Urteil vom Amtsgericht Lünen - 8 C 26/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte selbst vorher Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1Die Klägerin begehrt Räumung einer Wohnung ![]()
Die Klägerin ist eine überbezirklich bekannte Vermieterin zahlreicher Wohnungen aus dem unteren und mittlerem Preissegment. Sie vermietete mit nicht näher vorgetragenem Mietvertrag an den Beklagten die Wohnung im Hause
3
. Die zuletzt zu zahlende Miete betrug 366,73€ netto zzgl. einer Heizkosten- und Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von insgesamt 176,00€, brutto demnach 542,73€.
Die Klägerin erlangte gegen den Beklagten einen Vollstreckungsbescheid vom 17.08.2017 in Höhe von 381,53€. Der Beklagte gab im Rahmen der Zwangsvollstreckung die Vermögensauskunft ab.
5Nach Abgabe der Vermögensauskunft mahnte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 24.06.2018 an und forderte ihn auf, den „ausstehenden“ Betrag bis spätestens zum 09.07.2018 auszugleichen.
6Hierzu heißt es:
7„Abmahnung wegen erheblicher Forderungsrückstände
8[…] Eine auf mich lautende Vollmacht für diese Abmahnung liegt anbei. […]
9Nachdem die Zwangsvollstreckung durchgeführt wurde und Sie die Vermögensauskunft abgegeben haben, entstand eine Gesamtforderung von 434,00€. Seitdem sind weitere Mietzinsrückstände auf Ihrem Mieterkonto aufgelaufen. Im Einzelnen liegt hier folgender Mietzinsrückstand vor:
10Miete 10/2017 |
1,32€ |
Miete 04/2018 |
36,24€ |
Miete 05/2018 |
36,24€ |
Miete 06/2018 |
36,24€ |
Summe gesamt |
110,04€ |
Die Gesamtforderung beläuft sich somit auf 544,04€.
12[…]
13Sollte Ihnen die Zahlung in einer Summe nicht möglich sein, so erwartet unsere Mandantschaft zumindest ein angemessenes Ratenzahlungsangebot.
14Die Forderung wird jedenfalls nicht durch das gesamte Mietverhältnis gezogen.
15Sollten Sie diese Abmahnung unbeachtet lassen, müssen Sie auch mit einer Kündigung rechnen.
16Da Sie sich mit den Zahlungen in Verzug befinden, haben Sie auch die durch diese Abmahnung entstandenen Kosten zu tragen. […]
17Der von Ihnen zu zahlende Gesamtbetrag beläuft sich somit auf 635,43€.“ Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf Bl. 6 ff d. A.
18Mit Schreiben vom 26.03.2019 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis fristgemäß nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB zum 30.06.2019.
19In dem Schreiben heißt es u.a.:
20[…]
21Gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB hat ein Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, wenn ein Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. Diese Voraussetzungen liegen bei Ihnen vor.
22Unsere Mandantin war gezwungen, berechtigte Mietrückstände gerichtlich geltend zu machen. Nachdem keine Zahlung erfolgte, wurde die Zwangsvollstreckung eingeleitet. Auch dieser Zwangsvollstreckung sind [Sie] nicht nachgekommen, sodass auch heute noch eine Gesamtforderung von 783,77€ zur Zahlung aussteht.
23Das Erheblichkeitskriterium ist bei dem vorgenannten Zahlungsrückstand dann erfüllt, wenn der Zahlungsverzug der Höhe einer Monatsmiete entspricht und die Forderung länger als einen Monat fällig ist, was unstreitig der Fall ist. Wir weisen diesbezüglich darauf hin, dass die aufgewandten Prozesskosten aus den vorangegangenen Mietstreitigkeiten ebenfalls als eine Pflichtverletzung aus dem Mietverhältnis zu bewerten ist.
