Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (12. Kammer) - 12 A 231/17
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Bescheid vom 20. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2017 rechtswidrig war.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand.
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Der im Jahr 19… geborene Kläger stand seit dem Jahr 1993 als Polizeibeamter im Dienste des Landes Schleswig-Holstein. Er wurde zuletzt im Jahr 2004 zum Polizeioberkommissar befördert und hatte einen Dienstposten als stellvertretender Leiter der Hundestaffel im Polizei-Bezirksrevier B-Stadt inne. Im Jahr 2011 wurde bei ihm eine Multiple Sklerose mit intermittierenden Schüben diagnostiziert, aufgrund derer ihm auch eine Schwerbehinderung von 50 % zuerkannt wurde. Vom 25. Februar 2011 bis zum 28. April 2013 war er dienstunfähig krankgeschrieben. In einem polizeiärztlichen Gutachten vom 6. Dezember 2012 stellte Dr. Xxx fest, dass er während der Krankheitsschübe komplett arbeitsunfähig, zwischen den Schüben aber voll im Rahmen des Vollzugsdienstes und für alle Aufgaben im Verwaltungsdienst einsetzbar sei und auch den bisherigen Arbeitsplatz ausfüllen könne. Nachtdienst sei möglichst zu vermeiden, stundenweise Nachtdienstanteile seien möglich.
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In die Zeit der Krankschreibung fielen drei Wiedereingliederungsmaßnahmen, von denen die ersten beiden, durchgeführt an seiner bisherigen Dienststelle, abgebrochen wurden. Im März und April 2013 führte der Kläger erfolgreich die dritte Wiedereingliederungsmaßnahme als Ausbilder von Diensthunden und Diensthundeführern in Eutin durch.
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Am 29. April 2013 trat der Kläger regulär den Dienst auf seiner alten Dienststelle an. Am 24. Juni 2013 erhielt der Dienstvorgesetzte eine Empfehlung des Polizeiarztes Xxx, ihn aufgrund von kognitiven Veränderungen während der Schübe, die dieser nicht zwangsläufig selbst bemerken würde, weder an der Dienstwaffe noch im KFZ Dienst ausüben zu lassen. Der Dienstvorgesetzte teilte ihm daraufhin mit, dass er ihn für dienstunfähig halte und ihn vom Dienst suspendiere. Anschließend wurde er vom Polizeiarzt weiter krankgeschrieben. Eine am 11. Juli 2013 erfolgte Untersuchung durch Dr. Xxx ergab allerdings keine Auffälligkeiten.
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Aufgrund von regulärem Erholungsurlaub und Urlaubsansprüchen aus dem vorherigen Jahr (90 Tage), Überstundenabbau (13 Tage), Krankschreibungen (64 Tage), AZV-Tagen (4 Tage) und einer Fortbildung (3 Tage) verrichtete der Kläger vom 29. April 2013 bis zum 18. Februar 2014 insgesamt nur an 30 von 207 Arbeitstagen Tagen regulären Dienst. Danach war er bis zur streitgegenständlichen Zurruhesetzungsverfügung vom 20. Dezember 2016 erneut durchgängig krankgeschrieben.
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Aufgrund der fortdauernden Krankschreibungen stellte der Dienstvorgesetzte des Klägers am 18. Juni 2014 einen Antrag auf Prüfung der Dienstfähigkeit. In einem Fachärztlichen Gutachten der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Xxx von Prof. Dr. Xxx vom 28. November 2014 hieß es zusammenfassend, trotz aktuell nur geringer neurologischer Symptome liege wegen einer krankheitsbedingten Störung der Augenfolgebewegung und daraus resultierender Probleme beim Schusswaffengebrauch eine Polizeidienstunfähigkeit vor. Eine weitere Berufstätigkeit im Verwaltungsdienst sei mit den aktuellen neurologischen Symptomen ohne Probleme möglich.
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Ausgehend von diesem ärztlichen Gutachten stellte der Dienstvorgesetzte des Klägers am 7. Mai 2015 fest, dass er den Kläger für polizeidienstunfähig, aber noch beamtendienstfähig halte. Mit Schreiben vom 12. Juni 2015 teilte der Beklagte mit, dass er sich dieser Feststellung anschließe. Da eine alternative Verwendung aufgrund des geringen Lebensalters des Klägers und der begrenzten Zahl an geeigneten Dienstposten nicht tunlich sei, sei ein Laufbahnwechsel beabsichtigt. Daher solle der Kläger eine Hospitation in der Verwaltung der Polizeidirektion B-Stadt durchführen. Hiergegen legte der Kläger, der dieses Schreiben als Verwaltungsakt wertete, Widerspruch ein.
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Am 24. Juni 2015 bot der Beklagte dem Kläger eine Wiedereingliederungsmaßnahme bei der Polizeidirektion B-Stadt an, die dieser nicht antrat.
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Am 8. September 2015 beantragte der Dienstvorgesetzte des Klägers die Prüfung auch der Beamtendienstfähigkeit, woraufhin das Landespolizeiamt eine amtsärztliche Untersuchung beauftragte.
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Der Amtsarzt Dr. Dr. Xxx untersuchte den Kläger am 29. Dezember 2015, am 24. März 2016 und am 9. August 2016. Zusätzlich wurden ein fachpsychologisches Ergänzungsgutachten durch Dr. Xxx vom 18. Februar 2016 und ein augenärztliches Ergänzungsgutachten durch Dr. Xxx vom 22. Juni 2016 eingeholt. Beide Ergänzungsgutachten konnten keine Auffälligkeiten beim Kläger feststellen. In seiner abschließenden amtsärztlichen Stellungnahme vom 22. August 2016 stellte Dr. Dr. Xxx fest, dass sich bei den von ihm durchgeführten körperlichen Untersuchungen keine Befunde von Krankheitswert im Hinblick auf die neurologische Systemerkrankung fänden. Leistungseinschränkungen bestünden lediglich hinsichtlich repetierender Folgebewegungen, die Arbeiten bspw. an einem Computer nur in zeitlich sehr begrenztem Umfang erlaubten. Bei einem Einsatz im Verwaltungsbereich solle zudem auf Tätigkeiten ohne besonderen Zeitdruck geachtet werden. Eine Prognose sei aufgrund der Art der Erkrankung schwierig, mit einem langsamen Fortschreiten sei jedoch zu rechnen. Bis auf die genannten Einschränkungen bestehe uneingeschränkte Beamtendienstfähigkeit. Darüber hinaus könne sogar die Frage der Polizeidienstfähigkeit (z.B. als Diensthundeführer) im Rahmen einer Reaktivierungsmaßnahme geprüft werden.
