Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (2. Kammer) - 2 A 193/13

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 12.11.2012 und der Widerspruchsbescheid vom 09.09.2013 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung von Büroräumen in betriebsbezogene Wohnnutzung für das Obergeschoss des Gebäudes A-Straße in R. (Flurstück XX/XX der Flur XX, Gemarkung XXX) zu erteilen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt eine Nutzungsänderungsgenehmigung von Büroräumen zu Wohnzwecken. Sie ist für den am 13.04.2015 verstorbenen Herrn XXX in den Prozess eingetreten. Dieser war Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks A-Straße in R., Flurstücke XX, XX/XX und XX/XX der Flur XX, Gemarkung XXX. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. XX - 1. Änderung - der Beigeladenen, der das Grundstück als Gewerbegebiet festsetzt.

2

Auf dem Grundstück befindet sich der Firmensitz der Firma XXX GmbH mit einem genehmigten Betriebsleiterwohnhaus für den Geschäftsführer Herrn XXX und seine Familie. Die Firma ist im Tiefbau und Baustoffhandel tätig und hat heute neben dem Geschäftsführer 8 Vollzeit- und 3 Teilzeitbeschäftigte. Weiter befindet sich auf dem Grundstück der Firmensitz der Firma XXX GmbH, einer Transportfirma mit Vermietung von Transportfahrzeugen und Baumaschinen. Geschäftsführer ist ebenfalls Herr XXX. Die Firma hat zwei Mitarbeiter.

3

Bereits im Januar 2008 beantragte die XXX GmbH eine Baugenehmigung zur Errichtung von zwei Geräteschuppen auf dem streitbefangenen Grundstück. Der als Geräteschuppen Nr. 2 bezeichnete zweigeschossige Bau mit Außenmaßen von 6,62 x 15,40 m verfügte nach der eingereichten Ansichtszeichnung über ein Satteldach mit großer Gaube gen Westen, einem außen liegenden Treppenaufgang mit Balkon zum Obergeschoss sowie neben 7 Dachflächenfenstern über 6 große Fenster im Obergeschoss und ein Doppelfenster im Südgiebel. Der Beklagte erteilte am 29.04.2008 die Baugenehmigung.

4

Im Rahmen einer Ortsbesichtigung stellte der Beklagte im Februar 2010 diverse Abweichungen der Bauausführung von der Baugenehmigung fest. So war u.a. eine Zwischendecke zwischen Dachgeschoss und Spitzboden eingebaut und das Dachgeschoss durch Zwischenwände in Räume aufgeteilt worden. Auf Nachfrage erklärte Herr XXX, er wolle dort für seine Kinder eine Eisenbahn aufbauen.

5

Den wegen der objektiven Eignung des Obergeschosses zu Wohnzwecken angeforderten Änderungsantrag von Lagerraum in Büroräume genehmigte der Beklagte im Juni 2010.

6

Im März 2012 informierte die Beigeladene den Beklagten, dass unter der Adresse A-Straße zusätzlich zwei Personen gemeldet seien. Es bestehe der Verdacht der Umnutzung des Büros zu Wohnzwecken. Daraufhin hörte der Beklagte den Grundstückseigentümer Herrn XXX sowie die Mieter zu einer beabsichtigten Nutzungsuntersagung an. Der Mieter Herr XXX teilte mit, er arbeite seit Jahresbeginn mit unbefristetem Vertrag als Platzwart und Ersatzkraft bei der Fa. XXX, er be- und entlade die teilweise erst spät auf dem Hof kommenden LKWs und mache den Winterdienst.

7

Der Grundstückseigentümer Herr XXX beantragte am 12.05.2012 die nachträgliche Genehmigung der Nutzungsänderung von Büroräumen zu Wohnzwecken. Zur Begründung führte er aus, der Schuppen sei an das Transportunternehmen XXX GmbH vermietet, die ihn seit Mitte 2011 als Lager und die Außenflächen als Abstellflächen nutze. Es sei erforderlich, einen Platzwart / eine Bereitschaftsperson vor Ort zu haben.

