Urteil vom Landgericht Münster - 111 O 6/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 25 Prozent vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die am XXX geborene Klägerin begehrt Schadensersatz und die Feststellung der weiteren Ersatzpflicht im Zusammenhang mit einer geplanten Cataract-Operation am rechten Auge. Die Beklagten zu 2) und 3) sind geschäftsführende Gesellschafter der Beklagten zu 1). Der Beklagte zu 4) hat den streitgegenständlichen Eingriff durchgeführt.
3Die Klägerin befand sich schon seit Oktober 2001 in laufender Behandlung bei der Beklagten zu 1). Im Juli 2011 und im Februar 2012 wurde ihr zu einer Cataract-Operation am rechten Auge geraten. Es wurde ein Termin für den 14.03.2012 vereinbart. Den Beklagten war ein Hypertonus bekannt. Die Klägerin nahm grundsätzlich ASS ein, pausierte hiermit aber seit zehn Tagen vor dem geplanten Eingriff.
4Am 14.03.2012 erschien die Klägerin absprachegemäß bei den Beklagten. Es erfolgte gegen 16:15 Uhr zunächst eine peribulbäre Injektion (Anästhesie) ohne Komplikationen bei einem Blutdruck von 140/70. Im Anschluss kam es zu einem kurzfristigen Blutdruckanstieg mit systolischen Werten bis 210 mmHg und zu dem Auftreten eines Retrobulbärhämatoms. Nach etwa zehn Minuten lag der Blutdruck wieder bei 140 mmHG. Der Beklagte zu 4) stellte bei einer Untersuchung das genannte Hämatom mit Unterblutung von Bindehaut und Lidern fest. Funduskopisch zeigte sich die Durchblutung von Papille und Netzhaut intakt. Aufgrund des Hämatoms wurde die Operation abgebrochen. Der Beklagte zu 4) legte einen Verband mit Floxal-Augensalbe an und vereinbarte eine Wiedervorstellung für den nächsten Tag. Die Klägerin wurde um 17:30 Uhr entlassen.
5Bei einer am 15.03.2012 erfolgten Nachuntersuchung wurde um 12:00 Uhr festgestellt, dass am rechten Auge keine Lichtscheinwahrnehmung bei afferenter Pupillenstörung bestand. Funduskopisch war die Papille vital und durchblutet. Retinale Blutungen zeigten sich nicht, auch bestanden keine venöse Stauung und Ischämiezeichen. Es wurde eine Verlegung in die HNO-Klinik der Universität F veranlasst, wo eine Notoperation vorgenommen wurde. Der Eingriff bestand in einer transethmoidalen Dekompression der Orbita mit Eröffnung der Periorbita und einer intraorbitalen Druckentlastung. Trotz der vorgenannten Operation verbesserte sich die Funktion des rechten Auges nicht. Die Klägerin wurde am 20.03.2012 aus der stationären Behandlung der HNO-Klinik entlassen. Es schloss sich eine stationäre Behandlung bis zum 28.03.2012 im Krankenhaus N in T an. Es liegt eine irreversible vollständige Erblindung auf dem rechten Auge vor.
6Die Klägerin behauptet unter Berufung auf augenärztliche Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung X vom 13.03.2013 (Bl. 39 ff. d.A.) und vom 29.07.2013 (Bl. 57 ff. d.A.), dass die Erblindung auf eine unzureichende Versorgung des bei der Operation aufgetretenen Retrobulbärhämatoms zurückzuführen sei. Eine Nachbeobachtungszeit von einer Stunde sei zu kurz gewesen. Die Beklagten hätten fehlerhaft ein engmaschiges Monitoring unterlassen, was zur Abklärung des Stillstands und der Art der Blutung – venös oder arteriell – erforderlich gewesen sei. Fehlerhaft sei eine Augeninnendruckmessung unterlassen worden. Wenn die gebotenen Kontrollen durchgeführt worden wären, wäre früher die Orbitadekompression durchgeführt und die irreversible Schädigung des Auges vermieden worden.
