Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (6. Kammer) - 6 A 1223/13

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

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Die Klägerin, eine gewerblich tätige Personengesellschaft mit Sitz in A-Stadt, begehrt die teilweise Aufhebung von Zinsbescheiden, mit welchen der Beklagte ihr gegenüber Nachzahlungszinsen zur Gewerbesteuer für den Zeitraum April 2008 bis Juni 2013 festgesetzt hat.

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Im Nachgang zu einer Betriebsprüfung bei der Klägerin im Januar 2013 setzte der Beklagte mit drei Zinsbescheiden zur Gewerbesteuer – jeweils vom 04. Juli 2013 – Nachzahlungszinsen betreffend die Steuerjahre 2006 bis 2008 fest. Dies erfolgte gleichzeitig mit dem Erlass eines den Zinsfestsetzungen zugrunde liegenden Gewerbesteuerbescheides, nachdem Ende Juni 2013 die Gewerbesteuermessbeträge für die Jahre 2006 bis 2008 durch das Finanzamt endgültig festgesetzt wurden. Die Zinsen beliefen sich betreffend das Veranlagungsjahr 2006 für den Zeitraum 01. April 2008 bis 30. Juni 2013 auf 64.086,00 Euro, betreffend das Veranlagungsjahr 2007 für den Zeitraum 01. April 2009 bis 30. Juni 2013 auf 102.446,00 Euro und betreffend das Veranlagungsjahr 2008 für den Zeitraum 01. April 2010 bis 30. Juni 2013 auf 17.842,00 Euro.

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Gegen die vorgenannte Zinsbescheide erhob die Klägerin am 08. Juli 2013 jeweils Widerspruch. Der Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat (6 Prozent pro Jahr) sei verfassungswidrig, da dieser seit vielen Jahren nicht mehr der Situation auf dem Kapitalmarkt entspreche.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2013 wies der Beklagte die Widersprüche mit der Begründung zurück, dass er an die gesetzliche Festlegung der Zinshöhe in § 238 AO gebunden sei. Er halte diese auch nicht für verfassungswidrig. Beim Vergleich des gesetzlichen Zinssatzes mit dem am Kapitalmarkt erzielbaren Zins werde übersehen, dass die 15-monatige Karenzzeit des § 233a Abs. 2 AO in die Betrachtung einzubeziehen sei. Hierdurch reduziere sich die Differenz zwischen dem gesetzlichen Zinssatz mit dem am Kapitalmarkt erzielbaren Zins wesentlich. Eine Verletzung des Übermaßverbotes habe das Bundesverfassungsgericht bereits in einem gleichliegenden Fall (BVerfG, Urteil vom 03. September 2009, Az. 1 BvR 2539/07) ausdrücklich nicht festgestellt.

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Mit der am 20. August 2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Aufhebungsbegehren weiter.

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Sie ist der Ansicht, die in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO festgesetzte Zinshöhe sei für Nachzahlungszinsen nach § 233a AO wegen eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ergebende Übermaßverbot verfassungswidrig. Der Markt- und Basiszins schwanke mittlerweile dauerhaft zwischen 0 und 1 Prozent, so dass die gesetzlich vorgegebene Typisierung nicht mehr gerechtfertigt sei. Es sei nicht mehr möglich, kurzfristig nur annähernd einen Zinssatz von 6 Prozent zu erwirtschaften, der erforderlich wäre, um einen Ausgleich für die Nachzahlungszinsen zu schaffen, zumal der Steuerpflichtige unter anderem noch Abgeltungssteuer für erwirtschaftete Zinsen zu zahlen habe. Der Nutzungsvorteil im Sinne von § 233a AO für die Zeit zwischen Steuerentstehung und Steuerfestsetzung sei wegen der Unwägbarkeiten der Steuerfestsetzung gerade im Fall einer Betriebsprüfung nicht derart planbar wie etwa bei Aussetzungszinsen während eines durch den Kläger beeinflussbaren Rechtsstreits. Hier werde man mit unbekannten Nachzahlungen konfrontiert, so dass nur (unfreiwillig) kurzfristig angelegtes Geld liquide gemacht werden könne.

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Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 20. August 2013 und 27. August 2013 zunächst sinngemäß angekündigt zu beantragen,

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die Zinsbescheide zur Gewerbesteuer für die Jahre 2006 bis 2008 vom 04. Juli 2013 insoweit aufzuheben, als die Höhe der Nachzahlungszinsen spätestens ab dem Zinszeitraum 2009 1 Prozent pro Jahr übersteigt.

