Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 11 Ta 87/13
Tenor
1. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (Arbeitsgericht Mönchengladbach – Az.: 5 BV 38/13) zu unterlassen, Arbeitnehmern die Auflage zu erteilen, ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag der Beteiligten zu 2) vorzulegen, soweit nicht die Zustimmung des Beteiligten zu 1) oder eine die Zustimmung des Beteiligten zu 1) ersetzende Entscheidung des Gremiums nach § 5 Abs. 2 Satz 4 und 5 der Betriebsvereinbarung über Anzeige- und Nachweispflichten der Mitarbeiter zur Sicherung ihrer Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom 05.02.2001 nebst Ergänzungsvereinbarung vom 26.08.2010 vorliegt. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung wird der Beteiligten zu 2) ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,-- € angedroht.
2. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, den Arbeitnehmern im Betrieb F K -B /T -S bekannt zu geben und in den dortigen Arbeitsbereichen auszuhängen, dass die den Arbeitnehmern erteilte Auflage, ab sofort ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag der Beteiligten zu 2) vorzulegen, unwirksam ist.
1
G r ü n d e
2I. Die Beteiligten streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Durchführung einer Betriebsvereinbarung sowie Unterrichtung der Arbeitnehmer über die Unwirksamkeit einer Anordnung der Arbeitgeberin.
3Der Beteiligte zu 1) ist der im Betrieb K -B /T -S gewählte Betriebsrat. In diesem Betrieb sind etwa 2.350 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Arbeitgeberin, die Beteiligte zu 2), ist ein Unternehmen der Paketlogistikbranche, welches in der Bundesrepublik Deutschland 72 Betriebe unterhält. Der Beteiligte zu 3) ist der gewählte Gesamtbetriebsrat.
4Der Beteiligte zu 1) hat mit der Arbeitgeberin unter dem 05.02.2001 eine „Betriebsvereinbarung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG über die Anzeige- und Nachweispflichten der Mitarbeiter zur Sicherung Ihrer Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall“ (BV) abgeschlossen. Diese BV regelt u.a. in § 4, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Tage Kalendertage dauert, eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen hat. In begründeten Zweifelsfällen besteht nach § 5 BV unter näher bestimmten Voraussetzungen eine frühere Nachweispflicht, wobei die Zustimmung des Betriebsrats einzuholen ist. Im Falle der Zustimmungsverweigerung ist geregelt, dass ein Gremium bestehend aus einem Mitglied der Arbeitgeberseite, des Betriebsrates sowie einem Arbeitsmediziner entscheidet und ggfs. die fehlende Zustimmung des Betriebsrats ersetzt. Wegen der Einzelheiten der BV nebst Anhang 1 vom 26.08.2010 wird auf Bl. 18 ff. d.A. Bezug genommen.
5Die Beteiligte zu 2) hat die BV zum 31.01.2013 gekündigt. Ferner hat sie unter dem 13.02.2013 mit dem Gesamtbetriebsrat die mit ihm abgeschlossene Allgemeine Arbeitsordnung (AAO) vom 22.01.2008 in deren § 9 teilweise abgeändert. Unverändert blieb die Regelung, dass jeder erkrankte Mitarbeiter verpflichtet ist, bereits ab dem ersten Tag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und ihre voraussichtliche Dauer vorzulegen. Wegen der Einzelheiten der AAO wird auf Bl. 24 ff. d.A. verwiesen.
6Die Beteiligte zu 2) informierte unter dem 04.03.2013/05.03.2013 die Mitarbeiter im Kölner Betrieb davon, dass die AAO überarbeitet worden sei. Wie für die anderen Mitarbeiter in Deutschland gelte nunmehr, dass ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer vorzulegen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Mitteilung wird auf Bl. 23 d.A. verwiesen.
7Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1) mit dem vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren. Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 13.03.2013 (Bl. 61 ff. d.A.) die Anträge des Beteiligten zu 1) auf Unterlassung und Unterrichtung der Mitarbeiter ohne mündliche Verhandlung mangels Verfügungsgrund zurückgewiesen.
