass aus Billigkeitsgründen eine Ermessensentscheidung sei, wobei Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens durch den Maßstab der Billigkeit bestimmt werde. Allerdings erging die Entscheidung des OVG des Landes Sachsen-Anhalt vom 10.11.2016 (4 L 97/15) zeitlich vor der erst kurz darauf ergangenen Grundsatz-Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 29.11.2016 (GrS 1/15).
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Maßgebender Zeitpunkt für die gerichtliche Prüfung einer Entscheidung über einen Antrag auf Steuererlass aus Billigkeitsgründen ist – abweichend von dem Grundsatz, dass für Verpflichtungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend ist - der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der 29.07.2015. Dies beruht auf der Erwägung, dass die Entscheidung über einen Billigkeitserlass grundsätzlich eine Ermessensentscheidung ist und die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung nur von Tatsachen und Verhältnissen abhängen kann, die im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorgelegen haben (OVG LSA, U. v. 10.11.2016 - 4 L 97/15, zit. nach Juris, Rn. 18; OVG NRW, U. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, zit. nach Juris, Rn. 55).
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Ausgehend von den vorgenannten Maßstäben steht der Klägerin der geltend gemachte Erlassanspruch gemäß § 227 AO nicht zu.
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Dem Erlassanspruch steht zwar nicht schon ein bestandskräftiger Gewerbesteuerbescheid vom 10.03.2015 entgegen (1.). Die Einziehung der Steuer stellt sich aber weder als sachlich (2.) noch als persönlich (3.) unbillig dar, so dass die Voraussetzungen für einen Erlassanspruch zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (29.07.2015) nicht vorlagen.
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1. Soweit die Beklagte vorliegend der Auffassung ist, dass der Erlassanspruch bereits deshalb ausgeschlossen sei, weil die Klägerin es versäumt habe, gegen den der Steuer zugrunde liegenden Gewerbesteuerbescheid 2005 vorzugehen, dieser bestandskräftig sei und ein Billigkeitserlass damit nicht mehr in Betracht komme, folgt das Gericht dem nicht.
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§ 227 AO eröffnet zwar (nur) die Möglichkeit, atypische Sachverhalte zu berücksichtigen und damit Unzulänglichkeiten des generalisierenden Gesetzes auszugleichen, um im Einzelfall ungerechte Besteuerungen zu verhindern, dient aber nicht - insoweit ist die Rechtsauffassung der Beklagten zutreffend - dazu, Nachteile auszugleichen, die dadurch entstanden sind, dass der Steuerpflichtige eine Rechtsbehelfsfrist schuldhaft versäumt hat (vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AG/FGO, Kommentar, Band II, Stand: Juli 2017, § 227, Rn. 4; vgl. Rüsken, in: Klein: AO, Kommentar, 13. Aufl., § 227, Rn. 12). Eine schuldhafte Versäumung der Rechtsbehelfsfrist bzw. deren rechtsmissbräuchliche Umgehung ist vorliegend jedoch nicht gegeben, denn ein bestandskräftiger Gewerbesteuerbescheid 2005 liegt noch nicht vor. Der zuletzt ergangene Gewerbesteuerbescheid 2005 vom 10.03.2015 ist noch nicht in Bestandskraft erwachsen, da über den am 07.04.2015 eingelegten Widerspruch - entgegen der Auffassung der Beklagten - noch nicht entschieden worden ist. Im Widerspruchsbescheid vom 29.07.2015 hat die Beklagte ausweislich dessen eindeutig formulierten Tenors lediglich den Widerspruch über die Ablehnung des Erlassantrages als unbegründet zurückgewiesen, denn darin heißt es: "Den Widerspruch gegen die Ablehnung des Erlasses der Gewerbesteuer und der Zinsen zur Gewerbesteuer 2005 der XXX in Höhe von … zuletzt geändert mit Bescheid vom 10.03.2015 – weise ich als unbegründet zurück." Nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl., § 35 Rn. 54) war allein aus der Nennung des Gewerbesteuerbescheids vom 10.03.2015 im Tenor – wie zuvor – und allein die Bezugnahme auf § 163 AO hinsichtlich des Billigkeitsbegriffs nicht ersichtlich, dass die Beklagte eine Entscheidung auch über den Widerspruch gegen den Gewerbesteuerbescheid hat treffen wollen bzw. getroffen hat. Dessen ungeachtet ist nicht ersichtlich, wie der bereits am 07.04.2011 gestellte Erlassantrag rechtsmissbräuchlich oder schuldhaft die Rechtsbehelfsfrist des erst vier Jahre später ergangenen Gewerbesteuerbescheids vom 10.03.2015 umgehen sollte.
