Urteil vom Landgericht Aachen - 52 Ks 45 Js 18/83 10/09
Tenor
Der Angeklagte ist des
Mordes in drei Fällen
schuldig.
Er wird deshalb zu
lebenslanger Freiheitsstrafe
als Gesamtstrafe verurteilt.
Die in den Niederlanden vollzogene Freiheitsentziehung (10. Mai 1945 bis 09. Juni 1947) wird im Maßstab 1 zu 1 auf die verhängte Strafe angerechnet, ebenso die in Deutschland vollzogene Auslieferungshaft (28. Februar 1983 bis 05. Mai 1983).
Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens, die notwendigen Auslagen der Nebenkläger und seine eigenen Auslagen zu tragen.
§§ 211, 25 Abs. 2, 53, 54 StGB
1
Gründe
2I.
3Zur Person des Angeklagten hat die Kammer die folgenden Feststellungen treffen können:
4Der gegenwärtig 88 Jahre alte Angeklagte Heinrich Boere wurde am 27.09.1921 in E. bei A. als Sohn der Eheleute Gertrud Boere-L. (geborene L. verwitwete Sa., deutsche Staatsangehörige) und Johannes Boere (niederländischer Staatsangehöriger) geboren; er wurde durch die Staatsangehörigkeit seines Vaters Niederländer. Angesichts der niederländischen Herkunft wird der Nachname "Bure" ausgesprochen.
5Seine Mutter war Hausfrau, sie hatte keinen Beruf erlernt. Sie starb 1978 mit 89 Jahren in Sittard/Niederlande.
6Der Vater des Angeklagten war von Beruf Schießmeister und arbeitete früher auch im Bergbau. Er war ein eher unpolitischer Mensch. Mit 91 Jahren verstarb er in einem Altersheim in Meersen/Niederlande.
7Der Angeklagte hatte zwei Halbgeschwister aus der ersten Ehe der Mutter, nämlich Johann, der im 2. Weltkrieg an der Ostfront kämpfte und dort verschollen blieb, und Marie, die zwischenzeitlich verstorben ist. Aus der Ehe der Eltern stammen vier Geschwister: die bereits verstorbenen Peter, Gustav und Sybille sowie J., der in Bu./Niederlande lebt. Der Angeklagte war das mittlere Kind in dieser Geschwisterreihe.
8Als der Angeklagte zwei Jahre alt war, verzog die Familie Boere von E. in die Niederlande. Sie wohnte dort an verschiedenen Orten, zuletzt in Maastricht. Der Vater des Angeklagten war die meiste Zeit arbeitslos, die finanzielle Lage der vielköpfigen Familie war schlecht.
9Der Angeklagte besuchte die Volksschule in Meersen bis zur 6. Klasse. Die Kinder der Familie Boere wurden streng katholisch erzogen. Kirchgänge waren in der Familie an der Tagesordnung. Im Alter von 14 Jahren begann der Angeklagte in Meersen eine Schusterlehre. Sein Wochenlohn betrug 50 Cent und half kaum, die finanzielle Lage der Familie zu verbessern. Nach zwei Jahren brach er die Lehre im Hinblick auf die fortwährend schlechte finanzielle Situation der Familie ab. Er fand 1937 Arbeit in der Porzellanfabrik N. V. Sphinx in Maastricht, für anfangs 4 Gulden/Woche, einem recht guten Arbeitslohn. Sein Lohn und der der Geschwister wurde jedoch auf die Arbeitslosenunterstützung des Vaters angerechnet, die auf diese Weise manchmal nur ein paar Cent betrug, "und das im reichsten Land der Welt", so meint der Angeklagte heute. Die Familie fühlte sich materiell höchst benachteiligt.
10Nachdem am 10.05.1940 der Einmarsch der deutschen Wehrmacht in die Niederlande begonnen hatte, weckte die Mutter den damals 18jährigen Angeklagten morgens und sagte: "Sie kommen. Da sind sie, jetzt wird es besser". In der Nähe hörte der Angeklagte die Einschläge von Bombenabwürfen deutscher Sturzkampfbomber. Tatsächlich verbesserte sich in der Folgezeit die finanzielle Lage der Familie deutlich. Die Geschwister des Angeklagten fanden Arbeit, auch der Vater als Tiefbauarbeiter an von den Deutschen errichteten Küstenbunkern.
11Einige Zeit nach der Besetzung erhielt die Familie Besuch von Beauftragten der NSDAP. Sie erkundigten sich, ob es der Familie jetzt besser gehe, was von den Boeres bejaht wurde. Die Besucher erklärten, dann müssten die Familienmitglieder auch "was machen". Gemeint war, dass die "deutsche Sache" aktiv unterstützt werden sollte, z.B. durch Meldung zum Waffendienst.
12Um diese Zeit herum sah der Angeklagte ein Werbeplakat der Waffen-SS; unter anderem wurde damit geworben, dass man nach zwei Jahren Dienst in der Waffen-SS die deutsche Staatsangehörigkeit erhalte und man bei Dienstende als Polizist oder Beamter in den Staatsdienst übernommen werde. Diese Aussichten, Deutscher zu werden und später einen sicheren und gut bezahlten Beruf zu haben, gefielen dem ohnehin aufgrund seiner Erziehung deutschfreundlich gesinnten Angeklagten, und aus seiner Sicht hatten sich durch den deutschen Einmarsch die Dinge ja auch zum Guten gewendet.
13So meldete er sich 1940, noch vor seinem 19. Geburtstag, wie viele andere Niederländer auch, zum Dienst bei der Waffen-SS. Bei einem Musterungstermin in Maastricht wurde er aus einer Gruppe von etwa 100 Bewerbern zusammen mit 14 anderen Niederländern ausgewählt, was ihn mit Stolz erfüllte. Der Angeklagte erhielt nun einen Stellungsbefehl; er sollte sich in einer Münchener Kaserne melden. Von Maastricht über Köln fuhr er mit anderen Freiwilligen im Sonderzug nach München.
14Hier trat er am 15.09.1940 als Niederländer aus freien Stücken der Waffen-SS bei. Seine Einheit war die Division "Wiking", Standarte "Westland". Diese Standarte bestand im Wesentlichen aus Freiwilligen aus den Niederlanden und Belgien, während in einer weiteren Standarte "Nordland" andere Landsleute, insbesondere Dänen und Finnen Dienst taten. Außerdem gab es noch die Standarte "Germania", das war die deutsche Stammmannschaft, zuständig auch für die Ausbildung der anderen Standarten.
15Es folgte eine sechsmonatige Grundausbildung in der Freimann-Kaserne in München. Dazu gehörte zunächst eine politische Schulung, "solange, bis wir von der deutschen Sache überzeugt waren; aber ich war sowieso immer ein guter Deutscher, Mutter hat uns immer so erzogen". Unter anderem wurde als Propagandamaterial der Film "Der ewige Jude" eingesetzt. Auf die politische Schulung folgte die eigentliche soldatische Ausbildung, "als Holländer hatten wir ja keine Ahnung vom Militär". Bei einem großen Aufmarsch leistete der Angeklagte schließlich mit vielen Anderen den Treue-Eid auf den Führer Adolf Hitler.
16Der Angeklagte hatte nun den SS-Dienstgrad eines Sturmmannes, der dem eines Gefreiten der deutschen Wehrmacht entsprach. Er erhielt eine Tätowierung seiner Blutgruppe auf den Unterarm als typisches Zeichen für seine Zugehörigkeit zur Waffen-SS.
17Auf dem Gefechtstruppenübungsplatz Heuberg in Schwaben schloss sich im Frühjahr 1941 eine Gefechtsausbildung an. Es sei, so sagt der Angeklagte heute, das Ziel der Ausbilder gewesen, den jungen Waffen-SS-Angehörigen beizubringen, "nicht mehr zu denken, sondern nur noch Befehle auszuführen: Befehl ist Befehl".
18Mit der SS-Division "Wiking" ging es anschließend nach Lemberg in Oberschlesien, wo der Angeklagte nach seinen Angaben erstmals scharfe Munition bekam. Er diente in der 13. Infanteriegeschützkompanie. Sein Kompaniechef war Bernhard Dietsche.
19Von einem Überfall der SS-Division "Wiking" auf die Zivilbevölkerung in Zborow im Sommer 1941 mit Hunderten von getöteten Juden habe er aber nichts gehört, geschweige denn daran teilgenommen, so sagt der Angeklagte heute.
20Im Winter 1941/42 stand die Einheit des Angeklagten an der Ostfront. Es kam immer wieder zu Kämpfen mit Kosaken und russischen Elitetruppen. Der Angeklagte war allerdings selbst nie in unmittelbaren Nahkampf verwickelt, sondern bediente hinter der eigentlichen Front ein Geschütz. Bei seiner Infanterieeinheit konnte der Angeklagte von den Gefechten nicht viel sehen, er hat - nach eigenen Angaben - nicht einmal mit dem Gewehr geschossen, sondern war immer bei einer Geschützeinheit zweiter Schütze.
21Im September 1942 endete die zweijährige Dienstzeit des seinerzeit gerade 21 Jahre alten Angeklagten bei der Waffen-SS. Hierzu gibt der Angeklagte heute an, sein Kompaniechef habe ihm damals ausdrücklich gesagt, dass er jetzt Deutscher sei; das habe er auch schriftlich bekommen, das Schriftstück sei aber verloren gegangen.
22Zuvor war der Angeklagte mit dem "Winterabzeichen" beziehungsweise der "Ostmedaille" für seine Leistungen in der Winterschlacht im Osten 1941/42 und mit dem "Sturmabzeichen" in Bronze für seine Leistungen bei der Waffen-SS an der Ostfront ausgezeichnet worden.
23Nach seiner ersten Darstellung, im Wesentlichen verlesen in der Hauptverhandlung am 5. Verhandlungstag, blieb der Angeklagte trotz des Ablaufs der zwei Jahre bei seinen kämpfenden Kameraden; offiziell aber sei der Dienst in der Waffen-SS nie verlängert worden. "Aufgeben kam nicht in Frage, wir wollten den Krieg gewinnen".
24Sein Dienstgrad sei immer noch Sturmmann gewesen, an eine Beförderung an der Ostfront habe er keine Erinnerung. Wenn gesagt werde, er sei Hauptscharführer der Waffen-SS, entsprechend einem Oberfeldwebel der Wehrmacht, gewesen, so könne das eigentlich nicht stimmen, denn Di. als Stellvertreter Feldmeijers sei ja nur Oberscharführer (also Feldwebel), aber sein - des Angeklagten - Vorgesetzter beim Kommando Feldmeijer gewesen; auf die Einzelheiten zu dieser Organisation und ihren Angehörigen wird später noch einzugehen sein.
25Bei der Sommeroffensive 1943 habe er in der Nähe des Kaukasus gekämpft, auf einem Raupenfahrzeug an einem 15-cm-Geschütz. Während dieser Sommeroffensive sei er an der Ruhr und an einer Nierenbeckenentzündung erkrankt. Seine Einheit habe vor Stalino, dem heutigen Donezk, gelegen und gerade ein Bergwerk eingenommen, als er sie wegen der ansteckenden Ruhr-Erkrankung mit einem Lazarettzug habe verlassen müssen. Etwa drei Wochen in einem Kriegslazarett in Lemberg seien die Folge gewesen.
26Nach seiner Genesung sei er versetzt worden zum Ersatzbataillon der SS-Division "Wiking" in Ede-Wageningen/Niederlande. Hier habe er eine neue Uniform bekommen; er habe nicht mehr die alte Soldatenuniform getragen. Er habe dann drei Wochen Front- und Genesungsurlaub bekommen und seine Eltern in Maastricht besucht. Er habe keine Erinnerung, ob er ausgemustert worden sei und ob er als Zählerableser in Maastricht gearbeitet habe.
27Inwieweit diese Darstellung des Angeklagten ganz oder teilweise zutrifft, konnte die Kammer nicht mehr in allen Punkten hinreichend sicher feststellen.
28Andere Quellen (Urkunden: a) aus dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht: Archief Gemeentepolitie Maastricht II, dossier 127, Afd. Politike Recherche, dossier Nr.615 (1946); b) Lohnkarte ("Loonkart") des Angeklagten Contr.-No. 787, c) Antrag des Angeklagten vom 05.11.1955 auf Gewährung einer Entschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz) und die zweite, am 23.02.2010 in der Hauptverhandlung verlesene Einlassung des Angeklagten, sprechen nämlich für folgende Umstände:
29Der Angeklagte verließ danach schon am 10.12.1942 die Waffen-SS und kehrte in die Niederlande nach Maastricht zurück; diesen Umstand hat er in seiner weiteren Einlassung als "durchaus möglich" bezeichnet. Dort war der Angeklagte, vermutlich durch Unterstützung eines Stadtrates namens v.B. und des Bürgermeisters Pe., die beide Mitglieder der NSB (Nationaal Socialistische Beweging) waren, ab 01.01.1943 bis Anfang 1944 als Zählerableser bei den Stadtwerken in Maastricht beschäftigt.
30Am 08.02.1943 wurde der Angeklagte als sympathisierendes Mitglied der NSB unter der Stammbuch-Nr. 027078 eingetragen, am 04.05.1943 unter der gleichen Stammbuch-Nummer als Voll-Mitglied der NSB, was der Angeklagte sich "nicht so richtig erklären" kann, was jedoch urkundlich belegt ist durch das Ermittlungsprotokoll aus dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht a.a.O., und nach der Einlassung des Angeklagten im Zusammenhang mit der Förderung durch den Bürgermeister Pe. gestanden haben könnte.
