Urteil vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (2. Kammer) - 2 Sa 190/15
Tenor
1. Die Klage wird unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils (21.05.2015 – 5 Ca 1043/14) abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Das Amt K. W. (im Folgenden als Amt oder klagendes Amt bezeichnet) beklagt einen umfänglichen Verlust von Bargeld aus den Bargeldkassen, die im Bürgerbüro am Amtssitz geführt werden. Das Amt geht davon aus, dass der Verlust darauf zurückzuführen ist, dass die drei Mitarbeiter des Amtes, die regelmäßig im Bürgerbüro eingesetzt waren, das Bargeld entwendet haben. Das Amt hat daher vorliegend diese drei Mitarbeiter – überwiegend als Gesamtschuldner – auf Schadensersatz in Höhe von rund 11.500 Euro verklagt.
- 2
Im Berufungsverfahren richtet sich die Klage nur noch gegen zwei Beklagte, da Frau Z. (ehemalige Beklagte zu 1) sich bereits vor dem Arbeitsgericht verglichen hat. Der Vergleich sieht vor, dass Frau Z. für rund ein Drittel des Gesamtschadens aufkommt und im Übrigen aus der weitergehenden Haftung entlassen wird. Im Folgenden wird daher die ehemalige Beklagte zu 2 als Beklagte zu 1 bezeichnet und der ehemalige Beklagte zu 3 nunmehr als Beklagter zu 2.
- 3
Im Bürgerbüro des Amtes können die Bürger der amtsangehörigen Gemeinden – soweit hier von Interesse – Personaldokumente beantragen (Personalausweis, Reisepass und ähnliche Dokumente – hier mit Passangelegenheiten bezeichnet) und Gewerbeangelegenheiten abwickeln (Gewerberechtliche An-, Um- und Abmeldungen). Die für die einzelnen Geschäfte anfallenden Gebühren müssen bereits bei der Antragstellung entrichtet werden. Die Gebühren wurden überwiegend in bar entrichtet, es war und ist aber auch möglich, mit Geldkarte oder Girokarte zu zahlen.
- 4
Das klagende Amt setzt im Bürgerbüro im Regelfall drei Beschäftigte ein. Alle drei Beschäftigte verfügen während der Öffnungszeiten des Bürgerbüros über eine Bargeldkasse. Einer der Beschäftigten hatte dann noch die Funktion der Kassenverwalterin, die die Bargeldeinnahmen einzusammeln und anschließend an die Hauptkasse weiterzuleiten hatte. Sofern der Zahlungseingang nicht am Arbeitsplatz selbst durch die dortigen Mitarbeiter im Kassenverwaltungsprogramm HESS gebucht wurde, hatte die Kassenverwalterin im Bürgerbüro mit dem Bargeld auch die händisch erstellten Quittungsdoppel erhalten und hat dann die Zahlungsvorgänge an ihrem Arbeitsplatz anhand der Quittungsdoppel in HESS eingegeben (die Parteien sprechen hier vom Durchbuchen).
- 5
Im Streitzeitraum (Juli 2011 bis Ende Dezember 2012) hatte die ehemalige Mitbeklagte Frau Z. die Position der Kassenverwalterin im Bürgerbüro inne. Da Frau Z. gleichzeitig Personalratsvorsitzende war und auch als Systemadministratorin Aufgaben im Rahmen der IT wahrgenommen hatte, war sie häufiger nicht im Bürgerbüro anwesend. In dieser Zeit und zu ihren sonstigen Abwesenheitszeiten wurde sie nach dem Organisationsplan zunächst durch den Beklagten zu 2 vertreten und nach dessen Ausscheiden (sein letzter Arbeitstag war der 25. April 2012) von der Beklagten zu 1.
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Welche Regeln für die Führung der verschiedenen Kassen im Bürgerbüro seitens des klagenden Amtes aufgestellt waren, ist nicht vorgetragen. Fest steht nur, dass das Bargeld aus den Kassen, die jeder Beschäftigte im Bürgerbüro am Schreibtisch hatte (im Folgenden als Tischkassen bezeichnet), im Regelfall täglich zum Feierabend hin an die Hauptkasse im Bürgerbüro (im Folgenden als Bürokasse bezeichnet) übergeben wurde. Es ist allerdings unstreitig, dass das Geld zumindest gelegentlich auch zu einem späteren Zeitpunkt in die Bürokasse überführt wurde. Aus dem Vortrag der Parteien ergibt sich indirekt, dass mit dem Bargeld von den Tischkassen auch die ausgereichten händisch erstellten Quittungen an die Kassenverwalterin im Bürgerbüro weitergereicht wurden. Ob auch dann, wenn die Sachbearbeiterinnen am Tisch den Vorgang direkt in HESS gebucht hatten, beim Sammeln des Geldes noch Begleitdokumente beigefügt wurden (beizufügen waren), ist nicht vorgetragen. Ebenso ist nicht vorgetragen, ob bei Geldübergabe innerhalb der Bürgerbüros nochmals gezählt und quittiert wurde.
- 7
Das in der Bürokasse gesammelte Bargeld wurde, auch das ergibt sich indirekt aus dem Vortrag der Parteien, an die Amtskasse abgegeben. Das geschah wohl – näherer Sachvortrag liegt dazu nicht vor – im Regelfall durch die Einzahlung des Bargeldes auf ein Bankkonto des Amtes. Die Häufigkeit der Einzahlung ist nicht vorgetragen. Ebensowenig ist vorgetragen, ob die Verwalterin der Bürokasse im Bürgerbüro das vereinnahmte Bargeld abzurechnen hatte. Für eine über die Buchung in HESS hinausgehende Abrechnungspflicht ist jedenfalls nichts vorgetragen.
- 8
Hatte ein Bürger die Gebühren entrichtet, wurde von dem jeweiligen Sachbearbeiter im Bürgerbüro auf der Sachakte ein Zahlungsvermerk angebracht. Der Zahlungsvermerk war in Passangelegenheiten auch die Voraussetzung dafür, dass der Druckauftrag an die Bundesdruckerei ausgebracht wurde. Es ist unstreitig, dass bei Vorgängen, die diesen Zahlungsvermerk getragen haben, im weiteren Verwaltungsverfahren nicht mehr geprüft wurde (werden musste), ob tatsächlich eine Zahlung eingegangen und verbucht war. Für die Bearbeitung der Vorgänge in Passangelegenheiten stand zudem das Software-Programm MESO zur Verfügung. Dieses Programm macht die weitere Sachbearbeitung des Vorgangs unter anderem davon abhängig, dass dort vermerkt wird, dass Zahlung geleistet wurde. Ob dieser Vermerk händisch vorzunehmen war oder ob er automatisch per Datenaustausch mit dem Kassenprogramm HESS dort eingetragen wurde, ist unklar.
- 9
Bis in den Oktober 2011 hinein wurden Buchungen in der Amtskasse nur von der Kassenverwalterin im Bürgerbüro vorgenommen und zwar im Regelfall nach Übergabe der Tageseinnahmen aus den Tischkassen nebst den Doppeln der den Bürgern händisch ausgestellten Quittungen für die geleistete Zahlung. Für das Erstellen der Quittungen gab es vorgefertigte Quittungsblöcke, die selbst durchnummeriert waren und deren einzelne Quittungsformulare zusätzlich ebenfalls durchnummeriert waren. Ob und welcher Weise dieses Quittungswesen von dem klagenden Amt zur Kontrolle des Zahlungsverkehrs genutzt wurde, ist nicht vorgetragen. Die inzwischen noch beklagten Mitarbeiter (Beklagte zu 1 und 2) werfen der ehemaligen mitbeklagten Frau Z. vor, sie habe die Quittungsdoppel nach der "Durchbuchung" der Zahlungsvorgänge im Kassenprogramm HESS vernichtet ("geschreddert"). Frau Z. hatte dagegen behauptet, die Quittungsdoppel seien jeweils in der Sachakte abgeheftet worden. Bezüglich der verbrauchten Quittungsblöcke ist unstreitig, dass diese mehr oder weniger ungeordnet in einem abschließbaren Schrank ungenutzt gelagert wurden.
