Beschluss vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - 11 S 1547/20

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. April 2020 - 2 K 1509/20 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antragsteller begehrt die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis sowie die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Seine Beschwerde richtet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart, durch den sein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis sowie Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abgelehnt worden ist. Darüber hinaus begehrt er im Beschwerdeverfahren erstmalig, die Antragsgegnerin zu verpflichten, den für die Abschiebung zuständigen Stellen mitzuteilen, dass eine Abschiebung derzeit nicht vollzogen werden könne.
I.
Der im Jahr 1998 in Berlin geborene Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger. Er erhielt am 1. April 1999 eine Aufenthaltserlaubnis. Diese Aufenthaltserlaubnis war bis zum 27. September 2014 gültig. Die Antragsgegnerin erteilte dem Antragsteller am 19. August 2011 eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 33 AufenthG, die wiederum bis zum 27. September 2014 gültig war. Am 17. September 2014 beantragte er eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis bzw. die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Daraufhin erhielt der Antragsteller fortlaufend Fiktionsbescheinigungen ausgehändigt.
Der Antragsteller schloss am 25. Juli 2014 die Förderschule ab. Im Jahr 2016 besuchte er die ... ... ... ... ... .... Einen Hauptschulabschluss erreichte der Antragsteller nicht. Über einen Berufsabschluss verfügt er ebenfalls nicht. Der Antragsteller ging kurzzeitigen Minijobs bei Putzfirmen, auf dem Bau und bei Sicherheitsfirmen nach. Am 22. Oktober 2018 meldete der Antragsteller zum 1. November 2018 ein Stuckateurgewerbe an. Zugleich legte er eine Handwerkskarte mit einer eingetragenen Betriebsleiterin vor. Die Antragsgegnerin forderte vom Antragsteller zu seinem Termin bei der Ausländerbehörde am 9. August 2019 unter anderem die Vorlage der Steuerbescheide aus den Jahren 2018 und 2019 sowie die Gewinn- und Verlustrechnungen für das Jahr 2018 und das erste Halbjahr 2019 an. Zu diesem Termin, wie auch zu zahlreichen anderen Terminen, ist der Antragsteller nicht erschienen. Die für den Termin am 9. August 2019 geforderten Unterlagen legte der Antragsteller nicht vor.
Der Antragsteller bezog jedenfalls seit Eintritt seiner Volljährigkeit Leistungen nach dem SGB II. Nach Mitteilung des Jobcenters befand sich der Antragsteller am 12. Februar 2020 weiterhin im Leistungsbezug. Der Vater des Antragstellers bezieht nach den Feststellungen der Ausländerbehörde seit dem Jahr 2005 mit Unterbrechungen ebenfalls Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II). Seine Mutter ging in der Vergangenheit keiner Erwerbstätigkeit nach. Ab März 2020 war der Antragsteller im Leistungsbescheid seiner Familie nicht mehr aufgeführt. Im Zeitraum vom 9. März 2020 bis 8. Juni 2020 war er im Rahmen eines Praktikums ohne Anspruch auf Vergütung in einem Friseurgeschäft tätig.
Der Antragsteller ist bereits vor Eintritt der Strafmündigkeit seit dem Jahr 2009 wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt entschied mit Urteil vom 22. Oktober 2015, dass der Antragsteller unter anderem des Wohnungseinbruchsdiebstahls, der vorsätzlichen Brandstiftung, des Diebstahls und verschiedener Straßenverkehrsdelikte schuldig ist. Die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe wurde gem. § 27 JGG für die Dauer von 12 Monaten zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich verhängte das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt aufgrund des bereits festgesetzten Schuldspruchs durch Urteil vom 21. Oktober 2016 eine Jugendstrafe von acht Monaten, welche zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Aussetzung zur Bewährung wurde in der Folgezeit widerrufen, weshalb der Antragsteller die Jugendstrafe verbüßen musste.
Das Regierungspräsidium Stuttgart teilte der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 30. Mai 2017 mit, dass von einer Ausweisung des Antragstellers abgesehen werde. Begründet wurde dies damit, dass der bisherige Aufenthalt des Antragstellers sowie seine Bindungen im Bundesgebiet nicht verkannt würden. Der Antragsteller wurde zugleich streng ausländerrechtlich verwarnt.
Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 14. Mai 2020 wurde gegen den Antragsteller wegen Diebstahls in Tatmehrheit mit Computerbetrug eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,- EUR verhängt. Am 18. Mai 2020 wurde der Antragsteller mit rechtskräftigem Urteil desselben Gerichts wegen versuchten Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,- EUR verurteilt. Dem folgten ein wohl noch nicht rechtskräftiger Strafbefehl wegen Besitzes von Betäubungsmitteln und eine Anzeige der Antragsgegnerin wegen Betrugs.
