Beschluss vom Amtsgericht Kehl - 3 Cs 206 Js 1716/15

Tenor

1. Der Erlass des beantragten Strafbefehls wird abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe

 
I.
Mit dem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten vor, er habe am 09.01.2015 gegen 13:45 Uhr in alkoholisiertem Zustand im Restaurant R in Kehl, L. Straße …, die Geschädigte G mutwillig und ohne rechtfertigenden Grund mit der Hand ins Gesicht geschlagen, als diese ihn aufgefordert habe, die Gaststätte zu verlassen. Nachdem der Angeschuldigte die Gaststätte verlassen habe, sei er auf die Postangestellte P getroffen, die er aufgrund neugefassten Willensentschlusses und wiederum mutwillig und ohne rechtfertigenden Grund mit der Faust ins Gesicht geschlagen und gegen den Oberarm getreten habe. Dies sei strafbar als vorsätzliche Körperverletzung in zwei tatmehrheitlichen Fällen gemäß den §§ 223, 230, 53 StGB.
II.
Der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeschuldigten ist aus Rechtsgründen abzulehnen. Der Erlass des beantragten Strafbefehls ist bereits aus formellen Gründen unzulässig, weil er dem Angeschuldigten nicht zugestellt werden kann (vgl. Beschluss des Landgerichts Offenburg vom 17.10.2014, Az. 8 Qs 5/14). Der Angeschuldigte ist ohne festen Wohnsitz; sein Aufenthalt ist nicht bekannt. Die vom Angeschuldigten aufgrund einer richterlichen Anordnung nach § 132 StPO erteilte Zustellungsvollmacht ist unwirksam.
1.
Die richterliche Anordnung zur Erteilung einer Zustellungsvollmacht nach § 132 StPO war rechtswidrig ergangen, weil der Angeschuldigte zuvor nicht gemäß § 33 StPO angehört wurde (zur grundsätzlichen Erforderlichkeit der Anhörung siehe Beschluss des Amtsgerichts Kehl vom 03.03.2015, Aktenzeichen 3 Cs 206 Js 13333/14, veröffentlicht bei juris.de; Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 58. Aufl. 2015, § 132, Rn. 12; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2007, § 132, Rn. 11).
a.
Die Anhörung des Angeschuldigten vor der richterlichen Entscheidung über die Anordnung der Erteilung der Zustellungsvollmacht hätte nach Aktenlage ohne Weiteres, gegebenenfalls telefonisch, durchgeführt werden können.
(1.)
Der Angeschuldigte wurde gegen 14:00 Uhr von der Polizei festgenommen. Um 15:15 Uhr bestätigte der Bereitschaftsrichter des Amtsgerichts Offenburg den Polizeigewahrsam bis vorerst 20:00 Uhr. Anschließend blieb der Angeschuldigte freiwillig noch bis 22:30 Uhr im Polizeigewahrsam. Die Zustellungsvollmacht wurde vom Angeschuldigten gegen 22.20 Uhr erteilt.
(2.)
Es liegen keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeschuldigte aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen in dieser Zeit nicht anhörungsfähig gewesen wäre. Zwar wies der Angeschuldigte um 14:28 Uhr eine Atemalkoholkonzentration von 1,10 mg/l Atemluft auf. Bis auf einen schwankenden Gang sind aber keine Ausfallerscheinungen von der Polizei festgestellt worden. Zudem war der Angeschuldigte offenbar gewahrsamsfähig.
b.
Von der Anhörung konnte nicht nach § 33 Abs. 4 StPO abgesehen werden. Es ist nicht ersichtlich, wie die vorherige Anhörung des Angeschuldigten den Zweck der Anordnung hätte gefährden können.
2.
Die rechtswidrig unterbliebene Anhörung muss im Ergebnis zur Unwirksamkeit der Zustellungsvollmacht führen, was bei der Prüfung der Zustellungsmöglichkeiten durch das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen ist.
Es ist nicht zu fordern, dass der Angeschuldigte zunächst erfolgreich Beschwerde gegen die richterliche Anordnung einlegt, bevor die Zustellungsvollmacht als unwirksam angesehen werden kann. Denn regelmäßig wird der Angeschuldigte von der Anordnung erst dann Kenntnis erlangen, wenn bereits strafprozessuale Entscheidungen gegen ihn ergangen sind, deren Wirksamkeit von der förmlichen Zustellung an den Zustellungsbevollmächtigten abhängen. Nicht selten wird der Angeschuldigte sogar erstmals vom gerichtlichen Erfahren, wenn freiheitsentziehende Zwangsmaßnahmen vollzogen werden, beispielsweise - wie hier - im Strafbefehlsverfahren die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe nach § 459e StPO oder die Festnahme aufgrund eines Haftbefehls nach § 230 Abs. 2 StPO wegen unentschuldigtem Fernbleiben bei der Hauptverhandlung. Dies kann nicht hingenommen werden.
III.
10 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.

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