Urteil vom Landgericht Braunschweig (1. Kammer für Handelssachen) - 21 O 1578/16

Tenor

1. Die Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, an die Verfügungsklägerin zu 1. im Zeitraum vom 05.08.2016 bis zum 05.05.2017 die im beigefügten  Annex 1 genannten Teile, soweit sie dort unter dem Oberbegriff "Verantwortung" der …-PKW oder der NW-… Nutzfahrzeuge zugeordnet sind, mit den dort genannten Teilenummern zu den dort genannten Preisen auf Abruf der Verfügungsklägerin zu 1. in den im jeweiligen Abruf genannten Mengen, an die dort genannten Orte und zu den dort genannten Zeiten zu liefern.

2. Die Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, an die Verfügungsklägerin zu 2. im Zeitraum vom 05.08.2016 bis zum 05.05.2017 die in dem beigefügten Annex 1 genannten Teile, soweit sie dort unter dem Oberbegriff "Verantwortung" der … GmbH zugeordnet sind, mit den dort genannten Teilenummern zu den dort genannten Preisen auf Abruf der Verfügungsklägerin zu 1. in den im jeweiligen Abruf genannten Mengen, an die dort genannten Orte und zu den dort genannten Zeiten zu liefern.

3. Annex 1 lautet wie folgt:

4.

Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

5.

Der Streitwert wird auf 30.000.000,00 €  festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Verfügungsklägerinnen machen gegen die Verfügungsbeklagte im Wege vorläufigen Rechtschutzes Ansprüche auf Lieferung von Sitzbezügen für Fahrzeuge nach Liefereinstellung geltend.

2

Die Verfügungsklägerin zu 1. mit Sitz in … ist ein weltweit tätiger Automobilhersteller, der unter der Marke "…" u.a. die Modelle "…", "…" und "…" produziert. Die Verfügungsklägerin zu 2. ist ein Tochterunternehmen der Verfügungsklägerin zu 1., das die … Modelle herstellen und vermarkten lässt.

3

Die Verfügungsbeklagte mit Sitz in … stellt Innenausstattungen für PKW her. Seit Ende April 2016 ist der Mehrheitsgesellschafter der Verfügungsbeklagten eine Beteiligungsgesellschaft der  sog. …-Gruppe, die ein international tätiger Automobilzulieferer ist.

4

Die Verfügungsbeklagte beliefert die Verfügungsklägerinnen seit mehreren Jahren mit Sitzkomponenten (Sitzbezüge, Sitzschäume, Sitzstrukturenne). Den Lieferungen liegen jeweils Abrufe zugrunde, in denen der Verfügungsbeklagten Menge, Ort und Lieferzeitpunkt der Sitzkomponenten  mitgeteilt werden. Für die streitgegenständlichen Sitzkomponenten ist die Verfügungsbeklagte die einzige Bezugsquelle und Lieferantin der Verfügungsklägerinnen (sog. "single-sourcing").

5

Im Allgemeinen erfolgen die Lieferungen von Zubehörteilen an die Verfügungsklägerinnen nach folgendem Muster:

6

Die Verfügungsklägerinnen vergeben Lieferantenaufträge generell nach dem in der Automobilindustrie bekannten Zulieferervertragsmodell, das den logistischen Besonderheiten der Automobilbranche, insbesondere dem Umstand geschuldet ist, dass Lieferabrufe teilweise erst wenige Stunden vor dem unmittelbaren Einsatz und der Verarbeitung der abgerufenen Zubehörteile erfolgen können.

7

Zunächst findet eine Ausschreibung für die Entwicklung und mögliche Belieferung von bestimmten Teilen statt. Findet das Angebot eines Zulieferers die Zustimmung der Verfügungsklägerinnen, wird dem jeweiligen Zulieferer in einem "Nomination-Letter" oder - wie vorliegend - einem "Nomination-Agreement" mitgeteilt, dass er als Entwicklungs- und Serienlieferant nominiert ist, wobei der Nomination-Letter bereits bestimmte Qualitätsanforderungen und Termine für Entwicklungsschritte festlegt. Der Lieferant beginnt sodann mit der Entwicklung des jeweiligen Produktes, wobei von ihm die im Nomination-Letter vereinbarten Pflichten und Qualitätssicherungsmaßnahmen zu beachten sind. Sind diese Entwicklungsarbeiten abgeschlossen und die Qualitätsanforderungen aus dem Nomination-Letter erfüllt, wird der Lieferant mit der Serienfertigung und Serienbelieferung beauftragt.

8

Die einzelnen Lieferverträge kommen wie folgt zustande:

9

Zunächst wird im Rahmen einer Serienbestellung, meistens für ein Jahr, ein konkreter Maximalbedarf der Verfügungsklägerinnen mitgeteilt. Zum Teil erfolgen im Wege einer Bedarfsvorschau Konkretisierungen, die für einen bestimmten Zeitraum einen konkreteren Stückzahlenkorridor festlegen. Abschließend erfolgt zunächst ein etwa  wöchentlicher Lieferabruf der Teile (sog. "Sonata" = Soll in 8 Tagen) und danach der JIT Abruf ("just-in-time"= konkrete Bestellungen etwa 90 Minuten vor Versand), die der  Lieferung zu Grunde liegen.

