Beschluss vom Verwaltungsgericht Mainz (1. Kammer) - 1 L 273/20.MZ

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin vorläufig, längstens bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache (1 K 274/20.MZ), berechtigt ist, die von ihr geführten fünf Möbel- und Einrichtungshäuser in Rheinland-Pfalz (Kaiserslautern, Konz, Mainz, Meisenheim und Zweibrücken) zu betreiben, ohne die Verkaufsfläche entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Vierten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz

(4. CoBeLVO) vom 17. April 2020 (GVBl. 2020, S. 127) auf 800 m2 zu reduzieren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 25.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Bestimmung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Vierten Corona- Bekämpfungsverordnung vom 17. April 2020 (4. CoBeLVO) in Bezug auf die von ihr betriebenen Einrichtungs- und Möbelhäuser in Rheinland-Pfalz.

2

Die Antragstellerin hat ihren Sitz in A-Stadt. Sie betreibt unter dem Namen „Möbel Martin“ insgesamt fünf Einrichtungs- und Möbelhäuser in Rheinland-Pfalz (Kaiserslautern, Konz, Mainz, Meisenheim und Zweibrücken) mit Verkaufsflächen von jeweils 10.000 m2 bis zu 45.000 m2.

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Am 17. April 2020 erließ das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Antragsgegners unter Bezugnahme auf die §§ 28 Abs. 1 Sätze 1 und

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2, 32 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) die 4. CoBeLVO. Darin sieht § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 vor, dass „Verkaufsstellen des Einzelhandels und ähnliche Einrichtungen, sofern Waren auf mehr als 800 qm Verkaufsfläche angeboten werden,“ geschlossen sind. Gleichzeitig legt § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 4. CoBeLVO fest, dass eine Öffnung dieser Verkaufsstellen erfolgen darf, sofern die Verkaufsfläche auf 800 m2 begrenzt wird. In § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 3 bis 10 der 4. CoBeLVO sind bestimmte Betriebe unabhängig von ihrer Verkaufsfläche von der allgemeinen Schließung ausgenommen. Für alle unter § 1 Abs. 2 Satz 1 der 4. CoBeLVO genannten Betriebe gelten bestimmte Vorgaben zu Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen. Die 4. CoBeLVO tritt mit Ablauf des 6. Mai 2020 außer Kraft (§ 16).

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Die Antragstellerin hat am 23. April 2020 einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gestellt. Sie trägt im Wesentlichen vor, dass die Rechtsgrundlage für den Erlass der 4. CoBeLVO zu unbestimmt sei. Es liege ein Verstoß gegen das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) vor. Darüber hinaus sei die Beschränkung der Verkaufsfläche auf 800 unverhältnismäßig. Insbesondere sei die aus dem Bauplanungsrecht entnommene Flächenangabe infektionsschutzrechtlich ungeeignet und ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen.

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Sie beantragt,

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vorläufig festzustellen, dass durch § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 der Vierten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz vom 17. April 2020 kein Rechtsverhältnis zur Antragstellerin dahingehend begründet wird, dass ihr der Betrieb von Einrichtungs- und Möbelhäusern mit mehr als 800 Verkaufsfläche untersagt ist.

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Der Antragsgegner beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

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Er trägt dazu mit Schriftsatz vom 28. April 2020 vor, dass die Maßnahme auf Grundlage einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage erfolgt sei; dem Zitiergebot sei Genüge getan. Die Flächenbeschränkung sei für die Bekämpfung der „Corona-Pandemie“ geeignet, da zum einen die Gesamtzahl der Besucherinnen und Besucher reduziert werde und gleichzeitig auch die Fläche besser zu überwachen sei. Zum anderen nehme die Attraktivität der Betriebe durch eine Verringerung des Warenangebots ab, wobei baurechtliche Wertungen zu übertragen seien. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht anzunehmen.

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Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die vorgelegte Akte des Antragsgegners verwiesen, die Gegenstand der Beratung waren.

II.

12

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist.

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I. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässig.

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1. Das (vorläufige) Feststellungsbegehren der Antragstellerin (§ 43 VwGO) ist auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren statthaft (vgl. OVG RP, Beschluss vom 29. August 2018 - 6 B 10774/18.OVG -, NVwZ-RR 2019, 103, Rn. 6). Möglicher Inhalt einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann auch eine vorläufige Feststellung sein.

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Es besteht auch ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Denn die Antragstellerin begehrt erkennbar nicht unmittelbar die Feststellung der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm als abstrakte Rechtsfrage. Vielmehr ist hier die Anwendung einer Rechtsnorm (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 der 4. CoBeLVO) auf einen bestimmten, in der Wirklichkeit gegebenen Sachverhalt streitig, sodass die Rechtmäßigkeit der Norm lediglich als Vorfrage aufgeworfen wird; § 47 VwGO entfaltet daher keine Sperrwirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - 8 C 19/09 -, juris, Rn. 25). Da sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 der 4. CoBeLVO eine unmittelbare (bußgeldbewehrte) Einschränkung der zulässigen Verkaufsfläche ergibt und eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Maßnahmen des Verwaltungsvollzugs insoweit grundsätzlich nicht vorgesehen ist, konnte sich der Antrag auch gegen den Normgeber richten (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 30).

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2. Die Antragsbefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog ergibt sich für die Antragstellerin zumindest aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG (vgl. BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 4 BA). Ob darüber hinaus eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als einer nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Rechtsposition anzunehmen sein könnte, kann hier dahinstehen (vgl. dazu BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 4 BA; OVG Nds, Beschluss vom 17. April 2020 - 13 MN 82/20 -, juris, Rn. 24 m.w.N.).

