Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 K 198/13

Tatbestand

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Im Zusammenhang mit der übereinstimmenden Klage-Erledigungserklärung vom 17. April 2014 werden folgende Hinweise erteilt, und zwar nicht nur den Beteiligten, sondern auch
- dem Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung,
- der Behörde für Stadtentwicklung (als für den vorgenannten Landesbetrieb zuständiger oberster Aufsichtsbehörde).

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I. Die an den Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung gemäß § 86 FGO gerichtete Anforderung eines Kopie-Aktenauszugs betreffend die
Zuschreibung von 10 qm auf dem Flurstück A ...,
Grundbuch A Bd. ... Bl. ..., X-Straße ...,
im Dezember 1975 (lt. im Grundbuch Bestandsverzeichnis am ... 1976 eingetragener Berichtigung: Fortführungsmitteilung vom ... 1975)
hat sich nach zwischenzeitlichem Eingang der Grundakte mit der Fortführungsmitteilung (Grundakte S. ...) und der dementsprechenden Einigung und Erledigung der Klage ebenfalls erledigt.

Entscheidungsgründe

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II. Gleichwohl besteht im Hinblick auf die mit dem Landesamt Geoinformation und Vermessung gewechselten E-Mails zur Frage einer dortigen Kostenerhebung für den angeforderten Aktenauszug noch Anlass zu folgender Klarstellung:

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1. Behörden sind im Finanzprozess nach § 86 FGO ebenso wie im Verwaltungsprozess nach § 99 VwGO gegenüber den Gerichten zur Vorlage angeforderter Urkunden und Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet, soweit kein im Gesetz genannter Geheimhaltungsgrund vorliegt.

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a) Diese Verpflichtung erstreckt sich im Übrigen auf alle angeforderten Original-Unterlagen oder vollständigen Akten einschließlich Arbeits- und Handakten, Sonder- und Anlagenbänden und trifft in allen gerichtlichen Instanzen alle deutschen Behörden ohne Rücksicht auf ihre Stellung im Rechtsstreit (vgl. Beschlüsse OVG Brandenburg vom 22.01.2004 1 B 338/03, Juris; BFH vom 07.05.2001 VII B 199/00, HFR 2001, 1045, BFH/NV 2001, 1366; Koch in Gräber, FGO, 7. A., § 86 Rz. 4); das gilt auch für voll staatlich kontrollierte Rechtsträger anderer Rechtsform (Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 14, 17 f.).

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Es ist Sache des für die Entscheidung über den jeweiligen Rechtsstreit berufenen Gerichts, darüber zu befinden, welche Urkunden, Akten, Dokumente und Auskünfte zur Aufklärung der Sache notwendig sind (BVerwG-Beschluss vom 15.08.2003 20 F 8/03, NVwZ 2004, 105; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 28; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 15 f.).

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b) Dabei kommt es hier nicht auf Unterschiede in anderen Prozessordnungen an (zu § 120 SGG vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.03.2011 L 18 AS 2267/10 B, Juris; zu §§ 142, 273, 358a, 432, 428 ff. ZPO, Art. 35, 20 GG vgl. BVerwG-Urteil vom 23.08.1968 IV C 235.65, BVerwGE 30, 154, DÖV 1968, 836).

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c) Die Verpflichtung aller Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften nach § 86 FGO und § 99 VwGO gegenüber den Gerichten entspricht dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG im Rechtsstaat gemäß Art. 20 GG und der danach gewährten umfassenden gerichtlichen Nachprüfbarkeit des Verwaltungshandelns in Verbindung mit dem rechtlichen Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfG-Beschluss vom 27.10.1999 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106, EuGRZ 2000; Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 99 Rz. 4; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 7; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 1, 4).

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d) Dem Zweck der Vorschrift entsprechend, dem Gericht eine vollständige Sachaufklärung zu ermöglichen, ist der Begriff der Urkunde weit auszulegen und erfasst sämtliche verkörperte Gedankenerklärungen, z. B. auch Computerdatei-Ausdrucke, Fotokopien, Telefaxe, Gutachten oder Augenscheinsobjekte (Stiepel in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 86 FGO Rz. 15; Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 10 ff., 14).

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2. Die nach § 86 FGO oder § 99 VwGO angeforderten Unterlagen hat die Behörde dem anfordernden Gericht kostenfrei zu übersenden, insbesondere ohne Berechnung von Benutzungs- oder Verwaltungsgebühren (z. B. nach Hmb. GebG oder GebOVerm, vgl. § 4 Satz 3 HmbGDIG), so dass Kosten nur für zusätzlich von den Beteiligten - anstelle bloßer Einsichtnahme - erbetene Abschriften anfallen können (VG Ansbach, Beschluss vom 10.07.2007 AN 2 E 0.610634, Juris).