- 10
Seit Oktober 2011 sind dem Bürger als Nachweis seiner Zahlung Quittungen ausgereicht worden, die IT-gestützt durch das Kassenverwaltungsprogramm HESS generiert wurden. Eine solche Quittung konnte erst dann erstellt werden, wenn der Zahlungsvorgang zuvor in der Amtskasse gebucht wurde. Seit dieser Zeit nahmen also die einzelnen Sachbearbeiter am Arbeitsplatz die Buchungen im Kassensystem des Amtes unmittelbar selber vor und nicht mehr nachträglich die Kassenverwalterin des Bürgerbüros. Es wurden aber auch nach Oktober 2011 noch Zahlungseingänge dem Bürger gegenüber wie früher händisch quittiert. Dieser Behauptung der beiden Beklagten ist das klagende Amt nicht entgegengetreten.
- 11
Den Stein ins Rollen brachte im November 2012 ein Streit der ehemals mitbeklagten Frau Z. mit der jetzigen Beklagten zu 1, der im Urteil des Arbeitsgerichts eingehend geschildert ist, darauf wird Bezug genommen. Im Ergebnis offenbarten sich beide Beschäftigte jedenfalls noch im November 2012 gegenüber dem Amt. Beide haben sich dabei gegenseitig beschuldigt und vage Hinweise darauf gegeben, dass der Amtskasse durch Wegnahme oder Unterschlagung von Bargeld erheblicher Schaden zugefügt worden sein könnte.
- 12
Einige Wochen später hat das klagende Amt dann eine etwas gründlichere Prüfung aller Vorgänge im Bereich der Passangelegenheiten vorgenommen, wobei man sich auf die Zeit von Juli 2011 bis Ende Dezember 2012 beschränkt hat. Parallel dazu wurden auch Einzelheiten bezogen auf die Gewerbeangelegenheiten im Jahre 2012 geprüft.
- 13
Die Prüfung wurde anhand eines Vergleichs der Sachakten bzw. des Datenbestandes im Programm MESO mit der Amtskasse vorgenommen. Dabei wurde festgestellt, dass bei mehreren Hundert Vorgängen aus dem Bereich Passangelegenheiten im Streitzeitraum ein Zugang des Geldes in die Amtskasse nicht festgestellt werden konnte. Den sich daraus ergebenden Schaden hat das Amt anhand der entgangenen Gebühreneinnahmen ermessen und beziffert ihn auf 10.705,70 Euro. – Im Bereich der Gewerbeangelegenheiten, der allerdings auch nach dem Dafürhalten des klagenden Amtes nicht vergleichbar gründlich überprüft wurde, ergaben sich im Jahr 2012 insgesamt 30 Vorgänge, zu denen ein Geldzufluss in die Amtskasse nicht festgestellt werden konnte. Der Schaden in Form der nicht zugeflossenen Gebühren wird hier mit weiteren 750,00 Euro beziffert.
- 14
Der rechtshängig gemachte Schaden setzt sich aus den Einzelvorgängen zusammen, die das klagende Amt für das Jahr 2011 in der Anlage K 8 (dort Blatt 1 bis 18, in der Gerichtsakte Blatt 108 bis 126) zusammengestellt hat und für das Jahr 2012 in der Anlage K 12 (hier Blatt 241 ff). Beide Anlagen geben – überwiegend in der Reihenfolge des Zeitpunkts, zu dem der Vorgang aufgrund eines Antrages seitens des Bürgers eröffnet wurde – jeweils den Namen des Antragstellers wieder, das von ihm beantragte Dokument, die Höhe der dafür zu zahlenden Gebühr, das Datum der Antragstellung sowie die Nutzerkennung, unter der der Antrag im Programm MESO erfasst wurde. Außerdem ist jeweils vermerkt, wer von den drei verdächtigten Personen gemessen an der vom Amt geführten Abwesenheitsstatistik an den einzelnen Tagen im Dienst war. Die Einzelheiten der entgangenen Gebühren in Gewerbeangelegenheiten ergeben sich aus der Anlage K 10 (hier Blatt 128 ff). Die Aufstellung bezieht sich ausschließlich auf Vorgänge im Jahr 2012, sie weist die Namen der Antragsteller aus, das Datum der Zahlung sowie die Höhe der entrichteten Gebühr. Außerdem ist der Name der Person angegeben, mit dessen Nutzerkennung der Sachvorgang im Programm bearbeitet wurde.
- 15
Für Juli 2011 sind in der Anlage K 9 insgesamt 40 Vorgänge erfasst mit in Summe 1.327,00 Euro entgangenen Gebühren (hier Blatt 108 f). Für August 2011 sind in der Anlage K 9 insgesamt 61 Vorgänge erfasst mit in Summe 1.649,60 Euro entgangenen Gebühren (hier Blatt 110 bis 113). Für September 2011 sind in der Anlage K 9 insgesamt 30 Vorgänge erfasst mit in Summe 1.112,50 Euro entgangenen Gebühren (hier Blatt 114 bis 116). Für Oktober 2011 sind in der Anlage K 9 insgesamt 42 Vorgänge erfasst mit in Summe 1.500,80 Euro entgangenen Gebühren (hier Blatt 117 bis 119). Für November 2011 sind in der Anlage K 9 insgesamt 52 Vorgänge erfasst mit in Summe 1.551,10 Euro entgangenen Gebühren (hier Blatt 120 bis 122). Für Dezember 2011 sind in der Anlage K 9 insgesamt 34 Vorgänge erfasst mit in Summe 951,30 Euro entgangenen Gebühren (hier Blatt 123 bis 125). Für das streitgegenständliche 2. Halbjahr 2011 ergeben sich also entgangene Gebühren in Höhe von 8.092,30 Euro aus insgesamt 259 Vorgängen.
- 16
Für das Jahr 2012 sind bis zum 25. April 2012 (letzter Arbeitstag des Beklagten zu 2) in der Anlage K 12 (hier Blatt 241 ff) insgesamt 42 Vorgänge erfasst mit entgangenen Gebühren im Umfang von 1.154,80 Euro. Für das restliche Jahr 2012 nach dem 25. April 2012 sind in der Anlage K 12 (hier Blatt 241 ff) weitere 54 Vorgänge erfasst mit entgangenen Gebühren im Umfang von 1.458,60 Euro.
- 17
In der Anlage K 10 (hier Blatt 128 ff) betreffend das nicht auffindbare Geld in Gewerbeangelegenheiten sind 30 Vorgänge aufgeführt mit in Summe 750,00 Euro entgangener Gebühren.
- 18
Der rechtshängig gemachte Gesamtschaden beläuft sich demnach auf 11.455,70 Euro und er beruht auf 385 Einzelvorgängen.
- 19
Aufgrund der Einlassungen der ehemals mitbeklagten Frau Z. und der hiesigen Beklagten zu 1 geht das Amt inzwischen davon aus, dass das von den Bürgern vereinnahmten Bargeld nicht vollständig an die Amtskasse weitergeleitet, sondern von allen drei Beschäftigten des Bürgerbüros privat entnommen wurde. Um diesen Geldabfluss zu vertuschen, seien früher, als es noch die händisch erstellten Quittungen gab, in entsprechendem Umfang Quittungsdoppel vernichtet worden, so dass bei oberflächlicher Prüfung die Kasse stimmig erschien. Ab Oktober 2011, als die Quittungen überwiegend nach Buchung der Zahlung im Kassenverwaltungsprogramm HESS erteilt wurden, sei man dazu übergegangen, in diesem Programm nachträglich Stornobuchungen vorzunehmen, um so die Kasse trotz der Entwendung von Bargeld formal wieder zum Ausgleich zu bringen. In diesem Zusammenhang ist es unstreitig, dass die Stornierung von Zahlungseingängen im Programm HESS nicht automatisch im Programm für Meldeangelegenheiten (MESO) sichtbar wurden; die technisch angeblich vorhandene Möglichkeit der Koppelung der beiden Programme zum Zwecke des Datenaustauschs wurde entweder nie eingerichtet oder sie hat zu keiner Zeit richtig funktioniert.
