Beschluss vom Bundesverwaltungsgericht (8. Senat) - 8 B 74/10

Gründe

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Die Klägerin nimmt die Beklagten und die Rechtsnachfolger ihres verstorbenen Bruders als Erben nach deren Mutter auf Bezahlung dreier Forderungen in Anspruch, von denen zwei vom Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen Thüringen mit Bescheid vom 10. Mai 1995 festgestellt worden waren; die dritte war in einem an diesen Bescheid sich anschließenden Rechtsstreit durch Prozessvergleich vom 26. August 1999 begründet worden. Die Beklagten haben das Fortbestehen der ersten beiden Forderungen bestritten und sich insgesamt auf Verjährung berufen; zudem haben sie die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses erhoben und der Klägerin Herausgabe des Nachlasses angeboten. Das Verwaltungsgericht hat das Verfahren hinsichtlich der Rechtsnachfolger des Bruders der Beklagten abgetrennt und die Klage gegen letztere als unzulässig abgewiesen, weil der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis fehle; sie hätte den angebotenen Nachlass annehmen können.

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Das Verwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht (§ 133 Abs. 6 VwGO). Das Urteil beruht auf Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

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1. Fehl geht allerdings die Rüge der Klägerin, das Verwaltungsgericht hätte den Wert des Nachlasses ermitteln müssen (§ 86 Abs. 1 VwGO). Dazu ist das Gericht im Erkenntnisprozess nicht verpflichtet. Erhebt der verklagte Erbe die Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses (§ 1990 Abs. 1 BGB) und steht die Dürftigkeit - wie hier - unwiderleglich fest, weil die zuvor angeordnete Nachlassverwaltung nach § 1988 Abs. 2 BGB wieder aufgehoben wurde, so kann sich das Gericht, wenn die Klage im Übrigen begründet ist, damit begnügen, dem Beklagten den Vorbehalt der Beschränkung seiner Haftung im Urteil vorzubehalten (§ 780 Abs. 1 ZPO); damit eröffnet es dem Beklagten die Befugnis, die Zwangsvollstreckung des Klägers in sein persönliches Vermögen mit der Vollstreckungsgegenklage abzuwehren (§ 785 ZPO; BGH, Urteil vom 9. März 1983 - IVa ZR 211/81 - NJW 1983, 2378 = juris m.w.N.). Das Gericht kann auch ermitteln, was zum Nachlass gehört, und der Klage nur in Ansehung dieses Nachlasses stattgeben oder den Beklagten zur Duldung der Zwangsvollstreckung in diesen Nachlass verurteilen. In keinem dieser Fälle muss es feststellen, welchen Wert der Nachlass hat, namentlich ob er zur Befriedigung der Klageforderung hinreicht oder nicht. Natürlich ist das Gericht nicht gehindert, den Wert des Nachlasses zu ermitteln; erweist er sich tatsächlich als wertlos, so ist die Klage - als unbegründet - abzuweisen (BGH, Urteil vom 5. April 2000 - IV ZR 145/98 - juris). Eine dahingehende Verpflichtung besteht aber nicht (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1983 a.a.O.; Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 780 Rn. 6 m.w.N.).

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2. Das angefochtene Urteil beruht aber insofern auf einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO), als das Verwaltungsgericht ohne zureichende Grundlage davon ausgegangen ist, die Beklagten hätten der Klägerin den Nachlass so angeboten, dass diese durch schlichte Annahme die Berechtigung am Nachlass hätte erlangen und sich alsdann durch freihändige Verwertung aus dem Nachlass hätte befriedigen können.

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Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner Überzeugung, die es aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewinnt. Dies schließt ein, dass die richterliche Überzeugung ihre Grundlage in dem Gesamtergebnis des Verfahrens haben muss. Das Gericht darf weder Umstände, die zum Gegenstand des Verfahrens gehören, ohne zureichenden Grund ausblenden, noch darf es seine Überzeugung auf Umstände gründen, die nicht zum Gegenstand des Verfahrens zählen. Vor allem aber darf das Gericht seine Überzeugung nicht gänzlich ohne Grundlage bilden; es darf Umstände, auf deren Vorliegen es nach seiner Rechtsauffassung für die Entscheidung ankommt, nicht ungeprüft behaupten (vgl. Dawin, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand 1998, § 108 Rn. 16 ff. m.w.N.).

