Teilurteil vom Landgericht Münster - 011 O 316/14
Tenor
Das beklagte M wird verurteilt, den Klägern Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Höhe es seit dem 10.04.1984 Nutzungen aus dem Nachlass des am XXXX verstorbenen A gezogen hat.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien streiten um Zinsansprüche im Zusammenhang mit der Herausgabe eines vom beklagten M vereinnahmten Nachlasses.
3Die Kläger sind Rechtsnachfolger des am XXXX verstorbenen A. Das beklagte M hat im Jahr 1984 aus dem Nachlass des Erblassers aufgrund eines gerichtlich festgestellten Fiskalerbrechts einen Betrag in Höhe von 71.848,63 € erlangt. Mit Beschluss vom 19.03.2014 wurde dieses Erbrecht aufgehoben. Nach Abzug von Kosten kehrte das M an die Kläger einen Betrag in Höhe von 71.513,53 € aus. Ein Anspruch auf Auszahlung von Früchten und Nutzungen lehnte das beklagte M ab.
4Die Kläger beanstanden die Kürzung um 335,10 € nicht, vertreten aber die Auffassung, ihnen stehe ein Herausgabeanspruch bezüglich gezogener Nutzungen gemäß § 2021 i.V.m. §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 1 BGB zu. Das M habe insbesondere auch die durch Tilgung einer verzinslichen Schuld etwaig ersparten Schuldzinsen herauszugeben. Zur Begründung ihrer Rechtsauffassung berufen sich die Kläger vor allem auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24.05.2012 (NJW-RR 2012, 1511) sowie auf Entscheidungen des Landgerichts Potsdam (NVwZ-RR 2008, 513), des Bayerischen Obersten Landesgerichts (NJW 1999, 1194) und des Oberlandesgerichts Köln (JurBüro 2001, 312). Zur Vorbereitung einer bezifferten Zahlungsklage begehren die Kläger zunächst Auskunft hinsichtlich der gezogenen Nutzungen.
5Die Kläger beantragen, den Beklagten zu verurteilen,
61. ihnen Auskunft zu erteilen, welche und in welcher Höhe er Früchte und Nutzungen seit dem 10.04.1984 aus dem Nachlass des A,
7verstorben am XXXX, gezogen hat;
82. an sie die nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden seit dem 10.04.1984 gezogenen Früchte und Nutzungen nebst Zinsen in
9Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit herauszugeben.
10Das beklagte M beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Das beklagte Land behauptet, die im Jahr 1984 vereinnahmten Mittel seien in den allgemeinen Haushalt geflossen; weitere Angaben zur Verwendung der Einnahmen seien heute nicht mehr möglich.
13Unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 03.02.2004 (NJW 2004, 1315) ist es u.a. der Ansicht, zivilrechtliche Bereicherungsansprüche gegen eine Behörde bzw. staatliche Körperschaft seien grundsätzlich nicht zu verzinsen. Die von den Klägern zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2012 sei nicht einschlägig, da sie einen insolvenzrechtlichen Sonderfall betreffe. Auch aus dem Grund, dass demnach ein Herausgabeanspruch schon nicht bestehe, komme ein Auskunftsanspruch nicht in Betracht.
14Schließlich erhebt das M die Einrede der Verjährung.
15Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze verwiesen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die erhobene Stufenklage ist gemäß § 254 ZPO zulässig und in der ersten Stufe begründet.
18I.
19Den Klägern steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch gemäß § 2027 Abs. 1 BGB zu. Nach dieser Vorschrift ist der Erbschaftsbesitzer verpflichtet, dem Erben über den Bestand der Erbschaft und über den Verbleib der Erbschaftsbestände Auskunft zu erteilen. Inhaltlich umfasst die Auskunftspflicht nicht nur eine Aufstellung des Aktivbestands des Nachlasses einschließlich der Surrogate und Früchte, sondern auch eine Auskunft über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände (vgl. nur MünchKomm/Helms, BGB, 6. Aufl. 2013, § 2027, Rn. 6 f.).
20Das beklagte M ist Erbschaftsbesitzer im Sinne von § 2018 BGB. Soweit die Kläger vom M Auskunft verlangen über gezogene Nutzungen, ist dieses Begehren von § 2027 Abs. 1 BGB somit erfasst, unabhängig von der Frage, ob etwaig aus dem Einsatz des vereinnahmten Nachlasses gezogene Nutzungen verbraucht sind.
21II.