31Zumindest im Mai und Juni 1943 zahlte der Angeklagte Mitgliedsbeiträge an die NSB in Höhe von monatlich 0,75 Gulden, woran er heute keine Erinnerung mehr haben will, allerdings belegt durch den in die Hauptverhandlung eingeführten polizeilichen Ermittlungsvermerk in dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht a.a.O..
32Am 14.01.1944 trat der Angeklagte hauptberuflich in den Dienst der Landwacht, den bewaffneten Arm der NSB. Sein Jahresverdienst - belegt durch die in die Hauptverhandlung eingeführte Lohnkarte ("Loonkaart") - betrug 2.050 Gulden und ab dem 01.07.1944 2.700 Gulden. Zusätzlich erhielt eine Wohnungszulage von zunächst 205 Gulden und ab dem 01.07.1944 270 Gulden. Er führte eine Pistole Kaliber 7,65 mm und tat Dienst unter anderem in Ruurlo und - als Instrukteur - in Weert/Limburg.
33Der Angeklagte erinnert sich heute an diese Umstände nicht mehr, die aber unter anderem seinen eigenen Angaben gegenüber den niederländischen Polizeibeamten Bg. und Bm. im Lager Valkenburg am 20.09.1946 entsprechen.
34Zu einem nicht geklärten Zeitpunkt wurde der Angeklagte von dem "Kreispropagandisten Df." als "Leiter des Sturms der Germanischen SS Maastricht" angeschrieben und nach Namen und Adressen der Mitglieder der Germanischen SS gefragt (wiedergegeben in dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht a.a.O.). Der Angeklagte hat dazu in der Hauptverhandlung zunächst angegeben, er sei niemals Mitglied der Nederlaandsche SS, die später in die Germaansche SS in Nederland umbenannt wurde, gewesen. Ob er einmal für acht Tage der stellvertretende Leiter der Sturmabteilung in Maastricht gewesen sei, so gab der Angeklagte dann in seiner am 23.02.2010 verlesenen Einlassung an, wisse er nicht mehr.
35Sicher feststellen konnte die Kammer wieder Folgendes:
36Aufgrund der äußerst demütigenden und das Land wirtschaftlich in eine tiefe Depression stürzenden deutschen Besetzung der Niederlande, verbunden auch mit Willkürakten und Gewalttaten der deutschen Besatzer, war inzwischen eine starke Widerstandsbewegung in der niederländischen Bevölkerung entstanden, die zunehmend auch ihrerseits zu gewalttätigen Mitteln gegen Deutsche oder mit den Deutschen zusammenarbeitende oder auch nur deutschfreundlich gesinnte Niederländer griff. Um dieser Widerstandsbewegung wirksam zu begegnen, wurde 1943 das Kommando Feldmeijer gegründet, das unter der Führung von Johannes Hendrik Feldmeijer, eines niederländischen SS-Mannes, aus bis zu 15 niederländischen ehemaligen Waffen-SS-Männern, bevorzugt ehemaligen so genannten Ostfrontkämpfern bestand. Auf Einzelheiten wird insoweit im Rahmen der Feststellungen zur Sache (unten II. 2.) noch näher einzugehen sein.
37Der Angeklagte gehörte ab März 1944 dem Kommando Feldmeijer an.
38Er wurde nach einer Ausbildung in Schalkhaar, an der SS-Sportschule Avengoor und bei der Landwacht - an die der Angeklagte heute keine Erinnerung mehr haben will, sie aber auch nicht bestreitet - in Den Haag, Bezuidenhoutscheweg 125, einem alten Herrenhaus, stationiert.
39Unter dem 22. Juli 1944 fertigte der Unteroffizier Be., Feldgendarm bei der Wehrmachtskommandantur Den Haag, einen Aktenvermerk, wonach es in einem Cafe in Den Haag zu einer Auseinandersetzung von SS-Leuten (Kr., dem Angeklagten und B.) mit anderen Gästen des Lokals gekommen sei. Als sich die zivil gekleideten SS-Männer von den anderen Gästen bedroht gefühlt und angegriffen worden seien, hätten sie ihre Pistolen gezogen. Sie seien von der Feldgendarmerie festgenommen, nach Feststellung der Personalien und des Sachverhaltes aber mit ihren Waffen wieder entlassen worden.
40Von dem Kommando Feldmeijer wurden verschiedene Kommandoaktionen durchgeführt, an denen der Angeklagte teilnahm.
41Im Juli und September 1944 kam es in Breda, Voorschoten und Wassenar zu den Taten des Angeklagten, die den Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens bilden und die noch im Einzelnen dargestellt werden (unten II. 3.).
42Gegen Kriegsende Anfang 1945 kämpfte der Angeklagte in den Niederlanden noch an der Brücke von Nijmegen (Nimwegen) mit Teilen der Wehrmacht und SS-Verbänden gegen die alliierten Streitkräfte. Im Mai 1945 ergab sich seine Einheit, der Angeklagte geriet in Gefangenschaft.
43Er kam am 10.05.1945 in ein Lager in der Nähe der Brücke von Nijmegen. Ein englischer Offizier, zuvor wahrscheinlich als alliierter Agent eingeschleust als Hausmeister beim deutschen Sicherheitsdienst (SD) in Den Haag, sortierte Angehörige des Kommandos Feldmeijer aus, erkannte den Angeklagten aber nicht als solchen. Der Angeklagte kam dann in ein anderes Lager, wahrscheinlich Harskamp, bewacht jetzt von niederländischen Einheiten. Im Jahre 1947 musste er für etwa 14 Tage in das Gefängnis in Vught; der Grund ist ihm heute nicht mehr in Erinnerung. Es folgte die Verlegung in das Lager in Valkenburg und Arbeit in einer Grube außerhalb des Lagers.
44Während seiner Inhaftierung ist der Angeklagte mehrfach unter anderem zu den Vorwürfen, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, vernommen worden und hat die Tötung der drei Männer dabei eingeräumt.
45Der Angeklagte bekam dann die Mitteilung, er solle in Amsterdam im Strafprozess gegen den General der Waffen-SS Hanns Albin Rauter als Zeuge aussagen. Er wollte dies aber auf keinen Fall und fasste den Entschluss, zu fliehen. Am 09.06.1947 gelang ihm bei Heerlen die Flucht aus einem Gefangenen-Bus.
46Der Angeklagte hielt sich in den folgenden Jahren versteckt, verließ das oder die Verstecke nur ganz selten. Seine Eltern und noch lebenden Geschwister wohnten damals in der Burgemeester-van-Aaken-Straat 3 in Maastricht. Angaben dazu, wo er sich seit 1947 versteckt hielt, wie er die Zeit bis 1954 verbracht hat und unter welchen Umständen er am 01.11.1954 nach Deutschland gelangte, wollte der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht machen.
47Am 18.10.1949 wurde er durch den Sondergerichtshof Amsterdam unter anderem wegen der Taten in Breda, Voorschoten und Wassenar in Abwesenheit zum Tode verurteilt (vgl. unten II. 4.).
48Im Jahre 1954 begab der Angeklagte sich zu einem Onkel nach E.-N. in Deutschland. Bereits nach kurzer Zeit bezog er eine eigene Wohnung in einem Hochhaus in E.-D., wohnte dort aber nicht lange, sondern mietete eine neue Wohnung im Fuchshofweg 8 in E.. Er lebte fortan jahrzehntelang unbehelligt, ohne sich in irgendeiner Weise zu verstecken, unter seinem richtigen Namen in E..
49Der Angeklagte fand zunächst eine Gelegenheitsarbeit als Installateur-Gehilfe. Der örtliche Pastor schickte ihn dann zum Betriebsleiter des Bergwerks Grube Maria in Ad.. Ab 1955 war der Angeklagte dort im Steinkohlenbergbau unter Tage als Bergmann berufstätig.
50Im Jahr 1955 entzog die Gemeinde Maastricht dem Angeklagten die niederländische Staatsangehörigkeit.
51Am 25.10.1955 stellte er einen Einbürgerungsantrag bei der Stadtverwaltung E., der seinen Angaben zufolge allerdings niemals beschieden worden ist. Später erhielt er vom Ausländeramt des damaligen Kreises A. eine unbefristete Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthaltsG). Die deutschen Verwaltungsbehörden gehen von einer Staatenlosigkeit des Angeklagten aus.
52Ein unter seinem richtigen Namen mit Datum vom 05.11.1955 gestellter Antrag des Angeklagten auf Entschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz wurde abgelehnt. In dem Antrag ist unter anderem die ursprünglich handschriftlich eingetragene Nationalität "Deutsch" durchgestrichen und ersetzt durch "staatenlos z. Zt., Einbürgerung läuft". Als Grund für die Kriegsgefangenschaft ist angegeben: "Angehöriger der Waffen-SS". Als vorletzte Einheit wird bezeichnet "Div. Wicking Reg. Westland 13. S.I.G. Komp. 15.9.1940-Dez. 1942, Sturmmann"; als letzte Einheit: "Sonderkommando Feldmeyer Jan. 1943 - Kriegsende, Hauptscharführer". Eintreffen im Bundesgebiet: "1.11.1954".
53Am 31.12.1958 erlitt der Angeklagte einen schweren Arbeitsunfall im Hauptschacht der Grube Maria; er war hier als Gasbohrhauer eingesetzt. Er trug Frakturen und Prellungen davon, war mehrere Wochen arbeitsunfähig und ihm wurden 10 % GdB (Grad der Berufsunfähigkeit) zugebilligt.
54Nach der Schließung der Grube Maria arbeitete der Angeklagte zunächst in der Grube Siersdorf und später in der Grube in Baesweiler, die im Jahre 1975 geschlossen wurde. Der Angeklagte musste damals mit 54 Jahren in Rente gehen.
55Vom 28.02.1983 bis zum 05.05.1983 befand er sich im Hinblick auf das Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18.10.1949 in deutscher Auslieferungshaft, zu einer Auslieferung an die Niederlande kam es jedoch nicht (vgl. unten II. 4.).
56Seit dem 10.03.2006 lebt er in der "P.R.", einem Altenheim in E..
57Verheiratet war der Angeklagte nie, weil er jederzeit mit seiner Festnahme rechnete und - nach seinen Worten - weil er doch einer Frau die Ungewissheit über seine Zukunft nicht habe zumuten können, "die Holländer haben ja immer versucht, mich zu kriegen". Er war einmal einige Zeit mit einer inzwischen verstorbenen Rentnerin befreundet. Kinder hat der Angeklagte nicht.
58Er bezieht eine Rente in Höhe von 1.020 € monatlich. Sie wird durch die Heimkosten, die sie bei weitem nicht deckt, vollständig aufgezehrt. Er erhält Pflegegeld der Pflegestufe 1, das ebenfalls für die Heimkosten verwandt wird. Der Angeklagte selbst bekommt ein monatliches Taschengeld von zur Zeit 97 €.
59Sein Leben im Seniorenheim besteht darin, dass er manchmal mit den Mitbewohnern das Essen im Speisesaal einnimmt, gelegentlich, aber immer seltener an gemeinsamen Aktivitäten teilnimmt, mit einem Bekannten, der wie er auch am 2. Weltkrieg teilgenommen hat, spricht und ansonsten "herumsitzt und guckt".
60Der Angeklagte leidet neben weiteren Erkrankungen unter einer chronischen Herzinsuffizienz (insbesondere Herzrhythmus-Störungen) in Verbindung mit einer mittelgradigen Einschränkung der Nierenfunktion. Er hat ganz erhebliche Probleme mit dem Laufen und bewegt sich außerhalb seines Zimmers fast nur im Rollstuhl.
61Aufgrund seiner gesundheitlichen Situation - so unterstellt die Kammer als wahr - ist die Lebenserwartung des Angeklagten im Vergleich zu gleichaltrigen Menschen so stark reduziert, dass selbst bei bestmöglicher Therapie die Mortalität bei bis zu 50 % im ersten Jahr liegt, er innerhalb von dreieinhalb Jahren einem sechsfach erhöhten Sterberisiko unterliegt und jederzeit aufgrund des bestehenden Krankheitsbildes an einem plötzlichen Herztod versterben kann.
62Dem Gesundheitszustand des Angeklagten hat die Kammer neben permanenter ärztlicher Kontrolle dadurch Rechnung getragen, dass die Hauptverhandlung an jedem Verhandlungstag nicht mehr als äußerstenfalls dreieinhalb Stunden, überwiegend jedoch wesentlich weniger lang dauerte.
63Im Laufe der Hauptverhandlung hat sich - jedenfalls für die Kammer überraschend - aufgrund einer auf Anordnung der Kammer durchgeführten eingehenden Untersuchung im Universitätsklinikum A. herausgestellt, dass der Angeklagte außerdem unter einem schwerwiegenden Hör-Problem (im Wesentlichen: Hochtonverlust beidseitig) leidet. Die Beeinträchtigung wurde alsdann fachmännisch mit einem von seiner Krankenkasse finanzierten Hörgerät behoben, so dass der Angeklagte - nach eigener Angabe - fortan nicht nur der Hauptverhandlung uneingeschränkt folgen konnte, sondern nach dem Eindruck der Kammer auch deutlich verbessert an dem sozialen Geschehen in seiner Umgebung teilnehmen kann.
64Der Angeklagte ist, wie sich aus dem in der Hauptverhandlung verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 30.11.2009 ergibt, in Deutschland bisher nicht wegen einer Straftat verurteilt worden.
