Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (6. Kammer) - 6 A 96/16

Tenor

1. Der Bescheid vom 28.5.2015 in Form des Widerspruchsbescheides vom 3.3.2016 wird aufgehoben.

2. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte, mit Ausnahme der Kosten des Vorverfahrens, welche der Beklagte trägt. Im Übrigen tragen der Beklagte und die Beigeladene ihre Kosten selbst.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, welche der Beklagte der Beigeladenen für die Änderung einer Biogasanlage erteilt hat.

2

Das Grundstück der Beigeladenen, auf welchem sich die streitgegenständliche Biogasanlage befindet, liegt im Außenbereich der Gemeinde A-Stadt im Kreis U, westlich der B…er Straße (F-Straße, Flur …, Flurstück …). Östlich der Biogasanlage, auf demselben Grundstück, befindet sich der landwirtschaftliche Schweinemastbetrieb der Beigeladenen.

3

Der Kläger ist Eigentümer eines in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen, von ihm bewohnten Einfamilienhauses, ca. 260 Meter nordöstlich der Biogasanlage in der A-Straße in Y.

4

Mit Baugenehmigung vom 18.12.2008 erteilte der Kreis U der Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung der Biogasanlage mit einer elektrischen Leistung von 345 KW, bestehend aus zwei Gülleendlagern, einem Fermenter mit Technikraum und zwei Containern als Blockheizkraftwerke (BHKW). Nach der genehmigten Erhöhung der Feuerwärmeleistung auf 889 KW (340 KW elektrische Leistung) mit Bescheid vom 12.3.2009, genehmigte der Kreis U der Beigeladenen mit Bescheid vom 5.9.2011 die Erweiterung der Anlage, unter anderem in Form des Neubaus von vier Erdbecken, einer Silageplatte des Neubaus einer Halle für die Rübenmusaufbereitung und der Errichtung eines Verarbeitungsplatzes für Rüben.

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Für die Biogasanlage der Beigeladenen plante die Gemeinde A-Stadt sodann, einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan (Nr. 2 „Energiegewinnung V“) aufzustellen.

6

Auf der Grundlage des Vorhaben- und Erschließungsplanes holte die Beigeladene von der Sachverständigen Frau Dr. Z eine Immissionsprognose ein. Diese datiert vom 17.5.2013. Grundlage der Immissionsprognose waren die im Vorhaben- und Erschließungsplan mit Stand 14.5.2013 dargestellten Anlagenteile sowie ergänzende Angaben des Beigeladenen zu emissionsrelevanten Betriebsvorgängen. Als relevante Emissionsquellen wurden unter anderem ein Feststoffdosierer, die Zuckerrübenaufbereitung, das offene Gärrestlager, die Silagelagerung, zwei BHKW und die vier Erdbecken für Zuckerrübensilage mit genehmigter Lagerungsmöglichkeit von Gärresten in einem der Erdbecken bis zu 3 Monate/Jahr berücksichtigt. Die Prognose gelangte zu dem Ergebnis, dass am Wohnhaus des Klägers eine Gesamtbelastung von im Maximum 0,14 (14 % Geruchsstundenhäufigkeit) vorläge und insgesamt die maßgeblichen Immissionswerte von 0,15 in Dorfgebieten sowie im Außenbereich nach der Geruchsimmissions-Richtlinie für Schleswig-Holstein (GIRL) im Planzustand an allen relevanten Immissionsaufpunkten eingehalten werden würden.

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Die geplante Anlagenkonfiguration stellte sich zu diesem Zeitpunkt wie folgt dar:

Abbildung

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Ein ebenfalls eingeholtes schalltechnisches Gutachten vom 10.5.2013 gelangte zu dem Ergebnis, dass alle Werte, insbesondere der TA-Lärm, eingehalten seien.

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Die Anlage wurde dem LLUR am 8.7.2013 nach § 67 BImSchG angezeigt.

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Am 11.6.2014 genehmigte der Beklagte ohne Öffentlichkeitsbeteiligung die von der Beigeladenen am 21.8.2013 beantragte Erhöhung der Leistung der beiden BHKW-Module auf jeweils 0,25 mW im vereinfachten Verfahren. Zur Begründung führte der Beklagte aus, es handele sich um eine Anlage i. S. d. Nr. 8.6.3.2 des Anhangs der 4. BImSchV sowie Nr. 8.4.2.1 der Anlage 1 zum UVPG. Die beantragte Änderung habe ausweislich des Geruchsgutachtens nur geringe immissionsrelevante Auswirkungen. Daher liege sie im Bereich der Irrelevanz; auf eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c UVPG habe daher verzichtet werden können.

11

Die Durchsatzmenge setzte sich zusammen aus 2.000 t Nawaro, 8.750 t Zuckerrüben, 500 t Getreideschrot und 12.000 t eigener Schweinegülle. Die Durchsatzkapazität betrug 64 t/d, die Produktionskapazität 2,30 Mio. Nm³ pro Jahr.

12

Mit Antrag vom 7.4.2014, der noch vor Erteilung der Genehmigung vom 11.6.2014 gestellt worden war, beantragte die Beigeladene eine wesentliche Änderung der Biogasanlage, insbesondere in Bezug auf die Errichtung von weiteren Nebenanlagen (unter anderem Neubau eines Gasverdichters, eines Separators, einer Biogasfackel, einer Fahrzeugwaage, eines zweiten Feststoffdosierers) sowie die Erhöhung der Durchsatzkapazität auf 101,4 t/d und der Produktionskapazität an Biogas auf 5,28 Mio. Nm³ pro Jahr.

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Im Rahmen dieses Antragsverfahrens wies der Beklagte mit Schreiben vom 8.5.2014 die Beigeladene darauf hin, dass ein Verfahren mit Beteiligung der Öffentlichkeit für erforderlich gehalten werde. Positive Auswirkungen könnten nicht erkannt werden. Die beantragten Änderungen hätten erhebliche Auswirkungen, unter anderem die Nutzungsänderung der Zuckerrübenlagunen (Geruch) und die Verdoppelung der Durchsatzmenge i. V. m. der Richtlinie über Industrieemissionen. Durch die Erhöhung der Leistung um mehr als 100 % ändere sich die Betriebsweise aller Anlagenteile. Es handele sich daher nicht um eine kleinteilige Erweiterung, sondern um eine vollumfängliche Änderung der gesamten Anlage. Zudem wies der Beklagte die Beigeladene darauf hin, dass eine Immissionsprognose zur Nutzungsänderung der Erdbecken für die Lagerung von Gärresten fehle.