22Der Auskunftsanspruch ist noch nicht erfüllt. Das beklagte M hat lediglich – bestritten vorgetragen – der vereinnahmte Nachlass sei in den allgemeinen Haushalt geflossen, weitere Angaben zur Verwendung der Einnahmen seien heute nicht mehr möglich. Ob und ggf. in welcher Höhe seit dem 10.04.1984 Nutzungen aus dem Nachlass des am XXXX verstorben A gezogen worden sind, hat das M damit bislang nicht konkret mitgeteilt. Dem Vorbringen des Mes kann zwar entnommen werden, dass der Nachlass nicht gewinnbringend angelegt worden ist und insofern keine Nutzungen gezogen worden sind. Der Begriff der Nutzungen, bezüglich derer das M auskunftspflichtig ist, erschöpft sich aber nicht in solchen tatsächlich erwirtschafteten Zinsen. Vielmehr erzielt auch derjenige Nutzungen, der mit erhaltenem Geld verzinsliche Verbindlichkeiten tilgt, wobei diese Nutzungen dann darin bestehen, dass der Empfänger durch die Schuldtilgung Zinsen erspart (MünchKomm/Helms, a.a.O., Rn. 15 m.w.Nachw.). Gelingt es dem Empfänger mit Hilfe des erlangten Geldes, eine ansonsten erforderliche Aufnahme eines verzinslichen Kredits zu vermeiden, hat der Empfänger ebenfalls Nutzungen gezogen und zwar in Höhe jener Zinsen, die für den Kredit zu zahlen gewesen wären (MünchKomm/Helms, a.a.O., Rn. 15 m.w.Nachw.). Insoweit ist das M den Klägern aber bislang insbesondere eine Auskunft darüber schuldig geblieben, ob die Einnahme von 71.848,63 € eine Kreditaufnahme in dieser Höhe entbehrlich gemacht hat, ggf. zu welchen konkreten Konditionen. Insoweit besteht jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast des beklagten Mes (vgl. BGH NJW-RR 2012, 1511, 1513, Rn. 17).
23III.
24Dem Auskunftsanspruch steht ferner nicht unter dem Gesichtspunkt von § 242 BGB entgegen, dass der Herausgabeanspruch, dessen Bezifferung der Auskunftsanspruch letztlich dient, in keinem Fall besteht. Die gerichtliche Durchsetzung eines Auskunftsbegehrens könnte zwar rechtsmissbräuchlich sein, wenn nach der Erteilung der Auskunft auf der zweiten Stufe Ansprüche schlechthin nicht in Betracht kommen. Hier haben die Kläger gegen das beklagte M aber grundsätzlich einen Anspruch auf Herausgabe der aus der Erbschaft gezogenen Nutzungen gemäß §§ 2020, 100 BGB. Wenn eine Herausgabe dieser Nutzungen, wie hier, nicht möglich ist, wandelt sich der Herausgabeanspruch über § 2021 BGB in einen Anspruch auf Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB.
25Sollten die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2004 (BGH NJW 2004, 1315, 1317 und bezüglich der maßgebenden Passage gleichlautendes Urteil v. 30.03.2004, Az.: XI ZR 145/03, Rn. 32, juris) dahingehend zu verstehen sein, dass im Falle zivilrechtlicher Herausgabeansprüche gegen den Fiskus Zinsansprüche schlechthin ausgeschlossen sind, überzeugt diese Rechtsprechung nicht.
26In den genannten Urteilen wird die Versagung eines Zinsanspruchs unter Berufung auf eine ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein damit begründet, dass der Staat öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Regel nicht gewinnbringend anlegt, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfügt (s.o.). Diese Argumentation greift insoweit nicht, als der Begriff der Nutzungen gemäß § 100 BGB nicht nur tatsächlich erzielte Zinserträge, sondern auch Zinsersparnisse erfasst (siehe dazu schon oben und grundsätzlich BGH NJW 1998, 2354, 2355). Es ist aber davon auszugehen, dass das gerichtsbekannt verschuldete beklagte M durch im Ergebnis rechtsgrundlos vereinnahmtes Geld in der Regel auf eine geringere Kreditaufnahme angewiesen ist und dadurch Zinsen erspart. Soweit diese Ersparnis reicht, ist nicht nachvollziehbar und dogmatisch – soweit ersichtlich – auch nicht begründbar, warum der Staat privilegiert und von der Verpflichtung zum Nutzungsersatz befreit werden sollte (wie hier: MünchKomm/Helms, a.a.O., Rn. 8a; LG Potsdam, NJW 2008, 513; Schön, NJW 1993, 3289, 3292; BayObLG NJW 1999, 1194, 1195; OLG Köln, Beschluss vom 22.12.2000, Az.: 2 Wx 32/00, Rn. 17 ff., juris).
