Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamburg (5. Kammer) - 5 Sa 88/17

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Juni 2017 – 22 Ca 29/17 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Jahresleistung bzw. Sonderzahlung für das Jahr 2016.

2

Der am ... 1974 geborene, verheiratete und gegenüber einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist seit dem 01. März 1999 zunächst bei einer Rechtsvorgängerin der Beklagten und später bei der Beklagten als Servicetechniker zu einer monatlichen Vergütung in Höhe von 2.689,00 € brutto beschäftigt. Der Anstellungsvertrag zwischen der Rechtsvorgängerin der Beklagten und dem Kläger vom 29. Januar 1999 (Anlage K 1 – Bl. 9 d.A.) regelt:

3

„4. Tarifverträge

4

Für das Arbeitsverhältnis gelten

5

a) die Tarifverträge für den Groß- und Außenhandel Niedersachsen.

6

b) die zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen.

7

5. Jahresleistung/Sonderzahlung

8

[1] Die Gewährung einer Jahresleistung/Sonderzahlung erfolgt auf der Basis eines Tarifgehaltes (z.Zt. DM 3.486,-- brutto). In 1999 beträgt der Anspruch anteilig = 10/12.

9

[2] Als Auszahlungszeitpunkt gilt nach dem Tarifvertrag der November des Jahres.

10

[3] Der tarifliche Anspruch in Höhe von z.Z. DM 500,-- wird auf Basis des jeweils gültigen Tarifvertrages gewährt.

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[4] Der Anspruch auf eine freiwillige Sonderzahlung besteht nach einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten.

12

[5] Es besteht kein Anspruch auf die freiwillige Sonderzahlung, wenn das Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 01.11. bis 31.03. des Folgejahres beendet wird oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber fristlos erfolgt.

13

[6] Bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses nach Auszahlung der Jahresleistung besteht eine Rückzahlungsverpflichtung, d.h. der Arbeitgeber ist berechtigt, Rückzahlungsansprüche mit der Gehaltsabrechnung zu verrechnen.“

14

Der Manteltarifvertrag für den Groß- und Außenhandel Niedersachsen (Anlage B 1 – Bl. 46 d.A.) regelt:

15

㤠12
Sonderzahlungen

16

1. Arbeitnehmer und Auszubildende erhalten eine Sonderzahlung entsprechend den folgenden Bestimmungen:

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2. Der Anspruch entsteht nach einer 6monatigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit. Die Sonderzahlung wird fällig jeweils mit dem Novembergehalt des Jahres nach Entstehung des Anspruchs, sofern durch Einzelvereinbarung oder Betriebsvereinbarung keine abweichende Regelung getroffen worden ist.
...

18

4. Die Sonderzahlung beträgt:

1997-1999

2000   

für Arbeitnehmer

500,– 

525,– 

für Auszubildende

...     

        

19

...
6.1 [1]Sonderleistungen des Arbeitgebers, wie Jahresabschlußvergütungen, Weihnachtsgeld, Gratifikationen, Jahresergebnisbeteiligungen, Jahresprämien und ähnliches gelten als Sonderzahlungen im Sinne dieses Tarifvertrags und erfüllen den tariflichen Anspruch, soweit sie die Höhe der tariflich zu erbringenden Leistung erreichen.

20

[2]Dies gilt auch, wenn die betrieblichen Sonderzahlungen aufgrund von Betriebsvereinbarungen, betrieblicher Übung oder Einzelarbeitsvertrag für einen vor Inkrafttreten dieser Vereinbarung liegenden Zeitraum entstanden sind, aber erst nach Inkrafttreten dieses Tarifvertrags zur Auszahlung gelangen.

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[3]Als Sonderzahlung im Sinne dieser Vereinbarung gelten nicht solche Leistungen, deren Höhe durch die individuelle Leistung bestimmt ist, sowie das tarifliche Urlaubsgeld.

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6.2 Weihnachtsgratifikationen, soweit sie tarifliche Sonderzahlung übersteigen, können für den übersteigenden Betrag mit einer Rückzahlungsverpflichtung versehen werden.“

23

Am 15. November 2016 teilte die Geschäftsführung der Beklagten den Mitarbeitern in einer Videobotschaft mit, dass für das Jahr 2016 aufgrund der wirtschaftlichen Lage der Beklagten lediglich das tarifliche Weihnachtsgeld, nicht jedoch die übertarifliche Sonderzulage gezahlt werde.

