Beschluss vom Landgericht Rostock (3. Zivilkammer) - 3 T 147/17 (1)

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts R. vom 13.06.2017, Az. 8 XIV 27/17 (L), wird zurückgewiesen.

2. Von der Erhebung der Kosten wird abgesehen.

Gründe

I.

1

Auf Antrag der Hansestadt R. - Oberbürgermeister - vom 04.06.2017 ordnete das Amtsgericht nach vorheriger persönlicher Anhörung der Betroffenen einstweilen die vorläufige Unterbringung der Betroffenen bis längstens zum 03.07.2017 an. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wurde angeordnet. Die Betroffene hat ihren Wohnsitz in Berlin-Neukölln und wollte ursprünglich lediglich eine Urlaubsreise nach Mecklenburg-Vorpommern unternehmen. Allerdings war die Betroffene bereits im April 2017 während einer ähnlichen Urlaubsreise in die geschlossene psychiatrische Abteilung der Universitätsnervenklinik eingewiesen und am 08.05.2017 - also vor etwa 7 Wochen - aus der Klinik entlassen worden.

2

Die antragstellende Behörde berief sich auf das ärztliche Zeugnis einer Frau B.. Demnach sei bei der Betroffenen eine schizoaffektiven Störung mit gegenwärtig manischer Episode diagnostiziert worden. Die Betroffene sei zunächst als orientierungs- und hilflos in der Öffentlichkeit aufgefallen. Im Rahmen einer Polizeikontrolle sei sie dann aber bedrohlich, laut und handgreiflich gegenüber den Polizeibeamten geworden. Entsprechende Verhaltensweisen habe sie auch im Rahmen der Aufnahme gezeigt. Das krankhafte Verhalten der Betroffenen gegen sich und gegen andere stelle - so die ärztliche Einschätzung - eine gegenwärtige erhebliche Gefahr dar. Es bestehe die Möglichkeit, dass die Betroffene sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Nach den Feststellungen der antragstellenden Behörde sei die Betroffene in der Öffentlichkeit in einem hilf- und orientierungslosen Zustand aufgefallen. Aufgrund des aktuellen Krankheitsbildes mit Eigengefährdung sei nur eine stationäre Sicherung und Behandlung möglich.

3

Auf der Grundlage dieses Antrages hat das Amtsgericht seine Entscheidung nach persönlicher Anhörung der Betroffenen am 04.06.2017 sowie nach Einholung einer mündlichen Stellungnahme der Fachärztin für Psychiatrie Dr. J. getroffen. Das Amtsgericht hat zudem ferner darauf abgestellt, dass die Betroffene erst am 08.05.2017 aus der psychiatrischen Abteilung der Klinik entlassen worden sei.

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Gegen den Beschluss des Amtsgerichts richtet sich die am 12.06.2017 erhobene Beschwerde der Betroffenen. Die Verfahrenspflegerin hat mit Schriftsatz vom 09.06.2017 zu der Unterbringungsmaßnahme Stellung genommen und nach Anhörung der Betroffenen ausgeführt, die Betroffene sei krankheitsbedingt nicht in der Lage, die Notwendigkeit der Unterbringung zu erkennen, sodass die Behandlung in einem geschützten Rahmen erfolgen müsse. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nach fernmündlicher Anhörung des Oberarztes der Station nicht abgeholfen und dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.

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Das Beschwerdegericht hat die Betroffenen am 22.06.2017 persönlich angehört. Außerdem hat es eine weitere mündliche Stellungnahme von Oberarzt Dr. C. - dem Leiter der geschlossenen psychiatrischen Abteilung der Klinik - über den Zustand der Betroffenen eingeholt. Demnach sei ihr Zustand noch instabil und es sei nicht sicher, wie die Betroffene auf eine Herabsetzung der derzeit verabreichten Neuroleptika reagieren werde. Zunächst sei sie auf der Station auch gegenüber Mitpatienten bedrohlich und aggressiv aufgetreten. Auch bei einer Herabsetzung der Medikamente sei sie gereizter geworden. Die verordneten Neuroleptika nehme sie auf der Station aber freiwillig ein. Derzeit werde die Betroffene medikamentös mit Olanzapin, Valproat und Lorazepam in bestimmten Mengen behandelt. Fremd-aggressives Verhalten sei in der Klinik aktuell nicht festzustellen. Die medikamentöse Behandlung müsse zunächst unter den Bedingungen der geschlossenen Einrichtung weiter fortgesetzt und die Medikamente ausgeschlichen werden.

II.

