Beschluss vom Landesarbeitsgericht Hamm - 5 Ta 223/22
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 20.06.2022 gegen den Prozesskostenhilfebeschluss des Arbeitsgerichts Herne vom 16.06.2022 - 4 Ca 897/22 - wird der Beschluss abgeändert.
Der Klägerin wird für das Verfahren Prozesskostenhilfe in vollem Umfang mit Wirkung zum 02.06.2022 unter Beiordnung von Rechtsanwalt A. aus B bewilligt.
Die Bewilligung erfolgt mit der Maßgabe, dass die Klägerin monatliche Raten aus ihrem Einkommen in Höhe von 143,00 € zu zahlen hat.
Der Ratenbeginn wird durch das Arbeitsgericht festgesetzt.
Kosten werden für die Entscheidung nicht erhoben.
1
Gründe
2I. Die Klägerin hatte unter dem 24.05.2022 eine Zahlungsklage auf Zahlung des April-Gehaltes erhoben und hierfür die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Das Verfahren endete am 14.06.2022 durch ein Versäumnisurteil.
3Anhand der vorgelegten Unterlagen ergab sich ein einzusetzendes Einkommen von 573,56€, woraus sich eine monatliche Rate von 286,00 € ergab bei zu erwartenden Prozesskosten von 715,19 €, so dass sich nicht mehr als vier Raten ergeben hätten, um die Prozesskosten zu tilgen.
4Mit Beschluss vom 16.06.2022 wurde daher die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt entsprechend § 115 Abs. 4 ZPO. Gegen diesen Beschluss wandte sich die Klägerin mit der am 20.06.2022 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Hier verwies sie auf ein Parallelverfahren bei derselben Kammer des erkennenden Arbeitsgerichts, aufgrund dessen bereits eine Ratenzahlung in Höhe von 286,00 € mit Beschluss vom 13.06.2022 im dortigen Prozesskostenhilfeverfahren angeordnet worden war und vertrat die Auffassung, diese Rate sei bei den Belastungen zu berücksichtigen, zumal der vorliegende Beschluss nach dem im Parallelverfahren ergangen sei.
5Das dortige Verfahren war am 31.03.2022 eingeleitet worden. Es beinhaltete die Erhebung einer Kündigungsschutzklage sowie die Vergütungsansprüche für den Monat März 2022. Das Verfahren endete am 26.04.2022 mit einem Vergleich, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2022 sowie die Zahlung der Vergütung für März 2022 vorsah.
6Die Vergütungsansprüche der Klägerin wurden laut Arbeitsvertrag jeweils zum 10. des Folgemonates fällig.
7Mit Beschluss vom 08.07.2022 erging eine Nichtabhilfe-Entscheidung mit der Begründung, dass die im Parallelverfahren ermittelten Raten tatsächlich noch nicht gezahlt würden.
8II. Die sofortige Beschwerde ist nach den §§ 46 Abs. 2 Satz 3, 78 Satz 1 ArbGG, 127 Abs. 2 Satz 2 und 3, 567 ff ZPO zulässig. Die einmonatige Notfrist gem. § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist gewahrt.
91. Die sofortige Beschwerde ist auch in der Sache begründet.
10a) Das Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG gebietet in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG nicht, dass diejenigen, die über keine materiellen Mittel verfügen, um Prozesskosten zu tragen, mit denjenigen, denen solche Mittel zur Verfügung stehen, völlig gleichgestellt werden, sondern verlangt eine weitgehende Angleichung mit denen, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägen und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigen. Es ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die entsprechende Prüfung darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Entscheidung über die Prozesskostenhilfe zu verlagern.
11Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen. Das gilt für die Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ebenso wie für die Feststellung der Bedürftigkeit derjenigen, die Prozesskostenhilfe beantragen, was in § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO als weitere Voraussetzung für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genannt ist (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Februar 2020, 1 BvR 1975/18, Rn. 14, juris unter Verweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 13. Dezember 2007, 1 BvR 2007/07, juris, Rn. 19; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. März 2014, 1 BvR 1671/13, Rn. 15).
12Daher hat auch die Überprüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse mit dem gebotenen Augenmaß zu erfolgen.
13b) Insofern hat das Arbeitsgericht zunächst zu Recht darauf abgestellt, dass grundsätzlich nur solche Belastungen einer Partei zu berücksichtigen sind, die nicht nur numerisch als Verbindlichkeiten vorhanden sind, sondern von dieser auch bedient werden. Schulden, die entweder gestundet sind oder von der Partei schlicht ignoriert werden, können den Lebensunterhalt nicht beeinträchtigten, wenn das zur Verfügung stehende Einkommen nicht durch die Erbringung aktuell zu leistender Abzahlungen minimiert wird (allg. Rechtsprechung auch der Beschwerdekammern des LAG Hamm, siehe nur aus neuerer Zeit LAG Hamm, Beschluss vom 23. März 2018, 5 Ta 135/17, juris; Beschluss vom 6. August 2015, 5 Ta 415/15, juris jeweils m.w.N.).
14Nach Auffassung der Kammer darf ein solcher Grundsatz aber nicht schematisch angewandt werden. Vorliegend ist der Sachverhalt dadurch geprägt, dass die Klägerin aufgrund des Verhaltens der Arbeitgeberin gezwungen war, mehrere Verfahren nacheinander gegen diese zu führen, um berechtigte Entgeltansprüche durchzusetzen. Die daraus resultierenden Kosten können von ihr derzeit noch gar nicht getilgt werden, da Verfahrenskosten im arbeitsgerichtlichen Verfahren erst nach einer Kostenentscheidung bzw. dem Ende des Verfahrens fällig werden gem. §§ 6 Abs. 3, 9 GKG. Die Fälligkeit der Kosten des Parallelverfahrens bestand daher zwar zum Zeitpunkt der Entscheidung im hiesigen Verfahren, konnten aber mangels Zustellung eines Zahlungsplanes noch nicht getilgt werden.