24[…]
25Da Sie sich mit der Mietzahlung in Verzug befinden, haben Sie auch die bei uns entstandenen, nachstehend aufgeführten Kosten wie folgt auszugleichen:
26Gegenstandswert: 4.400,76€
27Geschäftsgebühr §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG 0,8 242,40€
28Pauschale für Post- und Telekommunikation NR. 7002 VV RVG 20,00€
29Zwischensumme netto
30262,40€
31Zzgl. Mehrwertsteuer iHv 19% Nr. 7008 VV RVG 49,86€
32Zu zahlender Betrag 312,26€“.
33Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf Bl. 14 ff. d. A.
34Schriftsätzlich begründete die Klägerin die o.g. Kündigung mit einem Rückstand in Höhe von 1.096,03€, welcher sich nach ihrer Berechnung wie folgt zusammensetzt:
35Miete 01/2017 bis 03/2019 |
493,81€ |
Kosten des Vollstreckungsbescheids und Verfahrenskosten nebst Zinsen |
602,22€ |
Summa: |
1.096,03€ |
Mit Schreiben vom 26.04.2019 bot die Klägerin dem Beklagten eine Teilzahlungsvereinbarung an, wonach der Beklagte einen Forderungsrückstand in Höhe von (nunmehr) 1.302,19€ anerkennen solle und dafür Raten in Höhe von 80,00€ leisten solle. Gleichzeitig sollte der Beklagte auf jegliche Einwendungen sowie auf gerichtlichen Vollstreckungsschutz verzichten, sowie sämtliche auch durch die Teilzahlungsvereinbarung entstandenen Kosten in Höhe von weiteren 160,65€ an Rechtsanwaltsgebühren übernehmen. Außerdem sollte der Beklagte bereits jetzt seine Lohn- und Gehaltsansprüche abtreten, wobei die Klägerin unter Ziffer 2 klarstellte, dass sie auch vollstreckbare Titel auch wegen der Vergleichssumme erwirken werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf Bl. 50 ff. d. A.
37Der Beklagte nahm diesen Vergleichsvorschlag nicht an.
38Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung am 22.01.2020 setzte sich der Mietrückstand ausweislich der Klageschrift wie folgt zusammen:
39Miete 01.01.2017 bis 06.2017 |
224,66€ |
Miete 05/2019 |
6,88€ |
Miete 06/2019 |
46,23€ |
Miete 07/2019 |
46,23€ |
Miete 09/2019 |
12,24€ |
Miete 10/2019 |
12,24€ |
Miete 11/2019 |
12,24€ |
Miete 12/2019 |
12,24€ |
Miete 01/2020 |
12,24€ |
Summa |
385,20€ |
Hierzu rechnet die Klägerin wiederum Kosten aus dem Vollstreckungsbescheidsverfahren in Höhe von 313,07€ nebst Zinsen. Unter der Addition der Posten kündigte die Klägerin mit der Klage vom 20.01.2020 das Mietverhältnis erneut fristgemäß zum nächstmöglichen Zeitpunkt, nach ihrer Berechnung zum 31.07.2020.
41Der Beklagte bot im gerichtlichen Verfahren eine Ratenzahlung an. Das Gericht schlug den Parteien eine vergleichsweise Einigung dahingehend vor, dass der Beklagte eine Ratenzahlung betreffend den Betrag in Höhe von 1.096,03€ in monatlichen Raten á 50,00€ vornimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf Bl. 36 d. A.. Der Beklagte kündigte an, den Vergleichsvorschlag annehmen zu wollen. Die Klägerin verweigerte eine gütliche Einigung.
42Mit Schreiben vom 29.07.2020 teilte die Klägerin mit, dass die Mietzahlungen vom Jobcenter direkt übernommen werden. Ausweislich des gleichzeitig dem Gericht zur Verfügung gestellten Zahlungsauszuges zahlt das Jobcenter seit mindestens März 2020 die Mieten vollständig. Der Saldo aus dem gesamten Mietverhältnis beträgt nach dem (nicht vollständigen) Auszug der Zahlungen 445,36€. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf Bl. 54 d. A.
43Neben der Räumung begehrt die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 312,26€ für die vorgerichtliche Kündigung vom 26.03.2019.
44Die Klägerin behauptet, zum Zeitpunkt der Kündigungen vom 26.03.2019 bzw. 20.01.2020 hätten Mietrückstände in Höhe von 2 Monatsmieten bestanden.
