Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (4. Kammer) - 4 A 68/20

Tenor

Der Beklagte wird verpflichtet, den Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Januar 2019 und des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2020 für den Zeitraum 07/2018 bis 03/2019 von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung xxx in x (Beitragsnummer x) zu befreien.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Befreiung von der Beitragspflicht für eine Wohnung unter der Anschrift xxx in xxx.

2

Hierbei handelt es sich um einen „beruflichen Nebenwohnsitz“ des Klägers, den er in der Zeit von Mai 2015 bis März 2019 innehatte. Mit dieser Wohnung meldete der Beklagte den Kläger ausweislich der Anmeldebestätigung vom 12. Juni 2015 zu 06/2015 unter der Beitragsnummer x an. Einen weiteren Wohnsitz hat der Kläger in der Straße x in A-Stadt (x), mit der er beim Beklagten seit Mai 2012 unter der Teilnehmernummer x geführt wird.

3

Zu der Beitragsnummer x erfolgten nachgehend diverse Zahlungsaufforderungen, in denen jeweils Zahlungseingänge – ab 21. Juli 2015 – berücksichtigt wurden.

4

Am 7. August 2018 meldete der Kläger die Wohnung in A-Stadt wegen „sonstiger Gründe“ per Internet ab.

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Daraufhin meldete sich der Beklagte und teilte mit, dass er für den Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung eine Bescheinigung des Einwohnermeldeamtes benötigen würde, aus der die Haupt- und Nebenwohnung sowie das jeweilige Einzugsdatum hervorgehe.

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Der Kläger erwiderte, dass er in A-Stadt den Zweitwohnsitz nicht angemeldet habe und nicht über eine Meldebescheinigung verfüge. Ersatzweise habe er dem Schreiben einen Auszug aus seinem Mietvertrag beigefügt. Er habe in dem Zeitraum 27. Juli 2015 bis 16. Juli 2015 (es muss wohl 2018 heißen) 13 Beiträge entrichtet, deren Erstattung er beantrage.

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Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 22. Januar 2019 (zur Beitragsnummer x) damit ab, die Befreiung setze voraus, dass die Antragstellerin oder der Antragsteller melderechtlich beim Einwohnermeldeamt mit einer Haupt- und Nebenwohnung angemeldet sei. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, weil aus den eingereichten Unterlagen hervorgehe, dass er beim Einwohnermeldeamt nicht mit einer Nebenwohnung angemeldet sei.

8

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, mit Schreiben, welches das Datum „8. Oktober 2018“ ausweist. Diesem legte er eine Meldebescheinigung über seinen Wohnsitz in A-Stadt als „einzige Wohnung“ bei. Daraus ergebe sich, dass es sich bei der Wohnung in A-Stadt nur um eine Nebenwohnung handele, für die laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Rundfunkbeiträge erhoben werden dürften. Die Nebenwohnung sei zum 31. März 2019 gekündigt worden. Es gehe demnach um eine Befreiung für den Zeitraum 07/2018 bis 03/2019. Für die Anerkennung als Nebenwohnung sei eine förmliche Anmeldung nicht notwendig. Schließlich habe die Anmeldung für den Gebührenbeitrag im Jahr 2015 auch ohne jegliche Meldebestätigung erfolgen können. Es würde eine reine Förmlichkeit darstellen, nunmehr für die Abmeldung eine formale Abmeldebestätigung des Einwohnermeldeamtes der Stadt A zu verlangen. Ausreichend müsste die Vermieterbescheinigung sein. Den Erstattungsanspruch beziehe er auf gezahlte Rundfunkbeiträge für den Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 31. August 2018, mithin Beiträge in Höhe von x €.

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Am 23. März 2020 (zugestellt am 30. März 2020) erging ein zurückweisender Widerspruchsbescheid (zur Beitragsnummer x). Rechtsgrundlage für die Erhebung des Rundfunkbeitrages sei der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 (1 BvR 1675/16 u. a.) sei eine Person, die ihrer Rundfunkbeitragspflicht nachweislich als Inhaberin oder Inhaber für die Hauptwohnung nachkomme, auf Antrag von der Rundfunkbeitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien, da dieselbe Person nicht zur Zahlung von mehr als einem Rundfunkbeitrag herangezogen werden solle. Einen behördlichen Nachweis, dass der Kläger bei der Meldebehörde mit mehr als einer Wohnung angemeldet sei, sei nicht erbracht worden. Der Umstand, dass er für mehr als eine Wohnung Rundfunkbeiträge zahle, reiche allein nicht für eine Befreiung von der Beitragspflicht aus. Um beurteilen zu können, ob sich der Kläger auch tatsächlich für eine Nebenwohnung befreien lassen könne und seit wann die Voraussetzungen für eine Befreiung gegeben seien, sei die Vorlage eines geeigneten behördlichen Nachweises erforderlich, aus dem die Haupt- und Nebenwohnung sowie das jeweilige Einzugsdatum hervorgehe (z. B. Meldebescheinigung für weitere Wohnungen oder Zweitwohnungssteuerbescheid in Kopie). Diese Nachweispflicht habe das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung ausdrücklich vorgesehen. Dieser sei der Kläger nicht nachgekommen.

