Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (4. Kammer) - 4 Sa 573/15

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Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 10.11.2015 - 8 Ca 926/15 - wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.238,33 € brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.11.2014.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Höhe eines Abfindungsanspruchs des Klägers.

2

Der Kläger war nach eigener Behauptung ab dem 01.08.1998 (zunächst) als Auszubildender und im unmittelbaren Anschluss daran seit dem 01.08.2001 als Angestellter bei den US-Stationierungsstreitkräften beschäftigt. Nach Behauptung der Beklagten begann das Ausbildungsverhältnis erst am 01.08.2001, das sich hieran anschließende Angestelltenverhältnis erst am 01.02.2005.

3

Die US-Stationierungsstreitkräfte bieten seit einigen Jahren in Einzelfällen und unter bestimmten Voraussetzungen ihren Arbeitnehmern an, mittels Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegen Zahlung einer Abfindung aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Grundlage hierfür ist ein Memorandum der US-Streitkräfte, hinsichtlich dessen Inhalts in der Fassung vom 07.11.2011 im Einzelnen auf Bl. 8 - 11 d.A. Bezug genommen wird. Danach beträgt die Abfindungssumme für Mitarbeiter, die (wie der Kläger) keine Leistungen nach dem Tarifvertrag Soziale Sicherung beanspruchen können, eine Monatsvergütung für jedes Beschäftigungsjahr für die ersten zehn Jahre (Ziffer 6. b (1) des Memorandums) sowie eine halbe Monatsvergütung für jedes Beschäftigungsjahr ab dem 11. Jahr, höchstens jedoch bis zu 5 Monatsvergütungen, (Ziffer 6. b (2) des Memorandums). Zusätzlich erhält der Arbeitnehmer nach Ziffer 6. b (3) des Memorandums im Falle des Verzichts auf Einhaltung der Kündigungsfrist 50 Prozent der dadurch arbeitgeberseitig eingesparten Arbeitsvergütung.

4

Auf das Arbeitsverhältnis des Klägers fanden aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des TVAL II Anwendung. Sein monatliches Grundgehalt belief sich ab September 2014 auf 2.395,41 € brutto, zuvor auf 2.339,27 € brutto.

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Am 06.08.2013 beantragte der Kläger über seinen Vorgesetzten per E-Mail den Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Diesbezüglich führte der Kläger u.a. am 20.10.2014 ein Gespräch mit einem Personalreferenten der US-Streitkräfte. Dabei wurde vereinbart, dass der Kläger aus dem Arbeitsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegen Zahlung einer Abfindung ausscheiden könne, wobei sich die Abfindung nach den Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011 richten solle.

6

Am 21.10.2014 unterzeichnete der Kläger sodann einen vorformulierten Aufhebungsvertrag, hinsichtlich dessen Inhalts im Einzelnen auf Bl. 31 d.A. Bezug genommen wird und der u.a. folgende Bestimmungen enthält:

7

"1. Zwischen der Dienststelle (Beschäftigungsdienststelle:) TLSC-E Kaiserslautern, vertreten durch Herrn H. H., (nachfolgend Arbeitgeber) und Herrn A. (nachfolgend Arbeitnehmer) wird folgende Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen:

8

a. Es besteht Einigkeit zwischen den Arbeitsvertragsparteien, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Oktober 2014 enden wird.

9

b. Der Arbeitgeber zahlt dem Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes und des damit verbundenen sozialen Besitzstandes eine einmalige Abfindung in Höhe von € 26,902 (in Worten: Sechsundzwanzigtausendneunhundertzwei Euro).

10

4. Mit der Erfüllung der vorstehenden Verpflichtung sind sämtliche wechselseitigen finanziellen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung, gleich aus welchem Rechtsgrund, erledigt. Arbeitnehmer, in deren Abfindungssumme eine Ausgleichszahlung für Rentenkürzungen gemäß einer eingereichten Rentenminderungsauskunft enthalten ist, verpflichten sich, bei Wiedereinstellung in ein von der Civilian Human Resources Agency, Europe Region (CHRA-E) verwaltetes Arbeitsverhältnis zur Rückzahlung des auf der Rentenminderungsauskunft ausgewiesenen Ausgleichsbetrages."

