Beschluss vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (3. Kammer) - 3 Ta 128/10

Tenor

1. Auf die Beschwerden des Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 2 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 12.11.2009 - 1 BV 20/09 - abgeändert (aufgehoben) und wie folgt neu gefasst:

Für die vom Gesamtbetriebsrat verfolgten Antragsbegehren ist das Beschlussverfahren die zutreffende Verfahrensart. Das erstinstanzliche Erkenntnisverfahren ist als Beschlussverfahren fortzusetzen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Beteiligte zu 1 ist der bei der Insolvenzschuldnerin I. GmbH & Co. KG (I.) gebildete Gesamtbetriebsrat. In den Niederlassungen Berlin, Hamburg, Wittenberg und Lichtenstein bestehen Betriebsräte, die ihre Vertreter in den Beteiligten zu 1 entsandten. Über das Vermögen der I. wurde am 30.01.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Beteiligte zu 2 wurde zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Betriebsparteien in den eben genannten Niederlassungen schlossen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Betriebsvereinbarungen über die Einrichtung von Arbeitszeitkonten ab. Die Betriebsparteien in Berlin, Hamburg und Wittenberg vereinbarten mit der Beteiligten zu 3, dass die I. die Zahlungsansprüche der Arbeitnehmer in voller Höhe an die Beteiligte zu 3 überweise und die Beteiligte zu 3 diese treuhänderisch halten werde. Die Beteiligte zu 3 verbürgte sich zur vollständigen Absicherung der ihr zu treuen Händen überwiesenen Zahlungsansprüche (von Arbeitnehmern), die aus Ansparstunden resultierten. Der Gesamtbetriebsrat verfolgt erstinstanzlich - 1 BV 20/09 - folgende Anträge:

2

Festzustellen,

3

dass die von der Insolvenzschuldnerin I. GmbH & Co. KG an die R. zur Absicherung der Ansparkonten der Arbeitnehmer gezahlten Beträge insolvenzfest sind und die Arbeitnehmer gegen den Insolvenzverwalter ein Absonderungsrecht haben,

4

hilfsweise

5

dass die von der Insolvenzschuldnerin I. GmbH & Co. KG an die R. AG zur Absicherung der Ansparkonten der Arbeitnehmer gezahlten Beträge insolvenzfest sind und die R. AG ein Absonderungsrecht zugunsten der Arbeitnehmer hat;

6

dass die Ansparkonten der Arbeitnehmer nicht auf die Freistellung ab dem 30.01.2009 angerechnet werden können.

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Der Beteiligte zu 2 (Insolvenzverwalter) beantragt,

8

die Anträge zurückzuweisen.

9

Die Beteiligte zu 3 stellt keinen Sachantrag.

10

Die Beteiligte zu 3 hat u.a. die Fragen aufgeworfen, ob es sich vorliegend um eine Angelegenheit aus dem BetrVG handelt und ob sie durch die (vom Bet. zu 1) begehrte Entscheidung in einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen sein könne.

11

Zur näheren Darstellung (insbesondere) des (erstinstanzlichen) Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen, - vor allem auf die tatbestandlichen Teile der Beschlüsse des Arbeitsgerichts vom 12.11.2009 - 1 BV 20/09 - (dort Ziffer I. S. 2 bis 6) und vom 22.04.2010 - 1 BV 20/09 - (dort unter Ziffer I. S. 2 bis 5 = Bl. 206 bis 209 d.A.). Im Beschluss vom 12.11.2009 - 1 BV 20/09 - hat das Arbeitsgericht entschieden, dass das Beschlussverfahren unzulässig sei; der Rechtsstreit werde in das Urteilsverfahren verwiesen. Der Beschluss vom 12.11.2009 - 1 BV 20/09 - ist den Beteiligten wie folgt zugestellt worden:

12

- dem Beteiligten zu 1 am 04.01.2010,

- dem Beteiligten zu 2 am 28.12.2009 und

- der Beteiligten zu 3 am 24.12.2009

13

(s. dazu jeweils die Empfangsbekenntnisse der jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten Bl. 141 bis 143 d.A.).