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2. Die Voraussetzungen für einen Erlass der Gewerbesteuer wegen sachlicher Unbilligkeit liegen nicht vor. Die Festsetzung bzw. Einziehung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen der Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu regelnden Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Maßgebend ist dabei nicht die subjektive Vorstellung eines am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten, sondern der in der Norm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift (vgl. OVG NRW, Urt. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, zit. nach Juris, Rn. 62).
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a) Ausgehend hiervon enthalten die §§ 5 und 7 Satz 1 GewStG, § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG eindeutig die Wertung, dass ein Sanierungsgewinn, also eine Erhöhung des Betriebsvermögens, die dadurch entsteht, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen worden sind (vgl. § 3 Nr. 66 EStG in der bis zum 31.10.1997 geltenden Fassung), der Besteuerung unterliegen soll. Die Erhebung der auf einen Sanierungsgewinn - als reinen Buchgewinn - entfallenden Gewerbesteuer widerspricht folglich nicht den Wertungen des Gesetzes, sondern entspricht ihr vielmehr. Nach den §§ 6 und 7 Satz 1 GewStG ist Besteuerungsgrundlage für die Gewerbesteuer der Gewerbeertrag. Der Gewerbeertrag ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum (§ 14 GewStG) entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG bestimmt sich nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und dieses Gesetzes, was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer u.a. Einkünfte aus Gewerbebetrieb und sind Einkünfte bei Gewerbebetrieb der Gewinn (§§ 4 bis 7k und 13a EStG). Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG ist Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen. Ein Gewinn im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG liegt folglich auch vor, wenn sich das Betriebsvermögen im Verlauf des Wirtschaftsjahres dadurch erhöht, dass Schulden zum Zwecke der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden (vgl. BFH, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15 - zit. nach Juris, Rn. 115.).
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b) Die Besteuerung eines Sanierungsgewinns steht entgegen der klägerischen Ansicht auch nicht den Wertungen der Insolvenzordnung entgegen. Auch wenn zentrales Ziel der zum 01.01.1999 in Kraft getretenen Insolvenzordnung die Unternehmenserhaltung ist und auch die (außergerichtlichen) Sanierungsmöglichkeiten mit Einführung der Insolvenzordnung verbessert werden sollten, so zwingt dies nicht zu der Folgerung, der Fiskus habe sich mit Steuersubventionen an Sanierungen zu beteiligen (BFH Großer Senat, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 139). Gemäß § 1 Abs. 1 InsO dient das Insolvenzverfahren dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, in dem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Das letztgenannte Ziel des Erhalts des Unternehmens ist dabei derart allgemein und unspezifisch formuliert, dass sich dem nicht die Wertung entnehmen lässt, Erhöhungen des Betriebsvermögens durch Erlass von Schulden zum Zwecke der Sanierung sollten nicht besteuert werden. Erst Recht gilt dies für die Abschaffung des Fiskusprivilegs, § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO (vgl. OVG NRW, U. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, zit. nach Juris, Rn. 67).
