Urteil vom Landesarbeitsgericht Düsseldorf - 4 Sa 70/19
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 20.12.2018 - 3 Ca 1974/18 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung der Klägerin.
3Die Klägerin ist als ausgebildete Sozialarbeiterin (Bachelor of Arts, BA) seit dem 13.05.2013 bei der beklagten Stadt beschäftigt. Gemäß § 2 des insoweit letztgültigen Arbeitsvertrages vom 18.03.2016 bestimmt sich das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) - Verwaltung - in der für den Bereich der Vereinigung der Kommunalen B. verbände (W.) jeweils geltenden Fassung einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der Kommunalen B. in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts. Die Klägerin war zunächst im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des Fachbereichs Kinder, Jugend und Familie eingesetzt und nach der Entgeltgruppe S14 TVöD-W. vergütet worden. Gemäß Änderungsvertrag vom 11.05.2016 wechselte sie mit Wirkung vom 01.05.2016 vom ASD in die Abteilung Beistandschaften, Amtsvormundschaften, Unterhaltsvorschuss. Nach Maßgabe der Stellenbeschreibung vom 02.02.2017 ist sie seitdem zu 75 % ihrer Gesamtarbeitszeit mit dem Führen von bestellten Vormundschaften/Pflegschaften kraft richterlicher Anordnung beauftragt. Auf die Arbeitsplatzbeschreibung wird Bezug genommen (Bl. 40 - 47 GA). Gemäß § 1 des Änderungsvertrags vom 11.05.2016 (Bl. 32 GA) ist die Klägerin in Entgeltgruppe S11 b TVöD W. eingruppiert. Nach übereinstimmender Prozesserklärung der Parteien handelte es sich dabei nicht um eine konstitutive Regelung der Vergütung, sondern um die damalige Einschätzung der Parteien über die zutreffende tarifliche Eingruppierung (vgl. Protokollerklärung vom 25.09.2019, Bl. 371 GA).
4Mit Schreiben vom 29.09.2016 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten eine Vergütung nach Entgeltgruppe S15 TVöD W. geltend (Bl. 35 GA). Nachfolgend korrigierte die Beklagte die Eingruppierung der Klägerin von der Entgeltgruppe S11 b rückwirkend in die Entgeltgruppe S12. Eine höhere Eingruppierung lehnte sie ab (Bl. 39 GA).
5Mit ihrer am 04.09.2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin Vergütung nach der Entgeltgruppe S15. Sie hat geltend gemacht, ihre zu 75 % ihrer Gesamtarbeitszeit ausgeübte Tätigkeit als Amtsvormundin/Amtspflegerin hebe sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus einer Tätigkeit nach der Entgeltgruppe S12 TVöD W. heraus. Die besondere Schwierigkeit folge daraus, dass die Kinder, für die ein Amtsvormund bestellt sei, bereits eine gescheiterte Lebensbiografie oder jedenfalls erhebliche Entwicklungsretardierungen und Schädigungen in ihrer Persönlichkeit aufwiesen. Hieraus ergäben sich erzieherische Probleme sowie komplexe Rechtsansprüche, die vom Vormund zu verfolgen seien. Für die Ausübung dieser Tätigkeit seien gründliche und umfassende Fachkenntnisse sowie zusätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich. Die Tätigkeit des Vormunds sei zudem höchstpersönlich und nicht übertragbar und unterliege nur einem eingeschränkten innerbehördlichen Weisungsrecht. Die Tätigkeit erfordere zudem ein besonderes Maß an Lebenserfahrung, sozialer Kompetenz und weiterer persönlicher Eigenschaften. Die Klägerin habe bereits eine Vielzahl von Weiterbildungen durchgeführt, darunter - auf eigene Kosten - eine Zusatzausbildung zur Traumapädagogin. Auch die Zusammenarbeit mit dem Familiengericht und dem Vormundschaftsgericht sei eine höherwertige Tätigkeit.
6Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr ab dem 01.05.2016 Vergütung nach der Entgeltgruppe S15 TVöD W. zu zahlen und die anfallenden Bruttonachzahlungsbeträge zu verzinsen.
7Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
8Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin habe die Heraushebung ihrer Tätigkeiten (zu einem Drittel) durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus den Tätigkeiten nach der Entgeltgruppe S12 nicht ausreichend dargelegt. Insbesondere fehle es an einer vergleichenden Darstellung der gewöhnlichen Tätigkeit eines Sozialarbeiters/Sozialpädagogen (S 11b), der schwierigen Tätigkeiten (S 12) und der weiteren Heraushebung zu einem Drittel durch besonderen Schwierigkeit und Bedeutung (S 15). Es sei nicht erkennbar, dass sich die Klägerin über schwierige Tätigkeiten eines Sozialarbeiters/Sozialpädagogen hinaus mit besonders schwierigen Tätigkeiten befasse. Die von der Klägerin benannte Fortbildung als Traumapädagogin sei für ihre Tätigkeit nicht erforderlich. Zudem existiere ein innerstädtisches Beratungsnetzwerk, auf welches die Klägerin zurückgreifen könne. Auch fehle es der Tätigkeit der Klägerin an einer Heraushebung aus der Entgeltgruppe S12 durch ihre Bedeutung. Es seien keine übergeordneten oder richtungsweisenden Tätigkeiten zu erbringen.