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Die Beschwerde der Betroffenen ist gem. §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 3, 64 Abs. 1 und 2, 335 Abs. 4 FamFG i.V.m. §§ 10 Abs. 1 und 2, 11 PsychKG MV statthaft. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

7

Im Ergebnis ist der Oberbürgermeister der Hansestadt R. zur Stellung eines Antrages zur Unterbringung der Betroffenen zuständig, obwohl die Betroffene ihren alleinigen Wohnsitz in Berlin-Neukölln hat. Die Zuständigkeit der antragstellenden Behörde folgt allerdings nicht aus den Vorschriften des am 30.07.2016 in Kraft getretenen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Menschen mit psychischen Krankheiten (Psychischkrankengesetz - PsychKG MV). Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 PsychKG MV kann die Anordnung „nur“ auf einen Antrag der nach § 5 Satz 2 PsychKG MV örtlich zuständigen Behörde erfolgen. Dies ist nach § 5 Satz 2 PsychKG MV der Landrat des Landkreises oder der Oberbürgermeister einer kreisfreien Stadt, in dem oder in der die Hilfesuchenden ihren Wohnsitz haben.

8

Nach dem eindeutigen Wortlaut des Reformgesetzes soll also - anders als nach der früheren Rechtslage vor dem Inkrafttreten des PsychKG MV 2016 - „nur“ die Wohnsitzbehörde einen Antrag auf Unterbringung stellen können. Demnach wäre im vorliegenden Fall die wirksame Antragstellung einer Behörde des Landes nicht möglich. Allerdings finden sich in der Gesetzesbegründung zu dem PsychKG MV 2016 keine Ausführungen zu der vorliegenden Problemlage.

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In der Gesetzesbegründung zu § 13 heißt es (Landtags-Drucksache 6/5185 vom 24.02.2016):

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„Zu § 13

11

Die Absätze 1 und 2 sind eine systematische Zusammenführung der §§ 14 und 16 PsychKG M-V 2000.

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Das bei einer Unterbringung zu beachtende gerichtliche Verfahren bestimmt sich nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

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Es wird auf Antrag des nach § 5 Satz 2 örtlich zuständigen Landrats oder Oberbürgermeisters eingeleitet. Absatz 1 Satz 2 bis 4 enthalten die hierfür notwendigen Voraussetzungen an den Antrag, insbesondere an das beizufügende ärztliche Zeugnis. ...“

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Demnach sollte nach dem Willen des Reformgesetzgebers offensichtlich nur die nach öffentlichem Recht örtlich zuständige Behörde bestimmt, nicht aber eine bewusste Abkehr von der früheren Rechtslage herbeigeführt werden. Ferner verlangt auch die von dem Reformgesetzgeber zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 2012, 1563 f.) nicht zwingend einen Antrag der Wohnsitzbehörde.

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Auch sonst ist die Sinnhaftigkeit dieser Zuständigkeitsregelung nicht ersichtlich.

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Es erscheint deshalb bei teleologischer Auslegung des Reformgesetzes zulässig, in Fällen, in denen ein Betroffener seinen Wohnsitz nicht im Bezirk der antragstellenden Behörde hat und in denen die Wohnsitzbehörde im Sinne von § 13 PsychKG MV nicht vom Geltungsbereich dieses Landesgesetzes erfasst werden kann, die allgemeine Zuständigkeitsregelungen einer Ordnungsbehörde nach dem Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern (Sicherheits- und Ordnungsgesetz - SOG M-V) subsidiär heranzuziehen. Nach § 5 Abs. 1 SOG M-V ist im Bereich ihrer sachlichen Zuständigkeit örtlich zuständig die Ordnungsbehörde, in deren Bezirk die zu schützenden Interessen verletzt oder gefährdet werden. Dies ist in Fällen der vorliegenden Art demnach immer diejenige Behörde, in deren Amtsbezirk die gegenwärtige Gefahr für Gesundheit, Leben oder andere bedeutende Rechtsgüter der Menschen mit psychischen Krankheiten oder Dritter aufgrund ihrer psychischen Erkrankung auftritt und deshalb ein behördliches Handeln erforderlich wird.

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In der Sache ist die Beschwerde der Betroffenen nicht begründet.

18

Nach § 10 Abs. 1 PsychKG MV kommt eine Unterbringung einer psychisch kranken Person i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 3a PsychKG MV nur in Betracht, wenn andere Hilfen und Maßnahmen nach diesem Gesetz erfolglos waren, nicht durchgeführt werden konnten oder nicht möglich sind und die Voraussetzungen nach § 10 Abs. 2 PsychKG MV vorliegen. Außerdem muss der Zweck der Unterbringung i.S.v. § 11 PsychKG MV erreicht werden können.

19

Nach § 10 Abs. 2 PsychKG MV ist die Unterbringung von Menschen mit psychischen Krankheiten ferner nur zulässig, wenn dies zur Abwehr von gegenwärtigen Gefahren für Gesundheit, Leben oder anderen bedeutenden Rechtsgütern der Menschen mit psychischen Krankheiten oder Dritter aufgrund ihrer psychischen Erkrankung erforderlich ist.

