Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 455/15

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12. August 2015, Az. 11 Ca 3486/14, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen Benachteiligung aufgrund des Geschlechts zu zahlen.

2

Die Beklagte stellt Schuhe her. Sie ist nicht tarifgebunden. Im April 2014 beschäftigte sie insgesamt 270 eigene Arbeitnehmer, darunter 110 Männer und 160 Frauen. Ein Betriebsrat besteht seit Herbst 2014. Die 1977 geborene Klägerin ist bei der Beklagten, die früher unter F. Schuhproduktion GmbH firmierte, seit 02.05.2007 als Produktionsmitarbeiterin beschäftigt. Die Beklagte zahlte bis 31.12.2012 an die in der Produktion beschäftigten Frauen bei gleicher Tätigkeit einen geringeren Stundenlohn als den Männern. Ab 01.01.2013 zahlte sie weiblichen und männlichen Produktionskräften einen Stundenlohn von € 9,86 brutto. Im Januar 2013 teilte die Beklagte der Klägerin und anderen Frauen in einem Schreiben - auszugsweise - folgendes mit:

3

"Liebe Frau [...],
wie Sie wissen, wurden in unserem Unternehmen Frauen bislang geringer entlohnt als Männer. Diese Unterscheidung ist nach unserer Auffassung nicht mehr zeitgemäß. Daher schaffen wir sie ab. Wir möchten den kürzlich erfolgten Gesellschafterwechsel zum Anlass nehmen, künftig möglichst rasch klare und nachvollziehbare Gehaltsstrukturen zu schaffen. Der Grundlohn in unserem Unternehmen beträgt ab dem 1. Januar 2013 9,86 Euro brutto.
Hiermit heben wir Ihren Lohn ab dem Januargehalt auf 9,86 Euro brutto an. ..."

4

In zahlreichen Prozessen, die seit dem Jahr 2013 vor dem Arbeitsgericht Koblenz und dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz anhängig sind und waren, haben weibliche Produktionskräfte die Differenzbeträge zum Arbeitsentgelt männlicher Produktionskräfte für die Zeit bis zum 31.12.2012 eingeklagt. In zahlreichen Prozessen wurde den Klägerinnen neben der Entgeltdifferenz innerhalb noch unverjährter Zeit eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. € 6.000,00 zugesprochen (vgl. ua. LAG Rheinland-Pfalz 13.05.2015 - 5 Sa 440/13 und vom 21.07.2016 - 5 Sa 412/15). Der Klägerin wurde in ihrem Vorprozess (5 Sa 441/13, ArbG Koblenz 9 Ca 377/13) für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2012 restliche Vergütung iHv. € 9.551,57 brutto und zusätzlich eine Entschädigung iHv. € 6.000,00 zugesprochen.

5

Am 10.04.2014 stellte die Beklagte der Belegschaft in einer Mitarbeiterveranstaltung ein neues Vergütungssystem mit fünf Entgeltgruppen (EG) für Produktionsmitarbeiter vor. Die EG gliedern sich - stark vereinfacht dargestellt - wie folgt:

6

EG    

Bezeichnung

01    

Beschicken von Maschinen unter Aufsicht

02    

Beschicken von Maschinen
oder kompliziertere Einzeltätigkeit

03    

qualifiziertes Beschicken
von Maschinen oder Qualitätssicherung

04    

Betreuung von Maschinen,
Anlagen oder Instandhalter

05    

Leitung von Teams

7

Der von der Beklagten angebotene neue Grundlohn beträgt bei einer regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden für Vollzeitkräfte (brutto):

8

EG    

Grundlohn/Monat

02    

€ 1.851,10

03    

€ 1.903,00

9

Am 10.04.2014 bot die Beklagte den Produktionsmitarbeitern neue Arbeitsverträge an. Der Klägerin bot sie einen Arbeitsvertrag als "Produktionsmitarbeiter" mit einer Entlohnung nach EG 02 an. Die Vertragsangebote verteilten sich auf die weiblichen und männlichen Produktionskräfte wie folgt:

10

EG    

von 160 Frauen

von 110 Männern

02 oder niedriger

117

16

03 oder höher

43

94

11

Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Klägerin lehnte das Angebot mit Schreiben vom 10.06.2014, das der Beklagten am selben Tag zuging, ab. Zur Begründung führte er aus, die Beklagte habe nach seinem Kenntnisstand nahezu allen Männern, die sie als "Produktionsmitarbeiter" beschäftige, ein Vertragsangebot mit einer Entlohnung nach EG 03 unterbreitet, während sie dem ganz überwiegenden Teil der Frauen, die sie ebenfalls als "Produktionsmitarbeiter" beschäftige, einen Vertrag mit einer geringeren Entlohnung nach EG 02 angeboten habe. Hierin liege offensichtlich erneut eine geschlechtsspezifische Benachteiligung. Er forderte die Beklagte auf, der Klägerin ebenfalls ein Vertragsangebot mit einer Entlohnung nach EG 03 zu unterbreiten. Nach Eingang eines entsprechenden Angebots werde die Klägerin über dessen Annahme entscheiden. Außerdem machte er Ansprüche auf "gleiche zukünftige Vergütung etc." geltend und verlangte verschiedene Auskünfte. Schließlich forderte er die Beklagte auf, an die Klägerin einen immateriellen Schadensersatz iHv. mindestens drei Bruttomonatslöhnen zu zahlen. Mit Anwaltsschreiben vom 03.07.2014 lehnte die Beklagte das Begehren mit der Begründung ab, alle Eingruppierungen seien ausschließlich tätigkeitsbezogen erfolgt, so dass eine Diskriminierung ausgeschlossen sei. Mit ihrer am 10.09.2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin (nur) ihr Begehren auf Zahlung einer Entschädigung gerichtlich weiter.

12

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.08.2015 Bezug genommen.

13

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

14

die Beklagte zu verurteilen, an sie wegen lohnbezogener Geschlechtsdiskriminierung bei Änderung des Arbeitsvertrages einen angemessenen immateriellen Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch € 6.000,00 nicht unterschreiten sollte.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 12.08.2015 abgewiesen und zur Begründung - zusammengefasst - ausgeführt, das Entschädigungsverlangen nach § 15 Abs. 2 AGG sei unbegründet, denn die Beklagte habe die Klägerin bei Unterbreitung des Vertragsangebots mit einer Entlohnung nach EG 02 nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Zwar könne bereits die Versagung einer Verdienstchance - hier einer Entlohnung nach EG 03 - eine Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 AGG darstellen. Die Klägerin befinde sich jedoch nicht in einer "vergleichbaren Situation" mit den in EG 03 eingestuften Produktionsmitarbeitern. Die darlegungs- und beweispflichtige Klägerin habe nicht dargetan, dass die von ihr ausgeübte Tätigkeit mit der Tätigkeit einer männlichen Produktionskraft, die von der Beklagten nach EG 03 entlohnt werde, vergleichbar sei. Aus dem Umstand, dass die Beklagte vor Einführung des neuen Vergütungssystems im April 2014 in der Zeit ab 01.01.2013 an weibliche und männliche Produktionskräfte einen einheitlichen Stundenlohn gezahlt habe, könne die Klägerin nichts für sich herleiten, denn es stehe dem Arbeitgeber frei, auch qualitativ unterschiedliche Arbeitsleistungen gleich zu vergüten. Der Ansatz, dass aus einer gleichen Vergütung auch die Vergleichbarkeit der Tätigkeit folgen müsse, greife zu kurz. Auch aus den vorangegangen Diskriminierungsprozessen könne die Klägerin keine Benachteiligung bei der Unterbreitung des Vertragsangebots im April 2014 herleiten. In diesen Prozessen habe die Beklagte nicht vorgetragen, dass zwischen den Tätigkeiten der einzelnen Produktionsmitarbeiter inhaltliche Unterschiede bestanden hätten. Dies sei im vorliegenden Rechtsstreit anders. Die Beklagte habe vorgetragen, dass sie auf der Grundlage ihrer "Kriterien für die Zuordnung - Entgeltgruppen" (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 26.01.2015) zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die Produktionsmitarbeiter jedenfalls in Teilen unterschiedliche Tätigkeiten ausübten. Dem sei die Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten. Ihr Vortrag, die von ihr ausgeübten Tätigkeiten seien "selbstverständlich" qualitativ gleichwertig mit denen eines in EG 03 eingestuften Produktionsmitarbeiters, genüge nicht, um ihrer Darlegungslast gerecht zu werden. Auch die Erwägungen der Klägerin zur statistischen Geschlechterverteilung seien nicht geeignet, um die erforderliche "vergleichbare Situation" darzulegen. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 12.08.2015 Bezug genommen.