14

Im Juli 2014 erstellte der Sachverständige und Dipl.-Ing. Thomas X einen Umweltbericht zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan. Dieser berücksichtigte im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Anwohner das seinerzeit vorliegende Geruchsgutachten von Frau Dr. Z. Die Annahme einer maximalen Geruchsbelastung von 0,15 (15 % Geruchsstundenhäufigkeit) würde, so führte der Bericht aus, unter anderem darauf beruhen, dass eine vorübergehende Gärrestlagerung jeweils nur in einem der beiden Erdbecken und nur für maximal 3 Monate stattfinde. Das Gutachten gelangte zu dem Ergebnis, dass entsprechend der zugrunde gelegten Gutachten keine erheblichen Beeinträchtigungen der Anwohner zu erwarten seien.

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Mit Schreiben vom 11.9.2014 teilte die Beigeladene dem Beklagten mit, nach ihrer Ansicht sei ein Verzicht auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung möglich. Dies betreffe insbesondere die Fälle, in denen die Genehmigungsschwelle mit der Verfahrenszuordnung „G“ mit der Erweiterung eintrete, jedoch bereits eine Genehmigung nach dem vereinfachten Verfahren gem. § 19 BImSchG vorhanden sei. In diesen Fällen könne sich das Genehmigungsverfahren nur auf den zu ändernden Teil beziehen. Dies lasse sich auch dem Wortlaut des § 2 Abs. 4 4. BImSchV entnehmen, der von der Genehmigung für die Erweiterung spreche. Sofern nach den vorgelegten Unterlagen keine oder nur geringfügige nachteilige Änderungen vorliegen würden, könne auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 16 Abs. 2 BImSchG verzichtet werden.

16

Am 12.09.2014 erstellte die Sachverständige, Frau Dr. Z, im Auftrag der Beigeladenen einen Nachtrag zur Immissionsprognose vom 17.5.2013 entsprechend des Hinweises des Beklagten vom 8.5.2014. Anlass der Gutachtenerstellung war die geplante Änderung der Nutzung der Erdbecken. So sollte künftig eines der Erdbecken für 3 Monate und zusätzlich ein weiteres Erdbecken für 2 Monate zur Gärrestelagerung verwendet werden. Die Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass die geänderten Betriebsprozesse einen Anstieg um 0,01 im Vergleich zur bestehenden Nutzung ohne die geplanten Änderungen bewirken würden mit der Folge, dass die Gesamtbelastung im Maximum 0,15 an einem Wohnhaus im Außenbereich, dem Wohnhaus des Klägers, erreiche und damit die maßgeblichen Immissionswerte der Gesamtbelastung von 0,15 in Dorfgebieten an allen relevanten Immissionsaufpunkten eingehalten seien. Die weiteren im Rahmen des Antragsverfahrens geplanten Nebenanlagen sowie die Erhöhung der Durchsatzmengen wurden in dem Gutachten nicht berücksichtigt.

17

Am 29.9.2014 beantragte die Beigeladene sodann unter Beifügung der nunmehr vollständigen Antragsunterlagen eine Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG im Hinblick auf die bereits am 7.4.2014 beantragten Änderungen. Gleichzeitig stellte die Beigeladene den Antrag, auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung zu verzichten.

18

Am 28.5.2015 erteilte der Beklagte der Beigeladenen ohne vorherige Öffentlichkeitsbeteiligung die beantragte Änderungsgenehmigung mit folgenden Änderungsmaßnahmen und Anlagenkonfigurationen:

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- Errichtung von zwei Zwischenlagercontainern, eines Schaltraums, eines Separators, einer Fahrzeugwaage, einer Notfackel und eines Gasverdichters zum Zwecke des Transportes des Gases von der Biogasanlage zu vier weiteren, innerörtlich betriebenen BHKW,

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- Nutzungsänderung der Erdbecken auch für die Lagerung von Gärresten

21

- Zweite Feststofffütterung (Feststoffdosierer)

22

- Nutzungsänderung der Rübenbearbeitungsflächen

23

- Erhöhung der Durchsatzmenge auf:

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- 7.000 t/a Nawaro

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- 18.000 t/a Zuckerrüben

26

- 1.000 t/a Getreide

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- 12.000 t/a eigene Schweinegülle

28

- Durchlaufkapazität erhöht sich auf 101,4 t/d

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- Produktionskapazität Biogas maximal 5,28 Mio. Nm³/a

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- Lagerkapazität für Gärrest erhöht sich auf 13.500 m³

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In der Änderungsgenehmigung wurden unter anderem Nebenbestimmungen zu den Punkten Lärm (Nr. 2.2.2.2) und Geruch (Nr. 2.2.3.1) dahingehend aufgenommen, dass die Immissionswerte jeweils einzuhalten seien.

32

In dem Bescheid stellte der Beklagte weiter fest, dass die Anlage aufgrund der Erhöhung der Durchsatzkapazität auf 101,4 Tonnen je Tag unter die Nr. 8.6.3.1 Verfahrensart „G“ des Anhangs der 4. BImSchV falle, so dass gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1a der 4. BImSchV ein förmliches Genehmigungsverfahren gemäß § 10 BImSchG durchzuführen gewesen sei. Es sei jedoch ein Verzicht auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung möglich gewesen, da in dem Antrag dargestellt werde, dass hinsichtlich der in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter keine erheblich nachteiligen Auswirkungen zu besorgen seien. Die Auswirkungen seien ausschließlich positiv oder zumindest neutral.

33

Es handele sich bei der Anlage zudem um eine Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie sowie um ein Vorhaben nach 8.4.2.1 der Anlage 1 zum UVPG. Aufgrund des im Rahmen der Aufstellung des vorhabenbezogenen B-Planes erstellten Umweltberichts entfalle gem. § 17 Abs. 1 S. 2 UVPG in diesem Fall die Vorprüfung des Einzelfalls. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung sei somit nicht erforderlich gewesen.

34

Mit Schreiben vom 11.12.2015 legte der Kläger, dem die Genehmigung nicht bekannt gemacht worden war, Widerspruch gegen die Änderungsgenehmigung vom 28.5.2015 ein. Eine Begründung erfolgte nicht.

35

Mit Widerspruchsbescheid vom 3.3.2016, dem Kläger zugestellt am 10.3.2016, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG seien erfüllt, da durch die eingereichten Unterlagen dargelegt und durch Auflagen sichergestellt sei, dass von den Anlagen keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden könnten. An allen gewählten Immissionspunkten werde der Grenzwert von 0,15 (15 % der Jahresstunden) Wahrnehmungshäufigkeit in Dorfgebieten und für den Außenbereich nach der GIRL nicht überschritten. Auch nach Auflage 2.3.1 sei die Biogasanlage so zu betreiben, dass die vorgegebenen Immissionswerte der GIRL nicht überschritten würden.

36

Der vorhabenbezogene Bebauungsplan ist bislang nicht in Kraft getreten. Das Vorhaben ist bereits vollständig realisiert.

37

Der Kläger hat am Montag, den 11.4.2016, Klage erhoben.