11

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die im Aufhebungsvertrag bezifferte und an ihn ausgezahlte Abfindungssumme sei nicht ordnungsgemäß nach den Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011 berechnet worden. Unberechtigterweise seien die Zeiten seiner Berufsausbildung unberücksichtigt geblieben. Darüber hinaus habe die Abrechnung auf der Grundlage des von ihm zuletzt bezogenen Bruttogehalts erfolgen müssen und nicht wie (unstreitig) auf der Basis der vor September 2014 bezogenen Bruttovergütung. Bei korrekter Berechnung nach Maßgabe der Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011 belaufe sich sein Abfindungsanspruch auf 31.140,33 € brutto, so dass ihm ein Nachzahlungsanspruch in Höhe von 4.238,33 € zustehe.

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Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.238,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2014 zu zahlen.

14

Die Beklagte hat beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht, die der im Aufhebungsvertrag bezifferten Abfindungssumme zugrundeliegende Berechnung entspreche den Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011. Danach handele es sich bei Zeiten der Berufsausbildung nicht um nach Ziffer 6 b des Memorandums zu berücksichtigende Beschäftigungszeiten. Für die Berechnung der Abfindungshöhe werde auch seit jeher - ausnahmslos - als Monatsvergütung die dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt seines Antrages auf Aufhebung des Arbeitsvertrages zustehende tarifliche Monatsvergütung herangezogen. Eine danach, aber noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintretende Tariflohnerhöhung werde nicht berücksichtigt. In Entsprechung der Bestimmungen des Memorandums belaufe sich die Abfindung des Klägers - unter Berücksichtigung einer um fünf Monate verkürzten Kündigungsfrist - auf 26.902,00 €.

17

Von einer weitergehenden Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 10.11.2015 (Bl. 55 - 59 d.A.).

18

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10.11.2015 abgewiesen. Hinsichtlich der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 - 8 dieses Urteils (= Bl. 59 - 61 d.A.) verwiesen.

19

Gegen das ihm am 27.11.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 03.12.2015 Berufung eingelegt und diese am 26.01.2016 begründet.

20

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ergebe sich aus dem Aufhebungsvertrag in Verbindung mit den Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011 der geltend gemachte Nachzahlungsanspruch. Es sei zwar zutreffend, dass im Aufhebungsvertrag nicht ausdrücklich auf das Memorandum Bezug genommen worden sei; unstreitig habe die Abfindung jedoch auf der Grundlage des Memorandums berechnet werden sollen. Mit dem Erlass des Memorandums seien die Stationierungsstreitkräfte, die als öffentliche Arbeitgeber anzusehen seien, eine Selbstbindung eingegangen, die sie verpflichte, die von ihr selbst aufgestellten Richtlinien einzuhalten. Auch könne und dürfe der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst darauf vertrauen, dass sich der Arbeitgeber an die von ihm aufgestellten Regelungen halte. Die Streitkräfte seien also insbesondere aufgrund des Memorandums verpflichtet, die Abfindungssumme nach den dort enthaltenen Vorgaben zu berechnen. Die im Aufhebungsvertrag enthaltene Abgeltungsklausel stehe dem geltend gemachten Nachzahlungsanspruch nicht entgegen. Denn sie erfasse gerade nicht den Anspruch auf Zahlung einer zutreffend errechneten Abfindung. Für die Dienststelle habe auch kein Anhaltspunkt dafür bestanden, dass er auf Ansprüche verzichten wolle. Im Übrigen verstieße es gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn sich die Beklagte erfolgreich auf die Abgeltungsklausel berufen könne. Wenn man die Selbstbindung des öffentlichen Arbeitgebers ernst nehme, sei es unbillig, dem Arbeitgeber quasi durch die Hintertür zu ermöglichen, etwaige Ansprüche im Wege einer Abgeltungsklausel von vornherein abzuschneiden. Unabhängig davon, welche Summe im Aufhebungsvertrag genannt worden sei, habe er darauf vertrauen dürfen, dass die Abfindungssumme korrekt und entsprechend dem Memorandum errechnet sei. Die von der Dienststelle angewandte Berechnungsmethode entspreche nicht den Vorgaben des Memorandums. Die von ihm zurückgelegten Ausbildungszeiten seien - entgegen der Ansicht der Beklagten - bei der Berechnung zu berücksichtigen. Zwar sei im Memorandum nicht explizit geregelt, dass Ausbildungsjahre als Beschäftigungsjahre zu bewerten seien; dies lasse jedoch nicht den Umkehrschluss zu, dass diese Zeiten keine Beschäftigungsjahre im Sinne der Regelung seien. Dass es sich bei Ausbildungszeiten zugleich um Beschäftigungszeiten handele, sei eine Selbstverständlichkeit, die nicht ausdrücklich klargestellt werden müsse. Zweifellos zählten Ausbildungszeiten zur anrechenbaren Beschäftigungszeit im Sinne des TVAL II. Es sei kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die Verfasser des Memorandums hiervon hätten abweichen wollen. Es treffe zwar zu, dass in § 8 TVAL II in der englischen Fassung der Begriff "period of employment", im Memorandum hingegen die Formulierung "years of service" verwendet würden. Gemeint sei damit jedoch jeweils das selbe, nämlich die gesamte bei den Stationierungsstreitkräften verbrachte Zeit. Der geltend gemachte Nachzahlungsanspruch ergebe sich auch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da allen anderen Arbeitnehmern, die einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet hätten, unter Berücksichtigung ihrer Ausbildungszeiten eine Nachzahlung gewährt worden sei. Keinesfalls sei die Dienststelle berechtigt gewesen, die Abfindung auf der Basis des ihm vor Inkrafttreten der Tariferhöhung zum 01.09.2014 zustehenden Gehalts zu berechnen. Es sei vielmehr das ihm Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages maßgebliche Gehalt zugrunde zu legen. Da er unter Berücksichtigung seiner Ausbildungszeit bei den US-Stationierungsstreitkräften insgesamt 16 volle Beschäftigungsjahre zurückgelegt habe, belaufe sich sein Abfindungsanspruch in Anwendung der Bestimmungen in Ziffer 6. b des Memorandums vom 07.11.2011 auf 31.140,33 € brutto (13 x 2.395,41 €).