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Dem vorliegenden Begehren der Verfügungsklägerin zu 1. mit Sitzbezügen für die Modelle "…" und "…" beliefert zu werden, liegen Nomination-Agreements vom 05.04.2013 und 13.11.2015 (…) und 26.06.2013 (…) zugrunde. Wegen der  Einzelheiten der Agreements wird Bezug genommen auf die Anlagen AST 6, AST 7 und AST 9.

11

Der Lieferung von Sitzbänken  für das Modell "…" liegen ein Angebot der Verfügungsbeklagten vom 22.07.2003 (AST 10) und eine Auftragsbestätigung der Verfügungsklägerin zu 1. vom 22.07.2003 (AST 11) und ergänzende Angebote und Annahmen vom 27.08.2004 und 30.08.2004 (AST 12 und AST 13) zugrunde.

12

Die Verfügungsklägerin zu 2. steht u.a. auf der Grundlage von Nomination-Agreements vom 16.08.2013 und 18.03.2014 (AST 15 und AST 16) in Beziehungen zur Verfügungsbeklagten. Diese bilden die Grundlage für die Lieferung von Sitzbezügen für die Modelle "…" und "…". Für das Modell "…" liegt ein Nomination-Agreement vom 08.05.2015 (AST 17) vor, für das Modell "…" zwei Nomination-Letter vom 30.08.2013 (AST 18 und AST 19).

13

Sämtliche Nomination-Agreements verweisen auf die Geltung der  "Einkaufsbedingungen für Produktionsmaterial der …" (AST 5).

14

In der langjährigen Geschäftsbeziehung zwischen den Parteien hat die  Verfügungsbeklagte unter Bezugnahme auf die Nomination-Agreements bzw. den Liefervertrag vom 22.07.2003 (Modell "…") Bestellungen und Abrufe erhalten und Lieferungen vorgenommen, wobei die Verfügungsbeklagte bestreitet, dass Bestellungen und Abrufe durch die Verfügungsklägerin zu 1. erfolgt und Lieferungen an diese vorgenommen worden seien.

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Seit dem 01.08.2016 beliefert die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerinnen nicht mehr.

16

Hintergrund ist eine Auseinandersetzung der Verfügungsklägerin zu 1. und der Verfügungsbeklagten im Zusammenhang mit einer am 28.06.2016 erklärten Kündigung der Verfügungsklägerin zu 1. bezogen auf ein weiteres  Nomination-Agreement vom 31.08.2015 (AST 20) für das Projekt "…". Hierin hatten die Parteien vereinbart, dass die Verfügungsbeklagte eine Reihe verschiedener Sitzbezüge für das Modell "…" der Verfügungsklägerin zu 1. bis zur Serienreife entwickeln sollte. Die Verfügungsbeklagte sollte die Möglichkeit zum Serieneinsatz, zur Serienfertigung und zur Serienlieferung erhalten.

17

Mit Schreiben vom 28.06.2016 (AST 21) kündigte die Verfügungsklägerin zu 1. den Vertrag und forderte die Verfügungsbeklagte auf, ihre bis zum Tag der Kündigung angefallenen projektspezifischen Entwicklungskosten nachzuweisen, um diese begleichen zu können.

18

Mit Schreiben vom 01.07.2016 (AST 22) machte die Verfügungsbeklagte ohne nähere Aufschlüsselung einen Betrag von 30.000.000 € geltend und forderte zugleich einen Betrag von 25.000.000 € bezogen auf ein mit der … AG gescheitertes Entwicklungsprojekt für das Modell " …".

19

Wörtlich heißt es in diesem Schreiben:

20

"Um unsere Interessen zu schützen, werden wir Ihnen unsere Kosten in Rechnung stellen. Wir gehen dabei von wirtschaftlichen Schäden für beide Programme in Höhe von insgesamt € 55.000.000 aus (… 30.000.000 €..., … 25.000.000 €...). Diese Summe beruht auf unterschiedlichen Punkten, u.a. im Vertrauen auf die Nominierungen bereits getätigten Investitionen, (internen und externen Entwicklungs- und Projektkosten, bezahlten "Quick Savings Finanz Option", noch zu zahlende Abfindungen, Restruktuierungskosten, fehlende Amotisation, entgangenem Gewinn."

21

Die Verfügungsbeklagte stellte der Verfügungsklägerin und der … AG am 01.07.2016 mit einem Zahlungsziel bis zum 31.07.2016 entsprechende Rechnungen.

22

In anschließenden Verhandlungen der Parteien, die zwischen dem 05.07.2016 und dem 29.07.2016 stattgefunden haben, bat die Verfügungsklägerin zu 1. um weitere Substantiierung des Anspruchs und kündigte an, berechtigte Ansprüche begleichen zu wollen. Eine weitergehende Substantiierung des Anspruchs durch die Verfügungsbeklagte erfolgte nicht. Mit Schreiben vom 29.07.2016 (AST 32) erkannte die Verfügungsklägerin zu 1.  eine Ersatzpflicht für projektspezifische Entwicklungskosten dem Grunde nach an, nahm eine Einmalzahlung von 750.000 € vor und forderte die Verfügungsbeklagte wiederum zur weiteren Präzisierung ihres Anspruchs auf.