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Der Kläger ist der Ansicht, er könne sich gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und b) und Nr. 2 i. V. m. § 4 Abs. 3 UmwRG auf die rechtswidrig unterlassene Öffentlichkeitsbeteiligung und das Fehlen einer zumindest beschränkten UVP im immissionsschutzrechtlichen Verfahren berufen.

39

Er ist der Ansicht, nach § 10 Abs. 3 BImSchG i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) 4. BImSchV sei aufgrund der Anlagenkonfiguration eine Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich gewesen.

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Der Anwendungsbereich des § 16 Abs. 2 BImSchG sei schon nicht eröffnet, da vorliegend der Schwellenwert zum Eingreifen des förmlichen immissionschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung durch das streitgegenständliche Erweiterungsvorhaben erstmals überschritten werde. Anderenfalls drohe eine Umgehung der Öffentlichkeitsbeteiligung. Es würde in der Hand des Vorhabenträgers liegen, ob eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen sei oder nicht. So könnten zunächst Vorhaben zur Genehmigung gestellt werden, die ohne Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen wären, um sodann eine geringfügige Erhöhung der Leistung bzw. Kapazität der Anlage, welche zu einer Überschreitung des entsprechenden Schwellenwertes führen würde, zu beantragen, so dass mit der Änderungsgenehmigung ein Vorhaben zugelassen werde, ohne dass jemals eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt worden sei. Sofern die Öffentlichkeit zu den Risiken der Anlage noch nicht angehört worden sei, sei es unzulässig, auf eine gesetzlich vorgeschriebene Öffentlichkeitsbeteiligung mit dem Argument zu verzichten, dass die Änderung für sich genommen nicht zu erheblichen Umweltauswirkungen führen könne.

41

Dies werde im Übrigen durch § 2 Abs. 4 4. BImSchV unterstrichen, wonach die Genehmigung für die Änderung in dem Verfahren zu erteilen sei, dem die Anlage nach der Summe ihrer Leistung und Größe entspreche.

42

Eine Anwendung des § 16 Abs. 2 BImSchG scheitere auch mit Blick auf Art. 24 Abs. 1 der Industrieemissions-Richtlinie (IE-RL 2010/75/EU). Aus dem Sinn und Zweck und dem Normengefüge der IE-RL ergebe sich, dass die Öffentlichkeit zwingend in Genehmigungsverfahren für die Vorhaben nach Anhang 1, unter welchen die Anlage des Beigeladenen falle, zu beteiligen sei und sich der Begriff „wesentliche Änderungen“ in § 24 Abs. 1 lit. b) IE-RL auf solche Anlagen beziehe, für die bereits ein Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt worden sei.

43

Zudem seien die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 S. 2 BImSchG nicht erfüllt. Dass nachteilige Auswirkungen auf die Nachbarschaft oder die Allgemeinheit nicht auszuschließen seien, werde bereits an der erheblichen Erhöhung der Input-Menge und damit der Durchsatzkapazität der Anlage deutlich. Allein die Erhöhung der Inputstoffe würde zu einer erheblichen Zunahme des anlagenbezogenen Quell- und Zielverkehrs sowie der Be- und Entladevorgänge auf dem Anlagengelände führen. Zudem gingen Lärm und Geruch aus von der Errichtung und dem Betrieb eines Separators, dem Betrieb einer Fahrzeugwaage, dem Betrieb der Erdbecken auch für Gärreste, dem Betrieb eines Gasverdichters, dem Betrieb einer Notfackel (Geruch) sowie dem Betrieb einer zweiten Feststoffdosierung.

44

In dem von Frau Dr. Z vorgelegten Nachtrag vom 12.9.2014 zur Immissionsprognose werde allein durch die zusätzliche Nutzung eines der Erdbecken für die Dauer von zwei Monaten zur Gärrestlagerung ein Anstieg der Geruchsimmissionen von 14 % auf 15 % am Wohnhaus des Klägers prognostiziert, so dass nicht auszuschließen sei, dass der Grenzwert in Höhe von 15 % Geruchsstundenhäufigkeiten überschritten werden könnte, zumal die weiteren Geruchsauswirkungen (Separator, Notfackel, zweiter Feststoffdosierer) in der Prognose unberücksichtigt geblieben seien. Zudem habe Frau Dr. Z fehlerhaft die beiden Schweinehaltungsvorbelastungsbetriebe am W nicht berücksichtigt.

45

Es spreche auch einiges dafür, im Rahmen der Entscheidung nach § 16 Abs. 2 BImSchG die vier BHKW, die innerörtlich betrieben würden, in die Bewertung einzubeziehen, da insoweit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Nr. 2 4. BImSchV vorliegen würden.

46

Die Genehmigung sei außerdem rechtswidrig, da eine Umweltverträglichkeitsprüfung in den Genehmigungsverfahren nicht durchgeführt worden sei. Es sei zweifelhaft, ob § 17 Abs. 1 und 2 UVPG anwendbar sei, da der vorhabenbezogene B-Plan nicht in Kraft getreten sei. An § 17 Abs. 1 UVPG bestünden auch hinsichtlich der Europarechtskonformität erhebliche Zweifel, da die Umweltprüfung nicht durch die zuständige Fachbehörde vorgenommen worden sei. Es hätte zudem nach § 17 Abs. 3 UPVG eine beschränkte UVP im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren durchgeführt werden müssen. Denn die im B-Planverfahren angefertigte Immissionsprognose von Frau Dr. Z vom 17.5.2013 habe sich nicht vollständig auf den genehmigten Betriebszustand bezogen und der Nachtrag vom 12.9.2014 sei nicht Bestandteil der Umweltprüfung geworden.

47

Aus der Umweltprüfung sei zudem nicht ersichtlich, ob und inwieweit eine Vorprüfung des Einzelfalls durchgeführt worden sei. Sofern auf die im Verwaltungsvorgang befindliche Checkliste für Screening mit Stand März 2011 des Beklagten abgestellt worden sei, dürfte sich diese allgemeine Vorprüfung wegen fehlerhafter Angaben zur Versiegelungsfläche als beurteilungsfehlerhaft verweisen.

48

Der Kläger beantragt,

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die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 28.5.2015 (LLUR 782/G40/2014/077) für die wesentliche Änderung einer Anlage zur biologischen Behandlung von Gülle für den Standort in A-Stadt (V) in Form des Widerspruchsbescheides vom 3.3.2016 aufzuheben.