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So aber liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat zum einen angenommen, dass der einzige werthaltige Nachlassgegenstand das Beteiligungsrecht an der Fa. K. KG i.L. sei, deren Komplementärin die Mutter der Beklagten war. Zum anderen ist es davon ausgegangen, dass die Beklagten der Klägerin die Abtretung "ihrer Beteiligungsrechte" an dieser Gesellschaft in einer Weise angeboten hätten, die die Klägerin ohne Weiteres hätte annehmen können; das bezieht sich offensichtlich auf das Beteiligungsrecht als Komplementär, das die Beklagten nach Auffassung des Verwaltungsgerichts von ihrer Mutter ererbt haben und auf das allein sich die Dürftigkeitseinrede nach § 1990 BGB beziehen könnte, und nicht auf mögliche eigene Beteiligungsrechte der Beklagten als Kommanditisten (vgl. VG-AS 156). Beide Annahmen sind ohne Grundlage in den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts oder im bisherigen Prozessstoff.

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Die Mutter der Beklagten ist am 1. Dezember 2000 verstorben. Zu diesem Zeitpunkt war das Handelsrechtsreformgesetz vom 22. Juni 1998 (BGBl I S. 1474) bereits in Kraft, durch das unter anderem die Folgen neu geregelt wurden, die der Tod eines Gesellschafters für eine Personenhandelsgesellschaft hat. Nunmehr führt der Tod eines Gesellschafters zu dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft, sofern im Gesellschaftsvertrag nichts Anderes bestimmt ist (§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 139 HGB); das gilt auch für eine Gesellschaft, die - wie die Fa. K. i.L. - ohnehin nicht mehr werbend tätig ist (Hopt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 34. Aufl. 2010, § 131 Rn. 5). Das Ausscheiden des Gesellschafters hat zur Folge, dass er sich mit den verbleibenden Gesellschaftern auseinanderzusetzen hat; seine bisherige Beteiligung wächst den verbleibenden Gesellschaftern zu (§ 738 BGB). Dies gilt vollends, wenn das Ausscheiden des Gesellschafters das Erlöschen der Gesellschaft zur Folge hat, weil nur noch ein einziger Gesellschafter übrig bliebe; eine Ein-Personen-Gesellschaft gibt es nicht (vgl. BGH, Urteile vom 10. Juli 1975 - II ZR 154/72 - BGHZ 65, 79 <82 f.> und vom 10. Dezember 1990 - II ZR 256/89 - BGHZ 113, 132, jeweils auf der Grundlage von § 131 HGB a.F., sowie vom 7. Juli 2008 - II ZR 37/07 - ZIP 2008, 1677). Bei dieser Rechtslage konnten die Beklagten infolge des Todes ihrer Mutter nur dann in deren Rechtsstellung als Komplementärin der Fa. K. KG i.L. eintreten, wenn der Gesellschaftsvertrag dies bestimmte. Der Gesellschaftsvertrag ist jedoch nicht bei den Akten; das Verwaltungsgericht hat zu seinem Inhalt auch keinerlei Feststellungen getroffen.

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Hinzu kommt, dass die Beklagten nicht die einzigen Miterben nach ihrer Mutter sind. Zur Erbengemeinschaft gehören auch die Erben ihres zwischenzeitlich verstorbenen Bruders (vgl. dazu VG-AS 131, 134). Zwar kann auch jeder Miterbe den Gläubiger auf seinen Anteil am Nachlass verweisen und insofern die Dürftigkeitseinrede erheben (§ 2059 Abs. 1, § 1990 Abs. 2 BGB; vgl. Münzberg, a.a.O. § 780 Rn. 17). Ohne Mitwirkung der Erben ihres verstorbenen Bruders aber konnten die Beklagten die Erbengemeinschaft nicht auseinandersetzen; ohne deren Mitwirkung konnten sie auch nicht einzelne Nachlassgegenstände wie die Beteiligung an der Fa. K. KG i.L. an Dritte übertragen. Das Verwaltungsgericht hat auch insofern keine Feststellungen getroffen; im Gegenteil hat es die Klage gegen die Erben des Bruders abgetrennt.