- 20
Es ist nicht auf direktem Wege möglich, die rechtshängig gemachten Einzeltaten einer bestimmten Person zuzuordnen. Die Stornobuchungen im Kassenverwaltungsprogramm HESS kann man nicht mit Sicherheit anhand der dabei benutzten Zugangsdaten zum Programm einem bestimmten Beschäftigten zuordnen, da unstreitig alle drei Beschäftigte im Bürgerbüro die Zugangsdaten zu dem Programm (einschließlich des Passwortes) der jeweils beiden anderen kannten. Diese gegenseitige Bekanntgabe der Zugangsdaten hatte zumindest auch einen sachlichen Kern. Insbesondere soweit die Beklagte zu 1 oder der Beklagte zu 2 Frau Z. in ihrer Position als Verwalterin der Bürokasse vertreten haben, haben sie sich immer mit der Kennung der Frau Z. in dem Programm angemeldet. Ähnliche Sachzwänge soll es bei unbaren Zahlungen gegeben haben, da diese nur über einen bestimmten Computer abgewickelt werden konnten, bei dem man sich dann immer mit der Kennung des Stammnutzers des Gerätes angemeldet hatte.
- 21
Auch der Abgleich der beim klagenden Amt geführten Abwesenheitsstatistik der Mitarbeiter mit den Zeitpunkten, zu denen die Vorgänge im Computer angelegt wurden (nach Auffassung des klagenden Amtes identisch mit dem Tatzeitpunkt), bringt keine Ergebnisse, die auf eine Person hindeuten. Überwiegend wurden die Anträge zu Zeitpunkten aufgenommen, zu denen im Bürgerbüro alle oder jedenfalls mehrere der drei verdächtigten Beschäftigten anwesend waren. Nur für wenige Tage konnte festgestellt werden, dass nur eine einzige der drei verdächtigten Personen im Dienst war und an diesem Tag auch Vorgänge angelegt wurden, für die ein Zahlungseingang in den Büchern nicht nachweisbar ist. Tage, für die diese beiden Bedingungen erfüllt waren, gab es bezüglich aller drei verdächtigten Personen, der sich daraus ergebende Verdacht lastet auf allen drei Beschäftigten etwa gleichmäßig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen K 9 (hier Blatt 108 ff) und K 12 (hier Blatt 241 ff) Bezug genommen. Das klagende Amt hat aus diesem Befund die Folgerung abgeleitet, alle drei verdächtigten Beschäftigte wären in die aufgezeigten Möglichkeiten der unauffälligen Bargeldabzweigung eingeweiht gewesen und hätten diese auch für sich genutzt. Außerdem hätten die drei Verdächtigten die Taten des jeweils anderen zumindest schweigend hingenommen, wenn nicht gar gebilligt.
- 22
Während des Rechtsstreits hat das beklagte Amt die Prüfung auf Anregung des Beklagten zu 2 auch auf die Zeit vor Juli 2011 ausgedehnt. Aufgrund dieser Recherchen geht das klagende Amt inzwischen davon aus, dass ihr allein im ersten Halbjahr 2011 weitere 2.578,00 Euro durch vereinnahmte aber nicht zur Kasse gelangte Gebühren in Passangelegenheiten verloren gegangen sind. Die Ersetzung dieses Schadens ist aber nicht rechtshängig gemacht worden.
- 23
Im weiteren Verlauf hat das Amt dann am 13. März 2013 Strafanzeige gegen alle drei Beschäftigte erstattet. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Schwerin ist im Oktober 2015 zumindest gegenüber den beiden jetzt noch beklagten Personen nach § 170 Absatz 2 StPO eingestellt worden, da ein Tatnachweis nicht geführt werden konnte (hier Blatt 476 und 478). In der mündlichen Verhandlung haben die beiden Beklagten berichtet, sie seien im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht vernommen worden. Das Gericht geht davon aus, dass das Verfahren auch gegenüber der ehemals mitbeklagten Frau Z. eingestellt wurde. Parteivortrag dazu liegt allerdings nicht vor.
- 24
Das Arbeitsverhältnis zu Frau Z. wurde durch Aufhebungsvertrag im Frühjahr 2013 beendet. Das Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu 1 ist im Frühjahr 2013 durch Kündigung seitens des Amtes und einem nachfolgenden Beendigungsvergleich beendet worden. Das Arbeitsverhältnis zum Beklagten zu 2 war schon lange Zeit vorher im April oder Mai 2012 durch außerordentliche Kündigung beendet worden, da sich herausgestellt hatte, dass der Beklagte zu 2 während seiner Dienstzeit für das Ostseebad B-Stadt, das sich erst im Juli 2011 dem Amt angeschlossen hatte, für seine Lebensgefährtin Wohngeld bewilligt hatte, obwohl die Voraussetzungen dazu nicht vorgelegen hatten. Sein letzter Arbeitstag war der 25. April 2012.
- 25
Die Beklagten sind im März 2013 außergerichtlich durch das Amt mit Fristsetzung zum 10. April 2013 aufgefordert worden, den Schaden zu ersetzen. Das haben alle drei verdächtigten Personen abgelehnt.
- 26
Die Schadensersatzklage im Umfang von 11.455,70 Euro gerichtet gegen die drei verdächtigten Personen ist im Juni 2014 beim Arbeitsgericht eingegangen. Das Arbeitsgericht Schwerin hat der Klage mit Urteil vom 21. Mai 2015 zum überwiegenden Teil entsprochen (5 Ca 1043/14). In der Hauptsache hat das Arbeitsgericht wie folgt entschieden:
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1. Die Beklagten [zu 1 und 2] werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 6.570,50 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.04.2013 zu zahlen. Die Zahlungspflicht reduziert sich bei eventuellen Zahlungen der [ehemals mitbeklagten Frau Z.] auf die Forderung.
- 28
2. Die Beklagte [zu 1] wird verurteilt, an die Klägerin 2.208,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.04.2013 zu zahlen. Die Zahlungspflicht reduziert sich bei eventuellen Zahlungen der [ehemals mitbeklagten Frau Z.] auf die Forderung.
- 29
Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.
- 30
Die beiden noch am Rechtsstreit beteiligten Beklagten verfolgen mit ihren rechtzeitig eingelegten und fristgerecht begründeten Berufungen nach wie vor das Ziel der vollständigen Abweisung der Klage. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen zum Zwecke der gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
- 31
Die beiden Beklagten beantragen jeder für sich, in der Sache jedoch gleichlautend,
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das arbeitsgerichtliche Urteil, soweit darin die Beklagten zur Zahlung verurteilt wurden, abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen.
- 33
Das klagende Amt beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 35
Das klagende Amt verteidigt das angegriffene Urteil mit Rechtsargumenten.
- 36
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist erfolgreich. Dem klagenden Amt ist es nicht gelungen, die notwendigen Voraussetzungen für eine schlüssige Schadensersatzklage gegen die beiden ehemaligen Mitarbeiter darzulegen.
I.
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Mit dem Arbeitsgericht geht das Berufungsgericht davon aus, dass Arbeitnehmer zumindest auch aufgrund der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Absatz 2 BGB verpflichtet sind, Bargeld, das ihnen von Dritten zur Begleichung von Schulden gegenüber dem klagenden Amt übergeben wurde, vollständig an das berechtigte Amt weiterzuleiten. Es steht auch außer Zweifel, dass eine vorsätzliche Verletzung dieser Pflicht, den Arbeitnehmer zum Schadensersatz verpflichtet. Gleiches würde auch dann gelten, wenn sich das Geld bereits im Besitz des klagenden Amtes befunden haben sollte und es dann von einem dort beschäftigten Arbeitnehmer rechtswidrig an sich genommen wird.
- 39
Das Gericht kann die Beklagten nicht zur Zahlung von Schadensersatz verurteilen, da der Nachweis, dass die Beklagten sich in der aufgezeigten Weise rechtswidrig verhalten haben, nicht geführt ist.