9Mit Urteil vom 20.12.2018, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Tätigkeit der Klägerin weder durch besondere Schwierigkeit noch durch Bedeutung aus einer Tätigkeit nach der Entgeltgruppe S12 heraushebe.
10Gegen das ihr am 10.01.2019 zugestellt Urteil richtet sich die am 21.01.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und innerhalb der verlängerten Frist am 11.04.2019 begründete Berufung der Klägerin. Darin wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Schilderung einer Reihe von Einzelfällen und macht geltend, dass sich ihre Tätigkeit beispielsweise aus einer von der beklagten Stadt nach der Entgeltgruppe S12 bewerteten Tätigkeit im sogenannten Pflegeelterndienst heraushebe. Diese Tätigkeit umfasse nur beratende und unterstützende Tätigkeit, der Grad der Rechtskenntnisse und die Verantwortung sei geringer. Das gleiche gelte für eine Tätigkeit im Rahmen der Jugendgerichtshilfe, die ebenfalls nach der Entgeltgruppe S12 bei der Beklagten eingruppiert sei. Ferner verweist die Klägerin auf die höchstpersönliche Amtsausübung, die nicht übertragbar sei, auf die erforderlichen umfangreichen Rechtskenntnisse, die notwendige Lebenserfahrung und die Kenntnisse im Bereich der Pädagogik, Psychologie und Soziologie, die ihre Tätigkeit erfordere. Demgemäß habe die Beklagte in der Vergangenheit anders als für andere nach S 12 TVöD W. eingruppierte Tätigkeiten im Bereich der Jugendhilfe eine zweijährige Berufserfahrung als Voraussetzung für eine Tätigkeit als Amtsvormund/Amtspfleger verlangt. Wiederholt verweist die Klägerin zudem darauf, dass sie an Eltern statt in der Regel ohne gerichtliche Genehmigung Entscheidungen zu treffen habe und nicht lediglich beratend und unterstützend tätig sei.
11Die Klägerin beantragt zuletzt,
12unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 20.12.2018 - 3 Ca 1974/18 - festzustellen,
131.dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin ab dem 01.05.2016 bis zum 31.12.2016 nach der Entgeltgruppe S15 der Anlage C TVöD-V/W. zu vergüten;
142.dass die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin rückwirkend ab dem 01.01.2017 nach der Entgeltgruppe S15 der Anlage 1 zur Entgeltordnung W. zu vergüten;
153.dass die Beklagte verpflichtet ist, die anfallenden monatlichen Bruttonachzahlungsbeträge zwischen den Entgeltgruppen S12 und S15 gemäß Ziffer 1 und 2 dieser Klageanträge mit 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Berufung zurückzuweisen.
18Sie hält die Berufung bereits in Ermangelung einer ausreichenden Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils für unzulässig. Neues Vorbringen der Klägerin in der Berufungsbegründung sei als verspätet zurückzuweisen. Im Übrigen verteidigt sie das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung sowie ihrer weiteren zweitinstanzlichen Schriftsätze.
19Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze nebst beigefügten Anlagen sowie ihre Protokollerklärungen Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet. Von einer Wiederaufnahme der Verhandlung gemäß § 156 ZPO hat die Kammer nach erneuter Beratung abgesehen, da die nach Schluss der mündlichen Verhandlung und vor Verkündung des Urteils eingereichten Schriftsätze im Wesentlichen nur Rechtsausführungen enthalten und insbesondere ein Wiederaufnahmegrund im Sinne der §§ 579, 580 ZPO nicht vorliegt.
22I.Die Berufung ist entgegen der Auffassung der Beklagten zulässig, insbesondere setzt sich ihre Begründung gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 u. 3 ZPO ausreichend mit dem Urteil des Arbeitsgerichts auseinander. Dies folgt schon aus dem neuen Sachvortrag der Klägerin auf den Seiten 49 bis 73 der Berufungsbegründung (Bl. 247 - 271 GA) zur näheren Darstellung ihrer Tätigkeit sowie zu der Heraushebung dieser Tätigkeit durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus einer Tätigkeit nach Entgeltgruppe S12 TVöD W.. Der neue Sachvortrag war gemäß § 67 ArbGG nicht als verspätet zurückzuweisen, da er - innerhalb der Instanz - nicht zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führte (vgl. dazu Schleusener in Germelmann u.a., ArbGG, 9. Aufl., § 67 Rn. 9 mwN). Auf die Frage, ob das Berufungsvorbringen sachlich begründet ist, kommt es für die Prüfung der Zulässigkeit der Berufung nicht an.
23II.Die Berufung ist unbegründet. Die als Eingruppierungsfeststellungsklage (Anträge zu 1 und 2) ohne weiteres zulässige Klage (vgl. etwa BAG 16.05.2018 - 4 AZR 274/16, juris Rn. 10 mwN) hat in der Sache keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Entgelt nach der Entgeltgruppe S15 TVöD W. hat und zwar weder nach dem Anhang zur Anlage C (Zeitraum 01.05.2016 - 31.12.2016) noch nach der Anlage 1 (Entgeltordnung zum TVöD W.) (Zeitraum ab dem 01.01.2017). Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die ihr übertragene Tätigkeit die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der begehrten Entgeltgruppe erfüllt. Demgemäß war auch ihr Antrag auf Feststellung einer Verzinsungspflicht für die Vergütungsdifferenz (Antrag zu 3) zurückzuweisen.
24Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob die Klägerin richtigerweise etwa in die Entgeltgruppe E10 gemäß Teil A I Ziff. 3 der Entgeltordnung zum TVöD W. eingruppiert ist. Deren Tätigkeitsmerkmale stellen zwar ebenfalls auf eine Heraushebung zu mindestens einem Drittel durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung ab. Doch unterscheiden sich die dort in Bezug genommenen Aufbaufallgruppen wesentlich von denen der Entgeltgruppe S15, womit sich ein solches Klageziel als ein anderes (Aliud) darstellte.
251. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nach § 2 des insoweit fortgeltenden Arbeitsvertrages vom 18.03.2016 - entgegen der ursprünglichen Darstellung der Klägerin nicht kraft beiderseitiger Tarifbindung - der TVöD für den Dienstleistungsbereich Verwaltung anzuwenden. Die Parteien haben klargestellt, dass sie damit keine vom TVöD W. unabhängige Vergütungsabrede haben treffen wollen.
262.Damit hängt die Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 TVöD W. davon ab, ob im Anspruchszeitraum mindestens die Hälfte der die Gesamtarbeitszeit der Klägerin ausfüllenden Arbeitsvorgänge der von ihr auszuübenden Tätigkeit die Anforderungen des Tätigkeitsmerkmals der Entgeltgruppe S15 TVöD W. erfüllen.
27Gemäß der Protokollerklärung zu § 12 Abs. 2 TVöD W., die Bestandteil des Tarifvertrags ist, sind Arbeitsvorgänge Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangstätigkeiten), die bezogen auf den Aufgabenkreis der/des Beschäftigten zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen.
28Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die Führung von bestellten Vormundschaften/Pflegschaften kraft richterlicher Anordnung einen einheitlichen Arbeitsvorgang der Klägerin bildet, der einen Anteil an ihrer Gesamtarbeitszeit von 75 % einnimmt. Dem folgt das Berufungsgericht. Ungeachtet dessen könnte offen bleiben, ob auch die weiteren in der Arbeitsplatzbeschreibung der Klägerin genannten Arbeitsvorgänge "Führen von Vormundschaften bei Ruhen der elterlichen Sorge bei rechtlichem Hindernis" (22 % der Gesamtarbeitszeit) sowie "Prüfung von Einzelpersonen zur Ausübung einer Vormundschaft/Pflegschaft" (1 %) sowie "Übergreifende und weitere Aufgaben" (2 %) tatsächlich eigenständige Arbeitsvorgänge im Tarifsinne darstellen. Denn die Klägerin geht ausdrücklich davon aus, dass die letztgenannten Tätigkeiten die tariflichen Anforderungen der Entgeltgruppe S15 nicht erfüllen. Anhaltspunkte, die dem entgegenstehen, sind nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich. Aus diesem Grund kann ohne weiteres auch der für die Klägerin günstigste Fall der Entscheidung zugrunde gelegt werden, dass ihre Gesamttätigkeit einen einzigen einheitlichen Arbeitsvorgang bildet.
293.Die Klägerin ist nicht in die Entgeltgruppe S15 TVöD W. eingruppiert. Es lässt sich nicht feststellen, dass ihre Tätigkeit die Anforderungen eines der dort genannten Tätigkeitsmerkmale erfüllt.
30a.Zutreffend gehen allerdings beide Parteien davon aus, dass die Tätigkeit der Klägerin unter die speziellen Tätigkeitsmerkmale für Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst fällt (Ziffer XXIV Teil B - Besonderer Teil - der Entgeltordnung zum TVöD W.). Diese Tätigkeitsmerkmale wurden unverändert aus dem Anhang zur Anlage C des TVöD W. übernommen. Gemäß Ziffer 1 Satz 1 der Grundsätzlichen Eingruppierungsregelungen (Vorbemerkungen) zur Entgeltordnung des TVöD W. gelten für Beschäftigte, deren Tätigkeit in einem speziellen Tätigkeitsmerkmal aufgeführt ist, die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale (Teil A Abschnitt I) weder in der Entgeltgruppe, in der sie aufgeführt sind, noch in einer höheren Entgeltgruppe. Ein entsprechendes Spezialitätsprinzip regelte in der Zeit bis zum 31.12.2016 die bisherige Bemerkung Nr. 3 der Anlage C zum TVöD W.. Für die Einordnung ist nicht die jeweilige Ausbildung des Beschäftigten entscheidend, sondern dass seine Tätigkeit nach ihrem Schwerpunkt dem Berufsbild einer Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin und nicht dem der allgemeinen Verwaltung entspricht ("Gepräge", vgl. BAG 04.09.1996 - 4 AZR 174/95, Rz. 35).