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Der Kläger hat am 29. April 2020 Klage erhoben, zu deren Begründung er seine bisherigen Ausführungen vertieft, und ergänzend anführt, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht vorgeschrieben habe, dass die Inhaberschaft einer Zweit- bzw. Nebenwohnung durch die entsprechende Meldebescheinigung des Einwohnermeldeamtes oder durch einen Zweitwohnungssteuerbescheid nachgewiesen werden müsse. Vielmehr schreibe es vor, dass es für die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für eine weitere Wohnung genüge, wenn nachgewiesen werde, dass für eine Erst- bzw. Hauptwohnung ein voller Rundfunkbeitrag gezahlt werde. So liege der Fall hier. Der Beklagte habe den Kläger mit zwei Beitragsnummern versehen. Bereits daraus ergebe sich, dass eine unrechtmäßige doppelte Beitragsverpflichtung vorgelegen habe. Er habe für die Zweitwohnung für den Zeitraum 07/2018 bis einschließlich 03/2019 Rundfunkbeiträge in Höhe von x € gezahlt.

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Der anwaltlich vertretene Kläger beantragt schriftsätzlich,

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den Beitragsbescheid der Beklagten zu der Beitragsnummer x vom 22. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2020 aufzuheben, soweit der Kläger verpflichtet wird, einem Rundfunkbeitrag in Höhe von x € zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung verweist er auf seine Ausführungen in den ablehnenden Bescheiden und vertieft diese. Der Kläger sei im Zeitraum 06/2015 bis 03/2019 als Beitragsschuldner für die A-Stadt Wohnung geführt worden. Die Voraussetzungen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seien vorliegend nicht erfüllt. Ausweislich der Meldebestätigung der Stadt A-Stadt sei der Kläger mit alleiniger Wohnung in A-Stadt gemeldet. Eine Nebenwohnung habe nicht bestanden.

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Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 14. Mai 2020 (Kläger) und 3. Juni 2020 (Beklagter) ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis dazu erteilt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

19

Unter Anwendung von § 88 VwGO ist das klägerische Begehren – welches bisher als Aufhebungsantrag formuliert ist – dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Verpflichtung des Beklagten erstrebt, ihn unter Aufhebung des – von ihm konkret im Klagantrag bezeichneten – Bescheides vom 22. Januar 2020 und des Widerspruchbescheides vom 23. März 2020 von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung unter der Anschrift x in A-Stadt für den Zeitraum 07/2018 bis 03/2019 zu befreien.

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Dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers ist hingegen kein Begehren auf Rückerstattung geleisteter Rundfunkbeiträge für den Befreiungszeitraum zu entnehmen. Dem durch seinen Prozessbevollmächtigten gestellten schriftsätzlichen Antrag kann dies nicht entnommen werden, ebenso wenig wie der weiteren Klagbegründung. Zwar hat der Kläger im Widerspruchsschreiben Erstattung in Höhe von x € für den Zeitraum 18. Juli 2018 bis 31. August 2018 verlangt. Aus der bloßen Bezifferung des Streitwertes mit x € – zu der der Kläger nach § 61 GKG verpflichtet – ist, lässt sich ebenfalls kein Erstattungsbegehren herauslesen. Da der Kläger anwaltlich vertreten ist, ist der Auslegung nach § 88 VwGO insoweit Grenzen gesetzt.

21

Die so verstandene Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft, die auch im Übrigen zulässig ist. Insbesondere ist die Klagefrist nach § 74 VwGO eingehalten.

22

Die Klage ist auch begründet.

23

Der Kläger hat einen Anspruch auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für die Nebenwohnung unter der Anschrift x in A-Stadt (Beitragsnummer x) in der Zeit von 07/2018 bis 03/2019. Die entgegenstehende Ablehnung vom 22. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 23. März 2019 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.

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Maßgebend für die gerichtliche Beurteilung des Befreiungsbegehrens ist, wenn es sich – wie vorliegend – um eine Verpflichtungsklage handelt, die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 17. April 2020 – 4 A 342/18; Urteil vom 26. Februar 2020 – 4 A 271/19 –; für Anträge auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang: OVG Schleswig, Urteil vom 23. August 1993 – 2 L 37/92; VG Schleswig, Urteil vom 4. Juli 2006 – 4 A 26/06 –, Rn. 29, juris). Dem gleichgestellt ist bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung der Tag der gerichtlichen Entscheidung.

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Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Befreiung von der Pflicht zur Zahlung eines Rundfunkbeitrages aus § 4a Abs. 1 Satz 1 des 15. Staatsvertrages zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (i. V. m. dem Gesetz zum 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 16. Dezember 2011, GVOBl. SH 2011 Nr. 18, S. 345 ff.), zuletzt geändert durch den 23. Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (i. V. m. dem Gesetz zum 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag – RÄStV – vom 27. Januar 2020, GVOBl. SH 2020 Nr. 2, S. 38 ff.), im Folgenden RBStV. Aufgrund der Ratifizierung durch das Landesparlament mit ordnungsgemäß erlassenen und veröffentlichten Zustimmungsgesetzen zu den jeweiligen Rundfunkänderungsstaatsverträgen ist der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag zu geltendem Landesrecht geworden.