7Hinsichtlich der Folgen behauptet die Klägerin: Seit der Erblindung des rechten Auges habe sich ihr gesundheitlicher Allgemeinzustand drastisch verschlechtert. Vor dem Hintergrund des geschilderten Verlaufs könne sie sich nicht dazu durchringen, eine indizierte Operation am linken Auge (grauer Star) vorzunehmen. Insgesamt sei aus diesem Grund ihre Sehfähigkeit erheblich herabgesetzt. Sie sei bei der körperlichen Pflege und der Haushaltsführung eingeschränkt und auf die Hilfe Dritter angewiesen. Die Fortbewegung sei sehr unsicher geworden, was wiederum dazu geführt habe, dass ihre Gelenke versteift seien und sie sich insoweit in stationäre Rehabilitationen habe begeben müssen. Sie traue sich nicht mehr, ihre Wohnung alleine zu verlassen. Sie sei – anders als noch vor der Operation vom 14.03.2012 – nun nicht mehr in der Lage zu Lesen. Dies habe zu einer depressiven Verstimmung bei ihr geführt.
8Die Klägerin ist der Auffassung, ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € sei angemessen.
9Die Klägerin beantragt,
101. die Beklagten zu 1) bis 4) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zuzüglich fünf Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.06.2013 zu zahlen und
112. festzustellen, dass die Beklagten zu 1) bis 4) verpflichtet sind, ihr jeden materiellen und den weiteren immateriellen Schaden, sofern er nicht auf Dritte übergegangen ist, aus der Behandlung vom 14.03.2012 zu ersetzen.
12Die Beklagten beantragen,
13die Klage abzuweisen.
14Sie behaupten unter näherer Darlegung, die Behandlung sei lege artis durchgeführt worden. Nach Auftreten des Retrobulbärhämatoms habe der Beklagte zu 4) aufgrund von Untersuchungen zutreffend einen Zustand nach venöser parabulbärer Blutung ohne Kompressionsanzeichen festgestellt. Eine arterielle Blutung habe nicht vorgelegen. Anhand einer Kontrolle sei festgestellt worden, dass die Blutung nicht zugenommen habe. Zutreffend sei am 14.03.2012 davon ausgegangen worden, dass sich die venöse Blutung durch den erzeugten erhöhten orbitalen Druck selbst tamponiert habe. Mit einer Erblindung wegen einer Blutung habe auch angesichts des extrem seltenen Auftretens arterieller Blutungen infolge paralbulärer Injektionen nicht gerechnet werden müssen. Eine Augeninnendruckmessung sei mangels Aussagekraft nicht indiziert gewesen. Auch bei der Nachkontrolle am Folgetag habe kein Anhalt für eine Nachblutung mit Kompressionsfolgen bestanden. Die Verlegung sei wegen einer massiven afferenten Pupillenstörung erfolgt. Im Übrigen hätte – so die Beklagten – auch ein engmaschiges Monitoring die Erblindung nicht abwenden können. Sie meinen, die Schmerzensgeldforderung sei angesichts der Vorerkrankung übersetzt.
15Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Krankenunterlagen und durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Prof. em. Dr. med. C (Bl. 131 ff. d.A.), der das Gutachten mündlich erläutert hat. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 07.01.2016 (Bl. 190 ff. d.A.) verwiesen.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
17Die Klage ist unbegründet.
18I.
19Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht gemäß §§ 611 Abs. 1, 280 Abs. 1, 823, 831, 278, 253 BGB zu.
20Es lässt sich zumindest nicht feststellen, dass die von der Klägerin dargelegten Folgen auf einem Behandlungsfehler beruhen.
21Dass das Auftreten des Retrobulbärhämatoms selbst auf einem Behandlungsfehler beruht, wird von der Klägerin schon nicht behauptet. Dies lässt sich auch nicht feststellen, da es sich bei dieser Art der Verletzung um eine typische Komplikation handelt, die mit der hier vorgenommenen peribulbären Injektion verbunden ist.
22Schadensursächliche Fehler im Zusammenhang mit der Reaktion auf das retrobulbäre Hämatom lassen sich im Ergebnis nicht feststellen.
23Jedenfalls nicht zu beanstanden ist die bereits am 14.03.2012 erfolgte Entlassung der Klägerin. Insbesondere angesichts des Alters der Klägerin – zum Zeitpunkt des Eingriffs war sie 84 Jahre alt – und auch im Hinblick auf die Blutdruckschwankungen hätte sich zwar eine stationäre Aufnahme der Klägerin angeboten. Der Standard erforderte ein solches Vorgehen allerdings nicht.
