Beschluss vom Bundesgerichtshof (4. Strafsenat) - 4 StR 605/19

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 15. Mai 2019 wird als unbegründet verworfen.

Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen (§ 74 JGG); jedoch hat er die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

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Das Landgericht hat den Angeklagten              A.      der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und ihm hierwegen die Auflage erteilt, binnen sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteils 150 Stunden gemeinnützige Arbeit nach näherer Weisung der Jugendgerichtshilfe zu erbringen. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils. Das Rechtsmittel erweist sich als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

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1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 25. November 2019 näher ausgeführt hat, hält der Schuldspruch der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.

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2. Auch der Rechtsfolgenausspruch begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

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a) Allerdings ist der Senat entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht daran gehindert, die „hilfsweise“ vom Beschwerdeführer gegen den Umfang der ihm erteilten Auflage erhobenen Einwendungen zu prüfen. Denn er hat auch im Jugendstrafverfahren gemäß; § 337 StPO, § 2 Abs. 2 JGG grundsätzlich umfassend zu überprüfen, ob das Urteil an einer Gesetzesverletzung leidet. Einschränkungen des Umfangs der Prüfung auf eine an sich zulässige Revision, wie sie sich etwa aus § 400 StPO ergeben, bedürfen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Eine solche vermag der Senat in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG nicht zu erblicken. Die dort normierte Beschränkung des zulässigen Angriffsziels (vgl. zur systematischen Einordnung BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2013 – 1 StR 278/13, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 6; vom 6. Oktober 1998 – 4 StR 312/98, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 13; Kaspar in MüKo-StPO, § 55 JGG Rn. 59: „unstatthaft“; ebenso Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 401 f.) greift hier wegen der ausdrücklich auch gegen den Schuldspruch gerichteten Einzelangriffe des Revisionsführers nicht ein (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 30. März 2016 – 1 OLG 8 Ss 49/16). Eine über den Wortlaut („230; kann nicht … angefochten werden, …“) hinausgehende Beschränkung des Prüfungsumfangs vermag der Senat der Regelung in § 55 Abs. 1 JGG nicht zu entnehmen. Der Wortsinn der Vorschrift legt eine solche Auslegung nicht nahe. Ihr Ausnahmecharakter (vgl. Kaufmann JZ 1958, 9: „ius singulare“) im Verhältnis zu der grundsätzlich umfassend vorgesehenen Rechtsprüfung in § 337 StPO i.V.m. § 2 Abs. 2 JGG legt nach allgemeinen methodischen Grundsätzen eine enge Auslegung nahe. Hierfür streitet auch die Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 GG. Daher ist der Senat mit der ganz herrschenden Meinung der Auffassung, dass das Revisionsgericht auf eine unbeschränkt eingelegte und auch sonst zulässige Revision die vorinstanzlich angeordneten Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel ohne die Beschränkung in § 55 Abs. 1 Satz 1 JGG auch dann auf Rechtsfehler zu überprüfen hat, wenn es den Schuldspruch unangetastet lässt (BayObLG NJW 1992, 1520 unter Bezugnahme auf BGHSt 10, 198, wo dies allerdings nur für die Berufungsinstanz bejaht worden ist; Kaspar in MüKo-StPO, § 55 JGG Rn. 62; Eisenberg, JGG, 20. Aufl., § 55 Rn. 53; Ostendorf/Schady, JGG, 10. Aufl., § 55 Rn. 24; Laue in Meier/Rössner/Trüg/Wulf, JGG, 2. Aufl. 2014, § 55 Rn. 31; Schatz in Diemer/Schatz/Sonnen, JGG, 7. Aufl., § 55 Rn. 68; Brunner/D46;lling, JGG, 13. Aufl., § 55 Rn. 23; BeckOK-JGG/Kunkel § 55 Rn. 85 [für die Berufung]; Streng, Jugendstrafrecht, 4. Aufl., Rn. 582 f.; Schaffstein/Beulke/Swoboda, Jugendstrafrecht, 15. Aufl., Rn. 817; Laubenthal/Baier/Nestler, aaO, Rn. 404; Ostendorf/Drenkhahn, Jugendstrafrecht, 9. Aufl., Rn. 162; Böhm/Feuerhelm, Einführung in das Jugendstrafrecht, 4. Aufl., S. 94 [für die Berufung]; a.A. Schnitzerling NJW 1956, 33 [Anm. zu OLG Frankfurt NJW 1956, 32 f. für die Berufung]; Kaufmann aaO S. 12 f.; Schaumann, Die Rechtsmittelbeschränkung des § 55 JGG, Diss. Göttingen 2001, S. 143, 198; diff. Penkuhn ZJJ 2014, 371, 374).

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b) Jedoch begegnet die dem zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten erteilte Auflage keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie beruht auf § 15 Abs. 1 Nr. 3 JGG und ist daher gesetzesgemäß. Zwar hat das Landgericht bei der Bemessung der Auflage nicht mehr ausdrücklich erwä;hnt, dass der Angeklagte am 9. August 2018 und damit nach der hier abgeurteilten Tat wegen Körperverletzungsdelikten verwarnt und ihm auferlegt wurde, 50 Stunden gemeinnützige Arbeit zu erbringen, sowie dass gegen ihn ein einwöchiger Dauerarrest verhängt wurde. Eine Einbeziehung des Urteils gemäß § 31 Abs. 2 JGG schied aus, da die festgesetzten Sanktionen insgesamt vollständig erledigt waren (UA 15). Abgesehen davon, dass dies bereits für sich einen Nachteil für den Angeklagten bedeutet, kann auch die Vollziehung der verhängten Rechtsfolgen den jetzigen Erziehungsbedarf mindern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. April 2010 ‒ 5 StR 135/10, NStZ-RR 2010, 257, 259; vom 11. Mai 2006 ‒ 3 StR 136/06; Brunner/Dölling, aaO § 31 Rn. 7 mwN). Der Senat kann jedoch ausschließen, dass die Höhe der hier erteilten Auflage durch die Nichterwähnung dieses Umstands beeinflusst worden ist. Das Landgericht hat ausdrücklich zur Herbeiführung der „erforderlichen“ erzieherischen Einwirkung die Auferlegung des Zuchtmittels für notwendig erachtet. Damit hat es sich an dem im Zeitpunkt seines tatrichterlichen Urteils vorhandenen ‒ ersichtlich erheblichen ‒ Erziehungsbedarf orientiert, sodass eine andere oder eine weniger schwere jugendrichterliche Sanktion ausgeschlossen erscheint.

Sost-Scheible     

      

Cierniak     

      

Bender

      

Quentin     

      

Feilcke     

      

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