23

Mit Schreiben vom 01.08.2016 verweigerte die Verfügungsbeklagte der Verfügungsklägerin zu 1. und ihrem gesamten Konzern weltweit jede weitere Belieferung und verwies zur Begründung auf die ausgebliebene Begleichung der beiden Rechnungen vom 01.07.2016. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf Anlage AST 34 Bezug genommen.

24

Entsprechende Erklärungen weiterer Unternehmen der …-Gruppe folgten. So erklärte die … GmbH, mit Schreiben vom 01.08.2016 einen sofortigen Lieferstopp. Mit E-Mail vom 04.08.2016 teilte die … GmbH, die ebenfalls zur selben Unternehmensgruppe wie die Verfügungsbeklagte gehört und Getriebeteile erstellt, dass sie Mitglieder der Konzerngruppe der Verfügungsklägerin zu 1. ebenfalls nicht mehr beliefern werde (AST 41)

25

In Folge des Lieferstopps der Verfügungsbeklagten musste die Verfügungsklägerin zu 1. bereits am 08. und 09.08.2016 aus Teilemangel Schließtage im Werk Emden ansetzen (AST 37).

26

Die Verfügungsklägerinnen sind der Auffassung, dass auf der Grundlage der Nomination-Agreements, die auch in der Vergangenheit Geschäftsgrundlage der langjährigen Belieferung durch die Verfügungsbeklagte gewesen seien, ein Anspruch auf Weiterbelieferung mit den dort bezeichneten Sitzkomponenten nach Maßgabe des jeweiligen Abrufs bestehe.

27

Sie tragen vor, dass die Liefereinstellung der Verfügungsbeklagten die just-in-time Produktion für die vorgenannten Fahrzeugmodelle ab dem 08.08.2016 zum Erliegen bringen werden. Aus der branchenüblichen Kombination des "single-sourcing" mit dem Abruf "just-in-time" folge, dass die Verfügungsklägerinnen in besonderem Maße auf die Vertragserfüllung durch die Verfügungsbeklagte angewiesen seien. Bereits nach wenigen Tagen der Nichtbelieferung komme es je nach Baureihe in der Produktion der Verfügungsklägerin zu Fehlteilen, die einen ganzen oder teilweisen Produktionsstillstand zur Folge haben können. Die Verfügungsklägerinnen könnten nur eine sehr begrenzte Anzahl von Fahrzeugen der jeweiligen Baureihen ohne die Produkte der Verfügungsbeklagten herstellen. Eine Möglichkeit, kurzfristig auf andere Anbieter auszuweichen, bestehe für die Verfügungsklägerinnen im Rahmen ihrer kundenspezifischen Fertigungsprozesse nicht. Eine Umstellung auf einen anderen Zulieferer, der die gleichen Produkte liefere, werde - selbst unter Berücksichtigung bereits betroffener Vorkehrungen - einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten in Anspruch nehmen.

28

Aus dem Lieferstopp werde bei den Verfügungsklägerinnen schon bis zum Ende des Jahres ein Ausfallschaden in Höhe von ca. 22.000.000 € eintreten. Weitere Schäden aus Personal- und sonstigen Fixkosten, Lieferverzug, Lieferausfall, Nichtabnahme und Imagebeeinträchtigungen seien zu erwarten. Wegen der weiteren Darstellung der wirtschaftlichen Bedeutung des Produktionsausfalls für die Verfügungsklägerinnen wird auf die Anlage AST 46 (Kostenübersicht … vom 04.08.2016) und  Anlage AST 45 (eidesstattliche Versicherung von … zur beispielhaften Darstellung der Auswirkungen des Lieferstopp auf die Produktion für den … in …) verwiesen.

29

Die Verfügungsklägerinnen beantragen:

30

1. Die Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, an die Verfügungsklägerin zu 1.im Zeitraum vom 05.08.2016 bis zum 05.05.2017 die in Annex 1 genannten Teile, soweit sie dort unter dem Oberbegriff "Verantwortung" der …-PKW oder der NW-… Nutzfahrzeuge zugeordnet sind, mit den dort genannten Teilenummern zu den dort genannten Preisen auf Abruf der Verfügungsklägerin zu 1. in den im jeweiligen Abruf genannten Mengen, an die dort genannten Orte und zu den dort genannten Zeiten zu liefern.

31

2. Die Verfügungsbeklagte wird verpflichtet, an die Verfügungsklägerin zu 2. im Zeitraum vom 05.08.2016 bis zum 05.05.2017 die in Annex 1 genannten Teile, soweit sie dort unter dem Oberbegriff "Verantwortung" der …GmbH zugeordnet sind, mit den dort genannten Teilenummern zu den dort genannten Preisen auf Abruf der Verfügungsklägerin zu 1. in den im jeweiligen Abruf genannten Mengen, an die dort genannten Orte und zu den dort genannten Zeiten zu liefern.

32

Die Verfügungsbeklagte beantragt:

33

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

34

Sie rügt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Braunschweig, die von den Verfügungsklägerinnen mit der in XV 6. der "Einkaufsbedingungen Produktionsmaterial"  enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung (Gerichtsstand ist der Sitz des Klägers oder ein anderes zuständiges Gericht) begründet wird. Weil die Parteien in ihrer Geschäftsbeziehung  entgegen Ziffer I. der Einkaufsbedingungen Lieferverträge und Lieferabrufe nicht in Schriftform gestaltet hätten, seien die Einkaufsbedingungen offensichtlich nicht praktiziert worden. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung liege damit nicht vor.