8Gegen den ihm am 18.03.2013 zugestellten Beschluss hat der Beteiligte zu 1) unter dem 28.03.2013 sofortige Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.
9Das Landesarbeitsgericht hat die fehlende Beteiligung des Beteiligten zu 3) im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nachgeholt.
10Das Hauptsacheverfahren ist beim Arbeitsgericht Mönchengladbach – 5 BV 38/13 – anhängig.
11Der Beteiligte zu 1) ist der Ansicht, der Unterlassungsanspruch folge aus der nachwirkenden BV. Allgemeine Anordnungen des Arbeitgebers gegenüber den Arbeitnehmern zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag beträfen die mitbestimmungspflichtige Frage der betrieblichen Ordnung. Die abgeänderte AAO habe die Nachwirkung der BV nicht beseitigt, denn der Gesamtbetriebsrat sei für die Regelung nicht originär zuständig. Es sei auch ein Verfügungsgrund gegeben, denn die Anordnung der Arbeitgeberin vom 04.03.2013/05.03.2013 sei offensichtlich rechtswidrig, dem Beteiligten zu 1) sei eine Hinnahme der Verletzung seines Mitbestimmungsrechts bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar, der Schutzweck der BV werde vereitelt und die Arbeitnehmer seien aus tatsächlichen Gründen nicht immer in der Lage in den Nachtstunden und am Wochenende schon ab dem ersten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beizubringen, so dass sie mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen rechnen müssten. In begründeten Zweifelsfällen könne die Arbeitgeberin auch nach Maßgabe der BV eine frühere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen. Die Arbeitgeberin verhalte sich widersprüchlich, wenn sie nunmehr die im Jahre 2008 vereinbarte Regelung der AAO im Kölner Betrieb anwenden wolle. Der Unterrichtungsantrag sei zur Beseitigung der Folgen des mitbestimmungswidrigen Verhaltens erforderlich.
12Der Beteiligte zu 1) beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln – Az.: 2 BVGa 16/13 – vom 13.03.2013 abzuändern und
131. der Beteiligten zu 2) aufzugeben, den Arbeitnehmern im Betrieb F K -B /T -S bekannt zu geben und in den dortigen Arbeitsbereichen auszuhängen, dass die den Arbeitnehmern erteilte Auflage, ab sofort ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag der Beteiligten zu 2) vorzulegen, unwirksam ist, sowie
142. der Beteiligten zu 2) aufzugeben, es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsache-verfahrens (Arbeitsgericht Mönchengladbach – Az.: 5 BV 38/13) zu unterlassen, Arbeitnehmern die Auflage zu erteilen, ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag der Beteiligten zu 2) vorzulegen, soweit nicht die Zustimmung des Beteiligten zu 1) oder eine die Zustimmung des Beteiligten zu 1) ersetzende Entscheidung des Gremiums nach § 5 Abs. 2 Satz 4 und 5 der Betriebsvereinbarung über Anzeige- und Nachweispflichten der Mitarbeiter zur Sicherung ihrer Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom 05.02.2001 nebst Ergänzungsvereinbarung vom 26.08.2010 vorliegt, sowie
153. der Beteiligten zu 2) für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 2. bezogen auf jeden Tag und jeden Arbeitnehmer ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
16Die Beteiligte zu 2) beantragt,
17die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
18Die Beteiligte zu 2) rügt die örtliche Zuständigkeit der Beschwerdekammer. Sie sieht eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach den Grundsätzen der „subjektiven Unmöglichkeit“. Bei der Regelung der Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall handele es sich um eine teilmitbestimmte Regelung. Die Arbeitgeberin sei frei in der Entscheidung, ob sie sie eine frühere Vorlage der ärztlichen Bescheinigung verlange, der Betriebsrat habe insoweit kein Initiativrecht. Ein Verfügungsgrund sei zu verneinen, denn das einstweilige Verfügungsverfahren sei weder geeignet, komplexe Rechtsfragen zu klären noch dürfe es die Hauptsache vorwegnehmen. Der Antrag zu 1) sei schon wegen mangelnder zeitlicher Beschränkung zurückzuweisen.
