Urteil vom Landgericht Kiel (8. Zivilkammer) - 8 O 254/16

Tenor

Die Beklagte zu 1.) wird verurteilt, an die Klägerin 8.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 13.01.2017 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Gerichtskosten trägt die Klägerin 7/8 und die Beklagte zu 1.) 1/8. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte zu 1.) zu 1/8. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1.) trägt die Klägerin zu 7/8. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2.), 3.) und 4.) trägt die Klägerin. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Zahlung eines Schmerzensgeldes und Feststellung infolge ärztlicher Behandlungsfehler.

2

Die Beklagte zu 1.) ist ein allgemeines Krankenhaus, das über den Status eines akademischen Lehrkrankenhauses der Universitäten H. und K. verfügt. Der Beklagte zu 2.) ist Chefarzt bei der Beklagten zu 1.) und Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin. Der mittlerweile verstorbene Beklagte zu 3.) war im Behandlungszeitraum Oberarzt auf der pädiatrischen Station und die Beklagte zu 4.) leitende Stationsoberärztin.

3

Die Klägerin (geboren am 02.07.2013) befand sich zwischen dem 08.12.2013 und dem 10.12.2013 erstmalig wegen einer obstruktiven Bronchitis in stationärer Behandlung bei der Beklagten zu 1.). Bereits am Tage der ersten Entlassung erfolgte eine Wiederaufnahme der Klägerin wegen Verschleimung des Nasen-Rachenraums und blutigen Erbrechens bis zum 12.12.2013.

4

Am 19.03.2014 flößte der nicht sorgeberechtigte Vater der zu diesem Zeitpunkt frisch von der Muttermilch entwöhnten Klägerin nicht näher bekannte säurehaltige Substanzen und Desinfektionsmittel ein. Die Klägerin begann zu husten, zu würgen und sich zu erbrechen. Sie zog sich durch die Behandlung ihres Vaters Schleimhautläsionen und Nekrosen zu. Ihre Eltern stellten die Klägerin an diesem Tag in den Räumlichkeiten der Beklagten zu 1.) vor, wo sie zwecks stationärer medizinischer Behandlung aufgenommen wurde. Bei der Aufnahme teilten die Eltern der Klägerin dem behandelnden Personal der Beklagten zu 1.) mit, dass die Klägerin nach Sterilium rieche. Sie äußerten den Verdacht, die Klägerin sei mit einer auf dem Wickeltisch stehenden Flasche des Desinfektionsmittels in Berührung gekommen. Eine radiologische Untersuchung ergab eine Bronchitis. Der stationäre Aufenthalt der Klägerin dauerte bis zum 21.03.2014 an. An diesem Tag entließen die Beklagten die Klägerin in gutem Allgemeinzustand mit einer geringen obstruktiven Restsymptomatik.

5

Am 23.03.2014 verbrachten die Eltern der Klägerin diese mit Verätzungen im Mundraum in die Räumlichkeiten der Beklagten zu 1.), wo man diese zusammen mit der betreuenden Mutter erneut stationär aufnahm. Die Klägerin wies im Mundraum ausgeprägte weiße Beläge auf. Die Ärzte stellten ein Gewichtsverlust von 300 g im Verhältnis zur Vorbehandlung am 21.03.2014 fest. Eine am 25.03.2014 durchgeführte Oesophagus-Gastroduodenoskopie lieferte keine auffälligen Befunde. Im Trachealsekret stellte man Mykoplasmen und Bocaviren fest. Ab dem 10.04.2014 trat eine rapide Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin ein, welche sich in dem Erfordernis einer Verlegung auf die Intensivstation mit Intubation und dreitägiger künstlicher Beatmung niederschlug. Die Behandlung der Klägerin dauerte bis zum 16.04.2014 an. An diesem Tag entließen die Beklagten sie bei besserem Allgemeinzustand und respiratorisch suffizienter Situation. Die Läsionen im Mundraum waren zu diesem Zeitpunkt abgeheilt. Der im Laufe der Behandlung herangezogene Kinderdermatologe Dr. O. konnte den Beklagten keine medizinische Ursache für die weißen Nekrosen im Mundraum benennen. Er gab gegenüber den Behandlern an, derartige Schleimhautverletzungen noch nicht gesehen zu haben.

6

Eine erneute stationäre Aufnahme der Klägerin erfolgte am 17.04.2014. Grund der Einlieferung stellte eine Nahrungsverweigerung der Klägerin dar. Der Aufnahmebefund dokumentiert blasses Hautkolorit, einen geröteten Rachen und Gaumenbogen sowie eine Gewichtsabnahme in einer Größenordnung von 575 g (Einlieferungsgewicht 6,14 kg). Man entließ die Klägerin am 20.04.2014 in verbessertem Allgemeinzustand.