45Sie meint, alle Nebenforderungen, soweit sie nur einen irgendwie gearteten Bezug zu dem Mietverhältnis haben, seien als kündigungsrelevante Forderungen im Sinne des § 573 BGB zu qualifizieren. Dies hätten bereits andere Gericht mehrfach so entschieden. Gestützt würde diese Auffassung durch die Urteile des Bundesgerichtshofes (Urteile vom 14.07.2010 zu dem Aktenzeichen VIII ZR 267/09 und vom 10.10.2012 zu dem Aktenzeichen VIII ZR 107/12).
46Die Klägerin meint, es sei ihr nicht zuzumuten, solch erhebliche Schulden durch das gesamte Mietverhältnis „zu ziehen“ und erst bei Auszug auszubuchen. Es müsse einem Vermieter möglich sein, aufgrund der „Gesamtumstände“, insbesondere auch aufgrund der Zahlungsverweigerung, die durch die Vermögensauskunftsabgabe dokumentiert sei, sich vom Vertrag zu lösen.
47Die Klägerin beantragt,
48
bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Bad/WC, Diele und
Kellerraum zu räumen und an die Klägerin herauszugeben;
50
Bad/WC, Diele und Kellerraum zu räumen und an die Klägerin bis zum
5231.07.2020 herauszugeben;
533. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 312,26€ nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.04.2019 zu zahlen.
54Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
55Die zulässige Klage war zurückzuweisen.
56Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Räumung der streitgegenständlichen Wohnung aus § 546 BGB in Verbindung mit der Kündigung vom 26.03.2019.
57Die Kündigung ist unwirksam, da die Voraussetzungen des § 573 Abs.1 u. 2 Nr. 1 BGB nicht erfüllt sind.
58Nach § 573 Abs. 1 S. 1 BGB kann ein Vermieter dann kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Die Aufzählung in Abs. 2 Nr. 1 – 3 BGB, wann ein solches berechtigtes Interesse vorliegt, hat dabei keine abschließende Aufzählung zum Inhalt, sondern – wie der Wortlaut bereits sagt („insbesondere“) – eine beispielhafte, an welcher aber der Tatrichter – wie auch letztlich die Mietvertragsparteien – in etwa absehen können, welcher Qualitätsmaßstab für einen solchen Kündigungstatbestand erreicht sein muss.
59Dabei liegt der Sinn und Zweck des § 573 BGB – anders als die außerordentliche Kündigung nach § 543 BGB – als Kündigungsschutz im Ausdruck des sozialen Wohnraummietrechts.
60§ 573 BGB hat insbesondere einen angemessen Interessenausgleich zum Ziel (Häublein in Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 573 Rn. 4 m. w. Nw.), weswegen der Vermieter nicht nur die Kündigungsfristen beachten muss, sondern es daneben auch eines berechtigten Interesses an der Beendigung des Mietverhältnisses bedarf (Siegmund in BeckOK Mietrecht, Stand 01.08.2020, 21, Edition, § 573 Rn. 1; Begr. RefE des BMJ zum MietRRefG, zitiert in NZM 2000, 416, beck-online). Die Anforderungen an das Vorliegen eines berechtigten Interesses sind in § 573 Abs. 1 BGB nicht näher ausgestaltet und müssen unter Berücksichtigung der Rechtsfolgen der Norm ermittelt werden. Sie entziehen sich dabei einer verallgemeinerungsfähigen Betrachtung und erfordern eine umfassende Würdigung der Umstände des Einzelfalls, wobei die individuelle Härte erst im Rahmen des §574 BGB zu prüfen ist. Dies führt dazu, dass auf Seiten des Mieters nur das generell bestehende Interesse, die Wohnung und damit seinen Lebensmittelpunkt nicht zu verlieren, zu beachten ist (BGH Urteil vom 29.03.2017, Az.: VIII ZR 45/16, zitiert in NJW 2017, 2018).