31Allerdings hat das Bundesarbeitsgericht die Tätigkeit eines Amtspflegers für nicht eheliche Kinder gemäß § 1709 BGB aF schwerpunktmäßig als überwiegend der Verwaltung zuzurechnen angesehen (BAG 04.09.1996 - 4 AZR 174/95, juris; bestätigt durch BAG 01.08.2001 - 4 AZR 298/00, juris). Die Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder wurde nach dieser im Jahre 1998 außer Kraft getretenen Vorschrift selbst bei Volljährigkeit der sorgeberechtigten Mutter kraft Gesetzes begründet und überwiegend "nach Aktenlage" geführt. Demgegenüber hat das Bundesarbeitsgericht für die Tätigkeit einer Sozialarbeiterin in der gerichtlich angeordneten Amtsbetreuung Erwachsener ohne weiteres die Tarifmerkmale für den Sozial- und Erziehungsdienst angezogen (BAG 06.08.1997 - 4 AZR 789/95, juris; ähnlich LAG Saarland 21.08.1996 - 2 Sa 44/96, BeckRS 1996, 30763154 [Amtspfleger]; LAG Niedersachsen, 20.02.1998 - 3 Sa 1950/93 E, juris [bestellter Amtsvormund/Amtspfleger]; LAG Sachsen 08.11.2013 - 3 Sa 113/13, juris [bestellter Amtsvormund/Amtspfleger]).
32Bei der von der Klägerin zu 75 % ihrer Gesamtarbeitszeit ausgeübten Tätigkeit als gerichtlich bestellte Amtsvormundin/Amtspflegerin handelt es sich jedenfalls nach Inkrafttreten der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts im Jahre 2011/2012 um eine Tätigkeit, die dem Berufsbild der Sozialarbeiters/Sozialpädagogen entspricht. Durch das Gesetz zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 29.06.2011 (BGBl 2011 Teil I Nr. 34) wurde in bewusster Abkehr von der über viele Jahrzehnte praktizierten "Schreibtischvormundschaft" die persönlich geführte, nicht (ohne weiteres) übertragbare Vormundschaft als gesetzliches Leitbild verankert. Gemäß § 1800 BGB, § 55 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII hat der Vormund nunmehr "die Pflege und Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten". Das Mündel ist - bei entsprechendem Entwicklungsstand - zur Übertragung der Vormundschaft/Pflegschaft auf eine Fachkraft des Jugendamts anzuhören (§ 55 Abs. 2 SGB VIII). Gemäß § 1793 Abs. 1a BGB hat der Vormund/Pfleger persönlich, idR monatlich, Kontakt mit dem Mündel zu halten. Die Anzahl der Vormundschaften Pflegschaften soll für einen Vollzeitbeschäftigten im Jugendamt höchstens 50 betragen (§ 55 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII). Die Zahl sollte am "sozialpädagogischen Maß ausgerichtet" sein (vgl. BR-Drucks. 537/10, S. 4, 8).
33Mit dieser Gesetzesreform korrespondiert, dass den gerichtlich bestellten Amtsvormundschaften/Pflegschaften idR der vollständige oder teilweise richterliche Entzug des Sorgerechts der Eltern des Mündels gemäß §§ 1666, 1666a BGB vorausgeht. Dies kommt nur als letzte Möglichkeit bei drohender Gefährdung des Kindeswohls in Betracht. In nicht geringem Umfang bestehen bei den betroffenen Mündeln somit zT erhebliche seelische Schädigungen und sonstige Problemlagen, wie zwischen den Parteien unstreitig ist und wie auch aus der vom Kläger in zweiter Instanz vorgelegten Arbeitsanweisung 09 für den "Bereich 51.44 Amtsvormundschaften" der Beklagten hervorgeht (Bl. 462 - 465 GA).
34Dieser Aufgabe einer Amtsvormundschaft/Pflegschaft entspricht das Berufsprofil von Sozialarbeitern/Sozialpädagogen. Dort geht es um Prävention, Bewältigung und Lösung sozialer Probleme. Es sind einzelne Personen, Familien oder bestimmte Personengruppen in Problemsituationen zu beraten und dabei zu unterstützen, konkrete Probleme zu lösen, sowie anzuleiten, Strategien für ein selbstbestimmtes Leben zu entwickeln (vgl. BAG 20.05.2009 - 4 AZR 184/08, juris Rn. 40 f. mwN). Die Hochschulausbildung in der Sozialen Arbeit deckt dabei gerade auch die Schnittstelle zwischen Sozialer Arbeit und Recht ab. So umfasst die Vermittlung der rechtlichen Grundlagen im Studium der Sozialen Arbeit etwa im Bereich des Privatrechts die Gebiete Grundlagen des Vertragsrechts, Schadensersatz, Haftung, Geschäftsfähigkeit, Deliktsfähigkeit, Rechtsfähigkeit, Grundlagen des BGB, Familienrecht, Arbeitsrecht, Mietrecht, Mahnen, Klagen, Vollstrecken (Beispiel aus dem "Modulhandbuch des Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit", Fachhochschule Hannover, Fakultät V - Diakonie, Gesundheit und Soziales, zitiert nach BAG 20.05.2009 - 4 AZR 184/08, juris Rn. 41 mwN).