24

Für das Jahr 2016 zahlte die Beklagte an den Kläger mit dem Novembergehalt lediglich ein „Weihnachtsgeld (JEE)“ in Höhe von (525,00 DM x 1 € / 1,95583 DM =) 268,43 € brutto. Das monatliche „Tarifgehalt (JLL)“ des Klägers im November 2016 belief sich auf 2.689,00 € brutto (Verdienstabrechnung November 2016, Anlage K2 – Bl. 13 d.A.).

25

Mit Schreiben vom 30. November 2016 (Anlage K 4 – Bl. 17 d.A.), bei der Beklagten am selben Tage eingegangen, machte der Kläger gegenüber der Beklagten für das Jahr 2016 die Differenz zwischen einem Monatsgehalt und der tariflichen Sonderzahlung beziffert geltend.

26

Der Lohntarif für den Groß- und Außenhandel in Niedersachsen vom 15. Juli 2015 regelt, dass alle gewerblichen Arbeitnehmer/-innen nach zweijähriger Betriebszugehörigkeit eine Zulage von 4,09 € pro Woche erhalten (§ 6 Nr. 1 LohnTV). Nach einer Betriebsvereinbarung vom 30. Oktober 1998 (Anlage B 2 – Bl. 47 d.A.) ist diese Zulage abgegolten durch die Sonderzahlung in Höhe eines monatlichen Tarifgehalts, das die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Mitarbeitern anstatt der – geringeren – Sonderzahlung laut Tarifvertrag zahlt. Die Beklagte zahlte diese Zulage an den Kläger rückwirkend für das Jahr 2016 in Höhe von 212,68 € brutto.

27

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte müsse ihm auch für das Jahr 2016 eine Sonderzahlung in Höhe eines vollen Tarifgehalts zahlen.

28

Mit der am 24. Januar 2017 beim Arbeitsgericht Hamburg per Fax vorab eingegangenen Klage hat der Kläger beantragt:

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Die Beklagte wird verurteilt, 2.207,89 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01. Dezember 2016 an den Kläger zu zahlen.

30

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

32

Die Beklagte hat entgegnet, die Sonderzahlung im November 2016 in Höhe von 268,43 € brutto sei zu Recht erfolgt. Der Kläger habe keinen darüber hinausgehenden Anspruch.

33

Das Arbeitsgericht Hamburg hat durch Urteil vom 14. Juni 2017 – 22 Ca 29/17 – (Bl. 63 d.A.) der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 2.207,89 € brutto nebst Zinsen (§§ 615, 296 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag). In Ziff. 5 Abs. 1 Arbeitsvertrag sei eine „Jahresleistung/Sonderzahlung“ „auf Basis eines Tarifgehalts“ vereinbart worden. Ein Freiwilligkeitsvorbehalt finde sich in diesem Absatz nicht. Auch das Wort „freiwillig“ sei in diesem Absatz nicht enthalten. In Ziff. 5 Abs. 2 Arbeitsvertrag finde sich eine Fälligkeitsregelung, in Ziff. 5 Abs. 3 Arbeitsvertrag der Bezug auf einen tariflichen Zahlungsanspruch. Erst danach, in Ziff. 5 Abs. 4 Arbeitsvertrag, finde sich das Wort „freiwillige Sonderzahlung“ und lege lediglich eine Wartefrist für den „Anspruch auf eine freiwillige Sonderzahlung“ fest. Abs. 4 mache nicht deutlich, dass es sich dabei um „die“ freiwillige Sonderzahlung nach Abs. 1 handeln solle. Auch sei darin keine Klarstellung enthalten, dass die Sonderzahlung nach Ziff. 5 Abs. 1 Arbeitsvertrag freiwillig sein solle. Vielmehr könne dieser Absatz auch unproblematisch so verstanden werden, dass es über die – vertraglich verbindliche - Einmalzahlung zu Abs. 1 hinaus auch eine weitere – freiwillige – Sonderzahlung geben könne. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

34

Gegen dieses am 19. Juli 2017 (Bl. 69 d.A.) ihr zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 16. August 2017 (Bl. 70 d.A.) beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Auf den am 16. August 2017 (Bl. 71 d.A.) beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Antrag ist die Berufungsbegründungsfrist bis zum 21. Oktober 2017 verlängert worden (Bl. 75 d.A.). Die Berufungsbegründung ist am 18. Oktober 2017 (Bl. 80 d.A.) beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