- 40
Für keinen einzigen der insgesamt 385 Einzelvorgänge kann das klagende Amt einen direkten Tatnachweis führen. Da die Beklagten ihre Tatbeteiligung bestreiten, könnte ein solcher Nachweis nur über geeignete Indizien geführt werden. Die gegebenen Indizien belasten zwar beide Beklagte mit einem nicht unerheblichen Verdacht. Die gegebenen Verdachtsmomente reichen jedoch nach Überzeugung des Berufungsgerichts nicht aus, um die Beklagten bezüglich der rechtshängig gemachten Vorgänge zu überführen.
1.
- 41
Die 101 Vorgänge, die das Amt aus Juli und August 2011 mit dem Gesamtwert in Höhe von 2.976,60 Euro rechtshängig gemacht hatte, bedürfen keiner weiteren Erörterung mehr, da die Klage insoweit durch das Arbeitsgericht abgewiesen wurde und das Amt keine Berufung eingelegt hat.
- 42
Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil die teilweise Klageabweisung doppelt begründet. Zum einen hat es argumentiert, für die Zeit der ersten beiden Monate des Streitzeitraums (Juli und August 2011) könne man – jedenfalls bezogen auf den Beklagten zu 2 – noch nicht von Mitwisserschaft ausgehen, weshalb die Klage insoweit abzuweisen sei. Zum anderen hat es die Unschlüssigkeit der Klage aber auch auf den auf allen Einzelvorgängen lastenden Gedanken des Mitverschuldens des klagenden Amts im Sinne von § 254 BGB gestützt. Bereits mit dem gerichtlichen Hinweis an die Parteien vom 10. Februar 2016 hat der Kammervorsitzende zum Ausdruck gebracht, dass er dazu neige, von der rechtskräftigen Klageabweisung für die Monate Juli und August 2011 auszugehen. Weitere Stellungnahmen dazu sind nicht eingegangen. Da das Arbeitsgericht seine Verurteilung auf der These der allseitigen Mitwisserschaft aller drei verdächtigten Personen aufbaut, es diese Mitwisserschaft jedoch für die Monate Juli und August 2011 beim Beklagten zu 2 nicht festgestellt hat, muss davon ausgegangen werden, dass die Klageabweisung auf der Feststellung der Unschlüssigkeit der Klage für diese beiden Monate beruht.
- 43
Da das klagende Amt keine Berufung eingelegt hat, ist die Klage insoweit rechtskräftig abgewiesen.
2.
- 44
Die Klage ist unschlüssig, soweit es die rechtshängig gemachten Vorgänge aus dem Jahre 2012 betrifft. Das betrifft 96 Vorgänge mit einer Forderung in Höhe von 2.613,40 Euro. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 12 verwiesen.
a)
- 45
Die Klage ist unschlüssig, soweit das Amt geltend macht, die Entwendung des Geldes sei durch Stornierung der zuvor im Programm HESS verbuchten Zahlungseingänge begleitet worden. Das ergibt sich aus der vom klagenden Amt vorgelegten Anlage K 14 mit den Stornovorgängen aus dem Jahr 2012.
- 46
Nach dem Vortrag des klagenden Amtes bestand seit Oktober 2011 die Weisungslage, Quittungen nicht mehr händisch zu erstellen. Vielmehr sollten die Sachbearbeiter bei Zahlung durch den Bürger diese sofort selbst im Programm HESS verbuchen und dann dem Bürger die von HESS erstellte Quittung überreichen. Die beiden Beklagten haben zwar vorgetragen, auch danach sei noch mit händischen Quittungen gearbeitet worden, im ersten Zugriff kann man aber zunächst davon ausgehen, dass im gesamten Jahr 2012 bei regelgemäßem Verhalten, die Bargeldzuflüsse unmittelbar am Schreibtisch in HESS verbucht werden sollten, und der Bürger dann eine von HESS erstellte Quittung bekommt.
- 47
Aus der als Anlage K 14 überreichten Liste aller stornierten Vorgänge im Kassenprogramm HESS das Jahr 2012 betreffend ergibt sich allerdings, dass es zu keinem einzigen der rechtshängig gemachten Vorgänge aus dem Jahr 2012 eine Entsprechung in der Stornoliste (Anlage K 14) gibt.
- 48
Die vom klagenden Amt erstellte Anlage K 14 (hier Blatt 287 ff) ist zwar weder schriftsätzlich noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom Amt näher erläutert worden. Aus den Angaben in der Liste kann allerdings geschlossen werden, dass es sich um eine IT-gestützt durch das Kassenverwaltungsprogramm HESS erstellte Liste in Form eines reports handelt. Ausweislich der Kopfzeile handelt es sich um eine (vollständige) Liste aller Stornierungen aus dem Jahre 2012. Die Liste umfasst rund 310 Bearbeitungsvorgänge zu rund 250 Personen. Zu jeder antragstellenden Person ist ein Datum festgehalten, die Benutzerkennung, die den Vorgang ausgelöst hat, der Name des Bürgers, auf den sich der Vorgang bezieht und der Betrag, der zu entrichten war bzw. der storniert wurde. – Bedauerlicherweise konnte auch im Rahmen der Erörterung vor dem Landesarbeitsgericht die Frage nicht beantwortet werden, welches Ereignis in der Liste mit dem Datum gekennzeichnet ist, ob es sich also um das Datum handelt, zu dem der Zahlungseingang verbucht wurde, oder um das Datum, zu dem der Zahlungseingang storniert wurde. Leider konnte auch nicht geklärt werden, ob die jeweils ausgewiesene Nutzerkennung, mit Hilfe derer auf den Bearbeiter geschlossen werden kann (BN102, BN115, BN116), bei Buchung des Zahlungseingangs oder bei Stornierung der Zahlung verwendet wurde. Ebenfalls nicht geklärt werden konnte die Bedeutung der Abkürzungen "VN…" und "AN…" die bei jedem Vorgang auftauchen.
- 49
Trotz der dadurch nur eingeschränkten Aussagekraft der Liste hat das Gericht versucht nachzuvollziehen, ob die vom Amt behaupteten Stornovorgänge aus dem Jahr 2012 sich in der Liste widerspiegeln. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Für keinen einzigen der rechtshängig gemachten 96 Vorgänge aus dem Jahr 2012 findet sich eine Entsprechung in der Stornoliste K 14. Soweit man auf das Datum der Antragstellung und auf den Namen des Bürgers aus der Anlage K 12 abstellt, findet man in der Anlage K 14 keine einzige Angabe, die auf einen der rechtshängigen Vorgänge hindeutet. Das Gericht hat sich dann noch der Mühe unterzogen und hat den Vergleich allein anhand der 96 Namen aus der Anlage K 12 im Abgleich zu den 250 Namen aus der Stornoliste (Anlage K 14) vorgenommen. Hier gibt es lediglich eine einzige Namensübereinstimmung (B., G.). Trotz der Namensübereinstimmung handelt es sich jedoch um zwei verschiedene Vorgänge. Frau B. hat im Februar 2012 einen Personalausweis beantragt und bezahlt. Ein Zahlungseingang zur Amtskasse kann diesbezüglich nach Angaben des Amtes jedoch nicht festgestellt werden, weshalb das Amt die dadurch entgangenen 28,80 Euro eingeklagt hat. In der Stornoliste taucht dieselbe Person nur unter der Nummer 293 (hier Blatt 314) auf, dort ging es aber ausweislich der Anlage K 14 um eine Gewerbeanmeldung mit einer Gebühr in Höhe von 26,00 Euro.