7

Am 21.04.2014 erfolgte wiederum eine stationäre Aufnahme der Klägerin bei den Beklagten bis zum 16.05.2014. Die Behandler stellten weiße Beläge im Mundbereich fest. Die Eltern der Klägerin teilten den Behandlern mit, dass sie die Nahrungsaufnahme vollständig verweigere. Für den 23.04.2014 ist dokumentiert, dass die Klägerin sich von ihrem Vater keine Flüssigkeit verabreichen lasse. Eine am 13.05.2014 durchgeführte Magen-Darm-Untersuchung führte ebenso wie eine am 15.05.2014 dokumentierte Bronchoskopie zu keinem die medizinischen Ursachen der Beschwerden erklärenden Ergebnis.

8

Nach ihrer Entlassung am 16.05.2014 stellten die Eltern der Klägerin diese am 17.05.2014 erneut in den Räumen der Beklagten zu 1.) vor. Die Klägerin litt unter Schleimhautverätzungen und teilweiser Ablösung der Schleimhaut im Mund sowie unter Erbrechen. Auch verweigerte sie die Nahrungsaufnahme. Es war ein Gewichtsverlust von 6,95 kg auf 6,55 kg im Vergleich zur letzten Entlassung zu verzeichnen. Im Rahmen einer pH-Metrie stellte man einen Aufstieg des Mageninhaltes bis in den oberen Teil der Speiseröhre fest. Daneben dokumentierte der Beklagte zu 2.) weiße Stellen im Mundraum mit unklarer Ursache.

9

Am 30.05.2014 überwiesen die Beklagten die Klägerin bei gebessertem Allgemeinzustand zur stationären Rehabilitation in das Klinikum H.. Dabei handelt es sich um ein auf Ess- und Schluckbeschwerden spezialisiertes Klinikum. In einem Arztbrief vom 20.05.2014 fassten die Beklagten ihre Diagnosen zusammen. Danach lägen bei der Klägerin Gedeihstörungen bei Schluckstörung, gastroösophagealer Reflux, Aspirationen und Ernährungsschwierigkeiten vor.

10

Bei der Behandlung der Klägerin im Klinikum H. ab dem 01.06.2014 trat zunächst eine Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin ein. Am 05.06.2014 verabreichte der Vater der Klägerin dieser vermittels einer Magensonde zweimal säurehaltige Substanzen. Dieses führte bei der Klägerin zu Erbrechen. Die betreuenden Stationsschwestern führten das Erbrechen auf eine Unverträglichkeit der Sondennahrung für die Klägerin zurück. Sein Vorgehen wiederholte der Vater der Klägerin in der Nacht vom 05. auf den 06.06.2014.

11

Auch am 08.06.2014 verunreinigte der Vater der Klägerin die ihr zugeführte Sondennahrung mit alkohol- und/oder säurehaltigen Flüssigkeiten und führte ihr diese zu. Hierdurch veranlasste er schwallartiges Erbrechen und eine Unfähigkeit der Klägerin, Nahrung oder Getränke bei sich zu behalten.

12

Nach einer Phase der Erholung zwischen dem 09.06.2014 und dem 12.06.2014 kam es am 13. und am 20.07.2014 erneut zu einem Erbrechen bei der Klägerin, nachdem der Vater ihr säure- oder alkoholhaltige Substanzen über die Magensonde zugeführt hatte.

13

Am 21.06.2014 und am 23.06.2014 setzte der Vater der Klägerin sein Vorgehen fort, was neben dem Erbrechen zu einer Schwächung des Allgemeinzustands der Klägerin beitrug.

14

Am 25.6.2014 versetzte der Vater der Klägerin zwei Flaschen Sondennahrung mit einer säurehaltigen Substanz und führte diese mit der Folge des Erbrechens der Klägerin zu.

15

Am 26.06.2014 verabreichte der Vater der Klägerin dieser Babynahrung, die er zuvor mit Säure- und alkoholhaltigen Substanzen versetzt hatte, durch eine PEG-Sonde. Dieses führte zu sofortigem Erbrechen der Klägerin und schmerzhaften Verätzungen im Mundbereich.

16

Am 27.06.2014 führte der Vater der Klägerin dieser wiederum alkoholhaltige Substanzen über die Magensonde zu, worauf die Klägerin sich erbrechen musste und in einen tief komatösen Zustand verfiel. Sie musste für die Dauer von 19 Stunden künstlich beatmet werden. Auch war sie aufgrund ihrer tiefen Bewusstlosigkeit nicht in der Lage, ihre Blase oder ihren Darm selbstständig zu entleeren und hatte Wassereinlagerungen in Gesicht und Körper. Ihre Schleimhäute im Mund- und Rachenbereich waren angeschwollen. Man extubierte die Klägerin am 28.06.2014.