19Der Beteiligte zu 3) hat keinen Antrag gestellt.
20Im Rahmen seiner Anhörung vertritt er jedoch die Meinung, dass zwar ein zwingendes Mitbestimmungsrecht bestehe. Da die Grundentscheidung des Arbeitgebers, ob er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Erkrankungstag verlange, mitbestimmungsfrei sei, könne er auch frei die Entscheidung treffen, dieses Verlangen einheitlich für das ganze Unternehmen zu stellen, womit zugleich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats begründet sei. Ein Verfügungsgrund sei schon deshalb zu verneinen, weil die Arbeitnehmer aufgrund der mitbestimmten Regelung des § 9 AAO nicht schutzlos gestellt seien.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
22II. Die gemäß den §§ 83 Abs. 5, 78 ArbGG, 567 Abs. 1, 569 ZPO form- und fristgerechte eingelegte zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.
231. Das Arbeitsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss stillschweigend seine örtliche Zuständigkeit bejaht. Hieran ist gemäß den §§ 88, 65 ArbGG die Beschwerdekammer gebunden (vgl.: Germelmann/ Matthes/Prütting/Müller-Glöge, 7. Auflage, § 65 ArbGG Rdn. 5, Schwab/Weth/Busemann, 3. Auflage, § 88 ArbGG Rdn. 14 f.).
242. Das Beschwerdegericht kann wegen der Eilbedürftigkeit des einstweiligen Verfügungsverfahrens über die sofortige Beschwerde in der Sache entscheiden, obwohl das in § 572 ZPO geregelte Abhilfeverfahren nicht durchgeführt worden ist (vgl.: LAG Köln, Beschl. v. 12.06.2012 – 12 Ta 95/12 – m.w.N.).
253. Der erforderliche Verfügungsanspruch (§ 935 ZPO) ergibt sich aus der nachwirkenden BV i. V. m. § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Der Beteiligte zu 1) hat einen Anspruch darauf, dass die Beteiligte zu 2) es bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens (Arbeitsgericht Mönchengladbach – Az.: 5 BV 38/13) unterlässt, den Arbeitnehmern die Auflage zu erteilen, ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag der Beteiligten zu 2) vorzulegen, soweit nicht die Zustimmung des Beteiligten zu 1) oder eine die Zustimmung des Beteiligten zu 1) ersetzende Entscheidung des Gremiums nach § 5 Abs. 2 Satz 4 und 5 der Betriebsvereinbarung über Anzeige- und Nachweispflichten der Mitarbeiter zur Sicherung ihrer Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vom 05.02.2001 nebst Ergänzungsvereinbarung vom 26.08.2010 vorliegt.
26a) Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber Betriebsvereinbarungen im Betrieb durchzuführen. Hierauf und auf Unterlassung vertragswidriger Maßnahmen hat der Betriebsrat einen eigenständigen Anspruch (BAG, Beschluss vom 29.04.2004 – 1 ABR 30/02 - m. w. N.). Der Durchführungsanspruch besteht auch bei Betriebsvereinbarungen, die gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nachwirken (Fitting, 26. Auflage, § 77 BetrVG Rdn. 7 m.w.N.).
27b) Die Nachwirkung betrifft nur Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung. Macht der Arbeitgeber von seinem Regelungsspielraum des § 5 Abs. 1 EFZG, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner Arbeitnehmer auch dann zu verlangen, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht länger als drei Tage dauert, Gebrauch, so betrifft dies die betriebliche Ordnung. Der Betriebsrat hat dann ein zwingendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (vgl.: BAG, Beschl. v. 25.01.2000 – 1 ABR 3/99 - ). Im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist auch grundsätzlich ein Initiativrecht des Betriebsrats zu bejahen (ErfK/Kania, 13. Auflage, § 87 BetrVG Rdn. 9), dies erfasst auch belastende Regelungen (GK-Wiese, 9. Auflage, § 87 BetrVG Rdn. 233 m.w.N.), denn das Mitbestimmungsrecht auch § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG stellt kein bloßes Abwehrrecht zur Einschränkung des Direktionsrechts des Arbeitgebers dar, sondern hat auch die Funktion, die gleichberechtigte Teilhabe der Arbeitnehmer an einer Entscheidung des Arbeitgebers zu gewährleisten (LAG Nürnberg, Beschl. v. 10.09.2002 – 6 (5) TaBV 41/01 – m.w.N.).