35

Die Beklagte hält das arbeitsgerichtliche Urteil für unzutreffend und trägt vor, die Regelungen in Ziff. 5 Abs. 4 und 5 Anstellungsvertrag normierten einen hinreichenden und wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt, der Rechtsansprüche für die Zukunft auf die Sonderzahlung ausschließe, soweit sie den tariflichen Anspruch überschritten. Zwar könne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts noch insoweit gefolgt werden, dass die bloße Bezeichnung einer Leistung als „freiwillig“ noch nicht notwendig dazu führe, dass dies für sich genommen bereits Ansprüche auf diese Leistung für die Zukunft rechtswirksam ausschließe, da dies auch zum Ausdruck bringen könne, hierfür zu dieser Leistung ansonsten außerhalb des Arbeitsvertrages nicht verpflichtet zu sein (BAG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 AZR 177/12 –, Rn. 17). Diese Rechtsprechung verkenne jedoch bereits, dass es als lebensfremd erscheine, dass sich ein Arbeitgeber – ohne ansonsten dazu verpflichtet zu sein – ausgerechnet im Rahmen des Arbeitsvertrages zu einer Leistung dauerhaft verpflichten möchte, die er im Arbeitsvertrag ausdrücklich als freiwillig bezeichne und kennzeichne. Bereits hierdurch werde mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass ein Rechtsbindungswille des Arbeitgebers für die Zukunft nicht bestehe und ein Rechtsanspruch auf die als freiwillig bezeichnete Leistung erst mit der tatsächlichen Zahlung der freiwilligen Leistung entstehe. Daraus ergebe sich, dass das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung zu Unrecht davon ausgegangen sei, die Auslegung der Regelungen im Anstellungsvertrag normierten einen Anspruch des Klägers, sodass die zusätzliche Vereinbarung eines Freiwilligkeitsvorbehalt widersprüchlich und damit unwirksam wäre. Außerdem stehe die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Freiwilligkeitsvorbehalten im Widerspruch zu seiner Rechtsprechung bei arbeitsvertraglichen Versetzungsklauseln, die rechtstechnisch kaum anders funktionierten. Einerseits werde normiert, welche Tätigkeiten der Arbeitnehmer auf Grundlage des Arbeitsvertrages ausführen solle, andererseits behalte sich der Arbeitgeber die Zuweisung anderer Tätigkeiten vor. Bei Freiwilligkeitsvorbehalten werde einerseits normiert, was der Arbeitnehmer erhalten könne, während andererseits klargestellt werde, dass kein Anspruch auf die Beibehaltung dieser Leistung bestehe. Die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, weil sie sich allein für das Jahr 2016 rund 250 gleichgelagerten Klagen ausgesetzt sehe und darüber hinaus etwaige Zahlungen für die Folgejahre betroffen seien.

36

Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Juni 2017 – 22 Ca 29/17 – abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

38

Der Kläger beantragt,

39

die Berufung zurückzuweisen.

40

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und erwidert auf die Berufungsbegründung, entgegen der Ansicht der Beklagten sei in Ziff. 5 Anstellungsvertrag ein Freiwilligkeitsvorbehalt nicht wirksam vereinbart. Dort sei nicht eindeutig geregelt, dass lediglich der Aufstockungsbetrag der Freiwilligkeit unterliege und keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründen solle. Die Beklagte argumentiere gegen die gefestigte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der eine arbeitsvertragliche Formulierung wie die hier vorliegende weder klar noch verständlich im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und damit unwirksam sei (BAG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 AZR 177/12 –). Die Formulierung „gewährt“ sei typisch für die Begründung eines Entgeltanspruchs. Auch die konkrete Höhe des Zahlungsanspruchs sei vorliegend definiert, nämlich ein Tarifgehalt. Dies werde noch verstärkt durch die konkrete Angabe für sein Eintrittsjahr 1999, für das der Anspruch nur anteilig 10/12 betrage. Die Revision sei nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe. So habe er für 2017 die Sonderzahlung erhalten.