17

Am 29.06.2014 verabreichte der Vater der Klägerin dieser erneut alkoholhaltige Substanzen über die Magensonde, was zu Erbrechen und einer Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes führte. Die Klägerin verfiel in tiefe Bewusstlosigkeit und sah sich einem akut lebensbedrohlichen Zustand ausgesetzt. Eine Blutuntersuchung ergab einen Blutalkoholgehalt von 1,3 Promille. Am gleichen Tag ordnete der behandelnde Chefarzt im Städtischen Klinikum B. an, dass die Kindeseltern künftig nicht mehr unbeaufsichtigt das Krankenzimmer der Klägerin aufsuchen durften. Es erfolgte eine Verständigung der Polizei und des Jugendamtes.

18

Den Vater der Klägerin nahmen die Polizeibehörden auf Grundlage eines Haftbefehls des Amtsgerichts Potsdam am 01.07.2014 zusammen mit der Mutter der Klägerin im Städtischen Klinikum B. vorläufig fest. Die Klägerin kehrte Ende Oktober 2014 in den Haushalt der zwischenzeitlich aus der Untersuchungshaft entlassenen Mutter zurück. Ihren Vater verurteilte das Landgericht Potsdam mit Urteil vom 09.07.2015 (21 Ks 5/14) wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit Misshandlung Schutzbefohlener und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren. Das Urteil ist seit dem 29.01.2016 rechtskräftig.

19

Die Klägerin ist der Ansicht, eine fehlerhafte Befunderhebung sei darin zu erblicken, dass ihr Blut und ihr Erbrochenes nach dem 19.03.2014 durch die Beklagten nicht auf Alkohol untersucht worden sei. Bereits bei den Aufnahmen der Klägerin ab dem 19.03.2014 habe bei den Beklagten der Verdacht einer Fremdschädigung bestehen müssen. Die Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin in Anwesenheit ihres Vaters habe Anlass zu Diagnose eines Münchhausen-by-proxy-Syndroms des Vaters gegeben. Auch habe ihr Gesundheitszustand Anlass für ein umfangreiches konsiliarisches Vorgehen geboten. Am 13.05.2014 sei behandlungsfehlerhaft ein gastroösophagealer Reflux diagnostiziert worden. Der von der Zeugin W. geäußerte Verdacht einer Fremdschädigung sei nicht hinterfragt und den Nachbehandlern behandlungsfehlerhaft nicht mitgeteilt worden.

20

Die Klägerin beantragt,

21

1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 15.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

22

2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche weiteren materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden aufgrund der sorgfaltswidrigen ärztlichen Behandlung vom 8.12.2013 bis 29.6.2014 zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

23

Die Beklagten beantragen,

24

die Klage abzuweisen.

25

Die Beklagten sind der Ansicht, unbekannte weiße Läsionen der Mundschleimhaut rechtfertigten keinen Verdacht auf eine Fremdschädigung. Sie machen geltend, es habe auch nach Ablauf eines Monats kein Anlass bestanden, Sicherungsmaßnahmen zum Schutz der Klägerin zu ergreifen oder weitergehende Untersuchungen im Hinblick auf eine Fremdschädigung zu veranlassen. Die Beklagten seien nach den Leitlinien der Bundesärztekammer nicht verpflichtet, dem Jugendamt oder sonstigen Behörden und Einrichtungen Mitteilung zu einer im Raum stehenden Kindeswohlgefährdung zu machen. Eine Mitteilung dürfe nur erfolgen, wenn ein begründeter Verdacht vorliege. Die Annahme eines Befunderhebungsfehlers würde im Ergebnis dazu führen, eine Rechtspflicht der Behandler zur pausenloser Überwachung zu statuieren. Weiterreichende Kontrollmaßnahme hätten einen tiefen Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte aller beteiligten Personen bedeuten.

26

Das Gericht hat die Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 03.09.2019 persönlich gehört (Bl. 143-144 d. A.). Es hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen kindermedizinischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dr. D.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Protokolls der Sitzung vom 03.09.2019 (Bl. 148-151 d. A.) verwiesen. Darüber hinaus wurde Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeuginnen Anke N. und Sabine W.. Diesbezüglich wird auf das Protokoll der Sitzung vom 03.09.2019 (Bl. 144-145 und Blatt 146-148 d. A.) verwiesen. Die Kammer hat das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 09.07.2015 (Aktenzeichen 21 KS 5/14) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht (Bl. 143 d. A.).

27

Die Zustellung der Klageschrift ist am 12.01.2017 (Bl. 84 d. A.) erfolgt.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Klage ist in Höhe von 8.000,00 € begründet. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Zahlung oder Feststellung der Klägerin gegen die Beklagten besteht nicht.

I.

29

Der Klägerin steht gegen die Beklagte zu 1.) ein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in ausgeurteilter Höhe aus § 253 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 280 Abs. 1, 278, 630b, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 840 BGB sowohl unter dem Gesichtspunkt einer behandlungsvertraglichen Pflichtverletzung als auch deliktisch unter dem Gesichtspunkt einer Körper- und Gesundheitsverletzung zu.