28c) Die Betriebsparteien können eine nachwirkende Betriebsvereinbarung jederzeit durch eine andere Betriebsvereinbarung ersetzen oder die Nachwirkung beenden. Allerdings ist die gesetzliche Kompetenzzuweisung zu beachten. Daher kann in mitbestimmten Angelegenheiten, für deren Regelung der Betriebsrat zuständig ist, eine zwischen ihm und dem Arbeitgeber geschlossene Betriebsvereinbarung nicht durch eine zwischen Gesamtbetriebsrat und Arbeitgeber geschlossene Betriebsvereinbarung abgelöst werden (BAG, Beschl. v. 11.12.2001 -1 AZR 193/01 - m.w.N.).
29d) Die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegt grundsätzlich dem von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsrat. Dem Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur die Behandlung von Angelegenheiten zugewiesen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Erforderlich ist, dass es sich zum einen um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und zum anderen objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht. Das Vorliegen eines zwingenden Erfordernisses bestimmt sich nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestands, der einer zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Maßgeblich sind stets die konkreten Umstände des Unternehmens und der einzelnen Betriebe. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, sein Kosten- oder Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zustimmung des Gesamtbetriebsrats zu begründen (BAG, Beschl. v. 19.06.2012 - 1 ABR 19/11 – m.w.N.). Ein zwingendes Erfordernis zur betriebsübergreifenden Regelung kann sich z.B. aus arbeitstechnischen oder rechtlichen Gründen ergeben (BAG, Beschl. v. 14.11.2006 – 1 ABR 4/06 -). Darüber hinaus ist es gegeben, wenn eine auf die einzelnen Betriebe beschränkte Regelung deshalb nicht möglich ist, weil der Arbeitgeber den der Mitbestimmung unterfallenden Regelungsgegenstand mitbestimmungsfrei so vorgegeben hat, dass eine Regelung nur betriebsübergreifend erfolgen kann. Ein derartiger Fall der “subjektiven Unmöglichkeit” der Regelung auf rein betrieblicher Ebene liegt nicht vor, wenn es nicht um die Verteilung von Leistungen geht, die der Arbeitgeber freiwillig zur Verfügung stellt, sondern wenn dieser des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung bedarf, um eine von ihm an sich geschuldete Leistung zu kürzen oder Regelungen zu treffen, welche die Arbeitnehmer belasten (vgl.: BAG, Urt. v. 19.06.2007 – 1 AZR 454/06 – m.w.N.). Soweit die nach § 87 Abs. 1 BetrVG notwendige Mitbestimmung reicht, kann der Arbeitgeber die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht dadurch begründen, dass er eine betriebsübergreifende Regelung verlangt (BAG, Beschl. v. 09.12.2003 – 1 ABR 49/02 – m.w.N.).
