Beschluss vom Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern (6. Senat) - L 6 SV 1/18

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Rostock vom 26. Januar 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von nach dem Aufwendungsausgleichgesetz (AAG) erstatteten Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlungen (U1-Verfahren). Nach einem erstinstanzlichen Teilanerkenntnis der Beklagten ist noch ein Rückforderungsbetrag in Höhe von ca. 6.500 € streitig.

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Die Klägerin war Inhaberin der Firma BBP B. A. und beschäftigte in ihrem Unternehmen bis zu 10 Arbeitnehmer, darunter auch ihren Ehemann, Herrn A. Mit mehreren Anträgen aus Januar 2012 beantragte ein Herr Y. bei der Beklagten im Namen der Klägerin Erstattungen nach §§ 1, 2 AAG. Konkret machte er Ansprüche auf Erstattung von geleisteten Lohnfortzahlungen für jeweils dreitägige Krankheitszeiten der Arbeitnehmer der Klägerin A. und C. im Zeitraum vom 10. November 2008 bis zum 27. Dezember 2010 geltend. Hierbei verfügte er über eine von der Klägerin unterzeichnete und mit einem Firmenstempel versehene Vollmacht der Klägerin vom 02. Januar 2012, die ihn befugte, in ihrem Namen Fehlzeiten ihrer Mitarbeiter „aus den Vorjahren im Rahmen der U1 und U2 nach dem AAG“ mit der Beklagten abzurechnen. Die Vollmacht umfasste die Berechtigung, Erstattungsbeträge entgegenzunehmen, welche auf ein in der Vollmacht bezeichnetes Konto des Y. zu überweisen seien.

3

Mit insgesamt vier Schreiben vom 06., 14., 16. und 19. Januar 2012 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass auf entsprechende Erstattungsanträge hin insgesamt 6.542,72 € für Krankheits- bzw. Mutterschaftsaufwendungen für die jeweils namentlich benannten Mitarbeiter überwiesen worden seien. Weitere 310,78 € seien dem Beitragskonto der Klägerin gutgeschrieben worden. Die Erstattungsbeträge betrafen ganz überwiegend Krankzeiten des Ehemanns der Klägerin A. (insgesamt 6.182,72 €), im Übrigen des Mitarbeiters C.

4

In der Folge einer Strafanzeige der Techniker Krankenkasse (TKK) kam es im Frühjahr/Sommer 2012 zu strafrechtlichen Ermittlungen u.a. gegen Y. Dabei wurde bekannt, dass ein ehemaliger Sachbearbeiter einer Krankenkasse und zahlreiche Komplizen in den Jahren 2011 und 2012 die Erstattung von Aufwendungen für Lohnfortzahlung für fingierte Krankheitsfälle herbeigeführt hatten. Hierbei gingen sie regelmäßig so vor, dass sie sich mit Arbeitgebern in Verbindung setzten, diesen die Möglichkeiten des AAG erläuterten und Ausgleichszahlungen bzw. eine Verringerung der Personalkosten in Aussicht stellten. Die Arbeitgeber erteilten daraufhin die notwendigen Vollmachten, erklärten ihr Einverständnis mit der Überweisung der Erstattungsleistungen auf Konten der Täter und übergaben ihre Personalunterlagen. Die so bevollmächtigten Personen stellten dann für fingierte, frei erfundene Fehlzeiten Anträge auf Erstattung der Aufwendungen für Lohnfortzahlung. Die Erstattungsleistungen wurden von den Tätern vereinbarungsgemäß im Wesentlichen als „Honorar“ einbehalten und im Übrigen an die Arbeitgeber ausgezahlt. Das Landgericht Lübeck hat einzelne Täter wegen gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt.