30

Die Kammer geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass ab dem 21.04.2014 ein grober Behandlungsfehler in Gestalt des Befunderhebungsfehlers vorlag, indem die Einholung eines gerichtsmedizinischen Konsils zum Ausschluss einer Kindeswohlgefährdung unterblieb.

1.

31

Ein Befunderhebungsfehler liegt vor, wenn eine erforderliche ärztliche Befunderhebung den ärztlichen Standard unterschreitend nicht erfolgte. Dabei gibt der Standard Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung vorausgesetzt und erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat. Dabei ist davon auszugehen, dass ein Befunderhebungsfehler als grob einzuordnen ist, wenn der Behandelnde eindeutig gegen bewährte medizinische Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen hat und der begangene Fehler aus objektiver fachärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Behandelnden schlechterdings nicht unterlaufen darf.

32

Diese Voraussetzungen sind im Falle der Beklagten ab dem 21.04.2014 erfüllt. Ab diesem Zeitpunkt lag eine erneute Feststellung der weißen Nekrosen auf der Mundschleimhaut, für die es keine medizinische Erklärung gab, zusammen mit dem Verdacht der Zeugin W. auf Vorliegen einer Fremdschädigung der Klägerin vor.

33

Im Gegensatz zur Dokumentation der Beklagten für die Aufnahme der Klägerin am 17.04.2014 (Ersteinschätzungsbogen bei Aufnahme zur Krankengeschichte und Arztbrief an den behandelnden Kinderarzt Dr. R. vom 18.04.2014) finden sich in dem Aufnahmebogen vom 21.04.2014 Hinweise für das Vorliegen der bereits bei der Behandlung nach dem 23.03.2014 medizinisch nicht erklärbaren weißen Hautnekrosen. Bei der Einlieferung am 21.04.2014 ist in dem ärztlichen Ersteinschätzungsbogen dagegen dokumentiert „Am Vortage entlassen, seither erneut keine Nahrungsaufnahme, wieder weiße Stellen im Mund, wimmert als ob sie Schmerzen hat“.

34

Der Sachverständige hat ausgeführt, dass auf Grundlage des vorherigen Ergebnisses der kinderdermatologischen Konsultation des Dr. O. (Behandlung ab dem 23.03.2014) eine grundsätzliche Behandlerpflicht bestand, der medizinischen Ursache der Nekrosen nachzugehen. Dr. O. habe auf den ihm zur Verfügung gestellten Lichtbildern eine Nekrose erblickt, für deren Ursache er keine plausible medizinische Erklärung geben konnte. Bereits dieser Umstand hätte nach Dr. D. bei den Beklagten den Verdacht einer toxischen Schädigung hervorrufen müssen. Dieser Schluss des Sachverständigen überzeugt. Er hat nachvollziehbar begründet, dass andere Ursachen für Schleimhautverletzungen lediglich in einer grundsätzlich möglichen Pilzerkrankung zu suchen wären. Eine Pilzerkrankung wäre wegen ihres schnellen Abklingens im vorliegenden Falle jedoch auszuschließen gewesen. Zwar gelangt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Nichteinholung eines gerichtsmedizinischen Konsils durch die Beklagten bereits nach dem 23.03.2014 keine Standardunterschreitung darstelle. Jedoch sei spätestens mit einer weitere dokumentierten Feststellung (hier am 21.04.2014) von einer grob behandlungsfehlerhaft unterbliebenen weiteren Befunderhebung durch die Beklagten auszugehen. Der Sachverständige hat herausgestellt, dass das Unterbleiben weiterer Befunderhebungsmaßnahmen in Gestalt eines gerichtsmedizinischen Konsils in Zusammenschau mit einem vom Pflegepersonal geäußerten Verdacht auf eine – von welchem Elternteil auch immer – ausgehende Fremdschädigung der Klägerin den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers begründet. Er hat insoweit herausgestellt, dass gerade bei einer Verdachtsäußerung durch die Zeugin W. in Kombination mit dem Ergebnis der Konsultation des Dr. O. ein erneutes Auftreten der Läsion der Mundschleimhaut das Erfordernis einer rechtsmedizinischen Konsultation nach sich gezogen hätte. Die Zeugin W. verfügte als behandelnde Kinderkrankenschwester über den gesamten Behandlungszeitraum hinweg über die nötige Wahrnehmungsfähigkeit zum Gesundheitszustand der Klägerin. Diesbezüglich führte sie zwar aus, dass sich ihr Verdacht auf vorsätzliche Schädigung der Klägerin zunächst gegen die Mutter richtete. Diesen habe sie durch das im Hinblick auf den schlechten Gesundheitszustand der Klägerin sehr ruhiges Verhalten der Mutter entwickelt; sie habe dabei das Gefühl gehabt, dass etwas „nicht passe“. Hierfür habe nach der Zeugin insbesondere auch gesprochen, dass die Klägerin die Annahme von Nahrung durch die Eltern verweigerte, während sie sich zunächst noch durch das Pflegepersonal habe füttern lassen. Diesen von der Zeugin im Sinne eines „Bauchgefühls“ geschilderten Verdacht habe sie längere Zeit gehabt und gegenüber anderen Krankenschwestern geäußert sowie gegen Ende der Behandlung der Klägerin auch gegenüber den behandelnden Ärzten, namentlich dem Oberarzt Dr. B., kundgetan. Die Angaben der Zeugin W. finden sich bestätigt in den Feststellungen des Landgerichts Potsdam. Auf Seite 18 des Urteils vom 09.07.2015 heißt es zu dem Tatkomplex um den 23.03.2014: „Sowohl des Klinikpersonal des Krankenhauses als auch Nadja G. und deren Eltern fiel im Laufe der Zeit auf, dass es Emelie häufig am Vormittag gut ging und sich ihr Zustand nachmittags, wenn der Angeklagte zu Besuch kam, verschlechterte. Den Krankenschwestern fiel dabei auch auf, dass Emelie anfangs morgens noch trank, während sie nachmittags, wenn der Angeklagte zugegen war, keine Nahrung mehr zu sich nahm.“