30e) Hiernach ist festzuhalten, dass die generelle Regelung hinsichtlich der Anzeige- und Nachweispflichten vor Ablauf des dritten Krankheitstages der zwingenden Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterliegt, denn es handelt sich um eine Frage der betrieblichen Ordnung. Da es sich um einen Fall der erzwingbaren Mitbestimmung handelt, entfaltet die gekündigte BV Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG. Diese Nachwirkung ist nicht durch die AAO vom 22.01.2008 i. d. F. v. 13.02.2013 beendet worden, denn zur Regelung des Mitbestimmungstatbestandes ist der Gesamtbetriebsrat vorliegend nicht berufen. Eine Beauftragung gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG ist nicht erfolgt. Objektive Gründe, die eine betriebsübergreifende Regelung zwingend erforderlich machen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Eine unterschiedliche Regelung zur Anzeige- und Nachweispflicht in den einzelnen Betrieben ist möglich und wurde von der Beteiligten zu 2) über Jahre hinweg auch praktiziert. Auf die Grundsätze zur „subjektiven Unmöglichkeit“ können sich die Beteiligten zu 2) und zu 3) nicht mit Erfolg berufen. Es geht nicht um die Gewährung und Verteilung freiwilliger Leistungen, sondern um eine die Belegschaft belastende Maßnahme. Die Belastung besteht darin, dass jeder Arbeitnehmer stets ab dem ersten Tag die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen hat. Der bloße Entschluss der Beteiligten zu 2) nunmehr zum Zwecke der Vereinheitlichung der Anzeige- und Nachweispraxis eine unternehmensweite Regelung anzustreben, begründet nicht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats. Es handelt sich allenfalls um eine Regelung aus Gründen der Zweckmäßigkeit. Da die Beteiligte zu 2) an ihrer den Mitarbeitern im Kölner Betrieb kommunizierten Rechtsauffassung zur Geltung der Anzeige- und Nachweispflichten nach der AAO festhält und dies auch praktiziert, ist eine fortwährende Beeinträchtigung des Mitbestimmungsrechts des Beteiligten zu 1) gegeben.
314. Auch ein Verfügungsgrund ist vorliegend zu bejahen. Ein Verfügungsgrundliegt vor, wenn die Besorgnis besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts ohne alsbaldige einstweilige Regelung vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§§ 935, 940 ZPO).
32a) Bei der Prüfung des Vorliegens eines Verfügungsgrundes hat eine Interessenabwägung stattzufinden, die sämtliche in Betracht kommenden materiell-rechtlichen und vollstreckungsrechtlichen Erwägungen sowie die (auch wirtschaftlichen) Auswirkungen für beide Parteien einbezieht. Bei weitgehend ungeklärter Sach- und Rechtslage sind die Anforderungen an den Verfügungsgrund erhöht. Bei einer in höherem Maße zweifelhaften Rechtslage kann regelmäßig keine einstweilige Verfügung ergehen. Umgekehrt braucht dann, wenn die Rechtslage im Sinne einer Bejahung des Verfügungsanspruchs klar ist und die Tatsachen unstreitig sind, der Verfügungsgrund nicht von besonderem Gewicht zu sein. Bei eindeutiger Rechtslage kann auf zusätzliche Anforderungen einen Verfügungsgrund ggf. ganz verzichtet werden (LAG Köln, Beschl. v. 08.03.2002 – 4 TaBV 2/02 – m.w.N.).
33b) Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats ist nach der dargelegten Ansicht der Kammer aus Rechtsgründen klar zu verneinen. Dem Beteiligten zu 3) droht kein Rechtsverlust. Tatsächliche Unsicherheiten bestehen keine. Angesichts der aufgezeigten Rechtslage sind keine hohen Anforderungen an den Verfügungsgrund zu stellen. Das bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats liefe für die erhebliche Dauer bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens ins Leere. Die neue Regelung ist auch belastend für die Belegschaft, denn sie zwingt alle Arbeitnehmer auch ohne begründete Zweifel an dem Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit zur regelmäßigen Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits ab dem ersten Tag. Es ist nicht auszuschließen, dass sie den Nachweis, insbesondere an Wochenenden, nicht oder nur unter besonderen Erschwernissen erbringen können und im Falle der Nichterfüllung arbeitsrechtlichen Maßnahmen des Arbeitgebers ausgesetzt sind. Vor diesen Belastungen und Risiken gewährt die AAO keinen hinreichenden Schutz. Wesentliche Nachteile für den Arbeitgeber durch die vorläufige Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Gegenteil indiziert die jahrelange Praxis, dass wesentliche Nachteile nicht zu erwarten sind. Der Arbeitgeber kann weiterhin in begründeten Zweifelsfällen das Verfahren nach § 5 BV einleiten. Die Interessenabwägung fiel daher zugunsten des Beteiligten zu 1) aus.
345. Der Beteiligten zu 2) war auch für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld anzudrohen. Dabei war die sich mittelbar aus § 23 Abs. 3 Satz 5 BetrVG ergebende Obergrenze von 10.000,-- € zu beachten (vgl.: BAG, Beschl. v. 27.01.2004 – 1 ABR 7/03 -; LAG Köln, Beschl. v. 21.02.2006 – 9 TaBV 34/05 -).
