Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (5. Kammer) - 5 Sa 12/13

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock vom 15.08.2012 – 5 Ca 671/11 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten mit Zahlungsanträgen die Übernahme der Steuerlast zu einem Vorruhestandsvertrag, hilfsweise Schadensersatz.

2

Im Vorruhestandsvertrag, wegen dessen näherer Einzelheiten auf Blatt 21 – 23 der Akte verwiesen wird, heißt es auszugsweise:

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§ 1 – Beendigung des Arbeitsverhältnisses

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(1) Das Arbeitsverhältnis wird im gegenseitigen Einvernehmen mit Ablauf des 30.06.2009 aufgelöst.

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(2) Grundlage für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist die Richtlinie des Landes Mecklenburg-Vorpommern über die Zahlung eines Vorruhestandsgeldes an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Landesverwaltung (Vorruhestandsrichtlinie) vom 15. März 2006 in der jeweils geltenden Fassung.

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§ 3 – Zahlung des Vorruhestandsgeldes

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(4) Für den Zeitraum ab dem Wegfall der Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III bis zum Beginn der Rentenleistungen erhält die Arbeitnehmerin zur Eigenversicherung die Sozialversicherungsabgaben (Kranken-, Renten- und Pflegeversicherungsbeiträge, Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil) in Form eines einmaligen Pauschalbetrages in Höhe von 80 v. H. Der Pauschalbetrag wird auf der Basis des monatlichen Durchschnitts der in den letzten 6 Monaten vor Wegfall der Entgeltersatzleistungen durch die Agentur für Arbeit abgeführten Sozialversicherungsabgaben ermittelt.

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§ 5 – Mitwirkungspflichten

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(1) Die Arbeitnehmerin erklärt, dass sie sich über die Auswirkungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Leistungsansprüche gegenüber der Arbeitsverwaltung sowie über die Folgen in den übrigen Bereichen der Sozialversicherung (Krankenversicherung, Rentenversicherung einschließlich Rentenansprüche, Pflegeversicherung) und in der Zusatzversorgung bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) sowie über die steuerlichen Folgen eingehend informiert hat.“

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Wegen des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien im Übrigen wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Rostock vom 15.08.2012 – 5 Ca 671/11 -, Blatt 219 – 226 der Akte, verwiesen.

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Das Gericht hat die Klage abgewiesen. Vertraglich sei keine Nettozahlung vereinbart. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes schuldet der Arbeitgeber grundsätzlich Bruttobeträge. Eine Anpassung unter dem Gesichtspunkt Störung der Geschäftsgrundlage sei nicht veranlasst. Es seien nach Vertragsabschluss keine verändernden Umstände eingetreten. Das beklagte Land sei nicht schadensersatzpflichtig. Nach den vertraglichen Regelungen sollte die Klägerin sich selbst über die steuerlichen Folgen informieren. Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe, Blatt 226 – 231 der Akte, verwiesen.

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Die Klägerin hat gegen das ihr am 17.01.2013 zugestellte Urteil, ihr am 15.01.2013 vorab per Fax gesendet, mit am 15.01.2013 bei Gericht eingegangenem Schreiben Berufung eingelegt und diese mit am 11.03.2013 bei Gericht eingegangenem Schreiben begründet, unter Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Vortrag.

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Die Klägerin ist der Ansicht, das Arbeitsgericht Rostock habe nicht hinreichend den Sinn der Vereinbarung zur Pauschalzuwendung berücksichtigt. Der Sinn der Pauschalzuwendung sei, dass die Klägerin davon ihre Eigenversicherung durchführen könne. Derartiges sei nicht möglich, wenn die Klägerin auf den Betrag selber Steuern zahlen müsse. Es müsse von einer Nettozahlungspflicht ausgegangen werden, weil abweichendes im Vertrag nicht ausdrücklich geregelt sei. Dafür spreche auch, dass die Klägerin ein Vorruhestandsgeld in Höhe von 80 Prozent des maßgeblichen Nettoarbeitsentgeltes erhalten sollte. Dann sei es naheliegend, dass es sich bei der Pauschalsumme ebenfalls um einen Nettobetrag handeln müsse. Das beklagte Land habe weder im Vorruhestandsvertrag noch in der Vorruhestandsrichtlinie darauf hingewiesen, dass die pauschale Zuwendung und das Vorruhestandsgeld Bruttoleistungen sein sollten. Es könne nicht zu Lasten der Klägerin gehen, wenn das beklagte Land die Steuerpflicht übersehen habe. Die Klägerin sieht einen Anspruch auf Vertragsanpassung des Vorruhestandsvertrages wegen beiderseitigen Fehlvorstellungen zur Steuerpflicht. Sie habe einen Schadensersatzanspruch. Das beklagte Land hätte die Pflicht gehabt, die Klägerin auf die steuerrechtlichen Folgen hinzuweisen.