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c) Abgesehen davon hat der Gesetzgeber die zu regelnde Frage, nämlich die Besteuerung von Sanierungsgewinnen, bereits im Jahr 1997 geregelt, indem er § 3 Nr. 66 EStG ersatzlos gestrichen hat. Nach § 3 Nr. 66 EStG waren Erhöhungen des Betriebsvermögens, die dadurch entstanden, dass Schulden zum Zweck der Sanierung ganz oder teilweise erlassen werden, steuerfrei. Diese Norm wurde durch Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 28.10.1997 (BGBl. 1997 I S. 2590) aufgehoben. Hierdurch hat der Gesetzgeber klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Sanierungsgewinne durch Forderungserlasse nicht mehr steuerlich zu privilegieren sind und der Sanierungsgewinn danach steuerlich genau zu behandeln sei, wie jeder andere durch Vermögensvergleich ermittelte Gewinn (OVG NRW, U. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, zit. nach Juris, Rn. 72). Dem steht auch nicht die Überlegung entgegen, dass der Gesetzgeber ursprünglich mit Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. eine "Doppelbegünstigung" der Sanierungsgewinne habe abschaffen wollen (vgl. BT-Drs. 13/7480 S. 192 [zu § 3 Nr. 66], da diese gemäß § 3 Nr. 66 EStG a.F. nicht nur keine steuerpflichtigen Erträge darstellten, sondern zudem auch mit Verlusten im Veranlagungszeitraum verrechnet werden konnten, und diese unbegrenzte Verlustvortragsmöglichkeit (doppelte Begünstigung) mittlerweile durch Grundsätze der sog. Mindestbesteuerung wieder beschränkt worden ist.
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Das Bundesministerium der Finanzen hat in dieser "Abschaffung der Doppelbegünstigung" zwar eine unbillige Härte gesehen und infolge dessen den sog. "Sanierungserlass" vom 27.03.2003 mit Nachtrag IV C 6-S2140/07/1001 vom 22.12.2009 aufgesetzt und festgehalten, dass nach Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG und der Beschränkung des Verlustvortrages durch Einführung der Mindestbesteuerung insoweit eine unbillige sachliche Härte in den Fällen vorliege, in denen nach Ausschöpfen der ertragssteuerrechtlichen Verlustmöglichkeiten ein besteuerbarer Sanierungsgewinn weiterhin verbleibe, der nicht mehr durch Verlustmöglichkeiten reduziert werden könne. Die Steuer solle daher in diesen Fällen erlassen werden. Der vorgenannte Sanierungserlass ist dieser Entscheidung jedoch nicht zu Grunde zu legen. Abgesehen davon, dass der Große Senat des Bundesfinanzgerichtshofs in seinem Beschluss vom 28.11.2016 - GrS 1/15 festgestellt hat, dass der im Sanierungserlass vorgesehene Billigkeitserlass der auf einen Sanierungsgewinn entfallenden Steuer gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstößt, richtet sich der Sanierungserlass "nur" an die Finanzbehörden. Die Kommunen sind insoweit weder an den Sanierungserlass noch an das damit einhergehende Verhalten der Finanzverwaltung gebunden, sondern haben eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. OVG LSA. U. v. 10.11.2016 - 4 L 97/15, zit. nach Juris, Rn. 21, VG Magdeburg, U. v. 25.02.2014 - 2 A 193/12, zit. nach Juris, Rn. 26; im Übrigen auch nach den Regelungen des Sanierungserlasses selbst, vgl. dort Rz. 15).