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Da bei der TKK auch Erstattungen für Mitarbeiter der Klägerin geltend gemacht worden waren, wurden die Klägerin und ihr Ehemann am 23. August 2012 als Zeugen polizeilich vernommen. Die Klägerin erklärte hierbei gegenüber der Polizei, dass ihr Ehemann auf einer Baustelle von einem „Wirtschaftsprüfer“ gehört habe, der einen Weg gefunden habe, dass die Krankenkassen Rückerstattungen zu leisten haben. Sie und ihr Ehemann hätten sich daraufhin im Dezember 2011 mit den Herren E. und F. getroffen, die ihnen Rückerstattungen der Krankenkassen in Aussicht gestellt hätten. Sie habe dabei eine (aktenkundige) Einverständniserklärung unterzeichnet, wonach Y. 65% der Rückerstattungen und sie selbst die übrigen 35% erhalten sollten. Sie habe die Lohn- und Gehaltsunterlagen von 2008 bis 2011 übergeben und vereinbart, dass sie von den Krankenkassen eingehende Erstattungsabrechnungen an eine von E. und F. angegebene Telefax-Nummer weiterleiten werde. Bei einem Treffen im Februar 2012 in Wismar seien ihrem Ehemann von K. 1.600 € in bar übergeben worden. Dass es um die Erstattung geleisteter Lohnfortzahlungen gegangen sei, sei ihr nicht bewusst gewesen. Sie habe angenommen, dass es sich um überzahlte Beiträge handele. Die Regelungen zu den Umlageverfahren U1 und U2 sei ihr erst später in einem Gespräch mit der Lohnbuchhalterin der seit Jahren für ihre Firma tätigen EDV Büro Nord GmbH, Frau M., erläutert worden. Die E. und F. überlassenen Lohnunterlagen hätten gar keine Aufzeichnungen über Krankheitszeiten ohne ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen enthalten.

6

Mit Bescheid vom 28. März 2013 forderte die Beklagte von der Klägerin zu Unrecht gezahlte Krankheitsaufwendungen in Höhe von insgesamt 11.515,50 € zurück. Der geltend gemachte Betrag beruhte dabei offenbar, ohne dass dies dem Bescheid zu entnehmen gewesen wäre, auf einer Addition der beantragten, nicht jedoch der zur Auszahlung gebrachten Erstattungsbeträge, wobei teilweise für gleiche Krankheitszeiträume mehrfache Erstattungsanträge vorlagen.

7

Gegen den Bescheid vom 28. März 2013 erhob die Klägerin mit der Begründung Widerspruch, sie und ihr Ehemann seien einem Betrüger „aufgesessen“. Ihnen sei eine Optimierung des Versicherungsschutzes in Aussicht gestellt worden. Y. habe ohne ihre Kenntnis und ohne ihren Auftrag gehandelt. Nach Auskunft der Polizei habe er einen falschen Briefkopf und gefälschte Unterschriften verwendet. Auch seien keine Zahlungen auf ihr Konto erfolgt.

8

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 2014 zurück. Die Klägerin habe Y. bevollmächtigt, die Erstattung entgegen zu nehmen. Darüber hinaus liege eine Erklärung der Klägerin vor, wonach Y. 65% der Erstattungsbeträge zustünden. Y. habe im Namen der Klägerin gehandelt. Die Klägerin habe diesem die für die Erstattungsanträge notwendigen Daten der Arbeitnehmer überlassen, wie deren Rentenversicherungs-Nummer, die Höhe des Arbeitsentgelts, die Höhe des Umlage- bzw. Erstattungssatzes. Im Übrigen habe die Klägerin spätestens mit der Mitteilung der Erstattungsbeträge Kenntnis von den abgerechneten Erstattungsbeträgen gehabt. Der Vortrag der Klägerin sei daher als Schutzbehauptung zu werten. Angesichts der erheblichen Beträge könne auch nicht von einer Rückforderung abgesehen werden.

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Am 19. Juni 2014 hat die Klägerin bei dem Sozialgericht Rostock Klage erhoben und erneut vorgetragen, selbst keine Zahlungen von der Beklagten erhalten zu haben. Die Einverständniserklärung und die Vollmacht für Y. habe sie nicht unterschrieben. Das Schreiben vom 06. Januar 2012 habe sie nicht erhalten, sondern nur die späteren. Lediglich dem Schreiben vom 14. Januar 2012 seien die Konto-Nummer und die Bankleitzahl (des Y.) zu entnehmen gewesen. Sie habe die Sache erst durchschaut, als alle Zahlungen bereits erfolgt gewesen seien. Sie selbst habe lediglich die Lohnordner übergeben, um prüfen zu lassen, ob es Einsparpotential gebe und um sich über eine mögliche Optimierung des Versicherungsschutzes kundig zu machen. Es habe keine Anhaltspunkte gegeben, die ihr Misstrauen hätten wecken müssen. Sie selbst habe die Anträge nicht gestellt; Anträge seien auch nicht durch das zuständige Lohnbüro – wie sonst üblich – gestellt worden. Im Übrigen trage die Beklagte ein Mitverschulden. Die Vollmacht und die Einverständniserklärung hätten Anlass für Nachfragen geben müssen, da eine Überweisung an Dritte unüblich sei. Die Beklagte habe bei Antragsbearbeitung schwerste Fehler gemacht, die sie jetzt nicht ihr aufbürden könne. Andere Krankenkassen hätten ihre Forderungen fallen lassen. Es sei Verjährung eingetreten.