- 50
Da die Stornoliste nach Darstellung des Amtes vollständig sein soll, kann das Gericht daraus nur den Schluss ziehen, dass kein einziger der rechtshängig gemachten Vorgänge in Passangelegenheiten aus dem Jahr 2012 durch die Stornierung von Zahlungseingängen im Programm HESS vertuscht wurde. Ohne Kenntnis des zur Tat gehörenden Vertuschungsvorgangs können die Beklagten aber nicht zur Zahlung verurteilt werden, da die Vertuschung der Taten noch das greifbarste Indiz für die Taten selbst ist. Die Behauptung des klagenden Amtes, die Beklagten hätten ihre Taten durch Stornobuchungen in HESS vertuscht, muss bezüglich der rechtshängig gemachten Vorgänge als nicht nachvollziehbar bewertet werden.
b)
- 51
Selbst wenn man zu Gunsten des Amtes davon ausgeht, es hätte sich jedenfalls hilfsweise den Vortrag der Beklagten zu eigen gemacht, dass es auch nach Oktober 2011 – entgegen der Weisungslage – noch händisch erstellte Quittungen gegeben, würde das dem Amt nicht helfen, da bei den rechtshängig gemachten Vorgängen nicht kenntlich gemacht ist, welche mit der Tatvariante des Vernichtens der Quittungsdoppel begangen worden sein soll. Dazu fehlt es an entsprechendem Parteivortrag. Da man die Bürger, die die Gebühren entrichtet haben, dazu hätte befragen können, welcher Art von Quittung sie erhalten haben, bestand für das klagende Amt insoweit auch keine Beweisnot.
c)
- 52
Die Klage ist auch nicht gegenüber der Beklagten zu 1 teilweise schlüssig, soweit diese Taten in ihrer Anhörung vom 5. Dezember 2012 eingeräumt haben soll.
aa)
- 53
In der Hauptbegründung geht das Gericht davon aus, dass die Beklagte zu 1 in der Anhörung zwar eingeräumt hat, sich zwischen dem 25. Oktober und dem 5. Dezember 2012 an Kassenmanipulationen beteiligt zu haben, dass dies sich aber nicht auf die für diese Zeit eingeklagten Vorgänge bezogen haben kann.
- 54
Die Beklagte zu 1 hat in ihrer Anhörung vom 5. Dezember 2012 (zur Gerichtsakte als Anlage zur Strafanzeige gelangt, hier Blatt 106 f) eingeräumt, dass ihr die "Methodik der Abschreibung" von Kassendifferenzen bekannt sei. Sie berichtet davon, dass sie diese Methodik der Leitenden Verwaltungsbeamtin (LVB) bereits am 25. Oktober 2012 aus Anlass einer aufgetauchten und der LVB gemeldeten Kassendifferenz im Einzelnen erläutert habe (Punkt 6 des Anhörungsprotokolls). Weiter schildert dort die Beklagte zu 1, dass sie und Frau Z. sodann besprochen hatten, diese Kassendifferenz durch die aufgezeigte Methode der Abschreibung nach und nach zum Ausgleich zu bringen. Sollte dies nicht bis zur anstehenden Kassenprüfung des Landkreises möglich sein, wollte Frau Z. sodann die noch verbleibende Differenz vorläufig durch Einlegung von Privatgeld in die Kasse zum Ausgleich bringen. Nach Abschluss der Kassenprüfung des Landkreises, sollte Frau Z. sodann nach und nach das Bargeld wieder entnehmen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu 1 mitgeteilt, dieser Plan sei in Anwesenheit der LVB am 25. Oktober 2012 so besprochen worden. In diesem Zusammenhang behauptet die Beklagte zu 1 auch, Frau Z. hätte tatsächlich 170,00 Euro von ihrem Privatgeld der Kasse zugeführt. Außerdem hat sich die Beklagte zu 1 in der Anhörung dahin eingelassen, sie habe sich an den Stornobuchungen beteiligt, soweit es um den Ausgleich des Geldes gegangen sei, das Frau Z. der Kasse aus ihrem Privatvermögen zugeführt habe, ansonsten hätte sie ihr Wissen zu den Stornobuchungen nie angewendet.
- 55
Eine teilweise Verurteilung der Beklagten zu 1 aufgrund dieser Offenbarung eines Tatplans durch sie im Oktober 2012 scheitert, da nicht festgestellt werden kann, dass er durch die rechtshängig gemachten Vorgänge umgesetzt wurde.
- 56
Das ergibt sich bereits aus den obigen Ausführungen zu den generellen Problemen der rechtshängig gemachten Vorgänge aus dem Jahre 2012. Im Übrigen muss die Beklagte zu 1 so verstanden werden, dass sie sich die Kenntnisse der "Methodik der Abschreibung" selbst am Computer erarbeitet hat. Man kann daher lediglich davon ausgehen, dass sie sich darauf verstand, Zahlungen durch Stornobuchungen verschwinden zu lassen. Dafür, dass sie auch Kenntnis hatte, wie man Zahlungen durch die Vernichtung von Quittungsdoppeln verschwinden lassen kann, gibt es keine Anhaltspunkte.
bb)
- 57
Selbst wenn man hilfsweise zu Gunsten des klagenden Amtes unterstellt, dass die Beklagte zu 1 in ihrer Anhörung vom 5. Dezember 2012 (hier Blatt 106 f) die Beteiligung an den Stornovorgängen zur Verdeckung der Entnahme von Geld eingeräumt hat, kann das Gericht sie nicht in diesem Umfang auf Zahlung von Schadensersatz verurteilen.
- 58
Denn die Beklagte zu 1 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht bestätigt, dass sie in der Anhörung vom 5. Dezember 2012 den dort Anwesenden erklärt hatte, dass die LVB in den Plan zum Ausgleich des Defizits in der Kasse eingeweiht war. Sie hat diese Behauptung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht aufrechterhalten. Das klagende Amt hat sich zu dieser Behauptung zu keinem Zeitpunkt näher eingelassen, sie gilt damit prozessual als zugestanden.
- 59
Die streitige Behauptung ergibt sich mittelbar aus Ziffer 6 der Niederschrift zur Anhörung vom 5. Dezember 2012 (hier Blatt 106 f). Der Punkt beginnt mit der Schilderung, die LVB hätte angeordnet, für den Fall, dass demnächst die Kassenprüfung des Landkreises durchgeführt werde, die Bürokasse des Bürgerbüros gar nicht zu erwähnen, sondern nur die Handkassen am Schreibtisch zur Prüfung zugänglich zu machen ("Sollte … eine Kassenprüfung erfolgen, sollte nur die Handkasse gezeigt werden"). Nach der Niederschrift hat die Beklagte zu 1 sodann geschildert, Frau Z. habe in dem Gespräch am 25. Oktober 2012 sodann vorgeschlagen, "schon immer mal was abzuschreiben". In der Niederschrift heißt es dazu weiter, die Beklagte zu 1 habe sodann die "Methodik der Abschreibung" näher erläutert. Diese Erläuterung kann nach Lage der Dinge nur der LVB gegolten haben, denn Frau Z. brauchte diese Methodik nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Parteien nicht mehr erläutert zu werden. Damit hat die Beklagte zu 1 in der außergerichtlichen Anhörung substantiiert zur Mitwisserschaft der LVB vorgetragen. Die Niederschrift zur Anhörung am 5. Dezember 2012 ist von Frau S., stellvertretende LVB, erstellt worden. Diese Person hat für das Amt an der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht teilgenommen. Der Kammervorsitzende hatte dazu in der mündlichen Verhandlung an Frau S. gerichtet geäußert, man habe den Eindruck, dass die seinerzeitige Einlassung der Beklagten zu 1 eindeutig war, man jedoch bei Abfassung der Niederschrift dazu möglicherweise bemüht gewesen war, die klare Aussage der Beklagten zu 1 zum Kenntnisstand der LVB in der Niederschrift "zwischen den Zeilen zu verstecken". Dem ist Frau S. nicht entgegengetreten.