20

Gegenwärtige Gefahren i.S.v. § 8 Abs. 3 PsychKG MV bestehen immer dann, wenn in Folge der Krankheit ein schädigendes Ereignis bereits eingetreten ist, unmittelbar oder in aller nächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.

21

Zweck der Unterbringung ist es nach § 11 PsychKG MV, die genannten Gefahren abzuwenden und die Menschen mit psychischen Krankheiten nach Maßgabe dieses Gesetzes mit dem Ziel zu behandeln, die genannten Gefahren zu beseitigen, um dadurch die Dauer der Unterbringung zu verkürzen und die Wiedereingliederung vorzubereiten.

22

Nach den vorliegenden aktuellen fachärztlichen Zeugnissen und Stellungnahmen sowie nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Betroffenen vom 22.06.2017 liegen diese Voraussetzungen nach fester Überzeugung des Gerichts auch weiterhin bei der Betroffenen vor. Wegen der diagnostizierten schizoaffektiven Störung mit gegenwärtiger manischer Phase ist weiterhin von einer unmittelbaren Eigengefährdung der Betroffenen im Sinne von § 8 Abs. 3 PsychKG MV auszugehen, die aktuell nur durch eine weitere stationäre Sicherung und Behandlung abgewendet werden kann.

23

Die Betroffene bedarf in ihrer derzeitigen Situation einer fachärztlichen Begleitung und Behandlung, die nach Überzeugung des Gerichts nur innerhalb einer geschlossenen Abteilung durchgeführt werden kann. Außerhalb der Klinik besteht keine zuverlässige Hilfestellung durch einen niedergelassenen Facharzt für Psychiatrie. Und auch die Verlegung in eine Tagesklinik bietet derzeit keine Gewähr, dass die Betroffene sich nicht mehr selbst gefährdet. Eine sofortige Entlassung wäre ferner wegen der verabreichten Neuroleptika mit unmittelbaren gesundheitlichen Gefahren verbunden.

24

Weniger einschneidende Maßnahmen sind derzeit nicht ersichtlich und wurden auch ärztlicherseits nicht ausgeführt. Die sonstigen Mittel i.S.v. § 10 Abs. 1 PsychKG wurden ausgeschöpft. Die Betroffene wurde bereits in der Vergangenheit psychiatrisch betreut und auch mit Neuroleptika behandelt, wie die Betroffene selbst in der mündlichen Anhörung angegeben hat. Gleichwohl fiel die Betroffene in eine manische Phase, in der sie ziel- und hilflos umherirrte und sich selbst gefährdete. Deshalb ist ihre derzeitige Behandlung und Betreuung im Rahmen einer geschlossenen Abteilung nach Einschätzung der behandelnden Fachärzte, auf die sich das Gericht stützt, ersichtlich alternativlos und zwingend erforderlich, um die Gefahren im Sinne von § 8 Abs. 3 PsychKG MV abzuwenden.

25

Das Gericht sieht ferner keinen Anlass, an der Richtigkeit der ärztlichen Einschätzungen zu zweifeln, wonach die Behandlung insgesamt bis zum 03.07.2017 erforderlich ist. Die angeordnete Dauer der geschlossenen Unterbringung stellt noch nicht die gesetzliche Höchstdauer einer Unterbringung dar (§ 333 Abs. 1 S. 1 FamFG), um das Ziel einer Akutbehandlung im Sinne von § 11 PsychKG MV zu erreichen. Nachdem die Betroffene geraume Zeit in der Unterbringung verbracht hat und die begonnene Behandlung mit Neuroleptika auch noch nicht abgeschlossen ist und weiter fortgeführt werden muss, ist es auch unter Berücksichtigung des mit der Behandlung verfolgten Zieles nach § 11 PsychKG - nicht zu beanstanden, eine Behandlungsdauer bis zum 03.07.2017 anzuordnen. Hinzu kommt, dass die maximal zulässige Gesamtdauer einer vorläufigen Unterbringung von drei Monaten i.S.v. § 333 Abs. 1 S. 4 FamFG ohnehin noch nicht erreicht ist. Die Anordnung der Dauer ist daher erforderlich und verhältnismäßig.

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Die verfahrensrechtlichen Unterbringungsvoraussetzungen gem. § 331 S. 1 Nr. 2 bis 4 FamFG sind erfüllt. Insbesondere wurde die Betroffene vor der Entscheidung des Beschwerdegerichts persönlich angehört.

27

Es liegt ferner - wie oben dargelegt - ein ärztliches Zeugnis über den Zustand der Betroffenen vor (§ 331 S. 1 Nr. 2 FamFG). Die fachärztliche Stellungnahme erfüllt sogleich die Anforderungen, die an die „ „Anhörung eines Sachverständigen“ i.S.v. § 333 Abs. 1 S. 2 FamFG zu stellen sind.

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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

29

Gegen diesen Beschluss findet kein weiteres Rechtsmittel statt (§ 70 Abs. 4 FamFG).

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