Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (4. Kammer) - 4 Sa 154/16

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 01.03.2016, Az.: 4 Ca 3085/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Schadensersatzanspruch der Klägerin.

2

Der Beklagte war bei der Klägerin vom 01. Februar 2002 bis zum 31. Juli 2015, zuletzt als Personalleiter auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 30. Juni 2006, beschäftigt. Im Einleitungssatz dieses Arbeitsvertrages, hinsichtlich des Inhalt im Einzelnen auf Bl. 5 - 7 d. A. Bezug genommen wird, heißt es, dass es sich um einen "nicht einem Tarifvertrag unterliegenden Anstellungsvertrag" handelt. Im ursprünglichen Arbeitsvertrag des Klägers vom 04. Januar 2002 hatten die Parteien hingegen die Geltung der Tarifverträge für die Metall - und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz vereinbart.

3

Als Personalleiter oblag dem Beklagten das gesamte Personalwesen, insbesondere auch die Erstellung der monatlichen Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen für ca. 250 - 300 Mitarbeiter und die entsprechenden Überweisungen an die Beschäftigten. Ihm unterstellt waren alle tariflichen Beschäftigten der Beklagten. Er selbst war lediglich der Geschäfts- und kaufmännischen Leitung unterstellt.

4

Ab dem Jahr 2007 erstellte der Beklagte betreffend seine eigene Arbeitsvergütung Gehaltsabrechnungen, die der vertraglich geschuldeten (Grund-)Vergütung entsprachen. Darüber hinaus veranlasste er jedoch auch die Überweisung von Geldbeträgen zu seinen Gunsten, die weit über die vertraglich geschuldete Vergütung hinausgingen sowie die Abführung der darauf entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge.

5

Die arbeitsvertragliche Vergütung des Beklagten und die tatsächlich zu seinen Gunsten aus dem Vermögen der Klägerin abgeführten Geldbeträge stellen sich wie folgt dar:

6

Jahr   

vertraglich geschuldete Vergütung
des Beklagten in EUR

tatsächlich angewiesene Zahlung zugunsten
des Beklagten in EUR

Differenz in EUR

2007   

69.149,80

87.549,80

18.400,00

2008   

63.291,16

96.587,39

33.566,23

2009   

66.516,60

91.528,32

25.012,16

2010   

67.741,16

112.756,52

45.015,36

2011   

71.491,16

118.006,52

46.515,36

2012   

73.199,16

133.214,52

60.015,36

2013   

74.817,16

130.040,24

55.169,08

Gesamt

        

769.683,31

283.693,55

7

Die Zahlungen in Höhe von insgesamt 769.683,31 EUR brutto hat der Beklagte selbst mittels Diskettenclearing angewiesen. Hiervon floss der Nettobetrag auf sein Privatkonto, der Restbetrag wurde an das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger abgeführt.

8

Der Beklagte war für die Abrechnungen und die Überweisungen der Löhne und Gehälter alleinverantwortlich. Er erstellte jede Abrechnung und Überweisung stets eigenständig und ohne Mithilfe anderer Mitarbeiter. Das EDV-Programm zur Erstellung und Speicherung der Daten war ausschließlich auf dem PC des Beklagten installiert. Andere Personen hatten hierzu keinen Zugang. Die so vom Beklagten vorbereiteten Überweisungen wurden jeweils durch den kaufmännischen Geschäftsführer und den technischen Geschäftsführer der Klägerin unterzeichnet, wobei diese jedoch dabei keine Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der einzelnen Anweisungsbeträge hatten.

9

Am 09. Juli und 10. Juli 2015 wurde eine Kontrolle der persönlichen Verdienstabrechnungen des Beklagten durchgeführt. Dabei fielen der Klägerin erstmals die Differenzen zwischen der dem Beklagten vertraglich zustehenden und der ihm ausgezahlten Vergütung auf. Mit Schreiben vom 21. August 2015 wurde der Beklagte von der Klägerin zur Rückzahlung des im vorliegenden Verfahren eingeklagten Geldbetrages aufgefordert. Der Beklagte hat die Rückzahlung mit Schreiben vom 27. August 2015 abgelehnt.

