Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (10. Kammer) - 10 Sa 464/10

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 5. August 2010, Az.: 7 Ca 102/10, abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über die Zahlung einer anteiligen Gratifikation.

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Der Kläger (geb. … 1967, verheiratet) war seit dem 01.03.2000 bei der Beklagten als Einzelhandelskaufmann zu einem Bruttomonatsgehalt von € 2.450,00 beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien war u.a. folgendes geregelt:

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„§ 3 Bezüge

Herr C. erhält für seine Tätigkeit ein Jahresentgelt.

Das jährliche Basisgehalt beträgt DM 54.000,00. Dieser Betrag wird in 12 gleichen Monatsraten, jeweils am Monatsende gezahlt.

Darüber hinaus erhält Herr C. 1/12 des Jahresentgeltes. Die Gratifikation wird mit der Novemberabrechnung ausgezahlt.“

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Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.05.2009. Das anschließende Kündigungsschutzverfahren (Az.: 7 Ca 1229/09) wurde durch gerichtlichen Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 ZPO vom 19.08.2009 beendet. Dieser lautet:

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Vergleich

Die Parteien sind sich darüber einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis auf Grund ordentlicher arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung vom 29.05.2009 mit dem Ablauf des 30.09.2009 aufgelöst wird.

Bis zum 30.09.2009 wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgerechnet und das sich aus der Abrechnung ergebende Nettoentgelt ausgezahlt.

Für den Verlust des Arbeitsplatzes erhält der Kläger eine Abfindung in Höhe von € 7.000,00 brutto in entsprechender Anwendung der §§ 9,10 KSchG.

Der Kläger erhält ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis, das sich auf Führung und Leistung erstreckt und seinem beruflichen Fortkommen förderlich ist.

Mit der Erfüllung der vorstehenden Punkte sind alle wechselseitigen finanziellen Ansprüche zwischen den Parteien aus Anlass des Bestehens bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, seien sie bekannt oder unbekannt, fällig oder nicht fällig, entstanden oder nicht entstanden, erledigt. Ausgenommen hiervon ist lediglich die erst zum Beschäftigungsende vorzunehmende Herausgabe der Arbeitspapiere."

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Mit seiner am 20.01.2010 eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Zahlung einer Gratifikation für das Jahr 2009 in Höhe von 3/4 eines Monatsgehalts.

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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 1.837,50 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.12.2009 zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 05.08.2010 stattgegeben und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, dem Kläger stehe eine anteilige Gratifikation für 2009 zu. Die als Gratifikation bezeichnete Sonderzahlung habe ausschließlich der Vergütung tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung dienen sollen, so dass sie bei unterjährigem Ausscheiden anteilig zu zahlen sei. Die in Ziff. 2 und 5 des Vergleichs vom 19.08.2009 getroffenen Regelungen stünden dem nicht entgegen. Die Beklagte habe den in Ziffer 2 des Vergleichs geregelten Anspruch, das Arbeitsverhältnis bis zum 30.09.2009 ordnungsgemäß abzurechnen, noch nicht erfüllt, so dass insoweit die Erledigungsklausel in Ziff. 5 des Vergleiches nicht greife. Die anteilige Gratifikation sei Bestandteil der ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30.09.2009. In Ziff. 2 des Vergleichs finde sich keine Einschränkung dahingehend, dass nur die bis zum 30.09.2009 fälligen Ansprüche abzurechnen seien. Unter ordnungsgemäßer Abrechnung bis zum Beendigungszeitpunkt sei nach dem objektiven Empfängerhorizont vielmehr die Abrechnung der Entgeltansprüche zu verstehen, die dem Kläger bis zum Beendigungszeitpunkt zustünden. Dazu gehörte auch der Anspruch auf die anteilige Gratifikation. Da die Erledigungsklausel in Ziff. 5 des Vergleichs auf der ordnungsgemäßen Abrechnung nach Ziff. 2 des Vergleichs "aufsetze", erfasse sie folglich den Anspruch auf die anteilige Gratifikation nicht.

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Gegen dieses Urteil, das ihr am 16.08.2010 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit am 31.08.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 10.09.2010 begründet.