50

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

52

Der Beklagte trägt über seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid im Wesentlichen vor, dass der Grund für den Verzicht der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht darin bestehe, dass der Bürger über die vorhandene Anlage bereits hinreichend informiert worden sei, sondern darin, dass durch die Änderung nichts bewirkt werde, was ihre Beteiligung notwendig erscheinen ließe. Aus den Antragsunterlagen ergebe sich, dass nachteilige Auswirkungen nicht zu besorgen seien. So habe die Erhöhung der Gasmenge keine Auswirkungen, da der Prozess in den Fermentern unter Luftabschluss stattfinde. Die Fütterung und Lagerung finde auf bereits bestehenden Anlagen statt, so dass keine Änderungen zu erwarten seien. Die Verwertung erfolge in BHKW´s in A-Stadt, die bereits unabhängig vom Anlagenstandort genehmigt und errichtet worden seien. Aus dem schalltechnischen Gutachten ergebe sich, dass sich im Sinne der TA-Lärm keine Änderung der Lärmsituation ergebe. Im Rahmen der Genehmigung hätten überdies nur unwesentliche zusätzliche Versiegelungen (ca. 100 m²) stattgefunden. An allen gewählten Immissionspunkten werde der Grenzwert von 15 % der Jahresstunden nicht überschritten. Dies sei durch Auflagen sichergestellt. Die geruchsrelevanten Änderungen seien mit lediglich 1 % der Jahresstunden im Bereich der Irrelevanz. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass als Ergebnis 15 % der Jahresstunden ermittelt worden sei und nach aktueller Rechtsprechung im Außenbereich andere Werte als in der GIRL zumutbar seien, bis zu 20 % und in Ausnahmefällen noch mehr.

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Die Verwendung des Irrelevanzkriteriums bei den Anlagen in W sei nicht zu beanstanden, da es sich um zwei immissionsschutzrechtlich eigenständige Anlagen handele.

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Auch Art. 20 Abs. 3 der IE-RL 2010/75/EU stehe dem Verzicht auf die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht entgegen, da eine wesentliche Änderung, die eine Beteiligung der Öffentlichkeit vorsehe, dann vorliege, wenn die Änderung oder Erweiterung für sich genommen die Kapazitätsschwellenwerte in Anhang I erreichen würde. Die Kapazitätsschwelle nach Nr. 5.3 lit. b) der Richtlinie mit 75 t/d werde durch die angefochtene Genehmigung, die eine Erhöhung der Tageskapazität um 38 t/a vorsehe, selbst jedoch nicht erreicht.

55

Gem. § 17 Abs. 1 UVPG sei im Genehmigungsverfahren auch keine UVP notwendig gewesen. Bei der Aufstellung des B-Planes seien entsprechende Fachbehörden beteiligt worden, die die Gemeinde unterstützt hätten. Der § 17 UVPG enthalte keinen Hinweis darauf, dass es sich um abgeschlossene B-Pläne handeln müsse.

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Die Beigeladene beantragt,

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die Klage abzuweisen.

58

Sie ist der Ansicht, auch bei lediglich nach § 67 Abs. 2 oder § 67a Abs. 1 BImSchG angezeigten Anlagen, bei denen bisher keine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt worden sei, sei ein Verzicht auf die Öffentlichkeitsbeteiligung unter den Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 BImSchG zulässig. Gegenstand einer Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG sei nur die Anlagenänderung. Der nicht geänderte Teil sei nicht Gegenstand des Änderungsverfahrens, sondern weiterhin von den Vorschriften der §§ 67, 67a BImSchG privilegiert. Der Anwendung des § 16 Abs. 2 BImSchG stünden auch nicht die unionsrechtlichen Vorschriften der Richtlinie 2010/75/EU entgegen. Indem der Richtliniengeber im Zuge der IE-RL den Hinweis auf die Überschreitung der Kapazitätsschwellen des Anhangs I nunmehr nur noch in Art. 20 IE-RL, nicht aber in Art. 24 IE-RL, aufgenommen habe, mache er deutlich, dass es nur auf das Vorliegen erheblicher Auswirkungen auf die Schutzgüter ankomme. Zudem werde der Immissionswert von 0,15, der im Außenbereich mindestens anzusetzen sei, eingehalten. Das Wohnhaus des Klägers liege im bauplanungsrechtlichen Außenbereich und müsse nach Maßgabe der Geruchsimmissions-Richtlinie bis zu 25 % Geruchsstundenhäufigkeiten hinnehmen. Im Rahmen der Immissionsprognose seien auch die emissionsrelevanten Anlagenteile beachtet worden, die in dem Verfahren genehmigt werden sollten. Die Zusatzbelastung von 0,07 liege auch unterhalb der Irrelevanzschwelle von 0,2. Die Durchführung einer separaten Umweltverträglichkeitsprüfung habe gem. § 17 UVPG unterbleiben können, insbesondere, da § 17 UVPG keinen in Kraft getretenen Bebauungsplan als Bezugsgegenstand erfordere.

59

Die Berichterstatterin hat am 12. Mai 2017 einen Orts- und Erörterungstermindurchgeführt; auf das Protokoll sowie die gefertigten Lichtbilder wird Bezug genommen.

60

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die beigezogene Gerichtsakte Bezug genommen. Deren Inhalte sind – soweit erforderlich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf die Verhandlungsniederschrift wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

62

Die Klagebefugnis des Klägers ist vorliegend gegeben. Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Klage grundsätzlich nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Klagebefugnis ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann nicht gegeben, wenn der Kläger durch die streitgegenständlichen Genehmigungen offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise in seinen Rechten verletzt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989, Az.: 4 C 1.88, NVwZ 1989, 1163). Der Kläger beruft sich vorliegend unter anderem auf eine Verletzung der drittschützenden Vorschriften der §§ 6 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in der Gestalt von unzumutbaren Geruchsbelästigungen durch die Biogasanlage der Beigeladenen. Das Grundstück des Klägers befindet sich im Außenbereich in unmittelbarer Nachbarschaft der Beigeladenen in etwa 260 Metern Entfernung. Als Einwirkbereich der Anlage ist jedenfalls das Beurteilungsgebiet nach Nr. 4.4.2 der GIRL-SH anzusehen, welches als kleinstmöglichen Radius eine Entfernung von 600 Metern zum Emissionsschwerpunkt festsetzt. Die Möglichkeit einer Verletzung eigener Rechte des Klägers kann auch nicht unter Verweis auf die Einhaltung der Immissionswerte nach Nr. 3.1 der GIRL-SH verneint werden, welche für Dorfgebiete einen Immissions-Höchstwert von 0,15 Geruchsstundenhäufigkeit vorschlägt. Die behauptete Rechtsverletzung ist in Anbetracht der Tatsache, dass die im Zuge des Genehmigungsverfahrens vorgelegten Immissionsprognosen zu einer Geruchsbelastung von 15 % Geruchsstundenhäufigkeit am im Außenbereich des Klägers gelegenen Grundstücks gelangten und der Kläger behauptet, es seien hierbei geruchsrelevante Immissionsorte unberücksichtigt geblieben, nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausgeschlossen. Jedenfalls muss dem Kläger bei einer derartigen Betroffenheit die Möglichkeit zustehen, die Richtigkeit der Gutachten im gerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen.

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Die Anfechtungsklage des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen ihn in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Kläger hat folglich einen Anspruch auf die Aufhebung der angegriffenen Bescheide.