35

Hilfsweise führt die Verfügungsbeklagte aus, dass der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung unzulässig, weil nicht hinreichend bestimmt sei. Er verpflichte die Verfügungsbeklagte zu künftigen Leistungen, für die die Verfügungsklägerinnen nach Maßgabe des jeweiligen Abrufs ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne von § 315 BGB beanspruchten. Ein vereinbartes Leistungsbestimmungsrecht schließe aber die Verurteilung zu einer künftigen Leistung aus, bei dem im Tenor eines entsprechenden Urteils ein vollstreckungsfähiger Inhalt fehle.

36

Der Antrag sei auch unbegründet, weil es an einem Verfügungsanspruch mangele.

37

Eine Lieferbeziehung zwischen den Verfügungsklägerinnen und der Verfügungsbeklagten existiere nicht, weil die Verfügungsbeklagte nicht an die Verfügungsklägerinnen, sondern an deren Subunternehmer (als sog. 1st-Tier Lieferant) liefere, die die gelieferten Komponenten mit Komponenten anderer Lieferanten verarbeiteten und erst dann das fertige Produkt an die Verfügungsklägerin lieferten. Sowohl die …GmbH oder … würden als 1st-Tier Lieferanten und Subunternehmer der Verfügungsklägerin zu 1. direkt bei der Verfügungsbeklagten bestellen.

38

Die Verfügungsbeklagte bestreitet, dass die Verfügungsklägerinnen bei der Verfügungsbeklagten überhaupt Bestellungen aufgegeben haben. Bestellungen seien -wie geschildert - immer nur direkt von dem jeweiligen Subunternehmer der Verfügungsklägerin erfolgt, an den die Verfügungsbeklagte dann auch geliefert habe. Schriftliche Lieferverträge zwischen den Parteien und schriftliche Bestellungen der Verfügungsklägerinnen gebe es nicht.

39

Aus den Nomination-Agreements selbst ergebe sich keine Lieferverpflichtung der Verfügungsbeklagten. In diesen gebe es weder verbindliche Regelungen zur  Abnahme- und Belieferungspflicht noch zu den konkreten Liefermengen. Weil die Nomination-Agreements rechtlich als allgemeine Geschäftsbedingungen einzuordnen seien, gingen etwaige Zweifel bei der Auslegung nach § 305 c Abs. 2 BGB zulasten der Verfügungsklägerinnen als Verwenderinnen. Unabhängig davon sei das in den Einkaufsbedingungen der Verfügungsklägerin zu 1. vorgesehene Schriftformerfordernis nicht gewahrt, weil eine eigenhändige Namensunterschrift auf den jeweiligen Urkunden nicht vorliege.

40

Für den Fall, dass ein Verfügungsanspruch bestehe, könne dieser nicht durchgesetzt werden, weil der Verfügungsbeklagten wegen der grund- und fristlosen Beendigung des Nomination-Agreements vom 31.08. 2015  (Projekt …) gemäß § 649 Satz 2 BGB ein Schadensersatzanspruch zustehe, der den bislang geltend gemachten Anspruch in Höhe von 30.000.000 € weit übersteige. Dieser Anspruch führe zu einem Zurückbehaltungsrecht der Verfügungsbeklagten gemäß § 273 BGB. Wegen der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse sei auch die für die Anwendung von § 273 BGB erforderliche Konnextität gegeben. Der Anspruch der Verfügungsklägerin zu 1. und der Gegenanspruch der Verfügungsbeklagten beruhten auf demselben rechtlichen Verhältnis und einer ständigen Geschäftsbeziehung. Das Zurückbehaltungsrecht sei auch nicht nach Treu und Glauben ausgeschlossen, weil es der Verfügungsbeklagten noch nicht möglich sei, ihren Anspruch endgültig zu beziffern. Die konkrete Höhe des Anspruchs, auf den ein Zurückbehaltungsrecht gestützt werde, müsse nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht genau feststehen. Im Übrigen sei eine Teilbezifferung mit der Nennung des Betrages von 30.000.000 € bereits erfolgt.

41

Die Verfügungsklägerin zu 1. gebe den Inhalt der entsprechenden Vergleichsverhandlungen im Übrigen nur unvollständig wieder. Ihr sei bekannt, dass ein anderes Unternehmen der …-Gruppe in einer ähnlich gelagerten Auseinandersetzung mit der …AG die Erfahrung gemacht habe, dass die … AG nicht bereit gewesen sei, zunächst gegebene Zusagen einzuhalten. Vor diesem Hintergrund könne die Verfügungsbeklagte nicht darauf vertrauen, dass die Verfügungsklägerin ihre Zusagen zur Schadensregulierung einhalten werde und habe deshalb eine Fortsetzung der Vergleichsverhandlungen abgelehnt, zumal weder die Verfügungsklägerin zu 1. noch die … AG bereit gewesen seien, die die am 01.07.2016  berechneten Forderungen in Höhe von insgesamt 55.000.000 € zu begleichen.

42

Schließlich wendet sich die Verfügungsbeklagte auch gegen das Vorliegen eines Verfügungsgrundes.