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Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2016 „konkretisiert“ sie nunmehr ihren ursprünglich angekündigten Antrag dahingehend, dass „eine Verzinsung mit einem Zinssatz von über 3 Prozent pro Jahr nicht rechtmäßig“ sei.

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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

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die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung beruft er sich ergänzend zu den Ausführungen im Widerspruchsbescheid darauf, dass auch der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 01. Juli 2014 (Az. IX R 31/13) für Zeiträume bis März 2011 nicht die Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Zinssatzes habe feststellen können.

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Am Ende der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2016, in der die Klägerin keinen Antrag stellte, hat die Kammer auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Nachdem der Beklagte den sodann von der Klägerin außergerichtlich beantragten Teilerlass abgelehnt hat, ist das hiesige Verfahren durch den Beklagten mit Schriftsatz vom 13. Juli 2016 und durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. Juli 2016 wieder aufgenommen worden. Gleichzeitig haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung der Kammer ohne weitere mündliche Verhandlung erteilt.

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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Das Gericht konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO), da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben, nachdem das auf ihren Antrag hin angeordnete Ruhen des Verfahrens (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 251 Satz 1 ZPO) durch übereinstimmende Aufnahme des Verfahrens geendet hat (zu Letzterem vgl. nur Jaspersen in: Beck'scher Online-Kommentar ZPO, Vorwerk/Wolf, 21. Edition, Stand: 01.07.2016, § 251 Rn. 9).

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II. Das Klagebegehren ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass die Klägerin beantragt, die Zinsbescheide des Beklagten zur Gewerbesteuer für die Jahre 2006 bis 2008 vom 04. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2013 insoweit aufzuheben, als darin jeweils Zinsen in Höhe von mehr als 3 Prozent pro Jahr festgesetzt wurden.

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Soweit die Klägerin ihren Klageantrag zuletzt mit Schriftsatz vom 22. Juli 2016 dahingehend „konkretisiert“ hat, dass eine teilweise Aufhebung der Zinsbescheide nur noch begehrt wird, als darin jeweils ein Zinssatz von mehr als 3 Prozent pro Jahr – anstatt ursprünglich von mehr als 1 Prozent pro Jahr – zugrunde gelegt wurde, hat sie die Klage im Umfang der dazwischen liegenden Differenz teilweise zurückgenommen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die teilweise Klagerücknahme nach der mündlichen Verhandlung war ohne Einwilligung des Beklagten wirksam, da in der mündlichen Verhandlung keine Anträge gestellt wurden (§ 92 Abs. 1 Satz 2 VwGO).

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III. Die noch anhängige Klage gegen die Zinsbescheide, soweit darin jeweils eine Zinshöhe von mehr als 3 Prozent pro Jahr zugrunde gelegt wurde, bleibt erfolglos. Sie ist aufgrund des betragsmäßig teilbaren Inhalts (vgl. nur W.-R.-Schenke in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 113 Rn 16) als Teilanfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zulässig, aber unbegründet. Die Zinsbescheide vom 04. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2013 sind nicht rechtswidrig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

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1. Die Zinsbescheide entsprechen den gesetzlichen Vorgaben der § 233a i.V.m. §§ 238 Abs. 1 Satz 1, 239 AO, die nach § 12 KAG M-V i.V.m. §§ 1 Abs. 2 Nr. 5, 3 Abs. 2 AO auf die Kommunalabgabe der Gewerbesteuer, die eine Realsteuer ist, anwendbar sind. Gemäß § 233a Abs. 1 und 3 AO ist der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Gewerbesteuer einerseits sowie den anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen und den bis zum Beginn des Zinslaufs festgesetzten Vorauszahlungen andererseits zu verzinsen. Gemäß § 233a Abs. 2 AO beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Nach § 238 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO betragen die Zinsen für jeden vollen Monat einhalb Prozent (6 Prozent pro Jahr). Unter Erfüllung dieser Vorgaben hat der Beklagte in den Bescheiden vom 04. Juli 2013 Nachzahlungszinsen hinsichtlich der Steuerjahre 2006 bis 2008 festgesetzt. Rechnerische Bedenken gegen die Zinsfestsetzung hat die Klägerin weder geltend gemacht noch sind solche ersichtlich.

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2. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf eine – von ihr ausschließlich geltend gemachte – Verfassungswidrigkeit des in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO normierten Zinssatzes von 0,5 Prozent pro Monat berufen. Das Verfahren ist nicht auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht zur konkreten Normenkontrolle vorzulegen (Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. §§ 80 ff. BVerfGG). Voraussetzung der konkreten Normenkontrolle ist insbesondere, dass das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit der betreffenden Norm überzeugt ist; Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit reichen nicht aus (Jarass/Pieroth, GG, 11. Auflage 2011, Art. 100 Rn. 10). Zu dieser Überzeugung ist die Kammer nicht gelangt.