18

Gegen das ihr am 03.09.2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 02.10.2015 Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 27.11.2015 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 27.11.2015 begründet.

19

Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Beklagte habe sie aufgrund ihres Geschlechts bei der Unterbreitung des Vertragsangebots mit einer Entlohnung nach EG 02 im April 2014 benachteiligt. Die Diskriminierung werde bereits dadurch deutlich, dass die Beklagte 117 von 160 weiblichen Produktionskräften keinen Arbeitsvertrag mit einer Entlohnung nach EG 03 angeboten habe, während sie 94 von 110 Männern ein derartiges Angebot unterbreitet habe, ohne die Auswahlkriterien darzulegen. Die arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten seien im Zeitpunkt der Angebote unterschiedlicher Verträge bei männlichen und weiblichen "Produktionsmitarbeitern" gleich gewesen. Die "Produktionsmitarbeiter" seien von der Beklagten seit dem 01.01.2013 gleich vergütet und mit vertraglich gleich geschuldeten Arbeitsleistungen beschäftigt worden. Alle von der Beklagten in die späteren Entgeltgruppen 02 oder 03 eingestuften Arbeitnehmer seien "Produktionsmitarbeiter", die arbeitsvertraglich allesamt verpflichtet gewesen seien, alle Produktionsarbeiten zu erledigen, wenn sie von der Beklagten in Ausübung des Direktionsrechts hierzu aufgefordert worden wären. Sie schulde der Beklagten vor und nach dem 10.04.2014 keine andere Arbeitsleistung als ein männlicher Mitarbeiter, dem die Beklagte ein Angebot mit einer Entlohnung nach EG 03 unterbreitet habe. Die von der Beklagten in erster Instanz vorgelegten "Kriterien für die Zuordnung - Entgeltgruppen" (Anlage 1 zum Schriftsatz vom 26.01.2015) seien als Unterscheidungskriterien nicht Gegenstand des Vertragsangebots gewesen. Die Beklagte habe dem Angebot auch keine nähere Definition des Umfangs des Direktionsrechts oder eine Tätigkeitsbeschreibung beigefügt. Da ihr die Kriterien für eine Zuordnung von Tätigkeiten zu EG 02 oder EG 03 im Zeitpunkt des Vertragsangebots nicht bekannt gewesen seien, könnten diese die unterschiedliche Behandlung weiblicher und männlicher Produktionskräfte auch nicht rechtfertigen. Die Beklagte habe ihr Vergütungssystem in erster Instanz nicht ansatzweise dargelegt. Die vorgelegte Anlage 1, die ohne Zuordnung zu einer bestimmten Tätigkeit lediglich abstrakte und nicht nachvollziehbare Unterscheidungskriterien enthalte, stelle kein sachlich begründetes Vergütungssystem dar. Die Beklagte sei ihrer Darlegungs- und Beweislast auch zweitinstanzlich nicht nachgekommen.

20

Im Übrigen liege eine Diskriminierung bereits deshalb vor, weil ihre Tätigkeit iSd. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.07.2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (RL 2006/54/EG, juris: EGRL 54/2006) als "gleichwertig anerkannt" worden sei. Weil Art. 4 Abs. 1 RL 2006/54/EG gerade auch bei einer Arbeit, die als "gleichwertig anerkannt" werde, eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbiete, komme es letztlich nicht mehr darauf an, ob das "Einstreichen von Leder" aus Sicht der Beklagten eine geringwertigere Tätigkeit sei. In sämtlichen bisher entschiedenen Prozessen habe die Beklagte die Gleichwertigkeit ihrer Tätigkeit anerkannt bzw. unstreitig gestellt. In keinem der zahlreichen Prozesse habe die Beklagte die Höherwertigkeit der Produktionsarbeiten behauptet, die nicht das "Einstreichen von Leder" zum Gegenstand hätten. Damit sei eine Anerkennung der Gleichwertigkeit in den gerichtlichen Verfahren erfolgt. Außerdem sei die Gleichwertigkeit durch eine einheitliche Entlohnung sämtlicher Produktionsarbeiten mit einem Stundenlohn von € 9,86 ab dem 01.01.2013 von der Beklagten anerkannt worden. Die Beklagte habe die Gleichwertigkeit sämtlicher Tätigkeiten nochmals durch ihr Schreiben an die Mitarbeiterinnen vom Januar 2013 ausdrücklich anerkannt. Schlussendlich sei die Gleichwertigkeit auch durch die Arbeitsgerichtsverfahren anerkennt worden. Die Beklagte sei in einer Vielzahl von Verfahren zur Nachzahlung der Differenzlöhne für die Zeit vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2012 rechtskräftig verurteilt worden. Art. 4 Abs. 1 RL 2006/54/EG und Art. 157 Abs. 1 AEUV stellten unmittelbare Anspruchsgrundlagen dar; die Richtlinie entfalte Drittwirkung. § 7 AGG iVm. § 15 AGG sei richtlinienkonform auszulegen und zu ergänzen, soweit das AGG keine ausdrückliche Regelung zum Verbot der Diskriminierung bei "anerkannt gleichwertigen Arbeiten" beinhalte. Da es sich bei ihrer Tätigkeit um eine "anerkannt gleichwertige Tätigkeit" handele, sei sie durch das Vertragsangebot nach EG 02 erneut wegen ihres Geschlechts diskriminiert worden. Dementsprechend habe das Bundesarbeitsgericht im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde einer Arbeitskollegin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.03.2017 (5 Sa 454/15) mit Beschluss vom 15.08.2017 (8 AZN 471/17) klargestellt, dass die vorstehenden Rechtsfragen im Ergebnis allesamt entscheidungserheblich seien und die Befassung mit ihnen "dazu führen würde, das Urteil des Landesarbeitsgerichts im Ergebnis als richtig oder falsch zu bewerten". Das Bundesarbeitsgericht habe die Frage der Anerkennung der Gleichwertigkeit der Tätigkeit ausdrücklich als in jedem einzelnen Punkt unmittelbar entscheidungserheblich angesehen. Deshalb sei im Streitfall die Revision zuzulassen, wenn der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) nicht im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens angerufen werde.