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Die Beklagte hat ihre Forderung mit Schriftsatz vom 15. Juli 2017 auf 6.493,50 € gemindert.

11

Die Klägerin hat beantragt:

12

Der Bescheid der Beklagten gegen die Klägerin vom 28. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2014 wird aufgehoben.

13

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

15

Der Klägerin sei das Verhalten von Y. zuzurechnen. Nach jeder Erstattung erfolge eine maschinell erstellte Mitteilung an den Arbeitgeber. Die Anträge auf Erstattung könnten nur mittels gesicherter und verschlüsselter Datenübertragung aus systemgeprüften Programmen erfolgen, wobei zahlreiche Personal-Daten anzugeben seien, die Y. nur von der Klägerin erhalten haben könne. Für die Echtheit von Vollmacht und Einverständniserklärung sprächen Unterschrift und Firmenstempel. Der Klägerin sei zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen, da ihr als Arbeitgeberin besondere Prüfpflichten oblägen. Die vierjährige Verjährungsfrist sei noch nicht abgelaufen.

16

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin M., Mitarbeiterin des von der Klägerin mit der Lohnbuchhaltung beauftragten Lohnbüros. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Mai 2017 Bezug genommen. Das Sozialgericht hat ferner die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Lübeck (Aktenzeichen 720 Js 15253/12) und die Gehaltsabrechnungen des Ehemanns der Klägerin für den Zeitraum 01. November 2008 bis 31. Dezember 2011 beigezogen.

17

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Januar 2018 mit der Begründung abgewiesen, die angefochtenen Rückforderungsbescheide der Beklagten seien in dem verbliebenen Umfang rechtmäßig. Die Beklagte könne Erstattungsbeträge, die an Arbeitgeber zum Ausgleich des von ihnen an Arbeitnehmer nach den §§ 3, 9 EntgFG fortgezahlten Arbeitsentgelts gezahlt wurden, insbesondere zurückfordern, soweit der Arbeitgeber schuldhaft unvollständige Angaben gemacht habe (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AAG) oder Erstattungsbeträge gefordert hat, obwohl er wusste oder wissen musste, dass entsprechende Ansprüche nach dem Entgeltfortzahlungsgesetzes oder Mutterschutzgesetz nicht bestehen (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AAG). Vorliegend seien Erstattungen auf Grund vorsätzlich wahrheitswidriger Angaben geleistet worden. Die Klägerin müsse sich das betrügerische Handeln des von ihr bevollmächtigten Herrn Y. nach § 278 BGB zurechnen lassen. Das nach eigenen Angaben angestrebte Ziel der Bevollmächtigung, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu „optimieren“ und Rückerstattungen zu erhalten, die vereinbarte „Gewinnverteilung“ (65 % für die Beauftragten, 35 % für das Unternehmen der Klägerin) sowie die Umstände der Übergabe des Bargeldes, schließlich die Tatsache, dass die Bearbeitung von Erstattungen zuvor durch eine erfahrene und sachkundige Lohnbuchhalterin erfolgt sei, was einer „Optimierung“ ohnehin entgegengestanden habe, schließe ein schuldloses Handeln der Klägerin aus, selbst wenn sie persönlich nicht in betrügerischer Absicht gehandelt haben sollte. Dass die Erstattungsbeträge nicht an die Klägerin selbst, sondern – entsprechend der von ihr erteilten Vollmacht – auf das Konto des Y. ausgezahlt worden seien, stehe dem Rückforderungsanspruch ebenfalls nicht entgegen.

