Urteil vom Arbeitsgericht Köln - 8 Ca 970/21
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.498,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (25.02.2021) zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 1.498,50 Euro.
4. Die Berufung wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die geschuldete Vergütungshöhe nach der Neufassung der Ausbildungsregelungen für Psychotherapeuten.
3Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Die am ....1987 geborene Klägerin hat ein Psychologie-Studium abgeschlossen und befindet sich in der Weiterbildungsphase zur Psychotherapeutin entsprechend der diesbezüglichen Ausbildungsordnung in der bei einem Ausbildungsbeginn vor dem 31.08.2020 geltenden Fassung. Die Parteien schlossen einen befristeten Arbeitsvertrag für den Zeitraum 07.07.2020 bis 06.07.2021 für eine praktische Tätigkeit der Klägerin entsprechend dem Psychotherapeutengesetz. Die Klägerin wird ca. 24 Wochenstunden für die Beklagte tätig im Rahmen dieser praktischen Ausbildung. Die Beklagte zahlt hierfüran die Klägerin – wie auch den anderen für ein Jahr befristet bei der Beklagten mit entsprechender Tätigkeit beschäftigten Psychotherapeuten in Ausbildung, darunter der Klägerin im Parallelverfahren 8 Ca 971/21, eine monatliche Vergütung in Höhe von 623,38 Euro brutto.
4Mit Wirkung zum 01.09.2020 erfolgte mittels Gesetzesänderung des Psychotherapeutengesetzes eine Reform der Ausbildung für den Beruf des Psychotherapeuten.
5§ 27 Abs. 4 PsychThG enthält eine Übergangsregelung für Auszubildende, die bereits vor dem 01.09.2020 ihre Ausbildung – wie die hiesige Klägerin – aufgenommen haben.
6Hier heißt es: „Wer sich nach dem 31. August 2020 in einer Ausbildung zum Beruf der Psychologischen Psychotherapeutin (…) nach dem Psychotherapeutengesetz in der bis zum 31. August 2020 geltenden Fassung befindet, erhält vom Träger der Einrichtung, in der die praktische Tätigkeit nach § 2 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung (…) absolviert wird, für die Dauer der praktischen Tätigkeit eine monatliche Vergütung in Höhe von mindestens 1.000 Euro, sofern die praktische Tätigkeit in Vollzeitform abgeleistet wird. Wird die praktische Tätigkeit in Teilzeitform abgeleistet, reduziert sich die Vergütung entsprechend.“
7Die einschlägige Ausbildungsordnung sieht einen Umfang der hier streitgegenständlichen praktischen Ausbildung von 1200 Stunden und eine Mindestdauer von einem Jahr vor. Die Verteilung auf ein Jahr entspricht der üblichen Verteilung.
8Die Klägerin wird ca. 24 Wochenstunden für die Beklagte praktisch im Krankenhaus tätig und leistet darüber hinaus den Theorie-Teil ihrer Ausbildung. Darüber hinaus erfolgen teilweise auch in der Ausbildungsordnung vorgesehene Supervisionen.
9Mit Bundestags-Drucksache 19/21270 vom 27.07.2020 (Bl. 54 d. A.) beantwortete die Bundesregierung eine „Kleine Anfrage“ von Bundestagsabgeordneten hinsichtlich der Psychotherapeutenausbildungsreform hinsichtlich der Frage „Wie viele Arbeitsstunden sind für eine praktische Tätigkeit in Vollzeitform für eine Vergütung von 1000 Euro (§ 27 PsychThG) vorgesehen? Wird hierbei berücksichtigt, dass Psychotherapeuten in der Ausbildung neben der Klinik auch Seminare und Supervision wahrnehmen müssen?“ wie folgt:
10„Die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten und die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten sieht mindestens 1200 Stunden vor, die im Rahmen der praktischen Tätigkeit nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nummer 1 der jeweiligen Verordnung abzuleisten sind. Dies entspricht in Vollzeitform einer verpflichtenden wöchentlichen Arbeitszeit von etwa 26 Stunden.“
11Die Klägerin hat nach vorheriger außergerichtlicher Geltendmachung am 18.02.2021 die vorliegende Klage erhoben. Mit dieser macht sie für fünf Monate im Zeitraum September 2020 bis einschließlich Januar 2021 eine monatliche Vergütungsdifferenz von jeweils 299,70 Euro brutto geltend. Sie ist der Ansicht, anstelle der beklagtenseitig gezahlten 623,38 Euro stünde ihr ein monatlicher Vergütungsanspruch in Höhe von 923,98 Euro brutto aus § 27 Abs. 4 PsychThG zu. Da sie 24 statt der 26 für eine Vollzeit-Tätigkeit erforderlichen Wochenarbeitsstunden leiste, stünden ihr 24/26 der gesetzlichen Mindestvergütung von 1.000.- Euro für eine Vollzeittätigkeit zu.