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Daraufhin stellte der Dienstvorgesetzte die uneingeschränkte Beamtendienstfähigkeit des Klägers fest und es wurde vereinbart, den weiteren Ablauf bei seinem Dienstantritt nach dem Ende der noch andauernden Krankschreibung am 1. November 2016 zu besprechen. Bei diesem Dienstantritt wurde ihm mündlich eine Hospitation in der Wirtschaftsverwaltungsabteilung angeboten und in einem weiteren Gespräch am 10. November 2016 der genaue Inhalt des Hospitationsangebotes vorgestellt. Der Kläger legte daraufhin eine ärztliche Bescheinigung von Dr. Xxx vom 11. November 2016 vor, in der das Hospitationsangebot wegen des Arbeitsprofils u.a. am PC als nicht zielführend eingestuft wurde. Er machte zudem geltend, Anspruch auf eine Wiedereingliederungsmaßnahme auf seinem bisherigen Posten als stellvertretender Leiter der Diensthundestaffel bzw. hilfsweise auf einem anderen gleichwertigen Dienstposten zu haben. Wegen eines MS-Schubs wurde er ab dem 11. November 2016 erneut krankgeschrieben.
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Der Kläger bewertete das Gespräch am 1. November 2016 als auslösend für den neuerlichen Krankheitsschub und versuchte in einem Amtshaftungsprozess, hieraus Ansprüche wegen Dienstunfalls geltend zu machen (LG B-Stadt, 8 O 11/16, Klage abgewiesen).
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Mit Schreiben vom 17. November 2016 stellte der Dienstvorgesetzte auch die allgemeine Dienstunfähigkeit des Klägers fest. Der Beklagte erließ daraufhin den streitgegenständlichen Zurruhesetzungsbescheid vom 20. Dezember 2016, der dem Bevollmächtigten des Klägers am 6. Januar 2016 zuging. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass von 2011 bis 2014 bereits ca. 850 krankheitsbedingte Fehltage des Klägers angefallen seien. Wegen der Unmöglichkeit der Verrichtung von Aufgaben unter gesteigertem Zeitdruck sei sein Einsatz im vollzugspolizeilichen Bereich ausgeschlossen. Die hinzutretenden Einschränkungen hinsichtlich der Arbeit am PC schränkten seine Verwendung weiter ein. Bereits die Zahl seiner Fehltage sei ein Indiz für die Richtigkeit der Feststellung der Beamtendienstunfähigkeit. Dafür sprächen auch die nicht realisierten Versuche einer Hospitation im Verwaltungsbereich. Es sei für ihn schon problematisch gewesen, die Treppen zum vorgesehenen Arbeitsplatz zu überwinden. Trotz der Tatsache, dass sich im Jahr 2016 bislang kein Schub, 2015 lediglich ein Schub und 2014 zwei Schübe ereignet hätten, sei er nicht in der Lage, wenigstens im Rahmen einer differenzierten Krankschreibung den Dienst aufzunehmen. Einer Suchpflicht nach einer geeigneten Verwendung stünden seine offenkundige Unfähigkeit, auch nur eine rudimentäre Dienstleistung anzubieten, und das Unvermögen, die Hospitation durchzuführen, entgegen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2017 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Mittelung vom 12. Juni 2015, in der er dessen Polizeidienstunfähigkeit festgestellt hatte, als unzulässig zurück. Zur Begründung hieß es u.a., es handele sich bei diesem Schreiben nur um einen unselbständigen Teil des Verfahrens ohne Verwaltungsaktcharakter.
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Unter dem 31. Januar 2017 legte der Kläger gegen die streitgegenständliche Zurruhesetzungsverfügung vom 20. Dezember 2016 Widerspruch ein, ohne diesen zunächst zu begründen.
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Am 13. Februar 2017 erhob er Anfechtungsklage gegen die Mitteilung vom 12. Juni 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2017. Diese Klage wurde unter Verweis auf § 44a VwGO durch Prozessurteil als unstatthaft abgewiesen (VG Schleswig, Urteil vom 11. September 2017, Az. 11 A 9/17).
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Unter dem 4. Oktober 2017 begründete der Kläger den Widerspruch gegen die Zurruhesetzungsverfügung im Wesentlichen wie folgt: Die Suchpflicht nach § 109 HS 2 LBG habe Vorrang vor einer anderweitigen Verwendung außerhalb des Polizeivollzugsdienstes nach § 26 Abs. 1 S. 3 BeamtStG. Dieser Suchpflicht sei der Beklagte nicht nachgekommen Der Bescheid weiche ohne eine Ergänzungsbegutachtung vom amtsärztlichen Gutachten ab. Eine generelle Einschränkung hinsichtlich der Verrichtung von PC-Arbeit bestehe nicht und ergebe sich auch nicht aus den Gutachten, vielmehr gehe es in den Gutachten um feinmotorische Probleme bei längeren PC-Schreibtätigkeiten. Darüber hinaus solle nur besonderer Zeitdruck bei der Ausführung dieser Tätigkeiten vermieden werden. Der Bescheid überzeichne seine Einschränkungen erheblich. Die Fehltage seien zu erheblichen Teilen aus rein formalen Gründen zustande gekommen. Denn der frühere Leitende Polizeiarzt der Landespolizei Dr. Xxx habe die Auffassung vertreten, dass ein Beamter, der von seinem Dienstvorgesetzten für dienstunfähig gehalten werde und gegen den ein Dienstunfähigkeitsfeststellungsverfahren eingeleitet sei, dienstunfähig krankgeschrieben werden müsse, weil der Dienstvorgesetzte ihn nicht einsetzen dürfe. Deswegen sei keine differenzierte Krankschreibung erfolgt. Darüber hinaus sei auch die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit aufgrund des Xxx-Gutachtens zweifelhaft. Eine Störung der Augenfolgebewegung sei zum Zeitpunkt der Begutachtung nicht feststellbar gewesen. Das Xxx-Ergänzungsgutachten belege zudem, dass keine Einschränkung bei der schnellen Entscheidung im Bereich der Gefahrenabwehr bestehe. Das Wiedereingliederungsmanagement sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, sodass das Hospitationsangebot nicht leidensgerecht gewesen sei. Es sei zudem nur wegen eines neuen, sich anbahnenden Schubes abgebrochen worden, und nicht, weil er zu der Hospitation nicht in der Lage gewesen sei. Die Schübe in den Jahren 2015 und 2016 seien nur durch psychische Belastungen aufgrund des Konfliktes mit dem Dienstvorgesetzten, der ihn unbedingt aus dem Vollzugsdienst entfernen wolle, ausgelöst worden.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23. November 2017, dem Verfahrensbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 28. November 2017, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung vertieft er die Begründung des Ausgangsbescheides und verweist zudem auf den Vortrag des Klägers in dem Amtshaftungsverfahren am Landgericht B-Stadt, der dort zahlreiche körperliche Beschwerden benannt habe, die über das im Gutachten von Dr. Dr. Xxx hinausgingen, sowie auf die festgestellte Schwerbehinderung von 50 %. Die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit sei ermessensfehlerfrei erfolgt. Aus § 109 HS 2 LBG ergebe sich keine Tatbestandseinschränkung, sondern nur eine Ermächtigung des Dienstherrn, den Polizeibeamten nach seinem Ermessen weiter im Vollzugsdienst zu verwenden. Aufgrund der geringen Anzahl an Arbeitsplätzen mit geringeren gesundheitlichen Anforderungen und des Alters des Klägers, der einen der wenigen verfügbaren Plätze für einen sehr langen Zeitraum blockieren würde, habe man sich gegen eine Weiterbeschäftigung entschieden. Die Abweichung vom amtsärztlichen Gutachten aufgrund der im Bescheid genannten Umstände sei nicht zu beanstanden, da der Arzt lediglich Sachverständiger sei.