24Die Entlassung erfolgte zu früh. Vor der Entlassung hätte zunächst die Wirkung der Anästhesie abgewartet werden müssen, um die tatsächliche Sehschärfe überprüfen zu können. Je nach Ergebnis der Untersuchung hätte die Klägerin dann entweder entlassen werden können oder stationär aufgenommen werden müssen. Es lässt sich ex post jedoch nicht feststellen, welches Ergebnis eine solche Untersuchung erbracht hätte. Demnach bleibt offen, ob bei Vornahme der gebotenen Überprüfung eine stationäre Aufnahme hätte erfolgen müssen. Beweiserleichterungen ergeben sich für die Klägerin nicht. Die unterlassene Untersuchung der Sehschärfe nach Abklingen der Anästhesie war nicht grob fehlerhaft. Vielmehr entspricht es der Praxis ambulanter augenärztlicher Behandlungs- und Operationszentren, dass solche Überprüfungen vor einer Entlassung regelmäßig nicht erfolgen.
25Fehlerhaft ist vor der Entlassung eine apparative Messung des Augeninnendrucks (Tonometrie) unterlassen worden. Eine solche Untersuchung wäre erforderlich gewesen, weil ein erhöhter Augeninnendruck auch ein Risiko für den Optikus begründet. Hierbei handelt es sich aber ebenfalls nicht um ein grobes Versäumnis, da zumindest eine palpatorische Prüfung stattgefunden hat und sich diese Form der Messung in der Praxis eingebürgert hat. Weiter lässt sich nicht sicher feststellen, welchen Befund eine apparative Messung überhaupt ergeben hätte; insbesondere ist es spekulativ, ob ein Ergebnis vorgelegen hätte, das eine Reaktion in Form weiterer Untersuchungen oder einer umgehenden Druckentlastung erfordert hätte.
26Eine solche Druckentlastung durch einen Schnitt am Außenlid (laterale Kantholyse) hätte zwar vorgenommen werden können. Eine laterale Kantholyse war aber nicht zwingend. Der Standard erfordert ein solches Vorgehen jedenfalls nicht allein aus dem Grund, dass ein retrobulbäres Hämatom aufgetreten ist, sondern nur für den Fall des Vorliegens eines erhöhten Augeninnendrucks, der sich hier nicht feststellen lässt (s.o.).
27Schließlich ist es grundsätzlich denkbar, dass mit einer lateralen Kantholyse die Erblindung hätte vermieden werden können. Dies lässt sich aber nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen. Es ist spekulativ, wann es zu der Erblindung bei der Klägerin gekommen ist. Demnach kann diese durchaus auch schon eingetreten sein, bevor die Ergebnisse einer apparativen Augeninnendruckmessung bzw. einer Überprüfung der Sehschärfe nach Abklingen der Anästhesie überhaupt vorgelegen hätten bzw. eine laterale Kantholyse oder andere Form der Druckentlastung vorgenommen worden wäre.
28II.
29Mangels begründeter Hauptforderung besteht auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht.
30Da die Klägerin für eine fehlerhafte Behandlung beweisfällig geblieben ist, ist auch der Feststellungsantrag unbegründet.
31III.
32Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
33IV.
34Die Bewertung der medizinischen Fragen stützt die Kammer auf die nachvollziehbaren schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. Mit den Einwänden der Parteien hat sich der in Praxis und Theorie äußerst erfahrene emeritierter Professor für Augenheilkunde am Universitätsklinikum N1 überzeugend und mit der gebotenen gutachterlichen Distanz auseinandergesetzt. Seine Bewertung stimmt zudem überein mit derjenigen von Dr. L, die im Auftrag des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung X die Angelegenheit ebenfalls begutachtet, dabei aber keine Ausführungen zur Fehlerkausalität gemacht hat.
35Unterschriften |
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Referenzen
- BGB § 253 Immaterieller Schaden 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- ZPO § 286 Freie Beweiswürdigung 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- BGB § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag 1x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- BGB § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte 1x
- BGB § 831 Haftung für den Verrichtungsgehilfen 1x