356. Der Beteiligte zu 1) hat ferner einen Anspruch, dass die Arbeitgeberin den Arbeitnehmern im Betrieb Flughafen Köln-Bonn/Troisdorf-Spich in geeigneter Form bekannt gibt, dass die erteilte Anweisung ab sofort ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer einzuholen und spätestens am dritten Krankheitstag vorzulegen, unwirksam ist.
36Zwar ist eine betriebsverfassungswidrige Anweisung unwirksam, ohne dass eine ausdrückliche Rücknahme erforderlich wäre. Hat der Arbeitgeber unter Verletzung des Mitbestimmungsrechts Anweisungen bereits bekanntgegeben, kann der Betriebsrat die Beseitigung des betriebsverfassungswidrigen Zustandes verlangen. Dieser Nebenleistungs-anspruch dient dem Schutz der Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG (BAG, Beschl. v. 16.06.1998 – 1 ABR 68/97 -). Würde die Arbeitgeberin nicht zur Mitteilung der Unwirksamkeit ihrer Anweisung angehalten, würde der mitbestimmungswidrige Zustand fortgeschrieben (vgl. auch: LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.06.2012 - 3 TaBV 2149/11 – m. w. N.). Für die betroffenen Arbeitnehmer besteht nämlich weiterhin der Anschein einer verbindlichen Anweisung. Für diese ist nicht ersichtlich, dass die Anweisung wegen Verstoßes gegen die BV unverbindlich ist. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die betroffenen Personen weiter von der Verbindlichkeit der Anweisung ausgehen und sich an die Anweisung halten werden, um Sanktionen zu vermeiden, wenn nicht die Arbeitgeberin ihnen gegenüber die Unwirksamkeit der Anweisung mitteilt. Die Eilbedürftigkeit folgt aus den Gründen zu II. 4. Einer zeitlichen Beschränkung der Mitteilungspflicht bedarf es nicht. Einer Änderung der Rechtslage kann die Beteiligte zu 2) jederzeit durch eine neue Anweisung Rechnung tragen.
377. Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 3 TaBV 2149/11 1x (nicht zugeordnet)
- 1 ABR 7/03 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 83 Beschränkung der Prozessvollmacht 1x
- 2 BVGa 16/13 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 1 EFZG 1x (nicht zugeordnet)
- 1 ABR 19/11 1x (nicht zugeordnet)
- 1 AZR 193/01 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 65 Beschränkung der Berufung 2x
- 1 ABR 49/02 1x (nicht zugeordnet)
- Beschluss vom Landesarbeitsgericht Köln - 12 Ta 95/12 1x
- ArbGG § 88 Beschränkung der Beschwerde 2x
- 1 ABR 4/06 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 78 Anwaltsprozess 1x
- BetrVG § 87 Mitbestimmungsrechte 9x
- ZPO § 940 Einstweilige Verfügung zur Regelung eines einstweiligen Zustandes 1x
- BetrVG § 23 Verletzung gesetzlicher Pflichten 1x
- ZPO § 569 Frist und Form 1x
- § 5 BV 2x (nicht zugeordnet)
- BetrVG § 77 Durchführung gemeinsamer Beschlüsse, Betriebsvereinbarungen 5x
- BetrVG § 50 Zuständigkeit 2x
- ZPO § 567 Sofortige Beschwerde; Anschlussbeschwerde 1x
- 1 ABR 68/97 1x (nicht zugeordnet)
- § 9 AAO 1x (nicht zugeordnet)
- 1 ABR 3/99 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 935 Einstweilige Verfügung bezüglich Streitgegenstand 2x
- 1 ABR 30/02 1x (nicht zugeordnet)
- 1 AZR 454/06 1x (nicht zugeordnet)
- 5 BV 38/13 4x (nicht zugeordnet)
- 4 TaBV 2/02 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 572 Gang des Beschwerdeverfahrens 1x
- 9 TaBV 34/05 1x (nicht zugeordnet)