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Sie ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe den Vergleich vom 19.08.2009 zu weit ausgelegt. Zwar könne ein Arbeitnehmer, der unterjährig aus dem Unternehmen ausscheide, grundsätzlich die anteilige Sonderzahlung verlangen. Der Anspruch werde jedoch erst zum Ende des regelmäßigen Bezugszeitraums fällig. Die Zahlung einer Gratifikation sei in Ziff. 2 des Vergleichs nicht vorgesehen worden. Sie habe sich lediglich verpflichtet, das Arbeitsentgelt abzurechnen, nicht jedoch anteilig die Gratifikation abzurechnen und auszuzahlen. Hinzu komme, dass die Gratifikation von der umfangreichen Abgeltungsklausel in Ziff. 5 des Vergleichs erfasst sei. Die Gratifikation sei bis zum 30.09.2009 noch nicht fällig gewesen. Die Abrechnung der Gratifikation sei im Kündigungsschutzverfahren 7 Ca 1220/09 überhaupt nicht thematisiert worden. Im Übrigen habe das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt, dass Abgeltungsklauseln in Abwicklungs- oder Aufhebungsverträgen grundsätzlich weit auszulegen seien. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 09.09.2010 (Bl. 58-63 d. A.) Bezug genommen.

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Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

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das Urteil des Arbeitgerichts Koblenz - Auswärtige Kammern Neuwied - vom 05.08.2010, Az.: 7 Ca 102/10, abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung im Schriftsatz vom 29.09.2010, auf den Bezug genommen wird (Bl. 71-73 d.A.), als zutreffend. Gratifikationsansprüche seien im Vergleich nicht ausgeschlossen worden. Ohne eine ordnungsgemäße Abrechnung nach Ziff. 2 des Vergleichs, sei die Abgeltungsklausel in Ziff. 5 nicht einschlägig. Die ordnungsgemäße Abrechnung beziehe sich keineswegs nur auf fällige Ansprüche. Vielmehr seien die bis zum 30.09.2009 erdienten Anteile der Gratifikation abzurechnen und bei Fälligkeit zu zahlen. Auf die Abgeltungsklausel in Ziff. 5 des Vergleichs komme es nicht an.

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Zur näheren Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 09.12.2010 Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akte 7 Ca 1229/09.

Entscheidungsgründe

I.

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Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.

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Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer anteiligen Gratifikation für das Jahr 2009. Seine Klage auf Zahlung von € 1.837,50 nebst Zinsen ist unbegründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts ist deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Arbeitsvertragliche Ansprüche des Klägers auf Zahlung einer anteiligen Gratifikation für das Jahr 2009 sind durch die Ausgleichsklausel in Ziff. 5 des am 19.08.2009 zustande gekommenen gerichtlich festgestellten Vergleichs gemäß § 397 Abs. 2 BGB erloschen.

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Welche Rechtsqualität und welchen Umfang eine Ausgleichsklausel hat, ist durch Auslegung nach den allgemeinen Auslegungsregeln gemäß §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Der vorliegende Vergleich vom 19.08.2009 enthält in Ziff. 5 eine allgemeine Ausgleichsklausel. Eine solche Ausgleichsklausel hat den Zweck, das streitige Rechtsverhältnis abschließend zu regeln. Dieser Zweck wird nur erreicht, wenn alle Verpflichtungen, die nicht von dieser Klausel erfasst werden sollen, ausdrücklich und unmissverständlich im Vergleich selbst bezeichnet werden. Über die Tragweite dieses Vergleiches darf es keine Unklarheit geben. Sonst kann ein Vergleich seine Friedens- und Bereinigungsfunktion nicht erfüllen. Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach - schon einfache - Ausgleichsklauseln im Interesse klarer Verhältnisse grundsätzlich weit auszulegen sind (vgl. unter vielen: BAG Urteil vom 22.10.2008 - 10 AZR 617/07 - AP Nr. 82 zu § 74 HGB; BAG Urteil vom 24.06.2009 - 10 AZR 707/08 (F) - AP Nr. 81 zu § 74 HGB; jeweils mit weiteren Nachweisen). In einem Aufhebungsvertrag wollen die Parteien in der Regel das Arbeitsverhältnis abschließend bereinigen und alle Ansprüche erledigen, gleichgültig, ob sie daran dachten oder nicht. Jede andere Auslegung würde den angestrebten Vergleichsfrieden in Frage stellen. Der beurkundete Vergleichswille wäre wertlos, wenn die Vergleichsverhandlungen sogleich Quelle neuer, über den beurkundeten Inhalt hinausgehender Ansprüche und damit neuen Parteistreits sein könnten.

24

Der gerichtlich festgestellte Vergleich vom 19.08.2009 enthält keine klare und unmissverständliche Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger trotz der Ausgleichsklausel 3/4 der Gratifikation für das Jahr 2009 zu zahlen. Nur der Anspruch auf Herausgabe der Arbeitspapiere (Ziff. 5 letzter Satz des Vergleichs) ist ausdrücklich von der Ausgleichsklausel ausgenommen; von Gratifikationszahlungen ist nicht die Rede.

