Urteil vom Landgericht Hamburg (3. Zivilkammer) - 303 S 11/15

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 05.06.2015, Az. 49 C 598/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, € 4.879,05 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16. Juli 2011 an den Kläger zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte 94 % und der Kläger 6 % zu tragen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen sie vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der HC H.C.T. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin oder HC) und nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung auf Erstattung zweier Zahlungen i.H.v. zusammen € 4.879,05 in Anspruch. Die Insolvenzschuldnerin erbrachte diese Zahlungen im August 2009 und im Februar 2010 auf Zoll- und Einfuhrumsatzsteuerverbindlichkeiten der HLD H.L. und D. GmbH (im Folgenden HLD) i.H.v. zusammen € 8.219,05 (zuzüglich Säumniszuschläge).

2

Die Zoll- und Steuerforderung gegen die HLD war von der Beklagten mit Bescheid vom 31. März 2009 festgesetzt worden. Mit Schreiben vom 4. Juni 2009, also nach Eintritt der Rechtskraft des Bescheids, erklärte die HLD, dass sie gegen den Bescheid vom 31. März 2009 Einspruch erhebe. Die Schuld sei der Sache nach bereits beglichen, die HLD habe auch keine Möglichkeit mehr, von ihrem Kunden, der seinerseits Rückzahlung von der Beklagten verlangen könne, die Begleichung der nun festgesetzten Beträge zu erreichen. Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird auf Anlage B 2 (= Bl. 161 d.A.) verwiesen.

3

Der Kläger trägt vor, die Schuldnerin sei bei Vornahme der Zahlungen an die Beklagte bereits zahlungsunfähig gewesen, was der Beklagten auch bekannt gewesen sei. Ferner sei die HLD zur selben Zeit bereits insolvenzreif gewesen.

4

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Anträge in erster Instanz nimmt das Landgericht Bezug auf das Urteil des Amtsgerichts Hamburg (Bl. 111 ff. d.A.).

5

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Zahlungen nicht gemäß § 133 InsO anfechtbar seien, weil die Beklagte von einer etwaigen drohenden oder bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin im Zeitraum 2009 bis Februar 2010 keine Kenntnis gehabt habe. Auch eine Anfechtung gemäß § 134 InsO komme nicht infrage. Es sei nicht von einer wenigstens drohenden Zahlungsunfähigkeit der HLD auszugehen, der Kläger habe auch keine hinreichenden Indizien für eine Wertlosigkeit der Forderungen der Beklagten gegen die HLD vorgetragen.

6

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Er wendet sich nicht gegen die Auffassung des Amtsgerichts, dass die Zahlungen nicht gemäß § 133 InsO anfechtbar seien, verfolgt aber die Anfechtung gemäß § 134 InsO weiter. Die HLD sei überschuldet gewesen, was durch die in ihren Jahresabschlüssen für 2006 und 2007 ausgewiesenen nicht gedeckten Fehlbeträge indiziert werde. Es habe auch keine positive Fortführungsprognose bestanden. Ferner ergebe sich aus dem bei der Beklagten aufgelaufenen Zahlungsrückstand der HLD ihre Zahlungsunfähigkeit. Es könne auch nicht von einer bloßen Zahlungsstockung ausgegangen werden, da der insoweit maßgebliche Drei-Wochen-Zeitraum seit Fälligkeit der Forderung (15. April 2009) bereits im Mai 2009 abgelaufen gewesen sei.

7

Der Kläger beantragt:

8

Die Beklagte wird unter Abänderung des am 5. Juni 2015 verkündeten und am 9. Juni 2015 zugestellten Urteils des Amtsgerichts Hamburg, Az.: 49 C 598/14, verurteilt, € 4.879,05 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten p.a. über den Basiszinssatz auf € 2.000,00 seit dem 28. August 2009 sowie auf € 2.879,05 seit dem 4. Februar 2010 an den Kläger zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Berufung vollumfänglich zurückzuweisen.