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a) Der Kostenfreiheit der Übersendung angeforderter Akten oder Unterlagen entsprechend gehört es zum allgemeinen Verwaltungsaufwand i. S. v. Art. 104a Abs. 1 und Abs. 5 GG, eine Behördenakte anzulegen und sie bei Bedarf in einem gerichtlichen Verfahren vorzulegen. Insoweit gilt nichts anderes als bei einer Beteiligung der Behörde am Rechtsstreit und ihren dabei entstehenden allgemeinen Kosten einschließlich Retent-Kopiekosten nach Original-Übersendung (Hessischer VGH, Beschluss vom 08.10.1987 3 S 2317/87 mit zahlr. Nachw.; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.03.1984 6 B 986/83; zum allgemeinen Verwaltungsaufwand vgl. ferner Hessischer VGH, Urteil vom 24.11.1989 7 UE 2828/84, DB 1990, 944).

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b) Die Kostenfreiheit der gerichtlichen Anforderung nach § 86 FGO oder § 99 VwGO entspricht insoweit zugleich dem allgemeinen Grundsatz der Kostenfreiheit aus Art. 104a Abs. 1, 5 GG auch bei der hier nicht einschlägigen Amtshilfe für Behörden gemäß §§ 4 ff., § 8 Abs. 1 Satz 1 und 3 VwVfG bzw. §§ 4 ff., § 8 Abs. 1 Satz 1 HmbVwVfG (vgl. Beschlüsse OLG Düsseldorf vom 24.05.2012 I-10 W 6/12, 10 W, JurBüro 2012, 597; OLG Sachsen-Anhalt vom 28.04.2009 1 Ws 92/09, NStZ-RR 2009, 296; Thüringer OLG vom 18.02.2008 1 Ws 333/07, JurBüro 2008, 602; LG Meiningen vom 23.01.2008 2 Qs 2/08, Juris; Brandenburgisches OLG vom 08.02.2007 1 Ws 209/06, JMBl BB 2007, 114; VG Lüneburg vom 04.01.2007 10 E 1/06, Juris; LG Neuruppin vom 29.06.2006 12 Qs 13/06, Juris; LG Freiburg vom 14.10.2002 4 T 212/02, Juris; Thüringer LSG vom 12.04.1999 L 6 B 27/98 SF, Breith 1999, 657; LAG Nürnberg vom 31.01.1996 5 Ta 159/95, Juris; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 8; Gersdorf in Posser/Wolf, VwGO, 2. A., § 14 Rz. 7; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. A., § 8 Rz. 7).

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c) So umfasst die Amtshilfe für Gerichte nach § 13 FGO oder § 14 VwGO auch die Übersendung der gerichtlich angeforderten Akten, Unterlagen oder Auskünfte gemäß § 86 FGO oder § 99 VwGO (vgl. BVerwG-Urteil vom 23.08.1968 IV C 235.65, BVerwGE 30, 154, DÖV 1968, 836; Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 1; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. A., § 99 Rz. 2).

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d) Im Übrigen unterscheidet sich das Verhältnis bei der Amtshilfe für Gerichte - wie bei der Rechtshilfe - grundlegend von der Amtshilfe zwischen Behörden. Denn anders als diese unterliegen die Finanz- und Verwaltungsgerichte der verfassungsrechtlich verankerten Pflicht, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, der höhere Anforderungen an die Amtsermittlung stellt. Dem tragen die FGO und VwGO dadurch Rechnung, dass sie auf Kostenerstattungsregelungen für die Übersendung von Urkunden und Akten sowie für die Erteilung amtlicher Auskünfte verzichten (Geiger in Eyermann/Fröhler, VwGO, 13. A., § 14 Rz. 14; vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 4).

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e) Nicht zu entscheiden ist hier über weitergehende Amtshilfe für Gerichte gemäß § 13 FGO oder § 14 VwGO - etwa durch Zurverfügungstellung eines Ortstermin-Sitzungsraums oder Protokollführers - (vgl. Müller-Horn in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 13 FGO Rz. 5; Koch in Gräber, FGO, 7. A., § 14 Rz. 3; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 13 FGO Rz. 4) und über die darauf bezogene Frage einer entsprechenden Anwendung von § 8 VwVfG (vgl. Funke-Kaiser in Bader u. a., VwGO, 5. A., § 14 Rz. 7, 14); Funke-Kaiser in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, § 8 Rz. 5 ff., 10; Stelkens/Panzer in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 14 Rz. 14) oder des JVEG (vgl. Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 04.12.1986, NJW 1987, 1095; Kopp/Schenke, VwGO, 19. A., § 14 Rz. 4; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 4; Ziekow, VwVfG, 3. A., § 8 Rz. 3).