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Schon mit einfachen Ausgleichsklauseln, wonach "alle wechselseitigen Ansprüche" ausgeschlossen sein sollen, ist regelmäßig auch die Übernahme des Risikos verbunden, dass Ansprüche "mitbereinigt" werden, die der betreffenden Partei nicht erkennbar waren. Im vorliegenden Fall haben die Parteien eine weitaus umfassendere Ausgleichsklausel formuliert, die sich auch auf unbekannte Ansprüche („... seien sie bekannt oder unbekannt, fällig oder nicht fällig, entstanden oder nicht entstanden …“) erstreckt. Mit dem Ausschluss auch unbekannter Ansprüche bringen die Parteien zum Ausdruck, dass es sie nicht stört, wenn sie Tragweite, Umfang, Bedeutung und Gewicht eventuell schon bestehender oder noch fällig werdender Ansprüche, deren sie sich derzeit nicht bewusst sind, nicht kennen und auch nicht einschätzen können, dass sie gleichwohl aber - ungeachtet all dieser Unwägbarkeiten - einen solch risikoreichen Ausschluss unbekannter Ansprüche wollen. Damit bringen sie weiter zum Ausdruck, dass ihnen die Endgültigkeit der Befriedung und eines Schlussstriches wichtiger ist als die Realisierung gegebenenfalls noch bestehender Ansprüche.

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Es ist nicht richtig, dass die Verpflichtung der Beklagten in Ziff. 2. des Vergleichs, das Arbeitsverhältnis bis zum 30.09.2009 „ordnungsgemäß abzurechnen und das sich aus der Abrechnung ergebende Nettoentgelt auszuzahlen“, gleichzeitig die Pflicht beinhaltet, dem Kläger eine anteilige Gratifikation für 2009 zu gewähren. Zwar handelt es sich bei der im Arbeitsvertrag vereinbarten Gratifikation um einen Vergütungsbestandteil, der im Austrittsjahr anteilig pro Monat geleisteter Tätigkeit zu zahlen wäre. Das rechtfertigt es jedoch nicht, den im Vergleich vom 19.08.2009 vereinbarten Ausschluss des Anspruchs zu durchbrechen. Nach der ausdrücklichen Regelung in § 3 Ziff. 3 des schriftlichen Arbeitsvertrages war die Gratifikation mit der Novemberabrechnung auszuzahlen. Die Gratifikation fällt nicht unter den Passus „vertragsgemäße Abrechnung bis zum 30.09.2009“ in Ziff. 2 des Vergleichs. Sie war nach der eindeutigen einzelvertraglichen Regelung nicht bis zum 30.09.2009 monatlich abzurechnen, sondern erst am vereinbarten Fälligkeitstermin Ende des Monats November.

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Auch aus der Vorgeschichte des Vergleichsabschlusses ergibt sich nicht, dass die Parteien anteilige Gratifikationsansprüche des Klägers für 2009 regeln wollten. Dem Inhalt der beigezogenen Akte 7 Ca 1229/09 ist nicht zu entnehmen, dass der Gratifikationsanspruch im Kündigungsschutzprozess Gegenstand der Vergleichsverhandlungen war. Die Parteien haben in der mündlichen Berufungsverhandlung klargestellt, dass bei den Vergleichsgesprächen über eine Gratifikation nicht geredet worden ist. Sollte auf Seiten des Klägers bzw. seines Prozessbevollmächtigten die Vorstellung geherrscht haben, dass die Gratifikation im Austrittsjahr anteilig zu zahlen ist, ist diese unerheblich, weil sie nicht zum Gegenstand der getroffenen Vereinbarung gemacht, jedenfalls nicht der Gegenseite bekannt gegeben worden ist. Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Gratifikation als Vergütungsbestandteil bis zum 30.09.2009 ins Verdienen gebracht worden ist, führt dies aber nicht dazu, dass der von den Parteien im Vergleichstext gewählte Begriff der „ordnungsgemäßen Abrechnung“ bis zum 30.09.2009 auch Ansprüche auf eine Gratifikation erfasst, die nach der arbeitsvertraglichen Vereinbarung erst Ende November 2009 abzurechnen und auszuzahlen gewesen wäre. Der Kläger hat auf Befragen erklärt, dass er sich mit dem stellvertretenden Niederlassungsleiter der Beklagten auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2009 gegen Zahlung einer Abfindung geeinigt habe. „Alles was bis dahin anfällt“, sollte gezahlt werden. Die Gratifikation war bis zum 30.09.2009 nicht fällig, so dass die Ausgleichsklausel auch den Anspruch erfasst, auf den der Kläger sein Zahlungsverlangen gründet.

III.

28

Nach alledem war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil er in vollem Umfang unterlegen ist.

29

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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