Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (8. Kammer) - 8 A 74/15
Tenor
Der Bescheid vom 5.11.2014, der Bescheid vom 9.12.2014 und der Widerspruchsbescheid vom 23.2.2015 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Akteneinsicht für die Vollstreckungsakte unter der Steuer-Nr. 18/290/0046SG03 sowie unter allen weiteren Steuernummern, die für die "XXX" XXX Gaststättenbetriebsgesellschaft mbH möglicherweise in der Vergangenheit geführt worden sind, zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstrecken Betrages leistet.
Tatbestand
- 1
Der Kläger begehrt gegenüber der Finanzverwaltung die Zurverfügungstellung von Vollstreckungsakten.
- 2
Mit Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 2.6.2014 wurde über das Vermögen (Insolvenzschuldnerin) wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt.
- 3
Unter dem 19.8.2014 beantragte der Kläger die Zurverfügungstellung vollständiger Kopien der Veranlagungs- und Vollstreckungsakten der Insolvenzschuldnerin. Der Anspruch ergebe sich aus § 3 des Informationszugangsgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (IZG SH) sowie § 27 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 des Landesdatenschutzgesetzes für das Land Schleswig-Holstein (LDSG).
- 4
Mit Schreiben des Beklagten vom 1.9.2014 wurde der Kläger darum gebeten, den konkreten Zweck des Auskunftsersuchens mitzuteilen.
- 5
Der Kläger nahm hierzu unter dem 4.9.2014 Stellung und teilte mit, dass nicht erkennbar sei, dass es eine rechtliche Grundlage für die Bitte um Auskunft über den konkreten Zweck des Auskunftsersuchens gebe.
- 6
Mit Schreiben vom 5.9.2014 teilte der Beklagte mit, dass die Darstellung des konkreten Zweckes des Auskunftsersuchens zur Beurteilung des Rechts auf Akteneinsicht notwendig sei. Mache ein Insolvenzverwalter einen Auskunftsanspruch nach dem IZG SH insbesondere zur Vorbereitung von Anfechtungen geltend, handle dieser nicht in seiner Eigenschaft als steuerlicher Vertreter bzw. Vermögensverwalter im Sinne des § 34 Abs. 3 AO, sondern um die Insolvenzmasse zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger zu erhalten oder anzureichern. In diesem Fall gelte der Insolvenzverwalter als Dritter im Sinne des § 30 AO, so dass es zur Offenbarung der Verhältnisse der Insolvenzschuldnerin der Zustimmung der Betroffenen gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO bedürfe. Diese Zustimmung könne der Insolvenzverwalter der Schuldnerin nicht erteilen.
- 7
Mit Schreiben vom 9.9.2014 teilte der Kläger mit, dass ein originäres Recht des Insolvenzverwalters bestehe, die begehrten Auskünfte zu erlangen. Diese seien zu erteilen, ohne dass dem Finanzamt die Möglichkeit einer Beurteilung zustehe, für welche Zwecke der Insolvenzverwalter dieser Auskünfte begehre.
- 8
Mit Bescheid vom 5.11.2014 lehnte der Beklagte den Antrag auf Akteneinsicht auf Grundlage des LDSG ab. Ein Anspruch nach § 27 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 LDSG sei nicht gegeben. Das Gesetz finde keine Anwendung auf juristische Personen. Eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht, da der Gesetzgeber juristische Personen bewusst aus dem Anwendungsbereich des Landesdatenschutzgesetzes ausgenommen habe.
- 9
Der Kläger legte hiergegen am 14.11.2014 Widerspruch ein.
- 10
Mit Bescheid vom 9.12.2014 wurde der Antrag auf Akteneinsicht nach § 3 IZG SH abgelehnt. Der allgemeine Informationszugangsanspruch werde während eines laufenden Verwaltungsverfahrens durch die spezielleren Regelungen der Abgabenordnung verdrängt. Selbst bei Verneinung einer solchen Sperrwirkung liege ein Ablehnungsgrund gemäß § 10 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 IZG SH vor. Die begehrten Informationen seien dem Finanzamt während eines Verwaltungsverfahrens in Steuersachen bekannt geworden. Sie unterlägen daher dem Steuergeheimnis. Eine Zustimmung der Insolvenzschuldnerin sei bisher nicht erteilt worden. Die Zustimmung des Insolvenzverwalters könne diese auch nicht ersetzen.