Der Antragsteller verfügt seit 29. November 2019 über einen türkischen Pass, der bis zum 28. November 2029 gültig ist.
Durch Bescheid vom 17. Februar 2020, dem Antragsteller zugestellt am 21. Februar 2020, lehnte die Antragsgegnerin die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (Ziff. 1) sowie die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 2), forderte den Antragsteller zum Verlassen des Bundesgebiets spätestens bis zum 30. April 2020 auf (Ziff. 3), drohte ihm die Abschiebung in die Türkei oder einen anderen Staat, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist, an (Ziff. 4) und verfügte für den Fall der Abschiebung ein Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten (Ziffern 5 und 6). Begründet wurde die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Wesentlichen damit, dass die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG nicht vorlägen. So könne nicht festgestellt werden, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers gesichert sei. Auch liege ein Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG vor. Schließlich erfülle der Antragsteller seine Passpflicht nach § 3 AufenthG nicht. Ein Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 35 AufenthG bestehe ebenfalls nicht, da der Lebensunterhalt nicht ohne die Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB II gesichert sei (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AufenthG). Aufgrund eines bestehenden Ausweisungsinteresses und fehlender Integrationsleistungen komme die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis auch nicht gem. § 35 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Wege des pflichtgemäßen Ermessens in Betracht. Schließlich lägen auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 AufenthG, § 25a Abs. 1, § 25b Abs. 1 AufenthG oder für ein Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 ARB 1/80 nicht vor.
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Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller am 16. März 2020 Widerspruch ein.
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Ebenfalls am 16. März 2020 stellte der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Stuttgart einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin (2 K 1509/20).
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Mit Beschluss vom 27. April 2020, dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 8. Mai 2020, lehnte das Verwaltungsgericht Stuttgart den Antrag ab. Ein Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 34 Abs. 2 und 3 AufenthG bestehe nicht. Der Antragsteller verfehle mehrfach die Anforderungen des § 5 AufenthG. So erfülle er nicht die Passpflicht. Zudem sei sein Lebensunterhalt nicht gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gesichert. Der Antragsteller beziehe seit Eintritt seiner Volljährigkeit fortlaufend Leistungen nach dem SGB II. Auch das begonnene Praktikum bleibe ohne Vergütung. Offenbleiben könne daher, ob noch immer ein Interesse an der Ausweisung des Antragstellers bestehe (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Dieses könne möglicherweise aufgrund des Schreibens des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Mai 2017 verbraucht sein. Könne dem Antragsteller keine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, scheide die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erst Recht aus, da insoweit noch strengere Anforderungen hinsichtlich der Prognose einer künftigen Fähigkeit zur Sicherung des Lebensunterhalts bestünden. Schließlich komme die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen aus den im Bescheid der Antragsgegnerin genannten Gründen nicht in Betracht. Auch folge kein Aufenthaltsrecht aus Art. 6 oder Art. 7 ARB 1/80. Gegen die Abschiebungsandrohung bestünden keine Bedenken. Auch dürfte das verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot von 30 Monaten nicht zu beanstanden sein.
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Am 8. Mai 2020 hat der Antragsteller gegen den Beschluss vom 27. April 2020 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Beschwerde eingelegt.
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Zur Begründung führt der Antragsteller im Wesentlichen aus, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis vorlägen. Der Antragsteller besitze einen Pass. Zudem habe das Gericht zu Unrecht angenommen, dass der Antragsteller Sozialleistungen beziehe, da er über ein Einkommen aus seiner selbstständigen Tätigkeit verfüge. Der Antragsteller sei Inhaber eines Unternehmens und habe daher auch zu Recht eine Handwerkskarte erhalten. Die Betriebsleiterin sei ebenfalls auf der Handwerkskarte eingetragen. Das Gericht hätte auch erkennen müssen, dass ein Ausweisungsinteresse nicht mehr bestehe. Es sei notwendig, im Rahmen des Hauptsachverfahrens zu prüfen, ob der Antragsteller tatsächlich seine Integrationsbemühungen gesteigert habe. Der Antragsteller sei seit Jahren straffrei und bemühe sich, sein Leben zu meistern. Die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei unrechtmäßig erfolgt. Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2020 legte der Antragsteller noch eine Rechnung seines Betriebs sowie Kontoauszüge vor, in welchen Zahlungen bis zum 19. Juni 2020 erfasst sind. Ergänzend führte der Antragsteller aus, dass sich sein gesamtes Leben in Deutschland abgespielt habe und sich die gesamte Familie dort aufhalte.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. April 2020 zu ändern und
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1. die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den für die Abschiebung des Antragstellers zuständigen Stellen mitzuteilen, dass entgegen der bereits erfolgten Mitteilung die Abschiebung des Antragstellers derzeit nicht vollzogen werden kann,
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2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 16. März 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2020 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Zur Begründung führt die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus, dass dem Antragsteller kein Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis zustehe. So sei bereits die Regelerteilungsvoraussetzung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht gegeben. Im Fall des Antragstellers könne keine positive Prognose getroffen werden, dass dieser seinen Lebensunterhalt künftig nachhaltig aus eigenen Mitteln bestreiten werde. In der Vergangenheit habe der Antragsteller durchgehend Leistungen vom Jobcenter bezogen, dies auch, nachdem er im Oktober 2018 ein Gewerbe angemeldet habe. Der Antragsteller habe für diesen Zeitraum weder Gewinn- und Verlustrechnungen noch Steuerbescheide in Bezug auf das Gewerbe vorgelegt. Nicht nachgewiesen worden sei auch, ob der Antragsteller Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung geleistet habe. Der Antragsteller benötige zudem einen Stuckateurmeister. Außerdem weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass der Antragsteller auch in jüngerer Zeit wiederholt straffällig geworden sei.
