Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht (1. Kammer) - 1 B 104/21

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unzulässig, da der Antragstellerin die erforderliche Antragsbefugnis fehlt.

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Einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO kann zulässigerweise nur stellen, wer antragsbefugt ist. Die Antragstellerin erstrebt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Antragsgegners als oberste Schulaufsichtsbehörde gemäß § 129 Abs. 1 Satz 2 Schulgesetz Schleswig-Holstein (SchulG) zu einer Leistung, nämlich das Unterlassen der Durchführung von Impfungen von Schülerinnen und Schülern an den Gymnasien und Gemeinschaftsschulen des Landes. Diese sollen nach Erlass des Antragsgegners als oberster Schulaufsichtsbehörde in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren den Schülerinnen und Schülern, zu denen ein Schulverhältnis (§ 11 Abs. 1 SchulG) besteht, angeboten werden, dann auch unter Einsatz von Lehrkräften (Einsammeln der Zustimmungserklärung, Abstimmung der Termine) vorbereitet und auf dem Gelände der Schule, also mit personellen und sachlichen Mitteln der Schule, durch die Kassenärztliche Vereinigung, dem Deutschen Roten Kreuz und der Johanniter Unfallhilfe außerhalb des Rahmens einer verpflichtenden Schulveranstaltung durchgeführt werden. Das Angebot des Antragsgegners als oberste Schulaufsichtsbehörde steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Besuch der Schule und bezieht sich damit auf ein konkretes Schulverhältnis, es handelt sich nicht um ein Angebot der Gesundheitsverwaltung für die Allgemeinheit. Im Verfahren der Hauptsache wäre eine allgemeine Leistungsklage in der Form der Unterlassungsklage statthaft, für die die Regelungen der Klagebefugnis in § 42 Abs. 2 VwGO, wonach die Klage nur zulässig ist, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein, entsprechend gelten. Eilrechtsschutz kann nur beanspruchen, wer im Verfahren der Hauptsache klagebefugt wäre. Dies ist bei der Antragstellerin nicht der Fall.

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Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass für die rechtliche Beurteilung des geltend gemachten Anspruchs die Anwendung von Rechtsvorschriften in Betracht kommt, die zumindest auch dem Schutz der Interessen von Personen in der rechtlichen Situation, in der sich die Antragstellerin befindet, zu dienen bestimmt sind und zumindest die konkrete Möglichkeit besteht, dass angesichts der zur Begründung vorgetragenen oder sonst in Betracht kommenden Tatsachen Rechte der Antragstellerin verletzt werden. Im einstweiligen Anordnungsverfahren sind diese Voraussetzungen glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO). Die Antragsbefugnis hat ebenso wie die Klagebefugnis die Funktion, die Popularklage und die Interessentenklage auszuschließen. Daher müssen Tatsachen dargelegt werden, die es als möglich erscheinen lassen, dass gerade die Antragstellerin in ihrer Rechtssphäre durch ein Handeln des Antragsgegners betroffen ist und ihre subjektiven öffentlichen Rechte verletzt sein können.

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Die Antragstellerin hat schon nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass sie durch die auf Veranlassung der Schulverwaltung den Schülerinnen und Schülern, zu denen ein Schulverhältnis besteht, angebotenen Impfungen in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Zu der Antragstellerin selbst besteht kein Schulverhältnis, durch das an andere Personen gerichtete Angebot kann die Antragstellerin auch nicht in eigenen Rechten betroffen sein.

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Die Antragstellerin hat auch nicht dargelegt, dass sie durch das Angebot in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen sein könnte. Danach sind Pflege und Erziehung der Kinder das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Die Antragstellerin hat bislang weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass sie Mutter eines Schulkindes der betroffenen Altersgruppe ist. Die Kammer kann lediglich aufgrund des Umstands, dass die Antragstellerin das an die Eltern gerichtete Schreiben des Antragsgegners über das Impfangebot an den Schulen vorgelegt hat, vermuten, dass sie Mutter eines betroffenen Kindes sein könnte. Allerdings ist dieses Schreiben des Antragsgegners auch im Internet veröffentlicht worden: https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/VIII/_startseite/Artikel_2020/_Informationen_Impfzentren/Downloads/Schulimpfung_Elternanschreiben.pdf?__blob=publicationFile&v=9 . Unterstellt, die Antragstellerin ist Mutter eines betroffenen Kindes, würde jedoch auch dann eine Beeinträchtigung ihres Elternrechts durch das Impfangebot ausscheiden.

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Bei dem Impfangebot in der Schule handelt es sich um ein freiwilliges Angebot, dass niemand annehmen muss. Es wird auch nicht von den Eltern oder den Schülerinnen und Schülern, die das Angebot nicht annehmen möchten, eine Erklärung verlangt. Schließlich wird auch kein unzumutbarer mittelbarer Druck durch die Schulverwaltung auf die Betroffenen dadurch ausgeübt, dass es nicht ausgeschlossen erscheint, dass andere Schülerinnen und Schüler am Impftag Kenntnis davon erhalten könnten, wer sich nicht impfen lässt, insbesondere, wenn die Impfungen auch während der Unterrichtszeiten erfolgen und auch insoweit ein enger Bezug zum Schulverhältnis besteht. Aus der Nichtteilnahme an der Impfung in der Schule kann nämlich insbesondere nicht auf eine bestimmte möglicherweise weltanschaulich geprägte innere Einstellung zu den Impfungen geschlossen werden, da die Nichtteilnahme ihren Grund in einer Vielzahl von Gründen und besonders auch darin haben könnte, dass die betroffenen Schülerinnen und Schüler bereits in ärztlichen Praxen oder den Impfzentren geimpft worden sind, die nunmehr im Grundsatz auch für die Altersgruppe von 12-15 Jahren die Impfungen anbieten.