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Hiergegen hat der Kläger am 28. Dezember 2017 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen den Vortrag aus der Widerspruchsbegründung. Um im Rahmen der Zurruhesetzung seinen Vortrag im Amtshaftungsprozess zu verwerten, hätte dieser ebenfalls zum Gegenstand der Gutachten gemacht werden müssen. Denn inhaltlich sei sein Leidensquantum bereits Gegenstand der Begutachtungen gewesen, und dennoch seien die Ärzte zu einer Einschätzung als beamtendienstfähig gelangt. Es treffe zudem nicht zu, dass er in drei Jahren an rund 850 Tagen arbeitsunfähig gewesen sei. Dies sei bereits rechnerisch unmöglich, da drei Jahre insgesamt nur rund 660 Arbeitstage hätten. Viele der Tage, an denen kein Dienst verrichtet worden sei, seien nachgeholter Erholungsurlaub und Sonderurlaub gewesen. Die Zahlen seien insgesamt „aufgeblasen“, so sei er beispielsweise in der Zeit vom 29. April bis zum 24. Juni 2013 nur an 16 von 35 Arbeitstagen ausgefallen. Zudem sei er in mindestens zwei Fällen faktisch suspendiert worden, da sein Dienstvorgesetzter ihn mit der Behauptung, er sei dienstunfähig, nach Hause geschickt habe (Oktober 2012 und 24. Juni bis 15. Juli 2013). Der Polizeiarzt habe ihn daraufhin zwangsweise krankgeschrieben. Diese Zwangskrankschreibung sei nach der Einleitung des Verfahrens zur Begutachtung seiner Dienstfähigkeit fortgesetzt worden.
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Mit aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2019 ergangenem Beweisbeschluss vom 27. Juni 2019 hat das Gericht zu der Frage der Polizeidienstfähigkeit des Klägers ein Sachverständigengutachten eingeholt. In seinem daraufhin erstellten Gutachten vom 14. April 2020, dem auch ein neuropsychologisches Zusatzgutachten von Dr. Xxx zugrunde lag, kam Professor Drx zu dem Ergebnis, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides polizeidienstfähig war. Er führte zusammenfassend u. a. aus:
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„Bei der klinischen Vorstellung hier am 21. Februar zur neuropsychologischen Testung und am 16. März zur neurologischen Untersuchung präsentierte sich ein klinisch und neuropsychiatrisch wenig beeinträchtigter Patient. In den meisten neuropsychologischen Funktionstests erbrachte Herr x. überdurchschnittliche Leistungen. Es fand sich kein Anhalt für eine Depression und allenfalls ein geringgradiges Fatigue-Syndrom. In der klinischen Untersuchung war eine diskrete Gangunsicherheit nachweisbar sowie eine Feinmotorikstörung der linken Hand, die nur im formalen Test mit dem Neun-Loch-Stecktest deutlich wurde. Insgesamt ist bei einem Krankheitsverlauf über sicher 9, möglicherweise 15 Jahre von einer eher gutartigen multiplen Sklerose auszugehen, wobei hier ein möglicher Therapieeffekt von Avonex und Tecfidera nicht vom natürlichen Verlauf getrennt werden kann. […]. Ohne Zweifel ist Herr x. bei der aktuellen Präsentation polizeidienstfähig und beamtendienstfähig. Auch Sondereinsätze oder Schichtdienst scheinen verantwortbar. Insgesamt zeigt sich der Krankheitsverlauf nach mindestens 9, möglicherweise 15 Jahren stabil. Auch das MRT zeigt keine Krankheitsaktivität. Degenerative Veränderungen sind nicht beschrieben. Natürlich ist es denkbar, dass in Phasen von Krankheitsaktivität der MS Arbeitsunfähigkeit gegeben ist. Grundsätzlich kann aber davon ausgegangen, dass die Schübe der Erkrankung sich ankündigen und danach das Leben ausgerichtet werden kann. Keinesfalls ist bei jedem Schub von einer 4-wöchigen Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Schübe können relativ blande verlaufen. […] Bei der aktuellen Untersuchung hier waren die Augenbewegungen unauffällig und eine sakkadierte Blickfolge konnte wie auch in mehreren Voruntersuchungen nicht erneut festgestellt werden. Auch der Visus war regelrecht, wie bereits von Herrn Dr. Xxx 2016 attestiert. […]“
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens wird auf Band II, Bl. 244 der Gerichtsakte verwiesen.
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Mit Bescheid vom 1. Juli 2020 hat der Beklagte die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben.
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Nach Umstellung der Klage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage macht der Kläger nunmehr geltend, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit zu haben, weil er einen Amtshaftungsprozess anstrebe. Er beabsichtige, den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, weil er im Jahr 2017 aufgrund der Zurruhesetzung nicht zum Polizeihauptkommissar befördert worden sei, sondern ein anderer, dienstjüngerer Polizeioberkommissar des Reviers, der POM Xxx Xxx. Sein alter Dienstposten sei seinerzeit noch als eine sog. G-Stelle ausgewiesen gewesen, auf der eine Beförderung nicht möglich gewesen sei. Während seiner Krankschreibung habe der POM Xxx die Stellvertreteraufgaben übernommen. Die Stelle sei später aufgrund der Führungsaufgaben als F-Stelle neu ausgewiesen worden, sodass nunmehr eine Beförderung möglich gewesen sei. Zum 1. Juli 2018 sei dann der POM Xxx ohne eine Ausschreibung des Dienstpostens darauf befördert worden. Da es sich um eine Hundeführerstelle gehandelt habe, seien überhaupt nur er und der Kollege hierfür in Betracht gekommen. In seiner letzten Beurteilung zum 1. Oktober 2014 sei er mit der Gesamtnote „B“ beurteilt worden. Eine erneute Beurteilung wäre - gegebenenfalls unter Nachzeichnung, Ziffer 10 der Beurteilungsrichtlinien analog - jedenfalls nicht schlechter ausgefallen. Die Beurteilungsrichtlinien und der Erlass vom 10. Februar 2020 über die Nachzeichnung von dienstlichen Beurteilungen bei Freistellung seien anzuwenden, da er schwerbehindert sei und die in Rede stehenden Ausfallzeiten wegen krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit auf der Schwerbehinderung beruhten. Andernfalls verstoße der Beklagte gegen das Verbot, Schwerbehinderte zu diskriminieren. Durch die nicht erfolgte Beförderung seien ihm die Bezüge einer höheren Besoldungsgruppe entgangen.