61Historisch ergibt sich dies aus der Tatsache, dass das Bürgerliche Gesetzbuch bei seinem Inkrafttreten im Jahr 1900 keine Kündigungsschutzbestimmungen zu Gunsten des Mieters enthielt (Blank in Schmidt-Futterer, Kommentar zum Mietrecht, 14. Auflage 2019, § 573 Rn. 1). Sie bildet nunmehr jedoch das Kernstück des mietrechtlichen Bestandschutzes (Blank/Börstinghaus, Kommentar zum Mietrecht, 6. Auflage 2020, § 573 Rn. 1f.), wenngleich sie von der Instanzrechtsprechung eher restriktiv ausgelegt wird (Blank aaO).
62Letztlich obliegt es dem Tatrichter, einen Interessenausgleich zwischen Eigentum und Besitz vorzunehmen (Häublein, aaO, Rn. 5ff), wenngleich diese nach Ansicht des Gerichtes bei Eigenbedarf gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB eine andere Rolle spielt als bei einer Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn und soweit die nicht unerhebliche schuldhafte Verletzung in einer solchen der Zahlungspflicht als Hauptleistungspflicht liegt, da es sich hierbei insbesondere um wirtschaftliche Interessen handelt, zumal auch der Mieter ein verfassungsrechtlich garantiertes Besitzrecht hat, welches als Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu qualifizieren ist (BVerfG Beschluss vom 26.05.1993, Az.: 1 BvR 208/93, zitiert in NJW 1993, 2035; BVerfG Beschluss vom 16.01.2004, Az.: 1 BvR 2285/03, zitiert in NZM 2004, 186 jeweils mit weiteren Nachweisen).
63Betreffend die in § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB genannte Pflichtverletzung, kommen grundsätzlich sowohl die Verletzung von Haupt- als auch von Nebenpflichten in Betracht, die jedoch in einem rechtlichen Zusammenhang mit dem Mietverhältnis stehen müssen (Häublein, aaO Rn. 60f.). Der Pflichtverletzung muss dabei auch eine gewisse Bedeutung zukommen, was sich bereits aus dem Wortlaut des § 573 Abs. 2 S. Nr. 1 BGB ergibt („nicht unerheblich“). Ob es einer Abmahnung im Falle des Zahlungsverzuges bedarf oder nicht (zum Streit siehe Blank in Schmidt-Futterer, aaO § 573 BGB Rn. 13a m. w. Nw., wobei der Bundesgerichtshof eine solche im Allgemeinen verneint, BGH Urteil vom 28.11.2007, Az.: VIII ZR 145/07, zitiert in NJW 2008, 508), bedarf hier keiner weiteren Entscheidung, da die Klägerin den Beklagten durch das Schreiben vom 24.06.2019 abmahnte, wenngleich dieses Schreiben neben den tatsächlichen Mietzinsrückständen von 110,04€, die wiederum nicht mit denen des Vollstreckungsbescheides aus Hagen korrespondieren, als auch nicht näher aufgeschlüsselte „durch die Zwangsvollstreckung“ entstandene Kosten in Höhe von 52,47€ aus der Differenz von 381,53€ zu 434,00€ und neue Forderungen in Höhe von 91,39€ enthält, worauf noch einzugehen sein wird.