II.
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1. Die Beschwerde ist hinsichtlich des in Ziff. 1 gestellten Antrags unzulässig (a)). Im Hinblick auf Ziff. 2 des Antrags ist sie zwar zulässig, jedoch nicht begründet (b)). Sie ist insoweit statthaft (§ 146 Abs. 1 VwGO) und unter Beachtung der Vorgaben des § 146 Abs. 4 Satz 1 bis 3, § 147 VwGO eingelegt und begründet worden.
23 
a) Die Beschwerde ist hinsichtlich des in Ziff. 1 gestellten Antrags bereits unzulässig. Bei dem gestellten Antrag handelt es sich um eine im Beschwerdeverfahren vorgenommene Antragserweiterung. Für eine Beschwerde mit einem Antrag, der - wie hier - in erster Instanz so nicht gestellt und daher vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht beschieden wurde, ist grundsätzlich kein Raum. Denn das Beschwerdeverfahren dient der rechtlichen Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung. Dies ergibt sich aus § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach eine Beschwerde nur zulässig ist, wenn der Beschwerdeführer die Gründe darlegt, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzt (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 29.01.2021 - 1 S 308/21 -, juris Rn. 21, und vom 21.07.2020 - 12 S 1545/20 -, juris Rn. 23; OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 21.05.2019 - 2 M 49/19 -, juris Rn. 8; Nds. OVG, Beschluss vom 23.11.2018 - 10 ME 372/18 -, juris Rn. 5; Bay. VGH, Beschluss vom 07.05.2018 - 10 CE 18.464 -, juris Rn. 5; Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 146 Rn. 33). Zwar kann ausnahmsweise und in engen Grenzen im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes oder der Prozessökonomie etwas anderes gelten, insbesondere dann, wenn mit der Antragserweiterung keine wesentliche Änderung der zu prüfenden Gesichtspunkte einhergeht (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 18.01.2006 - 11 S 1455/05 -, juris Rn. 7; Bay. VGH, Beschluss vom 07.05.2018 - 10 CE 18.464 -, juris Rn. 5; weitergehend wohl Hmb. OVG, Beschluss vom 02.08.2019 - 4 Bs 219/18 -, juris Rn. 10 und 13; OVG NRW, Beschluss vom 29.01.2018 - 9 B 1540/17 -, juris Rn. 13). Im vorliegenden Fall sind jedoch keine Umstände ersichtlich, die Anlass geben, eine Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren ausnahmsweise zuzulassen. Der Antragsteller hat hierzu auch nichts vorgetragen. Es wäre ihm ohne Einbuße an Effektivität des Rechtsschutzes möglich, sein Begehren, die vorläufige Aussetzung seiner Abschiebung zu erlangen, mit einem Antrag nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht geltend zu machen. Auch auf Gründe der Prozessökonomie lässt sich die vorliegende Antragserweiterung nicht stützen. Denn ein zulässiger Antrag nach § 123 VwGO könnte sich in der vorliegenden Fallkonstellation nur gegen das Land Baden-Württemberg mit dem Ziel richten, der drohenden Abschiebung letztlich Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegenzuhalten. Dieses ist am Beschwerdeverfahren aber nicht beteiligt.
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Die Beschwerde ist somit im Hinblick auf den in Ziff. 1 gestellten Antrag unzulässig.
25 
b) Die Beschwerde ist betreffend des in Ziff. 2 gestellten Antrags, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 16. März 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 17. Februar 2020 gem. § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen, zwar zulässig aber unbegründet. Aus den in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Beschwerdegericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass dem Antragsteller abweichend vom Beschluss des Verwaltungsgerichts vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren ist.
26 
Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 34 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG bei der gebotenen, aber ausreichenden summarischen Prüfung rechtmäßig ist und der eingelegte Widerspruch daher voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (1). Damit überwiegt das öffentliche Interesse, den Antragsteller bereits während des Widerspruchsverfahrens vom Bundesgebiet fernzuhalten, sein privates Interesse, sich bis zum bestandskräftigen Abschluss des Widerspruchsverfahrens hier aufhalten zu können.