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Darüber hinaus handelt es sich bei der Abschaffung der "Doppelbegünstigung" nur um eines von mehreren Motiven des Gesetzgebers. Im Vordergrund standen für ihn auch die Erzielung von Mehreinnahmen durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die Beseitigung des Widerspruchs zur allgemeinen ertragsteuerlichen Regel des § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG und die Vereinfachung des Steuerverfahrens (vgl. BFH Großer Senat, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 128 m. w. N.). Aus diesem Bündel gesetzgeberischer Motive für die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG kann daher nicht allein die Vermeidung einer sog. "Doppelbesteuerung" herausgelöst werden und als Begründung für eine angebliche sachliche Unbilligkeit der Besteuerung für solche Fälle verwendet werden, in denen Sanierungsgewinne trotz Verrechnung mit Verlusten verbleiben. Andernfalls bleiben zum einen die übrigen Motive des Gesetzgebers unbeachtet, zum anderen würde eine steuerliche Belastung, die nach der Wertentscheidung des Gesetzgebers grundsätzlich hinzunehmen sei, durch eine Billigkeitsmaßnahme ausgehebelt werden (BFH Großer Senat, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 129 m.w.N.). Im Übrigen muss eine abgeschaffte gesetzliche Steuerprivilegierung nicht allein deshalb aufleben, weil durch spätere gesetzliche Steuerverschärfungen der Grund für die Abschaffung der Steuerprivilegierung entfällt. Es ist weder Sache der Finanzverwaltung noch der der Kommunen, über Billigkeitsentscheidungen die Steuerverschärfung zum Anlass zu nehmen, die Steuerprivilegierung wieder einzuführen. Diese Entscheidung ist dem Gesetzgeber vorbehalten (OVG NRW, U. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, zit. nach Juris, Rn. 76; BFH Großer Senat, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 132).
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Darüber hinaus gibt es im Hinblick auf die Zeitpunkte der Aufhebung der § 3 Nr. 66 EStG a.F. und der Aufnahme einer Mindestbesteuerung in § 10d EStG keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe seinerzeit die Möglichkeit auch nach Verlustverrechnung gleichwohl verbleibender Sanierungsgewinne übersehen. Schon unter der Geltung sowohl des § 11 Nr. 4 KStG a.F. als auch des § 3 Nr. 66 EStG a.F. gab es nämlich bis zum Beschluss des Großen Senats in BFHE 93, 75, BStBl II 1968, 666 eine langjährige BFH-Rechtsprechung, der zufolge nur nach Verlustverrechnung verbleibende Sanierungsgewinne steuerlich begünstigt waren. Diese Rechtsprechung kann nicht übersehen worden sein (BFH Großer Senat, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 130).
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d) Eine der Besteuerung entgegenstehende gesetzliche Wertung ergibt sich letztlich auch nicht aus dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassung (RÜbStG - BGBl 2017 I Nr. 43) vom 27. Juni 2017 (RÜbStG - BGBl 2017 I Nr. 43). Darin hat der Gesetzgeber nunmehr in dessen Art. 4 Zif. 3, welcher einen neuen § 7c GewStG einführt, die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen durch Schuldenerlass zwar gesetzlich geregelt, dies jedoch erst bei einem Schuldenerlass nach dem 08.02.2017. Überdies stehen die neuen Regelungen unter dem unionsrechtlichen Inkrafttretensvorbehalt (Art. 6 RÜbStG), wonach die Europäische Kommission noch durch Beschluss feststellen muss, dass die Regelungen keine staatlichen Beihilfen oder mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen darstellen.
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e) Besondere, über den allgemeinen Umstand, dass es sich um eine typische Besteuerung von Sanierungsgewinnen - also eines reinen Buchgewinnes - handelt, hinausgehende einzelfallbezogene und atypische Umstände, die eine sachliche Unbilligkeit begründen könnten, sind für das Gericht nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet eine Verlustverrechnungsmöglichkeit in den Folgejahren nicht beispielsweise aufgrund einer (hier nicht bestehenden) Insolvenz der Klägerin aus, oder handelt es sich bei der Klägerin etwa um eine zeitlich begrenzt bestehende Projektgesellschaft (vgl. VG München, U. v. 30.01.2014 - M 10 K 13.3380, zit. nach Juris), noch beruhte der Gewerbesteuerbescheid auf einem offensichtlichen und eindeutigen Irrtum der Gemeinde über die bereits aus dem Gesetz ersichtlichen Wertungen des Gesetzgebers (OVG LSA, U. v. 18.06.2009 - 4 L 36/07, zit. nach Juris, Rn. 29). Die Besteuerung des Sanierungsgewinns erfolgt vorliegend vielmehr nur, weil eine weitere Verlustverrechnung des Sanierungsgewinns mit den bestehenden Verlustvorträgen allein wegen der Grundsätze über die Mindestbesteuerung beschränkt wurde. Die bestehenden Verlustvorträge hätten der Höhe nach grundsätzlich ausgereicht, um den Sanierungsgewinn zu neutralisieren. Bei den in § 10a ff. GewStG normierten Grundsätzen über die Mindestbesteuerung handelt es sich jedoch um keine atypische Härte, sondern um eine vom Gesetz bewusst in Kauf genommene Härte (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 28.02.2017 - 1 BvR 1103/15, zit. nach Juris, Rn. 17; OVG NRW, U. v. 25.04.2017 - 14 A 1479/13, zit. nach Juris, Rn. 78 ff.). Eine solche, d.h. eine typische, den gesetzgeberischen Vorstellungen von einer gesetzlichen Regelung entsprechenden Folge vermag jedoch keine sachliche Unbilligkeit zu begründen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 28.02.2017 - 1 BvR 1103/15, zit. nach Juris, Rn. 16, 17).