64Für den Zahlungsverzug ergeben sich aufgrund der Ausstrahlungswirkung des § 543 ZPO (Häublein, aaO, § 573 RN. 68; BGH, Urteil vom 14.07.2020, Az.: VIII ZR 267/09, zitiert in NJW 2010, 3020) im Verhältnis zu anderen Pflichtverletzungen aus dem Mietverhältnis Besonderheiten. Bei der Bewertung einer Pflichtverletzung als „nicht unerheblich“ muss insbesondere die Dauer und die Höhe des Zahlungsverzugs berücksichtigt werden. Nicht jeder geringfügige oder nur kurzfristige Zahlungsverzug rechtfertigt die Annahme einer nicht unerheblichen Pflichtverletzung (BeckOK MietR/Siegmund, 21. Ed. 1.8.2020, BGB § 573 Rn. 20). In der Rechtsprechung hat sich hier insbesondere ein Betrag in Höhe einer Monatsmiete über einen Zeitraum von mehreren Monaten als Anhaltspunkt etabliert (vgl. hierzu eingängig BGH Urteil vom 10.10.2012, Az.: VIII ZR 107/12, zitiert in NJW 2013, 159 m. w. Nw.). Für diese Auffassung spricht nicht nur das systematische Verhältnis der ordentlichen zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung, wobei die Annahme einer Kündigungsmöglichkeit bei einem Zahlungsverzug unterhalb der Schwelle des § 573 BGB nicht zwingend ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass den präzisen Kündigungsvoraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine allgemeingültige Bedeutung zukommt, denn dieser Vorschrift liegen ausgewogene, gesetzgeberische Wertvorstellungen darüber zugrunde, wie die Vermögensinteressen des Vermieters mit den Erfordernissen des Mieterschutzes in Einklang zu bringen sind. Diese gesetzgeberischen Wertvorstellungen müssen auch bei der ordentlichen Kündigung beachtet werden. Dies rechtfertigt es, dass an die ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs dieselben Anforderungen wie iRd § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB gestellt werden (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 573 Rn. 27).
65Dabei ist zu beachten, dass der Wortlaut des § 543 Abs. 2 BGB konkret die „Miete“ umfasst, welche als periodisch wiederkehrende Zahlungsverpflichtung anzusehen ist, § 573 Abs. 1. u. 2, Nr. 1 BGB von der „Miete“ selbst jedoch nicht spricht.
66Auch deswegen ist es – anders als die Klägerin darzustellen versucht – durchaus umstritten, ob die Weigerung oder das Unvermögen zur Zahlung von Prozesskosten aus einer vorangegangenen Mietstreitigkeit als Pflichtverletzung in diesem Sinne zu werten ist (Blank in Schmidt-Futterer, aaO, § 573 Rn. 29a).
67Die einschlägige Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 14.07.2010 zu dem Aktenzeichen VIII ZR 267/09 entscheidet den Streit nach Ansicht des Gerichtes nicht im Grundsätzlichen, sondern überlässt es klar und deutlich dem Tatrichter nach einer Abwägung der Gesamtumstände unter Berücksichtigung des Einzelfalls, ob er Prozesskosten für kündigungsrelevant hält, und stellt im Übrigen – auch darauf hat das Gericht bereits hingewiesen – eine andere Fallkonstellation dar.
68Bereits aus dem Leitsatz des Bundesgerichtshofes ergibt sich, dass regelmäßig die Klägerin eine Kündigung nicht darauf stützen kann, dass der zahlungsunfähige Mieter nicht die auch im Räumungsprozess angefallenen Verfahrenskosten ausgeglichen hat. Grundsätzlich hält der Bundesgerichtshof zwar die Meinung für vorzugswürdig, dass auch die Verursachung von Kosten eines Rechtsstreits eine Pflichtverletzung im Sinne des § 573 BGB darstellen können, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit der Miete bestehen. Auch der Bundesgerichtshof stellt jedoch hier ganz erheblich auf den Einzelfall ab.
69Der Fall liegt hier bereits deswegen anders, weil der Beklagte nicht bereits vorher schon einen nur aus den tatsächlichen Mieten resultierenden und zu einer Räumung berechtigten Kündigungsrückstand erreicht hat, was eine schon von Gesetzes wegen (§ 543 Abs. 2 Nr. 3 a) und b) BGB) weit höhere Qualität der Pflichtverletzung darstellt.
70Zu berücksichtigen ist im hiesigen Verfahren zudem, dass die von der Klägerin geltend gemachten Mietkosten, welche sie in dem Vollstreckungsbescheidsverfahren bei dem Amtsgericht Hagen geltend machte, einen Betrag in Höhe von 381,53€ ausmachten. Der Beklagte muss nach den Darlegungen der Klägerin selbst zwischenzeitlich Mietzahlungen geleistet haben. Diese wären gemäß § 366 Abs. 2 BGB auf die älteste Forderung zu verrechnen gewesen. Dies hat die Klägerin offensichtlich unterlassen. Wann die im Vollstreckungsbescheidsverfahren geltend gemachte Forderung danach gemäß § 362 BGB erloschen war, trägt die Klägerin trotz mehrfachen Hinweises des Gerichtes nicht vor. Letztlich gilt dies auch für die reinen Mietforderungen in Höhe von 110,04€, welche die Klägerin mit ihrem Abmahnungsschreiben vom 24.06.2018 – mehr als 6 Monate nach dem Vollstreckungsbescheid – geltend machte.