18

Mit der am 06. Februar 2018 erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Begründung trägt sie vor, Y. und seine Komplizen seien an sie herangetreten, hätten ihr die Möglichkeiten des AAG erläutert und Ausgleichszahlungen bzw. eine Verringerung der Personalkosten in Aussicht gestellt. Sie habe daraufhin ihr Einverständnis mit der Überweisung der Zahlungen auf ein Konto des Y. erklärt, diesem hingegen keine Vollmacht gegeben. Der Y. habe dann Erstattungsanträge für fingierte Fehlzeiten in ihrem Namen bei der Beklagten gestellt und die Beträge vereinnahmt. Sie habe die Hoffnung gehabt, auf diesem Wege höhere Erstattungen zu bekommen als ohne die Hilfe von Y., E. etc. Darin liege nichts Verwerfliches, auch keine leichte Fahrlässigkeit. Bei Übergabe der Lohn- und Geschäftsunterlagen sei für die Klägerin nicht erkennbar gewesen, dass diese zu betrügerischen Zwecken missbraucht werden könnten. Sie habe lediglich auf eine „Optimierung“ der Erstattungen und auf ihren Anteil hieran gehofft. Bei Erhalt der Erstattungsmitteilungen der Beklagten von Anfang 2012, aus denen sich vielleicht Anlass zu Misstrauen hätte ergeben können, seien die Auszahlungen bereits erfolgt gewesen, sodass ein hierauf beruhender Fahrlässigkeitsvorwurf nicht mehr von Bedeutung sei. Im Übrigen treffe die Beklagte ein erhebliches Mitverschulden. Anders als bspw. die AOK habe sie die Anträge des Y. nicht zum Anlass genommen, mit dem Lohnbüro der Klägerin Rücksprache zu halten. Die Klägerin müsse sich die Zahlungen an Y. nicht zurechnen lassen, da dieser als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt habe. Sie habe ihn lediglich beauftragt, Anträge im Rahmen der Legalität zu stellen. Schließlich lasse das angegriffene Urteil nicht hinreichend erkennen, wie sich die von der Beklagten (zuletzt in Höhe von 6.493,50 €) geltend gemachte Forderung im Einzelnen zusammensetze.

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Die Klägerin beantragt:

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Das Urteil des Sozialgerichts Rostock vom 26. Januar 2018 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2014 werden aufgehoben.

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Die Beklagte beantragt:

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Die Berufung wird zurückgewiesen.

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Mit gerichtlichen Schreiben vom 27. Juni 2018 sind die Beteiligten zu der beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden. Einwendungen wurden nicht erhoben.

24

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten und der Ermittlungsakte Bezug genommen.

II.

25

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden, denn er hält die zulässige Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.

26

Das erstinstanzliche Urteil ist zutreffend. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

27

Zur Vermeidung von Wiederholungen kann zur Begründung auf die im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen werden, die sich der Senat nach Prüfung zu Eigen macht. Insoweit sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Ergänzend und klarstellend sei lediglich Folgendes ausgeführt:

28

Die zutreffende rechtliche Wertung des Sozialgerichts insbesondere hinsichtlich des zumindest fahrlässigen Verhaltens der Klägerin wird durch den Berufungsvortrag der Klägerin nicht in Frage gestellt, sondern vielmehr bestätigt. Die Klägerin verkennt dabei den Unterschied zwischen rechtlichem Können im Außenverhältnis und rechtlichem Dürfen im Innenverhältnis. Indem sie vorträgt, den Y. bzw. seine Komplizen beauftragt zu haben, in ihrem Namen Erstattungen nach dem AAG bei der Beklagten zu beantragen, bestätigt sie die (zumindest mündliche) Vollmachtserteilung im Sinne von § 167 BGB, mithin die rechtsgeschäftliche Übertragung der entsprechenden Vertretungsmacht. Trotz des pauschalen Bestreitens, auch die in Kopie bei den Akten befindliche Vollmachtsurkunde vom 02. Januar 2012 unterzeichnet zu haben, hat der Senat hieran im Hinblick auf die Identität der darauf befindlichen Unterschrift und des Firmenstempels mit denjenigen auf der von der Klägerin im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen zugestandenen Einverständniserklärung allerdings keinen ernsthaften Zweifel.

29

Die Tatsache, dass Y. die ihm somit wirksam erteilte Vertretungsmacht missbraucht und Erstattungen für fingierte Krankheitszeiten geltend gemacht hat, führt nicht etwa dazu, dass er als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hätte. Die Risiken einer vom Innenverhältnis nicht gedeckten Ausübung der Vertretungsmacht treffen grundsätzlich den Vertretenen, der zwar im Verhältnis zum Vertreter Schadensersatzansprüche erwerben mag, sich im Außenverhältnis gleichwohl die Erklärungen des Vertreters und dessen Kenntnisse zurechnen lassen muss, §§ 164 Abs. 1 Satz 1, 166 Abs. 1 BGB. Ausnahmen sind entsprechend der hierzu ergangenen zivilgerichtlichen Rechtsprechung nur in Fällen denkbar, in welchen der Geschäftsgegner um die Überschreitung der Vertretungsmacht durch den Vertreter wusste, mit diesem gar kollusiv zusammengearbeitet hat oder den Missbrauch der Vollmacht zumindest hätte erkennen müssen. Notwendig ist für Letzteres eine massive Verdachtsmomente voraussetzende objektive Evidenz des Missbrauchs, BGH vom 29. Juni 1999 - XI ZR 277/98 (NJW 1999, 2883). Nicht ausreichend ist demnach der bloße Umstand, dass die Erstattung durch einen Dritten beantragt und die Überweisung auf ein anderes als das Firmenkonto des Vertretenen beantragt wird, zumal vorliegend beides durch die Vollmachtsurkunde und die tatsächlichen Absprachen zwischen Vertretener und Vertreter gedeckt war. Eine Rückfrage der Beklagten bei der Klägerin war daher nicht veranlasst und hätte folgerichtig auch zu keiner Änderung des Geschehens geführt, da weder die Vertretungs- noch die Geldempfangsvollmacht des Y. von der Klägerin hätte verneint werden können.