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Im Nachgang zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 (1 BvR 1675/16 u. a., juris) betreffend die Unvereinbarkeit der Rundfunkbeitragspflicht für Zweitwohnungen mit der Verfassung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG, hat der Gesetzgeber mit § 4a RBStV die danach geforderte Neuregelung erlassen (vgl. Gesetzesbegründung SH LT-Drs. 19/1796, S. 2, 5, 18, 21). Diese ist zum 1. Juni 2020 in Kraft getreten (§ 1 Abs. 3 des 23. RÄStV). Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift wird eine natürliche Person für ihre Nebenwohnung von der Beitragspflicht nach § 2 Abs. 1 auf Antrag befreit, wenn sie selbst, ihr Ehegatte oder ihr eingetragener Lebenspartner den Rundfunkbeitrag für die Hauptwohnung an die zuständige Landesrundfunkanstalt entrichtet.

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Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

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Der Kläger entrichtet unstreitig für die von ihm seit 2012 durchgehend bewohnte Hauptwohnung unter der Anschrift x in A-Stadt unter der Beitragsnummer x einen Rundfunkbeitrag an den Beklagten. Über diese Wohnung hat der Kläger eine Meldebescheinigung der Landeshauptstadt A-Stadt vom 4. Februar 2019 vorgelegt.

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Nach eigenen – unbestrittenen – Angaben bewohnte er zudem im Zeitraum 06/2015 bis 03/2019 eine weitere (berufliche) Wohnung unter der Anschrift x in A-Stadt. Er reichte eine Wohnungsgeberbestätigung vom 27. Februar 2019 nach § 19 Bundesmeldegesetz (BMG) ein, aus der sich der Einzug dort zum 1. Mai 2015 ergibt. Auch der Beklagte hat den Kläger als beitragspflichtigen Wohnungsinhaber dieser Wohnung bei sich unter der Beitragsnummer x angemeldet und geführt. Auf entsprechenden Zahlungsaufforderungen des Beklagten an den Kläger sind unstreitig Zahlungseingänge ersichtlich. Solche sind vom Beklagten für den streitgegenständlichen Befreiungszeitraum für die Wohnung in A-Stadt auch nicht in Zweifel gezogen worden.

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Daraus folgt, dass der Kläger bezüglich zweier Wohnungen, die er selbst bewohnt hat, gem. § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 RBStV während des streitgegenständlichen Zeitraums beitragspflichtig war. Es bedurfte danach nicht einmal der Fiktionswirkung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RBStV zur Herleitung der Beitragspflicht.

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Der Kläger hat zudem einen Befreiungsantrag gestellt. Zunächst erfolgte die „Abmeldung“ der Wohnung in A-Stadt per Internet am 7. August 2018 und es folgte ein Antrag spätestens mit Schreiben vom 8. Oktober 2018, in dem der Kläger auf einen Befreiungsantrag Bezug nahm.

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Soweit der Beklagte anführt, der Befreiung stünde entgegen, dass der Kläger nicht mit einer Hauptwohnung und einer Nebenwohnung melderechtlich erfasst gewesen sei, er keinen Nachweis nach § 4a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 RBStV erbracht habe, kann er damit nicht durchdringen.

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Zwar sieht § 4 Abs. 4 Satz 2 RBStV als Formvorschrift vor, dass die Voraussetzungen des Absatzes 1 nachzuweisen sind durch

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1. die Bezeichnung der Haupt- und Nebenwohnung, mit denen der Antragsteller bei der in § 10 Abs. 7 Satz 1 bestimmten Stelle angemeldet ist oder sich während des Antragsverfahrens anmeldet, und

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2. die Vorlage eines melderechtlichen Nachweises oder Zweitwohnungssteuerbescheids, soweit sich aus diesem alle erforderlichen Angaben ergeben, und

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3. auf Verlangen die Vorlage eines geeigneten behördlichen Nachweises, aus dem der Status der Ehe oder eingetragenen Lebensgemeinschaft hervorgeht.

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Insofern ist dem Beklagten zwar streng formal zuzugestehen, dass der Kläger nicht den Nachweis nach Nr. 2 geführt hat, da er weder einen melderechtlichen Nachweis über die Nebenwohnung in A-Stadt noch einen Zweitwohnungssteuerbescheid vorgelegt hat. Allerdings hat er nach Auffassung des Gerichts den Nachweis über das Bestehen einer Erst- und einer Zweitwohnung anderweitig unzweideutig erbracht, nämlich durch die Meldebescheinigung der Landeshauptstadt A-Stadt vom 4. Februar 2019 über die „einzige Wohnung“ in A-Stadt seit Mai 2012 – mithin über eine Hauptwohnung – und die Wohngeberbestätigung vom 27. Februar 2019 nach § 19 BMG über eine weitere Wohnung in A-Stadt seit dem 1. Mai 2015. Zudem hat der Beklagte den Kläger für zwei Wohnungen unter zwei Beitragsnummern als Beitragsschuldner im maßgeblichen Zeitraum 07/2018 bis 03/2019 im Außenverhältnis ihm gegenüber geführt und entsprechende Beitragszahlungen vom Kläger erhalten. Damit ist der Kläger entsprechend der Ausführungen und des Tenors des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (Rn. 155) nachweislich als Inhaber einer Wohnung seiner Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 RBStV nachgekommen. Auch der Landesgesetzgeber stellt bei der Neuregelung des § 4a RBStV nach der Gesetzesbegründung auf dieses – allein maßgebliche – Außenverhältnis ab (vgl. Gesetzesbegründung SH LT-Drs. 19/1796, S. 21).