71Der Klägerin sowie deren Prozessbevollmächtigten ist auch die Rechtsprechung und Literaturmeinung zu der Notwendigkeit von Abmahnungen für Zahlungsverzug bekannt. Gleichwohl generierte sie mit dem Abmahnschreiben in Kenntnis dessen, dass der Beklagte bereits eine Vermögensauskunft abgegeben hatte, neue Verzugskosten, deren mangelnde Begleichung sie wiederum als kündigungsrelevante Pflichtverletzung im Sinne des § 573 Abs. 1 und 2 Nr. 1 BGB heranzog.
72Gleiches wiederholte sie dann mit der Kündigung vom 26.03.2019 – nunmehr ganze 9 Monate später -, in welcher der Zahlungsrückstand nach ihrer Berechnung auf 783,77€ angewachsen sein sollte und verlangte ohne Anrechnung der Gebühren des Abmahnungs- und der Androhung des Kündigungsschreibens wiederum Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 312,26€.
73Zusammengefasst generierte die Klägerin aus einem Zahlungsrückstand von 381,53€ aus einem Vollstreckungsbescheid vom 17.08.2017, ohne Berücksichtigung und Verrechnung von weiteren Zahlungen des Beklagten nach § 367 Abs. 1 BGB durch Abmahnschreiben und Kündigungsschreiben über einen Zeitraum von nahezu drei Jahren in Kenntnis einer Vermögensauskunft des Beklagten einen Betrag in Höhe von 1.096,03€.
74Hinzu kommt, dass die Klägerin zu dem Inhalt des Zahlungsrückstandes aus dem Vollstreckungsbescheidsverfahren aus dem Jahr 2017 nicht im Ansatz vorträgt, weswegen das Gericht nicht prüfen kann, ob es sich hierbei um (berechtigte) Mieten oder z.B. um Nachforderungen aus einer Nebenkostenabrechnung, welche ebenfalls keine Miete im Sinne der §§ 543, 573 BGB darstellten.
75Ein solches Verhalten der Klägerin erscheint dem Gericht unter der Berücksichtigung des oben bereits dargelegten Sinnes und Zweckes des Mieterschutzes grob unbillig, zumal die Klägerin eben keine Privatperson ist, die ihr Leben mit der Einnahme von Mieten finanziert, sondern es sich bei der Klägerin um eine Großvermieterin handelt, die gerichtsbekannt aufgrund der nunmehr mehr als 10jährigen Tätigkeit der Dezernentin in Zivilsachen sich dadurch auszeichnet, ihren Fokus auf ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen durch Einsparung von (qualifiziertem) Personal und Ermangelung von persönlichen Kontakt und tatsächlicher Erreichbarkeit zu richten. Sofern die Klägerin in ihren Schriftsätzen nicht müde wird zu wiederholen, dass ihr als Vermieterin es „nicht zumutbar sei“ solch „erhebliche Schulden“ des Beklagten durch das Mietverhältnis zu „ziehen“, verkennt sie an dieser Stelle, dass sie mehr als 50% dieser „Schulden“ selbst erzeugte.