8

Auf Nachforderung des Beklagten reichte der Grundstückseigentümer über die Architektin Bauvorlagen sowie Betriebsbeschreibungen ein. Die Firma XXX GmbH habe das Transportwesen in die Firma XXX GmbH ausgegliedert. Es sei die Einführung eines Platzwartes nötig geworden, der u.a. morgens von 5.30 bis ca. 7.00 Uhr für die Betriebsvorbereitung wie Kontrolle und Beladen der Fahrzeuge zuständig sei, für das Säubern und Entladen nach Betriebsende zwischen 17.00 und 20.00 Uhr sowie für erforderliche Restarbeiten am Samstag. Zudem müsse er auch im Laufe des Tages für Be- und Entladevorgänge jederzeit verfügbar sein. Es werde also hohe Flexibilität bzgl. der Arbeitszeiten erwartet, die durch die vor Ort befindliche Betriebswohnung zumutbar gemacht würden. Der Platzwart benötige vom Arbeits- und Zeitaufwand einen vollen Arbeitsplatz, der nicht zusätzlich vom Betriebsleiter nebenbei wahrgenommen werden könne.

9

Die vom Beklagten beteiligte Beigeladene versagte das gemeindliche Einvernehmen am 09.11.2012 mit der Begründung, die Erforderlichkeit der beantragten Platzwart-Wohnung werde nicht gesehen. Dieser könne auch an anderer Stelle wohnen und die genannten Tätigkeiten trotzdem vor Ort ausführen. Die Arbeitszeiten spät abends und früh morgens seien bei Hausmeistern üblich und könnten z.B. auch über Bereitschaftszeiten abgedeckt werden. Außerdem sei eine betriebliche Trennung der beiden Firmen nicht erkennbar, so dass eine Betriebswohnung als ausreichend erscheine.

10

Der Beklagte lehnte die beantragte Nutzungsänderung mit Bescheid vom 12.11.2012 ab. Zur Begründung wiederholte er die Begründung der Beigeladenen aus dem verweigerten Einvernehmen.

11

Der Kläger legte am 12.12.2012 Widerspruch ein. Das gemeindliche Einvernehmen gelte wegen Fristversäumnis als erteilt. Planungsrechtlich sei die Wohnnutzung zulässig, weil entgegen der Festsetzungen des Bebauungsplanes Nr. XX der Beigeladenen eine Vielzahl von Wohnungen sowie Versorgungseinrichtungen - Einkaufs- und Getränkemärkte - vorhanden seien. Es sei von einem faktischen Mischgebiet auszugehen. Die überwiegende Zahl der Unternehmen im Gebiet A-Straße hätte Wohnraum zur Verfügung.

12

Der derzeitige Platzwart Herr XXX sei für den Betrieb erforderlich, er belade die drei Firmenfahrzeuge mit auf dem Hof lagernden Material (Zement, Putz, Steine, Bordsteine, Betonrohre, PVC-Rohre) und Maschinen (Handmaschinen, Großgeräte wie Grader, Sortierzangen, Hydraulikmeißel, Schaufeln, Gabeln), die Ladezeiten seien in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Die LKW kämen nicht pünktlich auf den Hof, die Be- und Entladung müsse wegen der Ruhezeiten bis 22 Uhr abgeschlossen sein, so dass Herr XXX spontan reagieren müsse. Die Firma XXX sei ein anderes Unternehmen als die Firma XXX. Der Geschäftsführer könne die Arbeiten nicht erledigen, er sei mit anderen Aufgaben beschäftigt und häufig ortsabwesend.

13

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.09.2013 zurück. In dem wirksam festgesetzten Gewerbegebiet könnten nach § 8 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet seien, zugelassen werden. Das vorgelegte Betriebskonzept lasse eine solche Ausnahme nicht zu. Das Be- und Entladen von Fahrzeugen vor Betriebsbeginn und nach Betriebsende seien Arbeiten, die bei vielen Gewerbebetrieben zum täglichen Geschäft gehörten. Es seien organisatorische Durchschnittserwägungen, die auch jedem anderen Betrieb begegneten. Dies betreffe auch die Wartezeiten zwischen Be- und Entladen, die gerade belegten, dass der Platzwart nicht ständig erreichbar sein müsse. Das Wohnen sei deshalb nicht erforderlich. Es bestehe die Möglichkeit, Bereitschaftszeiten und/oder längere Pausen einzurichten. Allgemeine Praktikabilitätserwägungen seien nicht ausreichend für eine betriebsbezogene Wohnung. Die Notwendigkeit für einen Platzwart vor Ort werde angesichts der geringen Größe des Betriebes mit nur drei Beschäftigten und vor dem Hintergrund, dass der Geschäftsführer bereits vor Ort wohne, nicht gesehen. Zudem sei die Wohnung mit 77,55 qm gegenüber dem Gewerbebetrieb - verbleibender Schuppenanteil von 95,19 qm - in Grundfläche und Baumasse nicht untergeordnet. Es sei nicht ersichtlich, wie viel Fläche der Lagerhalle der Firma XXX zur Verfügung stehe. Sie solle gemeinsam mit der Firma XXX genutzt werden. Der beantragte zweite Schuppen sei noch nicht gebaut und könne deshalb nicht in die Beurteilung einfließen.