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Die Vorschrift § 4a Abs. 4 Satz 2 RBStV ist jedoch nach einer verfassungskonformen Auslegung nicht abschließend. In der vorliegenden Fallkonstellation führt insbesondere der formal fehlende Nachweis nach Nr. 2 der Vorschrift nicht zur „Nichtzuerkennung“ des materiellen Anspruchs aus § 4a Abs. 1 Satz 1 RBStV. Denn wie dargestellt, sind vorliegend die Tatbestandsvoraussetzungen, die das Gesetz in § 4a Abs. 1 RBStV – in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – an die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für eine Nebenwohnung stellt, erfüllt. Es handelt sich vorliegend um den vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts umfassten klassischen Fall, in der nämlich eine Person (Personenidentität) für zwei Wohnungen im Außenverhältnis gegenüber der Landesrundfunkanstalt je einen Rundfunkbeitrag schuldet, obwohl er das Rundfunkangebot in mehreren Wohnungen zur gleichen Zeit nur einmal nutzen kann. Somit wird er zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag für die private Rundfunknutzung herangezogen. Würde allein die Formalvoraussetzung in § 4a Abs. 4 Satz 2 RBStV zur Versagung der Befreiung führen, würde mit dieser Norm in der Zusammenschau mit §§ 2 Abs. 1, 4a Abs. 1 RBStV wiederum gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. In einer solchen Fallkonstellation kann die Nachweisführung über die Voraussetzungen auch auf andere Weise erfolgen.

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Die Vorschrift des § 4a Abs. 2 Satz 2 RBStV ist der Auslegung zugänglich. Sie beinhaltet zwar dem Wortlaut nach keine ausdrückliche Öffnung im Hinblick auf anderweitig mögliche Nachweise. Es fehlt insoweit an einer bekannten Begrifflichkeit, die auf den nicht abschließenden Charakter der Norm schließen lassen könnte (z. B. durch ein „insbesondere“, „namentlich“, „regelmäßig“, „generell“). Andererseits beinhaltet die Vorschrift auch keinen apodiktischen begrifflichen Ausschluss eines anderweitigen Nachweises über das Vorliegen einer Erst- und einer Zweitwohnung („ausschließlich“, „nur durch“). Zudem heißt es in Nr. 2 nur „melderechtlicher Nachweis“, ohne nähere Konkretisierung. Insofern ist der Wortlaut nicht eindeutig. Der Wortlaut als Ausgangspunkt für die Auslegung einer Norm stellt keine unübersteigbare Grenze dar. Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (BVerfG, Beschluss vom 30. März 1993 – 1 BvR 1045/89 –, juris, Rn. 67 m. w. N.). Allerdings darf wiederum im Wege der verfassungskonformen Auslegung einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG, Beschluss vom 27. März 2012 – 2 BvR 2258/09 –, juris, Rn. 73 m. w. N.).

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Letzteres ist vorliegend nicht der Fall, da das Gesetz in § 4a Abs. 4 Satz 2 RBStV – wie dargelegt – in seinem Wortlaut gerade nicht eindeutig ist. Der Wortlaut wird auch nicht dadurch „eindeutig“ oder das gesetzgeberische Ziel dadurch verfehlt, dass der Gesetzgeber als Erläuterung zu dem entsprechenden Artikel 1 Nr. 2 des Entwurfes eines Gesetzes zum Dreiundzwanzigsten Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Dreiundzwanzigster Rundfunkänderungsstaatsvertrag) angeführt hat (Gesetzesbegründung SH LT-Drs. 19/1796, S. 22):

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„Absatz 4 regelt die Form des Antrags und die Anforderungen an den Nachweis der Befreiungsvoraussetzungen. Die Nachweise nach den Nummern 1 und 2 sind obliga- torisch zu erbringen. Mit der Vorlage eines melderechtlichen Nachweises nach Num- mer 2 weisen Antragsteller nicht nur das Innehaben mehrerer Wohnungen nach, son- dern auch, bei welcher Wohnung es sich um die Haupt- und die Nebenwohnung han- delt. Als Nachweis hierfür kann auch ein Zweitwohnungssteuerbescheid vorgelegt werden, soweit sich hieraus alle erforderlichen Angaben ergeben. Nummer 3 sieht vor, dass auf Verlangen ein geeigneter behördlicher Nachweis zu erbringen ist, aus dem der Status der Ehe oder der eingetragenen Lebenspartnerschaft hervorgeht. Entsprechend der bisherigen Praxis (§ 6 Abs. 1 der Beitragssatzungen der Landesrundfunkanstalten) ist dieses Verlangen lediglich für den Einzelfall vorgesehen.“