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Die Klägerin trägt vor, beide Seiten seien bei Abschluss des Vorruhestandsvertrages übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klägerin die ermittelten Beträge auch erhalten solle, ohne Steuerabzug. Wäre die Klägerin richtig informiert worden, so hätte sie einen Vorruhestandsvertrag in dieser Form nicht abgeschlossen und damit weiterhin ihr volles Entgelt erhalten. Hätte die Klägerin einen Steuerberater gefragt, so hätte dieser die Klägerin nicht darauf hinweisen können, wie die geplante Vereinbarung zu verstehen sei oder dass die Klägerin erhebliche Steuern auf den Pauschalbetrag zahlen müsse. Das Ergebnis der Steuerberatung hinge davon ab, wie die streitgegenständliche Vereinbarung zu verstehen sei. Die Klägerin habe sich, wie bereits erstinstanzlich vorgetragen, beim Finanzamt und beim Landesbesoldungsamt erkundigt (Blatt 304, 167 der Akte). Ihr sei von einer Steuerlast nichts mitgeteilt worden. Jetzt, nach Jahren, könne sie Einzelheiten der Gespräche nicht mehr mitteilen.

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Die Klägerin beantragt:

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Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Rostock vom 15.08.2012 (Az.: 5 Ca 671/11) verurteilt, an die Klägerin 23.948,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 20.407,40 Euro ab dem 01.02.2011 und auf die restlichen 3.541,50 Euro ab dem 09.08.2012 zu zahlen.

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Das beklagte Land beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

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Das beklagte Land ist der Ansicht, die Zahlung eines Nettobetrages hätte ausdrücklich vereinbart werden müssen. Das sei nicht geschehen. Sie ist der Ansicht, bei dem zu ihren Gunsten entschiedenen Fall des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 05.12.2012 – 2 Sa 151/12 - handele es sich um eine Parallelentscheidung. Die Klägerin habe die Höhe der geltend gemachten Forderung nicht dargelegt, insbesondere nicht vorgetragen zu den von ihr tatsächlich geleisteten Beiträgen für eine Versicherung.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in beiden Instanzen wird auf den Inhalt der Akte bis einschließlich Blatt 331 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist unbegründet. Die Klage ist aus den bereits erstinstanzlich dargelegten Gründen, die das Gericht sich zu Eigen macht, abzuweisen. Auf das erstinstanzliche Urteil (Blatt 217 – 233 der Akte) wird Bezug genommen. Die Klägerin hat in der zweiten Instanz keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte in den Prozess eingeführt. Das wird ergänzend noch am Schluss erläutert. Die Klägerin als die unterlegene Partei hat nach § 95 ZPO, § 64 ArbGG die Kosten der Berufung zu tragen. Anlass für eine Revisionszulassung nach § 72 ArbGG besteht nicht.

1.

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Die Zahlungsklage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt. Die Zusammensetzung der Klagforderung ist erkennbar. Insoweit wird auf die Klageschrift vom 02.05.2011, Blatt 4 – 10 der Akte, und die spätere Ergänzung im Schriftsatz vom 31.05.2012, Blatt 181 – 186 der Akte, verwiesen.

2.

25

Die Klägerin hat ihren Anspruch nicht aus dem Vorruhestandsvertrag. Das ergibt eine Auslegung des Vertrages, die zu dem Ergebnis führt, dass die dort genannten Zahlungsansprüche der gesetzlichen Steuerpflicht unterliegen.