43

Unter Bezugnahme auf die auf Seite 22 der Antragserwiderung wiedergegebene Kommentarstelle (Blatt 127/128 d.A.) verweist die Verfügungsbeklagte darauf, dass die Verfügungsklägerinnen nicht dargelegt hätten, dass eine Fortsetzung des Lieferstopps zu einer irreparablen Schädigung führen werde. Insbesondere spreche eine Interessenabwägung gegen das Vorliegen eines Verfügungsgrundes, weil den Verfügungsklägerinnen kein Lieferanspruch zustehe. Ziel der Verfügungsklägerin sei lediglich der Schutz vor einer Versorgungslücke, die sie selbst durch ihre Vertragsgestaltung geschaffen habe.

44

Die Kammer hat im erklärten Einvernehmen der Parteien gemäß § 349 III ZPO durch die Vorsitzende allein entschieden.

45

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 12.08.2016 wurden die klägerseits sistierten Zeugen Frau … und Herr … vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2016 Bezug genommen. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst vorgelegter Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

46

Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist nach §§ 925, 940, 936 ZPO zulässig. Das Landgericht Braunschweig ist für die Entscheidung  nach XV. Ziffer 6 der in den allgemeinen Einkaufsbedingungen der Verfügungsklägerin zu 1. enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung örtlich zuständig. Die Anträge sind auch im Übrigen zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt.

47

Die Anträge sind begründet, weil die Verfügungsklägerinnen einen Verfügungsanspruch auf der Grundlage der streitgegenständlichen Nomination-Agreements glaubhaft gemacht haben. Die Verfügungsbeklagte hat hiergegen  kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB nachweisen können. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderliche Verfügungsgrund liegt ebenfalls vor.

48

I. Zuständigkeit des Landgerichts Braunschweig

49

Das Landgericht Braunschweig ist für die Entscheidung nach XV. Ziffer 6 der allgemeinen Einkaufsbedingungen der  Verfügungsklägerin zu 1. örtlich zuständig. Dass die Einkaufsbedingungen, die allgemeine Geschäftsbedingungen sind,  aus Sicht der Verfügungsbeklagten zwischen den Parteien nicht wirksam vereinbart bzw. gelebt worden sind, steht dem nicht entgegen. Bei dieser Frage handelt es sich um eine sogenannte doppelrelevante Tatsache, bei der zuständigkeits- und anspruchsbegründende Tatsachen zusammenfallen, so dass der entsprechende schlüssige Vortrag der Verfügungsklägerinnen zur Bejahung des besonderen Gerichtsstandes in Braunschweig genügt (BGHZ 124, 237; 133, 240).

50

II. Zulässigkeit der Anträge

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Die Anträge der Verfügungsklägerinnen erfüllen die Bestimmtheitsanforderungen gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

52

Der Umfang der Belieferungspflicht ergibt sich aus den in Annex 1 aufgeführten konkreten Teilebezeichnungen, die die Liefergegenstände genau bestimmen. Ebenso konkret bestimmt ist die Vergütung, die die Verfügungsbeklagte bei Lieferung erhält. Aus dem Antrag ergibt sich damit in Verbindung mit Annex 1 genau, welche Leistungen die Verfügungsbeklagte an die Verfügungsklägerinnen erbringen soll und welche Vergütung sie erhält. Denn nach Maßgabe des jeweiligen Abrufs ist die Leistung konkret bestimmter Artikel in konkret bestimmten Mengen zu bestimmten Zeiten an die benannten Orte zur fixierten Preisen geboten. Mithin ist das mit dem einstweiligen Verfügungsverfahren verfolgte Ziel der Verfügungsklägerinnen, die grundsätzliche Belieferungspflicht der Verfügungsbeklagten titulieren zu lassen, im Sinne einer Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO zulässig und hinreichend konkret bestimmt. Dies gilt auch, wenn man Begehren der Verfügungsklägerinnen als Leistungsverfügung versteht.

53

III. Begründetheit der Anträge

54

Die Verfügungsanträge sind begründet.

55

Die Verfügungsklägerinnen haben einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht haben.

56

1. Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerinnen zu 1. und 2.

57

Der Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerinnen auf Belieferung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang besteht. Die Verfügungsbeklagte ist aufgrund der von den Verfügungsklägerinnen in Bezug genommenen Nomination-Agreements, die zwischen den Parteien ein Dauerschuldverhältnis begründet haben, zur Lieferung verpflichtet.

58

a) Der Begriff Nomination-Letter ist kein Rechtsbegriff. Ein "Nomination-Letter" kann eine unverbindliche Absichtserklärung des Herstellers an seinen Zulieferer sein,  vorvertragliche Regeln treffen oder  bereits Rahmenvertrag sein (vgl. Spehl/Schilling, BB 2013, 202 ff).

59

Ob ein Nomination-Letter eine vertragliche Vereinbarung begründet und welcher Art diese ist,  ist nach den  Umständen des Einzelfalles zu bestimmen.

60

Die insoweit vorzunehmende Auslegung ergibt aus Sicht der Kammer, dass die streitgegenständlichen Nomination-Agreements einen Rahmenvertrag darstellen, der zwischen den Parteien ein Dauerschuldverhältnis begründet, dass zu einer Lieferpflicht der Verfügungsbeklagten auf Bestellung und Abruf führt.