15c) Voraussetzung für die Entstehung einer Zahlungspflicht im Rahmen der Prozesskostenhilfe ist neben der Ratenzahlungsanordnung als solcher, dass der Zahlungsbeginn festgesetzt und ein Zahlungsplan übersandt wurde. Die Partei hat die dann fällig werdenden Monatsraten auch grundsätzlich zu leisten. Tut sie dies in der Hoffnung auf ein erfolgreiches Beschwerdeverfahren nicht, läuft sie Gefahr, dass die bewilligte Prozesskostenhilfe wegen eines mehr als dreimonatigen Zahlungsrückstandes gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO aufgehoben wird (LAG Hamm, Beschluss vom 12. Februar 2019, 14 Ta 358/18, Rn. 13, juris).
16Dies ändert aber nichts daran, dass ab der Zustellung des Zahlungsplanes fällige Forderungen vorliegen. Die Fälligkeit war vorliegend im Parallelprozess auf den 01.08.2022. festgesetzt worden. Zu dem Zeitpunkt, zu dem ein weiterer Zahlungsplan im vorliegenden Prozess zugestellt würde, wären somit zwei fällige Forderungen gegeben, die gleichzeitig getilgt werden müssten. Dasselbe gälte übrigens auch bei einer Ablehnung der Prozesskostenhilfe für dann gegenüber dem Prozessbevollmächtigten direkt zu tilgender Teil- oder Gesamtbeträge.
17Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht gewillt wäre, die angeordneten Raten zu zahlen, sind nicht ersichtlich. Eine Beschwerde bezüglich der im Parallelverfahren festgesetzten Raten wurde nicht erhoben (zu einem vergleichbaren Fall, bei dem die Partei Beschwerde eingelegt hatte, weshalb die Raten zunächst nicht berücksichtigt wurden OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. Februar 2020 , 10 PA 166/19, juris).
18Zu beachten ist hierbei auch die Vorschrift des § 120 Abs. 1 S. 2 ZPO, der zwar ausdrücklich nur die Festsetzung von Raten im Hinblick auf absehbar entfallende Belastungen regelt. Allerdings kann diese Bestimmung nach Auffassungen in der Literatur auch dann angewandt werden, wenn es sich um absehbare tatsächliche Belastungen handelt, etwa die höhere Miete für einen bei Bewilligung der Prozesskostenhilfe bereits abgeschlossenen Mietvertrag (siehe hierzu Schultzky-Zöller, 33. Aufl., 2020, § 120 Rz. 6; Musielak/Voit/Fischer, 19. Aufl. 2022, ZPO § 120 Rn. 6 m.w.N.).
19Dieser Auffassung schließt sich die Beschwerdekammer jedenfalls für Fälle dieser eindeutigen Art an, in denen das Bestehen der Verbindlichkeit unbestritten ist und im Fall der Prozesskostenhilfe auch in jedem Fall der Nichtzahlung eine Beitreibung erfolgen würde, anderenfalls die Prozesskostenhilfe wegen Ratenrückstands gem. § 124 Abs. 1 Ziff. 5 ZPO aufgehoben würde.
20Der Missbrauch einer derartigen Handhabung lässt sich in der Weise ausschließen, dass die Anrechenbarkeit (Erforderlichkeit, zu erwartende tatsächliche Tilgung) der begründeten Verpflichtung besonders genau geprüft wird, um zu vermeiden, dass eine Partei bewusst Verpflichtungen erzeugt, die ihre Leistungsfähigkeit einschränken.
21d) Somit scheint es nach Ansicht der Beschwerdekammer angezeigt, die bereits feststehenden Raten im Parallelverfahren im konkreten Einzelfall bereits zu berücksichtigen. Anderenfalls würde eine Partei, die jeweils aufgrund Nichtleistung ihrer berechtigten Ansprüche gezwungen ist, Klage zu erheben, ohne dass sie aufgrund der Fälligkeitszeitpunkte in der Lage ist, eine bereits anhängige Klage zur Kostenminimierung zu erweitern, gehindert, Folgeansprüche geltend zu machen, da sie es sich schlicht nicht mehr leisten könnte. Jedenfalls wäre diese Möglichkeit von dem von ihr nicht zu beeinflussenden Zeitablauf der Bearbeitung des Prozesskostenhilfeverfahrens durch das Gericht abhängig.
22Eben diese Situation hat sich vorliegend auch verwirklicht. Zum Zeitpunkt des Vergleiches im Parallelverfahren war das hier eingeklagte Entgelt für den April 2022 noch nicht fällig, so dass, nachdem das Entgelt für den April 2022 ausgeblieben ist, nach dessen Fälligkeit Klage zu erheben war.
232) Nach der von dem Arbeitsgericht vorgenommenen Berechnung, die nicht angegriffen wurde und nach Ansicht der Kammer korrekt erfolgt ist, ergibt sich ein anrechenbares Einkommen von 573,56 €. Zieht man hiervon die Raten im Parallelverfahren 4 Ca 587/22 in Höhe von 286,00 € ab, ergibt sich ein verbleibendes Einkommen von 287,56 € und damit gem. § 115 Abs. 2 S. 1 ZPO eine Rate in Höhe von 143,78 €, abzurunden auf 143,00 € x vier Raten ergeben 572,00 € und damit mehr als vier Raten zur Tilgung der Verfahrenskosten von 715,19 €.
24Rechtsmittelbelehrung
25Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, denn ein Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 574 Abs. 2 und 3 ZPO) besteht nicht.
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