76Dabei zu beachten ist nunmehr auch, dass die Mietzahlungen unstreitig von dem Jobcenter direkt an die Klägerin bezahlt werden. Es wäre mit den Zielsetzungen und Wertungen des Gesetzgebers unvereinbar, wenn der zahlungsunfähige Mieter, der von den Mietzahlungen des Jobcenters abhängig ist, wirksam durch Nebenforderungen, die den ursprünglichen Zahlungsbetrag um ein Vielfaches übersteigen, gekündigt werden könnte; denn um die Obdachlosigkeit des Mieters zu vermeiden, welche aufgrund seiner Schulden zu einer erschwerten Findung einer neuen Wohnung führt, hat der Gesetzgeber in § 569 Abs. III Nr. 2 BGB eine Möglichkeit geschaffen, dem Vermieter einen verlässlichen und wirtschaftlich uneingeschränkt leistungsfähigen Mieter zur Verfügung zu stellen, der jedoch aufgrund des Sinn und Zwecks dieser Vorschrift nicht die Nebenforderungen wie Prozesskosten oder Abmahngebühren übernimmt.
77Dies sieht auch der Bundesgerichtshof (aaO NJW 2010, 3020) so, unabhängig davon, ob er trotz seiner Klarstellung, dies sei nicht der Fall, die Frage der grundsätzlichen Unanwendbarkeit des § 569 Abs. 3 BGB in § 573 BGB (zuletzt BGH Urteil vom 19.09.2018, Az.: VIII ZR 231/17, zitiert in NJW 2018, 3517) nach Ansicht des hiesigen Gerichtes letztlich doch relativiert.
78Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass es mit dem Sinn und Zweck sowie dem grundsätzlichen Gedanken des Sozialprinzips schlichtweg unvereinbar ist, eine ordentliche Kündigung aufgrund eines von der Klägerin durch diverse Abmahn- und sonstige Schreiben generierten Betrages, der eine Monatsmiete innerhalb eines Zeitraums von mehr als einem Monat übersteigt, zu konstruieren.
79Sofern die Klägerin sich auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 10.10.2012 zu dem Aktenzeichen VIII ZR 107/12 beruft, ist diese hier nicht einschlägig, denn der dortige Beklagte schuldete unstreitig die Vorauszahlungen der Nebenkosten, die als Miete zu qualifizieren sind, deren Summe eine Monatsmiete über einen Zeitraum von mehr als einem Monat erreichte, was hier offensichtlich nicht der Fall ist.
80Nur der Vollständigkeit halber merkt das Gericht an, dass sich die Klägerin nach Ansicht des erkennenden Gerichtes auch nicht darauf berufen kann, dass das Verhalten des Beklagten schuldhaft pflichtverletzend gewesen wäre, da der rechtlich nicht vorgebildete Beklagte den Vergleich der Klägerin vom 26.04.2019 – in welchem die Klägerin wiederum 160,65€ an verzugsbedingten Nebenforderungen generiert – nicht angenommen hat, denn die Zusammensetzung des Forderungsstandes in Höhe von nunmehr 1.302,91€ erschließt sich selbst dem Gericht nach intensiver Durchdringung der Akte nicht mehr. Zudem ist der sich über drei Seiten verhaltende „Vergleichs“vorschlag auch in jeglicher Hinsicht einseitig und unverhältnismäßig, da bei einer Unterzeichnung dieses Vorschlages der Beklagte gemäß Ziffer 2 auf jegliche Einwendungen und gerichtlichen Vollstreckungsschutz verzichten soll, die Klägerin aber ohne dass der Beklagte weitere Prüfungen hätte vornehmen können, vollstreckbare Titel gleichwohl hätte erwirken können. Dies steht in einem so krassen Missverhältnis von den Interessen des Beklagten zu dem der Klägerin, dass dem Beklagten wohl getan war, den Vergleichsvorschlag der Klägerin nicht anzunehmen. Bezeichnenderweise hat die Klägerin den von dem Gericht getätigten Vergleichsvorschlag, welcher den gleichen Betrag auswarf und damit ihren wirtschaftlichen Interessen und auch den Interessen des Beklagten entgegenkam, nicht angenommen.