65II.
66Zur Sache konnte die Kammer die folgenden Feststellungen treffen:
671.
68Am 10.05.1940 fielen deutsche Wehrmachtstruppen in die Niederlande ein. Es war dies der Anfang eines fast fünfjährigen Leidensweges des Landes. Der Angriff machte rasche Fortschritte. Deutsche und Deutschstämmige in den Niederlanden waren überwiegend zufrieden oder gar begeistert von der Entwicklung, die für die niederländische Bevölkerung, die Politik und das Militär in dieser Form weitgehend überraschend kam und insoweit zunächst auf wenig Widerstand stieß. Während die Königin und ihr Kabinett sich schon am 13.05.1940 einschifften, um nach Großbritannien ins Exil zu gehen, kapitulierte das Heer am folgenden Tag. Sein Chef, General Winkelmann, befahl die Einstellung des Kampfes an allen Fronten. Dennoch wurde Rotterdam von einem deutschen Bombergeschwader angegriffen. Fast 1000 Rotterdamer Bürger kamen ums Leben. Die deutsche Besatzungsmacht installierte eine Zivilverwaltung mit dem Österreicher Arthur Seyß-Inquart als NS-Reichskommissar an der Spitze, die sich im übrigen auch auf verbliebene niederländische Zivilbeamte und deren vorhandenes Fachwissen stützte. Es gab weiterhin eine niederländische Polizei. Unabhängig hiervon operierten der deutsche Sicherheitsdienst (SD) und die deutsche Sicherheitspolizei (Sipo), an deren Spitzen der HSSPF (Höherer SS- und Polizeiführer) und der BdS (Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes) standen. HSSPF war 1944 der frühere SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Hanns Albin Rauter (geboren am 04.02.1895, hingerichtet am 25.03.1949), BdS ab Juni 1944 Dr. Karl Georg Eberhard Schöngarth (geboren am 22.04.1903, hingerichtet im Mai 1946).
69Eine bereits vor dem Krieg in den Niederlanden bestehende Nationaal Socialistische Beweging (NSB), die sich zwar faschistischen Zielen verschrieben hatte, sich jedoch deutlich von der deutschen NSDAP unterschied, bekam mehr Zulauf und kooperierte offen mit den Deutschen. Als bewaffneter Arm der NSB wurde die Landwacht gegründet. Daneben bestand als niederländische nationalsozialistische Organisation die Weerafdeeling (Wehrabteilung), ähnlich der deutschen SA.
70Die Landwacht umfasste auch hauptberufliche Mitglieder als so genannte Berufs-Landwacht. Zunehmend kam es zur Zusammenarbeit der deutschen Sicherheitsbehörden mit der Landwacht.
71Parallel zur deutschen SS gründete sich die Germanische SS in den Niederlanden, der im Wesentlichen mehr oder weniger fanatische deutschfreundliche Niederländer angehörten.
722.
73Unter dem Druck und Terror der deutschen Besatzungsmacht und unter dem Eindruck der Kooperation relativ vieler Niederländer mit den Deutschen regte sich alsbald zunehmend organisierter Widerstand patriotisch gesinnter Niederländer. Diese konspirativ arbeitende Widerstandsbewegung führte unter anderem durch Überfallkommandos ("Knokploegen") Anschläge auf Deutsche, auf mit der deutschen Seite kooperierende Niederländer und auf Angehörige der NSB aus. Dabei kamen, wie beabsichtigt, die so Angegriffenen häufig ums Leben; ebenso gab es Todesopfer unter den Widerständlern. Die Widerstandsbewegung fand in der niederländischen Bevölkerung Unterstützung, unter anderem durch die Aufnahme und das Verstecken von untergetauchten Widerständlern ("Onderduikers").
74Von deutscher Seite wie auch von Seiten der NSB und der Germanischen SS in den Niederlanden sollte diesem organisierten Widerstand nachhaltig entgegengewirkt werden. Auf Befehl Hitlers wurden im Sommer 1943 Pläne für die Bekämpfung der Widerstandsgruppen ausgearbeitet. Ein Spitzenfunktionär der NSB, Cornelis van Geelkerken, forderte in einer viel beachteten öffentlichen Rede strengste Vergeltung für Anschläge auf NSB-Leute. Da die deutsche Wehrmacht sich hieran nicht beteiligen wollte, wurden zunächst verdeckt andere deutsche Einheiten zur Bekämpfung des Widerstandes eingesetzt.
75Im Herbst 1943 wurde dann unter Führung des niederländischen SS-Mannes Johannes Hendrik Feldmeijer (geboren am 30.11.1910, wahrscheinlich am 22.02.1945 bei einem Fliegerangriff ums Leben gekommen) das Kommando Feldmeijer gebildet. Aufgabe des Kommandos war es, neben Personenschutz für Feldmeijer, Objektschutz für diverse Einrichtungen und Aktionen gegen den Widerstand, auch verdeckte tödliche Anschläge auf Niederländer als unmittelbare Reaktion auf Anschläge der Widerstandsbewegung durchzuführen.
76Diese Anschläge auf Niederländer wurden bei den insoweit beteiligten deutschen Stellen (das war insbesondere der SD) unter dem Code "Geheime Reichssache Silbertanne" geführt, wobei der Begriff "Silbertanne" seinerzeit den niederländischen Angehörigen des Kommandos Feldmeijer nicht geläufig war. Treibende Kraft hinter dieser Maßnahme war Rauter, wie sich unter anderem aus dessen Schreiben an Himmler vom 13.01.1944 ergibt, in dem er nach Darstellung von Widerstandshandlungen Klage über das Verhalten der Wehrmacht führt und die dringende Notwendigkeit von Gegenmaßnahmen betont.
77Die Aktionen erfolgten grundsätzlich so, dass Kommandomitglieder ausgewählt wurden, um (in Begleitung von SD-Leuten, in Zivilkleidung, am frühen Morgen oder am späten Abend und teilweise mit falschen Ausweisen und gefälschten Kennzeichen an den benutzten Kraftwagen) Niederländer, die sich aus den Kommandomitgliedern ausgehändigten Listen ergaben, aufzusuchen und nach Feststellung der Identität ohne Zeugen ohne Weiteres zu erschießen. Die Opfer sollten aus den Orten stammen, aus denen auch das Opfer der Widerstandsbewegung stammte, das den Anlass zu der konkreten "Silbertanne"-Aktion gab. Für jedes Widerstandsopfer sollten (bis zu) drei Niederländer umgebracht werden. Die Listen mit den Namen und Adressen der zu Tötenden wurden in der Regel willkürlich oder jedenfalls ohne erkennbares Schema von örtlichen NSB-Funktionären aufgestellt. Wurden die ins Auge gefassten Opfer nicht angetroffen, so unterblieb ihre Tötung, und es wurde die nächste Adresse auf der Liste aufgesucht. Nach der Tat flüchteten die Täter und niemand bekannte sich öffentlich zu der Tat. Ziel der Aktionen war es, die Widerstandsgruppen und ihre Sympathisanten einzuschüchtern, zu verunsichern und von weiteren Widerstandshandlungen abzuhalten. Den Mitgliedern des Kommandos Feldmeijer war unter Androhung schwerster Strafen strenges Stillschweigen auferlegt.
78Das Kommando Feldmeijer bestand in wechselnder Besetzung meist aus 12 bis 15 Mann, die von Den Haag aus in den ganzen Niederlanden operierten. Vorzugsweise wurden hierfür alte (niederländische) Ostfrontkämpfer rekrutiert, weil ihnen solche Taten am ehesten zugetraut wurden.
79Die Mitglieder des Kommandos Feldmeijer unterstanden ebenso wie die Begleitpersonen vom SD der SS-Sondergerichtsbarkeit.
80Die ersten "Silbertanne"-Aktionen fanden im Oktober 1943 statt. Di. (geboren am 12.07.1914, verstorben am 04.10.1999) war in dem Kommando de facto der Stellvertreter Feldmeijers, der selbst nur selten mit den Kommandomitgliedern persönlichen Kontakt aufnahm. Im März 1944 fand der Angeklagte Aufnahme im Kommando Feldmeijer. Zu dieser Zeit trat der niederländischen Führer der 5. Germanischen SS-Standarte, Ro., an den Angeklagten mit der Frage heran, ob dieser bereit sei, Mitglied des Kommandos Feldmeijer zu werden. Der Angeklagte, der dies als ehrenvolle Aufgabe ansah, stimmte dem, ohne dazu gezwungen worden zu sein, zu und erhielt kurz darauf einen Stellungsbefehl vom Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) Hanns Albin Rauter, wonach er sich beim Stab von Feldmeijer in Den Haag zu melden habe. Dort nahmen an einer ersten Besprechung neben ihm auch Po., B., Kr., Sl., Kn., Mi., v.d.B., Bo. und Kri. teil. Bei einem weiteren, von Feldmeijer selbst geleiteten Treffen, beschrieb dieser die Aufgaben des Kommandos: persönlicher Schutz Feldmeijers, Schutz von Besitzgütern der Ostfrontkämpfer, Erkundigung von Aktivitäten des Untergrundes sowie die Durchführung von Vergeltungsaktionen gegen führende Personen der Widerstandsbewegung. Dabei zeigte Feldmeijer Fotos von ermordeten Mitgliedern der NSB und der SS. Er erklärte, dass auf Befehl von Rauter Gegenmaßnahmen zu ergreifen seien. Es sei die Pflicht der Mitglieder des Kommandos, die Aufträge genauestens auszuführen und mit niemandem, auch nicht untereinander, über die Aufträge zu sprechen. Die strenge Geheimhaltung der Kommandoaktionen sei die erste Pflicht. Werde sie nicht eingehalten, würden die Mitglieder des Kommandos mit einem Fuß im Konzentrationslager und mit dem anderen im Grab stehen. Die Todesstrafe sei das Los bei einem Verstoß gegen die Geheimhaltungspflicht. Zu einem späteren Zeitpunkt ging das Gerücht um, das v.d.B. vom SD liquidiert worden sei, weil er mit einem Mädchen über einen Auftrag als Kommandomitglied gesprochen habe. Außerdem waren Mitglieder des Kommandos Feldmeijer unter anderem die Zeugen B. (geboren am 22.05.1921, lebt heute in Rotterdam), Kr. (geboren am 29.09.1924, verstorben wahrscheinlich am 03.01.1996), Kn. (geboren am 18.04.1914, verstorben am 25.11.1993) und Po. - genannt: Dij. - (geboren am 31.05.1915, verstorben am 04.05.1993). Insgesamt fielen mindestens 54 Niederländer "Silbertanne" - Aktionen zum Opfer.
81Das Kommando Feldmeijer führte wie erwähnt auch andere Aktionen aus, wobei es für deren Gelingen wie auch bei den "Silbertanne" - Aktionen nützlich war, dass es sich bei den Kommandomitgliedern durchweg um Niederländer handelte, die Land und Leute kannten und Sprache und Gepflogenheiten beherrschten.
82Mitte Mai 1944 wurden drei Mitglieder des Kommandos Feldmeijer (nämlich die Zeugen Le. und Rs. sowie der Angeklagte) in die Gegend von Helden-Panningen geschickt, um dort nach Untergetauchten ("Onderduikers") der Widerstandsbewegung zu suchen, die ihrerseits unterstützt wurden durch die LO (Landelijke Organisatie voor hulp aan Onderduikers - Nationale Organisation für Hilfe an Untergetauchten). Der Angeklagte, Le. und Rs. gaben sich in dem Ort und den umliegenden Bauernschaften als untergetauchte Mitglieder der Widerstandsbewegung aus und sammelten Informationen, die sie nach Rückkehr nach Maastricht an den dortigen SD-Führer weitergaben. Bereits wenige Tage später fand in Helden-Panningen eine Razzia deutscher Soldaten und des SD statt, an der auch der Angeklagte teilnahm. Die Razzia führte zur Festnahme von über 50 Menschen. Einige der Festgenommenen, wahrscheinlich sieben, kamen später infolge der Inhaftierung ums Leben.
833.
84a. Fall 1
85Ende Juni/Anfang Juli 1944 wurde in oder bei Breda ein Attentat auf einen Rottenführer der Waffen-SS verübt. Hierfür sollten durch das Kommando Feldmeijer Niederländer getötet werden.
86Der Angeklagte, damals 22 Jahre alt, der Zeuge B., ebenfalls 22 Jahre alt, und Po., 29 Jahre alt, erhielten deshalb am Freitag, dem 14.07.1944, den Befehl, sich nach Breda zu begeben und sich dort bei dem SS-Hauptscharführer St. zu melden. Von ihm erhielten sie einen Umschlag, der die Namen und Adressen eines - heute namentlich nicht mehr bekannten - Arztes und des Apothekers Fritz Hubert Ernst Bi. enthielt, die erschossen werden sollten. Dem Angeklagten und seinen Begleitern wurde aufgegeben, die Anschriften auswendig zu lernen. Ihnen wurde mitgeteilt, dass die Personen eine leitende Position in der Widerstandsbewegung einnehmen würden. Bedenken oder Skrupel hegten der Angeklagte oder seine beiden Begleiter zu keinem Zeitpunkt. Sie führten Papiere mit sich, mit Bild und falschem Namen, die sie wahrheitswidrig als Mitglieder des SD auswiesen.
87Sie begaben sich mit einem Fahrzeug des SD nebst dessen Fahrer, des SD-Kraftfahrers O., zunächst zur Adresse des Arztes, den sie jedoch nicht antrafen.