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Zudem wolle er den Beklagten auch wegen ausgefallener Schichtdienstzeiten in Anspruch nehmen. Ohne seine Zurruhesetzung sei seine Arbeitszeit nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und 7 der Arbeitszeitverordnung (AZVO) SH in Verbindung mit Ziffer 4.2.1 des einschlägigen Arbeitszeitenerlasses vom 2. Januar 2019 mittlerweile um 3 Stunden wöchentlich zu reduzieren, weil er seit 20 Jahren im Schichtdienst tätig sei. Außerdem stünden ihm auch Erschwerniszulagen nach §§ 1 und 4 der Erschwerniszulagenverordnung (EZulVO) zu, die ihm gezahlt worden wären, wenn er Dienst zu ungünstigen Zeiten verrichtet hätte.
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Es liege auch eine schuldhafte Amtspflichtverletzung im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB/Art. 34 GG vor. Die für die Bescheide verantwortlichen Beamten hätten fahrlässig gehandelt, da sie den Sachverhalt nicht ordnungsgemäß ausermittelt hätten. Insbesondere sei die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens erforderlich gewesen.
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Des Weiteren bestehe auch ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr. Da er an einer schubförmig verlaufenden Erkrankung leide, die auch in Zukunft zu Arbeitsunfähigkeit führen werde, werde sich der Beklagte auch in Zukunft immer wieder mit einer Situation konfrontiert sehen, die in der Vergangenheit dazu geführt habe, dass eine Zurruhesetzung gegen ihn eingeleitet worden sei.
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Nachdem er ursprünglich (sinngemäß) beantragt hat, den Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2017 aufzuheben, beantragt er nunmehr,
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festzustellen, dass der Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2017 über seine Versetzung in den Ruhestand mit Ablauf des Monats Januar 2017 rechtswidrig gewesen ist.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat ursprünglich vollumfänglich auf seine Ausführungen im Vorverfahren verwiesen. Der Fortsetzungsfeststellungsklage tritt er nunmehr wie folgt entgegen:
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Eine schuldhafte Amtspflichtverletzung durch die Entscheidungsträger liege nicht vor. Angesichts der Fehlzeiten, des gescheiterten Laufbahnwechsels und der in der zivilgerichtlichen Klage geschilderten Symptome hätten die Entscheidungsträger nicht zu einem anderen Ergebnis kommen können.
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Da der alte Dienstposten krankheitsbedingt an insgesamt ca. 1050 Tagen nicht besetzt gewesen sei, habe POM Xxx die Stellvertreterfunktion am 1. April 2014 übernommen. Ihm seien dann zum 1. Januar 2017 zusätzliche Tätigkeiten übertragen worden. Dies habe zu seiner Beförderung am 1. Juli 2018 geführt. Dies sei auf der ihm zugewiesenen G-Stelle erfolgt, die durch den Aufgabenzuwachs zu einer persönlichen F-Stelle geworden sei, auf der eine Beförderung in die Besoldungsgruppe A 11 habe erfolgen können. Ihm seien folgende zusätzliche Aufgaben übertragen worden: Zugtruppführung/Gruppenführung in geschlossenen Einsätzen im Rahmen der Einzeldiensthundertschaften des polizeilichen Einzeldienstes, Planung und Durchführung von Sondereinsätzen, Ansprechpartner/Verbindungsbeamter für besondere Lagefelder einschließlich interner Fortbildungsmaßnahmen. Daraus zu schließen, dass das gleiche bei dem Kläger eingetreten wäre, sei reine Spekulation. Die Stelle des Vertreters des Leiters der Diensthundestaffel sei auch keine besondere Stelle gewesen, sondern bis zum 1. April 2014 schlicht dem dienstältesten Beamten übertragen worden, ohne dass dies einen Einfluss auf die Bewertung von dessen jeweiliger Stelle gehabt hätte. Ab dem 1. April 2014 sei diese Stelle dann als offizielle Vertreterstelle (sog. G-16-Stelle) geführt worden. Mittlerweile bestehe allerdings die Möglichkeit, dass bei einer Prädikatsbeurteilung (d.h. einer Beurteilung mit Gesamturteil A, B oder C) G-Stellen in F-Stellen umgewandelt würden. Dies sei genauso auch auf der vom Kläger derzeit innegehabten Stelle möglich. Eine Beurteilung des Klägers könne aber frühestens nach 6 Monaten erfolgen. Eine Karriere-Nachzeichnung komme dagegen nicht infrage, da dies nur für freigestellte Personen gelte. Eine Beurteilungsnachzeichnung nach BURL-Pol Ziff. 10 komme ebenfalls nicht in Frage, da er nicht zu dem genannten Personenkreis gehöre.
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Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf eine Stelle als Diensthundeführer. Ihm sei lediglich eine gleichwertige Stelle zur Verfügung zu stellen. Zudem würden sich aus dem gerichtlichen Gutachten erhebliche Zweifel ergeben, ob eine erneute Beschäftigung beim Polizei-Bezirksrevier B-Stadt nicht wieder zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen werde. Hinsichtlich der Reduzierung der Wochenarbeitszeit sei ein entsprechender Antrag gestellt worden, der jedoch bis dato nicht beschieden sei. Es fehle insoweit an einem Vorverfahren. Das gleiche gelte hinsichtlich der Erschwerniszulagen. Hinsichtlich der Wiederholungsgefahr bestehe eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit, dass eine vergleichbare Situation erneut auftrete. Denn bei einer erneuten Versetzung sei ein neues amtsärztliches Gutachten zu erstellen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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I. Die als Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthafte Klage ist zulässig.
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Erledigt sich ein Verwaltungsakt nach Erhebung der ursprünglich zulässigen Anfechtungsklage - hier am 1. Juli 2020 durch den Aufhebungsbescheid -, ermöglicht es § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, den zunächst gestellten Anfechtungsantrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes umzustellen, sofern der Kläger hieran ein berechtigtes Interesse hat. Dem liegt insbesondere der Gedanke zugrunde, dass eine Partei nicht ohne Not um die Früchte des bisherigen Prozesses gebracht werden darf, insbesondere dann nicht, wenn das Verfahren unter entsprechendem Aufwand einen bestimmten Stand erreicht hat und sich mit der Erledigung des ursprünglichen Antrages die Frage stellt, ob dieser Aufwand nutzlos gewesen sein soll und der Kläger wegen dieser Erledigung leer ausgehen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1989 – 8 C 30/87 –, Rn. 9, juris, m.w.N.). Das anzuerkennende schutzwürdige Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art sein und kommt insbesondere in Betracht bei einer Wiederholungsgefahr, bei einem Rehabilitierungsinteresse oder bei Vorgreiflichkeit für einen Amtshaftungsanspruch (st. Rspr, vgl. zu den Fallgruppen des Feststellungsinteresses Kopp/Schenke, 24. Auflage 2018, § 113 Rn. 136-145).