27 
Hinsichtlich der im Beschluss des Verwaltungsgerichts aufgeführten Gründe, welche sich nicht auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 34 Abs. 2 und 3 AufenthG und auf das Vorliegen der allgemeinen Titelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 AufenthG beziehen, erfolgte keine Darlegung in der Beschwerdebegründung. Sie sind daher vom Senat nicht zu überprüfen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO, vgl. unten (2)).
28 
(1) Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Anspruch auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis aller Voraussicht nach nicht zu. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist insoweit derjenige des vorliegenden Beschlusses (vgl. in diesem Zusammenhang VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.10.2020 - 11 S 1112/20 -, juris Rn. 41).
29 
Auf § 34 Abs. 2 und Abs. 3 AufenthG kann sich der Antragsteller nicht stützen. Insoweit handelt es sich um einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Es ist aber bereits nicht ersichtlich, dass der Antragsgegnerin Ermessen für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers eingeräumt war, da bereits die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 8 Abs.1 i.V.m. § 5 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt sein dürften. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen ist bei einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gem. § 34 Abs. 3 AufenthG erforderlich. Die Privilegierung in § 34 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezieht sich nur auf das dort genannte akzessorische Aufenthaltsrecht, nicht aber auf das eigenständige Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 3 AufenthG (Dienelt, in: Bergmann/ders., AuslR, 13. Aufl. 2020, § 34 AufenthG Rn. 22).
30 
Zwar verfügt der Antragsteller zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über einen bis zum 28. November 2029 gültigen türkischen Reisepass, so dass die gem. § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG grundsätzlich erforderliche Erfüllung der Passpflicht i.S.d. § 3 AufenthG gegeben ist. Jedoch dürfte zum einen der Lebensunterhalt des Antragstellers nicht gesichert sein (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG, vgl. unten (a)). Zum anderen spricht viel dafür, dass der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers ein Ausweisungsinteresse entgegensteht (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, vgl. unten (b)).
31 
(a) Nicht erkennbar ist, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers nur dann gesichert, wenn dieser ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Auf die tatsächliche Inanspruchnahme von Sozialleistungen kommt es dabei nicht an. Vielmehr ist eine Sicherung des Lebensunterhalts bereits dann zu verneinen, wenn der betreffende Ausländer nach den gesetzlichen Vorgaben unter Berücksichtigung der konkreten persönlichen Einkommens- und Vermögenssituation derartige Leistungen auch nur zur teilweisen Sicherung seines Lebensunterhalts beanspruchen kann. Dabei entspricht es dem Willen des Gesetzgebers, bei der Erteilung einer Aufenthalts- oder Niederlassungserlaubnis hinsichtlich der Sicherung des Lebensunterhalts einen strengen Maßstab anzulegen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteile vom 18.04.2013 - 10 C 10.12 -, juris Rn. 13, und vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 18.11.2020 - 11 S 2637/20 -, juris Rn. 16 ff., und vom 22.10.2020 - 11 S 1812/20 -, juris Rn. 22 ff.). Die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs richtet sich bei erwerbsfähigen Ausländern nach den entsprechenden Bestimmungen des SGB II. Dies gilt grundsätzlich auch für die Berechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens (BVerwG, Urteile vom 18.04.2013 - 10 C 10.12 -, juris Rn. 13, und vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 -, juris Rn. 19; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.10.2020 - 11 S 1812/20 -, juris Rn. 22 ff.). Die Fähigkeit, seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu bestreiten, darf nicht nur vorübergehend sein. Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen eine gewisse Nachhaltigkeit aufweisen (Dienelt, in: Bergmann/ders., AuslR, 13. Aufl. 2020, § 2 AufenthG Rn. 42). Es bedarf daher einer positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln (BVerwG, Urteil vom 18.04.2013 - 10 C 10.12 -, juris Rn. 13; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.10.2020 - 11 S 1812/20 -, juris Rn. 22 ff). Es ist die Frage zu beantworten, ob der betroffene Ausländer aller Voraussicht nach bei nicht wesentlich veränderten und unter Außerachtlassung von unvorhergesehenen Umständen den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln, Zuwendungen Dritter sowie vom Gesetzgeber ausdrücklich als unschädlich eingeordneten öffentlichen Mitteln auch in der Zukunft wird bestreiten können (Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand April 2020, § 2 Rn. 72). Bei dieser Prognose ist auf den konkreten Einzelfall abzustellen (Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand April 2020, § 2 Rn. 126). Es ist an die bisherige Aufenthalts-, Ausbildungs- und Erwerbsbiografie des betreffenden Ausländers anzuknüpfen und unter Berücksichtigung seiner aktuellen Lebens-, Wohn- und Beschäftigungssituation abzuschätzen, ob der Ausländer in wirtschaftlich so stabilen Verhältnissen lebt, dass er voraussichtlich weder kurz- noch mittelfristig zum Kreis der nach dem SGB II Leistungsberechtigten zählen wird.