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3. Ein Feststellungsinteresse ergibt sich hier aus dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin, die von ihr in Rheinland-Pfalz betriebenen Möbel- und Einrichtungshäuser in vollem Umfang für den Kundenverkehr auf der gesamten zur Verfügung stehenden Verkaufsfläche zu öffnen. Auch im Übrigen sind die Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben.

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II. Der Antrag ist auch begründet.

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Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts eines Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung). Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Sind diese Voraussetzungen gegeben, muss das Gericht eine einstweilige Anordnung treffen (vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123, Rn. 23 ff.).

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Die Antragstellerin begehrt hier mit der einstweiligen Anordnung vorläufig das Gleiche, was sie dem Grunde nach auch in einem Hauptsacheverfahren beantragen müsste, nämlich die Feststellung, dass aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 4. CoBeLVO kein Rechtsverhältnis zur Antragstellerin dahingehend begründet wird, dass ihr der Betrieb von Einrichtungs- und MöbeIhäusern mit mehr als 800 m2 Verkaufsfläche untersagt ist, sodass eine grundsätzlich dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung widersprechende - im Hinblick auf die Geltungsdauer der 4.CoBeLVO bis 6. Mai 2020 - voraussichtlich endgültige Vorwegnahme der Hauptsache vorliegt (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 21. April 2020 - 3 E 1675/20 -, S. 4 BA). Um einen effektiven Rechtsschutz unter Beachtung der betroffenen Grundrechte zu gewährleisten (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG), kann das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache im Einzelfall ausnahmsweise nachrangig sein. Allerdings kann in einer solchen Konstellation die einstweilige Anordnung nur ergehen, wenn Rechtsschutz in der Hauptsache nicht rechtzeitig erlangt werden kann und dies zu schlechthin unzumutbaren, insbesondere anders nicht abwendbaren Nachteilen für den Antragsteller führt, die sich auch bei einem Erfolg in der Hauptsache nicht ausgleichen lassen. Zudem muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache bestehen (vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 123, Rn. 14 m.w.N.; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 1989 - 2 ER 301/89 -, juris, Rn. 3: „strenger Maßstab“; ThürOVG, Beschluss vom 19. November 2014 - 3 EO 676/14 -, juris, Rn. 25: „eindeutig überwiegende Erfolgsaussichten“).

21

1. Ein Anordnungsanspruch ist hier vor diesem Hintergrund hinreichend glaubhaft gemacht worden. Es bestehen bereits im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Überzeugung der Kammer wesentliche Anhaltspunkte, dass die einer vollständigen Öffnung der Einrichtungs- und Möbelhäuser der Antragstellerin mit einer Verkaufsfläche über 800 m2 entgegenstehende Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 der 4. CoBeLVO für unwirksam zu halten und darauf basierend das Nichtbestehen eines entsprechenden Verbots vorläufig festzustellen ist.

22

a) Rechtsgrundlage für den Erlass der 4. CoBeLVO unter Einschluss der hier gegenständlichen Regelungen ist § 32 Satz 1 IfSG (vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 27. April 2020 - 2 B 143/20 -, S. 9 BA; siehe allgemein OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris, Rn. 19). Danach werden die Landesregierungen ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung und Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG).

23

b) Das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie war gemäß § 32 Abs. 1 Satz 2 IfSG i.V.m. § 1 Nr. 1 der Landesverordnung zur Durchführung des Infektionsschutzgesetzes (IfSGDV) vom 10. März 2010 (GVBl. 2010, S. 55) für den Erlass der entsprechenden Beschränkungen zuständig. Auch im Übrigen bestehen in formeller Hinsicht keine Bedenken; insbesondere wurde das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 Satz 3 GG eingehalten und die Rechtsverordnung letztlich im Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl. 2020, S. 127) verkündet (vgl. Art. 113 Abs. 3 der Landesverfassung - LV - in Verbindung mit § 1 des Verkündungsgesetzes - VerkündG -).

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c) Es ist bereits im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahren anzunehmen, dass § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 CoBeLVO materiell rechtswidrig und daher (vorläufig) in Bezug auf die Antragstellerin für unwirksam zu erklären ist.

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aa) Im Rahmen der summarischen Prüfung war von einer Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage für den Erlass der 4. CoBeLVO auszugehen; jedenfalls liegt insoweit kein offensichtlicher Verstoß gegen höherrangiges Recht vor (vgl. dazu HessVGH, Urteil vom 8. Oktober 2010 - 8 B 1344/10 -, juris, Rn. 8). Insbesondere kann ein Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3, 80 Abs. 1 Satz 2 GG) bzw. den sog. Parlamentsvorbehalt voraussichtlich nicht festgestellt werden. Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Gesetze, die zum Erlass von Rechtsverordnungen ermächtigen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung bestimmen. Nach der sog. Wesentlichkeitstheorie hat der parlamentarische Gesetzgeber schließlich wesentliche, für die Grundrechtsverwirklichung maßgebliche Regelungen selbst zu treffen und nicht anderen Normgebern oder der Exekutive zu überlassen (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2017 - 1 BvL 3/14 u.a. -, NVwZ 2018, 233, Rn. 116 m.w.N.). Es dürfte sich hier um eine „wesentliche Angelegenheit“ handeln (vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 22. April 2020 - 2 B 128/20 -, juris, Rn. 17), was wohl schon aus den zu befürchtenden Umsatzeinbußen zu folgern ist. Wann und inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. April 2014 - 2 BvF 1/12 -, NVwZ 2014, 1219, Rn. 102; BremOVG, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 B 97/20 -, juris, Rn. 27 f.). Auf dieser Grundlage ist hier letztlich nicht ersichtlich, dass die parlamentsgesetzliche Verordnungsermächtigung in § 32 Abs. 1, 28 Abs. 1 IfSG nicht den erforderlichen Bestimmtheitsgrad für eine - temporäre - Beschränkung der zulässigen Verkaufsfläche aufweist, sodass dies im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu beachten wäre (offengelassen für Verkaufsflächenbeschränkungen: SaarlOVG, Beschluss vom 27. April 2020 - 2 B 143/20 -, S. 10 BA; offengelassen für Betriebsuntersagung in Bezug auf Gaststätten: SaarlOVG, Beschluss vom 22. April 2020 - 2 B 128/20 -, juris, Rn. 15 ff.; ebenso offengelassen für Schließung von Fitnessstudios: VGH BW, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 S 925/20 -, juris, Rn. 37 ff., 49).