35b. Die danach einschlägigen Tätigkeitsmerkmale für den Sozial- und Erziehungsdienst lauten - für den gesamten Streitzeitraum einheitlich - wie folgt:
36"S11b
37Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung… und entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben.
38(hierzu Protokollerklärungen Nr. 1 und 15)
39S12
40Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung … mit jeweils entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, mit schwierigen Tätigkeiten.
41(hierzu Protokollerklärungen Nr. 1, 12 und 15)
42…
43S15
44…
456. Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung … mit jeweils entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, deren Tätigkeit sich mindestens zu einem 1/3 durch ihre Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe S12 heraushebt.
46(hierzu Protokollerklärungen Nr. 1 und 15)
47…
48S17
496. Sozialarbeiterinnen/Sozialarbeiter und Sozialpädagoginnen/Sozialpädagogen mit staatlicher Anerkennung… mit jeweils entsprechender Tätigkeit sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben, deren Tätigkeit sich durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung aus der Entgeltgruppe S12 heraushebt.
50(hierzu Protokollerklärungen Nr. 1 und 15)"
51Die Protokollerklärung Nr. 12 lautet:
52"Schwierige Tätigkeiten sind z.B. die
53a)Beratung von Suchtmittel-Abhängigen,
54b)Beratung von HIV-Infizierten oder an AIDS erkrankten Personen,
55c)begleitende Fürsorge für Heimbewohnerinnen/Heimbewohner und nachgehende Fürsorge für ehemalige Heimbewohnerinnen/Heimbewohner,
56d)begleitende Fürsorge für Strafgefangene und nachgehende Fürsorge für ehemalige Strafgefangene
57e)Koordinierung der Arbeiten mehrerer Beschäftigter mindestens der Entgeltgruppe S9"
58c.Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen für die von ihr in Anspruch genommene tarifliche Vergütung der Entgeltgruppe S15 TVöD.
59aa. Die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe S15 bauen auf der Entgeltgruppe S12 auf, die ihrerseits die Erfüllung der Anforderungen der Entgeltgruppe S11b erfordert. Die damit notwendige Feststellung, dass auch die Voraussetzungen der Ausgangsfallgruppen vorliegen, kann sich auf eine pauschale Prüfung beschränken, wenn die Tätigkeit der Arbeitnehmerin zwischen den Parteien unstreitig ist und der B. selbst die Tätigkeitsmerkmale als erfüllt erachtet (std. Rspr., vgl. etwa BAG 20.05.2009 - 4 AZR 174/08, juris, Rn. 23 mwN).
60bb.Die Tätigkeit der Klägerin erfüllt die Tatbestandsmerkmale der Vergütungsgruppe S11b. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin die Tätigkeit als Amtsvormundin/Amtspflegerin mit einem Anteil von 75 % ihrer Gesamtarbeitszeit ausübt. Beide Parteien gehen ferner davon aus, dass die Klägerin als ausgebildete Sozialarbeiterin BA ungeachtet der Frage der staatlichen Anerkennung ihrer Ausbildung jedenfalls als "sonstige Beschäftigte" aufgrund gleichwertiger Tätigkeiten und Erfahrungen eine der Sozialarbeit/Sozialpädagogik entsprechende Tätigkeit ausübt. Dies trifft zu, wobei an dieser Stelle auf die Ausführungen oben unter lit. a. Bezug genommen wird.
61cc.Die der Klägerin übertragene Arbeit erfüllt auch das Heraushebungsmerkmal "mit schwierigen Tätigkeiten" der Entgeltgruppe S12. Auch hiervon gehen die Parteien übereinstimmend aus, so dass sich die Kammer auf eine pauschale Prüfung beschränken kann.
62(1) Das Merkmal der schwierigen Tätigkeit im Sinne der Entgeltgruppe S12 haben die Tarifvertragsparteien in der Protokollerklärung Nr. 12 durch konkrete Beispiele erläutert. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist dann, wenn eines dieser Tätigkeitsbeispiele zutrifft, auch das Merkmal des Oberbegriffs erfüllt. Wird kein Tätigkeitsbeispiel erfüllt, ist auf den allgemeinen Begriff zurückzugreifen, wobei aber dann dessen Bestimmung von den Maßstäben der Beispiele aus zu erfolgen hat; die Tarifvertragsparteien haben mit den Beispielen Maß und Richtung für die Auslegung des allgemeinen Begriffs vorgegeben (BAG 20.05.2009 - 4 AZR 184/08, juris, Rn. 26 mwN).
63(2)Die von der Klägerin wahrgenommenen Tätigkeiten entsprechen in ihrer Wertigkeit den von den Tarifvertragsparteien in der Protokollerklärung Nr. 12 aufgeführten Beispielen "für schwierige Tätigkeiten" im Tarifsinne. Denn ähnlich wie bei den in der Protokollnotiz genannten Personengruppen ist auch bei der Tätigkeit der Klägerin als gerichtlich bestellte Amtsvormundin/Amtspflegerin nach teilweisem oder vollständigem Entzug des Sorgerechts der Eltern bei dem auf der einen Seite besonders schutzbedürftigen Mündel unbestritten auf der anderen Seite typischerweise mit vielgestaltigen, möglicherweise irreversiblen seelischen und sozialen Problemen zu rechnen.