21

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Berufungsvorbringens des Klägers wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 26.01.2016 (Bl. 87 - 97 d.A.) sowie auf den Schriftsatz des Klägers vom 22.06.2016 (Bl. 120 - 124 d.A.) Bezug genommen.

22

Der Kläger beantragt,

23

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.238,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2014 zu zahlen.

24

Die Beklagte beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht im Wesentlichen geltend, dem Anspruch des Klägers auf Zahlung einer höheren als im Aufhebungsvertrag bezifferten Abfindung stehe jedenfalls die dort in Ziffer 4. vereinbarte Abgeltungsklausel entgegen. Ungeachtet dessen sei die Klage aber auch aus anderen Gründen unbegründet. Mit dem Kläger sei zwar vereinbart worden, dass die Abfindung nach dem Memorandum vom 07.11.2011 berechnet werden solle. Diesbezüglich sei jedoch - entgegen der Ansicht des Klägers - zunächst festzustellen, dass der Grundsatz der Selbstbindung im öffentlichen Dienst bei den US-Stationierungsstreitkräften keine Anwendung finden könne. Die Vereinigten Staaten von Amerika seien nicht Adressat der den deutschen öffentlichen Dienst verpflichtenden Grundrechte. Darüber hinaus sei die Abfindungssumme auch korrekt nach den Vorgaben des Memorandums vom 07.11.2011 berechnet worden. Dieses Memorandum sehe nicht vor, dass Ausbildungszeiten bei der Feststellung der Anzahl der Beschäftigungsjahre zu berücksichtigen seien. Diesbezüglich sei von Bedeutung, dass der Wortlaut des Memorandums, soweit dort von Beschäftigungszeiten die Rede sei, vom Wortlaut des § 8 TVAL II in der englischen Originalfassung abweiche. Während im Memorandum von "years of service" die Rede sei, werde im Tarifvertrag in der englischen Originalfassung die Formulierung "period of employment" verwendet. Diese Begriffe bzw. Formulierungen seien nicht gleichbedeutend. Seit jeher seien bei Anwendung des Memorandums die Ausbildungszeiten der Mitarbeiter bei der Berechnung der Abfindungshöhe nicht berücksichtigt worden. Ebenso sei von Anfang an stets diejenige tarifliche Monatsvergütung zur Berechnung der Abfindung herangezogen worden, die dem Arbeitnehmer zum Zeitpunkt seiner Antragstellung auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages gezahlt worden sei. Auch nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stehe dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Es liege bereits keine Ungleichbehandlung vor, da bei keinem der Arbeitskollegen des Klägers die Ausbildungszeit bei der Berechnung der Abfindungssumme berücksichtigt worden sei. Es treffe auch nicht zu, dass diesbezüglich Nachzahlungen erbracht worden seien.