10

Mit ihrer am 09. September 2015 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 283.693,55 EUR in Anspruch genommen. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20. Januar 2016 die Einrede der Verjährung erhoben.

11

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 01. März 2016 (Bl. 139 - 145 d. A.).

12

Die Klägerin hat beantragt:

13

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 283.693,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent

14

aus 18.400,00 EUR seit dem 01. Januar 2008 bis Rechtshängigkeit,
aus 33.566,23 EUR seit dem 01. Januar 2009 bis Rechtshängigkeit,
aus 25.012,16 EUR seit dem 01. Januar 2010 bis Rechtshängigkeit,
aus 45.015,36 EUR seit dem 01. Januar 2011 bis Rechtshängigkeit,
aus 46.515,36 EUR seit dem 01. Januar 2012 bis Rechtshängigkeit,
aus 60.015,36 EUR seit dem 01. Januar 2013 bis Rechtshängigkeit,
aus 55.169,08 EUR seit dem 01. Januar 2014 bis Rechtshängigkeit

15

sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 283.693,55 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

16

Der Beklagte hat beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 01. März 2016 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 9 - 19 dieses Urteils (Bl. 145 - 155 d. A.) verwiesen.

19

Gegen das ihm am 18. März 2016 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 18. April 2016 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 12. Mai 2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 08. Juli 2016 begründet.

20

Der Beklagte macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts fänden die Bestimmungen des Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz, wie im ursprünglichen Arbeitsvertrag vom 04. Januar 2002 bindend vereinbart, auf das Arbeitsverhältnis Anwendung mit der Folge, dass der geltend gemachte Anspruch nach § 28 dieses Tarifvertrages verfallen sei. Bei Abschluss des Vertrages vom 30. Juni 2006 sei die Klägerin irrtümlich davon ausgegangen, dass er - der Beklagte - als Personalleiter die Funktion eines leitenden Angestellten übernehme und aus diesem Grunde das Arbeitsverhältnis nicht mehr durch Tarifvertrag geregelt werden könne. Er sei indessen nicht als leitender Angestellter tätig gewesen, da die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 BetrVG nicht erfüllt seien. So habe er weder über Prokura verfügt, noch Aufgaben der Geschäftsleitung wahrgenommen. Auch habe sein Gehalt im tariflichen Rahmen gelegen. Die Klägerin habe bei Vertragsschluss seinen Status fehlerhaft beurteilt und aufgrund dieses Irrtums in den Vertrag die Formulierung aufgenommen, wonach der Anstellungsvertrag keinem Tarifvertrag unterliege. Die geltend gemachte Forderung sei überdies verjährt, da die Nichtkenntnis der Klägerin von dem Anspruch auf grober Fahrlässigkeit beruhe. Es sei gerade eine der Hauptaufgaben der Geschäftsleitung der Klägerin, die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens zu vertreten und ihn - den Beklagten - zumindest stichprobenweise zu kontrollieren. Eine solche Kontrolle sei offensichtlich seit Januar 2007 niemals erfolgt. Den Geschäftsführern der Klägerin habe jederzeit die Möglichkeit offen gestanden, die Zahlungsaufstellungen einzusehen. Jeden Monat habe er eine CD-Rom mit den Zahlungsaufstellungen an die Geschäftsleitung zur Freigabe übergeben. Die Lohnjournale und Lohnkonten hätten jederzeit in seinem Büro eingesehen werden können. Aus Datenschutzgründen hätten diese Dokumente sein Büro nicht verlassen würfen. Offensichtlich seien die betreffenden Dateien von den Geschäftsführern kein einziges Mal eingesehen worden. Man habe ihn - den Beklagten - nahezu vertrauensselig schalten und walten lassen. Eine Controlling-Abteilung sei (unstreitig) bei der Klägerin nicht eingerichtet. In den Jahren 2007 bis 2013 habe er insgesamt 6.980,20 Mehrarbeitsstunden geleistet. Sämtliche anstehenden Arbeiten in der Personalabteilung der betreffenden Niederlassung der Klägerin habe er alleine erledigt. In anderen Niederlassungen sei die Personalabteilung mit drei Mitarbeitern sowie zeitweise darüber hinaus auch mit einem Auszubildenden besetzt. Diese unterschiedliche Personalausstattung zeige, dass das geforderte Arbeitspensum nicht innerhalb eines 8-Stunden-Tages zu erfüllen gewesen sei. Hätte er sich an die 40-Stunden-Woche gehalten, so hätten die Mitarbeiter ihre Gehälter nicht rechtzeitig erhalten. Daher habe er Überstunden leisten müssen. Er habe jeden Abend bis 19.30 Uhr/20.30 Uhr gearbeitet. Hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Forderung sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin in ihrer Schadensaufstellung die Bruttobeträge von insgesamt 283.693,55 EUR aufführe, jedoch lediglich die sich hieraus ergebenden Nettobeträge, nämlich insgesamt 162.957,79 EUR auf sein Privatkonto geflossen seien.