88Anschließend fuhren O., der Angeklagte, B. und Po. zum Wohn- und Geschäftshaus des Fritz Hubert Ernst Bi. in Breda, W.straat 2, wo sie gegen 21:45 Uhr eintrafen.
89Fritz Hubert Ernst Bi., 56 Jahre alt, Apotheker, verheiratet mit der Zeugin Ra., Vater von 12 Kindern, darunter die Nebenkläger L. Bi., geboren am 19.05.1923, und A. Bi., geboren am 11.04.1936, hielt sich zu dieser Zeit in seiner Apotheke im Erdgeschoss des Hauses auf und bediente eine Kundin.
90Während Po. absprachegemäß im Auto wartete, betraten der Angeklagte und B. die Apotheke. Sie trugen Trenchcoats und Schlapphüte, in der Manteltasche jeweils eine ihnen kurz zuvor ausgehändigte geladene und entsicherte Pistole. Sie warteten, bis die Kundin kurz darauf die Räumlichkeiten verlassen hatte. Dann fragte der Angeklagte Boere den offensichtlich arg- und wehrlosen Apotheker, ob er Fritz Hubert Ernst Bi. sei, was dieser bejahte. Daraufhin zogen der Angeklagte und der Zeuge B. sofort ihre Pistolen und schossen wortlos jeder mehrmals auf ihr Opfer, in der Absicht, es zu töten. Bi., auf diese Weise tödlich getroffen, sackte hinter seiner Theke zusammen.
91Der Angeklagte und B. verließen eilends die Apotheke, stiegen zu dem wartenden Po. in den Wagen und verließen den Tatort.
92Die Ehefrau von Fritz Hubert Ernst Bi., die Zeugin Ra., hatte den Motor des Autos und die Schüsse gehört, eilte aus der ersten Etage des Hauses kommend herbei und fand ihren Mann sterbend oder schon tot vor. Der herbeigerufene Arzt Dr. S. stellte schließlich den Tod Bi.s fest. Acht leere Patronenhülsen lagen auf dem Verkaufstisch und auf dem Boden.
93b. Fall 2
94Am Sonntag, dem 03.09.1944, wurde in Voorschoten bei Den Haag ein Anschlag auf ein führendes Mitglied der NSB namens v.A. begangen, der dabei erstochen wurde. Erneut sollten deshalb durch das Kommando Feldmeijer Niederländer getötet werden.
95Der Zeuge Kr., 19 Jahre alt, und der Angeklagte erhielten deshalb auf der Dienststelle der Landwacht in Den Haag den Auftrag, diese Aktion auszuführen. Ein weiterer Auftrag sollte von den Zeugen B. und Sl. erledigt werden. Ohne Bedenken zu äußern oder auch nur zu hegen, kamen sie dem Auftrag nach. Von einem sie auf der Fahrt nach Voorschoten im Auto begleitenden Mitarbeiter des SD erhielten sie während der Fahrt Namen und Adressen der ins Auge gefassten Opfer, die sie sich wieder merken sollten. Ihnen wurde auch mitgeteilt, dass beide Personen führende Mitglieder der Widerstandsbewegung in Voorschoten seien. Außerdem bekamen sie eine Pistole der Marke Walther P.P. Kaliber 7,65 mm mit Munition.
96Sie fuhren zunächst zur Wohnung des Teunis de G. in Voorschoten, Sch.straat, wo sie am Morgen gegen 07:30 Uhr eintrafen.
97Teunis de G., 42 Jahre alt, Fahrradhändler, verheiratet mit Mo., Vater von fünf Kindern, darunter der Nebenkläger T. de G., geboren am 03.12.1932, hielt sich in seiner Wohnung auf.
98Während der SD-Mann das Auto ein wenig abseits parkte, begaben sich der Angeklagte und Kr. zur Haustür und klingelten. De G. öffnete. Die beiden Kommandoangehörigen, wie im Falle des getöteten Apothekers Bi. bekleidet und bewaffnet, wiesen sich als SD-Leute aus und der Angeklagte verlangte, den Ausweis von de G. zu dessen Identifizierung zu sehen. Dieser holte das Papier, ohne Verdacht zu schöpfen, und entschuldigte sich, dass er noch nicht vollständig bekleidet sei. Ohne weitere Worte zogen der Angeklagte und danach Kr. ihre Waffen und gaben jeder die Arg- und Wehrlosigkeit ihres Opfers ausnutzend mindestens zwei Schüsse auf Teunis de G. ab in der Absicht, ihn zu töten. Nach den eigenen Angaben des Angeklagten zog er die schussbereite Pistole aus seiner rechten Jackentasche und schoss in Richtung des Herzens von Teunis de G.. Dieser brach im Flur seiner Wohnung tödlich getroffen zusammen.
99Kr. und der Angeklagte gingen zum Auto zurück.
100Der Bruder von Teunis de G., der sich in Kenntnis des Anschlages auf v.A. Sorgen machte, fand den Getöteten wenig später in einer großen Blutlache in der Diele liegend.
101c. Fall 3
102Der Angeklagte, Kr. und der SD-Mann fuhren sodann weiter zum Hause des Frans Willem Ku. in Voorschoten, wo sie gegen 08:15 Uhr eintrafen.
103Frans Willem Ku., 28 Jahre alt, Prokurist in einer Kunsthonigfabrik, kinderlos verheiratet mit Ba., hielt sich im Haus auf, war aber wegen der frühen Morgenstunde noch nicht vollständig angekleidet.
104Auf das Klingeln der beiden Täter, die wiederum die Arg- und Wehrlosigkeit ihres Opfers auszunutzen gedachten, öffnete die Zeugin Ba. im Morgenrock die Tür. Nachdem sie sich legitimiert hatten, rief die Zeugin Ba. auf Verlangen der beiden Männer ihren arglosen Ehemann hinzu. Da es den Kommandoangehörigen verboten war, die Erschießungen in Gegenwart anderer Personen vorzunehmen, verlangten der Angeklagte und Kr. Auskunft, ob Ku. Untergetauchte ("Onderduikers") versteckt habe, was dieser verneinte und zum Beweis eine gemeinsame Hausbegehung anbot. Gefunden wurde hierbei niemand. Um ihren Tötungsplan nun doch noch umsetzen zu können, beanstandeten Kr. und der Angeklagte den Ausweis des Frans Willem Ku. und verlangten, dass er mit zur Polizei zur Kontrolle komme. Sein Ansinnen, selbst mit dem Fahrrad zur Polizei zu fahren, lehnten sie ab.
105Frans Willem Ku., der keine Möglichkeit sah, sich dem zu entziehen, bestieg deshalb gemeinsam mit dem Angeklagten und Kr. den Wagen. Der SD-Mann fuhr Richtung Wassenar. Auf der Waldeck-Pyrmontlaan in Höhe des Hauses Nr. 14 täuschte der SD-Mann, wie zuvor für einen solchen Fall vereinbart, eine Panne vor. Frans Willem Ku. verließ, auf Aufforderung, nach dem Schaden zu sehen, das Fahrzeug und ergriff sofort die Flucht. Der unmittelbar hinter ihm ausgestiegene Angeklagte und Kr. schossen nun aus wenigen Metern Entfernung auf den Fliehenden, um ihn zu töten. Tödlich getroffen brach Frans Willem Ku. am Gartenzaun des Hauses Nr. 14, der Villa Constance, zusammen. Aus einer Halswunde spritzte fontänenartig 10 bis 15 Zentimeter hoch das Blut. Man ließ ihn dort liegen.
106Sofort bestiegen der Angeklagte, Kr. und der SD-Mann das Auto wieder und fuhren zur Zentrale nach Den Haag.
107Der Vorfall war von Anwohnern bemerkt worden. Die herbeigerufene niederländische Polizei fand am Tatort im Umkreis der Leiche mehrere Patronenhülsen.
1084.
109Nachdem der Angeklagte am 09.06.1947 aus der Gefangenschaft hatte fliehen können, verhandelte am 04.10.1949 der Bijzondere Gerechtshof te Amsterdam (Sondergerichtshof zu Amsterdam), Aktenzeichen 358-12269-`49, gegen den Angeklagten unter anderem wegen der unter II. 3. dargestellten Taten zum Nachteil des Fritz Hubert Ernst Bi., des Teunis de G. und des Frans Willem Ku.; der Angeklagte war, da flüchtig, nicht anwesend, und wurde auch nicht durch einen Wahl- oder Pflichtverteidiger vertreten, weil dies nach niederländischem Recht nicht erforderlich war. Durch Urteil des Sondergerichtshofs vom 18.10.1949 wurde der Angeklagte aufgrund dieser Hauptverhandlung zum Tode verurteilt.
110In diesem Urteil heißt es in der übersetzten Fassung unter anderem wie folgt:
111" Der BIJZONDER GERECHTSHOF (Sondergerichtshof) Amsterdam, Erste Kammer, verhandelt
112aufgrund der Unterlagen, zu denen auch die Vorladung gehört, die im Namen des leitenden Generalstaatsanwalts beim Sondergericht und laut Mitteilung der Geschäftsstelle des Sondergerichtshofs am 21. September 1949 dieser Geschäftsstelle übermittelt wurden, deren Übermittlung an diesem Datum durch eine Mitteilung ihrerseits beim Sondergerichtshof öffentlich ausgehängt wurde;
113nach Anhörung der Anklage des leitenden Generalsstaatsanwalts gegen den Angeklagten, der vorgeladen wurde als:
114HEINRICH BOERE
115seines Zeichens Schumacher, geboren in E. (Deutschland) am 27. September 1921 und wohnhaft in Maastricht, Burgemeester van Akenstraat 3, zurzeit ohne bekannten Aufenthaltsort.
116In Anbetracht der Feststellung des Nichterscheinens des Angeklagten,
117in Anbetracht der Untersuchung in der Hauptverhandlung;
118nach Anhörung der vom leitenden Generalsstaatsanwalt geforderten Strafe;
119in der Erwägung, dass der Angeklagte in der folgenden Sache vorgeladen wurde, wobei ihm vorgeworfen wurde:
120A.
121...
122B.
123...
124C.
125dass er sich in Helden-Panningen und Umgebung, beziehungsweise in den Niederlanden, beziehungsweise dort oder andernorts in Europa, an einigen Tagen im Mai 1944, auf jeden Fall während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem Beginn des von Deutschland gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15. Mai 1945, während der Zeit des oben genannten Krieges zum Vorteil des Feindes und gemeinsam mit J.G. Rs. und N.J. Le., vorsätzlich als untergetauchte Person, die eine Unterkunft suchte, ausgegeben hat, und der Sicherheitspolizei in Maastricht über die ihm und Le. und Rs. in dieser Eigenschaft gewährte Hilfe, sowie über die Auskünfte und Angaben in Bezug auf die Hilfe an Untergetauchte und sonstige illegale Tätigkeiten, über die sie aufgrund des von ihnen erworbenen Vertrauens erfuhren, Bericht erstattet hat;
126D.
127dass er in Breda, beziehungsweise in den Niederlanden, beziehungsweise dort oder andernorts in Europa, am 14. Juli 1944 oder um dieses Datum herum, auf jeden Fall während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem Beginn des von Deutschland gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15. Mai 1945, gemeinsam mit J.P. B., oder einem anderen, zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger Überlegung verfassten Plans, den oben genannten F.H.E. Bi. vorsätzlich zu töten, beziehungsweise dem oben genannten Bi. vorsätzlich schwere körperliche Verletzungen zuzufügen; dass sowohl er, der Angeklagte, als auch J.P. B., oder der andere, jeder aus einer scharf geladenen Pistole, oder einer Feuerwaffe, aus kurzer Entfernung einen oder mehrere Schüsse auf den genannten Bi. abgegeben haben, so dass der genannte Bi. durch die von ihm, dem Angeklagten, und von J.P. B. abgefeuerten Schüsse, derart getroffen und verletzt wurde und solche schweren körperlichen Verletzungen davon trug, dass er unmittelbar danach, auf jeden Fall bald danach, an deren Folgen gestorben ist. Dabei hat er, der Angeklagte, beim Obigen die Machtposition, Gelegenheit und/oder die Mittel eingesetzt, die ihm durch die Tatsache der feindlichen Besatzung geboten wurden, da er damals als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS oder als (ehemaliges) Mitglied der Waffen-SS über eine Schusswaffe verfügte, was damals kraft deutscher Verordnung allen guten Niederländern verboten war, und da er für die Fahrt zu der Wohnung des oben genannten Bi. und zurück ein dazu von oder im Namen der Sicherheitspolizei zur Verfügung gestelltes Fahrzeug benutzte;
128E.
129dass er in Voorschoten, beziehungsweise in den Niederlanden, beziehungsweise dort oder andernorts in Europa, am 3. September 1944 oder um dieses Datum herum, auf jeden Fall während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem Beginn des von Deutschland gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15. Mai 1945, gemeinsam mit H. Kr., oder einem anderen, zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger Überlegung verfassten Plans zur vorsätzlichen Tötung von T. de G., beziehungsweise zwecks Ausführung ihres Vorhabens, dem oben genannten T. de G. vorsätzlich schwere körperliche Verletzungen zuzufügen, aus einer scharf geladenen Pistole, oder einer Feuerwaffe, aus kurzer Entfernung einen oder mehrere Schüsse auf den genannten T. de G. abgegeben hat, so dass der genannte T. de G. durch die von ihm, dem Angeklagten, und von H. Kr. abgefeuerten Schüsse, derart getroffen und verletzt wurde und solche schweren körperlichen Verletzungen davon trug, dass er unmittelbar danach, auf jeden Fall bald danach, an deren Folgen gestorben ist. Dabei hat er, der Angeklagte, beim Obigen die Machtposition, Gelegenheit und/oder Mittel eingesetzt, die ihm durch die Tatsache der feindlichen Besatzung geboten wurden, da er damals als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS oder als (ehemaliges) Mitglied der Waffen-SS über eine Schusswaffe verfügte, was damals kraft deutscher Verordnung allen guten Niederländern verboten war;
130F.