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Diese Begründung steht nämlich der eindeutige Sinn und der Wille des Gesetzgebers an der Regelung § 4a RBStV entgegen, der gerade in der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 u. a. – liegt, um den Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu beseitigen (vgl. Gesetzesbegründung SH, LT-Drs. 19/1796, S. 2, 5, 18, 21). Hiernach kann sein mutmaßlicher Wille nicht darin verstanden werden, dass er in derselben Vorschrift an anderer Stelle einen neuen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG herbeiführen wollte.

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Das Bundesverfassungsgericht hat unmissverständlich ausgesprochen, dass dieselbe Person für die Möglichkeit der privaten Rundfunknutzung nicht zu insgesamt mehr als einem vollen Beitrag herangezogen werden darf, da die Bemessung des Beitrags bei Zweitwohnungen gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatz der Belastungsgleichheit verstößt (vgl. BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2018 – 1 BvR 1675/16 u. a. –, juris, Rn. 105, 107). Das Bundesverfassungsgericht hat weiter ausgeführt:

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„Bei einer Neuregelung können die Gesetzgeber die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen von einem Antrag sowie einem Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche abhängig machen, um Verwaltungsschwierigkeiten zu vermeiden. Dabei können sie auch für solche Zweitwohnungsinhaber von einer Befreiung absehen, die die Entrichtung eines vollen Rundfunkbeitrags für die Erstwohnung durch sie selbst nicht nachweisen. Auf keinen Fall dürfen die Gesetzgeber aber von derselben Person Beiträge für die Möglichkeit der Rundfunknutzung über die Erhebung eines insgesamt vollen Beitrags hinaus verlangen.“
(BVerfG, a. a. O., Rn. 111)

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und:

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„Die landesgesetzlichen und staatsvertraglichen Bestimmungen sind insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, als sie gemäß § 2 Abs. 1 RBStV Zweitwohnungsinhaber mit einem zusätzlichen Rundfunkbeitrag belasten. Demnach sind die Zustimmungsgesetze und -beschlüsse der Länder, soweit sie § 2 Abs. 1 RBStV in Landesrecht überführen, im festgestellten Umfang für unvereinbar mit der Verfassung zu erklären. Bis zu einer Neuregelung haben die Gesetzgeber Inhaber von mehreren Wohnungen auf Antrag von der Beitragspflicht freizustellen, wenn diese nachweisen, dass sie bereits für ihre Erstwohnung ihrer Rundfunkbeitragspflicht nach § 2 Abs. 1 und 3 RBStV nachkommen.“
(BVerfG, a. a. O., Rn. 150).

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Mit diesen Maßgaben wäre es unvereinbar und entbehrt einer sachlichen Rechtfertigung, eine tatbestandliche Fallkonstellation – wie vorliegend – nur deshalb nicht von der Befreiung profitieren zu lassen und unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG unter dem Blickwinkel der Belastungsgleichheit mit einem doppelten Beitrag zu belasten (obwohl der Vorteil denklogisch nur einmal in dieser Person zur selben Zeit in einer Wohnung anfallen kann), weil diese Person einen anderen als vom Gesetz vorgesehenen Nachweis geführt hat. Die vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen Verwaltungsschwierigkeiten (in diesem Masseverfahren) als Rechtfertigung greifen bei einer anderen, unzweifelhaften Nachweisführung nicht.