26

Zwar ist die Regelung als offene Generalklausel ausgestaltet, um dem Verordnungsgeber ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen zu eröffnen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris, Rn. 21), weil sich die Bandbreite von notwendigen Schutzmaßnahmen in einem konkreten Pandemieszenario nicht von vornherein absehen lässt (vgl. BremOVG, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 B 97/20 -, juris, Rn. 30). Der Gesetzgeber hat jedoch mit der beispielhaften Aufzählung in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG hinreichend deutlich gemacht, dass die Handlungsmöglichkeiten der Behörden auch weitreichende Maßnahmen, wie auch (teilweise) Betriebsschließungen, rechtfertigen können. Dabei bietet die Aufzählung in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG einen hinreichenden Anhaltspunkt zur Konkretisierung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris, Rn. 21; ähnlich auch zu § 28 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 IfSG n.F.: BremOVG, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 B 97/20 -, juris, Rn. 31). Schließlich ähneln Einzelhandelsbetriebe mit Publikumsverkehr den dort ausdrücklich genannten Veranstaltungen und sonstigen Zusammenkünften insoweit, als dass sie ebenso wie diese Anziehungspunkte für Menschen an einen begrenzten Ort sind und damit ein besonderes Risiko für die Verbreitung einer von Mensch zu Mensch übertragbaren Krankheit darstellen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris, Rn. 21). Hier war zudem zu berücksichtigen, dass die nunmehr gewählte Maßnahme im Vergleich zur zuvor geltenden vollständigen Schließung nunmehr grundsätzlich eine geringere Eingriffsintensität aufweist. Insbesondere ist der Antragstellerin eine Öffnung nicht mehr vollumfänglich verwehrt, vielmehr darf sie in einem eingeschränkten Umfang öffnen. Einer weiteren Konkretisierung der Verordnungsermächtigung für das zeitlich beschränkte Verbot bedarf es - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - nicht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 20 NE 20.793 -, Rn. 45 BA).

27

bb) Mit § 32 Abs. 1 Satz 3 IfSG ist ferner dem Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG Genüge getan (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris, Rn. 22; VG Mainz, Beschluss vom 24. April 20202 - 1 L 253/20.MZ -, n.v.). Denn dies bezieht sich in seinem durch den Wortlaut begrenzten Anwendungsbereich nur auf grundrechtseinschränkende Gesetze, die die eingeschränkten Grundrechte ausdrücklich benennen müssen. Von derartigen Grundrechtseinschränkungen werden in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts andersartige grundrechtsrelevante Regelungen unterschieden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenbeziehungen vornimmt. Diese unterfallen nicht dem Zitiergebot. Zu diesen grundrechtsrelevanten Regelungen zählen unter anderem inhalts- und schrankenbestimmende Normen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1967 - 1 BvR 168/64 -, BVerfGE 21, 92 [93]) und berufsregelnde Gesetze im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. schon BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 1961 - 1 BvL 44/55 -, NJW 1961, 2011 [2015]; siehe insgesamt OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris, Rn. 22; VGH BW, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 S 925/20 -, juris, Rn. 35 f.). Selbst wenn hier von einer (vorübergehenden) objektiven Berufszugangsregel als Maßnahme mit der intensivsten Eingriffsintensität auszugehen wäre, ist das Zitiergebot nicht einschlägig (vgl. insoweit ohne dessen Erwähnung: BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1314/12 -, juris, Rn. 121 ff.). Denn dies ändert letztlich nichts an der Einor- dung als „berufsregelndes“ Gesetz im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, wohingegen der Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG ausdrücklich nur einschränkende Gesetze erfasst.

28

cc) Die Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 32 Abs. 1, 28 Abs. 1 Sätze 1 und 2 IfSG liegen in Anbetracht von - auch in Rheinland-Pfalz durch das Robert Koch Institut (RKI) - festgestellten Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheidern einer übertragbaren Krankheit in Gestalt von COVID- 19 dem Grunde nach vor (vgl. dazu ausführlich: VG Mainz, Beschluss vom 24. April 2020 - 1 L 253/20.MZ -, n.v.). Es ist insoweit keine Voraussetzung, dass im zu schließenden Betrieb diese Personen festgestellt worden wären (so ausdrücklich VGH BW, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 S 925/20 -, juris, Rn. 33). Vielmehr sind auch Maßnahmen gegenüber anderen Personen möglich (vgl. zu „Nichtstörern“: BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 -, juris, Rn. 26; vgl. zu „anderen Personen“: VG Greifswald, Beschluss vom 8. April 2020 - 4 B 339/20 HGW -, juris, Rn. 24; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 2. April 2020 - 5 L 333/20.NW -, juris, Rn. 32; VG Oldenburg, Beschluss vom 31. März 2020 - 7 B 709/20 -, juris, Rn. 13; VG Hamburg, Beschluss vom 27. März 2020 - 14 E 1428/20 -, juris, Rn. 51; VG Schleswig, Beschluss vom 22. März 2020 - 1 B 17/20 -, juris, Rn. 7).