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Dieser Anspruch ergibt sich aus § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 1 S. 1 lit. b) UmwRG. Nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens verlangt werden, wenn eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 9 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist. Ein solcher Verstoß ist vorliegend gegeben (I.). Darüber hinaus liegt auch ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 lit. b) UmwRG in Form einer unterbliebenen Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit vor (II.).

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I. Der Verzicht auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung i. S. d. § 16 Abs. 2 BImSchG stellt sich vorliegend als rechtsfehlerhaft dar mit der Folge, dass ein nicht behebbarer absoluter Verfahrensfehler vorliegt, der zur Aufhebung der Genehmigung führen musste. Bei der durch den angefochtenen Bescheid genehmigten Änderung handelt es sich um ein Vorhaben nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 UmwRG, da es sich um eine Anlage handelt, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) mit dem Buchstaben „G“ gekennzeichnet ist. Dies ergibt sich auch aus der Änderungsgenehmigung, die sich auf § 16 i. V. m. § 10 BImSchG i. V. m. Nr. 8.6.3.1 des Anhanges 1 der 4. BImSchV stützt.

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Nach § 16 Abs. 2 BImSchG soll die zuständige Behörde im Fall einer - wie hier - wesentlichen Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage von der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens sowie der Auslegung des Antrags und der Unterlagen absehen, wenn der Träger des Vorhabens dies beantragt und erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die in § 1 genannte Schutzgüter nicht zu besorgen sind (Satz 1). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn erkennbar ist, dass die Auswirkungen durch die getroffenen oder vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Maßnahmen ausgeschlossen werden oder die Nachteile im Verhältnis zu den jeweils vergleichbaren Vorteilen gering sind (Satz 2).

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Zunächst stellt sich die Frage der Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 BImSchG, sowohl in Bezug auf die Anlagen, die in den Anwendungsbereich der Industrieemissions-Richtlinie 2010/75/EU fallen, als auch in den Fällen, in welchen durch die wesentliche Änderung von nach § 67 Abs. 2 BImSchG angezeigten Anlagen sowie bei Erweiterungen erstmals die Grenze zum förmlichen Genehmigungsverfahren überschritten wird.

68

Im Hinblick auf die Vereinbarkeit des § 16 Abs.2 mit EU-Recht, insbesondere mit Art. 24 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2010/75/EU (Industrieemissions-Richtlinie) ist entgegen der Ansicht des Klägers keine Europarechtswidrigkeit anzunehmen, da § 16 Abs. 2 BImSchG dahingehend auszulegen ist, dass dieser keine wesentlichen Änderungen i. S. d. Art.3 Nr.9 RL 2010/75 erfasst (vgl. Jarass, BImSchG, 11. Auflage, § 16, Rn. 53; Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 16, Rn. D8). Zwar handelt es sich bei der Biogasanlage des Beigeladenen um eine Anlage gem. Art. 10 der Richtlinie 75/2010/EU i. V. m. Anhang 1, Nr. 5.3. lit. b), die in der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen (4. BImSchV) im Anhang 1 dementsprechend mit einem „E“ gekennzeichnet ist. Es kann allerdings dahinstehen, ob eine Anwendung des § 16 Abs. 2 BImSchG nur dann ausscheidet, wenn die Änderung für sich betrachtet die Schwellenwerte des Anhangs I der RL 2010/75 erreicht, weil dann gem. Art. 20 Abs.3 RL 2010/75 eine Änderung vorliegt, die nur mit Öffentlichkeitsbeteiligung zugelassen werden darf (Jarass, a.a.O, Rn. 53) oder ob es im Rahmen des Art. 24 Abs. 1 lit. b) IE-RL ausschließlich auf das Vorliegen erheblicher Auswirkungen auf die Schutzgüter ankommt. Denn in beiden Fällen lässt die Industrieemissions-Richtlinie eine mögliche Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 BImSchG auf den vorliegenden Fall unberührt. Insbesondere ist, wie der Beklagte zutreffend ausgeführt hat, durch die Änderung für sich betrachtet, der Schwellenwert des Anhangs I Nr. 5.3., lit. b) der Industrieemissions-Richtlinie in Höhe von 75 Tonnen nicht erreicht, da die Erweiterung von 64 t auf 101,4 t lediglich 37,4 Tonnen beträgt.

69

Hinsichtlich der durch die Änderung erstmaligen Überschreitung der Grenze zum förmlichen Genehmigungsverfahren wird vertreten, dass eine Anwendung des § 16 Abs. 2 BImSchG auf die Änderung angezeigter Anlagen gem. § 67 Abs.2 bzw. § 67a Abs.1 BImSchG nicht in Betracht komme, da § 16 Abs. 2 nur zum Tragen kommen könne, wenn die Risiken bereits im Rahmen einer Öffentlichkeitsbeteiligung der Vorgenehmigung behandelt worden seien (vgl. Jarass, BImSchG, § 16, Rn. 60; Führ, GK-BImSchG, § 16, Rn. 341; so i. E. wohl auch VGH Mannheim, Beschluss v. 11.12.2014, Az. 10 S 473/14 u. Urteil v. 12.3.2015, Az. 10 S 1169/13, beck-online). Dies soll auch stets dann gelten, wenn es sich bei der Anlage im Zustand nach der beabsichtigten Änderung um eine Anlage handelt, die nicht im vereinfachten Verfahren zugelassen werden könnte; in diesen Fällen könne die Änderung nicht im vereinfachten Verfahren zugelassen werden, selbst wenn die ursprüngliche Anlage im vereinfachten Verfahren genehmigt worden sei (Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 16, Rn. D11). Sofern eine Änderung UVP-pflichtig sei, solle § 16 Abs. 2 BImSchG zudem generell nicht anwendbar sein (Jarass, BImSchG, § 16, Rn. 59, 60). Zwar enthalte § 16 Abs.2 keinen entsprechenden Hinweis. Doch gehe insoweit § 3e UVPG (ggf. i. V. m. § 3b Abs.3 UVPG) vor, zumal andernfalls EU-Recht verletzt würde. In den Fällen des § 16 Abs. 1 S. 2 BImSchG werde es jedoch meist an erheblichen nachteiligen Auswirkungen i. S. d. § 1 Abs.3 der 9. BImSchV und damit an der UVP-Pflicht fehlen (Jarass, BImSchG § 16 Rn. 59; so i. E. auch Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, BImSchG, § 16, Rn. 126).