41

Hinsichtlich des ergänzenden Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 18. Oktober 2017 (Bl. 86 d.A.) und auf die Berufungsbeantwortung vom 18. Dezember 2017 (Bl. 102 d.A.) verwiesen. Wegen des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen überreichten Unterlagen, ihrer Beweisantritte und ihrer Rechtsausführungen im Übrigen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich der Sitzungsprotokolle Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 und 3 ArbGG).

Entscheidungsgründe

A.

42

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

I.

43

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden (§ 64 Abs. 1, 2 und 6, § 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 519 Abs. 1 und 2, § 520 Abs. 1 und 3, § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

II.

44

Die Berufung ist unbegründet, weil die zulässige Klage begründet ist. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Gewährung einer Jahresleistung bzw. Sonderzahlung für das Jahr 2016 in Höhe von (weiteren) 2.207,89 € brutto nebst Zinsen. Dies hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Das weitere Vorbringen der Parteien in der Berufungsinstanz rechtfertigt kein anderes Ergebnis.

45

1. Der Zahlungsanspruch des Klägers auf die restliche „Jahresleistung“ 2016 folgt bereits aus Ziff. 5 Abs. 1 Satz 1 Anstellungsvertrag. Dies ergibt die gebotene Auslegung der Regelung als Allgemeine Geschäftsbedingung.

46

a) Bei den von der Beklagten in Ziff. 5 Anstellungsvertrag vorformulierten Vertragsbedingungen handelt es sich um eine Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB. Allgemeine Vertragsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten (stRspr., BAG, Urteil vom 23. August 2017 – 10 AZR 97/17 –, Rn. 17, juris; BAG, Urteil vom 17. April 2013 – 10 AZR 281/12 –, Rn. 12, juris; BAG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 AZR 177/12 – Rn. 16, juris). Bleibt nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden ein nicht behebbarer Zweifel, geht dies gemäß § 305c Abs. 2 BGB zulasten des Verwenders. Die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB setzt allerdings voraus, dass die Auslegung einer einzelnen AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen, genügt für die Anwendung der Bestimmung nicht (BAG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 AZR 177/12 –, Rn. 16, juris).

47

b) Danach hat der Kläger gegen die Beklagte gemäß Ziff. 5 Abs. 1 Anstellungsvertrag einen Anspruch auf eine Jahresleistung/Sonderzahlung in Höhe eines Tarifgehalts, weil ihm diese nach der Regelung „gewährt“ wird. Eine Formulierung, nach der vom Arbeitgeber ein Bonus oder eine Gratifikation gezahlt wird oder der Arbeitnehmer einen Bonus oder eine Gratifikation erhält, ist typisch für die Begründung eines Entgeltanspruchs (BAG, Urteil vom 30. Juli 2008 – 10 AZR 606/07 –,- Rn. 45, juris). Für den Begriff „gewährt“ gilt nichts anderes (BAG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 AZR 177/12 –, Rn. 17, juris). Darüber hinaus ist die Höhe der Jahresleistung/Sonderzahlung vertraglich präzise festgelegt, sie soll auf der Basis eines Tarifgehalts erfolgen. Dem steht nicht entgegen, dass die Jahresleistung/Sonderzahlung in Ziff. 5 Abs. 4 Arbeitsvertrag als „freiwillige Sonderzahlung“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung als freiwillig kann auch zum Ausdruck bringen, dass der Arbeitgeber nicht durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Gesetz zu dieser Leistung verpflichtet ist (BAG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 AZR 177/12 –, Rn. 17, juris; BAG, Urteil vom 17. April 2013 – 10 AZR 281/12 –, Rn. 16, juris). Sie genügt für sich genommen nicht, um einen Rechtsanspruch auf die Leistung auszuschließen. Ebenso wenig ergibt sich ein Ausschluss eines Rechtsanspruchs aus der Formulierung in Ziff. 5 Abs. 1 Anstellungsvertrag „z.Zt. DM 3.486,-- brutto“. Diese Formulierung bringt lediglich zum Ausdruck, mit welcher konkreten Höhe der Zahlung der Arbeitnehmer für das (Folge-)Jahr 2000 rechnen darf, ohne dass dem entnommen werden könnte, dass sich die Beklagte damit einen völligen Entzug der Leistung hätte vorbehalten wollen. Zwar erscheint auch die von der Beklagten vertretene Auslegung möglich, wonach sich aus Ziff. 5 Abs. 1 Anstellungsvertrag nicht unmittelbar ein Rechtsanspruch ergibt. Der Allgemeine Geschäftsbedingungen verwendende Arbeitgeber muss aber bei Unklarheiten nach § 305c Abs. 2 BGB die ihm ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen.