35

Der Verdacht eines Fremdschädigung der Zeugin W. ist der Beklagten zu 1.) dabei unabhängig von der Frage, wann genau sie ihn kundgetan hat, zuzurechnen. Diese Zurechnung ist vorliegend insbesondere geboten, da es in den organisatorischen Verantwortungsbereich einer auf Kindermedizin spezialisierten Station gehört, auch und gerade für den pflegerischen Bereich geeignete organisatorische Mechanismen zu schaffen oder Ansprechpartner zu benennen, um einen konkret bestehenden Verdacht (hier: Münchhausen-by-proxy-Syndrom) und die auf Grundlage dieses Verdachts ergriffenen weiteren Befunderhebungsmaßnahmen zu dokumentieren. Dieses gilt umsomehr für eine Station, auf der ca. 20 Pflegekräfte in abwechselnden Schichten beschäftigt sind.

36

Der Annahme eines Befunderhebungsfehlers statuiert entgegen dem Beklagtenvorbringen keine Rechtspflicht zur ununterbrochenen Überwachung der Klägerin oder ihrer Eltern oder gar einer weiterreichenden Diagnostik im Hinblick auf eine in Rede stehendes Münchhause-by-proxi-Syndrom des Kindesvaters. Anknüpfungspunkt sind die tatsächlichen Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Schädigung der Klägerin durch ihren Vater, die die Beklagten im vorliegenden Fall hätte erkennen können und müssen. Für den Fall des Vorliegens eines Verdachts einer Kindeswohlgefährdung trifft die Angehörigen der Heilbehandlungsberufe in einem weiteren Schritt das pflichtgemäße Ermessen, Träger der Jugendhilfe über eine potentiell drohende Gefährdung zu informieren. Dieses Ermessen kann - wie im vorliegenden Falle - durch allgemeine strafrechtliche Erwägungen nach dem Rechtsgedanken des § 138 StGB dahingehend intendiert sein, auf Grundlage beispielsweise des § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Information im Kindesschutz intern über eine Kindeswohlgefährdung zu beraten und Informationen zu einer verwirklichten und möglicherweise drohender weiterer Kindeswohlgefährdungen an geeignete Stellen zu übermitteln. Dieses gilt im Falle der Klägerin umso mehr als dass die medizinisch unerklärlichen Schädigungen nach den rechtskräftigen Feststellungen des Landgerichts Potsdam in Intensität und Häufigkeit zunahmen. Daneben verkennt die Beklagte zu 1.), dass Anknüpfungspunkt ihrer Haftung nicht etwa eine nicht erfolgte Mitteilungen des Wahrgenommenen oder Wahrnehmbaren an die Polizeibehörden oder des Jugendamtes darstellen. Vorwerfbar ist der Beklagten zu 1.) nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vielmehr, dass eine weitere Befunderhebung trotz der Verdachtsmomente, die sich in der Kombination des objektiv ungeklärten Nekrosenbefundes der Mundschleimhaut der Klägerin einerseits, und dem subjektiven Verdacht auf eine vorsätzliche Gesundheitsschädigung der Zeugin W. andererseits parallel bestanden, ohne dass bei der Beklagten zu 1.) geeignete Mechanismen vorlagen, die eine Zusammenführung dieser Anhaltspunkte gewährleisteten. Die Haftung der Beklagten knüpft damit zunächst weniger an strafrechtliche oder berufsrechtliche Pflicht zum Handeln an, sondern an die aus dem Behandlungsvertrag folgende Pflicht, zeitnah alle relevanten Befunde im Hinblick auf die Ursachen eines Krankheitsbildes zu erheben. Ob die Zeugin W. daneben ein individueller Unterlassungsvorwurf trifft, hatte die Kammer nicht zu entscheiden.