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f) Ferner ist die Anforderung von Unterlagen, Akten oder Auskünften nach § 86 FGO oder § 99 VwGO als kostenfreie Amtshilfe für Gerichte zu unterscheiden von Amtshilfe oder Amtshandlungen für Behörden mit den dortigen - hier nicht vorliegenden - Fällen
- der angeforderten Auslagenerstattung für eine ausnahmsweise besonders kostenaufwändige Amtshilfe der Behörde eines - in Abgrenzung zu § 8 Abs. 1 Satz 3 VwVfG - anderen Rechtsträgers gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 VwVfG bzw. HmbVwVfG (vgl. Urteile VG Düsseldorf vom 07.10.2011 24 K 3330/11, Juris; VG Arnsberg vom 11.11.2010, 11 K 3888/09, Juris; VG Halle vom 02.02.2010 1 A 71/09, Juris; Thüringer OVG vom 23.05.2007 1 KO 1299/05; Bayerischer VGH vom 02.04.2003 4 ZB 01.2981, KKZ 2003, 128; vom 20.07.1993 5 B 92.3624, BayVBl 1994, 243; VG München vom 16.12.1999 M 29 K 99.1991, NVwZ-RR 2000, 742; Schliesky in Knack/Henneke, VwVfG, 9. A., § 8 Rz. 9) oder
- der ersuchten weitergehenden und u. U. gemäß § 8 Abs. 2 VwVfG bzw. HmbVwVfG kostenpflichtigen "Amtshandlung" (bzw. "individuell zurechenbaren Leistung" i. S. d. BGebG) einer Behörde in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich (vgl. Urteile Bayerischer VGH vom 04.06.2013 5 B 11.2412, Juris, vorgehend VG Augsburg vom 13.10.2010 Au 6 K 10.209, Juris; Beschlüsse AG Augsburg vom 30.03.2007 91 M 5173/05, DGVZ 2007, 95; AG Osnabrück vom 09.06.1995 9 AU 722/95, NdsRPfl 1995, 353; OLG Karlsruhe vom 17.05.1989 11 W 59/89, Justiz 1989, 353; Hoffmann in Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. A., § 8 Rz. 2);
- z. B. Staatsarchiv-Recherche (vgl. VG Gera, Urteil vom 29.03.2007 5 K 270/05 GE, 5 K 270/05, ThürVBl 2008, 22) oder
- Kataster-Amtshandlung (vgl. Urteile VG Schwerin vom 10.12.2010 7 A 706/10, Juris Rz. 21; OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 14.05.2008 1 L 166/05, NordÖR 2008, 364, Juris Rz. 35 ff.; VG Frankfurt vom 13.02.2007 1 K 913/05, Juris Rz. 20; BVerwG vom 21.06.2006 8 C 12/05, Juris Rz. 39; Hessischer VGH vom 13.03.1991 5 UE 1719/87, DVBl 1991, 1364, Juris Rz. 21; VGH Baden-Württemberg vom 16.07.1985 14 S 227/84, Juris).

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Dabei setzt in diesen Fällen die Kostenerstattung durch die ersuchende Behörde eine darauf gegen letztere gerichtete Ermächtigungsgrundlage der ersuchten Behörde voraus (vgl. Urteile VG Hannover vom 24.09.2009 10 A 2071/08, Juris; Bayerischer VGH vom 25.01.2007 4 BV 04.3156, DÖV 2007, 345; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. A., § 8 Rz. 12).

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3. Infolge der Erledigung kommt es nicht mehr darauf an, dass die für den Landesbetrieb zuständige oberste Aufsichtsbehörde für eine Verweigerung der Urkundenübersendung durch den Landesbetrieb gemäß § 86 Abs. 2-3 FGO wie nach § 99 Abs. 2 VwGO hätte eingeschaltet werden müssen (vgl. Lang in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. A., § 99 Rz. 18) und ob oder dass nach ihrer Beiladung in einem Zwischenstreit gemäß § 86 Abs. 1-2 FGO wie nach § 99 Abs. 1-2 VwGO entsprechend dem "in-camera-Verfahren" in der höheren Instanz über das Vorliegen von Verweigerungsgründen hätte entschieden werden müssen (zur erfolglosen Verweigerung wegen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwands vgl. Hessischer VGH, Beschluss vom 30.04.2010 6 A 1341/09, NVwZ 2010, 1112 zu 3, Juris Rz. 14 ff.).

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III. Der Beschluss ergeht durch den Einzelrichter nach Übertragung vom 26. Februar 2014 gemäß § 6 FGO und ist gemäß § 128 FGO nicht anfechtbar.

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