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Ein derartiges berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO liegt hier vor, da die Frage der Rechtswidrigkeit der Zurruhesetzung vorgreiflich hinsichtlich eines vom Kläger beabsichtigten Amtshaftungsprozesses ist und dieser Prozess auch nicht offensichtlich aussichtlos wäre (sog. Präjudizinteresse).
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Das Vorliegen eines Präjudizinteresses erfordert die ernstliche Absicht, einen nicht offensichtlich aussichtslosen zivilgerichtlichen Schadensersatzprozess führen zu wollen. Für die Zulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage in dieser Konstellation sprechen die allgemeinen, dieses Institut rechtfertigenden Gründe sowie Gründe der Prozessökonomie, weil die Zivilgerichte an die Entscheidung der sachnäheren Verwaltungsgerichte gebunden sind. Dementsprechend ist kein Präjudizinteresse gegeben, wenn bereits ein Schadensersatzprozess vor den Verwaltungsgerichten betrieben wird oder wenn künftig allein ein Schadensersatzanspruch im Verwaltungsrechtsweg geltend gemacht werden soll. In diesen Fällen gibt es keinen Unterschied in der Sachnähe und Sachkunde der konkurrierenden Verwaltungsgerichte (Schübel-Pfister in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage 2019, § 113 Rn. 114; VG München, Urteil vom 19. November 2019 – M 5 K 17.1858 –, Rn. 24, juris). Der Kläger hat umfassend dargelegt, inwieweit er einen Amtshaftungsprozess anstrebt. Hinzu kommt, dass er in der Vergangenheit - wenn auch erfolglos - bereits einen solchen Prozess im Hinblick auf das Zurruhesetzungsverfahren gegen den Beklagten geführt hat.
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Dieser beabsichtigte Amtshaftungsprozess ist auch nicht bereits offensichtlich aussichtlos.
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Allein die Absicht, einen Amtshaftungsprozess zu führen, begründet noch kein Feststellungsinteresse, wenn dieser offensichtlich aussichtslos ist. Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. Offensichtliche Aussichtslosigkeit liegt nur vor, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und sich dies ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt. Der vor den Zivilgerichten zu führende Prozess soll nicht gleichsam vorweggenommen werden. Umgekehrt ist ein Feststellungsinteresse in Fällen zu verneinen, in denen eindeutig erkennbar ist, dass ein nachfolgender „Haftungsprozess“ keinen Erfolg verspricht. Es fehlt dann an einem berechtigten Grund, das ursprüngliche verwaltungsgerichtliche Verfahren weiter zu betreiben (st. Rspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 – 8 C 14/12 –, Rn. 44, juris, m.w.N.).
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Unter Heranziehung dieser Maßstäbe ist bei dem hinsichtlich der entgangenen Beförderung geltend gemachten Schadensersatzanspruch nicht von einer offenbaren Aussichtslosigkeit eines Prozesses des Klägers auszugehen. Es ist jedenfalls nicht ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung und ggf. weitere Sachaufklärung offensichtlich, dass der Kläger ohne die Versetzung in den Ruhestand nicht mit einer für einen Amtshaftungsanspruch hinreichend hohen Wahrscheinlichkeit befördert worden wäre.
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Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch eines Beamten wegen verzögerter oder unterbliebener Beförderung ist, dass der Dienstherr bei der Beförderungsentscheidung rechtswidrig und schuldhaft gehandelt hat. Dieses pflichtwidrige Verhalten muss bei dem übergangenen Beamten einen Schaden adäquat kausal verursacht haben. Das setzt die Feststellung voraus, dass die Behörde, wenn sie den beanstandeten Fehler vermieden hätte, voraussichtlich zu Gunsten des Beamten entschieden, ihn also befördert hätte (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 4. Juni 2004 – 6 A 309/02 –, Rn. 30, juris). Das Beamtenrecht kennt zwar grundsätzlich keinen Anspruch des Beamten auf Beförderung. Vielmehr sind Beförderungsstellen vom Dienstherrn aufgrund der ihm zustehenden Ämterhoheit nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der Qualifikation der einzelnen Bewerber und sonstiger personalpolitischer Erwägungen zu besetzen. Dem einzelnen Bewerber steht insoweit lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung zu (VGH Mannheim, Urteil vom 26. Februar 1980 – IV 2734/77 –, Rn. 21, juris; vgl. VG München, Urteil vom 19. November 2019 – M 5 K 17.1858 –, Rn. 28, juris).
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Daran gemessen ist es hier jedoch nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass ohne die in Streit stehende Zurruhesetzung eine Beförderung des Klägers erfolgt wäre.
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Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass der Beförderung des Kollegen POM Xxx die Übertragung von bestimmten Führungsaufgaben zum 1. Januar 2017 vorausgegangenen sei, aufgrund derer die Neubewertung seiner Stelle als Beförderungsstelle erfolgt ist, schließt das eine hypothetische Beförderung des Klägers nicht von Vornherein aus. Denn diese Übertragung von Zusatzaufgaben mit Führungscharakter hätte auch den Kläger als dienstälteren Kollegen und bisherigen Stellvertreter der Hundestaffel treffen können. Hinzu tritt, dass auch Maßnahmen, die eine Beförderung vorbereiten, wie hier die Übertragung von bestimmten Funktionen, die an einen Dienstposten "angekoppelt" werden und mit der Zuordnung zu einer höherbewerteten Planstelle verbunden sind, ggf. an Art. 33 Abs. 2 GG zu messen sind (VGH Mannheim, Beschluss vom 29. Januar 1987 – 1 TG 3162/86 –, Rn. 14, juris). Dass hier zum 1. Januar 2017 eine solche Aufgabenübertragung erfolgt ist, die ohne die Zurruhesetzung den Kläger betroffen hätte, lässt sich nicht ohne weiteres ausschließen.
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Wie wahrscheinlich die Übertragung der weiteren Zusatzaufgaben auf den Kläger trotz dessen chronischer Erkrankung ist - der Beklagte bestreitet auch dies -, kann im Rahmen der Prüfung eines Feststellungsintereses nicht abschließend entschieden werden, sondern muss dem angestrebten Amtshaftungsprozess vorbehalten blieben. Eine solche Übertragung der Aufgaben erscheint jedenfalls nicht unmöglich, da der Kläger sich hier unter Benennung des ehemaligen Polizeiarztes und anderer Personen als Zeugen darauf beruft, zu einem großen Teil nicht dienstunfähig erkrankt gewesen, sondern zwangsweise krankgeschrieben und mehrfach von seiner Dienststelle weggeschickt worden zu sein.