- 11
Der Kläger legte hiergegen am 10.1.2015 Widerspruch ein.
- 12
Die Widersprüche vom 14.11.2014 und 10.1.2015 wurden mit Widerspruchsbescheid vom 23.2.2015 zurückgewiesen.
- 13
Der Kläger hat am 23.3.2015 Klage erhoben.
- 14
Er verweist auf das Urteil des VG Schleswig vom 15.10.2014 – 8 A 1/14 – und den Beschluss des OVG Schleswig vom 25.2.2015 – 4 LA 112/14 - und macht ergänzend im Wesentlichen geltend, dass einem Insolvenzverwalter das Steuergeheimnis nicht entgegengehalten werden könne. Eine Geheimhaltungspflicht könne nicht gegenüber demjenigen bestehen, der nach § 80 InsO an die Stelle desjenigen getreten sei, dessen Daten geschützt werden sollten.
- 15
Der Kläger beantragt,
- 16
den Bescheid vom 5.11.2014, den Bescheid vom 9.12.2014 und den Widerspruchsbescheid vom 23.2.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm Akteneinsicht für die Vollstreckungsakte unter der Steuer-Nr. 18/290/0046SG03 sowie unter allen weiteren Steuernummern, die für die "XXX" XXX Gaststättenbetriebsgesellschaft mbH möglicherweise der Vergangenheit geführt worden sind, zu gewähren.
- 17
Der Beklagte beantragt,
- 18
die Klage abzuweisen.
- 19
Er verweist auf die angefochtenen Entscheidungen und macht ergänzend im Wesentlichen geltend, dass sich die in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung seit dem Urteil des OVG Münster vom 15.6.2011 – 8 A 1150/10 – durchgesetzte Auffassung, dass das Steuergeheimnis einer Auskunftserteilung selbst dann nicht entgegenstehen würde, wenn der Insolvenzschuldner eine Offenbarung nicht zustimme, problematisch sei.
- 20
Den Auskunftsanspruch des Insolvenzverwalters nach § 97 InsO gegen den Insolvenzschuldner habe nämlich nicht nur der Insolvenzverwalter ab dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung, sondern gemäß § 22 Abs. 3 InsO auch schon der vorläufige Insolvenzverwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren. Vor diesem Hintergrund sei zweifelhaft, ob der Auskunftsanspruch nach § 97 InsO wirklich der Grund dafür sein könne, dass das Steuergeheimnis gegenüber dem Insolvenzverwalter nicht zu beachten sei. Jedenfalls im Insolvenzeröffnungsverfahren sei der Steuergeheimnis gegenüber einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter nämlich uneingeschränkt zu wahren. Es bestehe die Gefahr eines "Dammbruchs". Das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiege auch nicht. Das Steuergeheimnis und auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Insolvenzschuldners sollten diesen davor schützen, dass seine vom Finanzamt im Besteuerungsverfahren erlangten Daten offenbart würden. Die Wertigkeit dieses Schutzes sei als sehr hoch einzustufen. Auf der anderen Seite stehe das geringer zu bewertende allgemeine Interesse an der regelrechten Durchführung des Insolvenzverfahrens.
- 21
Entgegen der Auffassung des OVG Münster in seinem Urteil vom 24.11.2015 – 8 A 1032/14 –, sei auch der Offenbarungsgrund des § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO nicht einschlägig. Dieser Tatbestand sei erfüllt, wenn der Betroffene der Offenbarung der durch das Steuergeheimnis geschützten Informationen zustimme. Nach dem OVG Münster sei die Verfügungsbefugnis hinsichtlich der steuerlichen Unterlagen auf den Insolvenzverwalter übergegangen, sodass er als nunmehr Betroffener im Sinne von § 30 Abs. 4 Nr. 3 AO das Finanzamt von der Beachtung des Steuergeheimnisses selbst entbinden könne. Dies überzeuge nicht.
- 22
§ 355 StGB stelle den Bruch des Steuergeheimnisses unter Strafe. Dies verdeutliche, dass eindeutig und klar verständlich sein müsse, von der Steuergeheimnis gelte und was nicht gelte.