27

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungserwiderungsschrift vom 04.03.2016 (Bl. 112 - 118) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

28

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

II.

29

Die zulässige Klage ist begründet.

30

Der Kläger hat einen Anspruch auf Nachzahlung eines Abfindungsbetrages in der geltend gemachten Höhe. Der Anspruch folgt aus den Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011, deren Anwendung die Arbeitsvertragsparteien vor Unterzeichnung des von Seiten der US-Stationierungsstreitkräfte vorformulierten Aufhebungsvertrages vereinbart haben, und aus denen sich - bei richtiger Anwendung - eine höhere als die in der Aufhebungsvereinbarung bezifferte Abfindungssumme ergibt.

31

Zwar haben die Arbeitsvertragsparteien unter Ziffer 1. b) des Aufhebungsvertrages die an den Kläger zu zahlende Abfindung konkret mit 26.902,00 € beziffert. Sie haben jedoch unstreitig vor Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages mündlich vereinbart, dass der Kläger eine Abfindung nach Maßgabe des Memorandums vom 07.11.2011 erhalten und sich diese also nach den dort enthaltenen Bestimmungen berechnen solle. Diese mündliche Vereinbarung geht der in Ziffer 1. b) des Aufhebungsvertrages getroffenen Regelung vor, soweit sie hiermit in Widerspruch steht. Dies gilt auch dann, wenn - wovon vorliegend auszugehen ist - es sich bei Ziffer 1. b) des Aufhebungsvertrages um eine Einmalbedingung i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB handelt. Zwar ist der Vorrang individueller Vertragsabreden in § 305 b BGB ausdrücklich nur klargestellt für Allgemeine Geschäftsbedingungen. Er gilt jedoch aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen trotz der fehlenden Verweisung in § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf § 305 b BGB auch für vorformulierte Einmalbedingungen in Verbraucherverträgen (vgl. Clemenz in Clemenz/Kreft/Krause, AGB-Arbeitsrecht § 305 b Rz. 4; Kreft in Clemenz/Kreft/Krause, AGB-Arbeitsrecht § 310 Rz. 35).

32

Soweit die sich aus den Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011 ergebende Abfindungssumme den in Ziffer 1. b) des Aufhebungsvertrages bezifferten Betrag übersteigt, so steht deren Geltendmachung nicht die im Aufhebungsvertrag unter Ziffer 4. enthaltene Ausgleichsklausel entgegen. Wie bereits ausgeführt, haben sich die Parteien darauf geeinigt, dass der Kläger eine Abfindung nach Maßgabe des Memorandums vom 07.11.2011 erhalten solle. Sie haben daher eine bestimmte Art der Abfindungsberechnung vereinbart. Dass es sich bei dem im Aufhebungsvertrag bezifferten Betrag (26.902,00 €) nicht um eine individuell ausgehandelte, sondern nach dem Verständnis beider Parteien auf der Grundlage einer bestimmten Berechnungsmethode ermittelte Summe handelt, wird auch daraus deutlich, dass die Abfindungssumme nicht mit einem "runden" Geldbetrag angegeben ist. Die auch bei vorformulierten Einmalbedingungen i.S.v. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB durchzuführenden Auslegung (vgl. BAG vom 18.05.2010 - 3 AZR 373/08 - AP Nr. 37 zu § 66 ArbGG 1979) ergibt somit, dass die Parteien im Aufhebungsvertrag als Abfindung nicht den dort bezifferten Geldbetrag, sondern vielmehr eine bestimmte Berechnungsmethode, nämlich nach Maßgabe des Memorandums, vereinbart haben. Das diesbezügliche, vom objektiven Erklärungsinhalt abweichende Verständnis der Vertragsparteien geht nach §§ 133, 157 BGB dem objektiven Erklärungsinhalt vor (BGH v. 19.05.2006 - V ZR 264/05 - NJW 2006, 3139, unter II. 1. b) bb) der Gründe; Palandt /Ellenberger, 76. Aufl., § 119 Rz. 20 m.w.N.). Da gemäß Ziffer 4. des Aufhebungsvertrages alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und aus Anlass seiner Beendigung (erst) mit Erfüllung der "vorstehenden Verpflichtung", d.h. mit Zahlung der vereinbarten Abfindung erledigt sein sollen, erfasst die Abgeltungsklausel demnach gerade nicht den Anspruch des Klägers auf Zahlung einer nach Maßgabe des Memorandums errechneten und ggf. über den bezifferten Betrag hinausgehenden Abfindung.