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Auch ein für einen Schadensersatzanspruch erforderliches Verschulden des Beklagten erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen.
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Bei einer Amtspflichtverletzung wird das erforderliche Verschulden in Form von Fahrlässigkeit im Sinne von § 276 BGB nach dem insoweit anzuwendenden objektivierten Sorgfaltsmaßstab, der sich nach den Fähigkeiten und Kenntnissen eines zuverlässigen Durchschnittsbeamten bemisst (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 71. Auflage, Rn. 52 zu § 839 BGB m.w.N.), gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB regelmäßig vermutet. Dabei wird davon ausgegangen, dass jeder staatliche Amtsträger die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen muss (st. Rspr.; vgl. OLG Hamm, Urteil vom 08. März 2013 – 11 U 71/11 –, Rn. 30, juris, m.w.N.). Sofern hier die jeweiligen Entscheidungsträger bei dem Erlass der Zurruhesetztungsverfügung zumindest fahrlässig nicht erkannt hätten, dass diese rechtswidrig war, wäre jedenfalls hinsichtlich der streitgegenständlichen Zurruhesetzung ein Verschulden gegeben. Denn da die der letzten behördlichen Entscheidung - Erlass des Widerspruchsbescheides - zugrundeliegenden Gutachten zumindest ein Restleistungsvermögen bejaht haben, kann die Erkennbarkeit hier trotz der hohen Fehlzeiten des Klägers nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
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Hinsichtlich der nach § 839 Abs. 3 BGB bestehenden Obliegenheit, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, ist ebenfalls nicht offensichtlich, dass dies hier vorsätzlich oder fahrlässig unterblieben ist.
- 52
Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt eine Ersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das nunmehr als rechtswidrig beanstandete staatliche Verhalten abzuwenden. § 839 Abs. 3 BGB ist eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips, das in allgemeiner Form in § 254 BGB niedergelegt ist und für das gesamte private und öffentliche Haftungsrecht anerkannt ist. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben soll nur derjenige Schadensersatz erhalten, der sich in gehörigem und ihm zumutbarem Maß für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden versucht hat (BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2018 – 2 C 19/17 –, Rn. 24, juris, m.w.N.). Ob der Kläger hier um Eilrechtsschutz gegen die Aufgabenübertagung oder Beförderung des Kollegen ersuchen musste, ist danach jedenfalls fraglich. Wenn der Dienstherr in dem von ihm eingerichteten, für alle Betroffenen zugänglichen Intranet über ein Beförderungsverfahren informiert, hat ein an seinem beruflichen Fortkommen interessierter Beamter die Obliegenheit, sich ggf. über weitere Einzelheiten dieses Verfahrens zu erkundigen, seine Nichteinbeziehung in den zur Beförderung in Aussicht genommenen Personenkreis sowie in die Auswahlentscheidung zu rügen und gegen die drohende Ernennung Anderer mit Mitteln des vorläufigen Rechtsschutzes vorzugehen( vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juni 2018 – 2 C 19/17 –, Rn. 28, juris). Hier konnte der zur Ruhe gesetzte Kläger jedoch mangels Kenntnis von der Aufgabenübertagung und in Anbetracht dessen, dass die Aufgabenübertagung ohne vorherige Ausschreibung oder sonstiges Bewerbungsverfahren erfolgt ist, schwerlich einen entsprechenden Antrag beim Beklagten oder bei Gericht stellen. Dass ein Eilantrag gegen die Zurruhesetzung selbst geboten und zumutbar war, ist bei dem noch nicht einmal 50 Jahre alten Kläger ebenfalls nicht offensichtlich (vgl. dagegen in einem anders gelagerten Fall VG Schleswig, 12 A 292/18 - Erfordernis des Eilrechtsschutz wegen abgelehnter Reaktivierung bei nur kurzer verbleibender Zeit bis zum Erreichen der Altersgrenze bejaht, m.w.N.).
- 53
Ob der Kläger sein Präjudizinteresse daneben auch erfolgreich auf Schadensersatzansprüche wegen entgangener Zulagen nach § 3 EZulVO oder entgangener Arbeitszeitreduzierung nach § 10 Abs. 2 AZVO stützen kann, kann danach dahinstehen. Dies gilt auch für das im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr geltend gemachte Feststellungsinteresse.
- 54
II. Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtene Zurruhesetzungsverfügung vom 20. Dezember 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 2017 war rechtswidrig und hat den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung ist § 26 Abs. 1 BeamtStG i.V.m. §§ 41 Abs. 3, 109 LBG.
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Die formellen Voraussetzungen für die Zurruhesetzung des Klägers lagen danach zwar vor. Insbesondere erfolgte die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des Personalrats. Der Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid allerdings zu Unrecht sowohl die Polizeivollzugsdienstunfähigkeit als auch die allgemeine Dienstunfähigkeit des Klägers festgestellt.
- 57
1. Nach § 109 des Landesbeamtengesetzes für das Land Schleswig-Holstein (LBG) sind Polizeibeamte dienstunfähig, wenn sie den besonderen gesundheitlichen Anforderungen des Polizeivollzugsdienstes nicht mehr genügen und nicht zu erwarten ist, dass sie ihre volle Verwendungsfähigkeit innerhalb von zwei Jahren wiedererlangen (Polizeidienstunfähigkeit). Der Begriff der (Polizei-)Dienstunfähigkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der uneingeschränkten Nachprüfung der Verwaltungsgerichte unterliegt. Für die Feststellung der gesundheitsbedingten Einschränkungen der Leistungsfähigkeit eines Beamten kommt dem Dienstherrn kein der Kontrollbefugnis der Gerichte entzogener Beurteilungsspielraum zu. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Feststellung der nachgewiesenen wie auch der vermuteten Dienstunfähigkeit ist insoweit derjenige der letzten Verwaltungsentscheidung, also hier der Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch gegen die Zurruhesetzungsverfügung am 23. November 2017 (st. Rspr., vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1997 – 2 C 7/97 –, Rn. 16 ff., juris; BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5/16 –, Rn. 20, juris, m.w.N.).
- 58
Die Polizeivollzugsdienstfähigkeit bemisst sich nach den besonderen gesundheitlichen Anforderungen für sämtliche Ämter der Laufbahn „Polizeivollzugsdienst“. Während bei der allgemeinen Dienstunfähigkeit Bezugspunkt das innegehabte abstrakt-funktionelle Amt ist, sind es bei einem Polizeivollzugsbeamten sämtliche Ämter der Laufbahn des Polizeivollzugsdienstes. Die Polizeidienstfähigkeit setzt voraus, dass der Polizeivollzugsbeamte zu jeder Zeit, an jedem Ort und in jeder Stellung einsetzbar ist, die seinem statusrechtlichen Amt entspricht (BVerwG, Urteil vom 3. März 2005 – 2 C 4/04 –, Rn. 9 ff., juris; Beschluss vom 6. November 2014 - 2 B 97.13 -, Rn. 10, juris). Der Begriff der Polizeidiensttauglichkeit wird inhaltlich weiter ausgefüllt durch die Polizeidienstverordnung 300 Ausgabe 2012 des Landes Schleswig-Holstein (im Folgenden: PDV 300, insb. Ziffer 3.1.2.2).