- 23
Der Landtag habe in seiner letzten Sitzung am 24.3.2017 über den Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Informationszugangsgesetzes entschieden. Nach gegenwärtigem Stand der Dinge sei die Verkündung für die 2. Maihälfte vorgesehen. Die Finanzbehörden im Sinne des § 2 des Finanzverwaltungsgesetzes seien danach, sofern Vorgänge der Steuerfestsetzung, Steuererhebung und Steuervollstreckung betroffen seien, vom Anwendungsbereich des IZG ausgenommen.
- 24
Die Kammer hat den Rechtsstreit nach § 6 Abs. 1 VwGO auf den Einzelrichter übertragen.
- 25
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
- 26
Die zulässige Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ist begründet.
- 27
Die Bescheide vom 5.11.2014 und 9.12.2014 sowie der Widerspruchsbescheid vom 23.2.2015 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Akteneinsicht in die Vollstreckungsakte der Insolvenzschuldnerin nach § 3 S. 1 IZG SH (vgl. § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Hiernach hat jede natürliche oder juristische Person ein Recht auf freien Zugang zu den Informationen, über die eine informationspflichtige Stelle verfügt.
- 28
Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist bei einer Verpflichtungsklage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, vorliegend also der 03.05.2017 (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 – 5 C 8/05 -, Rn. 10).
- 29
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3 S. 1 IZG SH sind erfüllt. Der Kläger ist auch in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter eine natürliche Person und damit anspruchsberechtigt (vgl. OVG Münster, Urteil vom 24.11.2015 – 8 A 1032/14 –, Rn. 36; VG Schleswig, Urteil vom 15.10.2014 – 8 A 1/14 –). Der Beklagte verfügt über die begehrten Informationen. Das Finanzamt Itzehoe ist als Landesbehörde (örtliche Landesfinanzbehörde nach § 2 Absatz 1 Nr. 4 Finanzverwaltungsgesetz) eine informationspflichtige Stelle im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 IZG. Die Finanzbehörden sind zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (s.o.) nicht vom Anwendungsbereich des IZG SH ausgenommen. Wie sich der Landtagsdrucksache 18/5325, S. 4 entnehmen lässt, soll in § 2 Abs. 4 IZG SH ("Zu den informationspflichtigen Stellen gehören nicht...") zwar nachfolgende neue Nr. 5 angefügt werden:
- 30
"die Finanzbehörden im Sinne des § 2 des Finanzverwaltungsgesetzes, sofern Vorgänge der Steuerfestsetzung, Steuererhebung und Steuervollstreckung betroffen sind."
- 31
Die beabsichtigte Änderung des IZG SH ist bislang jedoch nicht in Kraft getreten und war daher nicht zu berücksichtigen.
- 32
Das IZG SH wird nicht durch die Abgabenordnung (AO) verdrängt.
- 33
Die Tatsache, dass in der Abgabenordnung eine ausdrückliche Regelung über die Gewährung von Akteneinsicht in Verwaltungsvorgänge aus abgeschlossenen oder laufenden Besteuerungsverfahren nicht enthalten ist, steht der Anwendung des § 3 IZG SH und einem sich aus ihm ergebenden Anspruch des Klägers auf Informationszugang nicht entgegen. Zum einen enthält das IZG SH keine Subsidiaritätsklausel, die einen Nachrang der Regelungen des IZG gegenüber anderen, spezielleren Regelungen zur Akteneinsicht oder zum Informationszugang bewirken könnte. Aber auch nach Art. 31 GG, wonach Bundesrecht Landesrecht bricht, hat die Anwendung des § 3 IZG SH und der aus ihm folgende Anspruch des Klägers nicht gegenüber der Abgabenordnung zurückzustehen (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 27.02.2012 – 4 LB 11/12 -, Rn. 41; auch BVerwG, Beschluss vom 14.05.2012 – 7 B 53/11 -, LS und Rn. 9, juris).
- 34
Der Anspruch nach § 3 S. 1 IZG SH ist nicht nach § 10 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 IZG SH ausgeschlossen. Hiernach ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit die Informationen dem Steuer- oder Statistikgeheimnis unterliegen, es sei denn, die Betroffenen haben zugestimmt oder das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt.
- 35
Die begehrten Informationen unterliegen gegenüber dem Kläger nicht dem Steuergeheimnis.