21

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 21. Juni 2016 (Bl. 186 - 202 d. A.) sowie auf die Schriftsätze des Beklagten vom 20. September 2016 (Bl. 289 - 292 d. A.) und vom 31. Januar 2017 (Bl. 301 f. d. A.) Bezug genommen.

22

Der Beklagte beantragt,

23

das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

24

Die Klägerin beantragt,

25

die Berufung zurückzuweisen.

26

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 18. August 2016 (Bl. 264 - 267 d. A.) und ihrer Schriftsätze vom 11. Januar 2017 (Bl. 295 - 298 d. A.) und vom 16. Februar 2017 (Bl. 316 f. d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

27

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage vielmehr sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung stattgegeben.

II.

28

Die zulässige Klage ist begründet.

29

Die Klägerin hat gegen den Beklagten nach § 280 Abs. 1 BGB sowie nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 266 Abs. 1 StGB einen Schadensersatzanspruch in Höhe des eingeklagten und erstinstanzlich ausgeurteilten Geldbetrages. Die geltend gemachten Zinsen rechtfertigen sich für die auf die Jahre 2007 - 2013 entfallenden Teilbeträge bis zum Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus §§ 849, 246 BGB, hinsichtlich des Gesamtbetrages ab dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

30

Das Berufungsgericht folgt den ausführlichen Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Das Berufungsvorbringen des Beklagten bietet lediglich Anlass für folgende ergänzenden Klarstellungen:

31

1. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist nicht nach § 28 des Manteltarifvertrages für die Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz verfallen, da die Bestimmungen dieses Manteltarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung finden.

32

Da der Kläger nicht Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft ist, kommt eine auf beiderseitige Organisationszugehörigkeit beruhende Anwendbarkeit tariflicher Vorschriften nicht in Betracht. Die Parteien haben die Geltung tariflicher Vorschriften auch nicht einzelvertraglich vereinbart, sondern vielmehr im Einleitungssatz des Arbeitsvertrages vom 30.06.2006 sogar ausdrücklich ausgeschlossen.

33

Soweit der Beklagte geltend machte, die fehlende Bezugnahme auf tarifliche Vorschriften im Arbeitsvertrag und deren ausdrücklich vereinbarte Nichtgeltung beruhe auf der irrtümlichen Annahme der Klägerin bei Vertragsschluss, das Arbeitsverhältnis sei als dasjenige eines leitenden Angestellten zu qualifizieren, so zielt diese Argumentation in rechtlicher Hinsicht auf die Vorschriften des § 313 BGB. Danach kann, wenn sich wesentliche Vorstellungen als falsch herausstellen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, eine Vertragsanpassung verlangt werden, soweit einem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