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3. Ferner war verfahrensfehlerhaft, dass das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, ohne dass es hierfür eine zureichende Grundlage im Prozessrecht gegeben hätte.

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Mit dem Vorbringen, über den Klageanspruch sei rechtsfehlerhaft nicht durch Sachurteil, sondern durch Prozessurteil entschieden worden, wird ein Verfahrensmangel geltend gemacht (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 4. Juli 1968 - BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 = Buchholz 448.0 § 34 WPflG Nr. 7 und vom 31. August 1999 - BVerwG 3 B 57.99 - DVBl 2000, 560). Das gilt auch dann, wenn das Verwaltungsgericht durch Prozessurteil entscheidet, weil es dem Kläger ohne zureichenden Grund das Rechtsschutzbedürfnis abspricht. Das ist hier geschehen, weil das Verwaltungsgericht die prozessualen Anforderungen an das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses überspannt und dieses nicht nur aufgrund materiell-rechtlich fehlerhafter Erwägungen verneint hat.

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So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, ein Sachurteil bringe der Klägerin im Vergleich zu dem, was sie mit zumutbarem Aufwand auch ohne Inanspruchnahme des Gerichts erlangen könne, keinen zusätzlichen Nutzen. Zwar ist richtig, dass das Rechtsschutzbedürfnis für Klagen fehlt, deren Erfolg die Rechtsstellung des Klägers nicht verbessern würde. Die Nutzlosigkeit muss jedoch eindeutig sein; im Zweifel ist das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen (stRspr, vgl. Urteile vom 17. Oktober 1989 - BVerwG 1 C 18.87 - BVerwGE 84, 11 <12> = Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 15 und vom 29. April 2004 - BVerwG 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1 <3> = Buchholz 451.74 § 9 KHG Nr. 9; Rennert, in: Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, vor § 40 Rn. 16. f. m.w.N.). An der gebotenen Eindeutigkeit fehlt es hier. Selbst wenn die Beklagten der Klägerin ihre Beteiligung am Nachlass nach ihrer Mutter so angeboten hätten, dass die Klägerin durch - ihr ohne Weiteres zumutbare - schlichte Annahme in die Erbenrechte hätte eintreten können, hätte die Klägerin doch nicht schon alles erreicht, was sie mit der Klage erreichen will und erreichen könnte. Ihr fehlt immer noch ein Vollstreckungstitel. Die freihändige Herausgabe des Nachlasses durch den in Anspruch genommenen Erben entspricht nicht § 1990 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Gläubiger darf den Nachlass nämlich nicht ohne Weiteres ebenso freihändig verwerten. Das Gesetz sieht die Herausgabe nur "zum Zwecke der Befriedigung des Gläubigers im Wege der Zwangsvollstreckung" vor. Die Verwertung soll also im geregelten Verfahren der Zwangsvollstreckung erfolgen. Dadurch sollen etwa vorgehende Rechte weiterer Gläubiger gesichert werden (grundlegend RG, Urteil vom 20. Juni 1932 - VI 67/32 - RGZ 137, 50 <53>; Küpper, in: Münchner Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2010, § 1990 Rn. 16). Etwas Anderes könnte allenfalls gelten, wenn klar wäre, dass keine anderen Gläubiger vorhanden sind. Das hat das Verwaltungsgericht aber nicht festgestellt.

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4. Das angefochtene Urteil beruht auf den genannten Verfahrensmängeln. Namentlich erweist es sich nicht deshalb im Ergebnis als richtig, weil die Klage jedenfalls als unbegründet abzuweisen wäre. Das käme nur in Betracht, wenn feststünde, dass der Nachlass der Mutter der Beklagten wertlos ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2000 a.a.O. sowie oben 1.). Das ist aber nicht der Fall. Zum Nachlass gehört entweder - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - das Beteiligungsrecht an der Fa. K. KG i.L. oder aber der Auseinandersetzungs- und Abfindungsanspruch, der infolge des Ausscheidens als Gesellschafter an dessen Stelle getreten ist. Beides ist nicht offensichtlich wertlos. Zum Vermögen der Gesellschaft gehören das Betriebsgrundstück in K., das der Gesellschaft zurückübertragen wurde, sowie ein Anspruch auf Entschädigung, dessen Höhe bislang nicht feststeht.

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Der Senat macht zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil im Beschlusswege aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).

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