12Die Klägerin beantragt,
13die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.498,50 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basisszinssatz seit Rechtshängigkeit (25.02.2021) zu zahlen.
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie ist der Ansicht, eine in der Woche lediglich 26-stündige Tätigkeit stelle keine „Vollzeittätigkeit“ dar. Da der übliche Arbeitsumfang bei der Beklagten für eine Vollzeittätigkeit 38,5 Stunden pro Woche betrage, habe man die 1.000.- Euro für eine „Vollzeittätigkeit“ – von diesem Betrag gehe die Beklagte nicht erst seit der Gesetzesänderung zum 01.09.2020, sondern bereits seit der Veröffentlichung der Entscheidung des LAG Hamm vom 29.11.2012, 11 Sa 74/12, aus -, entsprechend auf 24/38,5 umgerechnet, so dass man auf den exakt an die Klägerin gezahlten Betrag komme. Die abweichende Rechtsansicht der Bundesregierung in der Kleinen Anfrage sei unerheblich. Wenn der Gesetzgeber bereits 26 Wochenstunden als ausreichend für eine Vollzeittätigkeit ansehen wolle, hätte er dies klar und eindeutig regeln müssen.
17Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage war zulässig und begründet und hatte daher vollumfänglich Erfolg.
20I.
21Die Zahlungsklage war zulässig.
22Insbesondere steht der Klageerhebung unmittelbar vor dem Arbeitsgericht nicht die Vorschrift des § 111 Abs. 2 ArbGG entgegen, wonach bei Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden aus einem bestehenden Berufsausbildungsverhältnis vorrangig vor der Erhebung der Klage vor dem Arbeitsgericht zunächst ein Schlichtungsverfahren vor dem zuständigen Schlichtungsausschuss für Ausbildungsstreitigkeiten durchzuführen ist (§ 111 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) und die entgegen dieser Regelung unmittelbar vor dem Arbeitsgericht erhobene Klage unzulässig ist (§ 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG).
23Denn zum einen handelt es sich bei der hier streitgegenständlichen Ausbildung zur Psychotherapeutin aufgrund gesetzlicher Spezialregelung im Psychotherapeutengesetz nicht um eine Berufsausbildung i. S. des Berufsbildungsgesetzes, so dass bereits deswegen der Anwendungsbereich des § 111 Abs. 2 ArbGG vorliegend nicht eröffnet ist. Zum anderen hat die Klägerseite auch unbestritten vorgetragen, dass weder bei der Ärztekammer noch bei der Psychotherapeutenkammer ein Schlichtungsausschuss nach § 111 Abs. 2 ArbGG eingerichtet ist.
24II.
25Die Klage war auch begründet.
261.)
27Die Klägerin hat einen gesetzlichen Vergütungsanspruch in der geltend gemachten Höhe aus § 27 Abs. 4 PsychThG.
28a)
29Die Klägerin fällt – unzweifelhaft und unstreitig – in den Anwendungsbereich dieser Übergangsvorschrift. Sie hat Ihre Ausbildung zur Psychotherapeutin noch vor dem gesetzlichen Stichtag 01.09.2020 begonnen.