14

Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung lägen nicht vor, zudem habe die Beigeladene ihr Einvernehmen versagt.

15

Am 4.10.2013 hat Herr XXX Klage erhoben.

16

Ergänzend führt er aus, die Nichtgenehmigung der Betriebswohnung würde mit dem wirtschaftlichen Ende der Firma XXX einhergehen, da diese dann weder kostendeckend noch wirtschaftlich arbeiten könne.

17

Er beantragt,

18

unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 12.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2013 den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung von Büroräumen in betriebsbezogene Wohnnutzung in R., A-Straße zu erteilen.

19

Der Beklagte beantragt,

20

die Klage abzuweisen.

21

Dem Einwand des Klägers bzgl. der Wohnnutzung im Gebiet sei nachgegangen worden. Es sei festgestellt worden, dass zwar Wohnungen genehmigt wurden, es sich aber im Wesentlichen um Wohnungen für Betriebsleiter oder betriebsbezogenes Aufsichts- und Bereitschaftspersonal handele bzw. in einem Fall um gewerbliche Apartments. Es handele sich nach wie vor um ein Gewerbegebiet. Einzelhandelsbetriebe seien im Gewerbegebiet zulässig.

22

In einer erneuten Ortsbesichtigung am 18.02.2014 habe er festgestellt, dass Herr XXX aus der Wohnung ausgezogen sei. Der Spitzboden sei ohne Genehmigung ausgebaut worden. Bei einer erneuten Ortsbesichtigung am 12.06.2014 sei die Wohnung von einer Frau XXX mit Tochter bewohnt gewesen. Gegen diese sei eine Nutzungsuntersagung verfügt worden. Die Wohnung sei zum 31.10.2014 geräumt worden. Die letzte festgestellte Nutzung bestätige die Zweifel an der tatsächlichen Betriebsbezogenheit der beantragten Nutzung.

23

Die Beigeladene stellt keinen eigenen Sachantrag.

24

Die Kammer hat den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

25

Der Kläger XXX hat mit notariellem Vertrag vom 09.12.2014 das streitbefangene Grundstück an die XXX GbR, bestehend aus XXX, geb. XXX, XXX und die Tochter XXX überlassen. Eine Eigentumsumschreibung im Grundbuch ist bis zum Verhandlungstermin am 17.09.2015 nicht erfolgt.

26

Die Erben des am 13.04.2015 verstorbenen Klägers XXX XXX, XXX und XXX haben sich mit der Fortführung des Prozesses durch die XXX GbR einverstanden erklärt.

27

Das Gericht hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Örtlichkeit sowie das Gebiet des Bebauungsplans Nr. XX der Beigeladenen in Augenschein genommen. Auf die gefertigten Fotos sowie das Protokoll wird Bezug genommen.

28

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Verwaltungsvorgangs des Beklagten sowie der Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

29

Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch auf die begehrte Nutzungsänderungsgenehmigung von Büroräumen zu betriebsbezogener Wohnnutzung in dem Obergeschoss des Gebäudes A-Straße in R., Flurstück XX/XX der Flur XX, Gemarkung XXX. Die dies versagenden Bescheide vom 12.11.2012 und 09.09.2013 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.

30

Nach § 73 Abs. 1 S. 1 LBO ist eine Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Streitig ist zwischen den Beteiligten allein die planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens. Diese beurteilt sich nach § 30 Abs. 1 BauGB und den für das streitbefangene Grundstück im Bebauungsplan Nr. XX - 1. Änderung - der Beigeladenen aufgestellten Festsetzungen. Dieser weist das Gebiet als Gewerbegebiet iSd § 8 BauNVO aus.