34

Es kann offen bleiben, ob der Kläger trotz seiner nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages herausgehobenen Stellung bei der Beklagten nicht als leitender Angestellter beschäftigt war und die Parteien bzw. zumindest die Klägerin bei Vertragsschluss diesbezüglich einem Irrtum unterlagen. Eine Vertragsanpassung kann nämlich nach § 313 Abs. 1 BGB nur dann verlangt werden, wenn einer Vertragspartei das Festhalten am unveränderten Vertrag, insbesondere auch unter Berücksichtigung der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, unzumutbar ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Bei Nichtanwendbarkeit der einschlägigen tariflichen Vorschriften verbleibt es insoweit bei den gesetzlichen Regelungen. Tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte, aus denen sich ergeben könnte, dass eine Nichtanwendung einschlägiger Tarifnormen - insbesondere bezüglich des Verfalls von Forderungen aus vorsätzlichen Pflichtverletzungen - für den Beklagten unzumutbar ist, sind nicht erkennbar. Darüber hinaus besteht der in § 313 BGB normierte Anspruch auf Anpassung des Vertrags regelmäßig nur für die Zukunft, wobei in aller Regel auf den Zeitpunkt des erstmaligen Zugangs des Anpassungsverlangens bei der anderen Vertragspartei abzustellen ist (vgl. MüKo-BGB/Finkenauer, 7. Aufl., § 313, RandZiff. 96 ff. m. N. a. d. R.). Ein solches Anpassungsbegehren hat der Beklagte - wenn überhaupt - frühestens im Laufe des vorliegenden Rechtsstreits (einredeweise) geltend gemacht.

35

2. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist auch nicht (zumindest teilweise) verjährt.

36

Nach § 195 BGB beträgt die Verjährungsfrist regelmäßig drei Jahre und nach § 199 Abs. 4 BGB - kenntnisunabhängig - höchstens zehn Jahre. Die regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erst mit dem Schluss des Jahres, in dem der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

37

Dass die Klägerin vor der am 09. Juli und 10. Juli 2015 durchgeführten Kontrolle der persönlichen Verdienstabrechnungen des Beklagten positive Kenntnis von den ihren Schadensersatzanspruch begründenden Umständen erlangt hat, hat der hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht behauptet. Diesbezügliche Anhaltspunkte liegen ebenfalls nicht vor.

38

Auch eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin vor dem 09. Juli bzw. 10. Juli 2015 von den ihren Schadensersatzanspruch begründenden Umständen ist zu verneinen. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis i. S. v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nur vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis deshalb fehlt, weil er ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung ("Verschulden gegen sich selbst") vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber letztlich die Augen verschlossen hat (BGH v. 15. März 2016 - XI ZR 122/14 - NJW-RR 2016, 1187, m. w. N.).

39

Nach diesen Maßstäben kann eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin davon, dass der Beklagte zu seinen Gunsten Gehaltsauszahlungen veranlasst hat, welche die vertraglich vereinbarte Arbeitsvergütung überschritten, nicht angenommen werden. Zwar wurden die vom Beklagten vorbereiteten Überweisungen jeweils sowohl durch den kaufmännischen Geschäftsführer als auch durch den technischen Geschäftsführer der Klägerin unterzeichnet. Unstreitig bestand jedoch bei der Unterzeichnung der insgesamt 250 - 300 Mitarbeiter betreffenden Überweisungen keine unmittelbare Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der einzelnen Anweisungsbeträge. Es mag zwar zutreffen, dass der Beklagte monatlich eine CD-Rom mit den Zahlungsaufstellungen an die Geschäftsleitung übergeben hat und die Lohnjournale und die Lohnkonten in seinem Büro hätten eingesehen werden können. Das Bestehen dieser Kontrollmöglichkeiten vermag indessen den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht zu begründen, da nichts dafür ersichtlich ist, dass für die Geschäftsleitung der Klägerin irgendwelche Anhaltspunkte hinsichtlich des pflichtwidrigen Verhaltens des Beklagten bestanden, geschweige denn sich dies für die Geschäftsleitung geradezu aufdrängen musste. Darüber hinaus hat der Beklagte nach dem unbestritten gebliebenen Sachvortrag der Klägerin monatlich neben dem Abrechnungslauf, welchem die erhöhte Vergütung zur Anweisung gebracht wurde, noch einen weiteren (fingierten) Abrechnungslauf mit der ihm arbeitsvertraglich geschuldeten Vergütung durchgeführt und nur diesen für die unternehmensinterne Ablage dokumentiert, was eine Erkennbarkeit des Fehlverhaltens des Beklagten zumindest erschwerte. Dass für die Klägerin Anhaltspunkte für eine Unredlichkeit des Beklagten bestanden, hat dieser nicht vorgetragen. Die Klägerin hat dem Beklagten schlichtweg vertraut. Die auf diesem Vertrauen beruhende Unterlassung von Kontrollen rechtfertigt nicht die Annahme einer grob-fahrlässigen Unkenntnis i. S. v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB.