2.

37

Die weiteren Schädigungen der Klägerin durch ihren Vater sind kausal auf das grobe Befunderhebungsversäumnis der Beklagten zurückzuführen. Die weiteren Schädigungen der Gesundheit und des körperlichen Wohlbefindens der Klägerin am 07.05.2014, 05./06.06.2014, 08.06.2014, 13.06.2014, 20.06.2014, 21.-23.06.2014 und 26.06.2014 sind dabei auch über den 30.05.2014 (Verlegungung in das Klinikum H.) hinaus auf das Versäumnis der Beklagten zurückzuführen. Hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität greift daher die vom Bundesgerichtshof entwickelte Beweislastumkehr bei einem groben Behandlungsfehler. Die sich aus § 287 ZPO ergebenden Anforderungen für das haftungsausfüllende Kausalitätserfordernis liegen vor. Danach genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der etwaigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie jedoch völlig auszuschließen. So liegt der Fall hier. Der Sachverständige Dr. D. hat in seinem mündlichen Gutachten bekundet, die gebotene Einholung eines rechtsmedizinischen Konsils durch an der bisherigen Behandlung unbeteiligter Ärzte wäre geeignet gewesen, eine Intoxikation durch die Eltern zu belegen und es wäre auch nicht äußerst unwahrscheinlich gewesen, dass dieser Nachweis gelungen wäre (Bl. 151 d. A.). Nach dieser Einschätzung des Sachverständigen geht die Kammer davon aus, dass das Unterbleiben dieses Konsils den Vater der Klägerin bis zu dessen vorläufiger Festnahme - auch über den Behandlungszeitraum im Hause der Beklagten hinaus - in die Lage versetzte, die Schädigungshandlungen durch Verabreichung säure- und alkoholhaltiger Substanzen vorzunehmen. Vor dem Hintergrund der eingetretenen Beweislastumkehr ist es an der Beklagten zu 1.), nach den Maßstäben des Strengbeweises zu beweisen, dass die weiteren Misshandlungen der Klägerin durch ihren Vater auch bei Erfüllung sämtlicher Befundungspflichten eingetreten wären. Hierfür hat sie keine hinreichenden Beweis angeboten.

3.

38

Der Beklagten zu 1.) sind die mit den Schädigungshandlungen des Vaters der Klägerin verbundene Folgen auch objektiv zuzurechnen. Durch die nicht erfolgte Befunderhebung war die tatsächliche Möglichkeit für den Vater der Klägerin eröffnet, sie bis zu seiner vorläufigen Festnahme weiter an der Gesundheit zu schädigen und ihr Leben zu gefährden. Die Verantwortlichkeit der Beklagten ist auch nicht mit der Beendigung der Behandlung der Klägerin im Hause der Beklagten zu 1.) am 29./30.5.2014 unterbrochen.

39

Anerkannt ist, dass sich weder allein dadurch dass sich der Patient in die Hände eines die weitere Behandlung vollständig übernehmenden Arztes begeben hat, noch dadurch, dass auch diesem Arzt eigene Behandlungsfehler unterlaufen, die Zurechnung unterbrochen wird (vgl. nur BGH, NJW 2012, 2024). Von einer Unterbrechung der Zurechnung ist lediglich in zwei Fällen auszugehen. Zum einen, wenn das Erstrisiko bei Weiterbehandlung durch den nachbehandelnden Arzt bereits abgeklungen ist, sich der erste Behandlungsfehler auf den weiteren Kausalverlauf auch nicht mehr ausgewirkt hat, und es deshalb an einem inneren Zusammenhang fehlt (OLG Saarbrücken, MedR 2000, 326). Zu anderen kommt ein Unterbrechen des Kausalzusammenhangs in Betracht, wenn ein Versagen des nachbehandelnden Arztes in außergewöhnlich hohem Maße festgestellt werden kann, der durch den erstbehandelnden Arzt an sich bereits angelegte Schaden also erst durch ein völlig ungewöhnliches und völlig unsachgemäßes Verhalten des weiteren Arztes (mit dem wegen seiner Ungewöhnlichkeit unter normalen Umständen nicht zu rechnen war), entscheidend ausgelöst wird. Erforderlich ist also, dass der die Zweitschädigung herbeiführende Arzt in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln verstoßen haben muss, dass der Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-wertend allein zugeordnet werden muss (BGH, NJW 2012, 2024, BGH, VersR 2003, 1128, zitiert nach OLG Koblenz, Beschluss vom 25. September 2017 – 5 U 427/17 –, Rn. 23, juris m. w. N.).