31

Für das Gericht ergeben sich zunächst keinerlei Anhaltspunkte für die von der Klägerin vertretene Ansicht, die planerische Ausweisung eines Gewerbegebietes sei funktionslos geworden. Die Feststellung, dass ein Bebauungsplan als Rechtsnorm funktionslos geworden ist, kommt nur in Betracht, wenn der Planinhalt, insbesondere das damit verfolgte Planungsziel, auf absehbare Zeit nicht mehr erreichbar ist und – insbesondere – mit einer „Rückkehr“ zu der planerisch festgesetzten Gebietsart nicht zu rechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.04.2004, - 4 C 10.03 -). Ein solcher Fall ist nicht schon dann gegeben, wenn die dem Bebauungsplan zu entnehmende Plankonzeption bei einem oder mehreren Bauvorhaben im Plangebiet nicht mehr umgesetzt wird. Erst wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Plangebiet derart massiv und offenkundig vom Planinhalt entfernt haben, dass der Bebauungsplan seine städtebauliche Gestaltungsfunktion i.S.v. § 1 Abs. 3 BauGB unmöglich noch erfüllen kann, ist eine Funktionslosigkeit des Planes in Betracht zu ziehen. Die planerische Festsetzung der Gebietsart muss - unabhängig davon, ob sie auf einzelnen Grundstücken (durch Neubauten oder auch durch Nutzungsänderungen) noch durchsetzbar ist - bei einer Gesamtbetrachtung ihre Fähigkeit verloren haben, die städtebauliche Entwicklung noch in die vom Plan angezeigte Richtung zu steuern (BVerwG, Beschl. v. 04.10.2003,- 4 B 85.03 -). Dabei sind die Anforderungen an das Außerkrafttreten eines Bebauungsplans wegen Funktionslosigkeit streng und es ist große Zurückhaltung geboten (BVerwG, Urt. v. 3.12.1998, – 4 CN 3.97 –). Bloße Zweifel an der Realisierungsfähigkeit eines Bebauungsplans reichen nicht aus. Er tritt nur außer Kraft‚ wenn offenkundig ist‚ dass er seine Funktion als Steuerungsinstrument für die städtebauliche Entwicklung verloren hat (BVerwG‚ Urt. v. 18.11.2004, – 4 C N 11.03 –). Die einer bau-planungsrechtlichen Festsetzung zugrunde liegende Plankonzeption wird insbesondere nicht schon dann sinnlos‚ wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (BVerwG‚ Beschl. v. 6.6.1997, – 4 NB 6.97 –). Angesichts dessen hängt die Beurteilung der Funktionslosigkeit einer Festsetzung auch nicht davon ab‚ ob eine Bebauung oder ihre Nutzung materiell legal oder illegal entstanden ist. Entscheidend sind die Art der Festsetzung‚ das Maß der Abweichung im tatsächlichen Bereich und die Irreversibilität der entstandenen Verhältnisse, wobei es nicht auf einzelne Grundstücke ankommt (VGH München, Urt. v. 16.02.2015, - 1 B 13.648 -).

32

Diese Voraussetzungen liegen hier offensichtlich nicht vor. Das Gericht hat sich vor Ort einen Eindruck von dem Gebiet gemacht und dabei Nutzungen vorgefunden, die ohne weiteres in einem Gewerbegebiet zulässig sind. Der Beklagte hat im Laufe des Verfahrens sämtliche von der Klägerin beanstandeten Wohnnutzungen überprüft und belegt, dass die Genehmigungen - bis auf einzelne Ausnahmen - im Rahmen der in einem Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 3 BauNVO zulässigen Nutzungen für Betriebsinhaber und Aufsichts- und Bereitschaftspersonen erteilt worden sind.

33

Das streitbefangene Vorhaben steht - ebenso wie die übrigen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. XX - 1. Änderung - genehmigten betriebsbezogenen Wohnnutzungen - im Einklang mit der Festsetzung der Art der baulichen Nutzung als Gewerbegebiet iSv § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO. Danach können in Gewerbegebieten ausnahmsweise zugelassen werden Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter, die dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind. Diese Regelung ist notwendig, um den Gewerbebetrieben die Möglichkeit zur Errichtung von betriebsbezogenen Wohnungen auf dem Betriebsgelände zu geben. Diese betriebsbezogenen Wohnungen stellen einen bauplanungsrechtlichen Nutzungsbegriff dar.

