Beschluss vom Landgericht Tübingen - 5 T 72/15

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Calw vom 19.01.2015, Az. 9 M 446/15, wird

v e r w o r f e n.

2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

4. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis 2.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Die Gläubigerin betreibt aus einem Urteil des Amtsgerichts Calw vom 9. August 2013 - 8 C 85/12 - die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner. Zu dem auf 28. Oktober 2014 bestimmten Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft, zu dem der Schuldner ordnungsgemäß geladen worden war, ist dieser nicht erschienen, mit der Begründung, aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen zu können.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2015 - 9 M 82/15 - erließ das Amtsgerichts Calw gegen den Schuldner einen Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der Vermögensauskunft. Ohne dass der Schuldner verhaftet worden war, gab dieser am 26. Februar 2015 die Vermögensauskunft ab und legte vor der Rechtspflegerin S. beim Amtsgericht Calw „Erinnerung gemäß § 766 ZPO“ gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Calw vom 19. Januar 2015, die Vorgehensweise des Gerichtsvollziehers und das komplette Zwangsvollstreckungsverfahren ein.
Das Amtsgericht Calw hat mit Beschluss vom 13. März 2015 - 9 M 446/15 - der sofortigen Beschwerde des Schuldners gegen den Haftbefehl vom 19. Januar 2015 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Tübingen zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist unzulässig. Die sofortige Beschwerde des Schuldners war statthaft (1.), form- und fristgerecht (2.), doch fehlt dem Schuldner das erforderliche Rechtsschutzinteresse (3.).
1.
Der Erlass des Haftbefehls kann mit der sofortigen Beschwerde nach allgemeiner Ansicht angefochten werden (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 802g Rn. 15 m. w. N.).
2.
Die vor dem Rechtspfleger am 26. Februar 2015 zu Protokoll eingelegte sofortige Beschwerde war nach § 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO formgerecht. Zwar wird der Haftbefehl bereits mit seiner Hinausgabe rechtlich existent und damit anfechtbar (vgl. Stöber in Zöller a. a. O.). Die zweiwöchige Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO beginnt aber erst mit der Übergabe des Haftbefehls an den Schuldner bei der Verhaftung nach § 802g Abs. 2 Satz 1 ZPO. Dies ist bislang nicht erfolgt, so dass die sofortige Beschwerde auch fristgerecht eingelegt worden ist.
3.
Der Schuldner hat aber kein Rechtsschutzinteresse an der Aufhebung des Haftbefehls.
a.
Durch die Abgabe der Vermögensauskunft am 26. Februar 2015 ist der Haftbefehl vom 19. Januar 2015 verbraucht worden (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 15.03.2006 - 5 T 563/06, DGVZ 2006, 74, juris Rz. 10), so dass es einer förmlichen Aufhebung des Haftbefehls nicht bedarf. Eine Verhaftung des Schuldners darf aufgrund dieses Haftbefehls nicht mehr erfolgen (vgl. Wagner in Münchner Kommentar, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 802g Rn. 7 m. w. N.). Dies kommt auch durch § 802i Abs. 2 Satz 1 ZPO zum Ausdruck, wonach der verhaftete Schuldner nach Abgabe der Vermögensauskunft sofort freizulassen ist.
Sollte der Gläubiger gleichwohl aufgrund des Haftbefehls eine Verhaftung zur Erzwingung der Vermögensauskunft betreiben, so kann sich der Schuldner gegen eine Verhaftung durch den bereits „verbrauchten“ Haftbefehl durch Vorlage eines Ausdrucks der bereits erteilten Vermögensauskunft wehren. Auf einen solchen Ausdruck hat der Schuldner nach § 802f Abs. 5 Satz 3 ZPO einen Anspruch. Im Übrigen kann - und muss - der Gerichtsvollzieher zumindest auf den entsprechenden Einwand des Schuldners nach § 802k Abs. 2 ZPO bei dem zentralen Vollstreckungsgericht Einsicht in das Schuldnerverzeichnis nehmen und sich davon überzeugen, dass der Haftbefehl durch Abgabe der Vermögensauskunft verbraucht ist.
b.
10 