32 
Blickt man auf die Situation des Antragstellers, bestehen erhebliche Zweifel, ob ihm die positive Prognose gestellt werden kann, in der Lage zu sein, zukünftig seinen Lebensunterhalt auf Dauer sicherzustellen. Es ist für den Senat bereits nicht ersichtlich, dass der Antragsteller derzeit seinen Lebensunterhalt aus einem Einkommen und/oder seinem Vermögen bestreitet. Des Weiteren ist unter Berücksichtigung der genannten Kriterien auch nicht erkennbar, dass er kurz- oder mittelfristig dazu imstande sein wird, seinen Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu sichern.
33 
Es bestehen zunächst derzeit keinerlei Anhaltspunkte, dass der Lebensunterhalt des Antragstellers durch die vorgetragene selbständige Tätigkeit gesichert ist. In den Behördenakten, den Akten des Verwaltungsgerichts und im Rahmen des Vorbringens im Beschwerdeverfahren sind nur sehr wenige Unterlagen über den Stuckateurbetrieb vorhanden. Die Antragsgegnerin hat vom Antragsteller zu seinem Termin bei der Ausländerbehörde am 9. August 2019 unter anderem den Steuerbescheid aus dem Jahr 2018 sowie die Vorlage der Gewinn- und Verlustrechnungen für das Jahr 2018 und das erste Halbjahr 2019 angefordert. Diese wurden vom Antragsteller weder bei der Behörde noch im gerichtlichen Verfahren vorgelegt. Für den Senat ist daher nicht ersichtlich, dass der Betrieb des Antragstellers einen Gewinn abwirft, von dem er leben kann.
34 
Die seitens des Antragstellers im Beschwerdeverfahren vorgelegten Rechnungen und Auftragsbestätigungen rechtfertigen keine andere Einschätzung. Diese beziehen sich lediglich auf einen Auftraggeber. Der Antragsteller hat, wie aus den vorgelegten Kontoauszügen ersichtlich wird, zwar gewisse Zahlungen durch seinen Auftraggeber erhalten. Aus diesen Auszügen ergeben sich aber keinerlei Anhaltspunkte, dass ihm aus diesem Auftrag ein Gewinn verblieben ist. Der Antragsteller hat die Kontoauszüge letztlich auch nur für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum vom 1. April 2020 bis 19. Juni 2020 vorgelegt, so dass diese ein nachhaltiges Erwerbseinkommen nicht darzulegen vermögen.
35 
Für den Senat ist weiterhin nicht erkennbar, dass die Struktur des Betriebes darauf ausgelegt ist, um damit auf Dauer erfolgreich agieren zu können. So ist bereits nicht dargelegt oder ersichtlich, dass der Antragsteller für diesen Betrieb noch andere Aufträge erhalten oder diese wenigstens in Aussicht hat. Der Antragsteller verfügt nach der vorgelegten Handwerkskarte zwar über eine Betriebsleiterin. Letztlich hat er aber nicht aufgezeigt, welche Personen in seinem Betrieb tätig sind. So ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller einen Stuckateurmeister und qualifiziertes Personal beschäftigt, welche die Arbeiten für den Betrieb durchführen sollen. Er hat zwar im Verwaltungsverfahren ein Schreiben der Bundesagentur für Arbeit vom 23. Oktober 2019 betreffend einer ihm zugeteilten Betriebsnummer zur Meldung bei den Sozialversicherungen vorgelegt. Aus diesem wird aber nicht ersichtlich, dass der Antragsteller auch über entsprechendes Personal verfügt.
36 
Die Möglichkeit, aus der Führung des Unternehmens Gewinne zu erwirtschaften, die zur Deckung des Lebensunterhalts des Antragstellers verwendet werden können, ist mangels einer substantiierten Darlegung der Auftragslage und vor dem Hintergrund der fehlenden Gewinn- und Verlustrechnungen des Betriebs sowie der fehlenden Steuerbescheide nicht belegt. Ein gesichertes Erwerbseinkommen des Antragstellers ist für den Senat daher nicht ersichtlich.