- 59
Nach Ziffer 3.1.2.2 der PDV 300 kann die Polizeidienstunfähigkeit unter anderem bedingt sein durch eine:
- 60
- Schwäche der körperlichen Leistungsfähigkeit
- 61
- körperliche Behinderung
- 62
- körperliche Schädigung
- 63
- chronisch rezidivierende Erkrankung
- 64
oder
- 65
- sonstige Schwäche körperlicher Kräfte,
- 66
z.B. Einschränkung des Hörvermögens oder des Sehvermögens,
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Bewegungsbehinderung
- 68
- Schwäche der geistigen Leistungsfähigkeit und der seelischen Belastbarkeit
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-- Krankheiten im Sinne krankhafter Anomalie des Geistes oder Herabsetzung der Verstandeskräfte […]
- 70
Zur Beurteilung der Dienstfähigkeit müssen regelmäßig die gesundheitlichen Leistungsbeeinträchtigungen festgestellt und deren prognostische Entwicklung bewertet werden. Dies setzt in der Regel medizinische Sachkunde voraus, über die nur ein Arzt verfügt. Dementsprechend sieht § 41 Abs. 3 Satz 1 LBG SH vor, dass der Dienstherr seine Einschätzung auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens zu treffen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2017 – 2 A 5/16 –, Rn. 22, juris). Das Gutachten muss die medizinischen Befunde und Schlussfolgerungen so plausibel und nachvollziehbar darlegen, dass die zuständige Behörde auf dieser Grundlage entscheiden kann, ob der Beamte zur Erfüllung der Dienstpflichten seines Amtes dauernd unfähig ist und ggf. welche Anforderungen oder Einschränkungen aus medizinischer Sicht hinsichtlich einer anderweitigen Verwendung des Beamten auf einem anderen Dienstposten zu stellen sind (BVerwG, Urteil vom 31. August 2017 – 2 A 6/15 –, Rn. 63, juris). Die Einschaltung eines Arztes bedeutet indes nicht, dass diesem die Entscheidungsverantwortung für die Beurteilung der Dienstfähigkeit übertragen werden darf. Aufgabe des Arztes ist es (lediglich), den Gesundheitszustand des Beamten festzustellen und medizinisch zu bewerten; hieraus die Schlussfolgerungen für die Beurteilung der Dienstfähigkeit zu ziehen, ist dagegen Aufgabe der Behörde und gegebenenfalls des Gerichts. Der Arzt wird lediglich als sachverständiger Helfer tätig, um den zuständigen Stellen diejenige Fachkenntnis zu vermitteln, die für deren Entscheidung erforderlich ist. Der Dienstherr muss die ärztlichen Befunde und Schlussfolgerungen nachvollziehen und sich auf ihrer Grundlage ein eigenes Urteil bilden (st. Rspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2013 – 2 C 16.12. –, juris und BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 - 2 C 37/13 -, Rn. 13, juris, m.w.N.).
- 71
2. Danach hat der Beklagte die Dienstunfähigkeit des Klägers zu Unrecht festgestellt.
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a. Allein aus erhöhten Fehlzeiten und dem Abbruch der Hospitation durfte der Beklagte nicht auf die Dienstunfähigkeit des Klägers schließen.
- 73
Eine Feststellung der Dienstunfähigkeit als „vermutete Dienstunfähigkeit“ nach § 26 Abs. 1 S. 2 BeamtStG allein aufgrund der Fehlzeiten ist nicht möglich. Nach dieser Vorschrift kann auch als dienstunfähig angesehen werden, wer infolge von Erkrankung innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist, deren Bestimmung dem Landesrecht vorbehalten bleibt, die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist. Die landesrechtliche Frist beträgt hier 6 Monate, § 41 Abs. 2 LBG.
- 74
Aus Systematik und Wortlaut ergibt sich, dass kumulativ zu den Fehlzeiten jedenfalls auch eine negative Prognose für die Zurruhesetzung erforderlich ist („und keine Aussicht besteht, dass in einem bestimmten Zeitraum die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt wird“), die wiederum mangels eigener Sachkunde der zuständigen Behörde regelmäßig dennoch eine ärztliche Untersuchung voraussetzt (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Juli 2016 – 4 S 1163/14 –, Rn. 56, juris; v. Roetteken in: v. Roetteken/Rothländer, Beamtenstatusgesetz, 19. Update Juni 2020, d) Unwahrscheinlichkeit der Wiederherstellung der uneingeschränkten Dienstfähigkeit, Rn. 267)). Ein Schluss aus dem Abbruch der Hospitation in der Verwaltung auf ein fehlendes Restleistungsvermögen und damit eine vollständige Dienstunfähigkeit verbietet sich danach ebenfalls. Zum einen kann ein Beamter nicht durch die möglicherweise sogar berechtigte Behauptung, die angebotenen Weiterverwendung sei nicht leidensgerecht, entgegen einem amtsärztlichen Gutachten einen Schluss auf seine dauerhafte und vollständige Dienstunfähigkeit herbeiführen. Hätte der Beklagte das Vorbringen des Klägers zur Grundlage der Zurruhesetzung machen wollen, so hätte er auch dafür sorgen müssen, dass sich der Amtsarzt hiermit auseinandersetzt. Zum anderen hat der Beklagte nicht bestritten, dass die Hospitation wegen eines neuen Krankheitsschubes abgebrochen werden musste. Gelegentliche Schübe, die wieder abklingen, rechtfertigen jedoch keine Zurruhesetzung.
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b. Auch auf der Grundlage der zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vorliegenden ärztlichen Untersuchungsergebnisse und Stellungnahmen durfte der Beklagte die Dienstunfähigkeit des Klägers nicht feststellen. Das Gericht ist vielmehr insbesondere aufgrund des eingeholten weiteren Gutachtens von Prof. Dr. x. - als Leiter einer Tagesklinik für Multiple Sklerose am Universitätsklinikum F-Stadt-x ein auf dem Gebiet der Erkrankung des Klägers besonders fachkundige Mediziner - zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger polizeidienstfähig war.