131dass er in Wassenaar, beziehungsweise in den Niederlanden, beziehungsweise dort oder andernorts in Europa, am 3. September 1944 oder um dieses Datum herum, auf jeden Fall während des Zeitraums zwischen dem 10. Mai 1940, dem Beginn des von Deutschland gegen die Niederlande geführten Krieges, und dem 15. Mai 1945, gemeinsam mit H. Kr., oder einem anderen, zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger Überlegung verfassten Plans, F.W. Ku. vorsätzlich zu töten, beziehungsweise dem genannten F.W. Ku. vorsätzlich schwere körperliche Verletzungen zuzufügen, aus einer scharf geladenen Pistole, oder einer Feuerwaffe, aus kurzer Entfernung einen oder mehrere Schüsse auf den genannten F.W. Ku. abgegeben hat, so dass der genannte F.W. Ku. durch die von ihm, dem Angeklagten, und von H. Kr. beziehungsweise jenemanderen abgefeuerten Schüsse, derart getroffen und verletzt wurde und solche schweren körperlichen Verletzungen davon trug, dass er unmittelbar danach, auf jeden Fall bald danach, an deren Folgen gestorben ist; dabei hat er, der Angeklagte, beim Obigen die Machtposition, Gelegenheit und/oder Mittel eingesetzt, die ihm durch die Tatsache der feindlichen Besatzung geboten wurden, da er damals als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS oder als (ehemaliges) Mitglied der Waffen-SS über eine Schusswaffe verfügte, was damals kraft deutscher Verordnung allen guten Niederländern verboten war.
132…
133In der Erwägung, dass durch den oben genannten Inhalt der vorstehenden Beweismittel - von denen jedes Beweismittel angesehen wird als Beweis für die Tatsache, auf die sich der Beweis bezieht - die darin beschriebenen Tatsachen und Umstände feststehen, und der Gerichtshof auf der Grundlage dieser Beweismittel zu der Überzeugung gelangt ist und es als gesetzlich bewiesen erachtet:
134A.
135...
136C.
137dass der Angeklagte sich an einigen Tagen im Mai 1944, während der Zeit des oben genannten Krieges, in Helden-Panningen und Umgebung gemeinsam mit J.G. Rs. und H.J. Le. vorsätzlich zum Vorteil des Feindes als untergetauchter Flüchtling ausgegeben hat, der auf der Suche nach einem neuen Versteck war, und dass er über die ihm und Le. und Rs. aus diesem Grund gewährte Hilfe, sowie über die Informationen und Angaben über die Hilfe an Untergetauchte und sonstige illegale Tätigkeiten, die ihnen infolge des ihnen gewährten Vertrauens zuteil geworden waren, der Sicherheitspolizei in Maastricht Bericht erstattet hat;
138D.
139dass der Angeklagte am 14. Juli 1944, oder um dieses Datum herum, in Breda gemeinsam mit J.P. B. zwecks Ausführung ihres zuvor nach ruhiger Überlegung ausgedachten und entwickelten Plans zur vorsätzlichen Tötung von F.H.E. Bi., vorsätzlich, sowohl er, der Angeklagte, als auch J.P. B., aus einer scharf geladenen Schusswaffe aus nächster Entfernung mehrere Schüsse auf den genannten F.H.E. Bi. abgefeuert hat, durch die der genannte F.H.E. Bi. derart getroffen und verwundet wurde und derart schwere körperliche Verletzungen davon trug, dass er bald darauf an den Folgen gestorben ist, wobei er, der Angeklagte, für die oben beschriebene Tat die Gelegenheit und die Mittel genutzt hat, die ihm die Tatsache der feindlichen Besatzung bot, indem er zu dem Zeitpunkt als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS über eine Schusswaffe verfügte und indem er für die Hin- und Rückfahrt zu der Wohnung von Bi. ein von oder im Namen der Sicherheitspolizei zur Verfügung gestelltes Auto benutzte;
140E.
141dass der Angeklagte am 3. September 1944, oder um dieses Datum herum, in Voorschoten gemeinsam mit H. Kr. zwecks Ausführung ihres zuvor nach ruhiger Überlegung ausgedachten und entwickelten Plans zur vorsätzlichen Tötung von T. de G., vorsätzlich, sowohl er, der Angeklagte, als auch H. Kr., aus einer scharf geladenen Schusswaffe aus nächster Entfernung mehrere Schüsse auf den genannten T. de G. abgefeuert hat, durch die der genannte T. de G. derart getroffen und verwundet wurde und derart schwere körperliche Verletzungen davon trug, dass er bald darauf an den Folgen gestorben ist, wobei er, der Angeklagte, für die oben beschriebene Tat die Gelegenheit und Mittel genutzt hat, die ihm die Tatsache der feindlichen Besatzung bot, indem er zu dem Zeitpunkt als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS über eine Schusswaffe verfügte;
142F.
143dass der Angeklagte am 3. September 1944, oder um dieses Datum herum, in Wassenar gemeinsam mit H. Kr. zwecks Ausführung ihres zuvor in ruhiger Überlegung ausgedachten und entwickelten Plans zur vorsätzlichen Tötung von F.W. Ku., vorsätzlich, sowohl er, der Angeklagte, als auch H. Kr., aus einer scharf geladenen Schusswaffe aus nächster Entfernung mehrere Schüsse auf den genannten F.W. Ku. abgefeuert hat, durch die der genannte F.W. Ku. derart getroffen und verwundet wurde und derart schwere körperliche Verletzungen davon trug, dass er bald darauf an den Folgen gestorben ist, wobei er, der Angeklagte, für die oben beschriebene Tat die Gelegenheit und Mittel genutzt hat, die ihm die Tatsache der feindlichen Besatzung bot, indem er zu dem Zeitpunkt als Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS über eine Schusswaffe verfügte;
144in der Erwägung, dass es im August 1940. Oder um dieses Datum herum, in Maastricht allgemein bekannt war - was heutzutage offenkundig ist - dass Deutschland sich damals seit dem 10. Mai 1940 mit den Niederlanden im Krieg befand;
145dass der Gerichtshof deshalb davon ausgeht, dass der Angeklagte davon bei seinem oben genannten Dienstantritt gewusst hat;
146in der Erwägung, dass dem Angeklagten über die oben als bewiesen erachteten Taten hinaus, keine weiteren oder anderen Taten als gesetzlich und überzeugend bewiesen zur Last gelegt werden können;
147in der Erwägung, dass das oben als bewiesen Erklärte dem Gesetz nach strafbar ist, weil es zu den nachstehenden Verbrechen geführt hat;
148in der Erwägung, dass der Angeklagte deshalb strafbar ist, weil sich in Bezug auf ihn keine Strafausschließungsgründe ergeben haben;
149in der Erwägung, dass die nachstehende Strafe der Ernsthaftigkeit der verübten Straftaten, den Umständen, unter denen diese verübt wurden, und der Person und den persönlichen Umständen des Angeklagten entspricht, wie sich in der Verhandlung gezeigt hat;
150in der besonderen Erwägung, dass allein schon der abscheuliche Anteil des Angeklagten an mehreren Silbertanne-Aktionen die Verhängung der schwersten Strafe rechtfertigt;
151gemäß den Artikeln 28, 57, 101, 102, 289 des Wetboek van Strafrecht (Strafgesetzbuch);
152gemäß den Artikeln 1, 7, 8, 9, 11 des Besluit Buitengewoon Strafrecht ?niederländischer Erlass über das Außerordentliche Strafrecht?;
153ERGEHT IM NAMEN DER KÖNIGIN FOLGENDES URTEIL:
154Der Sondergerichtshof erklärt es somit als gesetzlich erwogen und überzeugend erwiesen, dass der Angeklagte die ihm in der Vorladung zu Last gelegten Taten begangen hat, und dass das auf diese Weise Bewiesene darin besteht:
155"freiwilliger Eintritt in den Kriegsdienst einer ausländischen Macht als Niederländer, mit dem Wissen, dass diese sich mit den Niederlanden im Krieg befindet";
156"vorsätzliche Unterstützung des Feinds während der Dauer des derzeitigen Krieges";
157"mehrfacher Mord während der Dauer des derzeitigen Krieges, wobei der Schuldige die Gelegenheit und Mittel genutzt hat, die sich ihm durch die Tatsache der feindlichen Besatzung geboten haben";
158Der Bijzonder Gerechtshof erklärt das Bewiesene und den Angeklagten deswegen als strafbar;
159und verurteilt den oben genannten HEINRICH BOERE
160zur Todesstrafe;
161Der Bijzonder Gerechtshof erklärt als nicht bewiesen, was ihm ansonsten oder auf andere Weise zur Last gelegt wurde,
162spricht den Angeklagten davon frei,
163und erkennt dem Angeklagten das Recht ab:
1641. öffentliche Ämter zu bekleiden;
1652. bei der bewaffneten Macht zu dienen;
1663. bei kraft Gesetzes ausgeschriebenen Wahlen zu wählen oder sich zur Wahl
167zu stellen;
168dies alles auf Lebenszeit.
169Geurteilt von Mr. A.G. Lubbers stv. Präsident
170Mr. Dr. F.C. Cremer und
171Gen.-Maj. A.D. A.R. van den Bent Gerichtsräte
172anwesend im Ratszimmer Mr. A. Cohen Tervaert stv. Urkundsbeamter
173und vom besagten Mr. A.G. Lubbers in der öffentlichen Gerichtsverhandlung des oben genannten Bijzonder Gerechtshof am 18. Oktober 1949 verkündet."
174Nach Artikel 2 und Artikel 16 des niederländischen Königlichen Erlasses vom 22.12.1943 über das Außerordentliche Strafrecht (Besluit Buitengewoon Strafrecht) in Verbindung mit Art. 59 des niederländischen Militärstrafgesetzbuches (Wetboek van Militair Strafrecht) hat sich die gegen den Angeklagten verhängte Todesstrafe zwischenzeitlich von Rechts wegen in eine lebenslange Gefängnisstrafe umgewandelt, weil die Todesstrafe nicht binnen einer Frist von fünf Jahren nach Eintreten der Rechtskraft der Verurteilung vollstreckt werden konnte.
175Erst am 05.02.1980 – 35 Jahre nach Kriegsende - ersuchte die Königlich-Niederländische Botschaft die Bundesrepublik Deutschland um die Auslieferung des Verurteilten zur Vollstreckung des Urteils vom 18.10.1949. Nachdem das Oberlandesgericht Köln am 24.01.1983 die Auslieferungshaft gegen den Angeklagten angeordnet hatte, wurde dieser am 28.02.1983 im Alter von 61 Jahren festgenommen und am selben Tage dem Haftrichter des Amtsgerichts E. vorgeführt.
176In dem richterlichen Anhörungsprotokoll heißt es u.a.:
177Vorgeführt erschien der staatenlose Heinrich Boere, geboren am 27. September 1921 in E., wohnhaft … E., Rentner, früher Bergmann.
178Dem Verfolgten wurde der Auslieferungshaftbefehl des Oberlandesgerichts in Köln vom 24.01.1983 – Ausl. 17/80 – 4/80 – richterlich bekannt gegeben und eine Beschlussausfertigung ausgehändigt.
179Dem Verfolgten wurde die Verbalnote der Königlich-Niederländischen Botschaft in Bonn vom 05.02.1949, das Urteil des Sondergerichtshofes Amsterdam vom 18.10.1949, der Haftbefehl der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Amsterdam vom 21.11.1949, das Protokoll über die Sitzung des Sondergerichtshofes Amsterdam vom 04.10.1949, die Gesetzesbestimmungen (Bl. 34 - 39/76 - 85 d. A.) und die Sachverhaltsdarstellung der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Amsterdam bekannt gemacht.
180Am 05.05.1983 hob das Oberlandesgericht Köln auf Antrag der Staatsanwaltschaft den Haftbefehl vom 24.01.1983 auf. Der Angeklagte wurde am selben Tage aus der Auslieferungshaft entlassen.
181Durch Beschluss vom 25.05.1983 erklärte das Oberlandesgericht Köln die Auslieferung des Angeklagten an die Niederlande zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18.10.1949 für unzulässig, weil zumindest nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte nach dem Erlass über den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Einstellung in die deutsche Wehrmacht, die Waffen-SS, die deutsche Polizei oder die Organisation Todt vom 19.05.1943 oder auf Grund dieses Erlasses die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben könnte.