27Der Bundesgerichtshof hat auch bereits in seinem Urteil vom 24.05.2012 festgestellt, dass als gezogene Nutzungen vom Fiskus nicht nur Zinserträge von Einnahmeüberschüssen herauszugeben sind, sondern ebenso ersparte Zinsen für Kassenverstärkungskredite oder andere staatliche Refinanzierungsinstrumente, die infolge des Eingangs von zu erstattenden Zahlungen zurückgeführt oder vermieden worden sind (NJW-RR 2012, 1511, 1512 Rn. 9 ff.). Dabei hat der IX. Zivilsenat zwar darauf hingewiesen, dass insoweit keine Abweichung von der oben genannten Rechtsprechung des XI. Zivilsenats aus dem Jahr 2004 bestehe, mit der Begründung, es handele sich um einen anderweitigen (insolvenzrechtlichen) Regelungszusammenhang, auf welche das mögliche Rechtsverständnis von einer Privilegierung des Staates bei gegen ihn gerichteten Ansprüchen gemäß § 818 Abs. 1 BGB nicht übertragen werden könne (NJW-RR 2012, 1511, 1512). Allerdings hat der IX. Zivilsenat im Rahmen der weiteren Ausführungen die Verzinsungspflicht dann nicht in erster Linie mit dem konkreten Inhalt der in § 143 Abs. 1 S. 2 InsO bestimmten Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 819 Abs. 1, 818 IV BGB, sondern damit begründet, dass eine anfechtungsrechtliche Besserstellung des Fiskus wegen des Interesses der Allgemeinheit am Einsatz der Steuereinkünfte für öffentliche Staatszwecke in der Insolvenzordnung nicht mehr vorgesehen ist und auch kein rechtlicher Anhalt dafür besteht, dass der Wille des Gesetzgebers zu Gunsten des Fiskus in eine andere Richtung gegangen sein könnte (NJW-RR 2012, 1511, 1512 Rn. 15).
28Den erbrechtlichen Vorschriften im Sinne von §§ 2018 ff. BGB lässt sich hier indes ebenfalls keine Besserstellung des Fiskus entnehmen. Auch ist nicht ersichtlich, dass das Interesse der Allgemeinheit am Einsatz der aufgrund eines Fiskalerbrechts vereinnahmten Vermögen für Staatszwecke eine solche Privilegierung in Gestalt einer einschränkenden Auslegung der §§ 2020, 2021 BGB gerade im Hinblick auf Zinsen aus Nachlassvermögen verlangt.
29Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass das beklagte M hinsichtlich ersparter oder erzielter Zinsen auch der bereicherte Schuldner ist. Ersparte Zinsen mögen im Ergebnis der Allgemeinheit zu Gute kommen. Dies ändert aber nichts daran, dass das M als Körperschaft des öffentlichen Rechts und Haushaltsträger etwaige Zinsersparnisse zunächst einmal verbucht hat.
30IV.
31Der Auskunftsanspruch ist durchsetzbar. Die vom beklagten erhobene Einrede der Verjährung greift nicht durch. Die Verjährungsfrist für den Anspruch nach § 2027 BGB, wie auch für die Ansprüche gemäß §§ 2018, 2020, 2021 BGB, beträgt gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB 30 Jahre (vgl. nur: Palandt/Weidlich, BGB, 74. Aufl. 2015, § 2027, Rn. 5; Palandt/Ellenberger, a.a.O., § 197, Rn. 5). Diese Verjährungsfrist beginnt nach § 200 S. 1 BGB mit der Entstehung des Anspruchs, d.h. hier mit der Vereinnahmung des Nachlasses aufgrund des mit Beschluss vom 12.03.1984 festgestellten Fiskalerbrechts. Die Verjährungsfrist wäre demnach grundsätzlich frühestens mit Ende des 12.03.2014 abgelaufen. Das beklagte M hat indes mit Erklärung vom 21.02.2014 bis zum 30.10.2014 befristet auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung verzichtet, so dass bis zum diesem Zeitpunkt keine Verjährung eintreten konnte. Noch vor Ablauf dieser Frist ist die Verjährung durch die am 28.10.2014 eingereichte Klage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.
32V.
33Die Kostenentscheidung war der Schlussentscheidung vorzubehalten.
34Unterschrift |
||
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.