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Keines der vorliegenden Gutachten hat beim Kläger eine Schwäche der geistigen Leistungsfähigkeit oder der seelischen Belastbarkeit i.S.d. Ziffer 3.1.2.2. der PDV 300 festgestellt. Einschränkungen des Klägers im Bereich der schnellen Entscheidungen zur Gefahrenabwehr, wie sie von Polizeiarzt Xxx im Jahr 2013 angegeben wurden, können daher nicht angenommen werden. Sie ergeben sich weder aus dem Xxx-Gutachten, noch aus dem Xxx-GA oder dem psychologischen Ergänzungs-GA von Dr. Xxx. Im Einklang mit diesen Feststellungen hat auch die Psychologin Dr. Xxx in ihrem neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 30. März 2020 aufgrund einer viereinhalbstündigen Untersuchung des Klägers am 21. Februar 2020 zusammenfassend ausgeführt: „Testpsychologisch lassen sich keine Minderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit objektivieren. Bei deutlich hoher Belastbarkeit zeigen sich im Rahmen der mehrstündigen Untersuchung durchweg stabile Aufmerksamkeitsleistungen. Die einfachen Reaktionsgeschwindigkeiten sowie das visuomotorische Tempo präsentieren sich durchschnittlich. Eine Aufgabe, für deren Lösung parallele Informationsverarbeitungsprozesse erforderlich sind, kann sogar in fast überdurchschnittlichen zeitlichen Rahmen bewältigt werden. Unter Reizselektionsbedingungen zeigt Herr F. beim Tempo ebenfalls fast überdurchschnittliche Leistungen, die Anzahl von Auslassungen und Fehlern war normgerecht. […] Bei sämtlichen computergestützten Überprüfungen stach insbesondere Herrn F.s Stabilität der Arbeitsleistung hervor. Die Informationsverarbeitung und Informationsgeschwindigkeit präsentieren sich überdurchschnittlich. […] Auch die motorischen Handfunktionen zeigen mindestens durchschnittliche Fähigkeiten.“ Gründe, warum dieses Untersuchungsergebnis nicht zutreffen sollte, sind nicht ersichtlich.
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Auch eine durch eine Schwäche der körperlichen Leistungsfähigkeit bedingte Polizeivollzugsdienstunfähigkeit kann jedenfalls für den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 23. November 2017 nicht festgestellt werden.
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Hinsichtlich des Sehvermögens hat Prof. Dr. Xxx zwar im Jahr 2014 festgestellt, dass die Augenfolgebewegungen des Klägers aufgrund seiner Erkrankung verändert gewesen seien (sog. sakkadierte Blickfolge) und er dadurch eingeschränkt beim Gebrauch von Schusswaffen gewesen sei. Diese Feststellung war jedoch für sich genommen keine tragfähige Grundlage für die Feststellung der Polizeidienstunfähigkeit (mehr). Das mittlerweile über drei Jahre alte Gutachten von Prof. Dr. Xxx war bei Erlass des Widerspruchsbescheides nicht mehr hinreichend aktuell und wurde durch spätere Untersuchungsergebnisse auch nicht gestützt. So konnten in der im Rahmen der Begutachtung durch Dr. Dr. Xxx zusätzlich eingeholten augenärztlichen Ergänzungsbegutachtung durch Dr. Xxx vom 22. Juni 2016 gerade keine Einschränkungen des Klägers hinsichtlich der Augen festgestellt werden. Dieses Untersuchungsergebnis hat Prof. Dr. F. noch einmal bestätigt. Er hat zudem ausgeführt: „Aus einer einmalig diagnostizierten sakkadierten Blickfolgebewegung eine Funktionseinschränkung im Alltag zu schlussfolgern, halte ich für nicht angemessen. In den Vorauslassungen wurde deutlich, dass zu dem Zeitpunkt, als Professor Xxx diesen Befund erhoben hatte, Herr F. einen Preis für herausragende Schießleistungen erhalten hatte, was einen validen Beleg für die erhaltene Sehfähigkeit darstellt. Insofern gehen wir von keinerlei Einschränkungen im Alltag und im besonderen beruflichen Alltag eines Polizisten aufgrund von Sehstörungen aus. […]“
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Soweit Prof. Dr. Xxx bei seiner Begutachtung Seitendifferenzen der Muskeleigenreflexe im Bereich der unteren Extremitäten festgestellt hat, die ebenfalls auf die Multiple Sklerose zurückzuführen seien, so reicht dies für die in den Bescheiden getroffene Feststellung der Dienstunfähigkeit ebenfalls nicht aus. Prof. Dr. F. hat aufgrund der Untersuchung des Klägers vom 16. März 2020 außer einer „geringgradigen Gangataxie im blinden Seiltänzergang“ keine Einschränkungen festgestellt. Er kam aufgrund dieses Befundes gerade nicht zu dem Ergebnis, dass sich diese Einschränkung auf die Polizeivollzugsdienstfähigkeit auswirkt.
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Für Zweifel an der Richtigkeit dieser Einschätzung sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Bereits Dr. Dr. Xxx empfahl trotz der chronischen Natur der Erkrankung des Klägers, dessen Polizeidienstfähigkeit in Zukunft erneut zu prüfen. Zudem ist auch plausibel, dass der Kläger gegenwärtig und auch zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung geringere Einschränkungen aufweist bzw. aufgewiesen hat, als bei seiner Untersuchung im Jahr 2014. Als Ursache kommt hier ggf. der von Prof. Dr. Xxx im Zusammenhang mit der Untersuchung empfohlene Wechsel des Medikamentes in Betracht. Ebenso ist es möglich, dass Prof. Dr. Xxx bei seiner Untersuchung im Jahr 2014 die Nachwirkungen eines vorausgegangenen Schubes feststellen konnte, die sich jedoch - wie in sämtlichen Gutachten bisher festgestellt - beim Kläger immer wieder gut zurückgebildet haben.
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Hinsichtlich der Feinmotorik kommen die Gutachten ebenfalls im Wesentlichen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Einschränkungen von geringem Gewicht sind. In der klinischen Untersuchung von Prof. Dr. x. war eine Feinmotorikstörung der linken Hand nachweisbar, die jedoch nur in einem formalen Test deutlich wurde. Dies deckt sich mit den Angaben des Klägers hinsichtlich langer Schreibtätigkeiten am PC. Diese Einschränkungen führen jedoch ebenfalls nicht zu einer Polizeivollzugsdienstunfähigkeit. Prof. Dr. x. hat zudem in seinem Gutachten ausgeführt, dass Schübe zwar nicht immer leicht zu erkennen seien und gerade die oft feinen, geringfügigen Veränderungen zu Verunsicherungen bei Patienten und auch Ärzten führen würden. Es sei jedoch als Rarität anzusehen, dass ein Schub über Nacht auftrete, ein schlaganfallähnliches plötzliches Geschehen komme in der Regel nicht vor. Damit erscheine es sehr theoretisch, dass krankheitsbedingt eine akute Gefährdung am Arbeitsplatz auftrete.
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Durchgreifende Bedenken gegen einen Einsatz des Klägers im Außendienst sind damit nicht berechtigt.
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3. Da bereits eine strengere Anforderungen aufstellende Polizeivollzugsdienstfähigkeit des Klägers bejaht werden kann, erübrigen sich Ausführungen zur allgemeinen Dienstfähigkeit. Diese war ebenfalls gegeben.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 709 ZPO.
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