64dd. Dem Sachvortrag der Klägerin lässt sich indessen, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht entnehmen, dass ihre Tätigkeit auch die Voraussetzungen der Entgeltgruppe S15 erfüllt. Dem Vorbringen der hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin kann nicht entnommen werden, dass sich ihre Tätigkeit aus der Entgeltgruppe S12 kumulativ durch besondere Schwierigkeit und durch Bedeutung im Sinne der Entgeltgruppe S15 heraushebt.
65(1)Eine Heraushebung durch besondere Schwierigkeit erscheint zumindest zweifelhaft.
66(a)Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezieht sich das Tatbestandmerkmal der "besonderen Schwierigkeit" auf die fachliche Qualifikation des Angestellten und verlangt ein Wissen und Können, dass die Anforderungen der Entgeltgruppe S12 in beträchtlicher und gewichtiger Weise übersteigt.
67Die erhöhte Qualifikation kann sich im Einzelfall aus der Breite und Tiefe des geforderten fachlichen Wissens und Könnens ergeben, aber auch aus außergewöhnlichen Erfahrungen und einer sonstigen gleichwertigen Qualifikation, etwa Spezialkenntnissen. Dabei muss sich die Schwierigkeit unmittelbar aus der Tätigkeit selbst ergeben, so dass diese nicht etwa deswegen als besonders schwierig im Tarifsinne angesehen werden kann, weil sie unter belastenden Bedingungen geleistet werden muss (vgl. etwa BAG 20.03.1996 - 4 AZR 1052/94, juris mwN; BAG 05.11.1997 - 4 AZR 185/96, juris mwN; BAG 20.05.2009 - 4 AZR 184/08, juris mwN). Zur Auslegung des Merkmals ist des Weiteren die Protokollerklärung Nr. 12 heranzuziehen. Darin haben die Tarifvertragsparteien Tätigkeiten aufgeführt, die nach ihrem Willen grundsätzlich als "lediglich" schwierige Tätigkeiten anzusehen sind und daher der Vergütungsgruppe S12 zugeordnet werden. Sofern eine Tätigkeit den dort festgelegten Wertigkeitsrahmen nicht übersteigt, handelt es sich um eine schwierige, nicht jedoch um eine besonders schwierige Tätigkeit. Besonders schwierig ist eine Tätigkeit erst dann, wenn sie ein umfangreicheres oder tiefergehendes Wissen oder Können verlangt, als die in der Protokollerklärung genannten Beispiele. Der Unterschied in den fachlichen Anforderungen muss beträchtlich, d. h. nicht nur geringfügig sein (BAG, aaO).
68(b) Es erscheint zweifelhaft, ob sich dies aus dem Vorbringen der Klägerin entnehmen lässt. Zutreffend ist, dass gerichtlich bestellte Amtsvormundschaften die Vertretung des Mündels in allen Bereichen der elterlichen Sorge umfasst. Dabei ist der Vormund allein dem Wohle des Kindes verpflichtet. Etwaige Freiräume, wie sie gemäß Artikel 6 Abs. 2 Satz 1 GG aus dem Elternrecht folgen, kommen dem Amtsvormund nicht zugute. Für seine Tätigkeit muss er daher die Lebenssituation, Interessen und Bedürfnisse des Mündels kennen und hat dessen Pflege und Erziehung - etwa durch Pflegeeltern, Pflegeheim oder in anderer Form - persönlich zu gewährleisten. Seine Tätigkeit ist grundsätzlich nicht übertragbar. Für die ebenfalls von der Klägerin geführten Amtspflegschaften gilt dies bezogen auf den jeweiligen Bereich der Pflegschaft entsprechend.
69Dabei erschweren die häufig negativen Vorprägungen des Mündels, etwa durch Traumata, die Aufgaben des Amtsvormundes/Amtspflegers, wie oben ausgeführt, erheblich. Diese umfassen idR sowohl Personensorge als auch Vermögenssorge. Dazu gehören u.a. Fragen der Aufenthaltsbestimmung, der Gesundheitsvorsorge und -fürsorge, der schulischen Angelegenheiten und der Bestimmung des Umgangs, aber auch vielfältige spezielle, auch ausländerrechtliche Fragen etwa in Bezug auf unbegleitete Minderjährige. Dies erfordert neben beachtlich umfangreichen Rechtskenntnissen, wie sie sich insbesondere aus der Arbeitsplatzbeschreibung ergeben (wenn auch dort mit "tiefgehende und umfassende Rechtskenntnisse" sicherlich überzeichnet), Kenntnisse im Bereich der Pädagogik und Psychologie und Soziologie, insbesondere auch im Hinblick auf die persönliche Amtsführung und den gesetzlich vorgesehenen monatlichen Kontakt.