11

Die Beklagte ist der Auffassung, dass weder von einer Überschuldung noch von Zahlungsunfähigkeit der HLD im hier maßgeblichen Zeitraum ab August 2009 ausgegangen werden könne. Es fehle jedenfalls an Vortrag des Klägers dazu, weshalb die in den Jahresabschlüssen der HLD ausdrücklich angenommene positive Fortführungsprognose unzutreffend gewesen sei. Im Übrigen könne der Rückstand bei der Begleichung der Zoll- und Steuerforderung der Beklagten eine Zahlungsunfähigkeit der HLD nicht belegen. Vielmehr sei mit Blick auf das Schreiben der HLD vom 4. Juni 2009 (Anlage B 2) von bloßer Zahlungsunwilligkeit auszugehen. Ausreichende Indizien, welche die Annahme einer Zahlungseinstellung rechtfertigen könnten, lägen nicht vor. So fehle es an einer ausdrücklichen Erklärung der HLD, dass sie zur Begleichung der Forderung der Beklagten nicht in der Lage sei. Ferner liege kein Fall einer „notorischen“ Nichtzahlung vor, d.h. ein Fall, in dem sich der Gläubiger erfolglos bemühe, vom Schuldner Zahlungen zu erhalten. Schließlich sei ja auf die Zoll- und Steuerforderung gezahlt worden, wenn auch unvollständig und von dritter Seite.

II.

12

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache weitestgehend Erfolg.

1.

13

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der beiden angefochtenen Zahlungen i.H.v. zusammen € 4.879,05 aus §§ 129, 134 Abs. 1, 143 InsO.

a)

14

Die Zahlungen sind aus dem Vermögen der Insolvenzschuldnerin erbracht worden und haben daher zu einer Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO geführt. Es handelt sich zudem um Leistungen der Insolvenzschuldnerin, die - wie von § 134 InsO vorausgesetzt - innerhalb des Zeitraumes von vier Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht worden sind.

b)

15

Anders als das Amtsgericht hält das Landgericht die beiden Zahlungen zudem für unentgeltliche Leistungen im Sinne des § 134 InsO.

16

Die HC hat mit ihren Zahlungen an die Beklagte fremde Verbindlichkeiten, nämlich die durch Bescheid vom 31. März 2009 festgesetzten Zoll- und Steuerschulden der HLD, (teilweise) getilgt. Die Tilgung einer fremden Schuld ist als unentgeltliche Leistung gemäß § 134 anfechtbar, wenn die gegen den Dritten gerichtete Forderung des Zuwendungsempfängers „wertlos“ war; dann hat der Zuwendungsempfänger wirtschaftlich nichts verloren, was als Gegenleistung für die Zuwendung angesehen werden kann. Von einer solchen „Wertlosigkeit“ ist ohne weiteres auszugehen, falls der Forderungsschuldner wegen Zahlungsunfähigkeit in der Insolvenz oder zumindest insolvenzreif ist (BGH, Urteil v. 22. Oktober 2009, Az.: IX ZR 182/08, juris, Rn 8).

17

Ein solcher Fall liegt hier vor. Die HLD war (spätestens) ab dem 26. August 2009 zahlungsunfähig. Zahlungsunfähigkeit wird gemäß § 17 Abs. 2 S. 2 InsO vermutet, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungseinstellung wiederum ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Eine Zahlungseinstellung kann aus einem einzelnen, aber auch aus einer Gesamtschau mehrerer darauf hindeutender, in der Rechtsprechung entwickelter Beweisanzeichen gefolgert werden (BGH, Urteil v. 8. Januar 2015, IX ZR 203/12, juris, Rn 15 f. m.w.N.). Von indizieller Bedeutung sind insoweit u.a. gegen den Schuldner betriebene Vollstreckungsverfahren (BGH, a.a.O., Rn 23) sowie die nur schleppende oder gar gänzlich ausbleibende Bedienung von Steuerforderungen (BGH, Urteil v. 30. Juni 2011, Az.: IX ZR 134/10, juris, Rn 16).