14

Gegen den vorbezeichneten Beschluss des Arbeitsgerichts vom 12.11.2009 - 1 BV 20/09 - haben der Beteiligte zu 1 am 07.01.2010 und der Beteiligte zu 2 am 25.01.2010 Beschwerde bzw. sofortige Beschwerde eingelegt.

15

Der Beteiligte zu 1 hat seine Beschwerde mit dem Schriftsatz vom 14.01.2010 (Bl. 166 ff. d.A.) begründet, worauf verwiesen wird.

16

Der Beteiligte zu 2 führt im Rahmen seiner - bereits in der Beschwerdeschrift vom 25.01.2010 enthaltenen - Beschwerdebegründung (s. Bl. 182 ff. d.A.) u.a. wie folgt aus:

17

Die Beteiligten würden über die Auslegung von Betriebsvereinbarungen (im Hause der Insolvenzschuldnerin) streiten, die sich auf die Errichtung, Verwaltung und Sicherung von Arbeitszeitkonten beziehen. Die von den Betriebsparteien gewählten Formulierungen führten nach Ansicht des Beteiligten zu 1 zu einer Insolvenzsicherung bzw. Insolvenzfestigkeit der an die Beteiligte zu 3 gezahlten Beträge gegenüber dem Beteiligten zu 2 (Insolvenzverwalter). Zur rechtlichen Beurteilung dieser Rechtsfrage seien auch der Wortlaut und Sinngehalt der Betriebsvereinbarungen/Regelungen der Betriebsparteien heranzuziehen und zu würdigen. Dies sei ureigenster Streitgegenstand eines Beschlussverfahrens nach den §§ 2a, 80 ff. ArbGG. Die gewählte Verfahrensart sei daher zulässig. Sie sei im Übrigen auch prozessökonomisch, da sich die Betriebsparteien darauf geeinigt hätten, eine materiell-rechtlich inhaltliche Entscheidung zwischen dem Insolvenzverwalter (Beteiligten zu 2) und den beteiligten Arbeitnehmern ebenfalls als verbindlich gelten zu lassen.

18

Mit dem Schriftsatz vom 01.02.2010 hat sich der Beteiligte zu 1 ergänzend geäußert und des weiteren beantragt, den Antragsgegner (Beteiligten zu 2) zu verpflichten,

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durch Erklärung gegenüber der Beteiligten zu 3) die in der Anlage Ast 9 genannten und den einzelnen Arbeitnehmern zugeordneten Guthaben freizugeben,

20

hilfsweise zu a) seine Ansprüche gegen die Beteiligte zu 3) auf Herausgabe der Guthaben an die in der Anlage ASt 9 genannten Arbeitnehmer in den ihnen zugeordneten Beträgen abzutreten,

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hilfsweise dazu festzustellen,

22

dass der Antragsgegner verpflichtet ist,

23

durch Erklärung gegenüber der Beteiligten zu 3) die in der Anlage Ast 9 genannten und den einzelnen Arbeitnehmern zugeordneten Guthaben freizugeben,

24

hilfsweise zu a) seine Ansprüche gegen die Beteiligte zu 3) auf Herausgabe der Guthaben an die in der Anlage ASt 9 genannten Arbeitnehmer in den ihnen zugeordneten Beträgen abzutreten.

25

dass die Ansparkonten der Arbeitnehmer nicht auf die Freistellung ab dem 30. Januar 2009 angerechnet werden können.

26

Gemäß Schriftsatz vom 21.06.2010 (Bl. 235 f. d.A. - nebst Anlagen - beantragt der Bet. zu 2, die Anträge des Bet. zu 1 - auch in der zuletzt geänderten Fassung vom 01.02.2010 - abzuweisen.