- 61
f) Letztlich steht die Besteuerung von Sanierungsgewinnen - entgegen der klägerischen Ansicht – auch nicht im Widerspruch zum Leistungsfähigkeitsprinzip gemäß Art. 3 Abs. 1 GG und stellt daher auch insoweit keine sachliche Unbilligkeit dar. Zwar handelt es sich bei Sanierungsgewinnen mangels Zuflusses liquider Mittel nur um "Scheingewinne". Die Besteuerung eines solchen "Scheingewinns" verstößt jedoch nicht gegen das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern, während die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Belastung niedriger Einkommen angemessen sein muss (vgl. BVerfG, U. v. 09.12.2008 - 2 BvL 1, 2/07, 1, 2/08 -, BVerfGE 122, 210 (231)). Danach ist es nicht gleichheitswidrig, einen Gewerbebetrieb höher zu besteuern, dessen Betriebsvermögen sich im Laufe des Wirtschaftsjahres durch den Erlass von Schulden zum Zwecke der Sanierung erhöht hat, denn ein solcher Gewerbebetrieb ist leistungsfähiger als ein Gewerbebetrieb, dessen Betriebsvermögen sich im Laufe des Wirtschaftsjahrs nicht erhöht hat. Bei der Gewerbesteuer zeigt sich die Leistungsfähigkeit in der objektivierten Ertragskraft des Gewerbebetriebs (vgl. BVerfG, B. v. 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, zit. nach Juris; vgl. BFH, B. v. 28.11.2016 - GrS 1/15, zit. nach Juris, Rn. 116 f.). Allein das bloße Faktum eines Sanierungsgewinns begründet als solches keine sachliche Unbilligkeit (VG Köln, U. v. 27.08.2014 - 24 K 2780/13, zit. nach Juris, Rn. 37).
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3. Die Voraussetzungen für einen Erlass der Gewerbesteuer wegen persönlicher Unbilligkeit lagen zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (29.07.2015) ebenfalls nicht vor.
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Ein Erlass von Steuerverbindlichkeiten aufgrund persönlicher Unbilligkeit setzt die Erlassbedürftigkeit und Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen voraus.