29

Damit ist auch der Anwendungsbereich des § 16 IfSG nicht eröffnet, da dieser nur „präventive“ Maßnahmen erlaubt, während im Rahmen der §§ 28 ff. IfSG - wie auch hier - die vornehmlich „repressive“ Bekämpfung der Krankheit aufgrund eines festgestellten (potentiell) infizierten Personenkreises gegenständlich ist (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 8. April 2020 - 3 EN 245/20 -, juris, Rn. 33). Diese Einteilung wird auch nicht durch die Regelung in § 17 Abs. 5 IfSG in Frage gestellt. Auch diese Vorschrift dient der Verhinderung des Ausbruchs einer übertragbaren Krankheit, indem sie zum Erlass einer Rechtsverordnung zur Feststellung und Bekämpfung von Gesundheitsschädlingen ermächtigt und damit nach dem Verständnis des Gesetzgebers ein Tätigwerden weit im Vorfeld der Verhütung oder Bekämpfung ermöglicht (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 37; siehe zur Vorgängerregelung: BT-Drs. 8/2468, S. 21 f.). Schließlich steht der systematischen Unterscheidung von Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten und solchen zu deren Bekämpfung nicht entgegen, dass mit repressiven Bekämpfungsmaßnahmen auch präventive Wirkungen einhergehen (vgl. OVG NRW, a.a.O., Rn. 39; VGH BW, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 S 925/20 -, juris, Rn. 24 ff.). Vielmehr sind derartige Wirkungen im Hinblick auf die Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung bereits aufgetretener Krankheiten gerade bezweckt (vgl. OVG NRW, a.a.O., Rn. 39; VGH BW, a.a.O., Rn. 31).

30

Auch aus § 31 IfSG folgt keine Beschränkung der zulässigen Eingriffsmaßnahmen in die Berufsausübungsfreiheit (vgl. BremOVG, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 B 97/20 -, juris, Rn. 44; OVG NRW, Beschluss vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 89 ff.). Vielmehr sind dort regelmäßig erforderliche Maßnahmen gegenüber den in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG genannten Personengruppen geregelt (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG: „insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten“ Schutzmaßnahmen; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 15. April 2020 - 13 B 440/20.NE -, juris, Rn. 37). Ein abschließender Charakter ist der Vorschrift dem Wortlaut nach nicht zu entnehmen und vom Gesetzgeber durch Schaffung einer Generalklausel in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG offenbar auch nicht intendiert gewesen. Denn mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG sollen „alle Zusammenkünfte von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen, erfasst werden“ (vgl. BT-Drs. 14/2530, S. 75). Dass dies auch Zusammenkünfte zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen bzw. die Nutzung gewerblich gegen Entgelt zur Verfügung gestellter Einrichtungen (z.B. Fitnessstudios) oder das Betreten von Räumen zum Erwerb von Waren umfasst, dürfte auf der Hand liegen. Anderenfalls würde diese Zielsetzung nicht ansatzweise effektiv verwirklicht werden können. Die Vorschrift des § 29 IfSG, wonach Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige und Ausscheider einer Beobachtung unterworfen werden können (Abs. 1) und infolgedessen insbesondere Duldungspflichten bezüglich Untersuchungen entstehen (Abs. 2 Satz 1), kann ferner nur im Zusammenhang mit Maßnahmen gegenüber den vorgenannten Personengruppen - etwa nach § 31 IfSG - stehen, sodass eine Anwendung hier bei Maßnahmen gegenüber anderen Personen (Nichtstörern) ausscheidet.

31

dd) Die einer vollständigen Betriebsöffnung für die Antragstellerin entgegenstehende Regelung ist im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten ohne mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG als unverhältnismäßig und daher ermessensfehlerhaft einzuordnen. Demnach war die fehlende Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 4. CoBeLVO auf die Antragstellerin vorläufig festzustellen. Innerhalb der summarischen Prüfung ist von der grundsätzlichen gerichtlichen Verwerfungskompetenz in Bezug auf materielle Gesetze zwar nur in Ausnahmefällen Gebrauch zu machen (vgl. zu Bebauungsplänen: VGH BW, Beschluss vom 22. Oktober 2015 - 10 S 1773/15 -, juris, Rn. 12; OVG NRW, Beschluss vom 19. Januar 2009 - 10 B 1687/08 -, juris, Rn. 12; zu einer Gefahrenabwehrverordnung: VG Oldenburg, Beschluss vom 16. Juli 2010 - 7 B 1698/10 -, juris, Rn. 14). Dies gilt dem Grunde nach auch hier, da insbesondere die verfassungsrechtliche Bewertung stellenweise von tatsächlichen Entwicklungen in Bezug auf eine nachvollziehbare Risikoeinschätzung abhängig ist, die nicht abschließend beurteilt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31. März 2020 - 1 BvR 712/20 -, juris, Rn. 17; VG Neustadt a.d.W., Beschluss vom 2. April 2020 - 5 L 333/20.NW -, juris, Rn. 41). Dennoch kann hier - unabhängig von unsicheren Prognosen - ein Verstoß im Regelungsgefüge der 4. CoBeLVO gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Bezug auf die Antragstellerin festgestellt werden, sodass ausnahmsweise eine Verwerfung der entsprechenden Beschränkung für die Antragstellerin erfolgen konnte.