21

Sie werde von der Beklagten bereits durch die Ausübung des Direktionsrechts diskriminiert. Die Beklagte habe ihr lediglich einen Arbeitsvertrag mit einer Vergütung nach EG 02 angeboten, obwohl sie von ihr unter Ausübung des Direktionsrechts auch mit einer angeblich höherwertigen Tätigkeit nach EG 03 beschäftigt werden könnte. Die Ausübung des Direktionsrechts sei geschlechtsbezogen erfolgt. Sie sei durchaus in der Lage, Arbeiten der Entgeltgruppe 03 zu erledigen. Die schriftsätzlichen Darstellungen der Beklagten von den verschiedenen Tätigkeiten in der Produktion seien in weiten Teilen unzutreffend und vermittelten ein falsches Bild. Die Behauptung der Beklagten, sie beschäftige die Frauen, denen sie Verträge mit einer Entlohnung nach EG 02 angeboten habe, ausschließlich mit dem "Einstreichen von Leder", sei falsch. Vielmehr beschäftige sie weibliche Produktionskräfte auch mit Arbeiten an der Maschine oder am Packtisch bzw. in der Endkontrolle. Bei sämtlichen Arbeiten handele es sich um einfachste händische Tätigkeiten. Eine Vorbildung sei (unstreitig) nicht erforderlich. Neu eingestellte Mitarbeiter und Leiharbeitnehmer könnten innerhalb weniger Tage an sämtlichen Arbeitsplätzen - auch denen der EG 03 - eingearbeitet werden. Die Tätigkeiten seien "durchaus gleichwertig" und daher auch gleich zu vergüten, wie dies die Beklagte ab 2013 auch bei allen Produktionskräften getan habe. Keine der Tätigkeiten führe nach dem Tarifvertrag der Schuhindustrie zu einer höheren Eingruppierung. Dadurch, dass die Bestandteile der Schuhe komplett vorgefertigt seien, beschränke sich die Produktion bei der Beklagten auf einfachste Handgriffe. Komplexere Arbeiten seien nicht zu erledigen. Auch deshalb sei das von der Beklagten zielgenau zugeschnittene Vergütungsystem "völlig künstlich".

22

Es sei nicht richtig, dass ihre "niveauprägende Kerntätigkeit" das "Einstreichen von Leder" sei. Sie sei von Beginn an weitestgehend mit dem Einstreichen von Leder beschäftigt worden. Sie habe jedoch auch immer wieder als Aushilfe an der Maschine gearbeitet. So habe sie insbesondere auch Fußbetten auf die Leisten gelegt und Leder an der Maschine aufgelegt. Am Packtisch, dort in der Endkontrolle, sei sie ebenfalls seit Mai 2007 eingesetzt worden. Sie selbst habe neue Mitarbeiter angelernt. Das "Einstreichen von Leder" sei im Übrigen eine Tätigkeit, bei der man sich ganz besonders konzentrieren müsse, weil es auf höchste Genauigkeit ankomme. Werde der Kleber nur geringfügig falsch aufgetragen, sei das Leder nicht weiter verwendbar. Die Arbeit sei deshalb besonders anstrengend.

23

Die Klägerin beantragt zweitinstanzlich,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.08.2015, Az. 11 Ca 3486/14, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie wegen lohnbezogener Geschlechtsdiskriminierung bei Änderung des Arbeitsvertrages einen angemessenen immateriellen Schadensersatz zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch € 6.000,00 nicht unterschreiten sollte.

25

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

27

Sie macht im Wesentlichen geltend, sie habe die Klägerin bei Unterbreitung des Vertragsangebots im April 2014 nicht aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert. Die Klägerin arbeite in der Produktion und verrichte dort Tätigkeiten, die nach EG 02 zu bewerten seien. Eine Vergleichbarkeit mit männlichen Produktionskräften, die eine Tätigkeit nach EG 03 ausübten, liege also nicht vor. Nachdem es in der Vergangenheit wegen des Geschlechts zu Benachteiligungen von Frauen bei der Entlohnung gekommen sei, habe ihre neue Geschäftsführung diesen Zustand ab 01.01.2013 abgestellt, indem sie allen Produktionsmitarbeitern in einem ersten Schritt sofort einen vergleichbaren Stundensatz gezahlt habe. Sie habe in einem zweiten Schritt in den Jahren 2013/2014 sämtliche in der Produktion anfallenden Tätigkeiten mit fachkundiger Unterstützung einer externen Unternehmensberatung erfasst, analysiert und bewertet und sodann ein unternehmensspezifisches Vergütungssystem entwickelt, das aus fünf Entgeltgruppen bestehe. Für jede Entgeltgruppe seien Kerntätigkeiten analysiert und pro Entgeltgruppe geprüft worden, ob und wenn ja, wie selbstständig und mit welchen Unterweisungen die Mitarbeiter die Tätigkeiten in der jeweiligen Entgeltgruppe ausübten. Anschließend sei die Zuordnung der einzelnen Mitarbeiter zu den jeweiligen Entgeltgruppen aufgrund der prägenden Tätigkeiten des jeweiligen Mitarbeiters erfolgt. Bei mehreren regelmäßigen Haupttätigkeiten (bspw. bei Springern) sei die Zuordnung über die höher eingruppierte Rolle erfolgt. Sie habe im April 2014 am Betriebsstandort St. 194 Personen (sämtlichen aktiven Lohnempfängern, die zu dem Zeitpunkt tatsächlich am Standort beschäftigt gewesen seien) neue Verträge angeboten. Konkret habe sie folgende Angebote unterbreitet:

28

EG    

von 130 Frauen

von 64 Männern

01    

8

3

02    

85

7

03    

27

49

04    

8

4

05    

2

1

29

Die Angebote seien streng nach den ausgeübten Tätigkeiten erfolgt. Die Tatsache, dass sie mehr Frauen, die ohnehin zwei Drittel der Belegschaft stellten, als Männern Angebote nach EG 02 unterbreitet habe, liege daran, dass sie Tätigkeiten, die der EG 02 zugeordnet seien, ausübten. Die Klägerin streiche Lederteile mit einem Klebstoff ein. Diese kompliziertere Einzeltätigkeit sei der EG 02 zugeordnet. Um eine Entlohnung nach EG 03 zu erzielen, müsste die Klägerin regelmäßig weitere, höher qualifizierte Aufgaben übernehmen, bspw. das Schleifen oder Sohlen setzen oder die Tätigkeit am Packtisch, incl. SAP-Buchungen, oder das Zwicken bei Clogs oder geschlossenen Schuhen. Nichts davon habe die Klägerin getan oder mache sie derzeit.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die ge-wechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

31

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

II.

32

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, an die Klägerin eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen. Die Klägerin ist nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden, weil ihr die Beklagte im April 2014 ein Vertragsangebot mit einer Entlohnung nach EG 02 unterbreitet hat. Aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles befand sich die Klägerin nicht in einer vergleichbaren Situation mit männlichen Produktionskräften, denen die Beklagte ein Angebot mit einer höheren Entlohnung nach EG 03 angetragen hat (ebenso LAG Rheinland-Pfalz 23.03.2017 - 5 Sa 431/15, 5 Sa 432/15, 5 Sa 433/15, 5 Sa 454/15; 15.03.2018 - 5 Sa 434/15, 5 Sa 435/15, 5 Sa 439/15, 5 Sa 441/15, 5 Sa 442/15; 14.06.2018 - 5 Sa 444/15, 5 Sa 445/15, 5 Sa 447/15, 5 Sa 448/15, 5 Sa 449/15).

33

1. Der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist eröffnet. Die Klägerin ist Beschäftigte (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AGG) und die Beklagte Arbeitgeber (§ 6 Abs. 2 AGG). Ebenso ist der sachliche Anwendungsbereich des AGG gegeben. Gem. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG unterliegen die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich Arbeitsentgelt der Diskriminierungskontrolle des AGG. Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG). Hierüber streiten die Parteien auch nicht.

34

2. Die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG sind nicht gegeben. Im Streitfall liegt im April 2014 keine geschlechtsspezifische Diskriminierung der Klägerin vor.

35

a) Nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Der Entschädigungsanspruch setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus und ist verschuldensunabhängig. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich des AGG eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Geschlechts.

36

§ 7 Abs. 1 AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen des Geschlechts, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Nach § 3 Abs. 2 AGG liegt eine mittelbare Benachteiligung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

37

Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst allerdings nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; es muss nicht - gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens - handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (vgl. BAG 28.09.2017 - 8 AZR 492/16 - Rn. 19; BAG 11.08.2016 - 8 AZR 406/14 - Rn. 27 mwN).