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Erlassbedürftig ist derjenige Steuerpflichtige, dessen wirtschaftliche oder persönliche Existenz im Fall der Versagung des Billigkeitserlasses gefährdet ist (BFH, 4. Senat, U. v. 26.02.1987 - IV R 298/84, zit. nach Juris, Rn. 21). Die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen ist gefährdet, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen die Erwerbstätigkeit nicht mehr fortgesetzt werden kann (BFH, 4. Senat, U. v. 26.02.1987 - IV R 298/84, zit. nach Juris, Rn. 21); nur vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten rechtfertigen indes keinen Erlass (BFH v. 14.01.2002 - XI B 146/92, zit. nach Juris); die wirtschaftliche Notlage muss vielmehr auf Dauer bestehen (OVG LSA, B. v. 08.06.2004 - 2 O 238/04, zit. nach Juris, Rn. 8), andernfalls kommt nur eine Stundung in Betracht (VG Meiningen, U. v. 13.07.2006 - 8 K 356/05.Me, zit. nach Juris, Rn. 15). Die Ursache der Existenzgefährdung braucht nicht durch die Festsetzung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis selbst verursacht worden sein. Ansonsten wäre ein Billigkeitserlass ausgeschlossen, wenn sich der Steuerpflichtige bereits vor Festsetzung des Anspruchs in einer Notlage befindet (Loose, in: Tipke/Kruse, AG/FGO, Kommentar, Band II, Stand: Juli 2017, § 227, Rn. 91). Ist die wirtschaftliche Existenz bereits vor Antrag auf Erlass zerstört, ist die Einziehung des Anspruchs nicht unbillig (BFH v. 28.10.1997 - VII B 183/96, zit. nach Juris). Ferner setzt ein Steuererlass wegen unbilliger persönlicher Härte voraus, dass er dazu dienen kann, die Verhältnisse des Betriebs in absehbarer Zeit zu normalisieren (BVerwG, U. v. 29.09.1982 – 8 C 49/82, zit. nach Juris, Rn. 28).
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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war die Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt (29.07.2015) nicht erlassbedürftig. Denn auch den Vortrag der Klägerin als wahr unterstellt, dass die wirtschaftliche Existenz der XXX Gruppe im Jahr 2005 und in den Jahren 2011/2012 konkret gefährdet war und diese Gefährdung auch noch im Juli 2015 fortbestand, so war jedenfalls nicht davon auszugehen, dass ohne den Erlass der hier streitigen Forderung in Höhe von 16.164,61 EUR nebst Zinsen in Höhe von 7.671,00 EUR die wirtschaftliche Existenz gefährdet wurde bzw. die bereits existierende Gefährdung wesentlich nachteilig beeinflusst worden wäre. Dies wird auch von der Klägerin nicht behauptet. Diese ist vielmehr der Auffassung, dass auf den Gesamtbetrag der Gewerbesteuerforderungen, d.h. auf den Betrag von 26,5 Mio. EUR abzustellen sei, da andernfalls die Beklagte lediglich von den Entscheidungen der ganz überwiegenden Anzahl von anderen Gemeinden profitieren würde, die auf ihre Gewerbesteuerforderungen für den Erhebungszeitraum 2005 insoweit verzichtet haben, denn ohne diese Erlasse wäre die Klägerin in der Vergangenheit insolvent geworden und die Beklagte wäre ebenfalls mit ihrer Gewerbesteuerforderung ausgefallen.
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Dieser Argumentation folgt die Kammer nicht. Jede Gemeinde stellt eine selbständige Steuergläubigerin dar, die jeweils eine eigenständige Entscheidung über den Billigkeitserlass zu treffen hat und hierbei eigenständige, individuelle Ermessenserwägungen anstellen kann und darf (z.B. haushalterische Erwägungen). Dass ein Gläubiger von dem eigenständigen Erlass anderer Gläubiger letztlich profitiert – was naturgemäß häufig der Fall sein dürfte -, führt nicht dazu, dass die Befugnis zur eigenständigen Entscheidung beschränkt wird. Dies umso mehr, als die Beklagte in die Erlassverhandlungen mit den übrigen Gemeinden nicht einbezogen wurde. Die übrigen Gemeinden, die den Erlass unabhängig von der Entscheidung anderer Gemeinden bereits gewährt haben, hätten es vielmehr in der Hand gehabt, ihre Entscheidung ebenfalls zurückzustellen, vorerst nur eine Stundung zu gewähren oder sich einen Widerrufsvorbehalt einzuräumen.