18

Nach diesen Maßstäben ist hier von Zahlungseinstellung spätestens ab dem 26. August 2009 auszugehen. Von Bedeutung ist insoweit zunächst, dass die HLD am 26. August 2009 seit mehr als vier Monaten mit der Bezahlung ihrer Zoll- und Steuerverbindlichkeiten gemäß Bescheid vom 31. März 2009 in Rückstand war. Diese Verbindlichkeiten waren spätestens seit Mitte Mai 2009 rechtskräftig tituliert, nachdem die Einspruchsfrist gegen den Bescheid abgelaufen war. Zwar mag man die anfängliche Nichtbegleichung der festgesetzten Forderungen durch die HLD als Ausdruck einer bloßen Zahlungsunwilligkeit deuten, hierfür spricht auch das Schreiben vom 4. Juni 2009 (Anlage B 2). Der HLD musste aber klar sein, dass sie nach Ablauf der Einspruchsfrist nicht mehr auf eine Berücksichtigung ihres Vorbringens hoffen konnte, die festgesetzten Zölle und Steuern also unabhängig von einer womöglich materiell-rechtlich fehlenden Berechtigung dieser Forderung bezahlt werden mussten. Dass dies dennoch unter Inkaufnahme anfallender Säumniszuschläge nicht geschah, deutet auf fehlende Zahlungsmittel hin. Der Beklagten ist allerdings zuzugeben, dass eine ausbleibende Zahlung trotz rechtskräftiger Titulierung nicht per se eindeutig nur durch fehlende Zahlungsmittel des Schuldners zu erklären ist. Andere Erklärungsgründe wie Schludrigkeit oder trotz rechtskräftiger Titulierung fortbestehende Zahlungsunwilligkeit, mithin eine gewisse „Bockigkeit“, entfallen aber als plausible alternative Erklärung, wenn auch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht zum Erfolg führen. Das war hier der Fall. Die Beklagte erhielt auf die Zahlungsaufforderung ihres Vollziehungsbeamten vom 26. August 2009 (Anlage K 4) keine Zahlung des insgesamt titulierten Betrages von € 8.547,05 (zzgl. € 20 Vollstreckungskosten), sondern einen von der HC ausgestellten Scheck über lediglich € 2.000,--. Das war, bezogen auf das Rechtsverhältnis zwischen Forderungsgläubiger (Beklagte) und Forderungsschuldner (HLD) eine inkongruente Leistung, die zudem nicht ausreichend war, so dass die Vollstreckung letztlich als teilweise fruchtlos anzusehen ist. Auch eine nur vorübergehende Liquiditätsschwierigkeit der HLD, d.h. eine Zahlungsstockung, kann als Erklärung für die bloße Teilzahlung trotz Vollstreckung nicht angenommen werden. Denn dann hätte spätestens einige Wochen nach der dann gewissermaßen als „Warnschuss“ aufzufassenden Zahlungsaufforderung des Vollziehungsbeamten vom 26. August 2009 der noch offene Restbetrag bezahlt werden müssen. Das ist aber nicht geschehen. Es dauerte vielmehr weitere ca. fünf Monate, bis erneut und auch wieder nur teilweise auf die Forderung der Beklagten gezahlt wurde.

2.

19

Der Kläger hat auch Anspruch auf Verzinsung der Hauptforderung. Der Anspruch folgt aus § 143 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB, wobei entsprechend der Handhabung des Zinsbeginns bei Rechtshängigkeitszinsen Zinsen erst ab dem Tag zu zahlen sind, der dem Tag nachfolgt, an dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (§ 187 Abs. 1 BGB). Da das Insolvenzverfahren über das Vermögen der HC am 15. Juli 2011 eröffnet worden ist, sind Zinsen erst ab dem 16. Juli 2011 zu zahlen.

20

Wegen der weitergehenden Zinsforderung des Klägers für den Zeitraum ab Eingang der beiden Zahlungen bei der Beklagten bis zur Verfahrenseröffnung ist die Klage abzuweisen. Infrage käme insoweit zwar ein Anspruch auf Ersatz gezogener Nutzungen (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 292, 987 Abs. 1 BGB; vgl. BGH, Urteil v. 24. Mai 2012, Az.: IX ZR 125/11, juris, Rn. 8 f.). Der Kläger trägt zur Begründung eines solchen Anspruchs aber mit keinem Wort vor, so dass es bereits an einer schlüssigen Darlegung der anspruchsbegründenden Tatsachen fehlt.

3.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1 Var. 2, 97 Abs. 1 ZPO. Die nicht zuerkannte Zinsforderung des Klägers behandelt das Gericht nicht als geringfügige Zuvielforderung im Sinne des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Sie macht immerhin ca. sechs Prozent des (fiktiven) Streitwertes bei Berücksichtigung von Haupt- und Nebenforderung aus.

22

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

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