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Die Antragstellerin hat auch insoweit eine mögliche eigene Beeinträchtigung ihres Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht konkret dargelegt, als es in ihrem Fall auf die Frage entscheidungserheblich darauf ankommen könnte, wer die erforderliche Einwilligung für die Impfung wirksam erteilen kann, ob nun die minderjährigen Kinder selbst oder deren Eltern und ob dafür bestimmte Altersgrenzen anwendbar sein könnten. Diese Frage bezieht sich nicht auf die Besonderheiten des mit Hilfe der Schule bereitgestellten Impfangebots, sondern betrifft ebenso die angebotenen Impfungen für Minderjährige in Arztpraxen und Impfzentren und darüber hinaus grundsätzlich die ärztlichen Behandlungen von Minderjährigen.

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Lediglich ergänzend sei erwähnt, dass diese Frage die (strafrechtliche) Bewertung der Wirksamkeit der Einwilligung von Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit und im Einzelfall auch die familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kind betrifft. Minderjährige müssen selbst bei gegebener Einsichtsfähigkeit in einen ärztlichen Eingriff einwilligen. Den Eltern steht gemäß § 1626 Abs. 1 BGB die Personensorge für ihr Kind zu. Dieses Recht umfasst grundsätzlich das Recht und die Verpflichtung zur Pflege, Erziehung und Betreuung des Kindes. Hierzu gehört auch, für die physische und psychische Gesundheit Sorge zu tragen. Gleichzeitig sieht aber § 1626 Abs. 2 BGB vor, dass die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis ihres Kindes zu selbständigem verantwortungsbewussten Handeln berücksichtigen müssen. Gerade im Hinblick auf Entscheidungen, die den höchstpersönlichen Lebensbereich und damit das grundrechtlich in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen betreffen, hat der Gesetzgeber der zunehmenden Mündigkeit von Kindern an verschiedenen Stellen Rechnung getragen. So steht dem Minderjährigen nach Vollendung des 14. Lebensjahres nach § 5 RelKErzG frei, über sein religiöses Bekenntnis zu entscheiden. Gemäß § 1746 Abs. 2 BGB kann er die Einwilligung zur Annahme als Kind bis zum Wirksamwerden des Ausspruchs der Annahme gegenüber dem Familiengericht widerrufen, ohne dass hierfür die Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter erforderlich ist. Nach § 2229 Abs. 1 BGB kann ein Minderjähriger ein Testament errichten, wenn er das 16. Lebensjahr vollendet hat. Die Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters ist gem. § 2229 Abs. 2 BGB nicht erforderlich. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 TPG ist die Einwilligung und die Übertragung der Entscheidung über die postmortale Organentnahme vom vollendeten sechzehnten Lebensjahr möglich. § 10 Abs. 1 S. 2 SaRegG sieht vor, dass eine Person nach Vollendung des 16. Lebensjahres ihren Auskunftsanspruch gegenüber dem Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information nur selbst geltend machen kann. In Bezug auf die Zeugnisverweigerung hat der Gesetzgeber von der Normierung einer festen Altersgrenze abgesehen und den Minderjährigen je nach individuellem Reifegrad Rechte eingeräumt. So können Minderjährige ihr Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 2 StPO eigenständig ausüben, wenn sie die hierfür erforderliche Verstandesreife haben. In diesen Fällen bedürfen sie nicht die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter. Auch in Hinblick auf die Einwilligung in medizinische Eingriffe hat der Gesetzgeber bei dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten eine starre Altersgrenze bewusst vermieden (Entwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten BT-Drs. 17/10488, S.23) und dazu folgendes ausgeführt: „Der Behandelnde muss sich davon überzeugen, dass der Patient die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzt und Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken der medizinischen Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten kann. Das Einsichtsvermögen und die Urteilskraft des Patienten müssen ausreichen, um die vorherige Aufklärung zu verstehen, den Nutzen einer Behandlung gegen deren Risiken abzuwägen und um schließlich eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Eine starre Altersgrenze lässt sich nicht ziehen. Bei dem Minderjährigen kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an, ob seine Eltern als gesetzliche Vertreter, gegebenenfalls der Minderjährige allein oder auch der Minderjährige und seine Eltern gemeinsam einwilligen müssen. Die Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger ist im Regelfall dann gegeben, wenn sie über die behandlungsspezifische natürliche Einwilligungsfähigkeit verfügen. Maßgeblich ist der Eingriff und die konkret festzustellende Einsichtsfähigkeit" (vgl. ausführlich dazu OLG Hamm, Beschluss vom 29. November 2019 – II-12 UF 236/19 –, Rn. 20 - 22, juris; vgl. auch zur Einwilligung bei einem zivilrechtlichen Behandlungsvertrag § 630d BGB). Das schließt es nicht aus, für bestimmte Eingriffe ab einem konkreten Alter von einer hinreichenden Einsichtsfähigkeit auszugehen, wenn nicht im konkreten ärztlichen Aufklärungsgespräch andere Erkenntnisse gewonnen werden. Die dargelegten Rechtsgrundsätze finden sich auch auf den Informationsseiten für vorgesehene Impfungen der Landesregierung im Internet ( Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren - Schutzimpfung gegen COVID-19 an Schulen - schleswig-holstein.de ).

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Es ist darüber hinaus auch nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin durch die von ihr beanstandete Nutzung der Räumlichkeiten der Schule für das Impfangebot in eigenen Rechten verletzt sein könnte.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2, 63 Abs. 2 GKG.


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