70Dabei sind sämtliche Entscheidungen und Handlungen des Amtsvormundes/Amtspflegers, soweit sie sich im Rahmen des Kindeswohls halten und es um die Frage der Zweckmäßigkeit geht, weisungsfrei in eigener Verantwortung nach Maßgabe des Kindeswohls zutreffen und bedürfen in weitem Umfang nicht der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung. Doch besteht darüber hinaus durchaus eine Weisungsbefugnis des Jugendamts (BAG 10.04.1991 - 5 AZR 128/90, juris), zumal dieses gemäß § 55 Abs. 1 SGB VIII selbst Vormund und Pfleger ist und nicht der von ihm bestimmte Mitarbeiter, dem nur die Ausübung dieser Aufgabe gemäß § 55 Abs. 2 SGB VIII übertragen ist. Dieser Weisungsbefugnis bedarf es schon mit Blick auf die Haftung der Gemeinde oder des Landkreises aus § 839 BGB für etwaige Fehlleistungen seiner Mitarbeiter. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass der Amtsvormund/Pfleger gegenüber dem Familiengericht berichtspflichtig ist und seiner Aufsicht untersteht.
71Es erscheint mit dem Arbeitsgericht auch der Berufungskammer zumindest zweifelhaft, dass sich den Ausführungen der Klägerin damit eine "beträchtliche, gewichtige Heraushebung" bei den fachlichen Anforderungen gegenüber den schwierigen Tätigkeiten der Entgeltgruppe S12 entnehmen lässt. Denn das Berufsbild im Bereich der sozialen Arbeit bewegt sich, wie oben ausgeführt, an einer Schnittstelle zwischen sozialer Arbeit und Recht. Hierzu gehören neben pädagogischen, psychologischen und soziologischen Aspekten auch wirtschaftliche Aspekte einschließlich der einschlägigen Rechtsgrundlagen und Vorschriften, insbesondere umfasst die Hochschulausbildung der sozialen Arbeit wie ausgeführt auch die Vermittlung rechtlicher Grundlagen im Bereich des Privatrechts. Was die Tiefe der Fachkenntnisse angeht, kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass dem professionellen Amtsvormund ein städtisches Beratungsnetzwerk zur Verfügung steht, auf das er jederzeit zugreifen kann. Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit als Amtsvormund/Amtspfleger etwa eine traumatologische Zusatzausbildung erforderte, wie sie die Klägerin auf eigene Kosten durchgeführt hat, sind nicht dargetan oder sonst ersichtlich. Dies erscheint auch in Anbetracht der Anzahl an Vormundschaften und Pflegschaften, die die Klägerin gleichzeitig führt, nicht angemessen, da sie dem einzelnen Fall weder diagnostisch noch therapeutisch gerecht werden könnte und insoweit auf externes Fachwissen, insbesondere ärztlichen Rat, angewiesen ist. Etwas anderes geht auch nicht aus der Schilderung von Einzelfällen in der Berufungsbegründung hervor. Darauf, ob die Beklagte diese mit Nichtwissen bestreiten konnte, weil die Klägerin die Einzelfälle nur pauschal und ohne volle Namensnennung angeführt hat, kommt es daher nicht an. Im Bereich der Kindeswohlgefährdung kommt dem Amtsvormund zudem eine im Wesentlichen präventive Aufgabe zu, während die Gefahrenabwehr und -einschätzung bei Eintritt der Gefährdung mit ihrer typischerweise hochemotionalen Konfliktsituation nach der Arbeitsorganisation im Jugendamt der beklagten Stadt dem ASD vorbehalten bleibt (vgl. Arbeitsanweisung für den "Bereich 51.44 Amtsvormundschaften").
72Unter Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte schlägt schließlich auch nicht mehr entscheidend zu Buche, dass die Beklagte noch bis vor kurzem anders als für andere von ihr in die Entgeltgruppe S 12 TVöD W. eingruppierte Tätigkeiten für die Tätigkeit des Amtsvormundes/Amtspflegers eine mindestens zweijährige Berufserfahrung auf dem Gebiet des SGB VIII als Voraussetzung verlangt hat (Bl. 453).
73(2) Die Frage kann aber letztlich offen bleiben. Denn jedenfalls hebt sich die Tätigkeit der Klägerin als Amtsvormundin nicht durch ihre Bedeutung aus einer Tätigkeit der Entgeltgruppe S12 TVöD W. heraus.
74(a) Das Merkmal der Heraushebung einer Tätigkeit nach der Entgeltgruppe S15 durch ihre "Bedeutung" verlangt eine insoweit deutlich wahrnehmbare Heraushebung gegenüber der Tätigkeit nach der Entgeltgruppe S12. Die Bedeutung muss sich auf die Auswirkung der Tätigkeit beziehen und kann sich aus der Art oder der Größe des Aufgabengebiets sowie aus der Tragweite für den innerdienstlichen Bereich und für die Allgemeinheit ergeben. Die Heraushebung durch die Bedeutung bildet ein selbstständig neben der Heraushebung durch besondere Schwierigkeit stehendes Merkmal, das kumulativ zur Begründung eines Rechtsanspruchs auf Zahlung nach der Entgeltgruppe S15 erfüllt sein muss (std. Rspr., vgl. etwa BAG 20.05.2009 - 4 AZR 184/08, juris, Rz. 44 mwN).