- 60
Wenn das Gericht danach davon ausgehen muss, dass die LVB in den Tatplan zur Bereinigung der Kassendifferenz eingeweiht war, ist der Weg zur Schadensteilung nach § 254 BGB eröffnet. Im Rahmen dieser Schadensteilung muss sich das klagende Amt das Verhalten seiner Führungsperson (LVB) wie eigenes Verhalten zurechnen lassen (BAG 19. Februar 1998 - 8 AZR 645/96 - AP Nr. 8 zu § 254 BGB = NJW 1998, 2923 = DB 1998, 1470). Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Kassendifferenz aus Oktober 2012 auf Betreiben der Beklagten zu 1 der LVB gemeldet wurde und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte zu 1 im November 2012 durch ihren Anruf bei Frau Z. den Stein ins Rollen brachte, hält es das Landesarbeitsgericht für richtig, die Mithaftungsquote der Beklagten zu 1 im Rahmen von § 254 BGB für die – hier im Rahmen der Hilfsüberlegung als gegeben unterstellte – zugestandene Mitwirkung an dem rechtswidrigen Ausgleich der Kassendifferenz aus Oktober 2012 auf Null zu reduzieren.
3.
- 61
Die Klage ist auch unschlüssig, soweit es Vorgänge aus den bisher noch nicht behandelten Monaten (September bis Dezember 2011) betrifft. Es handelt sich um 158 Einzelvorgänge, aus denen das Amt eine Forderung in Höhe von 5.115,70 Euro ableitet.
a)
- 62
Die Klage ist für die Monate Oktober bis Dezember 2011 unschlüssig.
- 63
Seit Oktober 2011 hat die Weisung bestanden, dass die Sachbearbeiter im Bürgerbüro die Zahlungseingänge direkt in HESS verbuchen sollten. Die Taten konnten seit diesem Zeitpunkt also nicht mehr durch Vernichtung händisch erstellter Quittungsdoppel verdeckt werden, es ging nur noch durch die Zahlungsstornierung im Programm HESS. Die Beklagten habe bestritten, entsprechende Stornierungen vorgenommen zu haben. Dem ist das Amt nicht mit substantiiertem Vortrag zu den Stornovorgängen entgegengetreten. Mit dem vergleichenden Blick auf den fehlgeschlagenen Versuch, entsprechende Stornierungen zu Vorgängen aus dem Jahr 2012 nachzuweisen (siehe oben) bedarf es insoweit auch keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung.
b)
- 64
Die Klage ist auch bezogen auf die aus September 2011 rechtshängig gemachten Vorgänge unschlüssig.
- 65
In diesem Zeitraum war der Zahlungsfluss noch so organisiert, dass die Sachbearbeiter das Bargeld der Bürger annehmen und dafür händisch eine Quittung ausstellen. Das im Laufe des Arbeitstages eingenommene Bargeld ist dann zum Feierabend bei der Kassenverwalterin des Bürgerbüros nebst den gesammelten Quittungsdoppel abgegeben worden. Die Kassenverwalterin musste dann die Zahlungsvorgänge "durchbuchen" und das Geld sodann – im Regelfall durch Einzahlung bei der Bank – der Amtskasse zuführen. Das weitere Schicksal der Quittungsdoppel ist nicht vorgetragen, die Beklagten behaupten, die Doppel seien nach dem "Durchbuchen" vernichtet worden.
- 66
Das klagende Amt baut die Klage auf der Hypothese auf, das Bargeld sei zeitnah zu seiner Vereinnahmung aufgrund der Zahlung durch die Bürger veruntreut worden. Das Amt sieht daher die Beklagten schon aufgrund des Umstandes als belastet an, dass jeder der beiden und Frau Z. die Vorgänge, die zur Zahlung geführt haben, im Computer bearbeitet hat. Diese These reicht zu Zuordnung der Verdachtsmomente schon deshalb nicht aus, da das Geld stets durch zwei Hände gegangen ist, nämlich die des Sachbearbeiters, der das Geld in Empfang genommen hat und durch die der Kassenverwalterin, die das Geld eingesammelt und der Amtskasse zugeführt hat. Für beide Personen hatte stets die Gelegenheit bestanden, Bargeld zu entnehmen und dies dadurch zu vertuschen, dass man in entsprechendem Umfang Quittungsdoppel vernichtet. Schon damit scheidet die Zuordnung einzelner der rechtshängig gemachten Vorgänge durch die Ermittlung der Person, die das Bargeld in Empfang genommen hat, als verwertbares Verdachtsmoment aus.
- 67
Die auffällig deutliche fehlende Kongruenz zwischen den rechtshängig gemachten Vorgängen aus 2012 und der für das Jahr 2012 vorliegenden Stornoliste (Anlage K 14) zwingt allerdings noch zu einer noch ganz anderen Folgerung. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Verdeckungstaten (Stornobuchungen oder Quittungsvernichtung) losgelöst von dem Zahlungsvorgang vorgenommen wurden. Mit anderen Worten: Wenn Bargeld entnommen wurde, wurde nicht der dazugehörende Sachvorgang oder ein Sachvorgang vom selben Tag manipuliert, sondern man hat sich offensichtlich beliebige andere Sachvorgänge rausgesucht (raussuchen können), und dort Stornierungen vorgenommen. Damit verliert aber der Hinweis auf die Person, die den Sachvorgang aufgenommen hat, letztlich jeglichen Aussagewert in Hinblick auf die Täterschaft.
- 68
Da es im Amt nicht üblich war, das tatsächlich vereinnahmte Bargeld mit dem nach den Buchungsvorgängen in HESS zu erwartenden Geldzufluss routinemäßig und regelmäßig abzugleichen, war die Möglichkeit eröffnet, beliebige Buchungsvorgänge – auch aus einer weit zurückliegenden Zeit – nachträglich zu stornieren, um eine spätere rechtswidrige Bargeldentnahme zu vertuschen. Das liegt für die Zeit, in der die Quittungen über das Kassenprogramm HESS ausgestellt wurden, auf der Hand, denn – so der Erkenntnisstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung – in diesem Falle gab es nicht einmal mehr Quittungsdoppel, die begleitend zur Bargeldübergabe innerhalb des Bürgerbüros oder von der Bürokasse im Bürgerbüro zur Amtskasse weitergegeben werden mussten.
- 69
Für die Zahlungsvorgänge, die im Bürgerbüro händisch mittels der Quittungsblöcke quittiert wurden, gilt im Ergebnis allerdings auch nichts Anderes. Trotz der Auflage des Kammervorsitzenden vom 10. Februar 2016 (hier Blatt 495 ff) ist vom klagenden Amt nicht weiter vorgetragen worden, ob und wie die Quittungsdoppel zur Kontrolle des Geldzuflusses genutzt wurden, und die Einlassungen der beiden Beklagten dazu lassen befürchten, dass diese Kontrollchance nicht genutzt wurde. Wenn den Tätern die fehlende Kontrolle des Geldflusses bekannt war, war es sogar bei den händisch erstellten Quittungen ohne weiteres möglich, den Vertuschungsvorgang (Vernichten von Quittungsdoppeln) vom eigentlichen Tatvorgang zeitlich zu entkoppeln. Denn nach dem "Durchbuchen" der Zahlungseingänge in dem Programm HESS wurden die erstellten Quittungen nicht mehr systematisch gesammelt, der Zahlungseingang war dann allein durch die Eintragung im Programm HESS nachweisbar. Damit konnte er dort auch durch eine Stornobuchung ungeschehen gemacht werden.
4.
- 70
Die Klage ist auch unschlüssig, soweit es die 30 Vorgänge aus dem Bereich der Gewerbeangelegenheiten aus dem Jahre 2012 mit den entgangenen Gebühren im Umfang von 750,00 Euro betrifft (Zusammenstellung in der Anlage K 10).
- 71
Die Nennung der Person, die den Vorgang jeweils aufgenommen und damit das Geld vereinnahmt hat, gibt nur ein schwaches Indiz für die Täterschaft, da davon ausgegangen werden muss, dass alle drei verdächtigten Personen regelmäßig Vorgänge auch mit fremder Nutzerkennung aufgenommen haben.