33

Bei Anwendung der Bestimmungen des Memorandums vom 07.11.2011 ergibt sich, dass dem Kläger der geltend gemachte Nachzahlungsanspruch zusteht. Dabei kann offenbleiben, ob der Kläger - wie von ihm behauptet - bereits ab dem 01.08.1998 (zunächst) als Auszubildender bei den US-Stationierungsstreitkräften beschäftigt war oder ob dies - so die Beklagte - erst ab dem 01.08.2001 der Fall war.

34

Geht man insoweit vom Sachvortrag der Beklagten aus, so verfügte der Kläger im Zeitpunkt seines Ausscheidens über eine nach Ziffer 6. b) des Memorandums in Ansatz zu bringende Beschäftigungszeit von insgesamt 13 vollen Jahren.

35

Bei den Zeiten des Ausbildungsverhältnisses handelt es sich um anrechenbare Dienstjahre (creditable years of service) im Sinne des Memorandums. Dies ergibt die Auslegung der betreffenden Bestimmung, wobei offen bleiben kann, ob deren Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB oder - wie etwa bei Gesamtzusagen, nach den Regeln über die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen vorzunehmen ist, da beide Auslegungsverfahren zu dem selben Ergebnis führen.

36

Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt. Richtet sich eine Erklärung - wie vorliegend das Memorandum - nicht an einen bestimmten Empfänger, sondern an einen bestimmten Interessentenkreis bzw. an einen unbestimmten Personenkreis, so richtet sich die Auslegung nach den Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlich Beteiligten oder eines Angehörigen des angesprochenen Personenkreises. Außer dem Text der Erklärung dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die jedermann oder doch jedem Angehörigen der angesprochenen Kreise bekannt oder erkennbar sind (Palandt/Ellenberger, 76. Aufl., § 133, Rz. 12 m.w.N.).

37

Das Memorandum vom 07.11.2011 richtet sich (jedenfalls auch) an alle Arbeitnehmer der US-Stationierungsstreitkräfte in Deutschland, die in Erwägung ziehen, gegen Zahlung einer Abfindung ihr Arbeitsverhältnis mittels eines Aufhebungsvertrages zu beenden. Nach den Verständnismöglichkeiten eines Angehörigen dieses Personenkreises konnte die unter Ziffer 6 b) des Memorandums verwendete Formulierung "creditable year of service" (anrechenbares Dienstjahr) nur dahingehend verstanden werden, dass damit diejenigen Jahre gemeint sind, die im deutschen Rechtsraum gemeinhin als anrechenbar bewertet werden. Danach sind Zeiten der Berufsausbildung sowohl bei der Berechnung der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG, bei der Berechnung des Abfindungshöchstbetrages nach § 10 KSchG als auch bei den Kündigungsfristen des § 622 Abs. 2 BGB nach ganz allgemeiner Ansicht zu berücksichtigen. Insbesondere zählt die Zeit der Berufsausbildung auch zur anrechenbaren Beschäftigungszeit im Sinne von § 8 des TVAL II, dessen Bestimmungen die US-Streitkräfte durchweg auf die Arbeitsverhältnisse ihrer Beschäftigten in Deutschland anwenden. Überdies ist in Ziffer 1. des Memorandums der Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als Bezugsdokument genannt. Nach § 4 Nr. 5 a) dieses Tarifvertrages richtet sich die zeitliche Dauer der Überbrückungsbeihilfe nach der Anzahl der Beschäftigungsjahre i.S.v. § 8 TVAL II, wozu auch die Jahre der Berufsausbildung zählen. Der mit dem Memorandum angesprochene Personenkreis konnte daher die dortige Bestimmung in Ziffer 6 b) keineswegs dahingehend verstehen, dass Ausbildungszeiten keine Berücksichtigung finden sollen. Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass im englischen Originaltext des TVAL II der Begriff "employment", im Memorandum hingegen der Begriff "service" verwendet wird. Die beiden Begriffe ("Beschäftigung" und "Dienst") werden nämlich regelmäßig auch synonym verwendet und unterscheiden sich in ihrer Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch zumeist nicht.