30b)
31Umstritten ist zwischen den Parteien des hiesigen Rechtsstreits lediglich die Rechtsfolge der Norm des § 27 Abs. 4 PsychThG in der seit 01.09.2020 geltenden Fassung. Insofern steht der Klägerin für die von ihr absolvierte Form der Ausbildung eine monatliche Vergütung in Höhe der gesetzlich ausdrücklich genannten 1000.- Euro damit jedenfalls in Höhe der mit der hiesigen Klage lediglich geltend gemachten 923,08 Euro und nicht lediglich in Höhe der beklagtenseitig errechneten 623,38 Euro zu.
32Denn bei der von der Klägerin absolvierten Ausbildung handelt es sich um die reguläre „Vollzeit-Ausbildung“ i. S. des gesetzlichen Verständnisses der Norm des § 27 Abs. 4 Satz 1 PsychThG und nicht lediglich um eine „Teilzeit-Ausbildung“ i. S. des § 27Abs. 4 Satz 2 PsychThG.
33Denn auch bei der Ausbildung zur Psychotherapeutin ist – wie regelmäßig bei „dualen Studiengängen“ oder ähnlichen Ausbildungen – Gegenstand der Ausbildung nicht allein die Tätigkeit, welche vom Auszubildenden konkret beim Träger der praktischen Ausbildung verrichtet wird, sondern Ausbildungsgegenstand sind darüber hinaus weitere Tätigkeiten, die nicht unmittelbar beim Träger erbracht werden, etwa in Form eines Selbststudiums zur Aneignung weiterer theoretischer Fähigkeiten oder hier im konkreten Fall etwa die Supervision. Auch die hierfür aufgewendete Zeit ist Teil einer ordnungsgemäßen Ausbildung im Sinne der Ausbildungsordnung. Wenn die Klägerin also 24 bis 26 Wochenstunden praktische Tätigkeit für den Träger des praktischen Ausbildungsteils verrichtet und sie darüber hinausgehend noch weitere ca. 14 Wochenstunden für sonstige Ausbildungstätigkeiten, wie insbesondere Selbststudium und Supervisionen, aufwendet, ist sie keine „Teilzeit-Auszubildende“, sondern sie verrichtet ihre Ausbildung ganz regulär als „Vollzeit-Auszubildende“ i. S. des gesetzlichen Verständnisses in § 27 Abs. 4 PsychThG.
34Insofern war für das Gericht entscheidungserheblich die den Parteien durch gerichtlichen Beschluss vom 01.04.2021 zur Vorbereitung des Kammertermins gesetzte Auflage zur Darlegung, welcher Tätigkeitsumfang der praktischen Tätigkeit bei einer Ausbildung zur Psychotherapeutin „üblich“ ist – die beklagtenseitig angesetzten 38,5 Wochenstunden oder die klägerseitig angesetzten 24 bzw. jedenfalls 26 Wochenstunden.
35Insofern ist der Beklagten keine Darlegung gelungen, dass die von ihr angesetzten 38,5 Wochenstunden dem üblichen Umfang einer praktischen Tätigkeit im Rahmen der Ausbildung zur Psychotherapeutin entsprechen. Die weiteren bei der hiesigen Beklagten beschäftigten Auszubildenden zur Psychotherapeutin werden in einem ähnlichen Tätigkeitsumfang beschäftigt wie die hiesige Klägerin mit 24 Wochenstunden – darunter auch die Klägerin des hiesigen Parallelverfahrens. Konkrete Angaben zu anderen Trägern hat die Beklagte trotz der gerichtlichen Auflage nicht gemacht; sie hat auf gerichtliche Nachfrage im Kammertermin auch nochmals ausdrücklich bestätigt, dass ihr eine substantiierte Darlegung einer Üblichkeit eines Tätigkeitsumfangs von 38,5 Wochenstunden im praktischen Teil der hier streitgegenständlichen Ausbildung nicht möglich ist.