61

Im Einzelnen:

62

Für den hierzu erforderlichen Rechtsbindungswillen beider Parteien spricht, dass die überwiegende Anzahl der Nomination-Agreements als Vereinbarung und nicht als einseitige Erklärung der Verfügungsklägerinnen ausgestaltet sind.

63

In Ziffer 1 der Nomination-Agreements erteilen die Verfügungsklägerinnen bereits den  Auftrag an den jeweiligen Zulieferer zur Serienentwicklung, Serienfertigung und Serienbelieferung konkret benannter Teile. Die weiteren Regelungen in Ziffer 1 (Vertragsgegenstand) enthalten besondere Bestimmungen und Pflichtenhefte, die den von der Verfügungsbeklagten  abzuwickelnden Auftrag schon im Detail und in Abläufen beschreiben und festlegen. Ziffer 7 formuliert unter "Qualitätsanforderungen" ein konkretes und vertieftes Lastenheft für die Maßnahmen der Qualitätssicherung. Auch die Frage der von den Verfügungsklägerinnen zu zahlenden Preise wird in einer Anlage geregelt. Enthalten sind ferner  konkrete weitere Regelungen zu Nebenpflichten, Entwicklungskosten, Regelungen zu Vertragsstörungen, Insolvenz etc.

64

Die Nomination-Agreements haben damit einen so hohen Detaillierungsgrad, dass sie mit Ausnahme der konkret vorzunehmenden Bestellungen und Mengenabrufen nahezu alle für den Abschluss eines Liefervertrages wesentlichen Bestandteile enthalten und diesen bereits mit den oben auszugsweise genannten Vorgaben verbindlich bestimmen und gestalten. Dies bedeutet aus Sicht der Kammer, dass die Parteien eine rechtliche Bindung beabsichtigt haben, weil es andernfalls wenig Sinn gemacht hätte, die Details der zukünftigen Lieferbeziehung so ausführlich dazustellen.

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b) Ob man den damit bestehenden Zuliefervertrag als einheitlichen Dauerliefervertrag oder als Lieferbeziehung im Rahmen eines  zweistufigen Vertragsgefüges, bestehend aus dem Nomination-Agreement, das  als Rahmenvertrag anzusehen ist und den jeweiligen auf Bestellung und Abruf erfolgenden  Ausführungsverträgen (Baumbach/Hopt, HGB, 35.A.,Einleitung vor § 373 Rz. 30) ansieht, ist nicht entscheidend. In beiden Fällen ist ein Dauerschuldverhältnis gegeben, das vorliegend für die Verfügungsbeklagte eine Pflicht zum Abschluss von Lieferverträgen  begründet, weil sich bereits  auf der Stufe des Nomination-Agreements die  Vertragspflichten so weit konkretisiert haben, dass eine Lieferpflicht der Verfügungsbeklagten bis zur Bestellmenge bei entsprechendem späteren Abruf anzunehmen ist. Dies belegt im Ergebnis auch eindeutig  die unmissverständliche Formulierung, dass die Verfügungsklägerinnen die Verfügungsbeklagte beauftragen.

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Dies hat auch die Einvernahme der Zeugen in der mündlichen Verhandlung ergeben und belegt. Diese haben für die Kammer überzeugend bekundet, dass die Parteien in den vergangenen Jahren auf der Basis der zwischen ihnen getroffenen rechtsverbindlichen Abrede unzählige Bestellungen und Lieferungen abgewickelt haben. Diese Einschätzung der Kammer konnte die Verfügungsbeklagte im vorliegenden summarischen Verfahren nicht erschüttern. Denn die Behauptung der Verfügungsbeklagten, dass in der Vergangenheit  Abrufe auch durch Subunternehmer der Verfügungsklägerinnen erfolgt seien, steht dem nicht entgegen. Zum einen hat die Verfügungsbeklagte ihre Behauptung nicht glaubhaft gemacht, zum anderen entspricht es der Branchenüblichkeit in der Automobilbranche, dass Subunternehmer (für den Hersteller) Direktabrufe tätigen, ohne dass sich hierdurch die grundlegenden Vertragsbeziehungen zwischen Zulieferer und Hersteller verändern. Auch dies hat die Beweisaufnahme ergeben. Beide Zeugen haben übereinstimmend bekundet, dass z.B. der Mitarbeiter … der … GmbH mit Einwilligung  der Verfügungsklägerin als Disponent selbst bei der Verfügungsbeklagten geordert hat.

67

Die Verfügungsbeklagte kann dem Verfügungsanspruch auch nicht entgegenhalten, dass die Bestellungen und Abrufe nicht in der von den Einkaufsbedingungen vorgesehenen Schriftform vorliegen. Angesichts der auch von den beiden Zeugen glaubhaft und überzeugend geschilderten jahrelang praktizierten Bestellung - und Abrufpraxis mittels  elektronischer Datenübermittlung vermag der Vortrag den Verfügungsanspruch nicht zu erschüttern.

68

Für den Verfügungsanspruch der vorliegenden Regelungsverfügung ist auch nicht erforderlich, dass bereits konkrete Abrufe erfolgt und von den Verfügungsklägerinnen glaubhaft gemacht sind. Die Verfügungsklägerinnen begehren im vorläufigen Rechtsschutz von der Verfügungsbeklagten nicht die Erfüllung  konkreter Lieferaufträge.  Die kategorische Weigerung der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerinnen weiter zu beliefern (die sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nochmals bekräftigt hat) führt dazu, dass die Verfügungsklägerinnen die Feststellung der Rechtspflicht der Verfügungsbeklagten Beklagten begehren, auf (künftigen) Abruf zu liefern.