27

Mit dem Beschluss vom 22.04.2010 - 1 BV 20/09 - hat das Arbeitsgericht den (sofortigen) Beschwerden des Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 2 nicht abgeholfen und die Beschwerden dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

28

1. Die Beschwerden des Beteiligten zu 1 und des Beteiligten zu 2 sind als sofortige Beschwerden gemäß § 17a Abs. 4 S. 3 GVG, §§ 567 ff. ZPO, §§ 48 Abs. 1, 78 S. 1 und 83 Abs. 5 ArbGG an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. dazu bereits die gerichtlichen Schreiben des LAG Rheinland-Pfalz vom 12.01.2010, 27.01.2010 und 05.02.2010 [Bl. 153, 185 und 217 d.A.] sowie § 9 Abs. 5 S. 3 und S. 4 ArbGG in Verbindung mit der [unrichtigen] Rechtsmittelbelehrung, mit der das Arbeitsgericht seinen Beschluss vom 12.11.2009 - 1 BV 20/09 - versehen hat). Die hiernach zulässigen Beschwerden haben Erfolg. Sie sind begründet.

29

2 . Bei der, durch die Sachanträge des Beteiligten zu 1 inhaltlich bestimmten Streitigkeit handelt es sich um eine "Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz" im Sinne des § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. In derartigen Streitigkeiten findet gemäß § 2a Abs. 2 ArbGG das Beschlussverfahren (gemäß den §§ 80 ff. ArbGG) statt. Um "Maßnahmen nach §§ 119 bis 121 BetrVG" geht es vorliegend ersichtlich nicht.

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a) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts handelt es sich bei der verfahrensgegenständlichen Angelegenheit nicht um eine Rechtsstreitigkeit, für die gemäß § 2 Abs. 1 bis 4 ArbGG die Zuständigkeit im Urteilsverfahren eröffnet wäre. Im vorliegenden Verfahren stehen sich mit den Beteiligten zu 1 und 2 (= den "Hauptbeteiligten") Betriebspartner bzw. Organe der Betriebsverfassung gegenüber. Dieser Umstand ist hier für die Bestimmung der zutreffenden Verfahrensart von entscheidender Bedeutung:

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ein Organ der Betriebsverfassung (= der Gesamtbetriebsrat als Antragssteller und Beteiligter zu 1) sucht vor dem Arbeitsgericht gegenüber einem anderen Betriebspartner (= dem Insolvenzverwalter/Arbeitgeber als Beteiligter zu 2) um Rechtsschutz nach.

32

Zwar mag man mit dem Arbeitsgericht durchaus bezweifeln können, ob diese gerichtliche Auseinandersetzung unmittelbar von § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG erfasst wird. (Jedenfalls) ist in einem Fall der vorliegenden Art die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift angezeigt. Dies gebieten Sinn und Zweck des § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG:

33

Immer dann, wenn die durch die BetrVG geregelte Ordnung des Betriebes und die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Betriebspartner als Träger dieser Ordnung im Streit sind, sollen darüber die Arbeitsgerichte entscheiden und zwar im Beschlussverfahren als der dafür geschaffenen und besonders geeigneten Verfahrensart.

34

b) Dass das Urteilsverfahren hier nicht die zutreffende Verfahrensart sein kann, erhellt bereits daraus, dass der Gesamtbetriebsrat aufgrund seiner Rechtsnatur nicht Partei eines derartigen Urteilsverfahrens sein kann. Bei dem Beteiligten zu 1 handelt es sich weder um eine Tarifvertragspartei, noch um einen Arbeitnehmer, noch um einen Arbeitgeber, noch um eine sonstige Person oder Stelle der in § 2 Abs. 1 bis Abs. 4 ArbGG bezeichneten Art. Für die Ermittlung der zutreffenden Verfahrensart kommt es vorliegend nicht darauf an, ob diese Streitigkeit, - wenn der Antragsteller ein einzelner Arbeitnehmer wäre -, im Urteilsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 ArbGG (als "bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber") auszutragen wäre (vgl. dazu den letzten Satz der Gründe [vor der Rechtsmittelbelehrung] des Arbeitsgerichts, - S. 8 des Beschlusses - 1 BV 20/09 -). Der Beteiligte zu 1 - Gesamtbetriebsrat - kann jedenfalls in zulässiger Weise nicht Partei/Kläger eines Urteilsverfahrens bzw. einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit gemäß § 2 ArbGG sein. Ihm fehlt die dort notwendige Parteifähigkeit (§ 50 Abs. 1 ZPO). Die gemäß § 10 S. 1 Halbsatz 2 ArbGG erweiterte (besondere) Parteifähigkeit besteht für den Gesamtbetriebsrat eben nur im Fall des § 2a ArbGG. Der Gesamtbetriebsrat hat - wie der Betriebsrat - nur eine betriebsverfassungsrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit, nicht aber eine allgemeine Rechtsfähigkeit im zivilrechtlichen Sinne. Der Gesamtbetriebsrat kann nur im Rahmen der ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben berechtigt und verpflichtet sein bzw. werden.