38

§ 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. BAG 28.09.2017 - 8 AZR 492/16 - Rn. 20-22 mwN; BAG 11.08.2016 - 8 AZR 406/14 - Rn. 28 mwN).

39

b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Klägerin im April 2014 bei Unterbreitung eines Vertragsangebots mit einer Entlohnung nach EG 02 von der Beklagten nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt worden. Die Berufungskammer hält auch unter Berücksichtigung der von der Klägerin im Anschluss an die Entscheidungen vom 23.03.2017 (ua. LAG Rheinland-Pfalz 5 Sa 454/15, nachgehend ua. BAG 8 AZN 471/17) vorgetragenen Gesichtspunkte an ihrer darin geäußerten Auffassung fest. Der vorliegende Fall gibt - entgegen der von der Berufung aufgeworfenen Bedenken - auch in verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Hinsicht, keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung (ebenso LAG Rheinland-Pfalz 15.03.2018 - 5 Sa 434/15, 5 Sa 435/15, 5 Sa 439/15, 5 Sa 441/15, 5 Sa 442/15; 14.06.2018 - 5 Sa 444/15, 5 Sa 445/15, 5 Sa 447/15, 5 Sa 448/15, 5 Sa 449/15).

40

aa) Mit der Unterbreitung eines Vertragsangebots nach EG 02 hat die Klägerin eine weniger günstige Behandlung als die Produktionsmitarbeiter erfahren, denen die Beklagte einen Vertrag mit einer Entlohnung nach EG 03 angeboten hat. In Betracht kommt eine unmittelbare oder auch mittelbare Benachteiligung der Klägerin iSd. § 3 AGG, wenn diese Behandlung wegen ihres Geschlechts erfolgt sein sollte. Die Benachteiligung läge dann in der Versagung einer Chance auf eine um € 51,90 (monatlich brutto) höhere Entlohnung nach EG 03. Als Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 S. 1 AGG gilt auch die Versagung einer Chance (vgl. BAG 23.08.2012 - 8 AZR 285/11 - Rn. 22; BAG 16.02.2012 - 8 AZR 697/10 - Rn. 29 mwN). Eine mittelbare Geschlechterdiskriminierung iSd. § 3 Abs. 2 AGG wäre dann anzunehmen, wenn ein wesentlich geringerer Prozentsatz der weiblichen als der männlichen Arbeitnehmer die durch das neu eingeführte Vergütungssystem aufgestellten Voraussetzungen erfüllen können (vgl. BAG 18.09.2014 - 8 AZR 753/13 - Rn. 38 mwN).

41

bb) Wie bereits in den Parallelprozessen ausgeführt (ua. LAG Rheinland-Pfalz 23.03.2017 - 5 Sa 454/15 - Rn. 38 ff) hat die Klägerin iSd. § 22 AGG hinreichende Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechts vermuten lassen.

42

Die Rechtsvorgänger der Beklagten haben - was in zahlreichen Diskriminierungsprozessen (vgl. ua. LAG Rheinland-Pfalz 5 Sa 436/13, 5 Sa 412/15) unstreitig war, den in der Produktion beschäftigten Frauen jahrzehntelang bis 31.12.2012 bei gleicher Tätigkeit einen geringeren Stundenlohn als den Männern gezahlt. Auch die Anwesenheitsprämie (5% des Bruttolohns), das Weihnachtsgeld (40% des Bruttolohns) und das Urlaubsgeld (46,5% des Bruttolohns) ist für Frauen bis 31.12.2012 - was ebenfalls unstreitig war - auf der Grundlage des niedrigeren Stundenlohns berechnet worden. Die Beklagte hat die regelhafte Benachteiligung von Frauen wegen des Geschlechts bei der Entlohnung in der Vergangenheit erst ab 01.01.2013 abgestellt, und den Stundenlohn für Frauen auf € 9,86 brutto angehoben. In ihrem Schreiben, das sie im Januar 2013 an die Klägerin und andere Frauen gerichtet hat, hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten eingeräumt, dass sie Frauen bislang geringer entlohnt habe als Männer. Sie teilte mit, dass sie diesen Zustand abschaffen wolle, weil er nach ihrer Auffassung "nicht mehr zeitgemäß" sei.

43

Bei dieser Vorgeschichte besteht die Vermutung der erneuten Benachteiligung der Frauen, wenn die Beklagte bereits 15 Monate nach Einführung eines einheitlichen Stundenlohns für Frauen und Männer ab April 2014 ein neues, mangels Tarifbindung einseitig festgelegtes, Vergütungssystem anwenden will, das erneut zu einer ungleichen Bezahlung von Produktionskräften führt. Der Umstand, dass die Beklagte Produktionstätigkeiten, die sie ab 01.01.2013 einheitlich mit einem Stundenlohn von € 9,86 vergütet hat, ab 01.04.2014 in Tätigkeiten unterschiedlicher Wertigkeit nach EG 02 und EG 03 aufgespalten hat, legt die Vermutung nahe, dass diese Ungleichbehandlung zwischen Frauen und Männern nicht gerechtfertigt sein könnte. Diese Vermutung wird dadurch verstärkt, dass die Beklagte - was sie in der mündlichen Verhandlung vom 21.06.2016 in den Parallelprozessen (zB 5 Sa 454/15) auf Befragen zu Protokoll erklärt hat - im April 2014 117 von 160 Frauen ein Vertragsangebot nach EG 02 unterbreitet hat, jedoch nur 16 von 110 Männern einen Vertrag nach EG 02 oder niedriger (einem Mann EG 01), während sie 94 von 110 Männern eine Entlohnung nach EG 03 oder höher, aber nur 43 vom 160 Frauen einen Vertrag nach EG 03 oder höher angeboten hat.

44

Aus diesen statistischen Daten, die die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 27.12.2017 relativiert hat, ergibt sich, dass ein wesentlich größerer Prozentsatz der männlichen als der weiblichen "Produktionsmitarbeiter", die durch das neue Vergütungssystem aufgestellten Voraussetzungen für eine höhere Entlohnung nach EG 03 erfüllen. Nach den Angaben der Beklagten im Schriftsatz vom 27.12.2017 erfüllen 84% der Männer (54 von 64), aber nur 28% der Frauen (37 von 130) die Tätigkeitsmerkmale der EG 03 oder höher. Zwar ist die bloße Unterrepräsentation einer Gruppe nicht zwingend ein Indiz für eine Diskriminierung bei der Entlohnung, jedoch kann sich aus aussagekräftigen statistischen Daten, die sich - wie hier - konkret auf den betreffenden Arbeitgeber beziehen, eine Vermutung für ein regelhaft die Frauen benachteiligendes Verhalten ergeben (vgl. BAG 18.09.2014 - 8 AZR 753/13 - Rn. 38 mwN).