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Soweit die Klägerin darüber hinaus geltend macht, dass aufgrund einer sogenannten "Hebelwirkung" eine Entscheidung im hiesigen Erlass- und Klageverfahren Auswirkungen auf die noch offenen auf den Sanierungsgewinn entfallenden Gewerbesteuerforderungen in Höhe von rund 1,2 Mio. EUR habe und daher bei der Frage nach der Erlassbedürftigkeit auf diesen Betrag abgestellt werden müsse, folgt die Kammer dem ebenfalls nicht. Ein solch kausaler Zusammenhang zwischen der Erlassentscheidung im hiesigen Verfahren und den noch offenen Erlassverfahren ist für das Gericht nicht ersichtlich, bzw. auch wenn ein solcher bestehen sollte, verdient er keine rechtliche Anerkennung. Hierbei kann zwar – entgegen der Ansicht der Beklagten – ein solcher Zusammenhang nicht allein damit verneint werden, dass die Klägerin die Gewerbesteuer für 2005 an die F-Stadt gezahlt hat und daher insoweit bereits ein die Hebelwirkung auslösender "Präzedenzfall" eingetreten sei, denn auch die Ablehnung dieses Erlassantrages ist noch nicht rechtskräftig, sondern Gegenstand eines rechtshängigen Klageverfahrens vor der hiesigen Kammer (2 A 350/17 MD). Entscheidend ist jedoch, dass jede Kommune im Rahmen ihrer Selbstverwaltung gemäß Art. 28 Abs. 2 GG eine eigenständige Ermessensentscheidung über den Erlassantrag zu treffen hat und diese Entscheidungen untereinander - genauso wie die Entscheidung dieses Gerichts gegenüber anderen Beteiligten - keine rechtliche Bindungswirkung entfalten. Dass die Gemeinden sich - nach dem klägerischen Vortrag - ggf. untereinander über den Stand der Erlassverfahren informieren, führt nicht mit einer für einen anerkennenswerten Kausalzusammenhang erforderlichen Wahrscheinlichkeit dazu, dass deren Entscheidungsprozesse dadurch in maßgeblicher Weise beeinflusst werden. Würde man demgegenüber von einer tatsächlichen und relevanten Ausstrahlungswirkung ausgehen, so müsste man eher im Gegenteil annehmen, dass die bereits gewährten Erlässe in Höhe von rd. 25,4 Mio. EUR ebenfalls eine Hebelwirkung gehabt hätten und daher die Kommunen, bei denen Erlassanträge noch offen sind, erst recht den Erlass bewilligen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Hebelwirkung in diese Richtung ist gerade nicht eingetreten. Gegen eine für die einzelnen Gemeinden entscheidungserhebliche Hebelwirkung spricht zudem, dass offenbar keine der Gemeinden, die bereits einen Erlass gewährt haben, ihre Entscheidung davon abhängig gemacht haben, dass alle anderen Gemeinden auch einen Erlass gewähren, sondern den Erlass gerade unabhängig von der Entscheidung der anderen Gemeinden getroffen haben.
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Unabhängig hiervon - und ohne dass es für die Entscheidung der Kammer darauf angekommen ist - wäre auch insoweit schon nicht auf den Betrag in Höhe von 1,2 Mio. EUR abzustellen, da von diesen nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung bereits rund 600.000 EUR an die Städte F und S gezahlt worden sind - selbst wenn die Klägerin insoweit Rückzahlungsansprüche geltend macht - und für die übrigen ca. 600.000 EUR Rückstellungen in Höhe von rund 407.000 EUR gebildet worden sind, so dass - zumindest faktisch - ein tatsächlicher, nicht durch Rücklagen gedeckter Liquiditätsabfluss, von "nur" noch rund 193.000 EUR droht. Das Gericht hat keine validen Anhaltspunkte dafür, dass schon dieser Betrag zum maßgeblichen Zeitpunkt geeignet gewesen wäre, die wirtschaftliche Existenz der Klägerin zu gefährden, noch hat die Klägerin dies substantiiert vorgetragen.