32

Bei der Bewertung der Gefahrenlage kommt dem Verordnungsgeber auch ein gewisser Einschätzungsspielraum zu (vgl. BayVGH, Beschluss vom 9. April 2020 - 20 NE 20.688 -, juris, Rn. 45; ThürOVG, Beschluss vom 9. April 2020 - 3 EN 238/20 -, juris, Rn. 59; BremOVG, Beschluss vom 9. April 2020 - 1 B 97/20 -, juris, Rn. 49). Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkungen ist zudem der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 -, juris, Rn. 32; VG Schleswig, Beschluss vom 22. März 2020 - 1 B 17/20 -, juris, Rn. 6; VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 - B 7 S 20.223 -, juris, Rn. 45). Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§§ 1 Abs. 1,28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind (BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 -, juris, Rn. 32; VG Schleswig, Beschluss vom 22. März 2020 - 1 B 17/20 -, juris, Rn. 6; VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 - B 7 S 20.223 -, juris, Rn. 45). Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, „flexiblen“ Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 -, juris, Rn. 32; VG Schleswig, Beschluss vom 22. März 2020 - 1 B 17/20 -, juris, Rn. 6; VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 - B 7 S 20.223 -, juris, Rn. 45).

33

Das trifft nicht nur für die konkrete Gefahr zu, die zu Abwehrmaßnahmen im Einzelfall berechtigt, sondern auch für die der 4. CoBeLVO zugrundeliegende abstrakte Gefahr (vgl. VG Mainz, Beschluss vom 24. April 2020 - 1 L 253/20.MZ -, n.v.). Die abstrakte Gefahr unterscheidet sich von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose. Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz zu bekämpfen. Auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose. Es müssen bei abstrakt-genereller Betrachtung hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen (vgl. insgesamt OVR RP, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 7 B 10751/12 -, BeckRS 2012, 54201).

34

Wird eine Gefahrenlage in Gestalt einer übertragbaren Krankheit - wie hier - in einem pandemischen Ausmaß festgestellt, ist die zuständige Behörde zum Einschreiten auf Grundlage des IfSG verpflichtet; es handelt sich insoweit um eine gebundene Entscheidung (vgl. allgemein dazu BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 -, juris, Rn. 23; VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 - B 7 S 20.223 -, juris, Rn. 44). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen ist den Behörden grundsätzlich Ermessen eingeräumt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16/11 -, juris, Rn. 24; VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 - B 7 S 20.223 -, juris, Rn. 44). Der Antragsgegner hat das ihm zustehende Verordnungsermessen bezüglich der zu ergreifenden „notwendigen Maßnahmen“ fehlerhaft ausgeübt. Er hat insoweit seinen Einschätzungsspielraum, der seine äußerste Grenze im Verstoß gegen Verfassungsrecht findet, überschritten.

35

Die Untersagung des Betriebs von (sonstigen) Verkaufsstellen des Einzelhandels, soweit sie 800 m2 Verkaufsfläche überschreiten (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 4. CoBeLVO), ist - nach summarischer Prüfung - mit höherrangigem Recht in Bezug auf die Antragstellerin nicht vereinbar. Es liegt jedenfalls eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vor. Ob darüber hinaus ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Berufsfreiheit anzunehmen ist, kann dahinstehen (eine Verletzung insoweit annehmend: SaarlOVG, Beschluss vom 27. April 2020 - 2 B 143/20 -, S. 15 ff. BA; VG Hamburg, Beschluss vom 21. April 2020 - 3 E 1675/20 -, S. 4 BA; ebenfalls offenlassend: BayVGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 20 NE 20.793 -, Rn. 44 BA).

36

Es stellt eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3 GG dar, dass die zulässige Verkaufsfläche für Einzelhandelsbetriebe der Antragstellerin, die unter § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 4. CoBeLVO fallen, auf 800 m2 beschränkt wird, während die übrigen von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 3 bis 9 der 4. CoBeLVO erfassten (Einzelhandelsbetriebe einer solchen Einschränkung nicht unterworfen sind. Es handelt sich insoweit um im Wesentlichen gleiche Betriebe, jedenfalls soweit dort Waren für den Endverbraucher angeboten werden und Publikumsverkehr stattfindet. Diese Ungleichbehandlung ist auch voraussichtlich verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, da kein sachlicher Grund vorliegt, der die Beschränkung des Gleichheitssatzes in verhältnismäßiger Weise legitimiert.

37

Nach der sog. „neuen Formel“ des Bundesverfassungsgerichts ist das Gleichheitsgrundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 3 GG verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. BVerfG, Urteil vom 13. Februar 2008 - 2 BvL 1/06 -, NJW 2008, 1868, Rn. 78; siehe dazu insgesamt Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 8. Auflage 2018, Art. 3, Rn. 13 ff. m.w.N.). Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. März 2019 - 1 BvR 673/17 -, NJW 2019, 1793, Rn. 64). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, Beschluss vom 26. März 2019, a.a.O.).

38

Nach diesen Grundsätzen ist hier ein strengerer und damit ein über das bloße Willkürverbot hinausgehender Prüfungsmaßstab anzuwenden, da die Beschränkung der zulässigen Verkaufsfläche auf 800 m2 einen nicht nur unerheblichen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Antragstellerin darstellt. Gleichwohl war insoweit zu berücksichtigen, dass der Antragstellerin eine Öffnung unter Reduzierung der Verkaufsfläche möglich ist, was die Eingriffsintensität zwar grundsätzlich verringern kann. Allerdings spielt für ein Einrichtungs- und Möbelhaus die Größe der Ausstellungsfläche wegen der Größe der angebotenen Waren (Möbel und Einrichtungsgegenstände) im Vergleich zu anderen Warengruppen wohl eine erhebliche Rolle für dessen Attraktivität. Damit dürfte die Antragstellerin dennoch schwerwiegend betroffen sein, auch wenn die Dauer der Maßnahmen zunächst gemäß § 16 der 4. CoBeLVO bis zum 6. Mai 2020, an dem die Rechtsverordnung außer Kraft tritt, beschränkt ist. Zudem bedeutet die Reduzierung der Verkaufsfläche in den derzeit von ihr betriebenen Einrichtungs- und Möbelhäusern auf 800 wohl einen erheblichen Aufwand; sie ist allerdings nicht ihrem Einflussbereich entzogen. Eine Nähe zu Art. 3 Abs. 3 GG besteht demgegenüber bei der Antragstellerin als inländische juristische Person des Privatrechts nicht. Unter Anwendung des daraus folgenden strengen Maßstabs ist die Maßnahme - unter Zugrundelegung der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegebenen Erkenntnismittel - zur Erreichung eines mit der Ungleichbehandlung verfolgten legitimen Zwecks zwar geeignet, aber jedenfalls nicht angemessen.