34

Erforderlich ist ein funktionaler Zusammenhang zwischen betriebsbezogener Wohnung und betrieblichen Anlagen, d. h. die Zweckbestimmung dieser Wohnungen muss entsprechend ausgerichtet sein. Weiterhin muss eine personelle Beziehung des Nutzers der Wohnung zum Betrieb bestehen. Es ist jedoch nicht zu verlangen, dass die Wohnung aus betrieblichen Gründen unabdingbar ist (BVerwG, Beschl. v. 22. 6. 1999, – 4 B 46.88 -). Es genügt, dass sie – auf der Grundlage der grundsätzlich vom Betriebsinhaber zu verantwortenden Organisation der Betriebsabläufe – aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll ist (BVerwG, Urt. v. 16. 3. 1984, – 4 C 5.80). Maßgeblich hierfür sind im Einzelnen die konkreten betrieblichen Erfordernisse in Bezug auf die funktionale Zuordnung der Wohnung zum jeweiligen Betrieb, wobei eine umfassende Bewertung aller Umstände erforderlich ist. Dies kann bei Wohnungen für Aufsichts- und Betriebspersonal zu bejahen sein, wenn es wegen der Art des Betriebes oder zur Wartung von Betriebseinrichtungen oder aus Sicherheitsgründen ständig erreichbar sein muss. Für den Betriebsinhaber reicht es, wenn der Betrieb seine ständige Einsatzbereitschaft nicht erfordert, das Wohnen auf dem Betriebsgrundstück aber mit Rücksicht auf Art und Größe des Betriebes aus betrieblichen Gründen objektiv sinnvoll ist und die Errichtung der Wohnung nicht aus betriebsfremden Gründen erfolgt (VGH München, Beschl. v. 01.03. 1996, – 2 CS 95/981 - ). Dass eine Wohnung des Betriebsinhabers auch das zulässige Bewohnen durch seine unmittelbaren Familienangehörigen umfasst, versteht sich dabei von selbst.

35

Nach diesen funktionalen Beziehungen zum Betrieb richtet sich auch die Zahl der Wohnungen, die für einen Betrieb nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zugelassen werden können. Eine Beschränkung der Zahl nach enthält die Regelung nicht (vgl. OVG NRW, Urt. V. 28.06.2007 - 7 D 59/06.NE -).

36

§ 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO verlangt außerdem, dass die Wohnungen „dem Gewerbebetrieb gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind“. Grundfläche ist die vom Wohnteil überbaute Fläche des Baugrundstücks (§ 19 Abs. 2 BauNVO). Unter Baumasse ist diejenige iSd § 21 Abs. 2 BauNVO zu verstehen. Entsprechend sind die Kriterien für den Vergleich mit dem Betrieb zu verstehen. Dabei ist ein bestimmtes quantitatives (prozentuales) Verhältnis der beiden Bebauungen nicht allein maßgebend. Vielmehr ist eine bewertende Betrachtung anzulegen (OVG Lüneburg, Urt. v. 14. 7. 1993, – 1 L 6230/92 -). Dies kommt in der „Unterordnung“ zum Ausdruck. Von Bedeutung sind die funktionale Zuordnung der Wohnung zum jeweiligen Betrieb, die Betriebsnähe je nach Funktion der Wohnung sowie die Angemessenheit der Wohnung zu Art und Größe des Betriebs. Dabei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass, wenn eine Betriebswohnung überhaupt gerechtfertigt ist, die Wohnung nach ihrer Größe auch im Hinblick auf die Wohnbedürfnisse angemessen sein muss. Dies kann dazu führen, dass entgegen den allgemeinen Wohnbedürfnissen nicht eine kleine Wohnung verlangt werden könnte. Die betriebsbezogene Wohnung ist daher eher dem Begriff des Bestandteils (Zubehörs) des Betriebs zuzuordnen, der nicht an die engen Grenzen des Begriffs der Nebenanlagen iSd § 14 Abs. 1 BauNVO gebunden ist. Ausgeschlossen sind danach z.B. große Wohnungen, die sowohl in Bezug auf die Gebäude des Betriebs als auch in Bezug auf die gewöhnlichen Wohnbedürfnisse unangemessen sind.