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Des Weiteren führt die Beklagte zu Recht auch den Aspekt an, dass selbst wenn die insgesamt noch ausstehenden Gewerbesteueraußenstände geeignet wären, die Existenz der Klägerin zu gefährden, es dennoch auch einen Betrag gebe, bei dem diese Gefährdung nicht mehr gegeben ist. Kommunen, die ihre Steuerforderungen zurückstellen, bis dieser Betrag durch Zahlung oder Verzichtserklärung erreicht ist, könnten sich also dann zu Recht darauf berufen, dass die Geltendmachung ihrer Steuerforderungen selbst im Verbund mit weiteren noch offenen Forderungen die Existenz der Klägerin nicht mehr gefährden würde. Die Klägerin hätte es somit in der Hand, welchen Kommunen sie die Steuer zubilligt und bei welchen sie sich auf die vermeintlichen Erlassansprüche beruft. Ein solches Wahlrecht sieht das Gesetz jedoch nicht vor.
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Da aus den vorgenannten Gründen schon keine "Unbilligkeit" der Steuereinziehung vorlag, stand auch der Erlass nicht im Ermessen der Beklagten, so dass etwaige Ermessensfehler nicht mehr vom Gericht zu prüfen sind. Somit hat auch der hilfsweise gestellte Klageantrag auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts keinen Erfolg. Auf die Fragen, ob die Beklagte verspätet zur Ablehnung des Erlassantrages auf ihre schlechte wirtschaftliche Situation verwiesen hat und ob ggf. eine abweichende Verwaltungspraxis bestanden hat, kam es folglich für die Entscheidung nicht mehr an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die sofortige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Aufgrund der aktuellen Grundsatzentscheidung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs im Beschluss vom 28.11.2016 - GrS 1/15 zur dogmatischen Einordnung des Merkmals "unbillig" in § 227 AO bedarf es der grundsätzlichen Klärung, ob diese rechtlichen Erwägungen für einen Billigkeitserlass auf die Gewerbesteuer übertragbar sind.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG und berücksichtigt, dass die Klägerin sowohl den Erlass der mit Gewerbesteuerbescheid vom 10.03.2015 festgesetzten Gewerbesteuer in Höhe von 16.164,62 EUR als auch die durch separaten Zinsbescheid vom gleichen Tag gemäß § 234a AO festgesetzten Zinsen in Höhe von 7.671,00 EUR begehrt. Nach § 43 Abs. 1 GKG bleiben Nebenforderungen - wie Zinsen -, die neben der Hauptforderung geltend gemacht werden, zwar grundsätzlich bei der Streitwertbemessung unberücksichtigt. Dies gilt jedoch nicht bei Zinsen gemäß den Regelungen der §§ 234 ff. AO, welche durch gesonderten Zinsbescheid gemäß § 239 AO festsetzt werden. Diese wirken sich vielmehr streitwerterhöhend aus (vgl. FG Düsseldorf, B. v. 25.02.1977 – V 307/76, zit. nach Juris; Hellst ab, in: Oestreich/Winter/Hellst ab (Hrsg.); GKG - Kommentar zum Gerichtskostengesetz, finanzgerichtliche Verfahren, Streitwert/N, S. 32).
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- § 11 Nr. 4 KStG 1x (nicht zugeordnet)
- § 227 AO 10x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 L 97/15 2x
- 2 A 350/17 1x (nicht zugeordnet)
- EStG § 10d Verlustabzug 1x
- VwGO § 154 1x
- 1 BvR 1103/15 2x (nicht zugeordnet)
- GewStG § 8 Hinzurechnungen 1x
- § 7c GewStG 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Verwaltungsgericht Magdeburg (2. Kammer) - 2 A 193/12 1x
- GewStG § 5 Steuerschuldner 1x
- EStG § 4 Gewinnbegriff im Allgemeinen 5x
- §§ 1 Abs. 2 Nr. 4, 3 Abs. 2 AO 2x (nicht zugeordnet)
- GewStG § 7 Gewerbeertrag 2x
- InsO § 1 Ziele des Insolvenzverfahrens 1x
- 4 L 97/15 2x (nicht zugeordnet)
- § 43 Abs. 1 GKG 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 8 K 356/05 1x (nicht zugeordnet)
- 4 L 36/07 1x (nicht zugeordnet)
- 2 BvL 2/99 1x (nicht zugeordnet)
- VII B 183/96 1x (nicht zugeordnet)