39

Die Maßnahme verfolgt vornehmlich den legitimen Zweck, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, indem möglichst neue Ansteckungen vermieden werden sollen. Damit nimmt der Antragsgegner eine aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht zugunsten der Bürgerinnen und Bürger wahr (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 7. April 2020 - 1 BvR 755/20 -, juris, Rn. 10).

40

Das Kriterium der Verkaufsfläche erweist sich aus epidemiologischer Sicht zwar nicht - anders als die Antragstellerin vorträgt - als von vornherein ungeeignet (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 20 NE 20.793 -, Rn. 40 BA; BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 7 BA). Die Flächenbegrenzung auf 800 m2 orientiert sich - nach Angaben des Antragsgegners - an baurechtlichen Vorschriften, insbesondere an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 24. November 2005 - 4 C 8/05 -, juris), wonach Einzelhandelsbetriebe als großflächig im Sinne von § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) einzuordnen sind, wenn sie eine Verkaufsfläche von 800 m2 überschreiten. Es ist jedenfalls nicht von vornherein abwegig, baurechtliche Erwägungen auf die infektionsschutzrechtliche Zwecksetzung zu übertragen. Denn mit der Begrenzung der Verkaufsfläche kann der Attraktivität von Einzelhandelsgeschäften mit großer Verkaufsfläche Rechnung getragen und damit der Bildung von Menschenansammlungen und etwa auch einer Nutzung des ÖPNV für Fahrten zum Einkaufen entgegengewirkt werden (vgl. BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 7 BA). Dies reduziert die Gefahr der Verbreitung des Coronavirus und fördert den angestrebten Zweck. Schließlich ist die Verkaufsfläche baurechtlich als ein Maß anerkannt, um die Attraktivität eines Betriebes typisierend zu erfassen (so ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 9. November 2016 - 4 C 1/16 -, juris, Rn. 12). Es besteht kein nachvollziehbarer Anlass, dies aus möglicherweise fehlender „gesicherter Tatsachenbasis“ (so VG Hamburg, Beschluss vom 21. April 2020 - 3 E 1675/20 -, S. 7 BA) im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anders zu sehen und schon die Geeignetheit zu verneinen (so im Ergebnis auch BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 7 BA).

41

Die Ungleichbehandlung erweist sich allerdings zumindest nicht als erforderlich und angemessen. Der Verordnungsgeber hat seinen Gestaltungsspielraum hier offensichtlich überschritten. Zwar steht dem Verordnungsgeber neben einer Einschätzungsprärogative zur Bewertung der Gefahrenlage (s.o.) auch ein Typisierungsund Pauschalisierungsspielraum zu, ohne allein wegen damit verbundener Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 2310/06 -, NJW 2009, 209, Rn. 53 ff.; siehe insgesamt Wolff, in: Hömig/Wolff, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 12. Auflage 2018, Art. 3, Rn. 7). Daher dürfen Gesetze, die - wie auch in gewissem Maße hier - Massenvorgänge betreffen, um praktikabel zu sein, typisieren und damit in ggf. auch weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falls vernachlässigen (vgl. BVerfG, a.a.O.). Die ungleiche Wirkung darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit ihr notwendig verbundenen Ungleichheit stehen (BVerfG, a.a.O.). Außerdem darf die Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (BVerfG, a.a.O., m.w.N.). Dies war hier im Rahmen der summarischen Prüfung nicht anzunehmen.

42

Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass gerade bei Einrichtungs- und Möbelhäusern schon durch die Größe der angebotenen Produkte eine wesentlich größere Verkaufsfläche notwendig und dahingehend auch elementarer Bestandteil der Attraktivität des Angebots ist. Denn wohl anders als im sonstigen Einzelhandel dürfte der Möbelkauf zu großen Teilen noch „stationär“ und nicht online erfolgen. Auch sind die von der Antragstellerin befürchteten (erheblichen) Umsatzeinbußen in die Abwägung einzustellen, die auch der Antragsgegner nicht in Abrede gestellt hat. Allerdings ist es der Antragstellerin auch nicht generell verwehrt, ein Ladengeschäft mit größerer baurechtlich genehmigter Verkaufsfläche zu öffnen; vielmehr ist es ihr gestattet, die Verkaufsfläche entsprechend durch geeignete Maßnahmen zu verringern. Dies stellt in Anbetracht der angebotenen Produkte aber keine realistische Option dar (vgl. ebenso SaarlOVG, Beschluss vom 27. April 2020 - 2 B 143/20 -, S. 14 BA).