- 36
Gemäß § 30 AO haben Amtsträger das Steuergeheimnis zu wahren. Ein Amtsträger verletzt das Steuergeheimnis, wenn er Verhältnisse eines anderen, die ihm in einem Verwaltungsverfahren bekannt geworden sind, unbefugt offenbart (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 AO). Gemäß § 30 Abs. 4 AO ist die Offenbarung der nach Abs. 2 erlangten Kenntnisse u.a. zulässig, soweit der Betroffene zustimmt.
- 37
Hierzu hat das OVG Nordrhein-Westfalen bereits in seinem Urteil vom 15.06.2011 – 8 A 1150/10 – (Rn. 99, juris) folgendes ausgeführt:
- 38
"Zwar verbietet das Steuergeheimnis nach Maßgabe von § 30 AO, Steuerdaten unbefugt weiterzugeben. Vorliegend unterliegen die in der Akte der Insolvenzschuldnerin enthaltenen Informationen aber zumindest dem Insolvenzverwalter gegenüber keiner Geheimhaltungspflicht, so dass das Steuergeheimnis insoweit nicht berührt wird. Denn mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangt der Insolvenzverwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) und hat gegenüber dem Insolvenzschuldner einen Anspruch auf Auskunft über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse (§ 97 Abs. 1 S. 1 InsO), mithin auch über alle Umstände, die für die Beurteilung von Gläubigerforderungen bedeutsam sein können. Muss der Schuldner also dem Insolvenzverwalter die möglichen Auskünfte über die von ihm gezahlten Steuern erteilen, sind diese Informationen dem Insolvenzverwalter gegenüber von vornherein nicht geheimhaltungsbedürftig."
- 39
Dieser Rechtsprechung hat sich das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 4.8.2014 – OVG 12 N 36.14 –, Rn. 14, juris), das OLG Rostock (Urteil vom 28.01.2015 – 6 U 6/14 -, Rn. 25, juris) und auch die Kammer (Urteil des Einzelrichters vom 15.10.2014 – 8 A 1/14 -) angeschlossen.
- 40
In dem Urteil vom 24.11.2015 – 8 A 1032/14 – hat das OVG Nordrhein-Westfalen an seiner Rechtsprechung festgehalten (die Revision ist beim BVerwG noch unter dem Az. 7 C 6.16 anhängig). Die begehrten Auskünfte unterfallen in sachlicher Hinsicht zwar dem Schutzbereich des Steuergeheimnisses. Sie unterliegen gegenüber dem Insolvenzverwalter aber nicht der Geheimhaltung (vgl. Rn. 92, juris). Das OVG Nordrhein-Westfalen hat sich zudem mit den Einwänden der Finanzverwaltung auseinandergesetzt, die auch im vorliegenden Verfahren vorgebracht worden sind.
- 41
In Rn. 131 ff. (juris) heißt es zum Einwand, dass das Steuergeheimnis auch für den sogenannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im Sinne vom § 22 Abs. 2 InsO nicht mehr gelte:
- 42
"Die Besorgnis, die Rechtsprechung des Senats führe dazu, dass das Steuergeheimnis entgegen allgemeiner Auffassung bereits im Insolvenzeröffnungsverfahren auch für den sogenannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter i. S. v. § 22 Abs. 2 InsO nicht mehr gelte (vgl. Nitschke, DÖV 2014, S. 1049, S. 1052; ders., ZInsO 2014, S. 2388, S. 2389) ist unbegründet. Der Senat hat den Übergang der Geheimnisherrschaft auf den Verwalter nicht allein mit dem Auskunftsanspruch nach § 97 InsO begründet, der gemäß § 22 Abs. 3 S. 3 InsO bereits dem - "starken" wie "schwachen" - vorläufigen Insolvenzverwalter zusteht. Entscheidend ist vielmehr der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter (§ 80 InsO bzw. § 22 Abs. 1 S. 1 InsO). Der vorläufige "schwache" Insolvenzverwalter bleibt danach darauf verwiesen, die Zustimmung des Insolvenzschuldners ggf. nach §§ 97 Abs. 2, 98 InsO oder im Klagewege durchzusetzen."