48

2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem in Ziff. 5 Abs. 4 und 5 Anstellungsvertrag enthaltenen Freiwilligkeitsvorbehalt, wonach der Anspruch des Klägers als „freiwillige Sonderzahlung“ bezeichnet wird, die nach ununterbrochener Betriebshäufigkeit von sechs Monaten besteht und bei Beendigung oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses in der Zeit vom 01. November bis 31. März des Folgejahres oder bei fristloser Beendigung durch den Arbeitgeber nicht besteht. Diese Regelungen verstoßen gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und sind deshalb unwirksam.

49

a) Nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot liegt deshalb nicht schon dann vor, wenn der Arbeitnehmer keine oder nur eine erschwerte Möglichkeit hat, die betreffende Regelung zu verstehen. Erst in der Gefahr, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders wegen unklar abgefasster Allgemeiner Vertragsbedingungen seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB (stRspr., BAG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 AZR 177/12 –, Rn. 19, juris; BAG, Urteil vom 14. September 2011 – 10 AZR 526/10 –, Rn. 22, juris).

50

b) Davon ist vorliegend auszugehen, weil der in Ziff. 5 Abs. 4 und 5 Anstellungsvertrag enthaltene Freiwilligkeitsvorbehalt die Zahlung des Differenzbetrages der Jahresleistung/Sonderzahlung nur als freiwillig bezeichnet. Die Bestimmung steht aber im Widerspruch zu dem nach Ziff. 5 Abs. 1 Anstellungsvertrag gewährten Anspruch auf eine Jahresleistung/Sonderzahlung. Sie ist deshalb nicht klar und verständlich im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und unwirksam. Gemäß § 306 Abs. 1 BGB fällt die unwirksame Regelung ersatzlos weg und der Vertrag im Übrigen bleibt bestehen.

51

3. Ob der Kläger seinen Anspruch auch auf eine betriebliche Übung (vgl. dazu BAG, Urteil vom 23. August 2017 – 10 AZR 97/17 –, Rn. 34, juris) stützen könnte, kann danach dahinstehen. Seinen vertraglichen Anspruch aus Ziff. 5 Abs. 1 Anstellungsvertrag hat die spätere einseitige Erklärung der Beklagten vom 15. November 2016 („Videobotschaft“) auch nicht mehr beseitigen können.

52

4. Die Höhe des Zahlungsanspruchs des Klägers ist zwischen den Parteien nicht im Streit.

53

5. Der Zinsanspruch folgt dem Grunde nach aus § 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, § 614 Satz 2 BGB und kann auf die Bruttovergütung verlangt werden (BAG, Großer Senat, Beschluss vom 07. März 2001 – GS 1/00 –, Rn. 9, juris). Die Beklagte befand sich nach Ablauf des Monats November 2016, für welchen die restliche „Jahresleistung/Sonderzahlung“ 2016 zu entrichten war, im Verzuge. Die Höhe des Zinssatzes folgt aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB, weil ein Arbeitnehmer als Verbraucher gemäß § 13 BGB anzusehen ist (BAG, Urteil vom 25. Mai 2005 – 5 AZR 572/04 –, Rn. 39, juris).

B.

I.

54

Die Kosten ihrer ohne Erfolg eingelegten Berufung hat die Beklagte zu tragen (§ 97 Abs. 1, § 525 Satz 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG).

II.

55

Gegen dieses Urteil ist die Revision an das Bundesarbeitsgericht nicht zuzulassen, weil ein erforderlicher Zulassungsgrund nicht ersichtlich ist (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ArbGG). Grundsätzliche Bedeutung kommt der Rechtssache nicht schon deshalb zu, weil eine Vielzahl von Arbeitnehmern der Beklagten in ähnlich gelagerten Fällen mit ähnlichen oder gleichen arbeitsvertraglichen Formulierungen zu Sonderzahlungen Klagen erhoben haben und die streitgegenständlichen Fragen etwaige Zahlungsverpflichtungen der Beklagten für die Folgejahre betrifft. Dieses Urteil weicht auch nicht von einer Entscheidung eines divergenzfähigen Gerichts ab, sondern folgt der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

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