48

Das Bundesverfassungsgericht hat – anders als der Beklagte meint – auch nicht ausdrücklich für eine zukünftige (verfassungskonforme) Regelung für Zweitwohnungen vorgegeben, dass ein melderechtlicher Nachweis über die Haupt- und Nebenwohnung zu führen ist, sondern lediglich einen Nachweis der Anmeldung von Erst- und Zweitwohnung als solche (vgl. Rn. 111). Dies entspricht der Vorgabe in § 4a Abs. 4 Nr. 1 RBStV, also der Anmeldung gegenüber der zuständigen Landesrundfunkanstalt unter entsprechender Bezeichnung. Eine solche hat der Kläger allerdings erbracht, indem er beide Beitragsnummern zu seiner Person und Benennung beider Wohnungen als Haupt- und Nebenwohnung gegenüber dem Beklagten bezeichnet hat. Dies deckt sich mit den jeweiligen Ein-/Auszugsdaten. Mit diesem Erfordernis werden zugleich die vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen Verwaltungsschwierigkeiten vermieden. Darüber hinaus hat der Kläger noch eine Meldebestätigung der Landeshauptstadt A-Stadt für die Wohnung in A-Stadt als einzige Wohnung – mithin Hauptwohnung – seit Mai 2012 und eine am 27. Februar 2019 datierte Wohnungsgeberbestätigung nach § 19 BMG für eine weitere Wohnung in A-Stadt über denselben Zeitraum 07/2018 bis 03/2019 eingereicht. Insofern hat er nachgewiesen, über zwei Wohnungen gleichzeitig zu verfügen, für die er gegenüber dem Beklagten im Außenverhältnis nachweislich den Beitrag als Schuldner gezahlt hat. Daran ändert sich nichts dadurch, dass sich nicht eindeutig ergibt, welche Wohnung „melderechtlich“ Haupt- und welche Nebenwohnung ist. Allerdings ergibt sich die Unterscheidung in Haupt- und Nebenwohnung bereits aus der Bezeichnung nach § 4a Abs. 4 Nr. 1 RBStV. Beitragsrechtlich – bzw. befreiungsrechtlich – macht die Unterscheidung keinen Unterschied, wie § 4a Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 RBStV verdeutlichen. Es kann allenfalls für spätere Zeiträume zu Zahlungsverzögerungen kommen, wenn ein Wohnungsinhaber tatsächlich für die Hauptwohnung – anstelle der Nebenwohnung – befreit wird und für die Nebenwohnung weiterhin als beitragspflichtig geführt wird und zahlt. Wird diese (Neben-)Wohnung aufgegeben und abgemeldet (was in der Lebensrealität eher bei einer Nebenwohnung als bei einer Hauptwohnung – als vorwiegend benutzte Wohnung, vgl.§ 21 Abs. 2 BMG – zu vermuten ist), würde ein Wohnungsinhaber zunächst komplett aus der zeitnahen Erfüllung seiner Beitragspflicht für die Hauptwohnung herausfallen, bis er sich selbst wieder für diese anmeldet. In dem Masseverfahren des Rundfunkbeitragsrechts ist es kaum denkbar, dass die Landesrundfunkanstalten bei allen Zweitwohnungsbesitzern regelmäßig eine Überprüfung auf Aktualität durchführen können. Allerdings sind sie für den Fall der nicht freiwilligen (Wieder-)Anmeldung der Hauptwohnung wegen des ab 2022 alle vier Jahre stattfindenden Meldedatenabgleichs (§ 11 Abs. 5 RBStV) nicht rechtsschutzlos gestellt. Der Gesetzgeber hat diesen regelmäßigen Meldedatenabgleich extra deshalb eingeführt, um die Rundfunkanstalten in die Lage zu versetzen, die Beitragspflicht für Erst- und Zweitwohnungen auch langfristig auf einer möglichst validen Datenbasis umzusetzen (vgl. Gesetzesbegründung SH LT-Drs. 19/1796, S. 2). Im Übrigen trifft den Beitragsschuldner eine unverzügliche Mitteilungspflicht bei Änderung des Wohnstatus‘ (§ 4a Abs. 3 Satz 2 RBStV). Rückständige Beiträge für eine Hauptwohnung könnten dann nach § 10 Abs. 5 Satz 1 RBStV festgesetzt werden. Die Gefahr der Verjährung besteht mangels Kenntnis des Schuldners (vgl. § 7 Abs. 4 RBStV i. V. m. §§ 195, 199 Abs. 1 BGB) nicht.

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Weiterhin ist der RBStV mit dem in § 4a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 RBStV aufgestellten Formerfordernis in sich nicht konsistent, so dass auch die systematische Auslegung für eine Öffnung der Nachweisführung spricht. Denn das Gesetz knüpft die Beitragspflicht an die Wohnungsinhaberschaft an, die in erster Linie aus § 2 Abs. 2 Satz 1 RBStV resultiert, nämlich, dass die (volljährige) Person die Wohnung selbst bewohnt – wie vorliegend. Erst nachrangig greift die Vermutungsregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 RBStV (im Sinne einer Beweislastumkehr zu Gunsten der Landesrundfunkanstalt), wonach als Inhaber jede Person vermutet wird, die dort nach dem Melderecht gemeldet ist (Nr. 1) oder im Mietvertrag für die Wohnung als Mieter gemeldet ist (Nr. 2). Daraus folgt, dass zwar das tatsächliche Wohnen (Satz 1) oder der Nachweis durch einen Mietvertrag (Satz 2 Nr. 2) zur positiven Beitragspflicht führt, ein vergleichbarer Vortrag oder Nachweis für das Innehaben einer weiteren Wohnung (Nebenwohnung) für die Befreiung aber nicht ausreichend sein soll.

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Es wäre darüber hinaus ein widersprüchliches Verhalten des Beklagten zu konstatieren, wenn er den Kläger einerseits mit zwei Wohnungen unter zwei Beitragsnummern (x und x) führt, zur Zahlung auffordert und diese vereinnahmt, andererseits aber die Existenz einer Nebenwohnung mangels Nachweises im Sinne von § 4a Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 RBStV verneint.

51

Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass die meldepflichtige Person der Meldebehörde selbst mitteilt, welche von mehreren Wohnungen im Inland sie hat und welche Wohnung ihre Hauptwohnung ist (§ 21 Abs. 4 Satz 1 BMG). Darauf basiert dann die ausgestellte Meldebescheinigung.