38

Nichts anderes gilt im Ergebnis, wenn man die Bestimmungen des Memorandums nach den Grundsätzen für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen heranzieht. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders für Geschäfte der jeweiligen Art zugrundezulegen (BAG v. 31.08.2005 - 5 AZR 545/04 - NZA 2006, 324). Die Anwendung dieser Grundsätze führt nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen demnach ebenfalls und erst Recht zu dem Ergebnis, dass Zeiten der Berufsausbildung bei der Anwendung von Ziffer 6. b) des Memorandums vom 07.11.2011 zu berücksichtigen sind.

39

Zutreffend geht der Kläger auch davon aus, dass bei der Berechnung der Abfindung das vom Kläger zuletzt, d.h. im Zeitpunkt seines Ausscheidens bezogene tarifliche Grundgehalt zugrundezulegen ist. Die US-Stationierungsstreitkräfte haben diesbezüglich in Ziffer 6. b) zwar nur den Begriff "month's pay" (deutsch: Monatszahlung bzw. Monatslohn) verwendet, ohne hierbei eine zeitliche Konkretisierung vorzunehmen. Es entspricht jedoch ganz allgemeiner Rechtspraxis bei Abfindungszahlungen, das aktuelle, d.h. das vom Arbeitnehmer zuletzt bezogene Gehalt in Ansatz zu bringen. Die betreffende Bestimmung im Memorandum kann daher auch nur in diesem Sinne verstanden werden. Die Möglichkeit einer Auslegung im Sinne der Ansicht der Beklagten, wonach diejenige Arbeitsvergütung maßgebend sein soll, die der Arbeitnehmer im Zeitpunkt seines etwa - wie vorliegend - bereits über ein Jahr zurückliegenden Antrages auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages bezogen hat, ist mehr als fernliegend.

40

Hinsichtlich der Höhe des Abfindungsanspruchs gilt nach Maßgabe vorstehender Ausführungen folgendes:

41

Da der Kläger seine Behauptung, er sei bereits ab dem 01.08.1998 bei den US-Streitkräften beschäftigt gewesen, nicht unter Beweis gestellt hat, ist - unter Zugrundelegung des diesbezüglichen Sachvortrages der Beklagten - davon auszugehen, dass dies erst ab dem 01.08.2001 der Fall war. Der Kläger verfügte somit im Zeitpunkt seines Ausscheidens über insgesamt 13 volle Beschäftigungsjahre, von denen gemäß Ziffer 6 b) des Memorandums 10 Jahre mit einem vollen Monatsgehalt von 2.395,41 € und 3 Jahre mit dem halben Monatsgehalt in Ansatz zu bringen sind. Hieraus errechnet sich ein Betrag von 27.547,22 € (11,5 x 2.395,41 €). Hinzu kommen nach Ziffer 6 b) (3) des Memorandums 50 Prozent der infolge des Verzichts des Klägers auf Einhaltung seiner Kündigungsfrist seitens der US-Streitkräfte eingesparten Arbeitsvergütung. Diese Einsparung beläuft sich in Ansehung der sechsmonatigen Kündigungsfrist (§ 44 Abs. 1 b) TVAL II) auf sechs Monatsvergütungen, so dass hiervon 50 Prozent (entsprechend 3 Monatsgehältern), also weitere 7.186,23 € (3 x 2.395,41 € in die Abfindung einfließen.

42

Auf den sich hieraus ergebenden Gesamtbetrag von 34.733,45 € haben die US-Streitkräfte lediglich den im Aufhebungsvertrag bezifferten Betrag von 26.902,00 € gezahlt, so dass zugunsten des Klägers (an sich) ein Restbetrag von 7.831,40 € brutto verbleibt. Nach § 308 Abs. 1 ZPO konnte ihm jedoch nur der geltend gemachte Betrag von 4.238,33 € brutto zugesprochen werden.

43

Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB.

III.

44

Nach alledem war der Klage unter Abänderung es erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

46

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

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