182Hinsichtlich der Taten vom 14.07.1944 in Breda und vom 03.09.1944 in Voorschoten und Wassenaar (also der Tötungen des Fritz Hubert Ernst Bi., des Teunis de G. und des Frans Willem Ku.) wurden auch in der Bundesrepublik Deutschland Ermittlungsverfahren geführt. Durch Verfügung des Leiters der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 15.02.1984 wurde das unter anderem auch gegen den Angeklagten Boere gerichtete Ermittlungsverfahren (45 Js 18/83 StA Dortmund, das ist das vorliegende Verfahren) gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Zur Begründung wurde unter anderem folgendes ausgeführt:
183" … Danach enthielt die Anordnung, den Anschlägen des niederländischen Widerstandes mit möglichst gleichartigen Taten zu begegnen, keine Weisung, die Humanitätsschranke zu überschreiten. Sie verstieß mithin insoweit nicht gegen die vom Völkerrecht für Repressalmaßnahmen aufgestellten Erfordernisse. Dementsprechend kann auch hinsichtlich der Durchführung der einzelnen Silbertanneaktionen von einem Überschreiten der Humanitätsgrenze solange keine Rede sein, wie sie sich im Rahmen der allgemeinen Anordnung gehalten hat und Gleiches mit Gleichem vergolten worden ist.
184Obwohl in keinem der Fälle 1 bis 13 insoweit Feststellungen zu treffen sind, unterliegt es keinem Zweifel, dass die Angehörigen der niederländischen Widerstandsgruppe bei den von ihnen begangenen Tötungen vor einer meuchlerischen Handlungsweise im Sinne von Art. 23 Buchst. b HLKO nicht zurückgeschreckt sind. Deshalb durfte auch im Rahmen der Silbertanneaktionen meuchlerisch gemordet werden.
185…
186Danach entsprachen die Silbertanneaktionen, so widerwärtig und abscheulich sie auch im Vergleich zu den Anschlägen der niederländischen Widerstandskämpfer waren, jedenfalls dem damals geltenden Völkerrecht. Ihre Anordnung und Durchführung war zulässig und rechtmäßig. … "
187Unter dem Datum vom 23.06.2003 - fast 20 Jahre nach dem Auslieferungsersuchen - ersuchte das Niederländische Justizministerium die zuständigen deutschen Behörden um Übernahme der Vollstreckung der durch Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18.10.1949 gegen den Angeklagten verhängten lebenslangen Gefängnisstrafe. Weiterhin wurde das Bundesjustizministerium vom Niederländischen Justizministerium unter dem Datum vom 23.06.2003 ersucht, zu veranlassen, dass der Angeklagte in Untersuchungshaft genommen werde, solange die Behandlung des vorgenannten Ersuchens schwebe.
188Durch Beschluss vom 16.09.2003 lehnte es die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Aachen (33h StVK 724/03) ab, gegen den Angeklagten einen Haftbefehl zur Sicherung der Vollstreckung zu erlassen, weil kein Grund zu der Befürchtung bestehe, dass der Angeklagte die Flucht ergreifen werde, und angesichts seines hohen Lebensalters eine Inhaftierung darüber hinaus auch unverhältnismäßig erscheine.
189Mit Beschluss vom 20.02.2007 erklärte die hiesige Strafvollstreckungskammer (33h StVK 553/04) das Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18. Oktober 1949 sodann insoweit für in Deutschland vollstreckbar, als der Angeklagte durch die Entscheidung wegen mehrfachen Mordes verurteilt worden sei, und wandelte die verhängte (schon umgewandelte) lebenslange Gefängnisstrafe in eine lebenslange Freiheitsstrafe um.
190Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten hob das Oberlandesgericht Köln mit Beschluss vom 03.07.2007 (2 Ws 156/07) den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Aachen vom 20.02.2007 auf und lehnte eine Übernahme der Vollstreckung ab. Tragend hierfür war, dass der Senat durch das Urteil des Sondergerichtshofs zu Amsterdam vom 18.10.1949 völkerrechtlich verbindliche Mindeststandards verletzt sah, weshalb nach § 49 Abs.1 Nr. 2 IRG die Vollstreckung in Deutschland unzulässig sei. Es hätte nämlich, so führte der Senat aus, angesichts des Vorwurfs schwerwiegender, mit sehr hoher Strafe bedrohter Straftaten in einem Abwesenheitsverfahren ohne tatsächliche nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit vor dem Sondergerichtshof zu Amsterdam jedenfalls der Mitwirkung eines Verteidigers bedurft. Dass die niederländische Strafprozessordnung (Wetboek van Strafvordering) das prozessrechtliche Institut der Pflichtverteidigung damals nicht gekannt habe, rechtfertige es nicht, im Rechtshilfeverfahren von den Mindeststandards abzuweichen. Zudem habe für den Angeklagten auch nachträglich keine Möglichkeit zur effektiven Rechtsverteidigung bestanden.
191Daraufhin nahm die Staatsanwaltschaft Dortmund die Ermittlungen gegen den Angeklagten wieder auf und erhob mit Datum vom 14.04.2008 Anklage wegen des Vorwurfs des Mordes in drei Fällen.
192Mit Beschluss vom 07.01.2009 lehnte die Kammer die Eröffnung des Hauptverfahrens nach Einholung eines Gutachtens des internistisch-kardiologischen Sachverständigen Prof. Dr. F., Universität zu Köln, im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Angeklagten wegen dessen Verhandlungsunfähigkeit ab, wobei die Auslagen des Angeklagten nicht der Staatskasse auferlegt wurden. Das Oberlandesgericht Köln eröffnete auf sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft nach Vernehmung zweier Pflegekräfte des Seniorenheims, in dem der Angeklagte lebt, durch Beschluss vom 01.07.2009 (2 Ws 69/09) das Hauptverfahren vor der Kammer. Eine hiergegen vom Angeklagten eingelegte Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1724/09) blieb am 06.10.2009 erfolglos.
193III.
1941.
195Die Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten unter I. beruhen auf seinen verlesenen schriftlichen Erklärungen vom 27.11.2009 und 23.02.2010, die er ausdrücklich als seine eigenen Erklärungen bezeichnete, seinen ergänzenden mündlichen Angaben auf Fragen des Gerichts, wobei er nur an einem Tag Fragen beantwortete und im übrigen schweigend am Prozess teilnahm. Die Feststellungen stützen sich ferner auf die ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls verlesenen Urkunden und in Augenschein genommenen Papiere, insbesondere aus dem Archiv der Gemeindepolizei Maastricht: Archief Gemeentepolitie Maastricht II, dossier 127, Afd. Politike Recherche, dossier Nr. 615, unter anderem den Ermittlungsvermerk des Polizeibeamten Lm. und die protokollierte Aussage des Zeugen Ms.. Diese Urkunden sind auf Antrag der Nebenklage im Wege der Rechtshilfe beigezogen und übersetzt worden.
1962.
197Die ferner unter I. und II. getroffenen Feststellungen beruhen auf den schriftlichen, am 08.12.2009 und 23.02.2010 verlesenen Erklärungen des Angeklagten, der diese wiederum ausdrücklich als seine eigenen bezeichnete, der zur Sache ergänzende Fragen aber nicht beantwortete. Sie beruhen ferner auf den ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls erhobenen Beweisen und verlesenen Urkunden, hier in erster Linie auf den verlesenen Protokollen der Vernehmungen verstorbener Zeugen nebst deren Sterbeurkunden zum Teil in übersetzter Form, der Inaugenscheinnahme der Lichtbilder vom Getöteten Frans Willem Ku. und einer audiovisuellen Vernehmung des in Rotterdam aufhältigen Zeugen B. sowie auf allgemein bekanntem oder in öffentlich zugänglicher Literatur enthaltenem Wissen.
198a.
199Der Angeklagte, der die Taten nie bestritten hat, hat die Umstände seiner Aufnahme beim Kommando Feldmeijer und die drei Taten und deren Begleitumstände so geschildert, wie es unter I. und II. von der Kammer festgestellt worden ist. Auf eine Wiedergabe seiner Einlassung kann daher verzichtet werden.
200Hinsichtlich der Geschehnisse in Helden-Panningen im Mai 1944 hat er ergänzend ausgeführt, dass er sich eigentlich nur daran erinnern könne, dass er mit mehreren Kameraden in einem Dorf nach untergetauchten Personen gesucht habe; er wisse aber nicht mehr, ob das Helden-Panningen gewesen sei.
201Ferner hat er von einem dritten Auftrag berichtet, der in Amsterdam habe ausgeführt werden sollen. Bei der Besprechung hätten B. und er einen Zettel mit zwei Namen von Personen in Amsterdam erhalten. Der erste Mann sei Tierarzt und der zweite Mann sei Arzt gewesen. Beide seien aber nicht angetroffen worden, so dass der Auftrag nicht ausgeführt worden sei.
202Weiter hat sich der Angeklagte wie folgt eingelassen:
203Von Personen, die hätten erschossen werden sollen, habe man ihnen immer wieder gesagt, dass diese eine führende Position in der Widerstandsbewegung eingenommen und Aufträge erteilt hätten, Mitglieder der NSB und der SS zu erschießen. Für ihn seien das damals auf Anschläge der Widerstandsbewegung unmittelbar folgende Vergeltungsmaßnahmen gewesen, mit denen der Widerstand natürlich gerechnet habe. Mitglieder der NSB hätten das bei öffentlichen Veranstaltungen und in Zeitungen des Öfteren angekündigt. Er habe diese Aufträge immer als einen militärischen Befehl angesehen, den es unbedingt zu befolgen gegolten habe. Ihm sei 1944 nie der Gedanke gekommen, dass die Handlungen im Krieg unrechtmäßig sein könnten. Vor jedem Einsatz sei ihnen vom SD oder von ihren militärischen Vorgesetzten mitgeteilt worden, dass es sich bei den Opfern um Personen handele, die für die Attentate verantwortlich seien.
204Die Durchführung sämtlicher Kommandoeinsätze sei vom SD - dem Fahrer und einer weiteren Begleitperson - begleitet und überwacht worden.
205Hätten sie den Auftrag nicht ausgeführt, hätte der SD sofort entsprechende Meldung gemacht. Als einfacher Soldat habe er gelernt, Befehle auszuführen, und gewusst, dass er bei Nichtbefolgen eines Befehls seinen Eid brechen und selbst erschossen werden würde. Er habe damals keine Anhaltspunkte dafür gehabt, dass die Befehle und Aufträge, die ihm erteilt worden seien, nicht rechtens sein würden. Für ihn und seine Kameraden seien das Repressalmaßnahmen gegen die Widerstandskämpfer gewesen, die ihres Erachtens notwendig und rechtens waren. Bei jeder Einweisung und Vorbereitung einer Aktion sei ihnen das von ihren Vorgesetzten mitgeteilt worden. Er habe 1944 zu keinem Zeitpunkt in dem Bewusstsein oder dem Gefühl gehandelt, ein Verbrechen zu begehen.
206Heute, 65 Jahre danach, sehe er das natürlich aus einem anderen Blickwinkel.
207b.
208Die einem Geständnis gleichkommende Einlassung des Angeklagten steht, soweit sie das tatsächliche Geschehen an den beiden Tattagen im Juli und September 1944 und weitere Zusammenhänge und Begleitumstände betrifft, in allen wesentlichen Punkten in Übereinstimmung mit den gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesenen Niederschriften der Aussagen verstorbener Tatzeugen und Mittäter beziehungsweise der Übersetzungen dieser Niederschriften, so dass die Kammer keine Bedenken hat, der Einlassung zum Tatgeschehen zu folgen, wobei ergänzende begleitende Feststellungen den Zeugenangaben entnommen worden sind.
209Die Kammer hat insoweit die im Sitzungsprotokoll konkret aufgeführten Vernehmungsprotokolle und Übersetzungen der Vernehmungsprotokolle durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht. Dabei betrafen die Vernehmungen der Zeugen Ra., Po. alias "Dij.", … O., St., …, Dr. S., … Hr. und Ro. die Tat zum Nachteil des Fritz Hubert Ernst Bi. und deren Begleitumstände. Die Vernehmungen des Kr. betrafen die Tötungen des Teunis de G. und des Frans Willem Ku. und deren Begleitumstände. Der Zeuge S. de G. machte Angaben zum Tode seines Bruders. Die Vernehmungen der Ba. sowie der Zeugen … betrafen die Tat zum Nachteil des Frans Willem Ku..
210Die nach niederländischem Recht beeidete Aussage des einzigen noch lebenden Tatzeugen und Mittäters im Fall Fritz Hubert Ernst Bi., des B., im Rahmen seiner audiovisuellen Vernehmung bestätigte lediglich, dass der Angeklagte im Fall des Apothekers Bi. an der Tötungshandlung teilnahm, indem sich beide, B. und der Angeklagte, in die Apotheke begaben, wo geschossen wurde und der wehrlose Apotheker zu Boden fiel.
211Im Übrigen waren die Angaben des offensichtlich verärgerten Zeugen B., der sich geweigert hatte, nach Deutschland zu einer Zeugenvernehmung vor der Kammer zu kommen und auch nicht dazu gezwungen werden konnte, so sehr von dem offensichtlichen Bestreben geprägt, zu erklären, sich nicht an Motive, Zusammenhänge, Einzelheiten und andere Umstände erinnern zu können und zu wollen, und trotz der Vorhalte aus seinen alten Vernehmungen seinen eigenen Tatbeitrag zu bagatellisieren, dass ihr insgesamt kein weiterer Beweiswert zukommt. Der Wahrheitsfindung waren insoweit Grenzen gesetzt, da die offensichtliche Falschaussage des in den Niederlanden befindlichen Zeugen nicht sanktioniert werden konnte. Sachverhalte, die von den Feststellungen der Kammer abwichen, hat der Zeuge B. nicht bekundet mit Ausnahme des Umstandes, dass er selbst in der Apotheke keine Waffe mitgeführt und auch nicht geschossen habe.
212c.