36Demgegenüber kann sich die Klägerin für die Üblichkeit eines Beschäftigungsumfangs von jedenfalls maximal 26 Wochenstunden im praktischen Teil – neben den bei der Beklagten selbst beschäftigten weiteren Auszubildenden – immerhin auf die zitierte tarifvertragliche Regelung aus Baden-Württemberg sowie die Rechtsansicht der Bundesregierung in der Beantwortung der „kleinen Anfrage“ stützen. Die klägerseitig benannte tarifvertragliche Regelung vom 12.07.2018 über die Vergütung von Psychotherapeuten in Ausbildung an den Universitätskliniken Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm belegt eine Üblichkeit des Tätigkeitsumfangs von 26 Wochenstunden jedenfalls im Geltungsbereich dieses Tarifvertrages. Die Rechtsansicht der Bundesregierung ist zwar – worauf die Beklagte zutreffend hinweist – für die erkennenden Gerichte unverbindlich, stellt jedoch im Rahmen der historischen Auslegung eines – insbesondere wie hier eines gerade erst in Kraft getretenen – Gesetzes ein nicht unerhebliches Indiz für die Gesetzesauslegung dar. Der Gesetzgeber hat zwar im Wortlaut der Norm keine ausdrückliche Stundenzahl benannt, wann von einer „Vollzeit-“ und wann von einer „Teilzeit-“ Tätigkeit auszugehen sein soll, er hatte bei Schaffung der Norm jedoch offenbar das Verständnis, dass ein Tätigkeitsumfang von 26 Wochenstunden in der praktischen Tätigkeit in der Einrichtung eine Vollzeittätigkeit abdecken soll.
37Dieses historisch-subjektive Verständnis des Gesetzgebers wird gedeckt durch objektive Kriterien der systematischen und der teleologischen (zweckorientierten) Gesetzesauslegung.
38In der systematischen Gesetzesauslegung der Norm des § 27 Abs. 4 PsychThG in der Neufassung seit 01.09.2020 ist der Zusammenhang zur Ausbildungsordnung herzustellen. Diese sieht einen Gesamtumfang der streitgegenständlichen praktischen Tätigkeit von 1200 Stunden vor. Soweit die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit darauf verweist, dass es theoretisch auch denkbar wäre, diese Gesamtzeit mit 38,5 Wochenstunden bereits in einem kürzeren Zeitraum als einem Jahr zu absolvieren, weist die Klägerseite zutreffend darauf hin, dass dies nach der Ausbildungsordnung ausgeschlossen ist, da hier eine Mindestdauer von einem Jahr für die praktische Tätigkeit vorgesehen ist. Abgesehen davon würde bei einer Tätigkeit von alleine 38,5 Wochenstunden in der praktischen Ausbildung vor Ort und zusätzlichem Zeitaufwand für Selbststudium und Supervisionen auch leicht die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Wochenarbeitsstunden nach dem Arbeitszeitgesetz überschritten.
39Das eine Jahr der Gesamtdauer der praktischen Ausbildung beim Träger ist nach unstreitigem Parteivortrag der Klägerseite die in der Praxis übliche Dauer; verteilt man die 1200 Gesamtstunden auf 46 Wochen (52 Wochen pro Jahr abzüglich sechs Wochen nach Ausbildungsordnung „ausbildungsfreier Zeit“ / „Urlaub“ pro Jahr), kommt man auf ca. 26 Stunden pro Woche als üblichem Umfang der hier streitgegenständlichen praktischen Ausbildung.
