Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (6. Kammer) - 6 Sa 179/12

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 06.03.2012 – 3 Ca 847/11 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Sache noch über den Zeitpunkt der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer von dem Beklagten erklärten Anfechtung seiner auf den Abschluss des Arbeitsvertrages vom 27.08.2010 (Bl. 108 f d. A.) gerichteten Willenserklärung.

2

Der Kläger war seit 01.03.2010 bei dem Beklagten, zunächst aufgrund eines befristeten Arbeitsvertrages, als Metallbauer beschäftigt. Er ist seit 20.10.2010 einem Schwerbehinderten gleichgestellt. In Unkenntnis dieses Umstandes kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 29.04.2011 zum 31.05.2011 (Bl. 3 d. A.). Nachdem der Kläger ihn über das Bestehen einer Gleichstellung informiert hatte, erklärte er mit Schreiben vom 02.05.2011 (Bl. 51 d. A.) gegenüber dem Kläger die Anfechtung des Arbeitsvertrages vom 27.08.2010.

3

Am 10.05.2011 hat der Kläger bei dem Arbeitsgericht Stendal eine Kündigungsschutzklage betreffend die Kündigung vom 29.04.2011 anhängig gemacht und den folgenden Klagantrag angekündigt:

4

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 29.04.2011, zugegangen am 29.04.2011, aufgelöst wurde.

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In dem hierauf von dem Arbeitsgericht anberaumten Gütetermin am 09.06.2011 haben die Parteien – persönlich – den folgenden Vergleich geschlossen:

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1. Der Beklagte nimmt wegen der fehlenden Zustimmung des Integrationsamtes die mit Schreiben vom 29.04.2011 ausgesprochene Kündigung im Einvernehmen mit dem Kläger zurück.
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2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass ihr Arbeitsverhältnis bis heute ungekündigt fortbesteht.
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3. Damit ist dieser Rechtsstreit erledigt.
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Im Anschluss daran hat der Beklagte die Anberaumung eines weiteren Termins beantragt. Seiner Auffassung nach sei der Vergleich jedenfalls hinsichtlich der Ziffer 2 unwirksam, da diese Ziffer eine Regelung über einen nicht streitgegenständlichen Beendigungstatbestand enthalte.

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Darüber hinaus hat der Beklagte nach erteilter Zustimmung des Integrationsamtes das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut mit Schreiben vom 27.06.2011 zum 31.07.2011 gekündigt. Diese Kündigung hat der Kläger nicht gerichtlich angegriffen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 09. Juni 2011 nicht beendet worden ist.

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Der Kläger hat hierzu beantragt,

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den Antrag zurückzuweisen.

15

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dem Vergleich komme Rechtswirksamkeit zu.

16

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 06.03.2012 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 09.06.2011 erledigt worden ist und dem Beklagten die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dem Beklagten stehe ein Anfechtungsgrund hinsichtlich des Vergleichs nicht zur Seite. Insbesondere sei ein zur Anfechtung berechtigender Irrtum bei Abgabe der auf den Vergleichsabschluss gerichteten Willenserklärung nicht gegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Blatt 68 bis 76 der Akte verwiesen.

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Gegen dieses, ihm am 17.04.2012 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 14.05.2012 Berufung eingelegt und diese am 14.06.2012 begründet.

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Mit seinem Rechtsmittel begehrt er die Abweisung der Kündigungsschutzklage. Er hält an seinem Rechtsstandpunkt, der Vergleich vom 09.06.2011 habe den Rechtsstreit nicht beendet, fest. Dem Vergleich komme bereits nach § 779 BGB keine Rechtswirksamkeit zu, weil die Parteien von einem nicht zutreffenden Sachverhalt ausgegangen seien. Darüber hinaus sei der Vergleich nach § 134 BGB nichtig, weil der Beklagte hierdurch gezwungen werde, an einem Arbeitsverhältnis festzuhalten, dessen Durchführung im Hinblick auf die Erkrankung des Klägers mit arbeitsschutzrechtlichen Bestimmungen nicht vereinbar sei. Außerdem habe sich der Beklagte bei Abschluss des Vergleichs geirrt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei daher bereits aufgrund der wirksam erklärten Anfechtung vom 02.05.2011 beendet worden.

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Der Beklagte beantragt:

20

Das Urteil des Arbeitsgerichts Stendal vom 06.03.2012 – 3 Ca 847/11 – wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

21

Der Kläger beantragt,

22

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

23

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

25

Die Berufung des Beklagten ist zulässig.

I.

26

Es handelt sich um das gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG statthafte Rechtsmittel. Der Beklagte hat die Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingehalten.

II.

27

Der Beklagte ist durch das angefochtene Urteil auch beschwert, da das Arbeitsgericht durch die gewählte Tenorierung dem Klagebegehren des Klägers entsprochen hat. Zwar hat keine der Parteien einen dem Wortlaut des Urteilstenors entsprechenden Antrag gestellt. Die im Kammertermin gestellten Anträge sind jedoch dahin auszulegen, dass der Kläger in der Sache die Feststellung einer Beendigung des Rechtsstreits aufgrund des geschlossenen Vergleichs, während der Beklagte aufgrund der von ihm angenommenen Unwirksamkeit des Vergleichs und der erklärten Anfechtung seiner auf den Abschluss des Arbeitsvertrages vom 27.08.2010 gerichteten Willenserklärung im Ergebnis die Abweisung der Kündigungsschutzklage begehrt hat.