213Soweit die Kammer zur inneren Tatseite festgestellt hat, dass der Angeklagte vorsätzlich ohne Bedenken und ohne Skrupel vorgegangen ist, beruht das auf den folgenden Überlegungen:
214Der Angeklagte hat weder im Rahmen seiner früheren Vernehmungen noch bei seiner Einlassung vor der Kammer geäußert, zur Tatzeit irgendwelche Bedenken gegen die Ausführung der Aufträge gehabt zu haben. Im Gegenteil will er seinerzeit das Vorgehen für gerechtfertigt gehalten haben. Der Angeklagte war, wie sein freiwilliger, ohne jeglichen Zwang erfolgter Beitritt zu der Waffen-SS, zur NSB und schließlich zum Kommando Feldmeijer zeigt, überzeugt davon, dass nahezu jedes Mittel rechtens war, das der sogenannten "deutschen Sache" als Oberbegriff für die nationalsozialistischen deutschen Interessen, denen sich alles andere unterzuordnen hatte, diente. Dass ein Motiv für den Beitritt zur Waffen-SS war, dass er später die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten würde, schließt nicht aus, sondern unterstreicht eher, dass der Angeklagte als Überzeugungstäter gehandelt hat. Die Teilnahme an den Tötungs-Aktionen in Breda, Voorschoten und Wassenaar sowie Amsterdam und sein Vorgehen in Helden-Panningen belegen insgesamt, dass der Angeklagte keine Hemmungen an den Tag legte, vermeintliche Gegner hinterhältig zu töten, zu verraten und damit schwersten Nachteilen auszusetzen.
215Ein von dem Kommandomitglied Kn. (Übersetzung des polizeilichen Vernehmungsprotokolls vom 16.10.1945) geschilderter Vorfall, an dem der Angeklagte allerdings nicht beteiligt war, belegt darüber hinaus exemplarisch, wie fanatisch den Mitgliedern des Kommandos Feldmeijer daran gelegen war, persönlich den Tötungsbefehlen nachzukommen: Als bei einer geplanten Repressalmaßnahme in den Fahrzeugen des SD nicht genügend Platz für alle vorgesehenen Kommandomitglieder war, nahm keiner die Gelegenheit wahr, der Teilnahme an der Aktion zu entgehen, sondern es wurde durch Ziehen von Stöckchen ermittelt, wer nicht daran teilnehmen durfte, nämlich derjenige, der das kürzeste Stöckchen zog.
216d.
217Die Feststellungen zum Hintergrund des Tatgeschehens (unter anderem unter II. 1. und 2. ausgeführt) beruhen unter anderem auf gerichtsbekanntem allgemeinem Wissen, dem auszugsweise Verlesen öffentlich zugänglicher wissenschaftlicher Literatur ("De SS en Nederland", herausgegeben von N.K.C.A. In 'T Veld, 's-Gravenhage 1976) und den durch Verlesen zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten, aus dem Sitzungsprotokoll ersichtlichen Vernehmungen der Zeugen Hr., Ro. und Hanns Albin Rauter.
218e.
219Dass der Angeklagte an den Aktionen um den Ort Helden-Panningen im Mai 1944 so wie festgestellt teilgenommen hat, ergibt sich aus den verlesenen Übersetzungen der polizeilichen Vernehmungsprotokolle vom "13. November 1946 und den darauffolgenden Tagen" (aus: Directoraat Generaal Voor Bijzondere Rechgtspleging, Politieke Recherche-Afdeling District Heerlen, Nr. 1867/P/46) der verstorbenen Zeugen …, Rs. und Le., die das Geschehen zeitnah, im Wesentlichen miteinander übereinstimmend und detailliert wie festgestellt beschrieben haben. Ihre Angaben stehen auch im Einklang, jedenfalls nicht im Widerspruch zum Vorbringen des Angeklagten.
220IV.
221Nach den unter II. 3. getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte des dreifachen gemeinschaftlichen Mordes gemäß den §§ 211, 25 Abs. 2 und 53 StGB schuldig gemacht.
222In allen drei Fällen hat der Angeklagte, gemeinschaftlich mit seinen Mittätern, sein Opfer heimtückisch umgebracht, indem er die Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer jeweils bewusst ausnutzte.
223So betrat der Angeklagte in Fall 1 zusammen mit dem Zeugen B. den Laden des Apothekers, in dem dieser gerade noch eine Frau bediente, fragte diesen, ob er Bi. sei, was dieser bestätigte, griff unverzüglich nach seiner schussbereiten Pistole und feuerte daraus sofort mit Tötungsvorsatz zwei bis drei Schüsse auf sein Opfer ab, das sich bis zu diesem Zeitpunkt eines Angriffs vom Angeklagten erkannt nicht versah. Die Tat war, wie auch die beiden anderen Taten, darauf ausgerichtet und angelegt, das Überraschungsmoment auszunutzen und dem Opfer eine effektive Abwehr oder Flucht von vorneherein unmöglich zu machen, ohne auch nur selbst das geringste Risiko einzugehen.
224Bei der Tat zum Nachteil des Teunis de G. klingelte der Angeklagte in Begleitung von Kr. an der Tür des Hauses, woraufhin de G. das Fenster der Haustür öffnete. Der Angeklagte fragte diesen, ob er de G. sei, ließ sich noch den Personalausweis zeigen und zog daraufhin unverzüglich seine geladene und entsicherte Pistole und gab in Tötungsabsicht insgesamt drei Schüsse ab. Auch de G. rechnete vom Angeklagten erkannt in seinem Wohnhaus nicht mit einem Angriff auf sein Leben, was der Angeklagte wusste und sich zunutze machte, ohne selbst irgendein Risiko einzugehen.
225Bei der Tat zum Nachteil des Frans Willem Ku. schließlich klingelten der Angeklagte und Kr. an der Wohnung und wurden arglos eingelassen, konnten aber den ihnen erteilten Auftrag, Ku. in seiner Wohnung zu erschießen, in dieser Form nicht ausführen, weil sich dessen Frau immer in seiner Nähe aufhielt. Gleichwohl hatte von diesem Moment an der bis dahin offensichtlich arg- und wehrlose Frans Willem Ku. angesichts der beiden überlegenen Täter keine realistische Chance mehr, dem Mordkomplott zu entkommen. Das wussten der Angeklagte und Kr. und machten es sich bei der Änderung ihres nunmehr zeitlich und räumlich gestreckten, im Übrigen aber gleichgebliebenen Tatplanes und bei der Verwirklichung ihres Tatzieles zunutze, wiederum ohne ein eigenes Risiko einzugehen.
226Dass die Opfer Bi., de G. und Ku. sich bei Beginn der ersten mit Tötungsvorsatz geführten Handlung des Angeklagten keines Angriffs auf ihr Leben versahen, arglos und als Folge ihrer Arglosigkeit auch wehrlos waren, zeigt sich gerade darin, dass sie beim Erscheinen des Angeklagten und seines jeweiligen Mittäters keinerlei Anstalten zur Flucht oder zur Verteidigung trafen oder zu treffen versuchten und sich auch nicht um Unterstützung oder Hilfe durch Dritte bemühten.
227Soweit die Erschießung von Ku. nicht in seinem Hause, sondern außerhalb seiner Wohnung erfolgte, ist dies für die Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als heimtückisch ohne Belang, weil es grundsätzlich auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs ankommt.
228Demgegenüber reicht zum Ausschluss der Arglosigkeit der Opfer ein generelles Misstrauen oder ein genereller Argwohn oder eine latente Angst auf Grund einer allgemein feindseligen Atmosphäre oder allseitiger Unsicherheit etwa in Kriegszeiten nicht aus. Ebenso genügt es nicht zum Ausschluss ihrer Arglosigkeit, wenn die Opfer Bi., de G. und Ku. den Angeklagten und seinen jeweiligen Mittäter, die in Zivilkleidung erschienen waren, für Mitarbeiter der Polizei oder des Sicherheitsdienstes hielten und dies zu einem allgemeinen Misstrauen der Opfer gegenüber dem Angeklagten und seinen Mittätern geführt haben sollte. Vielmehr kommt es darauf an, ob das jeweilige Opfer in der konkreten Tatsituation mit der Möglichkeit eines Angriffs auf sich selbst rechnet. Das war hier nicht der Fall, wie der Angeklagte auch erkannte und geplant zu der für ihn damit gefahrlosen Tatausführung ausnutzte. Dazu passt auch, dass die Opfer jeweils in ihren heimischen Räumen aufgesucht wurden und nicht etwa zu einer Amtsstelle oder einem sonstigen Treffpunkt gelockt wurden, was sie unter Umständen misstrauisch und vorsichtig gemacht hätte.
229Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass der Angeklagte seinen Opfern gegenüber jeweils eine feindselige Haltung einnahm. Dass er auf Veranlassung seiner Vorgesetzten handelte, schließt die eigene feindselige Willensrichtung gegenüber den Opfern nicht aus.
230Sonstige niedrige Beweggründe im Sinne von § 211 StGB vermag die Kammer angesichts einer Gesamtwürdigung der mutmaßlichen Motivlage des Angeklagten vor fast 66 Jahren nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen.
231Der Angeklagte hat als Täter aufgrund eigener Willensbildung, Tatsteuerung und Tatherrschaft gehandelt.
232Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe liegen nicht vor.
233Den von der Kammer getroffenen Feststellungen lässt sich im Kern entnehmen, dass der Angeklagte nach Beginn des Krieges zwischen Deutschland und den Niederlanden der Waffen-SS beigetreten und zu den Tatzeitpunkten Mitglied des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS in den Niederlanden war, dass er jeweils mit einem weiteren Mitglied des Kommandos Feldmeijer den Auftrag erhalten hatte, Fritz Hubert Ernst Bi., Teunis de G. und Frans Willem Ku. zu töten, und dass es sich jedenfalls aus der Sicht des Angeklagten bei der Tötung des Apothekers Bi. um eine Vergeltungsmaßnahme und bei den Personen de G. und Ku. um Personen aus der Widerstandsbewegung handelte, gegen die wegen eines erfolgten Anschlags Gegenmaßnahmen ausgeführt werden sollten. Danach können die vom Angeklagten begangenen Morde weder als rechtmäßige Kriegshandlungen noch als rechtmäßige Kriegsrepressalien angesehen werden.
234Bei den drei Morden handelte es sich um keine rechtmäßigen Kriegshandlungen, weil sie nicht durch die bewaffnete Militärmacht, sondern durch Angehörige des Kommandos Feldmeijer mit Unterstützung des SD vorgenommen wurden und weil die Opfer auch nicht als Widerstandskämpfer beim Kampf betroffen oder auf der Flucht ergriffen wurden oder sich zumindest in Aktionsbereitschaft befanden.
235Die Morde können auch nicht als gerechtfertigte Kriegsrepressalien angesehen werden, da die Voraussetzungen erlaubter Kriegsrepressalien nach dem zur damaligen Zeitpunkt geltenden Völkerrecht nicht festgestellt werden können.
236Zwar muss davon ausgegangen werden, dass zu den Tatzeitpunkten Kriegsrepressalien auch durch Tötung unbeteiligter und unschuldiger Zivilisten eines besetzten Gebietes, als Beugemittel, um illegale Kombattanten zur Aufgabe völkerrechtswidriger Kampfhandlungen zu veranlassen, in bestimmtem Rahmen nach dem damals anerkannten Völkerrecht erlaubt waren. Erlaubte Kriegsrepressalien durften jedoch allenfalls von einem Völkerrechtssubjekt vorgenommen werden, das auch als Urheber bekannt gemacht werden oder zumindest erkennbar sein musste (sog. Notifikationserfordernis), um den Abschreckungszweck zu erreichen. Beide Voraussetzungen liegen nicht vor. Zum einen wurden die Opfer Bi., de G. und Ku. nicht durch Angehörige der Besatzungsmacht, sondern durch Mitglieder des Kommandos Feldmeijer der Germanischen SS in den Niederlanden, wenn auch in Zusammenarbeit mit dem deutschen SD, getötet. Das Kommando Feldmeijer und die übergeordnete Germanische SS in den Niederlanden waren aber nicht Teil oder weisungsgebundene Einheit der deutschen Besatzungsmacht. Zum anderen muss nach den tatsächlichen Feststellungen der Kammer davon ausgegangen werden, dass nach Durchführung der Taten einerseits seitens der deutschen Besatzungsmacht keine konkrete, über allgemeine Mutmaßungen oder Spekulationen hinausgehende Unterrichtung der niederländischen Öffentlichkeit über die Urheber der Morde erfolgte. Andererseits führten der Angeklagte und seine Mittäter, die unter anderem in Zivilkleidung und mit falschen Ausweisen operierten, die Morde entsprechend den ihnen erteilten Anordnungen jeweils so heimlich aus, dass die deutsche Besatzungsmacht als Urheber der drei Morde in der niederländischen Öffentlichkeit nicht erkennbar war und nach den Planungen auch nicht erkannt werden sollte, wie schon aus dem strikten Schweigegebot zu folgern ist. Mithin kann von einer Erfüllung des Notifikationsgebotes nicht ausgegangen werden.
237Der Verurteilung steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte jeweils auf Befehl gehandelt hat.
238Auch wenn man für die Angehörigen des Kommandos Feldmeijer von der Anwendbarkeit des § 47 des Militärstrafgesetzbuches in der zu den Tatzeiten geltenden Fassung ausgeht, sind die Tötungen durch den Angeklagten nicht nach § 47 Abs. 1 S. 2 des Militärstrafgesetzbuches entschuldigt.