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Mit der Frage der Verfassungswidrigkeit der Höhe des Zinssatzes des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat, insbesondere für Nachzahlungszinsen nach § 233a AO, haben sich bereits eine Vielzahl an – auch obersten – Gerichten auseinandergesetzt, wobei – soweit ersichtlich – bislang kein Gericht zu dem Ergebnis bzw. der Überzeugung gelangt ist, der gesetzliche Zinssatz verstoße gegen das Grundgesetz (BVerfG, Beschluss vom 03. September 2009, Az. 1 BvR 2539/07, für den Zeitraum 2003 bis 2006; BFH, Urteil vom 01. Juli 2014, Az. IX R 31/13, Urteil vom 13. April 2015, Az. IX R 5/14 und Beschluss vom 21. Oktober 2015, Az. V B 36/15, jeweils für Zeiträume bis 2011; Thüringer FG, Urteil vom 22. April 2015, Az. 3 K 889/13, für den Zeitraum 2006 bis 2011, nicht rechtskräftig; OVG Münster, Beschluss vom 10. Juli 2014, Az. 14 A 1196/13, für den Zeitraum 2005 bis 2012; zuletzt FG B-Stadt, Urteil vom 10. März 2016, Az. 16 K 2976/14 AO, für den Zeitraum April bis Juli 2013, nicht rechtskräftig; VG Köln, Gerichtsbescheid vom 08. Januar 2015, Az. 24 K 3933/14, für den Zeitraum April bis Juli 2014; jeweils unter juris). Dem schließt sich das erkennende Gericht an. Die dortigen, teils sehr ausführlichen Begründungen überzeugen die Kammer und lassen sich, bezogen auf das hiesige Verfahren, das den Zeitraum April 2008 bis Juni 2013 betrifft, wie folgt zusammenfassen:

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Die Höhe der Verzinsung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die gesetzliche Regelung des § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) (a) noch gegen das aus Übermaßverbot (Art. 2 Abs. 1, 19 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) (b).

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a) Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber einen weit reichenden Entscheidungsspielraum; dies gilt sowohl für die Auswahl des Steuergegenstands als auch für die Bestimmung des Steuersatzes. Zu vergleichen sind hier die zinszahlungspflichtigen mit den nicht zinszahlungspflichtigen Steuerschuldnern. Steuerschuldner dürfen durch die Heranziehung zur Zahlung von Nachzahlungszinsen nach § 233a AO nicht ohne hinreichend gewichtigen Differenzierungsgrund unterschiedlich behandelt werden. Zu berücksichtigen ist, dass Steuergesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen. Sie müssen, um praktikabel zu sein, Sachverhalte, an die sie dieselben steuerrechtlichen Folgen knüpfen, typisieren und damit in weitem Umfang die Besonderheiten des einzelnen Falls vernachlässigen. Die wirtschaftlich ungleiche Wirkung auf die Steuerzahler darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen. Vielmehr müssen die Vorteile der Typisierung im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Außerdem darf eine gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren (zu alledem insbesondere BVerfG, Beschluss vom 03. September 2009, a.a.O.).