70

Zum Teil wird eine Lösung über einen atypischen Fall im Rahmen der Soll-Vorschrift des § 16 Abs. 2 BImSchG vorgeschlagen, da § 16 Abs. 2 BImSchG zwar anwendbar, jedoch dahingehend einschränkend zu interpretieren sei, dass in diesen Fällen eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden müsse (Führ in GK-BImSchG, § 16, Rn. 341; Jarass, BImSchG, § 16, Rn. 60 – jedenfalls hilfsweise). Im Rahmen der Einzelfallprüfung, ob erhebliche nachteilige Auswirkungen zu besorgen seien, könne zudem darauf abgestellt werden, ob die Empfindlichkeit des betroffenen Schutzgutes bereits durch eine im Einwirkbereich der Anlage bestehende Vorbelastung erhöht werde. Werde dann durch die Änderung die Leistungsgrenze oder Anlagengröße der Spalte 1 des Anhangs der 4. BImSchV erstmals erreicht oder überschritten, dürfe von der Öffentlichkeitsbeteiligung nicht abgesehen werden (Strorost in Ule/Laubinger/Repkewitz, BImSchG, § 16, Rn. D6, D11).

71

Die Gegenansicht vertritt die Auffassung, dass im Verfahren wegen der Änderung einer angezeigten Anlage nicht über die Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage zu entscheiden sei, sondern nur über die isolierte Änderung mit der Folge, dass § 16 Abs. 2 BImSchG zur Anwendung komme (vgl. Czajka in Feldhaus, BImSchG, § 16, Rn. 77; Hansmann/Röckinghausen in Landmann/Rohmer, 4. BImSchV, § 2, Rn. 8). Zur Begründung wird angeführt, dass die vorhandenen Anlagenteile von der Änderung unberührt blieben und hierzu auch in einem förmlichen Verfahren keine Unterlagen eingereicht und bekanntgemacht zu werden bräuchten. Dieses Verfahren solle und könne nicht das fehlende Genehmigungsverfahren für die vorhandene Anlage ersetzen. Im Übrigen bestehe der Grund für den Verzicht auf die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht darin, dass die Bürger über die vorhandene Anlage bereits hinreichend informiert worden seien, sondern darin, dass durch die Änderung nichts bewirkt werde, was ihre Beteiligung notwendig erscheinen ließe. Aus diesem Grunde dürfe auch kein atypischer Fall anzunehmen sein.

72

Im Ergebnis sprechen gewichtigere Gründe dafür, in den Fällen, in denen die Änderung erstmals die Grenze zum förmlichen Genehmigungsverfahren überschreitet, schon die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 BImSchG abzulehnen. Denn, wie der Kläger zutreffend ausgeführt hat, droht anderenfalls eine Umgehung der Öffentlichkeitsbeteiligung. So hätte es der Vorhabenträger stets selbst in der Hand, ob eine Öffentlichkeitsbeteiligung durchzuführen wäre. Durch eine sukzessive Erweiterung der Anlage könnte der Vorhabenträger erreichen, dass er durch eine geringfügige Erweiterung, die für sich genommen nicht zu erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt, jedoch zu einer Überschreitung des Schwellenwertes führt, stets eine Änderungsgenehmigung ohne Öffentlichkeitsbeteiligung erhalten könnte. In diesen Fällen könnten die Schwellenwerte erheblich überschreitende Anlagen entstehen, ohne dass jemals die Öffentlichkeit beteiligt werden würde. Dies aber dürfte dem Sinn und Zweck der Vorschrift zuwiderlaufen. So steht auch in der Begründung der Industrieemissions-Richtlinie 2010/75/EU (Rn. 27), dass unter Berücksichtigung des Übereinkommens von Aarhus eine effektive Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung notwendig sei, „damit einerseits die Öffentlichkeit Meinungen und Bedenken äußern kann, die für die Entscheidung von Belang sein können, und andererseits die Entscheidungsträger diese Meinungen und Bedenken berücksichtigen können, so dass der Entscheidungsprozess nachvollziehbarer und transparenter wird und in der Öffentlichkeit das Bewusstsein für Umweltbelange sowie die Unterstützung für die getroffenen Entscheidungen wächst.“ Dieser Ansatz würde durch sukzessive Erweiterungen jedoch vereitelt werden.

73

Selbst wenn man die Anwendbarkeit des § 16 Abs. 2 BImSchG auf bereits angezeigte Anlagen gem. §§ 67, 67a BImSchG bejahen würde, so waren jedenfalls die Voraussetzungen, unter denen ein Verzicht möglich ist, nicht erfüllt. Nach § 16 Abs. 2 S. 1 BImSchG soll die Behörde von der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens sowie der Auslegung des Antrags und der Unterlagen absehen, wenn der Träger des Vorhabens dies beantragt und erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die in § 1 genannten Schutzgüter nicht zu besorgen sind. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Auswirkungen der Änderung ausschließlich positiv oder neutral für diese Schutzgüter sind (keine nachteiligen Auswirkungen) oder wenn jede der Auswirkungen als unerheblich einzustufen ist (unerhebliche Auswirkungen). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

74

Eine Anwendung von § 16 Abs.2 S. 1 BImSchG ist bereits dann ausgeschlossen, wenn die Auswirkungen zu „besorgen“ sind, d. h. wenn sie auf Grund der Umstände nicht auszuschließen sind. Dementsprechend verlangt § 1 Abs. 3 der 9. BImSchV bereits dann eine Umweltverträglichkeitsprüfung und damit eine Öffentlichkeitsbeteiligung, wenn die Änderung Auswirkungen haben „kann“ vgl. (Jarass, BImSchG, § 16, Rn. 54). Für die Behörde muss bereits zu Beginn des Änderungsgenehmigungsverfahrens erkennbar sein, dass mit der Änderung schon ihrer Art nach allenfalls geringe Umweltauswirkungen verbunden sein können oder wenn an sich mögliche nachteilige Auswirkungen auf die gesetzlich genannten Schutzgüter durch die bereits getroffenen oder vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Maßnahmen ausgeschlossen werden (§ 16 Abs. 2 Alt. 1 BImSchG). Entscheidend hierbei sind die Einwirkungen, insbesondere von Immissionen, auf die Schutzgüter des § 1 BImSchG (VGH München, Urteil vom 13.5.2005, Az.: 22 A 96.40091, NVwZ-RR 2006, 456; Jarass, BImSchG, § 16 Rn. 40). Die „Erheblichkeit” der nachteiligen Auswirkungen bestimmt sich nach ihrem jeweiligen Gewicht und Ausmaß; bei der insoweit gebotenen Einzelfallprüfung ist auch eine im Einwirkungsbereich der Anlage bestehende Vorbelastung zu berücksichtigen. Die geforderte Prognose verlangt einen erhöhten Grad an Zuverlässigkeit dergestalt, dass aus Sicht der zuständigen Behörde unter Berücksichtigung aller Umstände kein vernünftiger Zweifel an der Unerheblichkeit der nachteiligen Auswirkungen mehr bestehen darf (Czajka in Feldhaus, BImSchG, § 16, Rn. 66).