Dass gegen den Schuldner ein Haftbefehl erlassen worden ist, wird - anders als vor dem 1. Januar 2013 (vgl. § 915 Abs. 1 Satz 1 ZPO a. F.) - nicht mehr im Schuldnerverzeichnis vermerkt, so dass ein Rehabilitierungsinteresse nicht besteht. Gemäß § 882c Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird als Eintragungsgrund lediglich angeben, dass der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachgekommen ist. Der Erlass eines Haftbefehls wird nicht vermerkt (vgl. auch Auskunft des Obergerichtsvollziehers vom 4. März 2015, Bl. 6 d. A.).
c.
11 
Der Schuldner hat auch kein schützenswertes Interesse an einer Feststellung, dass der mittlerweile verbrauchte Haftbefehl, zu Unrecht ergangen war (aa.). Abgesehen davon, ist nicht ersichtlich, dass der Haftbefehl tatsächlich zu Unrecht erlassen wurde (bb.).
12 
aa. Es sind keine Umstände ersichtlich, aus denen sich ein rechtliches Interesse des Schuldners für eine nachträgliche Feststellung ableiten ließe, dass der mittlerweile aufgrund der Abgabe der Vermögensauskunft verbrauchte Haftbefehl deshalb zu Unrecht ergangen war, weil der Schuldner nach seinem Vortrag zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft aus gesundheitlichen Gründen nicht hatte erscheinen können. Ein Rechtsschutzinteresse ist grundsätzlich nur solange gegeben, als ein gerichtliches Verfahren dazu dienen kann, eine gegenwärtige Beschwer auszuräumen, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen oder eine fortwirkende Beeinträchtigung durch einen an sich beendeten Eingriff zu beseitigen. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG gebietet die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung in solchen Fällen nur bei gewichtigen Grundrechtseingriffen, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in der der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen konnte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.04.1997 - 2 BvR 817/90 u.a., BVerfGE 96, 27, juris Rz. 49). Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kommt insbesondere bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in Betracht (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 27.12.2006 - 6 Wx 17/06, juris Rz. 11 m. w. N.). Vorliegend ist der Haftbefehl aber zu keinem Zeitpunkt gegen den Schuldner vollzogen worden, so dass es an einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme und damit einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff fehlt. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht für den Schuldner somit nicht.
13 
bb. Zudem ist der Haftbefehl tatsächlich zu Recht ergangen. Die vom Schuldner behauptete Verhandlungsunfähigkeit stellt keine ausreichende Entschuldigung dafür dar, dass er bis zum 26. Februar 2015 die Abgabe der Vermögensauskunft verweigert hatte. Die von ihm übermittelte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und sein Attest ohne Diagnose entschuldigten sein Fernbleiben im Termin am 28. Oktober 2014 nicht. Das im Beschwerdeverfahren in Kopie vorgelegte Attest vom 11. März 2015 attestiert dem Schuldner zwar durchaus ernsthafte gesundheitliche Beeinträchtigungen, doch entschuldigen diese die Verweigerung der Vermögensauskunft bereits deshalb nicht, weil der Gerichtsvollzieher dem Schuldner angeboten hatte, ihn zuhause aufzusuchen und dort die Vermögensauskunft abzunehmen. Dies hatte der Schuldner abgelehnt.
III.
14 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
15 
Nach dem sich die Rechtslage seit dem 1. Januar 2013 geändert hat, wird die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ZPO zugelassen.
16 
Der Beschwerdewert folgt aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO unter Berücksichtigung des in § 25 Abs. 1 Nr. 4 RVG ausgedrückten Rechtsgedankens, wonach der Streitwert höchstens auf 2.000,00 EUR festzusetzen ist. Dieser auf den Gläubiger zugeschnittene Rechtsgedanke wird vorliegend mangels anderer Anhaltspunkte auch zur Bewertung des Schuldnerinteresses (§ 25 Abs. 2 RVG) herangezogen.

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