35

c) Unabhängig davon ist die gemäß § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG bestehende arbeitsgerichtliche Zuständigkeit im Beschlussverfahren nicht auf Streitigkeiten beschränkt, die unmittelbar auf Vorschriften gestützt werden können, die im Betriebsverfassungsgesetz selbst enthalten sind. Zwar spricht der Gesetzeswortlaut (§ 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG) von Angelegenheiten "aus dem Betriebsverfassungsgesetz" und nicht von Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsrecht . Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass sich die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auf Streitigkeiten beschränkt, die unmittelbar auf Vorschriften des BetrVG gestützt werden. Vielmehr ist die Verfahrensart des Beschlussverfahrens auch dann eröffnet, wenn es um Meinungsverschiedenheiten aus dem Betriebsverfassungsrecht schlechthin geht. Vorliegend berühmt sich der Beteiligte zu 1 als Organ der Betriebsverfassung (Gesamtbetriebsrat gemäß den §§ 47 ff. BetrVG) - u.a. gestützt auf die mit dem Beteiligten zu 2 getroffene Vereinbarung vom 24.03.2009 - bestimmter Ansprüche, die er zum Gegenstand seiner Sachanträge gemacht hat. Damit liegt eine "Angelegenheit" im Sinne des § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG vor.

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d) Die Gründe, auf die das Arbeitsgericht seine abweichende Auffassung gestützt hat, mögen geeignet sein, die Antragsbefugnis des Beteiligten zu 1 in Zweifel zu ziehen. Insoweit kann es möglicherweise fraglich sein, ob hier eine das Antragsrecht des Gesamtbetriebsrates begründende betriebsverfassungsrechtliche Betroffenheit vorliegt. Die Antragsbefugnis wäre nur dann gegeben, wenn der Beteiligte zu 1 als Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen werden könnte. Die damit verbundenen Fragen (insbesondere: mögliche Unzulässigkeit des Antragsbegehrens wegen fehlender Antragsbefugnis?) berühren aber lediglich die Problematik der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit des Antragsbegehrens im Übrigen. Da sie nicht die hier zu klärende Frage der zulässigen Verfahrensart betreffen, ist darauf im Rahmen der vorliegenden Beschwerdeentscheidung nicht näher einzugehen. Entsprechendes gilt für die Frage der Beteiligung bzw. der Beteiligungsbefugnis der Beteiligten zu 3.

37

3. In einem Beschwerdeverfahren der vorliegenden Art (§ 17a Abs. 4 S. 3 GVG, §§ 78 S. 1 und 83 Abs. 5 ArbGG entscheidet das LAG gemäß § 78 S. 3 ArbGG ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter, - also wie hier geschehen durch den Vorsitzenden alleine.

38

Eine Kostenentscheidung ist ebensowenig veranlasst wie die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß den §§ 574 ff. ZPO. Bei dem vorliegenden Beschluss handelt es sich um eine Entscheidung gemäß § 572 Abs. 4 ZPO i.V.m. § 17a Abs. 4 S. 3 GVG. Da es sich nicht um eine Entscheidung gemäß § 91 Abs. 1 S. 1 ArbGG handelt, findet gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde (weitere sofortige Beschwerde) eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht statt. Darauf wird hingewiesen.

39

Dieser Beschluss ist deswegen unanfechtbar.

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