81Deswegen kommt es letztlich auch nicht mehr darauf an, dass die Klägerin es bereits versäumt hat, im Rahmen ihrer Darlegungs- und Beweislast (Blank/Börstinghaus, aaO, § 543 Rn. 68, § 573 Rn. 36) für die Interessenabwägung außer der Höhe des „kündigungsrelevanten Rückstandes“ Anhaltspunkte zu liefern. Die pauschalen Mitteilung „Laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist auch die Zahlung von Prozesskosten aus einer vorangegangenen Mietsicherheit als Pflichtverletzung in diesem Sinne zu bewerten“, „einer Vermieterin kann nicht zugemutet werden, derart hohe Schulden, die zum Zeitpunkt der fristgemäßen Kündigung vom 26.03.2019 2 Monatsmieten übersteigen, durch das gesamte Mietverhältnis zu ziehen“, es müsse „möglich sein, sich vom Vertrag zu lösen, wenn aufgrund der Gesamtumstände, insbesondere auch aufgrund der Zahlungsverweigerung, die durch die Vermögensauskunftsabgabe dokumentiert ist, keine Zahlungen zu erhalten sind“ genügt dem offensichtlich nicht, zumal eine Vermögensauskunft schon von Gesetzes wegen nicht bedeutet, dass der Auskunftgebende zahlungsunwillig, sondern schlicht und ergreifend nicht zahlungsfähig ist. Auch hier beweist die Klägerin eindrucksvoll ihr Verständnis vom Sozialstaatsprinzip.
82Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Räumung der Wohnung aus § 546 BGB in Verbindung mit der Kündigung vom 20.01.2020.
83Die Kündigung nach § 573 Abs. 1 u. 2 Nr. 1 BGB ist unwirksam, da der kündigungsrelevante Rückstand von einer Monatsmiete noch nicht erreicht war und aus den o.g. Gründen die Nebenforderungen aus einem Vollstreckungsbescheid nebst Kosten aus dem Verfahren und Zinsen nicht kündigungsrelevant sind, zumal die Klägerin hier im Übrigen verkennt, dass spätestens hier die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung auf den Antrag zu 3. anzurechnen gewesen wären.
84Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Zahlung von Zinsen oder Rechtsanwaltskosten in Höhe von 312,26€ aus den §§ 280, 286, 288 bzw. 291 BGB.
85Die Nebenentscheidungen haben ihre Grundlage in §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
86Der Streitwert wird auf 4.713,02€ festgesetzt.
87Rechtsbehelfsbelehrung:
88Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Berufung für jeden zulässig, der durch dieses Urteil in seinen Rechten benachteiligt ist,
891. wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR übersteigt oder
902. wenn die Berufung in dem Urteil durch das Amtsgericht zugelassen worden ist.
91Die Berufung muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung dieses Urteils schriftlich bei dem Landgericht Dortmund, Kaiserstr. 34, 44135 Dortmund, eingegangen sein. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, enthalten.
92Die Berufung ist, sofern nicht bereits in der Berufungsschrift erfolgt, binnen zwei
93Monaten nach Zustellung dieses Urteils schriftlich gegenüber dem Landgericht Dortmund zu begründen.
94Die Parteien müssen sich vor dem Landgericht Dortmund durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, insbesondere müssen die Berufungs- und die
95Berufungsbegründungsschrift von einem solchen unterzeichnet sein.
96Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
97Hinweis zum elektronischen Rechtsverkehr:
98Die Einlegung ist auch durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Gerichts möglich. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a ZPO nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (BGBl. 2017 I, S. 3803) eingereicht werden. Weitere Informationen erhalten Sie auf der Internetseite www.justiz.de.
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Referenzen
- §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 543 Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund 3x
- BGB § 573 Ordentliche Kündigung des Vermieters 19x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 546 Rückgabepflicht des Mieters 2x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- BGB § 362 Erlöschen durch Leistung 1x
- ZPO § 130a Elektronisches Dokument 1x
- BGB § 366 Anrechnung der Leistung auf mehrere Forderungen 1x
- BGB § 367 Anrechnung auf Zinsen und Kosten 1x
- BGB § 569 Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund 2x
- 2017 bis 03/20 1x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 267/09 3x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 107/12 3x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 45/16 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 208/93 1x (nicht zugeordnet)
- 1 BvR 2285/03 1x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 145/07 1x (nicht zugeordnet)
- VIII ZR 231/17 1x (nicht zugeordnet)