75(b)Diese Voraussetzung erfüllt die Tätigkeit des Amtsvormundes/Amtspflegers nicht. Die Bedeutung einer Amtsvormundschaft, also der Übernahme der elterlichen Sorge für das Mündel, sowie einer Amtspflegschaft mag für das einzelne Mündel erheblich sein, zumal es sich um eine höchstpersönliche und grundsätzlich nicht übertragbare Funktion handelt. Dabei sind die wesentlichen Grundentscheidungen im Bereich der elterlichen Sorge bzw. im Pflegschaftsbereich zu treffen. Sie mögen gewissermaßen "Weichenstellungen" für den weiteren Lebensweg des Mündels enthalten, doch werden ihre Auswirkung und Bedeutung relativiert durch die hohe Anzahl von Vormundschaften/Pflegschaften, die eine Vollzeitkraft gleichzeitig führen kann. Diese soll gemäß § 55 Abs. 2 Satz 4 SGB VIII 50 nicht übersteigen. Die für das einzelne Mündel monatlich aufgewandte Zeit zur Förderung von Pflege und Erziehung kann dabei nur etwa eine halbe Stunde betragen (vgl. anschaulich Sündenhauf, Das Jugendamt 2011, 293, 296 f). Die tägliche Erziehung und Betreuung sowie Beschulung, die für das Mündel nicht minder von Bedeutung sind, obliegt dem Amtsvormund/Amtspfleger nicht, sondern etwa der Pflegefamilie oder sonstigen Pflegeeinrichtung oder der Schule. Dem Vorbringen der Klägerin lässt sich schon deshalb nicht entnehmen, dass sich aus Art und Größe ihres Aufgabengebietes eine deutlich wahrnehmbare Heraushebung hinsichtlich der Auswirkungen ihrer Tätigkeit im jeweiligen Einzelfall im Vergleich zu einer Tätigkeit nach der Entgeltgruppe S12 ergibt. Sie ist nicht anders zu beurteilen als eine Tätigkeit, die in der Protokollerklärung Nr. 12 beispielhaft genannt ist. Auch ein Sozialarbeiter/Sozialpädagoge mit schwierigen Tätigkeiten nach der Entgeltgruppe S12 hat eine Vielzahl von Fällen parallel zu bearbeiten. In beiden Fällen könnte sich bei einer Fehlleistung gravierende Folgen für die Betroffenen sowie Haftungsfragen ergeben. Die Bedeutung für die konkrete Lebensführung des Mündels alleine genügt für das Heraushebungsmerkmal somit nicht (ebenso LAG Niedersachsen 20.02.1998 - 3 Sa 1950/93 E, juris, Rn. 65; LAG Baden-Württemberg, 03.11.2014 - 1 Sa 9/14, juris, Rn. 72 f. für die Eingruppierung einer Sozialarbeiterin).
76Soweit Amtsvormund und Amtspfleger für das Mündel Entscheidungen treffen und Maßnahmen durchführen, haben diese im Übrigen weder Auswirkungen auf den innerdienstlichen Bereich noch unmittelbar auf die Allgemeinheit. Sie betreffen allein die Mündel, die leiblichen Eltern, gegebenenfalls Scheinväter, potentielle Adoptiveltern etc. Auf die Allgemeinheit haben sie lediglich mittelbare, im Einzelfall sehr unterschiedliche Auswirkungen in finanzieller Hinsicht. Werden zahlungskräftige Unterhaltsberechtigte nicht gefunden, fallen die Kosten der Lebensführung der Allgemeinheit zur Last. Das Gleiche gilt, wenn etwa bei gescheitertem Lebensweg Sozialleistungen in Anspruch genommen werden müssen. Insoweit hebt sich die Tätigkeit wegen ihrer finanziellen Auswirkungen und wegen ihrer Auswirkungen auf das einzelne Mündel nicht durch ihre Bedeutung aus der Entgeltgruppe S12 heraus (so ausdrücklich zum Fall des Amtspflegers für nichteheliche Kinder BAG 20.09.1996 - 4 AZR 174/95, juris, Rn. 65 f.). Die Klägerin hat trotz eines Hinweises des Berufungsgerichts ihre gegenteilige Auffassung nicht näher durch Sachvortrag untermauert.
774. Nach alledem waren die Eingruppierungsfeststellungsanträge der Klägerin zurückzuweisen. Aus demselben Grund war auch ihr Antrag auf Feststellung einer Verzinsungspflicht der Beklagten für eine etwaige Vergütungsdifferenz nicht begründet.
78III.Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.
79R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
80Gegen dieses Urteil kann von Klägerin
81REVISION
82eingelegt werden.
83Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich oder in elektronischer Form beim
84Bundesarbeitsgericht
85Hugo-Preuß-Platz 1
8699084 Erfurt
87Fax: 0361 2636-2000
88eingelegt werden.
89Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
90Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
911.Rechtsanwälte,
922.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
933.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
94In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
95Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
96Die elektronische Form wird durch ein elektronisches Dokument gewahrt. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 46c ArbGG nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) v. 24. November 2017 in der jeweils geltenden Fassung eingereicht werden. Nähere Hinweise zum elektronischen Rechtsverkehr finden Sie auf der Internetseite des Bundesarbeitsgerichts www.bundesarbeitsgericht.de.
97* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
98QueckePutzierRösch
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