45

Die Vermutung wird vorliegend auch dadurch bestärkt, dass noch in erster Instanz unklar war, worin sich die Tätigkeiten nach EG 01, EG 02 und EG 03 aufgrund der von der Beklagten als Anlage 1 zum erstinstanzlichen Schriftsatz vom 26.01.2015 vorgelegten "Kriterien für die Zuordnung - Entgeltgruppen" überhaupt unterscheiden sollen. Dieser Kriterienkatalog, den die - nicht tarifgebundene - Beklagte einseitig aufgestellt hat, lautet wie folgt:

46

Entgeltgruppe

EG 01 

EG 02 

EG 03 

Bezeichnung

Beschicken von
Maschinen unter Aufsicht

Beschicken von
Maschinen oder kompliziertere
Einzeltätigkeiten

qualifiziertes Beschicken von
Maschinen oder
Qualitätssicherung

Anlernen

kurze Unterweisung
(wenige Stunden)

kurze Unterweisung
(2-3 Stunden)

Schulung (bis 6 Monate
oder Facharbeiter)

Rüsten

nein   

einfach

ja    

Störungsbeseitigung

extern

einfach

einfach

Q-Prüfung

einfach/Sicht

einfaches Bewerten

messen oder
qualifizierte Bewertung

Fehleranalyse

nein   

kann   

ja    

Aussortieren

begrenzt

ja    

ja    

BDE-Buchung

möglich

möglich

ja    

Material einlegen

ja    

ja    

ja    

Wartung

nein   

nach Vorgabe

nach Vorgabe

Personaleinteilung
im Team

nein   

nein   

nein   

Personalverantwortung
disziplinarisch

nein   

nein   

nein   

Sonderaufgaben und
Beauftragungen

im kleineren Umfang

im kleineren Umfang

im kleineren Umfang

47

Aus diesen Kriterien wird nicht deutlich, weshalb die Beklagte Produktionstätigkeiten, die sie seit 01.01.2013 diskriminierungsfrei mit einem Stundenlohn von € 9,86 brutto vergütet hat, ab April 2014 durch ihr neues Vergütungssystem (wieder) unterschiedlich gewichten und entweder nach EG 02 oder nach EG 03 entlohnen will. Den Zuordnungskriterien lässt sich insbesondere nicht entnehmen, worin der sachliche Unterschied zwischen "Beschicken von Maschinen" und "qualifiziertem Beschicken von Maschinen" liegen und was eine "kompliziertere Einzeltätigkeit" sein soll. Es ist auch nicht nachvollziehbar, worin der Unterschied zwischen einer kurzen Unterweisung "wenige Stunden" zu einer kurzen Unterweisung "2-3 Stunden" oder einer "Schulung" bestehen soll. Schließlich ist unklar, worin der sachliche Unterschied zwischen "Qualitätssicherung" und "Q-Prüfung" sowie zwischen "Rüsten einfach" und "Rüsten ja" bestehen soll. Weiterhin ist nicht nachvollziehbar, worin bei der sog. Q-Prüfung der sachliche Unterschied zwischen "einfaches Bewerten" oder "qualifizierte Bewertung" oder "Messen" bestehen soll.

48

c) Wie bereits in den Parallelprozessen ausgeführt (ua. LAG Rheinland-Pfalz 23.03.2017 - 5 Sa 454/15 - Rn. 38 ff) hat die Beklagte jedoch die aus den Indizien folgende Vermutung, dass sie die jahrzehntelange Diskriminierung der Frauen beim Arbeitsentgelt, die sie erst ab 01.01.2013 durch Einführung eines einheitlichen Stundenlohnes iHv. € 9,86 brutto für weibliche und männliche Produktionskräfte abgestellt hatte, durch das von ihr neu entwickelte Vergütungssystems ab April 2014 wieder eingeführt hat, entkräftet.

49

aa) Die Beklagte hat - auch für das vorliegende Verfahren - in ihrem Schriftsatz vom 27.12.2017 nachvollziehbar dargelegt, dass ausschließlich nicht auf das Geschlecht bezogene Gründe zu einer unterschiedlichen Entlohnung der Produktionskräfte führen. Das im April 2014 neu eingeführte Vergütungssystem ist nach dem konkreten Sachvortrag der Beklagten benachteiligungsfrei. Daran ändert auch das weitere Vorbringen der Klägerin im Anschluss an die Entscheidungen in den Parallelprozessen nichts, die mit - rechtskräftigen - Urteilen vom 23.03.2017 abgeschlossen worden sind (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 5 Sa 431/15, 5 Sa 432/15, 5 Sa 433/15 und 5 Sa 454/15).

50

Die Beklagte hat zunächst die Art der in ihrem Betrieb zu verrichtenden Tätigkeiten detailliert geschildert, was die Klägerin ausdrücklich als zutreffend bestätigt hat. Danach findet im Produktionsbereich die sog. Endmontage der Bestandteile der Schuhe statt. Die Endmontage wird von insgesamt 18 Teams, bestehend aus jeweils (pro Team) sieben Arbeitsplätzen und damit sieben unterschiedlichen Tätigkeiten ausgeführt. An einem Arbeitsplatz wird die Tätigkeit "Leder einstreichen" verrichtet. Die dort eingesetzten Beschäftigten bestreichen vorgefertigte Lederteile, die für die weitere Endmontage benötigt werden, mit einem speziellen Klebstoff. Der Klebstoff muss mit einem Pinsel manuell auf das Leder aufgetragen werden. Die Arbeiten sind nicht in den taktgenauen Anlagenrhythmus eingebunden und können zeitlich unabhängig vom maschinellen Montageprozess verrichtet werden. Die maschinelle Endmontage besteht nach dem ebenfalls unstreitigen Tatsachenvortrag der Beklagten aus fünf getrennten Tätigkeiten. Der erste Schritt ist das "Auflegen des Fußbettes" auf montierte Leisten. Hier muss eine Produktionskraft aus einer bereitgestellten Warenmenge das vorproduzierte Fußbett umgekehrt auf die auf einem Fließband laufenden Leisten auflegen. Die zweite Tätigkeit ist "Leder auflegen". An diesem Arbeitsplatz sind die auf einem Tablett bereitgelegten Lederteile, die zuvor mit Klebstoff eingestrichen worden sind, auf das Fließband mit den heranfahrenden Leisten aufzulegen. Die folgende Tätigkeit ist das "Ankleben des Leders". Hier klebt ein Beschäftigter das zuvor aufgelegte Lederstück an das davor aufgelegte Fußbett. Die nächste Tätigkeit in der Anlage ist das "Schleifen". Durch das Aufbringen des Leders befindet sich Klebstoff am Fußbett, das Ledermaterial ist noch glatt. Da in dieser Fassung keine Sohle aufgeklebt werden kann, ist ein vorheriger Schleifprozess erforderlich. Hierfür wird das vorproduzierte Stück vom Leisten genommen, manuell gesichtet, auf Fehler geprüft und sodann an der Schleifmaschine, die in der Anlage fest montiert sei, abgeschliffen. Diese Tätigkeit ist körperlich sehr anstrengend, weil das Werkstück mit großem Druck gegen die Schleifmaschine gepresst werden muss. Der vorletzte Arbeitsschritt ist das "Besohlen". Hier wird die Sohle aufgeklebt, die angepasst und teilweise auch "hineingepresst" werden muss, was eine komplexere und anstrengende Tätigkeit darstellt. Vor dem Einsetzen der Sohle ist eine Qualitätsprüfung durchzuführen. Der siebte und letzte Arbeitsplatz ist der "Packtisch & Endkontrolle". Das fertig produzierte Stück ist zu sichten und auf Qualitätsmängel zu kontrollieren, korrigierbare Fehler sind zu beheben. Das Leder und der Kunststoff können noch einmal angewärmt und damit weichgemacht werden, so dass überschüssige oder überstehende Materialien eingerückt, abgeschnitten, verschoben und geschliffen werden können. Produkte mit nicht behebbaren Mängeln sind auszusortieren. Einwandfreie Produkte sind zu verpacken und an den Kunden zu versenden. Am Packtisch sind auch Buchungen im SAP-System vorzunehmen.