75

Vorliegend hat der Beklagte im Rahmen der Antragsbearbeitung zunächst ausgeführt, dass aus seiner Sicht auf eine Öffentlichkeitsbeteiligung nicht verzichtet werden könne. Positive Auswirkungen könnten nicht erkannt werden. Die beantragten Änderungen hätten erhebliche Auswirkungen, unter anderem die Nutzungsänderung der Zuckerrübenlagunen (Geruch) und die Verdoppelung der Durchsatzmenge. Durch die Erhöhung der Leistung um mehr als 100 % ändere sich die Betriebsweise aller Anlagenteile. Es handele sich daher um eine vollumfängliche Änderung der gesamten Anlage.

76

Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beklagte sodann in seiner Änderungsgenehmigung zu dem Ergebnis gelangten konnte, dass die Unterlagen gezeigt hätten, dass die Auswirkungen auf die genannten Schutzgüter ausschließlich positiv oder zumindest neutral seien. Mit Ausnahme des Nachtrags zur Immissionsprognose lagen keine neuen Erkenntnisse oder Unterlagen vor, die eine Abweichung von der vorherigen Ansicht erklären könnten.

77

Die genehmigte Durchsatzkapazität der Biogasanlage von 64 t/d auf 101,4 t/d erhöht sich um 63 %, insbesondere durch die Erhöhung der Input-Menge von Nawaro (2.000/7.000) sowie Zuckerrüben (8.750/18.000). Die Produktionskapazität von 2,3 Nm³/a erhöht sich hierdurch auf 5,28 Nm³/a mit der Folge, dass über den genehmigten Gasverdichter vier weitere Blockheizkraftwerke in der Gemeinde A-Stadt betrieben werden können.

78

Die erhebliche Vergrößerung der Anlage, die auch zur Folge hat, dass die Beigeladene die Anlage nicht mehr überwiegend aus eigenen Rohstoffen betreiben kann, führt auch dazu, dass eine Privilegierung i. S. d. § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB für den Außenbereich gerade nicht mehr gegeben war. Aus diesem Grund wurde auch der vorhabenbezogene Bebauungsplan aufgestellt, der jedoch weiterhin nicht in Kraft getreten ist.

79

Jedenfalls in Bezug auf die von dem Kläger befürchteten Geruchsimmissionen, konnte der Beklagte nicht ausschließen, dass nachteilige Auswirkungen zu besorgen waren mit der Folge, dass die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 S. 1 BImSchG nicht vorlagen.

80

Für die Bewertung der Zumutbarkeit von Geruchsimmissionen finden sich weder im Bundes-Immissionsschutzgesetz noch in den hierzu ergangenen Rechtsverordnungen oder der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) bundesrechtliche Regelungen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass bis zum Erlass solcher Regelungen bei der tatrichterlichen Bewertung der Erheblichkeit von Geruchsbelastungen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG die GIRL als Orientierungshilfe herangezogen werden kann (BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 2010, Az.: 4 B 29.10, ZfBR 2010, 792). Die GIRL ist ein technisches Regelwerk, dessen Werte auf den Erkenntnissen und Erfahrungen von Experten beruhen und das insoweit die Bedeutung eines antizipierten generellen Sachverständigengutachtens hat (BVerwG, Beschluss vom 13.1.2016, Az.: 7 B 38.15, BeckRS 2016, 41831).

81

Die Immissionsprognose vom 17.4.2013 ist zu dem Ergebnis gelangt, dass am Haus des Klägers eine Geruchsstundenhäufigkeit von maximal 0,14 vorliege. Diese setze sich zusammen aus der Vorbelastung sowie der Mehrbelastung durch die geplante Erweiterung der Biogasanlage in Höhe von 0,07. Die Sachverständige ging dabei von einem Höchstwert von 0,15, bezogen auf Dorfgebiete, gem. Nr. 3.1 (Tabelle 1) aus und erklärte diesen Wert für eingehalten. Auch in Bezug auf die Nachtragsprognose vom September 2014 ermittelte die Sachverständige einen Zusatzwert von 0,01 und damit einen Höchstwert von 0,15 am Wohnhaus des Klägers. Dabei bezog sich der Nachtrag allerdings nur auf die veränderte Nutzung der Erdbecken für die Gärrestlagerung. So sollten nicht wie zuvor nur eines, sondern zwei Erdbecken für 3 bzw. 2 Monate zur Gärrestlagerung genutzt werden. Auffällig ist, dass die weiteren beantragten Nebenanlagen, insbesondere der zweite geplante Feststoffdosierer, und auch die Nutzungsänderung der Rübenbearbeitungsflächen nicht berücksichtigt wurden. Aus der Immissionsprognose vom 17.5.2013 geht hervor, dass jedenfalls ein Feststoffdosierer als Geruchsquelle in die Prognose einbezogen wurde. Es dürfte insoweit jedenfalls nicht auszuschließen sein, dass bei Berücksichtigung des zweiten Feststoffdosierers, der weiteren nicht berücksichtigten Nebenanlagen und der erheblichen Erhöhung der Inputmengen eine Überschreitung des Grenzwertes festgestellt worden wäre.

82

Zwar wird angenommen, dass im Außenbereich eine Überschreitung des Wertes für Dorfgebiete zulässig sein kann (vgl. OVG Schleswig, Urteil v. 9.12.2010, Az.: 1 LB 6/10 und Beschluss v. 4.8.2016, Az.: 1 MB 21/15). Dies gilt jedoch grundsätzlich nur für Gerüche aus tierhaltenden Betrieben, wie auch aus Nr. 3.1 der GIRL hervorgeht. Danach gilt der Immissionswert der Spalte „Dorfgebiete“ nur für Geruchsimmissionen verursacht durch Tierhaltungsanlagen. Allerdings ist es auch bei Hinzutreten von Industrieanlagen im Außenbereich möglich, den Wert von 0,15 zu überschreiten. In diesen Fällen ist jedoch immer eine Prüfung der Umstände des konkreten Einzelfalls notwendig (vgl. OVG Münster, Beschluss v. 22.5.2015, Az. 8 B 1029/14 – Gesamtbelastung aus Tierhaltung und gewerblicher Biogasanlage in Höhe von 0,20 zulässig). Eine solche Einzelfallprüfung hat jedoch gerade nicht stattgefunden, zumal die Änderungsgenehmigung selbst von der Einhaltung des Wertes für Dorfgebiete von 0,15 ausgegangen ist.

83

Aufgrund des von dem Geruchsimmissionsgutachten festgestellten und erreichten Grenzwertes von 0,15, der zum Teil hierbei nicht berücksichtigten immissionsrelevanten Anlagenteile sowie der fehlenden Einzelfallprüfung in Bezug auf eine möglicherweise hinzunehmende Überschreitung des Grenzwertes, durfte der Beklagte vorliegend nicht davon ausgehen, dass erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die in § 1 genannten Schutzgüter i. S. d. § 16 Abs. 2 S. 1 BImSchG nicht zu besorgen waren.

84

Die von dem Kläger überdies bemängelte fehlerhafte Nichtberücksichtigung der Schweinemastbetriebe in W, der vier Blockheizkraftwerke innerhalb der Gemeinde und der zu befürchtenden Lärmemissionen kann folglich dahinstehen.