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2. Verfügungsgrund

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Es besteht auch ein Verfügungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Verfügung.

71

Der Erlass der von den Verfügungsklägerinnen begehrten einstweiligen Verfügung in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist zur Abwendung wesentlicher Nachteile im Sinne von § 940 ZPO geboten. Denn bei objektiver Betrachtung ist der nach summarischer Bewertung ungerechtfertigte Lieferstopp der Verfügungsbeklagten mit schwerwiegenden Nachteilen für die Verfügungsklägerinnen verbunden. Ohne die von der Verfügungsbeklagten zu liefernden Teile entsteht bei den Verfügungsklägerinnen ein Produktionsausfall in erheblichem Umfang. Hierdurch droht - wie hinreichend glaubhaft gemacht ist - ein finanzieller Schaden in Höhe von mindestens 22.000.000 € alleine bis zum Jahresende. Diesen können die Verfügungsklägerinnen auch nicht durch die Beauftragung eines anderen Lieferanten abwenden. Hierzu haben die Verfügungsklägerinnen mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit dargelegt, dass es mindestens 6 Monate, wenn nicht länger dauern wird, einen neuen Lieferanten zu finden. Die mit der Weiterbelieferung für die Verfügungsbeklagte einhergehenden Nachteile überwiegen den  den Verfügungsklägerinnen drohenden Schaden nicht. Denn es ist zu erwarten und entspricht offenbar den Erfahrungen der Vergangenheit, dass die für die jeweilige Lieferung zu leistende Vergütung von den Verfügungsklägerinnen gezahlt wird. Auf eine entgegengesetzte Situation hat sich die Verfügungsbeklagte auch nicht berufen. Sie begründete den Lieferstopp vielmehr mit den Streitigkeiten aus dem Rahmenvertrag betreffend das Projekt … .

72

Die Kammer übersieht dabei nicht, dass die vorgenommene Tenorierung einer Entscheidung in der Hauptsache nahekommt oder dieser  sogar gleichsteht. Aber auch eine derartige Leistungsverfügung wäre im vorliegenden Verfahren gerechtfertigt. Hierzu wird ausgeführt:

73

Eine Leistungsverfügung, mit der die Hauptsache im Wesentlichen vorweg genommen wird, ist im Verfahren über einstweilige Verfügungen zwar nur in Ausnahmefällen und nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig. Der Verfügungskläger muss im Einzelfall darlegen und glaubhaft machen, dass er so dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruchs angewiesen ist und sonst so erhebliche wirtschaftliche Nachteile erleiden würde, dass ihm ein Zuwarten, sofern es nach der Art des Anspruchs überhaupt denkbar ist, oder eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nach Wegfall des ursprünglichen Erfüllungsanspruchs nicht mehr zumutbar ist, wobei eine "existenzielle Notlage" bzw. "Existenzbedrohung" allerdings nicht (mehr) verlangt wird. (OLG Düsseldorf, Urteil v. 13.12.2006, VI U (KART) 39/06 zitiert nach Juris; OLG München GRUR - RR 2003, 56; OLG Dresden GRUR - RR 2002, 85).

74

In die rechtliche Beurteilung muss dabei einbezogen werden, inwieweit die Ablehnung einer Leistungsverfügung zu einer Rechtsverweigerung führt. Der Erlass einer auf endgültige Anspruchsbefriedigung gerichteten einstweiligen Verfügung kommt dann in Betracht, wenn der dem Verfügungskläger aus der Nichterfüllung drohende Schaden außer Verhältnis zu demjenigen Schaden steht, der dem Verfügungsbeklagten aus der sofortigen Erfüllung droht. In die gebotene Abwägung der beiderseitigen Belange der Parteien sind darüber hinaus die Erfolgsaussichten des Verfügungsanspruchs einzubeziehen. Ist die Rechtslage eindeutig und lässt sich die Berechtigung des verfolgten Anspruchs zweifelsfrei feststellen, so ist der Verfügungsbeklagte trotz des summarischen Charakters der Verfahrensart weniger schutzwürdig und es überwiegt im Zweifel das Interesse des Verfügungsklägers daran, dass sein Anspruch bereits im Wege des einstweiligen Rechtschutzes erfüllt wird. Die vorgenannten Beurteilungskriterien stehen bei der Abwägung insgesamt in einer Wechselbeziehung zueinander. Ist die Berechtigung des geltend gemachten Anspruchs eindeutig und/oder liefe die Versagung der Leistungsverfügung mehr oder weniger auf eine endgültige Rechtsverweigerung hinaus, sind geringere Anforderungen an die wirtschaftliche Notlage zu stellen. Umgekehrt ist die Schwelle für die darzulegende Notlage höher anzusetzen, wenn die Rechtslage nicht zugunsten des Verfügungsklägers zweifelfrei ist und/oder eine Verweisung auf die Geltendmachung von Schadensersatz zumutbar ist (OLG Düsseldorf, Urteil v. 13.12.2006 aaO; vgl. auch Kessel/Koch BB 2009, 1032 ff; OLG München GRUR - RR 2003, 56).