51

Die Beklagte hat weiter vorgetragen, was die Klägerin als rechtlich unerheblich ansieht, dass sie in den Jahren 2013/2014 gemeinsam mit einer beauftragten Unternehmensberatung die "Kriterien für die Zuordnung - Entgeltgruppen" entwickelt habe. Motiv hierfür sei die Einführung des Mindestlohns und die hierdurch erforderlich werdenden Anpassungen des Vergütungssystems sowie die gerichtsbekannten historischen "Altlasten" zum Thema Vergütung gewesen. Ziel des neuen Entgeltsystems sei auch, die Vergütung gesellschaftsübergreifend zu vereinheitlichen, Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu schaffen, den Fokus dabei auf die Produktion zu legen, wobei die Tätigkeit der Mitarbeiter Ausgangspunkt der Vergütung sein solle und gute Leistungen oder weitere Zielerreichungen über dieses Vergütungssystem auch honoriert werden sollen. Es sei schließlich auch darum gegangen, ein diskriminierungsfreies Vergütungssystems zu entwickeln, und allen Beschäftigten anzubieten. Bei der Entwicklung des Entgeltsystems sei die Beratungsgesellschaft nach dem summarischen Verfahren vorgegangen; sie habe eine summarische Arbeitsbewertung mit analytischen Komponenten durchgeführt. Zunächst sei der Produktionsablauf und -prozess in allen Produktionsgesellschaften der Unternehmensgruppe analysiert und geprüft worden, welche Tätigkeiten in welchen Arbeitsschritten zu vollziehen seien. Anschließend sei die Anzahl der Entgeltgruppen definiert worden (hier fünf). Die Anzahl habe sich nach der Art der Tätigkeiten in allen Gesellschaften und Werken und danach gerichtet, wie viele Gruppen zusammengefasst werden können und müssen, um dem unterschiedlichen Tätigkeitsniveau gerecht zu werden. Sodann seien die Überschriften für die einzelnen Entgeltgruppen entwickelt worden, die aus einer groben Beschreibung der Aufgaben resultierten, aber nicht abschließend seien. Die Überschriften seien bewusst so weit gefasst worden, dass sie für die diversen Produktionsgesellschaften und die dort unterschiedlichen Arbeitsaufgaben und Tätigkeiten passten. Anschließend seien Rollen je Produktionsgesellschaft und Werk definiert worden, dh. einzelne Tätigkeiten, auf Basis bestehender Stellenbeschreibungen. Hieraus resultiere ein umfassender Rollenkatalog für alle Tätigkeiten im Produktionsbereich der Unternehmensgruppe. Dieser Rollenkatalog definiere Tätigkeiten, verbunden mit einer kurzen Arbeitsplatzbeschreibung und der vorgesehenen Eingruppierung in die jeweilige Entgeltgruppe. Ein entsprechender Rollenkatalog sei auch für die Fertigung in ihrer Endmontage erstellt worden. Dieser Rollenkatalog habe als eine Art "Gebrauchsanweisung" gedient, mit der die Personalabteilung gemeinsam mit den Werksleitern vor Ort die jeweiligen Beschäftigten direkt anhand der ihnen zugewiesenen Tätigkeiten eingruppieren können. In der Endmontage gebe es folgende Rollen/Tätigkeiten:

52

Teamleiter Endmontage

stellvertretender Teamleiter Endmontage

Maschinenpersonal Endmontage (Ankleben Obermaterial)

Endmontage Schleifen und Sohlen setzen

Maschinenpersonal Einstreichautomat

Packtisch Endkontrolle, Nacharbeiten

Transporteur Endmontage

Zwicken (Clogs und Geschlossene)

Zehensteg-Modelle vorbereiten

Maschinenpersonal einfach (nur Bettungen und Obermaterial auflegen)

Maschinenpersonal Einstreichen manuell

Fußbettungen lochen

Zehenstege einziehen

Fußbettungen anzeichnen

Bettungen auflegen

Obermaterial auflegen

fertige Schuhe abnehmen

53

Bei der sodann erforderlichen Bewertung der Tätigkeiten habe die Beratungsgesellschaft den Fokus auf die niveauprägenden Elemente gelegt. Für jede Entgeltgruppe (EG 01 bis EG 05) habe sie Kerntätigkeiten analysiert und pro Entgeltgruppe geprüft, ob und wenn ja, wie selbstständig und mit welchen Unterweisungen die Mitarbeiter die Tätigkeiten in der jeweiligen Entgeltgruppe ausübten. Anschließend sei durch ein eigenes Team die Zuordnung der einzelnen Mitarbeiter zu den jeweiligen Entgeltgruppen anhand der aufgeführten prägenden Tätigkeiten des jeweiligen Mitarbeiters erfolgt. Ihr Vergütungssystem orientiere sich nicht an Berufsausbildungen, Lehrberufen oder theoretischen Fähigkeiten, sondern ausschließlich an den tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten und Arbeitsaufgaben. Diese Tätigkeiten würden entsprechend des Schwierigkeitsgrades in unterschiedlichen Zeitfenstern auf unterschiedlichem Weg erlernt, nicht jedoch im Rahmen einer klassischen Berufsausbildung. Eine spezielle Ausbildung, zB. als Schuster oder Schuhfertiger, sei nicht erforderlich.

54

Die in den Zuordnungskriterien zu EG 01 mit "Beschicken von Maschinen" schlagwortartig überschriebene Arbeitsaufgabe sei die Tätigkeit "Auflegen des Fußbettes" und "Leder auflegen" an der maschinellen Endmontageanlage. Diese Tätigkeiten seien einfach und wenig variabel, sie erfolgten nach kurzer Einweisung (in der Regel reichten wenige Stunden, es handele sich um einen klassischen "Ferienjob" für Schüler). Die Produktionskräfte legten ausschließlich manuell die Bettungen bzw. das Leder auf den Leisten bzw. das Fließband. Dies sei das "einfache Rüsten" bzw. "Beschicken". Die Beschäftigten müssten keine sonstigen Rüstarbeiten an den Maschinen/der Anlage ausführen. Sie führten auch keine Qualitätsprüfung an dem von ihnen aufgelegten Stück durch. Wenn sie einmal einen ganz groben Fehler am Produkt entdeckten, sortierten sie es aus. Das sei aber ein Ausnahmefall und nicht niveauprägend für diese Tätigkeit.

55

Die in den Zuordnungskriterien zu EG 02 mit "Beschicken von Maschinen" oder "kompliziertere Einzeltätigkeiten" bezeichneten Aufgaben seien die Tätigkeiten "Leder einstreichen" sowie "Ankleben des Leders" in der Endmontage. Das Einstreichen des Leders sei eine kompliziertere Einzeltätigkeit, die nicht an der Maschinenanlage erbracht werde, sondern an einem einzelnen Arbeitsplatz. Das Ankleben des Leders bei der maschinellen Endmontage erfolge an der Maschine. Beide Tätigkeiten erforderten genaues Augenmaß, geschicktes Aufbringen des Werkstoffes (Klebstoff bzw. Leder an das Fußbett). Es sei eine Anlernzeit von ein bis sechs Wochen erforderlich. In ihren Kriterienkatalog habe sich zur Anlernzeit ("2-3 Stunden") ein Fehler eingeschlichen. Eine derartige Einarbeitungszeit gebe es nicht, sondern nur eine Anlernzeit von wenigen Stunden für die Tätigkeiten nach EG 01 und von einer bis sechs Wochen für die Tätigkeiten nach EG 02.