- 72
Eine weitere Eingrenzung des Täterkreises für diese Vorgänge über die Ermittlung der an den einzelnen Tagen im Bürgerbüro anwesenden Personen ist vom klagenden Amt für den Bereich der Gewerbeangelegenheiten nicht einmal versucht worden. Im Übrigen leidet die Anlage K 10 an dem Umstand, dass bei ihrer Erstellung die Recherche noch nicht abgeschlossen war, eine spätere Ergänzung der Liste jedoch unterblieben ist. Das ergibt sich aus den Angaben in der 4. Spalte der Zusammenstellung, in der laut der Überschrift zu der Spalte das "Datum der Einzahlung" festgehalten ist. In sieben Zeilen findet sich der Eintrag "Nachweis des Gewerbetreibenden fehlt noch; bisher nur telefonische Anfrage". Für diese Vorgänge fehlt es also vollständig an einem Versuch der personellen Zuordnung zu einer der verdächtigten Personen. In weiteren 4 Zeilen steht kein Datum, sondern nur die Angabe "Nachweis durch Gewerbetreibenden vorgelegt". Damit sind auch die Vorgänge ungeeignet für eine personelle Zuordnung.
- 73
Der Abgleich der verbleibenden 19 Vorgänge mit der Stornoliste 2012 (Anlage K 14) ergibt zwar einige Übereinstimmungen, die jedoch letztlich auch nicht dafür taugen, den Verdacht auf eine der beiden Beklagten zu lenken.
- 74
Die Stornierung im Vorgang L. hat Frau Z. vorgenommen (223 in der Anlage K 14, hier Blatt 307), die nicht mehr am Rechtsstreit beteiligt ist. Das gilt ebenso für den Vorgang L., dessen Stornierung unter der Nr. 262 in der Anlage K 14 dokumentiert ist (hier Blatt 311), und den Vorgang S., dessen Stornierung unter der Nr. 248 in der Anlage K 14 dokumentiert ist (hier Blatt 309). Der Vorgang P. ist laut Stornoliste (Nr. 251, hier Blatt 310) vom Beklagten zu 2 am 27. September 2012 storniert worden, der jedoch zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr Arbeitnehmer des Amtes war. Der Vorgang K. ist laut Stornoliste (Nr. 191, hier Blatt 304) vom Beklagten zu 2 am 14. August 2012 storniert worden, der jedoch zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr Arbeitnehmer des Amtes war. Die Stornierung im Vorgang K. hat Frau Z. vorgenommen (242 in der Anlage K 14, hier Blatt 309), die nicht mehr am Rechtsstreit beteiligt ist. Dies gilt auch für den Vorgang B. (293 der Anlage K 14, hier Blatt 314). Bis auf den Vorgang G. (dazu sogleich) gibt es keine weiteren Übereinstimmungen zwischen der Anlage K 10 und der Stornoliste (Anlage K 14).
- 75
Somit verbleibt nur der Vorgang G. (093 der Anlage K 14, hier Blatt 295), der den Beklagen zu 2 erheblich belastet. Die Quittung für diesen Zahlungseingang wurde unter dem 24. April 2012 ausgestellt und der Vorgang wurde unter der Kennung des Beklagten zu 2 aufgenommen. Die Stornierung dieser Zahlung erfolgte noch am selben Tag und sie wurde – wenn man die Stornoliste im Sinne des Amtes interpretiert – mit der Benutzerkennung des Beklagten zu 2 vorgenommen. Für eine Verurteilung des Beklagten in diesem Teilpunkt reicht das dennoch nicht aus, denn nach der Anlage K 12 (rechtshängig gemachte Vorgänge aus dem Bereich der Passangelegenheiten für 2012) ergibt sich, dass nach der Abwesenheitsstatistik des klagenden Amtes an jenem Tag nur Frau Z. im Bürgerbüro Dienst versehen hat.
5.
- 76
Damit steht fest, dass man keinen einzigen der rechtshängig gemachten Vorgänge mit der für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit einer der beiden Beklagten zuordnen kann. Davon ist wohl auch das Arbeitsgericht ausgegangen, denn es stützt seine Verurteilung auf der Annahme, dass alle drei verdächtigten Personen allseitiges Wissen von den Taten hatten und auch eine gegenseitige Billigung der Taten vorlag.
- 77
Das ist vom gedanklichen Ansatz her eine zur Verurteilung geeignete Argumentation. Denn, wenn nachweisbar wäre, dass alle drei verdächtigten Personen in die Möglichkeiten des Geldabflusses eingeweiht waren, und wenn es nachweisbar wäre, dass sie die Taten der jeweils anderen auch gebilligt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen hatten, wäre jeder der drei verdächtigten Personen zumindest Helfer bei der fremden Tat (Beihilfe im Sinne von § 27 StGB), was eine Schadensersatzhaftung allein aufgrund des Helferstatus ermöglichen würde. Würden diese Voraussetzungen vorliegen, bedürfte es also keines direkten Tatnachweises mehr für die einzelnen rechtshängig gemachten Vorgänge.
- 78
Die Klage ist aber auch aus dieser Perspektive unschlüssig, da weder ausreichende Anzeichen für eine ausreichende Kenntnis von den fremden Taten vorliegen noch ausreichende Anzeichen dafür, dass die beiden Beklagten die Taten der anderen wenigstens billigend in Kauf genommen haben.
a)
- 79
Der Beklagten zu 1 kann die Kenntnis der Taten der anderen nicht nachgewiesen werden. Die Beklagte zu 1 hat sich zu ihrem Kenntnisstand eingelassen und diese Einlassung konnte vom Amt nicht widerlegt werden.
- 80
Die Beklagte zu 1 hat im Rahmen der Offenbarung der Angelegenheit mit der Anhörung vom 5. Dezember 2012 und im Rechtsstreit vorgetragen, sie habe erst im Oktober 2012 zu ahnen begonnen, dass es tatsächlich in erheblichem Maße zu Geldabfluss und zur Manipulation von Kassenbuchungen gekommen sein könnte. Sie hat dann vorgetragen, nach dem Aufkommen erster Verdachtsmomente habe sie selber anhand von Analysen des Kassenprogramms HESS versucht nachzuvollziehen, wie man die Kasse zur Vertuschung von Geldentnahmen manipulieren könne. Schon kurze Zeit später habe sie sich dem Amt gegenüber offenbart.
- 81
Es gibt keine konkreten Hinweise dafür, dass die Beklagte zu 1 schon vor Oktober 2012 Kenntnis von den Manipulationsmöglichkeiten hatte. Das klagende Amt und das Arbeitsgericht haben auf diese Kenntnis allein aus der Häufigkeit der Geldentnahme und der Manipulationen geschlossen sowie aus der engen räumlichen Nähe unter der die drei verdächtigten Personen gearbeitet haben.
- 82
Diese Folgerung negiert zunächst einmal den Umstand, dass alle Taten sowohl von den Sachbearbeitern am Tisch als auch von der Kassenverwalterin im Bürgerbüro hätten begangen werden können. Schon daraus ergeben sich bereits verschiedene Zeitpunkte zu denen die Taten begangen worden sein könnten, so dass die notwendige gegenseitige Beobachtung der Vorgänge eher unwahrscheinlich ist. So musste die Kassenverwalterin das vereinnahmte Bargeld beispielsweise irgendwann zur Bank oder zur Hauptkasse transportieren und musste sich zu diesem Zweck aus dem Büro heraus begeben und war dann allein und unbeobachtet. Die Folgerung des Arbeitsgerichts bleibt aber auch spekulativ, soweit man auf die beiden Beklagten abstellt, soweit diese im Bürgerbüro gleichzeitig Anträge der Bürger bearbeitet haben. Es ist ohne weiteres denkbar, dass das Entwenden des Bargeldes möglich war, ohne dass die Kollegen diesen Vorgang beobachten konnten. – Auch zu einer besonderen persönlichen Verbundenheit oder Vertrautheit der drei verdächtigten Personen, die man gegebenenfalls zur Verstärkung der Folgerung des Arbeitsgerichts heranziehen könnte, ist nichts vorgetragen.