B.

28

Die Berufung des Beklagten ist jedoch nicht begründet.

I.

29

Die Entscheidung verstößt nicht gegen § 308 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht an die gestellten Anträge gebunden ist. Das Arbeitsgericht hat sich mit seiner Entscheidung im Rahmen der von den Parteien gestellten Anträge gehalten, wie sich aus den Ausführungen zu A. II. ergibt.

II.

30

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht im Wege des Endurteils festgestellt, dass der Rechtsstreit betreffend die Kündigungsschutzklage vom 10.05.2011 durch den Vergleich vom 09.06.2011 erledigt worden ist.

1.

31

Der Vergleich enthält in Ziffer 3 die ausdrückliche Regelung, dass durch den Vergleichsabschluss der Rechtsstreit seine Erledigung gefunden hat.

2.

32

Dem Vergleich kommt Rechtswirksamkeit zu.

33

a) Dem steht nicht die Bestimmung des § 779 Abs. 1 BGB entgegen, wonach ein Vergleich unwirksam ist, wenn der nach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde. Nach dem sich bietenden Sachvortrag entsprach der dem (Vergleichs-)Vertrag zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit. Die von dem Beklagten nach Ausspruch der Kündigung erklärte Anfechtung seiner auf den Abschluss des Arbeitsvertrages vom 27.08.2010 gerichteten Willenserklärung war unstreitig den Parteien bekannt. Im Hinblick auf die Rechtsnatur des Vergleichs als Vertrag ist unerheblich, ob hiervon auch das den Vergleich vorschlagende Arbeitsgericht Kenntnis hatte.

34

b) Weiter scheitert die Rechtswirksamkeit des Vergleichs entgegen der erstinstanzlich geäußerten Rechtsauffassung des Beklagten nicht daran, dass dieser in Ziffer 2 eine Regelung enthält, die nicht von dem Streitgegenstand des Kündigungsschutzrechtsstreits erfasst wird.

35

aa) Zum einen steht es den Parteien des Rechtsstreits frei, in einen Vergleich auch Streitpunkte aufzunehmen, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits sind.

36

bb) Darüber hinaus ist die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien aufgrund einer am 02.05.2011 erklärten Anfechtung Gegenstand des Kündigungsschutzantrages, mit dem der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 29.04.2011 nicht zu dem im Kündigungsschreiben enthaltenen Kündigungstermin, dem 31.05.2011, aufgelöst worden ist. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Streitgegenstand einer Kündigungsschutzklage auch der Bestand eines Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt der Kündigung und bis zum Ablauf der mit der streitbefangenen Kündigung verbundenen Kündigungsfrist (BAG 22.11.2012 – 2 AZR 732/11).

37

Die Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, dass bei der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag auch über die Rechtswirksamkeit der zeitlich vor dem in der Kündigung enthaltenen Beendigungstermin erklärten und sofort wirksam werdenden Anfechtung befunden werden muss.

38

c) Weiter ist der Vergleich nicht gemäß § 134 BGB wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz unwirksam, weil der Beklagte den Kläger nicht (mehr) aufgrund arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen beschäftigen durfte. Selbst wenn diese Einschätzung zutreffen würde, läge hierin kein Verbot an die Parteien eines Arbeitsvertrages, eine privatautonome Regelung über den Bestand ihrer Rechtsbeziehung zu treffen. Die Bestimmungen des Arbeitsschutzes beziehen sich auf die Ausübung einer konkreten Tätigkeit, regeln aber nicht die Beendigung des dieser Tätigkeit zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses. Insoweit finden die arbeitrechtlichen Bestimmungen Anwendung. Eine über den Bestand des Arbeitsvertrages am 09.06.2011 hinausgehende Regelung, insbesondere eine Verpflichtung des Beklagten, den Kläger tatsächlich zu beschäftigen, enthält der Vergleich nicht.

39

d) Schlussendlich folgt eine Unwirksamkeit des Vergleichs nicht aus § 142 Abs. 1 BGB, wonach ein wirksam angefochtenes Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Eine wirksame Anfechtung der auf den Abschluss des Vergleiches gerichteten Willenserklärung seitens des Beklagten liegt nicht vor. Es fehlt an einem Anfechtungsgrund.

40

aa) Eine zur Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 BGB berechtigende Täuschung durch den Kläger betreffend den Vergleichsabschluss behauptet auch der Beklagte nicht.

41

bb) Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung gemäß § 119 Abs. 1 BGB vor. Diese Norm erfasst lediglich den sogenannten Erklärungs- und Inhaltsirrtum nicht jedoch einen Irrtum über die aus der abgegebenen Willenserklärung sich ergebenden Rechtsfolgen (Palandt/Ellenberger BGB 72. Auflage § 119 Rn. 15). Auf einen solchen unbeachtlichen Rechtsfolgenirrtum beruft sich der Beklagte jedoch, indem er vorträgt, er habe dem Vergleich lediglich Rechtsfolgen hinsichtlich der Kündigung vom 29.04.2011 beigemessen.

III.

42

Nach alledem konnte das Rechtsmittel des Beklagten keinen Erfolg haben, ohne dass es darauf ankommt, welche inhaltliche Reichweite dem wirksamen Vergleich zukommt. Dies ist eine Frage der Auslegung des Vergleichs, die gegebenenfalls den Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits der Parteien bilden kann.

C.

43

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

D.

44

Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Kammer weicht mit ihrer Entscheidung auch nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

45

Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.


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