56

Bei den in den Zuordnungskriterien zu EG 03 mit "qualifiziertes Beschicken von Maschinen oder Qualitätssicherung" beschriebenen Arbeitsaufgaben handele es sich um das Schleifen und Besohlen an der Endmontageanlage sowie die Tätigkeiten am Packtisch, einschließlich Endkontrolle. Beim Schleifen müsse das Werkstück vom Leisten abgenommen und wieder aufgelegt werden (qualifiziertes Beschicken), zudem müsse das Werkstück geschliffen werden. Dies erfordere zuvor eine genaue und sehr schnelle Qualitätssichtung (wieviel Klebstoff liegt genau wo auf, wieviel muss geschliffen werden, wie glatt ist das Leder, kann das Stück überhaupt weiter bearbeitet werden?). Das Schleifen erfordere Kraft und Geschick. Das Stück müsse mit Gegendruck an die Schleifmaschine gehalten werden, es dürfe nur so viel wie nötig und so wenig wie möglich geschliffen werden. Diese Tätigkeit erfordere eine Einarbeitungszeit von bis zu sechs Monaten. Beim Besohlen müsse das Werkstück fertiggestellt und die Sohle aufgebracht werde. Diese müsse eingepasst werden. Durch die verschiedenen Vorproduktionsschritte könne es hier zu vielen unterschiedlichen Anforderungen kommen (ist alles richtig verklebt, geschliffen, passt die Sohle, kann man alles noch passend machen?). Die Sohle müsse oft mit viel Kraft manuell "hineingepresst" werden. Dies erfordere einen Beurteilungsspielraum des Beschäftigten, ob die Sohle passt oder eingepasst werden kann, Geschick beim Einpassen und ein geschultes Auge bei der Qualitätssicherung, ob das Besohlen möglich ist. Das Besohlen erfordere wie das Schleifen eine Einarbeitungszeit von bis zu sechs Monaten. Am Packtisch erfolge eine abschließende Endkontrolle/Qualitätssichtung durch die Beschäftigten. Hier werde die Entscheidung gefällt, ob das Produkt, also der fertige Schuh, so an den Kunden versandt werden könne. Soweit möglich müsse der Schuh nachgebessert werden, andernfalls sei er auszusortieren. Auch für diese Tätigkeit sei eine Einarbeitungszeit von bis zu sechs Monaten erforderlich.

57

bb) Diesem umfangreichen Vortrag der Beklagten ist die Klägerin in tatsächlicher Hinsicht nicht in erheblicher Weise entgegengetreten. Ihr Vorbringen zu den konkret von ihr selbst ausgeübten Tätigkeiten erschöpft sich darin, zu behaupten, dass sie weitestgehend mit dem Einstreichen von Leder beschäftigt worden. Sie habe jedoch auch immer wieder als Aushilfe an der Maschine gearbeitet. So habe sie insbesondere auch Fußbetten auf die Leisten gelegt und Leder an der Maschine aufgelegt. Am Packtisch, dort in der Endkontrolle, sei sie ebenfalls seit Mai 2007 eingesetzt worden. Sie selbst habe neue Mitarbeiter angelernt.

58

Dieser Vortrag ist unschlüssig. Aus ihm folgt nicht die Erfüllung der Anforderungen für eine Entlohnung nach EG 03. Die Klägerin übersieht, dass die Arbeitsaufgaben "Auflegen des Fußbettes" auf Leisten und "Leder auflegen" an der maschinellen Endmontageanlage nach dem neu eingeführten Vergütungssystem der Beklagten nur mit EG 01 bewertet werden. Wenn die Klägerin diese Aufgaben zeitlich überwiegend neben dem "Einstreichen von Leder" erledigt haben sollte, wäre der Schwierigkeitsgrad ihrer Tätigkeiten noch geringer als von der Beklagten angenommen, die der Klägerin einen neuen Arbeitsvertrag mit einer Entlohnung nach EG 02 angeboten hat. Dem Vorbringen der Klägerin lassen sich weder der konkrete Inhalt einzelner Tätigkeiten noch deren zeitlicher Anteil an der gesamten Arbeitszeit entnehmen. Auch der Vortrag, sie sei ebenfalls langjährig am Packtisch eingesetzt worden, lässt nicht erkennen, dass die Klägerin in einem erheblichen Umfang Tätigkeiten mit einem höher bewerteten Schwierigkeitsgrad (bspw. Schleifen, Besohlen, Zwicken oder Endkontrolle einschließlich SAP-Buchungen) wahrgenommen hat. Worin die hauptsächlich ausgeübte "Kerntätigkeit" der Klägerin bestanden haben könnte, bleibt völlig unklar. Soweit die Klägerin ausführen lässt, das "Einstreichen von Leder" sei eine besonders anstrengende Tätigkeit, bei der sie sich ganz besonders konzentrieren müsse, weil es auf höchste Genauigkeit ankomme, besteht hierüber zwischen den Parteien überhaupt kein Streit. Auch aus Sicht der Beklagten ist das "Einstreichen von Leder" eine kompliziertere Einzeltätigkeit, die ein genaues Augenmaß und großes Geschick erfordert. Schließlich überzeugt auch das Argument der Berufung, das Vergütungssystem der Beklagten sei "völlig künstlich", weil nach dem Tarifvertrag der Schuhindustrie alle einfachen händischen Tätigkeiten gleich vergütet würden, nicht. Weder die Beklagte noch die Klägerin sind tarifgebunden. Der Tarifvertrag der Schuhindustrie findet auf das Arbeitsverhältnis unstreitig keine Anwendung.

59

cc) Entgegen der Ansicht der Berufung verhelfen unionsrechtliche Vorgaben der Klage auf Entschädigung nicht zum Erfolg. Insbesondere bedarf es - auch aus den von der Klägerin herausgestellten verfassungsrechtlichen Gründen - keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Die unionsrechtliche Rechtslage im Geltungsbereich der Antidiskriminierungsrichtlinie ist ua. durch die Entscheidungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Kenny (EuGH 28.02.2013 - C-421/11) und der Rechtssache Brunnhofer (EuGH 26.06.2001 - C-381/99) hinreichend klar.

60

(1) Ein Verstoß gegen Art. 157 AEUV und gegen das in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC, juris: EUGrdRCH) niedergelegte primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts sowie die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.07.2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in das nationale Recht umgesetzt wurden, liegt nicht vor. Die Prüfungsmaßstäbe nach den §§ 7, 3 und § 1 AGG sind die gleichen wie bei den unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. BAG 26.09.2017 - 3 AZR 72/16 - Rn. 63 mwN). Ebenso scheidet ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie Art. 3 Abs. 2 iVm. Abs. 3 GG aus. Auch diese Normen stellen keine weitergehenden Anforderungen hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung wegen des Geschlechts als das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz.

61

Die Art. 21 und 23 GRC verbieten jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und verankern das Recht auf Gleichbehandlung von Männern und Frauen in allen Bereichen, einschließlich Beschäftigung, Arbeit und Entgelt. Art. 157 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV (zuvor Art. 141 EG, davor Art. 119 EG-Vertrag, Art. 119 EWG-Vertrag) enthält den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Die Klägerin kann sich auf Art. 157 Abs. 1 und Abs. 2 AEUV auch als unmittelbar anwendbares Recht berufen (vgl. BAG 26.09.2017 - 3 AZR 733/15 - Rn. 22 mwN). Nach Art. 4 RL 2006/54/EG wird bei gleicher Arbeit oder bei einer Arbeit, die als gleichwertig anerkannt wird, mittelbare und unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in Bezug auf sämtliche Entgeltbestandteile und -bedingungen beseitigt. Insbesondere wenn zur Festlegung des Entgelts ein System beruflicher Einstufung verwendet wird, muss dieses System auf für männliche und weibliche Arbeitnehmer gemeinsamen Kriterien beruhen und so beschaffen sein, dass Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ausgeschlossen werden.

62

Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, der die Berufungskammer folgt, obliegt die notwendige Prüfung, ob die betreffenden Arbeitnehmer gleiche oder zumindest als gleichwertig anerkannte Arbeit verrichten, dem nationalen Gericht, das allein für die Ermittlung und Würdigung des Sachverhalts im Hinblick auf die konkrete Natur der von den Betroffenen ausgeübten Tätigkeiten zuständig ist (vgl. ua. EuGH 28.02.2013 - C-427/11 - Kenny Rn. 26 und EuGH 26.06.2001 - C-381/99 - Brunnhofer Rn. 49). Hierzu hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass zur Feststellung, ob Arbeitnehmer gleiche oder als gleichwertig anerkannte Arbeit verrichten, zu prüfen ist, ob diese Arbeitnehmer unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können (vgl. EuGH aaO Kenny Rn. 27 und Brunnhofer Rn. 43). Die Richtlinie 2006/54/EG rekurriert in Erwägungsgrund 9 ausdrücklich auf diese Rechtsprechung.