40

Keine dieser Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die Beklagten haben keine Pflichtverletzung der nachbehandelnden Klinik H. dargetan, die eine Unterbrechung des Zurechnungzusammenhangs anzunehmen geeignet wäre. Dieses würde im Ergebnis erfordern, dass sich den Nachbehandlern eine rechtmedizinische Konsil-Untersuchung der Klägerin geradezu aufdrängen musste. Davon ist vorliegend aufgrund der Dokumentation der Beklagten gerade nicht auszugehen. Dieses gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Formulierung des Entlassungsbriefes der Beklagten zu 1.) vom 20.05.2014. Dieser Enthält die Diagnosen Gedeihstörung bei Schluckstörung, Gastroösophagealer Reflux, Aspirationen und Ernährungsschwierigkeiten. In der Anamnese heißt es weiter „[...] Eine Bronchoskopie mit anschließender zytologischer Untersuchung der Lavageflüssigkeit zeigte eine chronisch bronchiale Entzündung, sodass wir als Ursache der Symptomatik einen gastroösophagealen Reflux mit chronisch rezidivierenden pulmonalen Infekten nach Mikroaspiration sowie eine Schluckstörung sehen.[...]“. Demgegenüber unbenannt bleiben die wiederkehrenden und auch nach der Konsultation des Dr. O. unerklärt gebliebenen Nekrosen der Mundschleimhaut sowie der bereits bestehende Verdacht der Zeugin W. auf eine Schädigung durch einen Elternteil. Zumindest der letztbenannte Umstand wäre nach den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen jedoch in dem Entlassungsbrief zu dokumentieren gewesen. Den Nachbehandlern lagen in der Konsequenz weder die maßgeblichen objektiv unerklärlichen Befunde noch die subjektive Einschätzung des Klinikpersonals zu der elternindizierten Schädigung der Klägerin vor. Der Zurechnungszusammenhang ist auch nicht durch das Telefonat des Beklagten zu 3.) auf Drängen der Zeugin W. unterbrochen. Die Kammer geht vor dem Hintergrund des statuierten Dokumententationserfordernisses des Verdachts einer Kindeswohlgefährdung nicht davon aus, dass eine fernmündliche Mitteilung geeignet ist, dieses zu ersetzen. Dem steht vor allem der die Annahme von Dokumentationspflichten rechtfertigende Zweck einer verlässlichen Therapiesicherung im Sinne des Patienten entgegen. Dieses muss umsomehr im Falle von Entlassungsbriefen gelten. Daneben war im Falle der Klägerin zu berücksichtigen, dass den Nachbehandlern aufgrund der mittlerweile erfolgten Sondierung der Klägerin die unerklärt gebliebenen Nekrosen der Mundschleimhaut nicht eingetreten oder aufgefallen sind. Dass den Nachbehandlern zunächst die bereits im Hause der Beklagten erkannten und erkennbaren Anhaltspunkte für eine Fremdschädigung nicht bekannt waren, machen auch die in dem Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 22.02.2018 zitierten Aussagen aus dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren deutlich. Nicht mehr aufklärbar ist, welche Informationen dem Personal der Klinik H. durch das Personal der Beklagten überhaupt weitergegeben worden sind. Im Zweifel muss daher davon ausgegangen werden, dass der Klinik H. wesentliche Sachverhalte, die geeignet waren, den Verdacht einer Kindesmisshandlung zu begründen, nicht mitgeteilt worden sind.

4.

41

Die Kammer erachtet die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 8.000,00 € für angemessen. Nach § 253 Abs. 2 BGB kann, wenn wegen einer zurechenbaren Verletzung unter anderem des Körpers Schadensersatz zu leisten, auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden. Für die Höhe dieses Schmerzensgeldes bilden in erster Linie Größe, Heftigkeit und die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentliche Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung (Ausgleichsfunktion). Hierbei sind Dauerschäden, psychische Beeinträchtigungen, soziale Belastungen sowie das Alter des Verletzten zu berücksichtigen. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet. Im Bereich ärztlichen Handelns hat allerdings die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes grundsätzlich nur nachrangige Bedeutung (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28. Februar 2003 – 4 U 10/01 –, Rn. 20 m.w.N., juris).

42

Das ausgeurteilte Schmerzensgeld findet sich der Höhe nach im Rahmen der von der Rechtsprechung anerkannten Beträge. So hat das Landgericht Freiburg mit Urteil vom 09.10.2006 ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 EUR bei intraoperativen Verätzungen durch Desinfektionsmittel zuerkannten (LG Freiburg, Urt. v. 09.06.2006, 6 O 489/04, VersR 2007, 654). Das OLG Köln hat bei dem versehentlichen, aber ohne weiteres vermeidbaren Spülen einer offenen Wunde mit einem zum Reinigen von Böden und Möbeln vorgesehenen Flächendesinfektionsmittel einen Betrag in Höhe von 6.000,00 EUR zuerkannt (OLG Köln, Urt. v. 27.06.2012, 5 U 38/10, MDR 2012, 1463). Das Landgericht Bochum hat für die Verätzung nicht unwesentliche Hautareale mit stationärer Behandlung über einen Zeitraum von fünf Tagen und erhebliche Schmerzen einen Betrag in Höhe von 7.500,00 EUR zuerkannt (LG Bochum, Urteil vom 07. Dezember 2011 – 6 O 284/10 –, Rn. 36, juris).