26

Vom Arbeitgeber vorformulierte Verträge sind nach §§ 133, 157, 305 c BGB in erster Linie nach dem Wortlaut auszulegen, aber auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung und nach der Erwartung der beteiligten Kreise, die zum Teil ihren Ausdruck findet in den damals veröffentlichten obergerichtlichen Entscheidungen. Ausnahmen vom gesetzlichen Normalfall müssen üblicherweise ausdrücklich vereinbart werden. Es ist auf den Horizont eines normal verständigen Arbeitnehmers abzustellen, also eines nicht rechtskundigen Lesers. Zweifel bei der Auslegung einer Klausel führen zu arbeitnehmerfreundlichsten Auslegung. Wenn mehrere Klauseln sich inhaltlich widersprechen, so führt dies nach § 307 BGB zur Unwirksamkeit (Preis in Erf.Kommentar, 13. Auflage, 2013, § 305 ff BGB, Rz. 31 – 32).

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§ 305 c BGB ist nach §§ 305 Abs. 1, 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB anwendbar. Es handelt sich um einen vom Arbeitgeber vorformulierten Vertrag.

28

Der Wortlaut des Vertrages deutet nicht auf eine Nettozahlungspflicht hin. Durch die Worte „auf der Basis“ und „ermittelt“ wird vielmehr angedeutet, dass es um den Rechenweg geht, durch den eine Betragshöhe ermittelt werden soll. Nicht ausdrücklich geregelt ist, ob es sich bei dem dann ermittelten Betrag um einen Nettobetrag oder Bruttobetrag handelt. Damit verbleibt es beim Normalfall, dass sich brutto oder netto aus den gesetzlichen Regelungen ergeben, also im Zweifel eine Bruttosumme gewollt ist.

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Die Steuerpflichtigkeit von Einkünften entspricht der Erwartung der beteiligten Kreise. Hinsichtlich des Arbeitsentgeltes wird auf die erstinstanzlich zitierte Rechtsprechung verwiesen. Zur Steuerpflichtigkeit von Alterseinkünften kann bei nicht rechtskundigen Personen eine Unsicherheit bestehen.

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Es ist der Normalfall, dass Einkünfte der gesetzlichen Steuerpflicht unterliegen, mit den steuergesetzlich vorgesehen Ausnahmen. Es ist weiterhin der Normalfall, dass vertraglich keine Abweichung von der gesetzlichen Steuerpflicht und von der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht vorgenommen wird. Das gilt insbesondere für Verträge, bei denen eine Seite staatsnah ist. So liegt es hier. Das bildet auch den Hintergrund der Regelung in § 5 Abs. 1 des Vertrages, wonach die Arbeitnehmerin erklärt, sich über die steuerlichen Folgen informiert zu haben. Diese Regelung setzt voraus, dass das Steuerrecht Anwendung findet und dass im Zweifel der Arbeitnehmer Steuern zu zahlen hat. Sonst macht eine Unterrichtung über die Steuerpflicht keinen Sinn. Die Regelung hat als Hintergrund die teilweise bestehende Unsicherheit von rechtsunkundigen Personen hinsichtlich der Steuerpflicht von Alterseinkünften.

31

Der Sinn und Zweck der Regelung in § 3 Abs. 4 des Vorruhestandsvertrages, daraus eine eigene Versicherung zu ermöglichen, führt nicht zur von der Klägerin gewünschten Auslegung.

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Die Klägerin hat nicht mit den nach § 138 ZPO erforderlichen Einzelheiten dargelegt, dass in ihrem konkreten Fall die geleisteten Zahlungen nicht zur Versicherung ausreichen.

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Der Wortlaut von § 3 Abs. 4 spricht schon gegen die Darstellung der Klägerin, es soll durch die Zahlung eine vollständige Eigenversicherung gewährleistet werden. Denn in dem Vertrag wird ein Prozentsatz von 80 erwähnt. Das deutet darauf hin, dass ein vollständiger Ersatz nicht geplant ist, sondern nur ein Teilersatz. Ein vollständiger Ersatz würde im Übrigen einen unangemessenen Ausgleich der beteiligten Interessen darstellen. Es ist zwar ein gesetzliches Anliegen, älteren Arbeitnehmern einen gleitenden Übergang vom Arbeitsleben in die Altersrente zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1 Altersteilzeitgesetz). Dabei ist aber stets der Grundsatz, dass die finanziellen Folgen gleichermaßen vom Arbeitgeber, vom Gesetzgeber durch Steuererleichterung und vom Arbeitnehmer zu tragen sind. Damit ist selbstverständlich, dass der Vorteil, früher mit der Arbeitsleistung aufhören zu können, zu vom Arbeitnehmer zu tragenden finanziellen Nachteilen führt.

34

Ein vollständiger Ersatz der Kosten zur Eigenversicherung oder eine Steuerfreiheit sind danach beide weder Ziel des konkreten Vertrages noch der zu Grunde liegenden gesetzgeberischen Regelungen.

3.

35

Der Anspruch der Klägerin ergibt sich nicht aus einem Wegfall der Geschäftsgrundlage. Die Klägerin hat weder zu den Voraussetzungen noch zu den Rechtsfolgen von § 313 BGB hinreichend vorgetragen.

36

Voraussetzung wäre ein Abweichen von der Geschäftsgrundlage. In § 5 Abs. 1 des Vertrages ist zu Grunde gelegt, dass die steuerlichen Folgen ohne vorhergehende Information möglicherweise nicht absehbar sind. Damit ist die Unkenntnis der Klägerin nicht unvorhersehbar, sondern von den Vertragsparteien vorhergesehen worden und vertraglich geregelt worden, und zwar dergestalt, dass die Risiken bei der Klägerin liegen.

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Es liegt auch die Rechtsfolge, nämlich eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am ungeänderten Vertrag, nicht vor. Die Steuerpflichtigkeit von Einkünften ist grundsätzlich zumutbar, insbesondere auch vor dem Hintergrund von Steuererleichterungen bei besonders niedrigen Einkünften. Ein Arbeitnehmer erhält durch einen Vorruhestandsvertrag grundsätzlich erhebliche Vorteile, die zum Teil auch vom Staat aus Steuergeldern gefördert werden. Eine Beteiligung an den finanziellen Lasten des Vorruhestands ist einem Arbeitnehmer grundsätzlich zuzumuten.

4.

38

Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch gegen das beklagte Land.

39

Ein schädigendes aktives Handeln ist nicht vorgetragen. Eine Fehlinformation durch Mitarbeiter des Landesbesoldungsamtes kann ohne nähere Darstellung des Gespräches nicht festgestellt werden. Dass gleiche gilt hinsichtlich der Äußerungen durch Mitarbeiter des Finanzamtes, wobei im Übrigen das beklagte Land für derartige Fehlinformationen nicht haften würde. Ein Schadensersatzanspruch ergibt sich nicht wegen unterlassener Information der Klägerin über die steuerlichen Folgen. Denn die Klägerin wurde in § 5 Abs. 1 des Vorruhestandsvertrageentwurfes vor Unterzeichnung darüber informiert, dass die steuerlichen Folgen für einen rechtsunkundigen Arbeitnehmer möglicherweise ohne Information nicht absehbar sind. Dieser Hinweis reicht aus. Eventuelle Fehlinformationen nach Abschluss des Vorruhestandsvertrages durch Übersendung von Abrechnungen ohne Hinweis auf die Steuerpflicht sind für den Vertrag nicht ursächlich und können daher keinen Schadensersatzanspruch hervorrufen.

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Die bei der Klägerin mutmaßlich entstandene Fehlvorstellung beruht auf der fehlenden steuerrechtlichen Information. Insoweit kann angesichts der Bemühungen der Klägerin zwar nicht von einem Selbstverschulden oder einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin ausgegangen werden. Nach der vertraglichen Risikoverteidigung, wie sie insbesondere in § 5 Abs. 1 des Vertrages zum Ausdruck kommt, sind die Risiken der Fehlinformation aber in der Sphäre der Klägerin. Anhaltspunkte dafür, dass das beklagte Land sich insoweit unangemessen verhielt, bestehen nicht (vgl. erstinstanzliches Urteil, Seite 13 – 15 der Entscheidungsgründe).

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