63

(2) Soweit die Klägerin in der Berufung geltend macht, ihre Arbeit sei iSv. Art. 4 Abs. 1 RL 2006/54/EG "als gleichwertig anerkannt" worden, beruht dies auf einer Verkennung dieses Begriffs. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs haben die Begriffe "gleiche Arbeit" oder zumindest "als gleichwertig anerkannte Arbeit" eine rein qualitative Bedeutung, weil sie ausschließlich mit der Art der von den betroffenen Arbeitnehmern verrichteten Arbeit zusammenhängen (vgl. ua. EuGH 26.06.2001 - C-381/99 Brunnhofer Rn. 43 mwN).

64

Im Einklang mit dem Gerichtshof der Europäischen Union handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts um "gleiche Arbeit", wenn Arbeitnehmer an verschiedenen oder nacheinander an denselben technischen Arbeitsplätzen identische oder gleichartige Tätigkeiten ausüben. Ob die Arbeit gleich ist, ist durch einen Gesamtvergleich der Tätigkeiten zu ermitteln. Dabei kommt es auf die jeweiligen Arbeitsvorgänge und das Verhältnis dieser Vorgänge zueinander an. Soweit Tätigkeiten oder ihre Merkmale voneinander abweichen, ist auf die jeweils überwiegend auszuübende Tätigkeit abzustellen. Einzelne gleiche Arbeitsvorgänge für sich allein genügen nicht für die Annahme, die insgesamt jeweils geschuldete Arbeitstätigkeit sei gleich. Arbeiten sind "gleichwertig", wenn sie nach objektiven Maßstäben der Arbeitsbewertung denselben Arbeitswert haben. Dabei können die Praxis der Tarifvertragsparteien und die allgemeine Verkehrsanschauung Anhaltspunkte geben. Für die Frage der Gleichwertigkeit ist auf den Gegenstand der Arbeitsleistung abzustellen. Ob die Arbeiten gleichwertig sind, kann nur festgestellt werden, indem die geschuldeten Tätigkeiten insgesamt miteinander verglichen werden. Für die qualitative Wertigkeit einer Arbeit ist unter anderem das Maß der erforderlichen Vorkenntnisse und Fähigkeiten nach Art, Vielfalt und Qualität bedeutsam. Je größer diese Anforderungen sind, desto höher ist der Wert der Arbeit einzuschätzen (vgl. BAG 26.01.2005 - 4 AZR 171/03 - Rn. 24, 26 mwN).

65

Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung ist die Tätigkeit der Klägerin entgegen ihrer Ansicht nicht "als gleichwertig anerkannt", weil die Beklagte in zahlreichen Prozessen (ua. 5 Sa 436/13, 5 Sa 440/13, 5 Sa 412/15) vor dem LAG Rheinland-Pfalz prozessual unstreitig gestellt hat, dass sie den in der Produktion beschäftigten Frauen bis 31.12.2012 bei gleicher Tätigkeit einen geringeren Stundenlohn als den Männern gezahlt hat. Die Verurteilungen der Beklagten in der Vergangenheit (vor dem 01.01.2013) gingen auf einen anderen Lebenssachverhalt zurück; sie beruhten nicht auf dem neu entwickelten Vergütungssystem, das ab dem 01.04.2014 eingeführt wurde.

66

Eine "als gleichwertig anerkannte" Arbeit im Sinne der Richtlinie 2006/54/EG folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte ab dem 01.01.2013 weiblichen und männlichen Produktionskräften einen einheitlichen Stundenlohn von € 9,86 brutto gezahlt hat. Die vorübergehende einheitliche Lohnzahlung beruhte ebenfalls nicht auf dem neu entwickelten Vergütungssystem. Schließlich ist die Arbeit nicht deshalb "als gleichwertig anerkannt", weil die Beklagte in ihrem Schreiben an die Mitarbeiterinnen aus dem Monat Januar 2013 eingeräumt hat, dass sie Frauen bislang geringer entlohnt hat als Männer. Die Beklagte erklärt in diesem Schreiben ausdrücklich, dass sie das alte Vergütungssystem abschaffen und künftig möglichst rasch klare und nachvollziehbare Gehaltsstrukturen schaffen wolle. Darin liegt kein materiell-rechtliches "Anerkenntnis".

67

Auch die von der Klägerin (5 Sa 441/13) und zahlreichen Arbeitskolleginnen erfolgreich geführten Prozesse auf Zahlung von Entgeltdifferenzen (ua. 5 Sa 436/13) führen zu keiner "als gleichwertig anerkannten" Arbeit. Die Verurteilungen der Beklagten in der Vergangenheit betrafen einen anderen Lebenssachverhalt und damit zugleich einen anderen Streitgegenstand.

68

Hinzu kommt, dass die angeführten Umstände von der Berufungskammer zu Gunsten der Klägerin als Indiztatsachen iSv. § 22 AGG (vgl. oben Ziff. II 2 b bb) für eine Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts berücksichtigt worden sind. Die Indizwirkung geht aber nicht so weit, dass der Beklagten die Möglichkeit abgeschnitten wäre, ein neues Vergütungssystem zu entwickeln, dass zu einer unterschiedlichen Entlohnung der Produktionskräfte führt. Die Annahme der Berufung, die Beklagte sei aufgrund eines wie auch immer gearteten "Anerkenntnisses" materiell-rechtlich daran gehindert, verschiedene Tätigkeiten unterschiedlich zu entlohnen, ist fehlsam.

69

Die Klägerin missversteht auch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts in den Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren von anderen Klägerinnen gegen die Urteile des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.03.2017 (5 Sa 431/15, 5 Sa 432/15, 5 Sa 433/15 und 5 Sa 454/15). Entgegen ihrer Ansicht hat sich das Bundesarbeitsgericht in den vier Beschlüssen aus August 2017 (8 AZN 477/17, 8 AZN 472/17, 8 AZN 473/17 und 8 AZN 471/17) zur Frage der Anerkennung der Gleichwertigkeit der Arbeit nicht einmal andeutungsweise geäußert, geschweige denn diese Frage ausdrücklich "als in jedem einzelnen Punkt unmittelbar entscheidungserheblich" angesehen. Das Bundesarbeitsgericht hat die vier Beschwerden vielmehr als unzulässig verworfen, weil ihre Begründungen nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprachen.

70

(3) Auch das Argument, die Beklagte habe sie bei der Ausübung des Direktionsrechts wegen ihres Geschlechts diskriminiert, weil sie ihr im April 2014 lediglich einen Arbeitsvertrag mit einer Entlohnung nach EG 02 angeboten habe, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf ein Vertragsangebot mit einer Entlohnung nach EG 03, denn die verschiedenen Tätigkeiten, die innerhalb des neuen Vergütungssystems zu unterschiedlichen Eingruppierungen führen, sind nicht gleichwertig. Die Beklagte hat im Einzelnen vorgetragen, nach welchen Kriterien und Maßstäben sie die fünf Entgeltgruppen, die sie ab April 2014 neu eingeführt hat, für die Beschäftigten in der Endmontage -ausschließlich tätigkeitsbezogen - festgelegt hat. Die Tätigkeiten der verschiedenen Entgeltgruppen haben unterschiedliche Arbeitsleistungen zum Gegenstand.

III.

71

Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

72

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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