43

Der Verordnungsgeber hat hier seinen Typisierungs- und Einschätzungsspielraum überschritten, indem er allein auf die Verkaufsfläche als Abgrenzungskriterium abgestellt hat. Zwar ist für die ausführenden Behörden im Einzelfall eine möglichst verständliche und handhabbare Vorschrift zu schaffen; eine einzelfallbezogene Prüfung ist regelmäßig mit Ermittlungsmaßnahmen verbunden (vgl. BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 8 BA). Dass eine hier erfolgte Pauschalierung erforderlich ist, um die Regelung überhaupt in angemessener Weise praktikabel zu machen, hat der Antragsgegner jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt. Vielmehr wäre ohne weiteres denkbar gewesen, dass etwa eine Härtefallklausel hätte eingeführt werden können oder gleichzeitig die Lage des Betriebs - unter Orientierung an baurechtlichen Gegebenheiten (z.B. Gewerbegebiete) - einbezogen wird, was letztlich eine eindeutig sachgerechtere Einordung hätte gewährleisten können. Allein die Fläche ist als epidemiologisch nachrangiges Kriterium zur Differenzierung vor dem Hintergrund des Ausmaßes der mit den durch die Pauschalierung eintretenden Ungerechtigkeiten in Gestalt von Umsatzeinbußen nicht mehr hinnehmbar.

44

Anders als etwa für große Kauf- und Warenhäuser mit einem „Vollsortiment“ ist das Anliegen des Verordnungsgebers, wegen der vermuteten erhöhten Attraktivität solcher Märkte zu erwartende größere Menschenansammlungen zu verhindern, hier für die Antragstellerin offensichtlich nicht mit dem Differenzierungskriterium der Verkaufsfläche angemessen berücksichtigt. Dabei ist maßgeblich, dass nach allgemeiner Lebenserfahrung die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln bei Menschenansammlungen in Innenstädten aufgrund der dortigen räumlichen Verhältnisse schwerer zu kontrollieren sein dürfte als beispielsweise in einem Gewerbegebiet. Gerade bei den Möbel- und Einrichtungshäusern der Antragstellerin, bei denen sich die Anforderung an die Großflächigkeit aus dem Raumbedarf des ausgestellten Sortiments ergibt, trifft dies aller Voraussicht nach nicht zu (vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 27. April 2020 - 2 B 143/20 -, S. 14 BA). Es ist auch zu erwarten, dass die Kundinnen und Kunden üblicherweise mit dem eigenen PKW anreisen, da dort Einkäufe in der Regel einen größeren Umfang haben (vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 27. April 2020 - 2 B 143/20 -, S. 14 BA; BayVGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 20 NE 20.793 -, Rn. 41 BA). Damit wäre auch keine wesentlich erhöhte Nutzung des ÖPNV als naheliegende Ansteckungsquelle zu befürchten. Zwar kann je nach den konkreten Gegebenheiten eine kleine Verkaufsfläche bezüglich der Einhaltung von Hygienevorschriften leichter zu überwachen sein (vgl. BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 6 BA). Allerdings dürfte auf einer großen Verkaufsfläche oftmals die Einhaltung der Abstandsregelungen von vornherein einfacher möglich sein; zumal in Möbel- und Einrichtungshäusern die Gänge, auf denen sich die Kundinnen und Kunden insbesondere in der Möbelausstellung bewegen, regelmäßig eine erhebliche Breite haben, so etwa der Betrieb der Antragstellerin in Mainz-Hechtsheim. Zudem kann die (ggf. nur scheinbar) prinzipiell bessere Überwachung einer kleinen Fläche allein nicht zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung führen, da es nicht ersichtlich ist, dass die Antragstellerin eine entsprechende Überwachung der Verkaufsfläche in vollem Maße personell nicht sicherstellen wollte oder könnte. Dies ergibt sich letztlich aus dem von der Antragstellerin vorgelegten „Hygienekonzept“. In diesem Zusammenhang bedarf schließlich der Umstand besonderer Beachtung, dass großflächige Einzelhandelsbetriebe im Innenstadtbereich der Großstädte und in anderen Konzentrationen wie Outlet-Cen- tern und Einkaufszentren, die auch in Rheinland-Pfalz derzeit geöffnet werden dürfen, anders zu beurteilen sind als großflächige Einzelhandelsbetriebe - wie offenbar hier - in Stadtrandgebieten und im ländlichen Raum (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 20 NE 20.793 -, Rn. 41 BA). Gerade in Einkaufszentren, wie etwa dem Mittelrhein-Forum oder dem Löhr-Center in C-Stadt, dürfte zudem aufgrund der dortigen räumlichen Gegebenheiten sogar mehr bzw. engerer Begegnungsverkehr zu erwarten sein als in den Möbel- und Einrichtungshäusern der Antragstellerin. Dies lässt die einzig auf die Verkaufsfläche des Einzelgeschäfts abstellende Regelung völlig außer Betracht.

45

Sofern der Antragsgegner darauf abstellt, dass mit den von der Beschränkung der Verkaufsfläche ausgenommenen Betrieben die „tägliche Versorgung der Bevölkerung“ sichergestellt werden soll, verfolgt er jedenfalls in Bezug auf § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 der 4. CoBeLVO kein nachvollziehbares Konzept. Es ist durch den Antragsgegner nicht plausibel dargelegt worden, warum der Kraftfahrzeughandel gegenüber dem Möbelhandel insoweit privilegiert sein sollte, als dass dort keine Verkaufsflächenbegrenzung gilt. Denn auch der Kraftfahrzeughandel befindet sich regelmäßig außerhalb der Innenstadtbereiche und benötigt für eine angemessene Ausstellung der angebotenen Waren eine erhebliche Fläche. Ebenso ist nicht festzustellen, inwieweit die dem Fahrradhandel in gleicher Weise zukommende Privilegierung nicht auch für die Einrichtungs- und Möbelhäuser gelten sollte. Schließlich dürfte anzunehmen sein, dass gerade in Zeiten von vermehrten „Home-Office“-Nutzungen die häusliche Einrichtung einen zumindest ähnlichen Stellenwert in der Bevölkerung genießt wie der Erwerb von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern, sodass eine fehlende Privilegierung von Einrichtungs- und Möbelhäusern vor diesem Hintergrund im Gesamtgefüge der 4. CoBeLVO nicht gerechtfertigt ist.