40Insofern macht unter diesem Vorverständnis auch der letzte Satz des § 27 Abs. 4 PsychThG Sinn: Wer die „reguläre“ Ausbildung, d. h. ca. 26 Wochenstunden absolviert im praktischen Teil, zuzüglich Selbststudium / Supervision etc., ist regulärer „Vollzeit-Auszubildender“ i. S. des Gesetzes (§ 27 Abs. 4 Satz 1 PsychThG) und soll hierfür einen Mindestlohn von 1000.- Euro bekommen. Wer jedoch – etwa aus persönlichen Gründen, z. B. benötigter Zeit für Kinderbetreuung oder ähnlichem – einen von diesem „üblichen“ Tätigkeitsumfang geringeren Tätigkeitsumfang wählt und deswegen beispielsweise mit dem hälftigen üblichen Tätigkeitsumfang von ca. 13 Wochenstunden seine praktische Ausbildung auf zwei Jahre statt ein Jahr streckt – was ja nach der Ausbildungsordnung, im Gegensatz zu einer Verkürzung des Jahres, zulässig wäre -, derjenige ist lediglich „Teilzeit-Auszubildender“ im Verständnis des § 27 Abs. 4 Satz 2 PsychThG und soll dann im gewählten Beispiel nicht zwei Jahre lang 1000.- Euro monatlich für nur die hälftige praktische Tätigkeit erhalten, sondern zwei Jahre lang lediglich 500 Euro monatlich im Beispielfall. Der Gesamtertrag beim Auszubildenden und der Gesamtaufwand der ausbildenden Einrichtung wären mit insgesamt jeweils 12.000.- Euro für die gesamte Ausbildung identisch; der Auszubildende soll jedoch keinen persönlichen Vorteil in Form einer höheren Gesamtvergütung haben, wenn er aus persönlichen Gründen lediglich eine Teilzeittätigkeit wählt. Dies – und nur dies – ist nach dem Verständnis der Kammer der Regelungsgegenstand der Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeittätigkeit in § 27 Abs. 4 PsychThG.
41Die 1000.- Euro sind nach § 27 Abs. 4 Satz 1 PsychThG insofern für den „regulären“ Ausbildungsumfang geschuldet. Es ist nicht ersichtlich, dass der gesetzlich ausdrücklich geregelte Betrag von 1000.- Euro praktisch obsolet sein soll, weil entsprechend der Argumentation der Beklagten quasi alle Auszubildenden der hier streitgegenständlichen Ausbildung ihre Tätigkeit lediglich in „Teilzeit“ verbringen würden.
42c)
43Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der beklagtenseitig zitierten Entscheidung des LAG Hamm vom 29.11.2012, 11 Sa 74/12, später bestätigt durch BAG, Urteil vom 10.02.2015, 9 AZR 289/13.
44Abgesehen davon, dass die Entscheidungen des LAG Hamm aus dem Jahr 2012 und nachfolgend des BAG aus dem Jahr 2015 naturgemäß nur den damaligen Rechtsstand, aber nicht den seit 01.09.2020 geltenden Rechtsstand eines nunmehr ausdrücklich eingeführten gesetzlichen Mindestlohns für die hier streitgegenständliche Ausbildung abbilden können, würde sich nach dem Berechnungsweg des LAG Hamm sogar noch eine höhere Vergütung als die hier streitgegenständliche ergeben.
45Das LAG Hamm hat seinerzeit - vor Inkrafttreten des § 27 Abs. 4 PsychThG zum 01.09.2020 - entschieden, dass es sittenwidrig sei, für die praktische Ausbildung zur Psychotherapeutin gar keine Vergütung zu zahlen. Die dortige Klagepartei hatte insofern Anspruch auf die übliche Vergütung gemäß § 612 BGB. Das LAG Hamm ging hierbei von einer üblichen Vergütung für eine Vollzeittätigkeit an fünf Wochenarbeitstagen nach Abschluss der Ausbildung von jedenfalls 2800 Euro aus und ermittelte für im dortigen Streitfall zwei Wochenarbeitstage eine geschuldete Vergütung von jedenfalls 1000 Euro. Die von der hiesigen Klägerin erbrachten 24 Stunden stellen aber mehr als zwei von fünf Wochenarbeitstagen bei einer außerhalb der Ausbildung üblichen 38,5-Stunden-Woche dar. Zwei Fünftel entsprechen lediglich 40 Prozent, 24/38,5 demgegenüber knapp 62 Prozent. Auch nach diesem Rechenweg hat die Klägerin daher jedenfalls einen monatlichen Vergütungsanspruch in Höhe der von ihr im Klageweg geltend gemachten 923, 08 Euro.