37

Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin trotz der eher zweifelhaften Vorgeschichte, die aber zum Teil auch durch die Genehmigung des „Schuppens“ in der beantragten Form 2008 vom Beklagten mitverschuldet wurde, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Wohnung für eine Aufsichts- und Bereitschaftsperson im Laufe des Klageverfahrens hinreichend dargelegt. Herr XXX konnte die vom Beklagten angesichts der Vermietung an Frau XXX mit Tochter vom Beklagten zu Recht geäußerten Zweifel an der Betriebsbezogenheit der Wohnung im Termin zumindest teilweise entkräften. So war der Freund der Tochter ebenfalls als Platzwart für die Firma XXX tätig.

38

Das Gericht ist nach den vorgelegten Steuer-Unterlagen und den Erläuterungen im Termin durch Herrn XXX zunächst davon überzeugt, dass es sich bei der Firma XXX GmbH und der Firma XXX GmbH um zwei eigenständige Firmen handelt, die auch jeweils unterschiedliche Kunden bedienen und jede eigenständig Mitarbeiter beschäftigt. Dabei ist die Firma XXX ein Transportunternehmen, das auch Baumaschinen vermietet. Derzeit sind zwei LKW-Fahrer beschäftigt, die jedoch weder willens noch in der Lage sind, zusätzlich zu den Fahrten zu Baustellen die Auf- und Abladetätigkeiten auszuführen. Hierfür ist ein Platzwart vor Ort erforderlich, der die LKWs am frühen Morgen mit den auf dem Hof lagernden Materialen und Maschinen belädt. Die LKW kommen täglich zu unterschiedlichen Zeiten, aber regelmäßig in den Abendstunden wieder auf den Hof und müssen dann entladen werden. Zudem muss auf dem Platz für Ordnung gesorgt und der Winterdienst erledigt werden. Diese Betriebsabläufe sind im gesamten Verfahren konstant und für das Gericht plausibel dargelegt. Die Organisation ist von Herrn XXX zu verantworten und kann nicht vom Beklagten in Zweifel gezogen werden. Die dauerhafte Anwesenheit eines Platzwartes erscheint - wenn nicht zwingend erforderlich - so doch zumindest objektiv sinnvoll.

39

Bei der Prüfung der Unterordnung zum Gewerbebetrieb sind nicht nur die baulichen Anlagen, sondern das gesamte Betriebsgelände zu betrachten. Vor Ort hat Herr XXX erläutert, dass die Lagerflächen auf dem Grundstück A-Straße ganz überwiegend für die Firma XXX genutzt werden. Die Wohnfläche der Betriebswohnung von 77,55 qm ist deshalb dem Gewerbebetrieb zwanglos untergeordnet.

40

Der Umstand, dass Herr XXX als Geschäftsführer beider Firmen bereits vor Ort wohnt, spricht nicht gegen die Zulässigkeit einer Wohnung für einen Platzwart. Die betriebliche Notwendigkeit für eine zusätzliche Arbeitskraft vor Ort neben Herrn XXX wurde plausibel damit begründet, dass dieser häufig auf Baustellen oder bei Kunden und damit ortsabwesend sei und deshalb die Be- und Entladetätigkeiten nicht ausüben könne. Abgesehen davon, dass bei zwei eigenständigen Firmen theoretisch auch zwei Betriebsleiterwohnungen denkbar wären, ergibt sich nach der o.a. Rechtsprechung aus dem Gesetz keine Rechtsgrundlage für eine zahlenmäßige Beschränkung (vgl. Fickert/Fieseler BauNVO 12. Aufl. § 8 RN 14.14).

41

Die Wohnung im Obergeschoss des Betriebsgebäudes inmitten des Betriebsgeländes mit Blick ausschließlich auf die Gerätschaften, Container und sonstigen Baumaterialien erscheint dem Gericht für eine freie Vermietung nicht besonders attraktiv. Der Beklagte wird angesichts der Vorgeschichte aber sicher - auch mithilfe der Beigeladenen - die Betriebsbezogenheit der Wohnnutzung regelmäßig kontrollieren.

42

Der Klage war nach alledem mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.

43

Das Gericht hat davon abgesehen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO aus Billigkeit für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen eigenen Antrag gestellt hat und damit auch das Risiko eigener Kostenpflicht nach § 154 Abs. 3 VwGO nicht eingegangen ist.

44

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.


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