37 
Der Senat merkt in diesem Zusammenhang noch an, dass das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt in seinem Strafbefehl vom 14. Mai 2020 und in seinem Urteil vom 18. Mai 2020 den Antragsteller jeweils zu Geldstrafen mit einem Tagessatz in Höhe von 10,- EUR verurteilt hat. Auch die Ermittlungen in diesen Strafverfahren deuten also darauf hin, dass der Antragsteller wohl kaum über ein nennenswertes Einkommen verfügen dürfte. Die Höhe der Tagessätze bestimmt das Strafgericht nämlich gemäß § 40 Abs. 2 StGB unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters. Dabei geht es in der Regel von dem Nettoeinkommen aus, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Dieses angenommene Einkommen in den Entscheidungen des Amtsgerichts bewegt sich jedenfalls unter dem Regelbedarf für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II für nicht-erwerbstätige Erwachsene unter 25 Jahren im Haushalt der Eltern im Jahr 2020 in Höhe von 345,- EUR monatlich.
38 
Weiterhin ist auch in Anknüpfung an die Aufenthalts-, Ausbildungs- und Erwerbsbiografie nicht erkennbar, dass der Antragsteller in wirtschaftlich so stabilen Verhältnissen lebt, damit er voraussichtlich weder kurz- noch mittelfristig zum Kreis der nach dem SGB II Leistungsberechtigten zählen wird. Der Antragsteller schloss am 25. Juli 2014 die Förderschule ab. Weitere Unterlagen über einen sich daran anschließenden Schulabschluss finden sich dagegen nicht. Insoweit legte er der Antragsgegnerin lediglich eine Schulbescheinigung der ... ... ... ... ... ... vor, welche bis 27. Juli 2016 gültig war. Über einen Berufsabschluss verfügt der Antragsteller nicht. Soweit er in der Vergangenheit einer Tätigkeit nachgegangen ist, handelte es sich ausschließlich um verschiedene Minijobs. Eine mit einem Berufsabschluss vergleichbare Qualifikation folgt auch nicht aus dem vom 9. März 2020 bis 8. Juni 2020 durchgeführten Praktikum bei einem Frisörgeschäft. Der Antragsteller hat insoweit weder im Eilrechtsschutzverfahren noch im Beschwerdeverfahren substantiiert dargelegt, welche Tätigkeiten er dort wahrgenommen hat. Des Weiteren vermag ein Praktikum während dieses kurzen Zeitraums auch keine Berufsausbildung zu ersetzen. Auch leuchtet es nicht ein, wie der Antragsteller in diesem kurzzeitigen Praktikum die Führung eines eigenen Betriebes erlernt haben will.
39 
Aufgrund der vorgenannten Erwägungen kann nicht die positive Prognose gestellt werden, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann (§ 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Unbeachtlich ist dabei, ob der Antragsteller entsprechende Leistungen tatsächlich in Anspruch nimmt.
40 
Zugleich lässt sich weder aus dem Vortrag des Antragstellers noch aus dem Inhalt der Akten entnehmen, dass die Verwandten des Antragstellers zum hier maßgebenden Zeitpunkt bereit beziehungsweise in der Lage sind, den Lebensunterhalt des Antragstellers nachhaltig und in verbindlicher Weise zu sichern. So verfügen die Eltern des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland über keine nachhaltige Erwerbsbiografie. Die Mutter des Antragstellers hat nach den Feststellungen der Antragsgegnerin niemals in einem Beschäftigungsverhältnis gearbeitet. Der Vater war nach den Auskünften der Allgemeinen Rentenversicherung bis Ende des Jahres 2004 pflichtversichert. Seit dem Jahr 2005 bezieht er dagegen mit Unterbrechungen Arbeitslosengeld II. Die Familie des Antragstellers bezog nach den im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen auch im Jahr 2020 noch entsprechende Leistungen.
41 
Eine Sicherung des Lebensunterhalts ist nach alledem nicht erkennbar. Im vorliegenden Fall des Antragstellers ist auch nicht von einer Atypik auszugehen, die eine Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG begründen könnte. Eine solche Ausnahme - deren Vorliegen der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt - ist nach höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn besondere, atypische Umstände vorliegen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, oder wenn die Erteilung des Aufenthaltstitels aufgrund von Verfassungsrecht (etwa Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) oder Völkervertragsrecht (etwa Art. 8 EMRK) geboten ist, z. B. weil die Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsland nicht möglich ist (vgl. z. B. BVerwG, Urteile vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 -, juris Rn 10 ff., 13, und vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 -, juris Rn. 27; VGH Bad.-Württ., Urteile vom 20.09.2018 - 11 S 240/17 -, juris Rn. 50, und vom 18.11.2009 - 13 S 2002/09 -, juris Rn. 39; OVG B.-Bbg., Urteil vom 31.05.2018 - OVG 11 B 18.16 -, juris Rn. 36 ff.). Die zwischenzeitliche Dauer des Aufenthalts und die dadurch erreichte Integration dürfen nicht außer Acht gelassen werden; persönliche Belange gewinnen nach längerem rechtmäßigem Aufenthalt an Gewicht, vor allem dann, wenn sie grundrechtlich geschützt sind, und können damit einen atypischen Ausnahmefall im Sinne von § 5 Abs. 1 AufenthG begründen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20.09.2018 - 11 S 240/17 -, juris Rn. 50).