43

Vorliegend hat sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ausgewirkt, dass die Klägerin über die Dauer von etwas über zwei Monaten (Ende April bis Ende Juni 2014) eine stets wiederkehrenden und in gesteigertem Maße lebensbedrohlichen Behandlung durch ihren Vater ausgesetzt war, die im Zeitraum der Einwirkung auf ihre Gesundheit ein erhebliches Schmerzempfinden verursacht haben muss. Darüber hinaus hat sie durch die streitgegenständlichen Behandlung nach Anhörung ihrer sorgeberechtigten Mutter keine bleibenden Schäden erlitten und besucht nunmehr mit gleichaltrigen Kindern unbeschwert den Kindergarten. Weiter hat sich die Kammer bei der Bemessung des Schmerzensgeldes von der Erwägung leiten lassen, dass die primäre Schädigung nach den rechtskräftigen Feststellungen des Landgerichts Potsdam durch eine aktive und vorsätzliche Schädigung ihres nicht sorgeberechtigten Vaters verursacht wurden. Zwar folgt aus diesem Umstand nicht etwa eine anspruchsmindernde Zurechnung von Verschuldensbeiträgen; jedoch kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Schädigungen gerade von einer Person ausgingen, bei der man eine besondere Nähe zu der Klägerin annehmen musste und der die sorgeberechtigte Mutter ganz selbstverständlich und arglos Zugang zu dem Kind gewährte und dessen Mitversorgung durch den Kindesvater duldete. Bei der Bemessung des Geldausgleichs ist schließlich zu berücksichtigen, dass der Beklagten zu 1.) neben der Primärschädigung nur der Vorwurf (fahrlässigen) Unterlassens zur Last fällt.

44

Die Klage unterliegt hinsichtlich der Beklagten zu 2.) - 4.) der Abweisung. Im Rahmen des Behandlungsgeschehens vermochte die Kammer nach dem Vortrag der Klägerin keine Anknüpfungspunkte für eine individuelle Haftung der Beklagten zu 2.)- 4.) zu erkennen. Weder die Behandlungsdokumentation der Beklagten noch die Entscheidungsgründe des beigezogenen Strafkammer geben Anlass zu der Annahme, die unterbliebene Befunderhebung sei einer den Beklagten zu 2.)-4.) zuzurechnen. Es handelte sich nach den Vorausführungen vielmehr um ein organisatorisches Versagen der Beklagten zu 1.).

3.

45

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

II.

46

Die zulässige Klage ist hinsichtlich des mit dem Antrag zu 2.) verfolgten Feststellungsbegehren nicht begründet. Von der Begründetheit der Feststellungsklage ist auszugehen, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs vorliegen, also insbesondere ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu den für die Zukunft befürchteten Schäden führen kann. Zwar liegen im Fall der Klägerin, was sich aus der teilweisen Begründetheit der Klage hinsichtlich des Antrags zu 1.) ergibt, die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzes vor; einen weitergehenden zurechenbaren und kausalen Schadenseintritt hält die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch für ausgeschlossen. So hat die Mutter der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung selbst angegeben, der Klägerin gehe es zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung gut. Sie gehe in den Kindergarten und habe keinerlei Beschwerden. Diese Schilderung des Zustands der Klägerin decken sich mit den Feststellungen des Sachverständigen, der ausführte, körperliche Langzeitschäden stünden zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu erwarten. Diese Bewertung hat er nachvollziehbar auf die bei der Klägerin erhobenen medizinischen Befunde zurückgeführt. So wies eine am 23.05.2014 bei der Klägerin durchgeführte Endoskopie weder makroskopische noch histologische Auffälligkeiten des Magen-Darm-Traktes auf. Der Sachverständige vermochte auch keine möglichen psychologischen Beeinträchtigungen der Klägerin im Erwachsenenalter zu erblicken, bei denen sich das Versäumnis der Beklagten kausal auswirkt. Dieses Ergebnis ist für die Kammer nachvollziehbar vor dem Hintergrund des Rehabilitationsberichts des Klinikums H. (Anlage B 20), nach dem ab der Entlassung aus der elfwöchigen Rehabilitationsbehandlung am 14.8.2014 keine weitere Medikation erforderlich oder weitere therapeutische Maßnahmen als angezeigt erachtet wurden. Die behandelnden Ärzte empfahlen lediglich engmaschigere Entwicklungskontrollen durch den Kinderarzt.

III.

47

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen hinsichtlich der Kosten aus § 92 Abs. 1 S. 1, 2. Fall, § 100 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit den Grundsätzen der Baumbach'schen Formel und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 709, 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen