Urteil vom Landgericht Hamburg (18. Zivilkammer) - 318 O 367/19
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 175.497,91 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Auslegung einer Zinsgleitklausel in einem Schuldscheindarlehen und die damit in Bezug stehende mögliche Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung von negativen Zinsen an die Klägerin.
- 2
Die Klägerin vereinbarte mit der WL-W. L. B. AG (im Nachfolgenden „WL-Bank“) am 31.05.2006 die Überlassung von EUR 25 Mio. an die Klägerin. Das der Klägerin zur Verfügung gestellte Kapital sollte am 31.10.2018 zur Rückzahlung fällig sein. Über die Vereinbarung wurde ein Schuldschein mit der Nummer... ausgestellt (Anlage K 1 = B 3). Der Vertrag sah gemäß Ziffer 1 eine variable Verzinsung gemäß 6-Monats-EURIBOR abzüglich 4 Basispunkten vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schuldschein (Anlage K 1 = B 3) Bezug genommen.
- 3
Die WL-Bank trat ihre Forderungen aus dem streitgegenständlichen Schuldschein am 23.01.2015 an die D. P. Bank AG ab (Anlage B 1). Mit Schreiben vom 27.01.2015 zeigte die WL-Bank die Abtretung der Klägerin an (Anlage K 2). Die Klägerin zeigte ihrerseits der WL-Bank ihre Kenntnisnahme von der Abtretungsanzeige mit Schreiben vom 05.02.2015 an (Anlage K 2a).
- 4
Die WL-Bank wurde mit Wirkung zum 01.01.2018 mit der D. G.- H. Bank AG zur D. H. AG, der Beklagten, fusioniert.
- 5
Am 25.05.2018 wurde die D. P. Bank AG auf die D. B. P.- u. G. AG verschmolzen (Anlage K 3). Zugleich wurde die D. Bank P.- u. G. Bank AG in die DB P.- u. F. Bank AG umfirmiert. Letztere ist mit Eintragung in das Handelsregister vom 15.05.2020 auf die D. Bank AG (im Nachfolgenden „Streitverkündungsempfängerin“) verschmolzen.
- 6
Zwischen den Parteien steht in Streit, ob mit der Forderungsabtretung vom 23.01.2015 gleichzeitig eine Schuld- bzw. Vertragsübernahme durch die Streitverkündungsempfängerin vereinbart wurde.
- 7
Der 6-Monats-EURIBOR fiel am 04.11.2015 zunächst auf 0,00 % und notiert seit dem 06.11.2015 negativ.
- 8
Zum Zinsfixing am 28.10.2015 für den Zinstermin 29.04.2016 notierte der 6-Monats-EURIBOR bei 0,006 % p.a. Abzüglich des in der Zinsklausel unter Ziff. 1 jeweils vereinbarten Abschlags von 4 Basispunkten (0,04 Prozentpunkte) ergab sich ein rechnerisch negativer Zinssatz in Höhe von -0,03400 % p.a., d.h. ein Betrag von EUR 4.297,22 in Bezug auf die Valuta von EUR 25 Mio.
- 9
Die Klägerin macht vorliegend die nachfolgenden negativen Zinsbeträge geltend:
- 10
Schuldscheindarlehen Nr....
Zinstermin 29.04.2016
EUR 4.297,22
Zinstermin 31.10.2016
EUR 23.381,94
Zinstermin 28.04.2017
EUR 31.449,31
Zinstermin 30.10.2017
EUR 37.200,00
Zinstermin 30.04.2018
EUR 39.686,11
Zinstermin 31.10.2018
EUR 39.483,33
Gesamt
EUR 175.497,91
- 11
Mit E-Mail vom 11.05.2016 mahnte die Klägerin die Leistung von negativen Zinsen in Höhe von 4.297,22 € bei der Streitverkündungsempfängerin an und verlangte ihre Zahlung unter Fristsetzung bis zum 31.05.2016 (Anlage K 6). Mit E-Mail vom 25.05.2016 teilte diese der Klägerin mit, sie sehe keine Rechtsgrundlage für die Zahlung eines negativen Zinses (Anlage K 6).
- 12
Mit weiterem Schreiben vom 01.06.2016 informierte die Klägerin die Streitverkündungsempfängerin, sie sehe aufgrund einer gerichtlichen Klärung der Rechtsfrage in einer vergleichbaren Angelegenheit von weiteren Mahnungen ab. Ein Verzicht auf die Forderung sei hiermit jedoch ausdrücklich nicht verbunden (Anlage K 6).
- 13
Die Darlehensvaluta wurde von der Klägerin vereinbarungsgemäß zum 31.10.2018 an die Streitverkündungsempfängerin zurückgeführt.
- 14
Die Klägerin trägt vor, die Beklagte sei passivlegitimiert. Die Forderungsabtretung an die Streitverkündungsempfängerin habe keine Vertrags- oder Schuldübernahme begründet.
- 15
Weiter bestimme die streitgegenständliche Zinsklausel in dem Schuldscheindarlehen schon nach ihrem Wortlaut nicht, dass alleine der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber den vereinbarten Zins schulde. Vielmehr sehe die Zinsgleitklausel eine Zinszahlungspflicht derjenigen Partei des Darlehensvertrags vor, für die sich rechnerisch eine Zinslast ergebe. Danach schulde bei rechnerisch positiven Zinsen die Klägerin und bei rechnerisch negativen Zinsen die Beklagte den Zins. Der Wortlaut der Zinsgleitklausel spreche lediglich vom zu verzinsenden Darlehen, lasse die Frage des Zinsschuldners aber offen. Der Zins werde daher nicht einfach als Entgelt für die Kapitalüberlassung an die Klägerin ausgedrückt.
- 16
Um den Veränderungen der Marktsituation gerecht zu werden zu können, hätten die Vertragsparteien mit Wirkung ab dem 23.09.2008 einen variablen Preis für die Kapitalnutzung und kein fixes, allein von der Klägerin an die Beklagte zu zahlendes Entgelt vereinbart. Die Parteien hätten sich bewusst für eine Preisvariable entschieden. Beide Parteien müssten die Variable für und gegen sich gelten lassen. Zinsvor- und Nachteile sollten äquivalent verteilt werden. Mit der Vereinbarung des 6-Monats-EURIBOR als Maßstab der Verzinsung habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, sich indirekt zum 6-Monats-EURIBOR refinanzieren zu können. Im Negativzinsumfeld generiere die Beklagte bereits bei der Mittelbeschaffung einen Ertrag, denn sie erhalte ihrerseits den Negativzins. Ein über die Generierung der anfänglich kalkulierten Marge hinausgehendes Interesse sei der Beklagten nicht zuzubilligen. Eine nicht kongruente Refinanzierung sei allein das Risiko der Beklagten, das in ihrer Sphäre verbleiben müsse.
- 17
Bei der im Rahmen der Vertragsauslegung gebotenen normativ-objektiven Betrachtungsweise des streitgegenständlichen Darlehensvertrags sei daher eine Auslegung der Zinsgleitklausel dahingehend vorzunehmen, dass die Beklagte den negativen EURIBOR an die Klägerin weitergeben wollte, sofern sie die anfänglich kalkulierte Marge realisiert habe. Der Zins stelle nicht das Entgelt für die Kapitalüberlassung, sondern den Preis für das Darlehen dar. Wenn der Zins negativ sei, trete die Erwirtschaftung eines Ertrages aus dem überlassenen Kapital in den Hintergrund und die Abnahme und Aufbewahrung des Kapitals gelange in den Vordergrund.
- 18
Lediglich hilfsweise sei darauf hinzuweisen, dass eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe, dass im Falle negativer Zinsen dem Darlehensvertrag Elemente der unregelmäßigen Verwahrung hinzutreten. Auch dies begründe eine Leistungspflicht des Darlehensgebers an den Darlehensnehmer im Falle negativer Zinsen.
- 19
Für die Negativzinsen gelte nicht das Zinseszinsverbot des § 289 S. 1 BGB.
- 20
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 175.497,91 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu bezahlen, aus
- 22
EUR 4.297,22 seit dem 30.04.2016,
EUR 23.381,94 seit dem 01.11.2016,
EUR 31.449,31 seit dem 29.04.2017,
EUR 37.200,00 seit dem 31.10.2017,
EUR 39.686,11 seit dem 01.05.2018,
EUR 39.483,33 seit dem 01.11.2018.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 25
Sie trägt vor, sie sei nicht passivlegitimiert. Sie habe sämtliche Rechte und Pflichten aus dem streitgegenständlichen Schuldschein an die Streitverkündungsempfängerin abgetreten. Die Klägerin habe der Schuldübernahme zugestimmt und sei nach ihrem Gesamtverhalten selbst davon ausgegangen, dass neben den Rechten auch sämtliche Pflichten aus dem Schuldschein auf die Streitverkündungsempfängerin übergegangen seien. Die Klägerin habe die Streitverkündungsempfängerin vorgerichtlich zur Zahlung von Negativzinsen in Anspruch genommen und habe sich nicht direkt an die Beklagte gewandt. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass die Klägerin keine Zahlung durch die Streitverkündungsempfängerin erhalten habe. Die Streitverkündungsempfängerin habe den Schuldschein insgesamt erwerben wollen, was sich insbesondere aus der Formulierung des Bestätigungsschreibens der Deutschen Apotheker- und Ärztebank eG, die die Abtretung abgewickelt habe, vom 23.01.2015 ergebe (Anlage B 5).
- 26
Weiter trägt die Beklagte vor, die Parteien hätten ein entgeltliches Darlehen nach dem Leitbild des § 488 BGB abgeschlossen. Die Zinsgleitklausel habe keine Zinszahlungsverpflichtung der Beklagten als Darlehensgeberin enthalten. Die dort geregelte Verzinsung werde als Bedingung für die Gewährung des Kapitals durch den Darlehensgeber an den Darlehensnehmer geregelt. Zinszahlungen sollten nur von dem Darlehensnehmer an den Darlehensgeber erfolgen. Null sei hierbei als implizierte Untergrenze des Darlehenszinses vereinbart worden. Sofern sich rein rechnerisch im Ergebnis eine Zahlungsverpflichtung des Darlehensgebers ergäbe, handele es sich nicht mehr um einen Zins im Rechtssinne, sondern um die Vergütung für die Verwahrung, die nicht vorliege.
- 27
Sie könne ebenfalls nicht aus einem unregelmäßigen Verwahrungsvertrag in Anspruch genommen werden. Das Darlehen sei in einem Zeitpunkt, in dem der EURIBOR negativ geworden sei, bereits nicht mehr in ihren Büchern geführt worden. Sie habe ihre Rechtsposition an die Streitverkündungsempfängerin übertragen, so dass allenfalls für und mit dieser eine etwaige Verwahrung vereinbart worden sei. Auch vor dem Zeitpunkt der Abtretung sei keine Verwahrung mit der Klägerin vereinbart worden. Sie habe zu keinem Zeitpunkt ein Interesse daran gehabt, eine Einlage bei der Klägerin zu halten. Eine Umqualifizierung in eine unregelmäßige Verwahrung sei ausgeschlossen.
- 28
Der Vertrag sei im Lichte der Gesetzgebung und der Rechtsprechung im Jahre 2006 auszulegen und werde durch den Willen der Parteien konkretisiert. Im Zeitpunkt des Abschlusses des Schuldscheindarlehens sei ihr keine Konstellation im Euroraum bekannt gewesen, die zu Negativzinsen bei Darlehen führten. Die Aufnahme einer Zinsuntergrenze sei im Jahr 2006 völlig unüblich gewesen. Die Loan Market Association, „LMA“, die für die Kreditvertragsdokumentation gewisse Standards setze, habe erstmals im Jahr 2014 eine Zinsuntergrenze optional in die Musterdokumentation aufgenommen. Nach Ansicht der LMA seien selbst aktuelle Verträge so auszulegen, dass keine Zahlungsverpflichtung des Darlehensgebers bestehen könne.
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Sie habe den Betrag in Höhe der Darlehensvaluta durch Einnahmen aus Pfandbriefemissionen refinanziert. Der Ausgabenpreis sei bereits bei Begebung im Jahr 2006 festgelegt und die Rückforderung zu 100 % am Ende der Laufzeit erfolgt. Die Pfandbriefe seien seitens der Beklagten unkündbar gewesen (vgl. Anlage B 4). Bereits aus systematischen Gründen gebe es keine Möglichkeit, von den Pfandbriefgläubigern negative Zinsen zu fordern. Sie habe bei der Refinanzierung stets einen Zins geschuldet, der sich ebenfalls höchstens auf Null habe reduzieren können. Ein Negativzins bei einem Pfandbrief ließe sich im Übrigen nur erreichen, wenn der Pfandbriefgläubiger den Pfandbrief zu einem Kurs erwerbe, der die Höhe des verbrieften Rückzahlungsanspruchs übersteige, d.h. dieser der Beklagten also mehr Mittel zur Verfügung stelle, als er zurückerhalte. Dies sei aus damaliger Sicht für den Pfandbriefgläubiger wirtschaftlich sinnlos gewesen. Zudem habe sie derartige Deckungsgeschäfte auch nicht getätigt.
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Ansprüche der Klägerin seien jedenfalls verwirkt. Hilfsweise verlange sie eine Anpassung des Schuldscheins entsprechend § 313 Abs. 1 BGB. Durch Vertragsanpassung sei jedenfalls eine Zinsuntergrenze von Null zu vereinbaren, um das Äquivalenzinteresse der Parteien wiederherzustellen. Äußerst hilfsweise werde darauf hingewiesen, dass die Klägerin rechtsfehlerhaft davon ausgehe, dass für ein Verwahrentgelt der gleiche Berechnungsmaßstab wie für die Darlehenszinsen angesetzt werden könne und diese Verpflichtung darüber hinaus mit Verzugszinsen zu verzinsen wäre. Die Höhe eines Verwahrentgelts bleibe nach dem Schuldschein gerade offen. Diese könne nicht gleich bepreist werden wie das aktive Nutzungsrecht von Kapital, mit dem seinerseits ein Ertrag erwirtschaftet werden könne.
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Zuletzt habe sie jedenfalls ein Rückgriffsanspruch gegen die Streitverkündungsempfängerin.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
- 33
Die zulässige Klage ist unbegründet.
1.)
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Zahlung eines Negativzinses bzw. eines Verwahrungsentgelts. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte überhaupt passivlegitimiert ist. Denn unabhängig davon, ob die Beklagte die richtige Anspruchsgegnerin ist, besteht für die Klägerin bereits dem Grunde nach kein solcher Anspruch.
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Die Klägerin hat ursprünglich mit der WL-Bank ein Schuldscheindarlehen gemäß § 488 Abs. 1 BGB geschlossen, aufgrund dessen allein die Klägerin der Beklagten Zinsen für die Zurverfügungstellung der Darlehensvaluta schuldete. Eine Vereinbarung darüber, dass auch die WL-Bank der Klägerin im Falle eines mathematisch errechneten negativen Zinses ihrerseits ein Zins bzw. ein Entgelt schulden sollte, haben die ursprünglichen Vertragsparteien nicht getroffen. Dies folgt durch die Auslegung der streitgegenständlichen Zinsgleitklausel.
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a.) Die in Ziffer 1 des Schuldscheindarlehens geregelte Klausel ist als Zinsgleitklausel zu qualifizieren. Die Vertragsparteien konnten die Zinsgleitklausel im Rahmen der Vertragsfreiheit in zulässiger Weise vereinbaren. Es handelte sich hierbei um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die vorliegend von der Klägerin einseitig gegenüber der WL-Bank in zulässiger Weise verwendet wurden.
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Eine Zinsgleitklausel ist wirksam, wenn sie die wesentlichen Merkmale der Zinsänderung hinreichend deutlich bestimmt, namentlich die öffentlich zugängliche Bezugsgröße, die Anpassungsintervalle und die Anpassungsmarge. Eine weitere materielle Überprüfung gemäß §§ 307 ff. BGB scheidet aus, weil die entsprechenden Parameter die Hauptleistungspflichten des Vertrags betreffen (vgl. Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 3. Auflage 2020, Rn. 310, m.w.N., zitiert nach beck-online). Es handelt sich um eine gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle nicht unterliegende Preisregelung der Parteien (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2008 - XI ZR 211/07, WM 2008, 1493, Rn. 16 f., BGH, Urteil vom 13.04.2010 - XI ZR 197/09 – NJW 2010, 1742 Rn. 16 m.w.N., jeweils zitiert nach juris).
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Für die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt der Grundsatz objektiver Auslegung (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage 2020, § 305c, Rn. 16, m.w.N.). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden einheitlich so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird (BGH, Urteil vom 13.11.2012 – XI ZR 500/11, BGHZ 195, 298-322, NJW 13, 995, Rn. 16, m.w.N., zitiert nach juris). In Allgemeinen Geschäftsbedingungen verwendete Rechtsbegriffe sind in der Regel entsprechend ihrer juristischen Fachbedeutung zu verstehen, insbesondere, wenn sie erkennbar auf eine gesetzliche Regelung Bezug nehmen (Palandt/Grüneberg, a.a.O., m.V.a. BGH WM 14, 1076). Hierbei ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 30.03.2010 – XI ZR 200/09, BGHZ 185, 133-151, Rn. 30, m.w.N., zitiert nach juris).
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Nach den vorgenannten Maßstäben ist die streitgegenständliche Zinsgleitklausel zulässig und dahingehend auszulegen, dass die Vertragsparteien am 31.05.2006 einen Darlehensvertrag im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB geschlossen haben. Im Rahmen dieses Darlehensvertrags wurde ausschließlich eine Zinszahlungspflicht der Klägerin und eine Begrenzung des vertraglichen Zinses auf mindestens null Prozent gegenüber der WL-Bank bestimmt. Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
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aa.) Die Vertragsparteien haben ein Darlehen nach dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB geschlossen. In dem Schuldschein (Anlagen K 1 = B 3) werden die Vertragsparteien als „Darlehensschuldner“ und „Darlehensgläubiger“ bezeichnet. Es ist vereinbart worden, dass der Darlehensschuldner, d.h. die Klägerin, dem Darlehensgläubiger, d.h. die WL-Bank, EUR 25 Mio. „als Darlehen zu folgenden Bedingungen“ schuldet. In Ziffer 1 des Schuldscheins ist sodann die Zinsgleitklausel aufgeführt, wonach das Darlehen mit „0,04 % p.a. unter dem 6-Monats-EURIBOR“ jährlich zu verzinsen ist. In Ziffer 6 Abs. 3 des Schuldscheins ist weiter bestimmt, dass der „Darlehensschuldner Zins- und Tilgungsleistungen auf ein Konto der Darlehensgläubiger in der Bundesrepublik Deutschland überweisen“ wird.
- 41
Unter Berücksichtigung der von den Vertragsparteien verwendeten Begrifflichkeiten lässt dies keinen Zweifel zu, dass diese einen Darlehensvertrag im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB und den hieran sich anknüpfenden Leistungspflichten geschlossen haben. Durch die Eingangsformulierung im Schuldschein, wonach die Klägerin „das Darlehen zu folgenden Bedingungen“ schuldet und sodann in Ziffer 1 die Zinsgleitklausel folgt, ist klar zu entnehmen, dass die Schuld des Darlehensnehmers (der Klägerin) durch diese Zinsgleitklausel hinsichtlich der Verzinsung konkretisiert wird. Die geregelte Verzinsung wird als Bedingung für die Gewährung des Kapitals durch den Darlehensgeber an den Darlehensnehmer geregelt. Im Weiteren wird in Ziffer 6 Abs. 3 des Schuldscheins lediglich einseitig geregelt, dass der Darlehensschuldner Zins- und Tilgungsleistungen auf ein Konto des Darlehensgläubigers überweisen wird.
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Entgegen der Ansicht der Klägerin war letztere im Rahmen des streitgegenständlichen Schuldscheins auch nicht nur Darlehensschuldnerin im Hinblick auf die Rückzahlung der Darlehensvaluta, sondern darüber hinaus auch alleinige Darlehensschuldnerin im Hinblick auf die Zinszahlungspflichten.
- 43
§ 488 Abs. 1 S. 2 BGB bestimmt, dass der Darlehensnehmer verpflichtet ist, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuzahlen. Zins im Rechtssinne ist die nach der Laufzeit des Darlehens bemessene, gewinn- und umsatzunabhängige Vergütung für die Möglichkeit des Gebrauchs des auf Zeit überlassenen Kapitals (vgl. BGH, Urteil vom 13.05.2014 – XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168-204, Rn. 43, m.w.N., zitiert nach juris). Die Zinszahlung ist beim entgeltlichen Darlehen Hauptleistungspflicht des Darlehensnehmers (Weidenkaff/Palandt, a.a.O., § 488, Rn. 15, m.w.N.). Die Belassungspflicht des Darlehensgebers und die Zinspflicht des Darlehensnehmers stehen im Synallagma (Staudinger/Freitag (2015) BGB § 488, Rn. 25, zitiert nach juris). Der Zins ist stets von demjenigen zu entrichten, der über das Kapital verfügen kann (Radke, BKR 2019, 178, zitiert nach beck-online).
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Die streitgegenständliche Zinsgleitklausel sah keine Zinszahlungspflicht in beide Richtungen vor. Der Vertragsinhalt, wonach das Darlehen gemäß Ziffer 1 zu näher genannten Bedingungen zu verzinsen und gemäß Ziffer 3 am 31.10.2018 zur Rückzahlung fällig war, entspricht vielmehr dem gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB.
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bb.) Aufgrund der vertraglichen Einordnung des Schuldscheins als Darlehen im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB war die Untergrenze des Darlehenszinses und damit der implizierte Mindestzins von den Vertragsparteien stillschweigend auf null festgelegt. Die streitgegenständliche Zinsgleitklausel veränderte nicht den Charakter des vereinbarten Darlehens, sondern lediglich die Höhe des Zinses, dessen Zahlungsrichtung feststeht. Andernfalls hätte dies eine Umkehr der Zahlungsströme und eine Zahlungsverpflichtung des Darlehensgebers zur Folge. Dies weicht vom gesetzlichen Leitbild des § 488 Abs. 1 BGB ab und ist vorliegend nicht interessengerecht.
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Unter der Annahme, der Darlehensgeber schulde aufgrund der Zinsgleitklausel einen Negativzins, verliert der Zins seinen Charakter als – synallagmatisch verknüpfte – Gegenleistung für die Gebrauchsüberlassung der Valuta (vgl. Binder/Ettensberger, WM 2015, 2069, 2071, m.w.N.). Eine Pflicht zur Zahlung von negativen Zinsen widerspricht dem gesetzlichen Leitbild eines Darlehensvertrages und den darin definierten Vertragspflichten der Parteien grundsätzlich (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 27.03.2019 – 4 U 184/18, Rn. 206 ff., zitiert nach juris). In einer solchen Situation wäre es für den Darlehensgeber offensichtlich vernünftig, von einer Darlehensvergabe abzusehen und das Darlehenskapital zu behalten (Coen, NJW 2012, 3329, zitiert nach beck-online). Die Verzinsung infolge einer Zinsklausel kann daher allenfalls auf null abfallen, nicht jedoch dazu führen, dass der Darlehensgeber für die Zurverfügungstellung von Kapital dem Darlehensnehmer seinerseits noch eine Vergütung zahlen muss (vgl. Krepold/Herrle, BKR 2018, 89, m.w.N., zitiert nach beck-online).
- 47
Im Übrigen kann ein auf die Festlegung von Negativzinsen gerichteter Parteiwille allenfalls dann im Wege der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB ermittelt werden, wenn das Interesse des Kapitalgebers über die Gewinnung von Zinserträgen hinausgeht, also beispielsweise mangels Anlagealternativen bzw. mangels eigener Verwahrungsmöglichkeiten auf eine Fremdverwahrung des Kapitals gerichtet ist. Nur dann wäre die Kreditgewährung unter Inkaufnahme von Negativzinsen, die wirtschaftlich auf eine Kürzung des Rückerstattungsanspruchs nach § 488 Abs. 1 S. 2 BGB hinausliefe, aus Sicht des Kreditgebers rational überhaupt sinnvoll (vgl. Binder/Ettensberger, WM 2015, 2069, 2072).
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Dass die WL-Bank vorliegend auf einen Teil der Darlehensvaluta verzichten wollte, ist nicht anzunehmen und konnte von der Klägerin im Jahr 2006 auch nicht in berechtigter Weise erwartet werden.
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cc.) Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von negativen Zinsen kann auch nicht aus dem Abschluss eines unregelmäßigen Verwahrungsvertrags im Sinne des § 700 BGB hergeleitet werden. Der Schuldschein ist als Darlehen im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB zu qualifizieren (s.o.). Dass die Vertragsparteien zusätzlich zu dem Darlehensvertrag einen Verwahrungsvertrag mit einer Vergütung im Sinne eines Kapitalverwahrentgelts gemäß § 689 abgeschlossen haben, ist weder ersichtlich noch entspräche es der Interessenlage der Parteien.
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Das Darlehensrecht kennt keine Entgeltpflicht des Darlehensgebers (vgl. MüKoBGB/Berger, 8. Auflage 2019, BGB, § 488, Rn. 154). Mit negativen Zinsen wird jedoch faktisch eine Entgeltverpflichtung für die Verwahrung begründet, was das nach § 488 BGB vorgesehene Modell in sein Gegenteil verkehrt (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O., m.V.a. Tröger NJW 2015, 657; Krepold/Herrle, BKR 2018, 89, m.w.N., zitiert nach juris). Im Rahmen eines unregelmäßigen Verwahrungsvertrags gemäß § 700 BGB kommt es dem Hinterleger in erster Linie auf eine sichere Aufbewahrung der überlassenen Sache und daneben auf die jederzeitige Verfügbarkeit darüber an (vgl. BGH, Urteil vom 14.05.2019 – XI ZR 345/19, Rn. 26, zitiert nach juris).
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Eine Vereinbarung über ein Entgelt haben die Vertragsparteien nicht getroffen. Die Darlehensgeberin, die WL-Bank, war gemäß dem Schuldschein zur Überlassung des Kapitals verpflichtet. Eine jederzeitige Verfügbarkeit war durch den in dem Schuldscheindarlehen geregelten Kündigungsausschluss schon nicht gegeben. Allein durch das Absinken des Referenzwertes konnte sich auch nicht der Vertragstypus ändern.
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dd.) Entgegen der Ansicht der Klägerin entspricht die Zahlung negativer Zinsen vorliegend auch nicht der Interessenlage der Parteien. Die Klägerin führt insoweit an, die Beklagte habe mit der Vereinbarung des 6-Monats-EURIBOR als Maßstab der Verzinsung zum Ausdruck gebracht, sich indirekt zum 6-Monats-EURIBOR refinanzieren zu können. Im Negativzinsumfeld generiere die Beklagte bereits bei der Mittelbeschaffung einen Ertrag, denn sie erhalte ihrerseits den Negativzins. Ein über die Generierung der anfänglich kalkulierten Marge hinausgehendes Interesse habe die Beklagte nicht. Dieser sei ihre Marge zuzubilligen, nicht aber eine Ausweitung der Marge.
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Dies vermag nicht zu überzeugen. Ob der gewählte Referenzzins vorliegend überhaupt die konkreten Refinanzierungskosten widerspiegelt, ist von der Klägerin bereits nicht hinreichend substantiiert dargetan. Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen und bedarf keiner weiteren Aufklärung. Ob sich die WL-Bank besser oder schlechter als zu dem in dem Schuldscheindarlehen angegebenen Referenzzins refinanzieren konnte und inwiefern sich dies jeweils auf ihre Marge auswirkt, betrifft ihre Risikosphäre und ist für die Klägerin unerheblich, weil hierdurch nicht ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen betroffen sind. Die Klägerin trägt das Risiko eines für sie ungünstigen Geschäftsabschlusses. Dass sie sich im aktuellen Zinsumfeld günstiger hätte finanzieren können als mit dem streitgegenständlichen Darlehen, fällt in ihre Risikosphäre (vgl. Binder/Ettensberger, WM 2015, 2069, 2074).
- 54
Die Zahlung eines „Verwahrungsentgelts“ von der Beklagten an die Klägerin widerspricht ferner den wirtschaftlichen Interessen der Beklagten, da diese unternehmerisch tätig und ihre Kreditvergabe auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist (vgl. Staudinger/Piekenbrock/Rodi (2019) Anh zu §§ 305-310 Rn. F 96, zitiert nach beck-online). Gründe, warum der Beklagten lediglich ihre anfängliche Marge, nicht aber eine Ausweitung ihrer Marge zuzubilligen ist, sind insoweit weder dargetan noch sonst ersichtlich. Dass die Beklagte möglicherweise ihre Marge vergrößert, stellt die Klägerin weder besser noch schlechter, da diese an den Refinanzierungsgeschäften nicht beteiligt ist.