42 
Ein atypischer Fall entgegen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liegt nicht deshalb vor, weil die Sicherung des Lebensunterhalts dem Antragsteller mit Blick auf die Wertentscheidungen der Art. 6 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK zugunsten der Familie aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zumutbar wäre. Daran wäre etwa bei der eine Erwerbstätigkeit nicht zulassenden Betreuungsbedürftigkeit von Kindern oder beim Zusammenleben des Ausländers mit einem Familienmitglied, dem das Verlassen des Bundesgebietes nicht zumutbar ist, zu denken. Eine derartige Situation hat der Antragsteller nicht dargelegt.
43 
Das zugunsten des Antragstellers hier allein noch in Betracht kommende Recht auf Achtung seines Privatlebens aus Art. 8 EMRK führt ebenfalls nicht auf einen atypischen Ausnahmefall.
44 
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kommt eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung mit dem Aufnahmestaat als Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention dann in Betracht, wenn der Ausländer ein Privatleben, das durch persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen charakterisiert ist, faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, er mithin ein „faktischer Inländer“ ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.2016 - 2 BvR 1943/16 -, juris Rn. 19 ff.; EGMR, Urteile vom 09.04.2019 - 23887/16 -, vom 20.12.2018 , und vom 20.12.2018 ). Ob der Ausländer ein Privatleben faktisch nur noch im Aufenthaltsstaat führen kann, hängt zum einen von seiner Integration in Deutschland („Verwurzelung“) und zum anderen von der Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland („Entwurzelung“) ab. Gesichtspunkte für die Integration des Ausländers in Deutschland sind dabei eine zumindest mehrjährige Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, gute deutsche Sprachkenntnisse und eine soziale Eingebundenheit in die hiesigen Lebensverhältnisse, wie sie etwa in der Innehabung eines Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, in einem festen Wohnsitz, ausreichenden Mitteln, um den Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten zu können, und fehlender Straffälligkeit zum Ausdruck kommt. Eine nach Art. 8 EMRK schutzwürdige Verwurzelung im Bundesgebiet kann dabei aber grundsätzlich nur während Zeiten entstehen, in denen der Ausländer sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 26.10.2010 - 1 C 18.09 -, juris Rn. 14, und vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 -, juris Rn. 20; VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.11.2020 - 11 S 3717/20 -, juris Rn. 24, und vom 22.10.2020 - 11 S 1112/20 -, juris Rn. 50; Nds. OVG, Beschluss vom 17.08.2020 - 8 ME 60/20 -, juris Rn. 65 m.w.N.; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 24.07.2019 - 2 B 222/19 -, juris Rn. 15; Bay. VGH, Beschluss vom 04.03.2019 - 10 ZB 18.2195 -, juris Rn. 10).
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Der Antragsteller hielt sich zwar seit seiner Geburt und damit über einen beachtlichen Zeitraum hinweg legal im Bundesgebiet auf. Er hat es während seines langjährigen Aufenthalts aber weder geschafft, sich nachhaltig wirtschaftlich zu integrieren, noch sind sonstige tiefergehende persönliche oder sonstige Bindungen an das Bundesgebiet dargelegt worden. Entsprechende, für eine Integration des Antragstellers im Bundesgebiet sprechende Umstände sind kaum erkennbar. So hat der Antragsteller keinen über den Abschluss einer Förderschule hinausgehenden Schul- und Ausbildungsabschluss. Der Antragsteller war ganz überwiegend von Sozialleistungen abhängig und ging lediglich wechselnden Minijobs nach. Hinsichtlich des vorgetragenen Aufbaus eines eigenen Stuckateurgewerbes ist wie bereits ausgeführt nicht dargelegt worden, dass dieser eine Zukunftsperspektive hat. Ferner hat der Antragsteller sich in Deutschland nicht durchweg rechtstreu verhalten; er ist vielmehr unabhängig von dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 21. Oktober 2016 im Laufe des Beschwerdeverfahrens erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten. So wurde gegen den Antragsteller durch rechtskräftigen Strafbefehl wegen Diebstahls in Tatmehrheit mit Computerbetrugs eine Geldstrafe verhängt. Auch wurde er wegen versuchten Diebstahls rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Dem folgten ein wohl noch nicht rechtskräftiger Strafbefehl wegen Besitzes von Betäubungsmitteln und eine Anzeige der Antragsgegnerin wegen Betrugs. Ob eine relevante Entwurzelung aus den in der Türkei herrschenden Lebensverhältnissen vorliegt, kann angesichts seiner mangelnden Integration in die hiesigen Verhältnisse dahinstehen.