85

II. Darüber hinaus liegt durch die unterbliebene Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit auch ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 lit. b) UmwRG vor.

86

Bereits vor der streitgegenständlichen Änderung handelte es sich um ein Vorhaben, für welches gem. § 3c UVPG i. V. m. Anhang I Nr. 8.4.2.1 (Überschreitung der Durchsatzkapazität von mehr als 50 Tonnen) eine Vorprüfung des Einzelfalls vorgeschrieben war.

87

In solchen Konstellationen war bislang umstritten, ob § 3c UVPG direkt anwendbar ist oder eine bloße Änderung vorliegt mit der Folge, dass § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG einschlägig ist, der seinerseits auf § 3c UVPG erweist. Im Ergebnis kann dies hier dahinstehen.

88

Denn der Beklagte hat, wie aus der streitgegenständlichen Änderungsgenehmigung hervorgeht, schon keine einzelfallbezogene Vorprüfung vorgenommen. Vielmehr wird auf Seite 16 des streitgegenständlichen Genehmigungsbescheides lediglich ausgeführt, dass der Umweltbericht Bestandteil der Antragsunterlagen gewesen sei und gem. § 17 Abs. 1 S. 2 UVPG damit die Vorprüfung des Einzelfalls habe entfallen können. Nach § 17 Abs. 1 S. 2 UVPG kann zwar abweichend von Satz 1 eine nach dem UVPG vorgeschriebene Vorprüfung des Einzelfalls entfallen, wenn für den aufzustellenden Bebauungsplan eine Umweltprüfung nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs, die zugleich den Anforderungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung entspricht, durchgeführt wird. Diese Voraussetzungen wurden jedoch vorliegend nicht erfüllt.

89

Zwar lag ein Umweltbericht für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan vor, wobei hier dahinstehen kann, ob schon die Anwendbarkeit des § 17 Abs. 1 S. 2 UVPG, wie von dem Kläger vorgetragen, ausscheidet, da der Bebauungsplan noch nicht in Kraft getreten ist. Dieser konnte jedenfalls keine geeignete Grundlage für den Verzicht auf eine Vorprüfung des Einzelfalls i. S. d. § 17 Abs. 1 S. 2 UVPG darstellen, da dieser nicht den Anforderungen einer Umweltverträglichkeitsprüfung i. S. d. UVPG genügen konnte. Denn der vorgelegte Umweltbericht, der mit Stand Juli 2014 im Rahmen des Vorhaben– und Erschließungsplanes zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan erstellt worden war, bezog sich gerade nicht vollumfänglich auf das zu genehmigende Vorhaben. Insbesondere wurde der Nachtrag zur Immissionsprognose (Stand September 2014) nicht mit einbezogen.

90

Vielmehr gelangte der Umweltbericht unter Zugrundelegung nur der ersten Immissionsprognose zu dem Ergebnis, dass keine erheblichen Beeinträchtigungen zu erwarten seien und führt hierzu ausdrücklich auf, dass bei Berücksichtigung der Vorgaben aus den Gutachten keine Kompensationsmaßnahmen erforderlich seien. Dabei stützte sich der Umweltbericht auf die Annahme aus dem Erstgutachten insoweit, als dass eine vorübergehende Gärrestlagerung jeweils nur in einem der beiden nördlichen Erdbecken und nur für maximal 3 Monate/a (Januar bis März) stattfinde. Die Erweiterung der Gärrestlagerung sowie insgesamt die Anlagenkonfiguration, wie sie mit dem Antrag vom 29.9.2014 zur Genehmigung vorgelegt wurde, wird in dem Umweltbericht aber gerade noch nicht berücksichtigt, so dass folglich, wie bereits ausgeführt, zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen i. S. d. § 17 Abs. 3 UPVG, nicht auszuschließen waren.

91

In der Folge wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 S. 2 UVPG eine Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit gem. § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. b) UmwRG i. V. m. § 3c UVPG i. V. m. Anhang I Nr. 8.4.2.1 durchzuführen. Dabei liegt es nahe, dass aufgrund der bereits benannten Besorgnis, dass erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die in § 1 BImSchG genannten Schutzgüter nicht auszuschließen waren, der Beklagte zu dem Ergebnis gelangt wäre, dass auch erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen i. S. d. § 3c S. 1 UVPG zu besorgen waren mit der Folge, dass eine UVP-Pflichtigkeit eingetreten wäre. Es wäre der Beklagten auch durchaus möglich gewesen, aufgrund der zusätzlichen Auswirkungen eine ergänzende (beschränkte) Umweltverträglichkeitsprüfung i. S. d. § 17 Abs. 3 UVPG anzuordnen, nicht aber, wie vorliegend geschehen, die mit Nachtragsprognose vom September 2014 prognostizierten Werte gänzlich außer Acht zu lassen.

92

Aufgrund der Schwere der Verfahrensfehler, insbesondere auch des Umstandes, dass der betroffenen Öffentlichkeit die vorgesehene Möglichkeit genommen wurde, Zugang zu den auszulegenden Unterlagen zu erhalten und sich am Entscheidungsprozess zu beteiligen, sowie der Tatsache, dass das Vorhaben bereits vollständig realisiert ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.10.2015, Az: 7 C 15/13, NVwZ 2016, 308, 309; OVG Lüneburg, Urteil vom 13.10.2016, Az.. 7 KS 3/13, ZUR 2017, 294, 301), kam auch eine Heilung i. S. d. § 4 Abs. 1b S. 1 UmwRG nicht in Betracht.

93

Das Fehlen der erforderlichen Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die fehlende Vorprüfung des Einzelfalls im Hinblick auf eine durchzuführende Umweltverträglichkeitsprüfung führen gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG zur Aufhebung der angefochtenen Genehmigung. Denn § 4 UmwRG trifft eine eigenständige Fehlerfolgenregelung dahingehend, dass die in der Vorschrift genannten Fehler erheblich sind, ohne dass es darauf ankommt, ob die verletzten Verfahrensvorschriften der Gewährleistung eines materiellen subjektiven Rechts dienen und ob die Fehler die Sachentscheidung beeinflusst haben können, wie es § 46 VwVfG sonst voraussetzt. Sie führen unabhängig von den sonst nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltenden einschränkenden Maßgaben zur Begründetheit der Klage (BVerwG, Urteil vom 22.10.2015, Az.: 7 C 15/13, aaO; OVG Greifswald Urteil vom 5.4.2016, Az.: 5 K 4/14, BeckRS 2016, 52700 unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 20.12.2011, Az.: 9 A 30.10, NVwZ 2012, 573, 574 und Urteil vom 17.12.2013, Az.: 4 A 1.13, NVwZ 2014, 669, 673).

94

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, 3 S. 1 VwGO.

95

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1, 2 VwGO i. V. m. § 709 S. 2 ZPO.


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