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Bezogen auf den geltend gemachten Weiterbelieferungsanspruch der Verfügungsklägerinnen mit den für die Produktion notwendigen Zubehörteilen besteht ein Verfügungsgrund, denn die Erfolgsaussichten des Verfügungsanspruchs sind hoch und es drohen den Verfügungsklägerinnen erhebliche Nachteile, während schwerwiegende Nachteile der Verfügungsbeklagten durch den Erlass der einstweiligen Verfügung nicht ersichtlich sind. Die Ablehnung einer Leistungsverfügung würde vorliegend zu einer Rechtsverweigerung führen, weil die Verfügungsklägerinnen die genannten Teile aktuell  nur bei der Verfügungsbeklagten beziehen können und nur bei entsprechender Belieferung durch die Verfügungsbeklagte die Produktion aufrecht erhalten werden kann. Aus der Nichterfüllung der Belieferungspflicht droht den Verfügungsklägerinnen ein unverhältnismäßiger Schaden durch den bereits eingetretenen und bevorstehenden Produktionsstillstand, der außer Verhältnis zu demjenigen Schaden steht, den die Verfügungsbeklagte aus der sofortigen Erfüllung erleiden kann. Auch wenn im Tenor der einstweiligen Verfügung keine Zug um Zug  Leistung angeordnet wurde, weil die Kammer vorliegend von einer Regelungsverfügung und nicht von einer Leistungsverfügung ausgeht, bestehen keine erkennbaren Zahlungsrisiken. Unbezahlte Rechnungen aus Warenlieferungen liegen offensichtlich nicht vor und werden von der Verfügungsbeklagten auch nicht vorgetragen. Die zwischen den Parteien langjährig praktizierte Lieferbeziehung wird in bekannter Art und Weise fortgesetzt. Dass die Verfügungsbeklagte der Auffassung ist, ihr stünden aus der vorangegangenen Kündigung des Projekts … Ansprüche gegen die Verfügungsklägerin zu 1. zu, kann vor dem Hintergrund der Erfolgsaussichten des Verfügungsanspruchs in der Hauptsache und den drohenden immensen Schäden auf Seiten der Verfügungsklägerinnen die Abwägung nicht zugunsten der Verfügungsbeklagten beeinflussen. Der Streit zwischen den Parteien hierüber muss mit Hilfe anderer Streitbeilegungsmethoden (die Verfügungsklägerinnen haben in der mündlichen Verhandlung hierzu die Durchführung eines schiedsrichterlichen Verfahrens mit bindendem Spruch und einer Besicherung potentieller Forderungen der Verfügungsbeklagten für die Dauer des schiedsrichterlichen Verfahrens angeboten, was die Verfügungsbeklagte abgelehnt hat) ausgetragen werden, nicht aber über den Lieferstopp für zukünftige Produkte. Denn insofern droht den Verfügungsklägerinnen ein erheblicher Schaden, der Verfügungsbeklagten dagegen kein weiterer als der aus ihrer Sicht ohnehin schon eingetretene Nachteil.

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Die Verfügungsklägerinnen sind daher darauf angewiesen, entsprechend der in den Nomination-Lettern vereinbarten Serienbelieferung von der Verfügungsbeklagten beliefert zu werden, bis ein neuer Zulieferer gefunden ist. Die Suche hiernach gestaltet sich nach den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung nicht ganz einfach, so dass die Kammer davon ausgeht, dass dies binnen eines Zeitraums von etwa neun Monaten gelungen sein muss, woraus die entsprechende Befristung im Tenor der einstweiligen Verfügung resultiert.

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IV. Zurückbehaltungsrecht der Verfügungsbeklagten

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Die Verfügungsbeklagte kann dem Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerinnen kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB wegen ihrer Forderung aus der Kündigung des Projekts … entgegenhalten.  Die Verfügungsbeklagte hat dazu im Wesentlichen nur mitgeteilt, dass sie die Kündigung der Verfügungsklägerin zu 1. für unberechtigt hält und dass ihr hieraus ein Schaden von mindestens 30.000.000 € entstehen wird. Eine Substantiierung, wie sich dieser Betrag zusammensetzt und aus welchen Positionen er sich ergibt, hat die Verfügungsbeklagte nicht vorgenommen. Eine entsprechende Glaubhaftmachung fehlt dementsprechend auch. Damit ist ein etwa bestehendes Zurückbehaltungsrecht der Verfügungsbeklagten mit den im  summarischen Verfahren bestehenden beschränkten Erkenntnismöglichkeiten nicht hinreichend dargetan. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ein Zurückbehaltungsrecht ohnehin nicht im Verhältnis zur Verfügungsklägerin zur 2., bestünde, die bei dem Projekt … nicht einmal Vertragspartnerin gewesen ist. Ebenso wenig können gegenüber den Verfügungsklägerinnen Forderungen geltend gemacht werden, die sich aus der Kündigung der … ergeben.

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V. Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 91 ZPO. Der Streitwert war gemäß § 3 ZPO nach dem Interesse der Verfügungsklägerinnen an der Weiterbelieferung zu bestimmen, das die Verfügungsklägerinnen indiziell mit 30.000.000 € angegeben haben.

 


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