46 
Da somit schon eine Regelerteilungsvoraussetzung für die Verlängerung der begehrten Aufenthaltserlaubnis nicht erfüllt sein dürfte und weder ein atypischer Fall vorliegt noch eine Ausnahme gem. § 5 Abs. 3 Satz 1 und 2 AufenthG eingreifen dürfte, wird die ablehnende Entscheidung der Antragsgegnerin kaum zu beanstanden sein.
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(b) Dahingestellt bleiben kann die auch vom Verwaltungsgericht offengelassene Frage, ob der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis im Hinblick auf die Verurteilung des Antragstellers durch das Amtsgericht Stuttgart Bad-Cannstatt vom 22. Oktober 2015 und der verhängten Jugendstrafe im Urteil vom 21. Oktober 2016 ein Ausweisungsinteresse entgegensteht (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG), oder ob dieses durch die strenge ausländerrechtliche Verwarnung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Mai 2017 gegebenenfalls verbraucht ist. Der Senat merkt in diesem Zusammenhang an, dass die zwischenzeitlichen strafrechtlichen Verurteilungen im Jahr 2020 neue Ausweisungsinteressen begründen dürften, die einem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen. Auch insoweit dürfte aus den oben genannten Gründen kein atypischer Fall anzunehmen sein.
48 
(2) Nachdem sich die Beschwerdebegründung lediglich mit der Frage auseinandersetzt, ob dem Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG entgegenstehen, beschränkt sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO auch nur auf diese Gründe. Keine Auseinandersetzung erfolgte mit der Frage, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gemäß § 25 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 AufenthG, § 25a Abs. 1, § 25b Abs. 1 AufenthG sowie zur Annahme eines Aufenthaltsrechts aus Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 ARB 1/80 vorliegen. Ebenso geht die Beschwerdebegründung nicht auf die Frage ein, ob die Voraussetzungen für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gem. § 35 Abs. 1 und Abs. 3 AufenthG vorliegen. Schließlich finden sich in der Beschwerdebegründung auch keinerlei Ausführungen zu der verfügten Abschiebungsandrohung sowie zum Einreise- und Aufenthaltsverbot.
49 
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
50 
3. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2, § 52 Abs. 1 und 2, § 39 Abs. 1 sowie § 63 Abs. 2 GKG.
51 
Im Hinblick auf den Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO findet eine Reduzierung des Streitwerts auf die Hälfte des Auffangwerts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht statt, weil dem Antragsteller aufgrund der in der Vergangenheit erteilten Aufenthaltstitel bereits die Perspektive für einen längerfristigen Aufenthalt eröffnet worden war (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 22.10.2020 - 11 S 1112/20 -, juris Rn. 61, vom 19.07.2019 - 11 S 1812/19 -, juris Rn. 5 f. und vom 05.02.2019 - 11 S 1646/18 -, juris Rn. 25).
52 
Im Beschwerdeverfahren tritt das erstmals zweitinstanzlich verfolgte Begehren, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den für die Abschiebung des Antragstellers zuständigen Stellen mitzuteilen, dass entgegen der bereits erfolgten Mitteilung die Abschiebung des Antragstellers derzeit nicht vollzogen werden kann, hinzu. Der Antragsteller begehrt durch diesen Antrag letztlich, der ihm drohenden Abschiebung Duldungsgründe nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG entgegenzuhalten. Die für aufenthaltsrechtliche Streitigkeiten zuständigen Senate des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei Streitigkeiten um die Erteilung einer Duldung im Hauptsacheverfahren grundsätzlich der volle Auffangwert je Person zu veranschlagen ist (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 23.06.2020 - 11 S 766/20 -, juris Rn. 12, und vom 26.03.2019 - 12 S 502/19 -, juris Rn. 19). Weiter entspricht es der ständigen Rechtsprechung der für aufenthaltsrechtliche Streitigkeiten zuständigen Senate des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, Streitigkeiten um die Erteilung und Ausgestaltung von Duldungen im Eilrechtsschutzverfahren grundsätzlich mit dem halben Auffangwert je Person zu bemessen (so bereits grundlegend VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 11.11.2010 - 11 S 2475/10 -, juris Rn. 4; aus neuerer Zeit VGH Bad.-Wütt., Beschlüsse vom 23.11.2020 - 11 S 3717/20 -, juris Rn. 36, vom 23.06.2020 - 11 S 766/20 -, juris Rn. 12, vom 14.01.2020 - 11 S 2956/19 -, juris Rn. 27, vom 09.05.2019 - 12 S 615/19 -, vom 02.04.2019 - 12 S 483/19 -, vom 28.03.2019 - 11 S 623/19 -, juris Rn. 26, vom 28.11.2018 - 12 S 2585/18 -, und vom 16.05.2018 - 12 S 1073/18 -).
53 
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren war demnach insgesamt auf 7.500,- EUR festzusetzen.
54 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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