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Die Kammer hat in einem Urteil vom 26. Februar 2020 (4 A 271/19) Ausführungen zur Verbindlichkeit des Melderechts betreffend Haupt- und Nebenwohnung bei einem Befreiungsverfahren betreffend die Nebenwohnung gemacht. Dort heißt es auf Seite 7-9:

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„Die Kammer ist bei der Beurteilung der Frage, ob eine Erst- oder Zweitwohnung vorliegt, nicht an den Inhalt der vorgelegten Meldebescheinigung gebunden. Die Meldebescheinigung im Sinne von § 18 Abs. 1 BMG ist kein Verwaltungsakt, sondern schlicht-hoheitliches Verwaltungshandeln (Süßmuth/Laier, Bundesmeldegesetz Kommentar 2. Aufl., Stand: Juni 2014, § 18 Rn. 7). Als öffentliche Urkunde im Sinne von § 415 ff. ZPO beweist die Meldebescheinigung lediglich, dass die in ihr enthaltenen Angaben über den Einwohner im Melderegister gespeichert sind. Ob diese zum Zeitpunkt der Ausstellung auch richtig und vollständig waren, kann mit ihr nicht belegt werden. Sie beruht auf den im Melderegister gespeicherten, vom Betroffenen in aller Regel selbst angegeben Daten zu seiner Person und stellt auf den Kenntnisstand der Meldebehörde im Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung ab (Süßmuth/Laier, Bundesmeldegesetz Kommentar 2. Aufl., Stand: Juni 2014, § 18 Rn. 5).

54

Vor diesem Hintergrund sowie im Hinblick auf den Umstand, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 (Az. 1 BvR 1675/16) übergangsweise geregelt hat, dass auf Antrag von einer Beitragspflicht für weitere Wohnungen zu befreien ist, wer nachweislich als Inhaber seiner Erstwohnung seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkommt (BVerfG a. a. O., Rn. 155, juris) und damit das Innehaben einer Erstwohnung zum Tatbestandsmerkmal bestimmt hat, sieht sich die Kammer dazu berufen, diese Tatsachenfrage jedenfalls dann selbst zu überprüfen, wenn Zweifel am Vorliegen einer Erstwohnung bestehen. Auch im Bereich des Zweitwohnungssteuerrechts ist anerkannt, dass die Zweitwohnungssteuerpflicht grundsätzlich an die melderechtlichen Verhältnisse anknüpfen darf; sind diese indes nachweislich unrichtig, kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse an (BVerwG, Urteil vom 17. September 2008 – 9 C 17/07 –, juris; Süßmuth/Laier, Bundesmeldegesetz Kommentar 2. Aufl., Stand: Juni 2014, § 21 Rn. 7). Soweit das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht hiervon abweichend davon ausgeht, dass dem Melderecht im Zweitwohnungssteuerrecht nicht nur Indiz-, sondern Tatbestandswirkung zukomme (vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 6. August 2015 – 2 LB 7/15 –, Rn. 27, juris), folgt die Kammer dieser Auffassung für den Bereich des RBStV nicht. Zum einen ist die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von anderen Oberverwaltungsgerichten durchaus aufgegriffen worden (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. Januar 2010 – 9 LA 318/08 –, Rn. 2, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Februar 2013 – 2 S 2515/12 –, Rn. 13, juris), zum anderen wird vorliegend – anders als im Zweitwohnungssteuerrecht – Bundesrecht angewendet (vgl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 3 GG) und liegt eine dem Zweitwohnungssteuerrecht nicht vergleichbare Interessenlage zugrunde, die einer zu erwartenden vom Betroffenen ausgehenden Korrektur unrichtiger Meldedaten (vgl. zu diesem Argument: OVG Schleswig, Urteil vom 6. August 2015 – 2 LB 7/15 –, Rn. 27, juris) entgegenwirkt.

55

Etwas anderes ergibt sich auch nicht in Zusammenschau mit dem RBStV. Die Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 RBStV greift nur im Rahmen einer Vermutungsregelung auf das Melderecht zurück. Die Vermutung bezieht sich dabei allein auf die Inhaberschaft einer Wohnung, nicht aber darauf, ob diese Wohnung als Erst- oder Zweitwohnung bewohnt wird. Im Übrigen wollte der Gesetzgeber mit der Anknüpfung an das Melderecht eine Beweislastumkehr normieren, auf Grund derer die in Abs. 2 Satz 2 genannten Personen nachweisen müssen, dass sie tatsächlich nicht Inhaber der jeweiligen Wohnung sind (Beck RundfunkR/Göhmann/Schneider/Siekmann, 4. Aufl. 2018, RBeitrStV § 2 Rn. 21). Diese Beweislastumkehr wirkt ausschließlich zugunsten des Beklagten. Demgegenüber war nicht bezweckt, den Inhaber einer unrichtigen Meldebescheinigung von einer Beweislastumkehr zu seinen Gunsten profitieren zu lassen.