- 43
Zu der Gefahr einer Strafbarkeit nach § 355 StGB wird in Rn. 151 (juris) ausgeführt:
- 44
"Die vom Beklagten angeführte Gefahr einer Strafbarkeit seiner Amtsträger wegen Verletzung des Steuergeheimnisses nach § 355 StGB vermag der Senat nach alledem nicht zu erkennen. Diese können sich auf eine nahezu einhellige obergerichtliche Rechtsprechung berufen, wonach die Herausgabe der Steuerkontoauszüge an den Insolvenzverwalter nicht "unbefugt" i. S. v. § 30 Abs. 2 InsO, § 355 Abs. 1 StGB ist."
- 45
An der zitierten obergerichtlichen Rechtsprechung und der Rechtsprechung der Kammer wird auch unter Berücksichtigung der Einwände des Beklagten im vorliegenden Verfahren festgehalten.
- 46
Darüber hinaus wäre das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe als überwiegend zu bewerten, so dass der Ablehnungsgrund nach § 10 S. 1 Nr. 3 Alt. 2 IZG SH auch aus diesem Grund nicht einschlägig wäre.
- 47
§ 10 IZG SH bedarf im Hinblick auf Art. 53 Landesverfassung einer verfassungskonformen Auslegung. Hiernach stellen die Behörden des Landes amtliche Informationen zur Verfügung, soweit nicht entgegenstehende öffentliche oder schutzwürdige private Interessen überwiegen. Damit geht eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses in § 10 IZG SH einher. Bislang war der Antrag bei entgegenstehenden privaten Belangen abzulehnen (Regel), es sei denn das öffentliche Interesse überwiegt (Ausnahme). Nunmehr ist der Antrag im öffentlichen Interesse in der Regel stattzugeben, es sei denn entgegenstehende private Interessen überwiegen (Ausnahme). Die Neufassung des IZG SH wird dem Rechnung tragen (vgl. Landtagsdrucksache 18/5325, S. 6).
- 48
Das öffentliche Interesse ist als überwiegend zu bewerten, da die Öffentlichkeit ein Interesse daran hat, dass Insolvenzverfahren regelrecht - entsprechend den verfahrensrechtlichen, prozessualen und inhaltlichen Anforderungen – durchgeführt werden (so auch VG Schleswig, Urteil vom 15.10.2014 – 8 A 1/14 -). Das OVG Nordrhein-Westfalen hat insofern in seinem Urteil vom 24.11.2015 – 8 A 1032/14 – (Rn. 121 bis 123, juris) zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Insolvenzschuldner über seine eigenen Verhältnisse nach § 97 Abs. 1 S. 2 InsO sogar Tatsachen offenbaren muss, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Diese weitgehende Regelung zeigt, dass dem Insolvenzschuldner selbst in Bezug auf höchstpersönliche Rechtspositionen mehr abverlangt wird, als dies außerhalb eines Insolvenzverfahrens der Fall ist. Das Interesse an einer ordnungsgemäßen Insolvenzabwicklung geht den Geheimhaltungsinteressen des Insolvenzschuldners danach grundsätzlich vor.
- 49
Der Kläger begehrt die Zurverfügungstellung der begehrten Informationen durch Akteneinsicht. Der Beklagte hat keine wichtigen Gründe vorgebracht, die Informationen auf andere Art zugänglich zu machen, weshalb dem zu entsprechen ist (vgl. § 5 Abs. 1 S. 2 IZG SH).
- 50
Auch wenn es für den Erfolg der vorliegenden Klage nicht darauf ankommt, erlaubt sich das erkennende Gericht den Hinweis, dass ein Anspruch auf Akteneinsicht nicht zusätzlich nach § 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 LDSG besteht. Hiernach ist den Betroffenen von der datenverarbeitenden Stelle auf Antrag Einsicht in die zu Ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen. Der Kläger begehrt Informationen bezüglich (Insolvenzschuldnerin), einer juristischen Person. Juristische Personen sind nicht Betroffene im Sinne des § 27 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 LDSG. Personenbezogene Daten sind nach § 2 Abs. 1 LDSG nur Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffene oder Betroffener). Eine analoge Anwendung auf juristische Personen dürfte nicht in Betracht kommen, da sich aufgrund der eindeutigen Regelung in § 2 Abs. 1 LDSG die hierfür erforderliche planwidrige Regelungslücke gerade nicht erkennen lässt.
- 51
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
- 52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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