- 83
Soweit die Beklagte zu 1 ihre Kenntnis der Tatbegehungsmöglichkeiten ab Oktober 2012 eingeräumt hat, reicht dies für eine Verurteilung wegen Beihilfe zu den Straftaten der Frau Z. nicht aus, denn die Beklagte zu 1 hat diese Taten nicht gebilligt, sondern sie waren für sie Anlass, die Sache aufzudecken.
b)
- 84
Dem Beklagten zu 2 kann die Kenntnis der Taten der anderen nicht nachgewiesen werden. Da sich der Beklagte zu 2 zur Sache zu keinem Zeitpunkt eingelassen hat, verbleibt es zu seiner Person bei dem allgemeinen Schluss des Amtes und des Arbeitsgerichts von der Häufigkeit der Taten und der räumlichen Nähe der Zusammenarbeit auf die Kenntnis der Taten der anderen.
- 85
Bereits oben unter a) ist ausgeführt, dass dieser Schluss nicht mit der notwendigen Sicherheit gezogen werden kann.
- 86
Da es schon am Nachweis der Kenntnis der Taten fehlt, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Beklagte zu 2 die Taten auch gebilligt hat.
c)
- 88
Nach § 840 BGB käme man zwar zu einer gesamtschuldnerischen Haftung aller an den Machenschaften beteiligten Personen. § 840 BGB setzt aber voraus, dass feststeht, dass mehrere Personen für das Auftreten eines Schadens verantwortlich sind. § 840 BGB ist also keine eigene Haftungsgrundlage, sondern setzt die Haftung mehrerer Schädiger nebeneinander voraus (vgl. nur Staudinger/Vieweg § 840 BGB Randnummer 1).
- 89
Dabei kann der in Summe gerichtlich geltend gemachte Schaden nicht als ein gemeinsam zu betrachtender Schaden gewertet werden. Vielmehr ist das klagende Amt durch Hunderte von Einzeltaten geschädigt worden und § 840 BGB könnte nur dann zur Anwendung kommen, wenn für einzelne oder mehrere dieser Einzeltaten nachgewiesen wäre, dass an dem Eintritt des Schadens mehrere Personen in haftungsbegründender Weise (also rechtswidrig und schuldhaft) beteiligt waren. Da es der klagenden Partei schon nicht gelungen ist, auch nur einen einzigen Vorgang einer konkreten Person als Täter oder als Helfer zuzuordnen, ist es ihr erst Recht nicht gelungen, für nur einen einzigen Vorfall nachzuweisen, dass hierfür nicht nur eine, sondern gleich mehrere Personen verantwortlich waren.
II.
- 90
Der klägerische Anspruch lässt sich auch nicht auf weitere denkbare Anspruchsgrundlagen stützen.
1.
- 91
Mit dem Arbeitsgericht geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine nachgewiesene Geldentwendung auch nach § 823 Absatz 1 BGB wegen Eigentumsverletzung zum Schadensersatz verpflichten würde ebenso wie eine Haftung nach § 823 Absatz 2 BGB in Verbindung mit Straftatbeständen aus dem Strafgesetzbuch (Unterschlagung, Diebstahl, Betrug oder Veruntreuung) in Betracht kommt.
- 92
Eine Verurteilung kann hierauf nicht aufgebaut werden, da dem klagenden Amt der Nachweis nicht gelungen ist, dass die rechtshängig gemachten Vorgänge auf deliktisches Handeln einer der beiden Beklagten zurückzuführen sind. Das ergibt sich bereits aus den bisherigen Ausführungen. Darauf wird verwiesen.
2.
- 93
Nach Überzeugung des Gerichts reichen die vorgetragenen Umstände auch für eine Verurteilung wegen unterlassener Anzeige beobachteter Straftaten der anderen verdächtigten Personen beim klagenden Amt nicht aus.
- 94
Das Arbeitsgericht hat seine Verurteilung auch aus der unterbliebenen Meldung beobachteter Vergehen durch die anderen verdächtigten Personen abgeleitet. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine solche Haftung wegen Unterlassens sind vorliegend allerdings nicht gegeben.
- 95
Ein Unterlassen kann nur dann als eine rechtswidrige Handlung angesehen werden, wenn damit eine Pflicht verletzt wird. Die beiden Beklagten hatten jedoch keine Pflicht, Kollegen die beim Entwenden von Geld beobachtet wurden, beim Arbeitgeber anzuzeigen. Das Bundesarbeitsgericht hat eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber eine schädigende Handlung eines anderen Arbeitnehmers anzuzeigen, nur für den Fall bejaht, dass dem Arbeitnehmer entweder allgemein die Überwachung des anderen Dienstverpflichteten übertragen war oder dass ihn wenigstens insoweit eine sogenannte aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht trifft (BAG 12. Mai 1958 – 2 AZR 539/56 – BAGE 6, 82 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Treuepflicht; BAG 18. Juni 1970 – AP Nr. 57 zu § 611 BGB Haftung des = NJW 1970, 1861 = DB 1970, 1598; ähnlich auch BGH 23. Februar 1989 – IX ZR 236/86 = AP Nr. 9 zu § 611 BGB Treuepflicht = DB 1989, 1464 bezogen auf einen selbstständigen Dienstverpflichteten). Das kann vorliegend nicht festgestellt werden. Eine Überwachungspflicht hatte allenfalls Frau Z., die jedoch nicht mehr am Rechtsstreit beteiligt ist.
- 96
Etwas anders ergibt sich auch nicht aus den typischen Pflichten eines Arbeitnehmers, dem der Arbeitgeber den Umgang mit Bargeld anvertraut. Ein solcher Arbeitnehmer ist selbstverständlich verpflichtet, mit dem ihm anvertraute Geld so sorgfältig umzugehen, dass er jederzeit in der Lage ist, seiner Pflicht zur Herausgabe des Geldes an den Arbeitgeber auch nachkommen zu können. Diese Pflicht bezieht sich aber immer nur auf das dem Arbeitnehmer anvertraute Geld und nicht auf das Geld, das der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern anvertraut hat. Die bloße Kenntnis von möglichen Vergehen der Kollegen beim Umgang mit dem Geld, das diesen anvertraut ist, löst daher auch unter diesem Gesichtspunkt keine Anzeigepflicht aus.
- 97
Im Übrigen kann es nicht als erweisen angesehen werden, dass beide Beklagte Kenntnis davon hatten, dass ihre Kollegen und Kolleginnen Geld des Amtes an sich genommen haben. Dazu wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
3.
- 98
Die Verurteilung kann auch nicht darauf gestützt werden, dass die Beklagten den Missbrauch ihrer Nutzerkennungen durch die jeweils anderen verdächtigten Personen nicht gemeldet haben bzw. es unterlassen haben, sich neue Benutzerkennungen geben zu lassen, obwohl ihnen die Kompromittierung ihrer Kennung bekannt war.
- 99
Es fehlt schon an Hinweisen darauf, dass das Amt die Beklagten auf eine entsprechende Meldepflicht hingewiesen hat. Im Übrigen kann der Umgang des Amtes mit den Benutzerkennungen nur als sträflich lax bezeichnet werden. Die beiden Beklagten konnten daher nicht ahnen, dass das klagende Amt den Gebrauch der eigenen Nutzerkennungen durch andere Beschäftigte überhaupt missbilligen würde.
III.
- 100
Das klagende Amt hat die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu tragen, da die Klage durch das Urteil des Berufungsgerichts inzwischen vollständig abgewiesen wurde. Die außergerichtlichen Kosten der obsiegenden Parteien können selbstverständlich nur ersetzt verlangt werden, soweit dies nicht durch § 12a ArbGG ausgeschlossen ist.
- 101
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.
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Referenzen
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- BGB § 254 Mitverschulden 4x
- StPO § 170 Entscheidung über eine Anklageerhebung 1x
- BGB § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag 3x
- IX ZR 236/86 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 2x
- 5 Ca 1043/14 2x (nicht zugeordnet)
- StGB § 27 Beihilfe 1x
- 2 AZR 539/56 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 12a Kostentragungspflicht 1x
- 8 AZR 645/96 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis 1x
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x