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Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Durch die typisierte Erhebung von Nachzahlungszinsen soll der mit der gegenüber dem Zeitpunkt der Steuerentstehung verspäteten Steuerfestsetzung verbundene Liquiditäts- und potentielle Zinsvorteil des Steuerpflichtigen und seine damit verbundene erhöhte steuerliche Leistungsfähigkeit pauschal abgeschöpft werden, unabhängig davon, aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob und inwiefern die Liquiditätsvorteile tatsächlich genutzt wurden. Auch ungewollte oder unwissentliche Zins- oder Liquiditätsvorteile sollen ausgeglichen werden. Gleichzeitig soll der vorhandene Zinsnachteil des Fiskus, der den nicht gezahlten Steuerbetrag nicht anderweitig nutzen kann, ausgeglichen werden. Die Verzinsung nach § 233a i.V.m. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO soll damit auch der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, insbesondere zwischen Lohnsteuerzahlern und veranlagten (selbständigen) Einkommensteuerpflichtigen, dienen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll Steuergerechtigkeit gerade auch für die Fälle hergestellt werden, in denen sich Steuerpflichtige bei Zugrundelegung einer ihnen günstigen Rechtslage über mehrere Jahre geringere als nach dem Gesetz geschuldeten Steuerzahlungen leisten, insbesondere wenn das Finanzamt die steuerliche Beurteilung durch den Steuerpflichtigen erst nach Durchführung einer Betriebsprüfung nicht anerkennt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Vollverzinsung nach § 233a AO i.V.m. § 238 AO gleichermaßen zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen wirkt, sodass bei einer Überzahlung durch den Steuerpflichtigen der Staat dem Steuerpflichtigen neben der Erstattung ebenfalls den entstandenen potentiellen Zins- und Liquiditätsnachteil in der pauschalierten Höhe des § 238 AO zu ersetzen hat, unabhängig davon, in welcher Höhe dem Berechtigten tatsächlich Zinsen entgangen sind. Insofern bleibt es dem Steuerpflichtigen unbenommen, von vornherein das Risiko von Steuernachzahlungen durch höhere Vorauszahlungen zu verringern. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll der konkrete Zinsvorteil oder -nachteil im Interesse der Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung nicht in jedem Einzelfall ermittelt werden müssen. Dieser lässt sich zudem auch häufig gar nicht ermitteln, weil es von den subjektiven Entscheidungen des Steuerpflichtigen abhängt, wie er Steuernachzahlungen finanziert bzw. das noch nicht für Steuernachzahlungen benötigte Kapital verwendet. Etwaige Ungleichbehandlungen im Einzelfall sind durch die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers grundsätzlich gerechtfertigt, wobei die Ungleichbehandlungen bereits durch die 15monatige Karenzzeit des § 233a Abs 2 AO gemindert werden und darüberhinausgehende unbillige Härten durch Billigkeitsmaßnahmen, insbesondere durch Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen nach § 227 AO, ausgeglichen werden können. Ein solcher ist jedoch nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

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b) Die gesetzliche Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO verstößt auch nicht gegen das Übermaßverbot. Der Steuerpflichtige darf bei der Heranziehung zur Leistung von Steuern und steuerlichen Nebenleistungen wie Zinsen nicht zu einer unverhältnismäßigen Abgabe herangezogen werden. Bei der Verzinsung handelt es sich nicht um eine steuerliche Sanktion. Vielmehr soll nur der potentielle Liquiditätsvorteil abgeschöpft werden (BVerfG, a.a.O.).

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Dies ist bei der Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO – trotz der allgemeinen Zinsentwicklung und im Speziellen für den Fall der Erhebung von Nachzahlungszinsen – der Fall. Diese gesetzliche Regelung wäre nur dann unverhältnismäßig, wenn ihr durch die Änderung der tatsächlichen Verhältnisse – der allgemeinen Zinsentwicklung – in Gänze die Grundlage entzogen wäre, also der durchschnittliche Marktzins und die gesetzlich festgesetzte Höhe dauerhaft völlig auseinanderfielen. Das Zinsniveau ist zwar zumindest seit dem Jahr 2009 erheblich gefallen; daraus lässt sich aber noch keine dauerhafte Entwicklung herleiten, die der gesetzlichen Regelung ihre Grundlage entziehen würde. Bei der Vergleichsbetrachtung des Nachzahlungszinssatzes mit der allgemeinen Zinsentwicklung ist einzubeziehen, dass die abzuschöpfenden Liquiditätsvorteile gerade bei Gesellschaften nicht nur in der Gestalt von Anlagezinsen nach dem allgemeinen Basiszinssatz (§ 247 BGB) bestehen, sondern zunächst für Steuernachzahlungen nicht benötigtes Kapital regelmäßig auch auf andere Weise, etwa in Form von Investitionen, angelegt wird, womit meist eine deutlich höhere Rendite erzielt wird. Weiter sind nicht nur der jeweils aktuelle Zinssatz für Geldanlagen, sondern ebenso die (deutlich höheren) Zinssätze für besicherte und nicht besicherte Darlehen für die (ersparte) Finanzierung von Steuernachzahlungen in die Betrachtung einzubeziehen. Der Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat hält sich vor diesem Hintergrund im Vergleich zur allgemeinen Zinsentwicklung noch in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen – auch soweit hier Zeiträume bis Juni 2013 betroffen sind (so insbesondere auch FG B-Stadt, a.a.O.; VG Köln, a.a.O). Letztlich ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenfalls das oben genannte Argument zu berücksichtigen, dass der hohe Zinssatz des § 238 Abs. 1 Satz 1 AO gleichermaßen zulasten wie zugunsten des Steuerpflichtigen wirkt.

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IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO und § 154 Abs. 1 VwGO. Von einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 167 VwGO hat das erkennende Gericht abgesehen, weil davon auszugehen ist, dass der Beklagte nicht beabsichtigt, etwaige, allenfalls in geringer Höhe angefallene außergerichtliche Kosten vor Eintritt der Rechtskraft zu vollstrecken.

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