239Nach dieser Bestimmung ist der gehorchende Untergebene nur dann zu bestrafen, wenn er den erteilten Befehl in Dienstsachen überschritten hat oder wenn ihm bekannt gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein allgemeines oder militärisches Verbrechen oder Vergehen bezweckte.
240Eine Überschreitung der erteilten Befehle, bei denen es sich um Befehle in Dienstsachen handelte, ohne dass dem Angeklagten die Möglichkeit eigenen Ermessens eingeräumt wurde, durch den Angeklagten liegt nicht vor.
241Es muss aber davon ausgegangen werden, dass dem Angeklagten – insoweit entgegen seiner Einlassung - bei der hinterlistigen, willkürlichen, niederträchtigen und feigen Tötung der Opfer klar war, dass die Erschießung unschuldiger Zivilisten rechtswidrig war, und dass er den verbrecherischen Charakter der Tötungsbefehle erkannt hatte. Da die Erschießungen der drei Zivilisten letztlich durch die deutsche Besatzungsmacht veranlasst wurden, bei Androhung härtester Bestrafung nicht bekannt werden durfte, beziehungsweise sollte, wer die Tötungen beging, und sie deshalb offensichtlich nicht als rechtlich zulässige Kriegsrepressalien angesehen werden konnten und die Opfer auch nicht als Widerstandskämpfer beim Kampf oder auf der Flucht oder zumindest in Aktionsbereitschaft erschossen wurden, hegt die Kammer keine Zweifel daran, dass der Angeklagte den verbrecherischen Zweck der erteilten Anordnungen zur Tötung unschuldiger Zivilisten und die Rechtswidrigkeit der Erschießungen seinerzeit erkannt hat, auch wenn er das heute leugnet oder nicht mehr wahr haben will.
242Die Feststellungen der Kammer haben keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte bei Nichtbefolgung der Erschießungsbefehle wegen Befehlsverweigerung selbst um sein Leben hätte fürchten müssen oder schwerwiegende andere Nachteile hätte in Kauf nehmen müssen und daher die Taten unter den Voraussetzungen eines rechtfertigenden oder entschuldigenden Notstandes begangen hat.
243Soweit der Angeklagte sich darauf berufen hat, im Falle von Ungehorsam mit Tod oder Konzentrationslager bedroht worden zu sein, bezog sich diese Drohung ersichtlich auch nach Darstellung aller verlesenen Zeugenaussagen und wohl auch der Aussage des vernommenen Zeugen B. ausschließlich darauf, dass ein Angehöriger des Kommandos Feldmeijer beziehungsweise Teilnehmer an einer Aktion gegen das strikte Schweigegebot verstieß. Sämtliche in diesem Zusammenhang geschilderten Drohungen Feldmeijers oder anderer Vorgesetzter hatten ausschließlich zum Inhalt, dass über die geplante oder durchgeführte Aktion weder untereinander noch mit Dritten geredet werden durfte, andernfalls derjenige "mit einem Fuß im Konzentrationslager und mit dem anderen im Grab" stünde. Es ist nur ein Fall bekannt, in dem ein Angehöriger des Kommandos Feldmeijer verschwunden sein soll, weil er einem Mädchen etwas erzählt haben soll. Für weitere Sanktionen in diesem Zusammenhang fehlt jeglicher Anhaltspunkt; auch der Angeklagte selbst benennt insoweit keinerlei Einzelheiten. Umgekehrt muss angenommen werden, dass aus Abschreckungsgründen solche Sanktionen, hätten sie stattgefunden, dem hiervon betroffenen Personenkreis bekannt gemacht worden wären. Angesichts des betroffenen höchsten Rechtsgutes, nämlich des Lebens der Opfer, hätte außerdem die Gefahr für einen Befehlsverweigerer, zur Rechenschaft gezogen zu werden, entsprechend hoch gewesen sein müssen. Hierzu geben die Feststellungen ebenfalls nichts her.
244Selbst wenn aber im Fall einer Weigerung, an einer Tötungsaktion teilzunehmen, schwerwiegende Nachteile gedroht haben sollten, könnte sich der Angeklagte hierauf nicht berufen. Aus seinen eigenen Ausführungen ergibt sich, dass er aus seiner damaligen Grundhaltung heraus, der sogenannten "deutschen Sache" zu dienen und Befehle des Kommandos Feldmeijer bedenken- und bedingungslos Folge zu leisten, damals zu keinem Zeitpunkt daran gedacht hat, sich nicht an einer solchen Aktion zu beteiligen. Irgendein Bemühen, nicht an den Tötungshandlungen teilnehmen zu müssen oder sie nicht durchzuführen, oder auch nur ein Widerstreben oder eine Widerwilligkeit ist nicht einmal im Ansatz vorgetragen worden oder erkennbar. Eine solche Grundhaltung schließt aber die Berufung auf einen Befehlsnotstand aus.
245Auch ein Irrtum über einen Entschuldigungsgrund (Putativnotstand), der ohnehin vermeidbar gewesen wäre, kann damit nicht angenommen werden.
246Die Kammer ist nach alledem dem Beweisantrag der Verteidigung vom 02.03.2010, zum Beweis der Tatsache, dass der Angeklagte als Mitglied des Kommandos Feldmeijer im Falle einer Befehlsverweigerung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit rechnen musste und sich somit zum Zeitpunkt der Ausführung der angeklagten Taten in einem Befehlsnotstand befunden hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen, wegen eigener Sachkunde nicht nachgegangen.
247V.
248Eine Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses, und zwar des Verbotes einer Doppelverfolgung im Hinblick auf das Urteil des Bijzonder Gerechtshof te Amsterdam vom 18.10.1949, gemäß § 260 Abs. 3 StPO kommt nach Ansicht der Kammer nicht in Betracht.
249Die Gewährleistungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) sind zwar seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009 (das war am sechsten Verhandlungstag) verbindliches Recht. Folglich ist Art. 50 GRCh, der das Verbot der Doppelbestrafung grenzüberschreitend erweitert, zu beachten. Danach darf niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden.
250Für die Mitgliedsstaaten des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) gilt bereits seit längerem durch dessen Art. 54 ein transnationales Doppelbestrafungsverbot. Der Unterschied zwischen Art. 50 GRCh und Art. 54 SDÜ liegt nun offensichtlich darin, dass Art. 54 SDÜ einer nochmaligen Verfolgung und doppelten Bestrafung nicht entgegensteht, wenn die Strafe aus dem Ersturteil noch vollstreckt werden kann, während Art. 50 GRCh eine solche Vollstreckungsklausel nach dem eindeutigen Wortlaut nicht enthält.
251Der eindeutige Wortlaut von Art. 50 GRCh verbietet nach Auffassung der Kammer eine an Art. 54 SDÜ angelehnte, teleologische, also am Zweck orientierte Auslegung oder gar Analogie.
252Weder der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, noch dem Vertrag von Lissabon, noch anderen Normen oder Verträgen oder deren Entstehungsgeschichte ist jedoch zu entnehmen, dass der den Normgebern bekannte Art. 54 SDÜ durch Art. 50 GRCh verdrängt oder modifiziert werden sollte, so dass Art. 54 SDÜ nach wie vor Gültigkeit besitzt und als zulässige Einschränkung von Art. 50 GRCh zu werten ist. Insoweit sieht Art. 52 Abs. 1 GRCh ausdrücklich vor, dass eine zulässige Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein muss, dass der Wesensgehalt der Rechte zu achten und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Ferner muss die Eingrenzung notwendig sein und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Mithin können Mitgliedsstaaten unter den Voraussetzungen des Art. 52 GRCh in Ausnahmefällen Einschränkungen vornehmen, wobei dies, da in dem Gesetz die betroffene Gewährleistung nicht zitiert werden muss, auch durch die Fortgeltung bereits vor Inkrafttreten der Charta existierender Gesetze geschehen kann.
253Die Voraussetzungen der Einschränkungsmöglichkeit nach Art. 52 GRCh liegen aber erkennbar vor. Das SDÜ stellt ein formelles Gesetz dar. Der Wesensgehalt des Art. 50 GRCh wird nicht angetastet, da der grundsätzliche Schutz vor doppelter Verfolgung und Bestrafung bestehen bleibt und nur eine sachlich gerechtfertigte Eingrenzung durch das Kriterium der Vollstreckung oder Vollstreckbarkeit erfolgt. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtend verfolgt Art. 54 SDÜ auch ein dem Art. 52 GRCh entsprechendes legitimes Ziel, nämlich die Effektivität der Rechtspflege sowie das Interesse der Allgemeinheit und der Opfer an einer Strafverfolgung. Diese Wertung erscheint als zwingend, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um eine rechtskräftige Erstverurteilung handelt, die in der Bundesrepublik Deutschland nicht vollstreckbar ist, wegen der eine Auslieferung abgelehnt wurde, bislang keine Vollstreckung oder Teilvollstreckung erfolgte, aber im Staat, in dem die Erstverurteilung erfolgte, eine Vollstreckung durchaus möglich und zulässig ist, mit anderen Worten, wenn eine Vollstreckung des Ersturteils rechtlich und praktisch nicht zu befürchten ist.
254Das Urteil des Sondergerichtshofs Amsterdam vom 18.10.1949 ist für den Angeklagten nicht mehr anfechtbar und damit rechtskräftig. Zwar liegen die Voraussetzungen des Art. 399 Abs. 1 der niederländischen Strafprozessordnung nicht vor, da der Angeklagte sich seit seiner Flucht aus der Gefangenschaft im Juni 1947 verborgen hielt und nicht angenommen werden kann, dass er von dem Gerichtstermin vom 18.10.1949 zuvor Kenntnis erlangt hatte. Auch scheidet eine Anfechtbarkeit nach Art. 399 Abs. 2 der niederländischen Strafprozessordnung aus, da er spätestens am 28.02.1983 anlässlich seiner Vorführung beim Amtsgericht E. Kenntnis von dem gegen ihn ergangenen Urteil erlangte und die Frist zur Einlegung eines Einspruchs von vierzehn Tagen nicht eingehalten wurde. Eine Verfolgungsverjährung ist weder nach deutschem noch nach niederländischem Recht eingetreten.
255Das rechtskräftige Urteil vom 18.10.1949 ist weder bereits vollständig vollstreckt, noch wird es zur Zeit vollstreckt, denn der Angeklagte war seither in den Niederlanden nicht inhaftiert und eine Vollstreckung des niederländischen Erkenntnisses in Deutschland hat nicht stattgefunden. Er befand sich lediglich in der Zeit vom 28.02.1983 bis 05.05.1983, mithin nur etwas mehr als zwei Monate, in Auslieferungshaft. In den Niederlanden ist das Urteil, darauf deuten das Auslieferungsersuchen sowie der Antrag auf Vollstreckungsübernahme hin, noch vollstreckbar.
256Der Einholung eines Rechtsgutachtens oder einer möglichen Vorlage der Sache durch die Kammer zum Europäischen Gerichtshof zu einer Vorabentscheidung, bedurfte es angesichts der dargelegten Rechtsauffassung nicht, zumal beides zu einer weiteren, nicht zu vertretenden Verzögerung geführt hätte. Die Kammer hat insoweit ihr Ermessen, das nicht auf Null reduziert war, ausgeübt.
257VI.
258Für jeden der drei Morde ist der Angeklagte nach § 211 StGB zu
259lebenslanger Freiheitsstrafe
260zu verurteilen. Da die drei Taten zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit stehen, hat die Kammer gemäß § 54 Abs.1 S.1 StGB auf
261lebenslange Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe
262erkannt.
263Eine Herabsetzung dieser Strafe aufgrund einer entsprechenden Anwendung von § 49 StGB schied erkennbar aus. Außergewöhnlich mildernde Umstände, die dies ausnahmsweise rechtfertigen oder nahe legen könnten, sind nicht erkennbar.
264Zwar ist der Angeklagte 88 Jahre alt. Er leidet an zum Teil schweren Erkrankungen. Die Taten, die in einer Zeit des Vorherrschens völlig anderer moralischer, rechtlicher und sozialer Wertevorstellungen begangen wurden, liegen fast 66 Jahre zurück, wobei der Zeitablauf zunächst durch die Flucht des Angeklagten und durch historische Abläufe, nicht aber durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bedingt war. Der Angeklagte war zur Zeit der Taten mit 22 Jahren noch recht jung. Er ist geständig und nach den Morden in strafrechtlicher Hinsicht nicht mehr in Erscheinung getreten. Andererseits ist zu beachten, dass er jahrzehntelang unbehelligt in Freiheit lebte, ohne eine wirklich nennenswerte Sanktion für die von ihm verübten Verbrechen zu erfahren. Er hat gleich drei hinterlistige, menschenverachtende und niederträchtige Morde begangen. Er hat unsägliches, zum Teil bis heute andauerndes Leid über die Familien der Opfer gebracht. Auch nur die geringsten Anzeichen von Reue oder Bedauern oder Mitgefühl oder Verantwortungsübernahme wurden vergeblich erhofft. Angesichts dieser Umstände verbietet sich aber ein Abrücken von der absoluten Strafandrohung des § 211 StGB.
265Von einer Feststellung der besonderen Schuldschwere gemäß § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB hat die Kammer angesichts der strafmildernden Gesichtspunkte, vornehmlich wegen des hohen Alters des Angeklagten, abgesehen.
266Zu seinen Gunsten wurden die Zeiten seiner Gefangenschaft in den Niederlanden und der Auslieferungshaft in Deutschland auf die Strafe angerechnet.
267VII.
268Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs.1, 472 Abs.1 StPO.
269
Dr. N. | T. | F. |
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