46

Selbst wenn hier ein „weniger strenger Maßstab“ gelten sollte (vgl. dazu OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. April 2020 - OVG 11 S 22/20 -, juris, Rn. 25; HambOVG, Beschluss vom 26. März 2020 - 5 Bs 48/20 -, juris, Rn. 13), wofür in Anbetracht der nunmehr schon langen (vollständigen) Betriebsschließung allenfalls nur noch geringe Anhaltspunkte bestehen dürften, wäre hier im konkreten Fall keine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung anzunehmen. Sofern nach einem weitreichenden „Lockdown“ nunmehr einzelne Lockerungen durch den Verordnungsgeber angestrebt werden, erhöht sich dementsprechend der Begründungsaufwand zur Rechtfertigung von Grundrechtseinschränkungen, dem der Antragsgegner hier nicht hinreichend nachgekommen ist.

47

Eine „Befreiung“ von den weiteren Hygienevorgaben des § 1 Abs. 2 Satz 2 und 3 der 4. CoBeLVO - etwa Maskenpflicht, Einhaltung von Hygieneregeln sowie insbesondere Zugangskontrollen - begehrt die Antragstellerin erkennbar nicht. Vielmehr legt sie mit der Antragsschrift ein nachvollziehbares „Hygienekonzept“ vor, das sogar über die gesetzlichen Vorgaben hinausgeht (nur eine Person pro 50 m2), und von deren konsequenter Einhaltung die Kammer bei ihrer Bewertung ausgeht. Die insoweit festgelegten staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sind nach dessen nicht zu beanstandender Einschätzung notwendig, um unangemessene gesundheitliche Risiken für große Teile der Bevölkerung zu vermeiden, gerade wenn das öffentliche Leben wieder langsam „hochgefahren“ wird. Bei der derzeitigen nur schwer zuverlässig prognostizierbaren aktuellen Bedrohungslage dient eine vorliegend erfolgte schrittweise Aufhebung unter (strengen) „Hygieneauflagen“ von Beschränkungen daher dem Ausgleich der betroffenen grundrechtlichen Freiheiten (vgl. BremOVG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 B 107/20 -, S. 8 f. BA; siehe auch BayVGH, Beschluss vom 27. April 2020 - 20 NE 20.793 -, Rn. 40 BA). Zielsetzung aller beschränkender Maßnahmen sollte schließlich die Reduzierung der Ansteckungszahlen und damit der Gesundheitsschutz (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sein. Die getroffenen Maßnahmen hat der Gesetz- und Verordnungsgeber allerdings einer stetigen Kontrolle auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundrechten der davon betroffenen Personen bei gleichzeitiger Bewertung der epidemiologischen Lage zu unterwerfen.

48

Nach alledem hat der Antragsgegner das ihm zustehende Ermessen in Bezug auf die Antragstellerin fehlerhaft ausgeübt. Infolgedessen war schon im Rahmen der inzidenten Prüfung der Normen im vorläufigen Rechtsschutzverfahrens anzunehmen, dass das Verbot aus § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 4. CoBeLVO für die Antragstellerin keine Wirkung entfaltet und daher die begehrte Feststellung des Nichtbestehens eines entsprechenden Rechtsverhältnisses zu erfolgen hat.

49

2. Zudem ist ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Unter Anordnungsgrund ist die Dringlichkeit bzw. Eilbedürftigkeit der Rechtsschutzgewährung zu verstehen. Notwendig ist ein spezifisches Interesse an einer vorläufigen Regelung, das sich von dem allgemeinen Interesse an einem baldigen Verfahrensabschluss abhebt. Die Bejahung des Anordnungsgrundes verlangt ein Bedürfnis auf Gewährung gerade vorläufigen Rechtsschutzes (Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 37. EL Juli 2019, § 123, Rn. 81). Ein besonderes Dringlichkeitsinteresse besteht, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung seiner Interessen sowie der öffentlichen Interessen und der Interessen Dritter nicht zumutbar ist, den Abschluss des Hauptsacheverfahrens abzuwarten (vgl. etwa HessVGH, Beschluss vom 5. Februar 1993 - 7 TG 2479/92 -, juris, Rn. 25; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 123, Rn. 26). Dies ist hier der Fall. Da ansonsten unter Berücksichtigung von Art. 19 Abs. 4 GG bei gleichzeitiger hoher Wahrscheinlichkeit des Obsiegens in der Hauptsache (s.o.) ein effektiver Rechtsschutz nicht gewährleistet werden könnte. Dabei indizieren die Erfolgsaussichten in der Hauptsache - auch bei deren Vorwegnahme - das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, wenn - wie hier - gleichsam Grundrechtspositionen von Gewicht vereitelt werden; erhebliche gegenteilige Anhaltspunkte sind hier schon in Anbetracht des von der Antragstellerin vorgelegten Hygienekonzepts nicht ersichtlich (vgl. allgemein BVerfG, Beschluss vom 28. September 2009 - 1 BvR 1702/09 -, juris, Rn. 24). Insbesondere vor dem Hintergrund, dass Wettbewerber in angrenzenden Bundesländern (zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und im Saarland) bereits vollumfänglich öffnen dürfen, dürften insbesondere die Betriebe der Antragstellerin im nördlichen Rheinland-Pfalz sowie der Pfalz insoweit benachteiligt sein.

50

III. Dem Antrag war daher vollumfänglich mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

51

IV. Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Abdruck in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, Anh § 164, Rn. 14). Dabei waren für die fünf von der Antragstellerin in RheinlandPfalz betriebenen Möbelhäuser jeweils 5.000,00 € voll anzusetzen, da die Hauptsache hier voraussichtlich insoweit endgültig vorweggenommen wird.

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