46d)
47Auch ein Vergleich mit dem Mindestlohngesetz ergibt die Richtigkeit der klägerischen Überlegungen. Ausgehend von einem gesetzlichen Mindestlohn im Jahr 2020 (Zeitpunkt der Gesetzesänderung zum 01.09.2020) von 9,35 Euro pro Stunde ergibt sich bei einem Beschäftigungsumfang von 26 Wochenstunden ein monatlicher Beschäftigungsumfang von 113,1 Stunden und damit ein Mindestlohn – bei Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes von 1.057,49 Euro pro Monat (4,35 Wochen x 26 x 9,35). Bei einem Tätigkeitsumfang von 38,5 Wochenstunden würde der gesetzliche Mindestlohn demgegenüber bei 1.565,89 Euro liegen.
48Insofern ist naheliegend, dass mit der gesetzlichen Neuregelung des § 27 Abs. 5 PsychThG eine Angleichung für die – üblicherweise wöchentlich ca. 26 – in der praktischen Einrichtung zu leistenden Tätigkeitsstunden an das Mindestlohngesetz geschaffen werden sollte und insofern der Betrag von monatlich 1000.- Euro dies widerspiegelt.
49e)
50Bereits mit einem Tätigkeitsumfang von ca. 26 Wochenstunden in der praktischen Ausbildung entsprechend der einschlägigen Ausbildungsordnung leistet ein Auszubildender daher eine „Vollzeittätigkeit“ i. S. des § 27 Abs. 4 Satz 1 PsychThG in der seit 01.09.2020 geltenden Fassung. Eine Kürzung des gesetzlich für den Regelfall der Ausbildung vorgesehenen Mindestlohns von 1000.- Euro pro Monat nach § 27 Abs. 4 Satz 2 PsychThG aufgrund der Annahme einer „Teilzeittätigkeit“ ist nur gerechtfertigt, wenn es sich um eine Reduzierung des Tätigkeitsumfangs gegenüber dem nach der Ausbildungsordnung vorgesehenen Regelumfang der Tätigkeit handelt.
51Ein derartiger Ausnahmefall, der zur Kürzung des Mindestlohns nach § 27 Abs. 4Satz 2 PsychThG führen könnte, war im zu entscheidenden Sachverhalt nicht gegeben.
52f)
53Ob vor diesem Hintergrund der hiesigen Klägerin möglicherweise sogar ein Anspruch auf 1000.- Euro pro Monat zusteht anstelle der lediglich klageweise geltend gemachten 923,98 Euro, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da ein Gericht nicht befugt ist, einer Partei mehr zuzusprechen, als von ihr beantragt wurde (§ 308 ZPO).
542.)
55Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288, 291 BGB. Die Klägerin konnte Zinsen in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes ab Rechtshängigkeit verlangen.
56III.
57Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Hiernach hatte die Beklagte als unterlegene Partei des Rechtsstreits die Kosten zu tragen.
58Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert wurde auf den bezifferten Wert des Zahlungsantrags festgesetzt.
59Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit wurde die Berufung gesondert zugelassen, § 64 Abs. 3 Ziffer 1, § 64 Abs. 3 a ArbGG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- ArbGG § 46 Grundsatz 1x
- 11 Sa 74/12 2x (nicht zugeordnet)
- § 27 Abs. 5 PsychThG 1x (nicht zugeordnet)
- 9 AZR 289/13 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- ArbGG § 111 Änderung von Vorschriften 5x
- § 27 Abs. 4Satz 2 PsychThG 1x (nicht zugeordnet)
- § 27 Abs. 4 Satz 2 PsychThG 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 308 Bindung an die Parteianträge 1x
- BGB § 612 Vergütung 1x
- ArbGG § 61 Inhalt des Urteils 1x
- § 27 Abs. 4 Satz 1 PsychThG 4x (nicht zugeordnet)
- BGB § 286 Verzug des Schuldners 1x
- ArbGG § 64 Grundsatz 1x
- § 27 Abs. 4 PsychThG 9x (nicht zugeordnet)
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- BGB § 291 Prozesszinsen 1x
- § 27 PsychThG 1x (nicht zugeordnet)
- 8 Ca 971/21 1x (nicht zugeordnet)