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Soweit in diesem Zusammenhang weiter angeführt wird, dass im Falle einer Festlegung des Referenzzinses auf eine Untergrenze von null Prozent das Äquivalenzinteresse verletzt werden würde, weil die Zinsen nicht in gleicher Weise reduziert, wie sie andererseits erhöht würden, vermag dies auch unter der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 13.04.2010 – XI ZR 197/09, BGHZ 185, 166-178, Rn. 27, zitiert nach juris) zu keiner anderen Bewertung führen. Eine Entscheidung über die Zulässigkeit von Negativzinsen aufgrund von Zinsgleitklauseln in Darlehen ist hierin nicht ergangen. Durch den Eintritt einer negativen Verzinsung aufgrund der Zinsgleitklausel in dem Schuldscheindarlehen fiele der streitgegenständliche Vertrag zudem ersichtlich nicht mehr unter die vereinbarte Vertragsart im Sinne des § 488 Abs. 1 BGB. Dies war vorliegend weder gewollt noch ist dies interessengerecht (s.o.). Allein durch das Absinken des Referenzwertes konnte sich im Jahr 2006 ohne entsprechende Vereinbarung einer Verwahrung weder die Zahlungsrichtung noch der Vertragstypus ändern.
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Auch unter Berücksichtigung möglicher Abschlüsse von Swap-Geschäften kann hieraus mangels Vergleichbarkeit zwischen Swap- und Darlehensgeschäften kein Schluss über die rechtliche Zulässigkeit von negativen Zinsen gezogen werden. Denn ein Swap-Vertrag sieht im Gegensatz zu Darlehensgeschäften gerade Zahlungsverpflichtungen in beide Richtungen vor.
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ee.) Soweit die Klägerin schließlich unter Bezugnahme auf Maßnahmen der Schweizer Nationalbank in den 1950er Jahren sowie auf negative Renditen auf Staatsanleihen seit 1995 in Japan, wo Referenzzinssätze mehrfach zwischen Januar 2002 und Januar 2006 und erneut seit Januar 2010 im Bereich von 0,00 % p.a. vorgelegen hätten, vorträgt, die Beklagte habe sich nicht darauf zurückziehen können, dass sie die Entwicklung negativer Zinsen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht in den Blick habe nehmen können, kann dem nicht gefolgt werden. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Schuldscheindarlehens im September 2006 war das Auftreten von negativen Zinsen in Deutschland weder konkret vorhersehbar noch konnte mit einer solchen Entwicklung zu diesem Zeitpunkt ernsthaft gerechnet werden. Dies trägt auch selbst die Klägerin nicht vor.
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b.) Ob die streitgegenständliche Zinsgleitklausel im Übrigen einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB standhält oder im Jahr 2006 als überraschend bzw. mehrdeutig im Sinne des § 305c BGB anzusehen ist und zu einer unangemessenen Benachteiligung der Beklagten führt, muss nicht entschieden werden. Eine überraschende bzw. mehrdeutige Klausel ginge im Übrigen zulasten der Klägerin.
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c.) Eine ergänzende Vertragsauslegung ist nach alledem nicht angezeigt. Es besteht keine Vertragslücke.
- 60
Nach alledem kann offenbleiben, ob die Beklagte überhaupt die richtige Anspruchsgegnerin ist. Ansprüche der Klägerin auf Zahlung von negativen Zinsen oder auf Verwahrungsentgelt bestehen bereits dem Grunde nach nicht.
2.)
- 61
Mit Wegfall der Hauptforderung entfällt der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen gegenüber der Beklagten. Es kann insoweit dahinstehen, ob der geltend gemachte Zinsanspruch gegen das Zinseszinsverbot gemäß § 289 BGB verstößt.
II.
- 62
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
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Referenzen
- BGB § 307 Inhaltskontrolle 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 289 Zinseszinsverbot 2x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- 4 U 184/18 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 313 Störung der Geschäftsgrundlage 1x
- XI ZR 200/09 1x (nicht zugeordnet)
- XI ZR 211/07 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 307 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- XI ZR 197/09 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 133 Auslegung einer Willenserklärung 1x
- XI ZR 500/11 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 488 Vertragstypische Pflichten beim Darlehensvertrag 13x
- BGB § 305c Überraschende und mehrdeutige Klauseln 1x
- XI ZR 345/19 1x (nicht zugeordnet)
- XI ZR 405/12 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 157 Auslegung von Verträgen 1x
- BGB § 700 Unregelmäßiger Verwahrungsvertrag 2x
- §§ 305 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)