56

Dies zugrunde gelegt, geht das Gericht davon aus, dass der Kläger jedenfalls deshalb nicht als der Inhaber seiner Erstwohnung seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkommt, weil es sich bei der als Hauptwohnsitz gemeldeten Wohnung in xum keine Hauptwohnung im Sinne von § 21 Abs. 2 BMG handelt. § 22 Abs. 3 BMG findet auf den Kläger keine Anwendung.

57

Hat ein Einwohner – wie vorliegend der Kläger – mehrere Wohnungen im Inland, so ist eine dieser Wohnungen seine Hauptwohnung, § 21 Abs. 1 BMG. Hauptwohnung ist nach Absatz 2 dieser Vorschrift die vorwiegend benutzte Wohnung des Einwohners. Nebenwohnung ist nach Absatz 3 jede weitere Wohnung des Einwohners im Inland.

58

Welche von mehreren Wohnungen vorwiegend benutzt wird und somit Hauptwohnung ist, ist anhand einer rein quantitativen Betrachtung und ohne Gewichtung der Aufenthaltszeiten zu bestimmen. Mit dem gesetzlichen Anliegen einer raschen und zuverlässigen Bestimmung der Hauptwohnung wäre es nicht zu vereinbaren, wenn diese zusätzlich von der Ermittlung des Schwerpunkts der Lebensbeziehungen des Meldepflichtigen abhinge (BVerwG, Urteil vom 20. März 2002 – 6 C 12/01 –, Rn. 21, juris). Der Aufenthalt in der Wohnung selbst ist nur dann Vergleichsmaßstab, wenn sich beide zu vergleichende Wohnungen in derselben politischen Gemeinde befinden. Anderenfalls bestimmt sich die vorwiegende Benutzung nach dem Aufenthalt in der politischen Gemeinde, in der sich die jeweilige Wohnung befindet (OVG NRW, Beschluss vom 10. Juli 2018 – 19 A 1060/16 –, Rn. 4 f., juris m. w. N.; Süßmuth/Laier, Bundesmeldegesetz Kommentar 2. Aufl., Stand: Juni 2014, § 21 Rn. 17).“

59

Diese Rechtsprechung fortführend folgt daraus für den vorliegenden Fall, dass es bei Zweifeln über die Haupt- und Nebenwohnung Aufgabe der Kammer wäre, diese Tatbestandsmerkmale anhand der melderechtlichen Vorgaben §§ 20 ff. BMG zu prüfen. Solche Zweifel mag das Gericht vorliegend wegen der Personenidentität des Klägers als jeweiligen Wohnungsinhaber und dessen jeweilige Angaben und Nachweise zu den beiden Wohnungen nicht erkennen.

60

Im Übrigen steht die vorgenommene Auslegung im Einklang mit dem eigenen „Verhalten“ des Beklagten, der in dem Widerspruchsbescheid selbst eine Öffnung für die Nachweisführung angesprochen hat, woraus zu entnehmen ist, dass er selbst keine abschließende Bindung durch § 4a Abs. 4 Nr. 2 RBStV annimmt. Dort heißt es:

61

„Um beurteilen zu können, ob sich der Antragsteller auch tatsächlich für eine Nebenwohnung befreien lassen kann und seit wann die Voraussetzungen für eine Befreiung gegeben sind, ist die Vorlage eines geeigneten behördlichen Nachweises erforderlich, aus dem die Haupt- und die Nebenwohnung sowie das jeweilige Einzugsdatum hervorgehen (z. B. Meldebescheinigung für beide Wohnungen oder Zweitwohnungssteuerbescheid in Kopie). Diese Nachweispflicht hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 18. Juli 2018 ausdrücklich vorgesehen.“

62

Bezüglich der letztzitierten Aussage liegt – wie dargestellt – bei dem Beklagten ein Irrtum hinsichtlich der Ausgestaltung der Nachweispflicht vor.

63

Aus Vorstehendem folgt, dass der Kläger seiner Nachweispflicht nachgekommen ist.

64

Die Befreiung erfolgt gem. § 4a Abs. 2 RBStV unbefristet. Sie beginnt mit dem Ersten des Monats, in dem die Voraussetzungen nach Absatz 1 vorliegen, wenn der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 1 gestellt wird. Die Voraussetzungen waren vorliegend einerseits mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018, mit dem die Zustimmungsgesetze der Länder zu Artikel 1 des 15. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, soweit sie § 2 Abs. 1 RBStV in Landesrecht überführen, als mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hat gegeben. Damit konnte eine Befreiung grundsätzlich frühestens mit dem Ersten des Monats Juli 2018 erfolgen. Andererseits waren die Voraussetzungen des Absatzes 1 mit dem Innehaben der Wohnung in A-Stadt durch den Kläger erfüllt, die dieser bereits am 18. Juli 2018 bewohnte. Da der Antrag vom Kläger spätestens mit dem Schreiben vom 8. Oktober 2018 gestellt wurde, erfolgte dies binnen drei Monaten danach, so dass die Befreiung ab dem 1. Juli 2018 zu gewähren war. Sie ist jedoch zeitlich begrenzt bis zur Aufgabe der Wohnung am 31. März 2019. Der Kläger verfolgt mit seiner Klage jedoch auch nur die Befreiung für diesen Zeitraum.

65

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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