40

3. Der Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, die von ihm zu seinen eigenen Gunsten veranlassten Überweisungen von Geldbeträgen, die seine vertraglich vereinbarte Arbeitsvergütung bei weitem überstiegen, seien im Hinblick auf von ihm in den Jahren 2007 bis 2013 insgesamt geleistete 6.980,20 Überstunden gerechtfertigt bzw. diese Überstunden seien im Wege einer Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen.

41

Unabhängig davon, dass der Beklagte ohnehin nicht berechtigt war, eigenmächtig, d. h. ohne Einverständnis der Klägerin, Vergütung für Überstunden zu seinen Gunsten zur Auszahlung zu bringen, hat der Beklagte nicht dargetan, dass überhaupt ein solcher Anspruch auf Zahlung von Überstundenvergütung bestand.

42

Ein Anspruch auf Zahlung von Überstundenvergütung besteht nur, wenn die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet oder gebilligt oder zumindest geduldet wurden. Diesbezüglich fehlt es an einem ausreichenden Sachvortrag des Beklagten.

43

Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden fehlt es an jeglichem Sachvortrag. Auch von einer konkludenten Anordnung seitens der Klägerin kann nicht ausgegangen werden. Konkludent ordnet der Arbeitgeber Überstunden an, wenn er dem Arbeitnehmer Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nur durch die Leistung von Überstunden zu bewältigen ist. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten war, oder dass ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte (BAG v. 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - AP Nr. 54 zu § 611 BGB/Mehrarbeitsvergütung m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Beklagten nicht. Sein diesbezügliches Vorbringen erschöpft sich in der unsubstantiierten Behauptung, er habe die ihm anvertrauten Aufgaben - insbesondere auch wegen einer zu geringen Personalausstattung seiner Abteilung - nur unter Ableistung von Überstunden erledigen können. An einem konkreten Sachvortrag hierzu fehlt es jedoch.

44

Von einer Billigung der behaupteten Überstunden durch die Klägerin kann vorliegend ebenfalls nicht ausgegangen werden. Mit der Billigung von Überstunden ersetzt der Arbeitgeber gleichsam durch eine nachträgliche Genehmigung die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Der Arbeitnehmer muss hierzu darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein. Diesbezüglich lässt sich dem Sachvortrag des Beklagten nichts entnehmen.

45

Letztlich bietet der Sachvortrag des Beklagten auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die behaupteten Überstunden seitens der Klägerin geduldet wurden. Die Duldung von Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden zukünftig zu unterbinden, er also nicht gegen die Leistung von Überstunden einschreitet, sie vielmehr weiterhin entgegennimmt. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist (BAG v. 10. April 2013, a. a. O.). Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Beklagten nicht. Aus der Behauptung, er habe seit 2007 mehrfach gegenüber der Geschäftsleitung eine personelle Verstärkung der Personalabteilung gefordert und dabei die Antwort erhalten "du schaffst das schon", lässt sich nicht ableiten, dass die Klägerin konkrete Kenntnis davon erlangt hat, dass der Beklagte Überstunden geleistet hat.

46

4. Soweit der Beklagte schließlich geltend macht, dass nicht die von der Klägerin geltend gemachten Bruttobeträge von insgesamt 283.693,55 EUR, sondern nur die entsprechenden Nettobeträge von insgesamt 162.957,79 EUR seinem Konto zugeflossen seien, so erweist sich dieses Vorbringen als unerheblich, da die Klägerin keinen Bereicherungsanspruch, sondern vielmehr einen Schadensersatzanspruch geltend macht und ihr ein Schaden in Höhe des eingeklagten Betrages entstanden ist.

III.

47

Die Berufung des Beklagten war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

48

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72 a ArbGG), wird hingewiesen.

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