30

Rechtsgrundlage des Rückforderungsanspruchs des Beklagten ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch i.V.m. § 4 Abs 2 AAG. Soweit im angegriffenen Urteil bisweilen § 142 AAG (eine gar nicht existente Vorschrift) angeführt wird, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler.

31

Die Höhe der berechtigten Rückforderung der Beklagten ergibt sich aus der Summe der auf die von Y. gestellten Anträge hin ausgezahlten Beträge, die sich auf 6.542,72 € beläuft. Da der tatsächlich von der Beklagten noch geltend gemachte Erstattungsbetrag (6.493,50 €) niedriger ist, kommt es auf etwaige Rechenfehler in der Forderungsbegründung nicht an. Klarzustellen ist allerdings, dass für diejenigen Teilbeträge, die die Beklagte nicht durch Überweisung, sondern durch Verrechnung mit Beitragsforderungen ausgekehrt hat (weitere 310,78 €) und die mithin durch bloße erneute Sollstellung hätten geltend gemacht werden können, ein Forderungsrecht durch Erstattungs-Verwaltungsakt fraglich erscheint.

32

Die Auflistungen der Erstattungsbeträge, mit welchen die Beklagte die Klägerin über die Höhe der erfolgten Erstattungen informiert hat, stehen der geltend gemachten Rückforderung nicht entgegen. Sie sind insbesondere nicht als Verwaltungsakte anzusehen, die – bis zu ihrer verfahrensgerechten Aufhebung – einen Grund für das Behaltendürfen der gewährten Beträge darstellen würden.

33

Die Krankenkassen sehen im Regelfall davon ab, über jede Erstattung schriftlich zu entscheiden. Ein Verwaltungsakt liegt nicht vor, wenn Krankenkassen gegenüber dem Arbeitgeber eine Erstattung in Form einer Überweisung oder Gutschrift zur Verrechnung mit zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträgen vornehmen. Auch die im Rahmen des maschinellen Meldeverfahrens abgegebenen Mitteilungen der Krankenkassen, dass dem Erstattungsantrag vollständig, teilweise oder nicht entsprochen wurde (vgl. Abschnitt 1.10), sind nicht als Verwaltungsakte zu qualifizieren. Um einen Verwaltungsakt handelt es sich formell nur dann, wenn die Krankenkasse – im Ausnahmefall – gegenüber dem Arbeitgeber eine schriftliche Entscheidung über die Erstattung trifft (vgl. Urteil BSG vom 31. Mai 2016 – B 1 KR 17/15 R).

34

Vorliegend hat die Beklagte mit ihren maschinell erstellten Auflistungen trotz deren Schriftform keine Regelung im Sinne eines Verwaltungsakts getroffen. Ein Verwaltungsakt ist gemäß § 31 Satz 1 SGB X jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Ob im Einzelfall eine verwaltungsseitige Äußerung einen Verwaltungsakt darstellt, insbesondere, ob ein Regelungswille vorliegt, der auf die Setzung einer Rechtsfolge gerichtet ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Maßgeblich ist dabei in Anwendung der für die Auslegung von Willenserklärungen maßgeblichen Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) der objektive Sinngehalt der abgegebenen Erklärung, mithin wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalles objektiv verstehen musste. Dabei ist auch die äußere Form der Maßnahme mit zu berücksichtigen, etwa die Bezeichnung eines Schreibens als „Bescheid“ oder das Anfügen einer Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. etwa Engelmann in: von Wulffen/Schütze/Engelmann, SGB X, 8. Aufl., § 31 Rn. 24 f.).

35

Vorliegend spricht zum einen die äußere Form der Schreiben der Beklagten gegen die Annahme eines Verwaltungsakts. So sind sämtliche Schreiben nicht etwa als Bescheid, Verfügung oder dergleichen bezeichnet, sondern (in der fettgedruckten Überschrift) als „Mitteilung des Erstattungsbetrages für Krankheits-/Mutterschaftsaufwendungen“. Auch ist dieser Mitteilung nicht etwa eine Rechtsbehelfsbelehrung nachgestellt. Stattdessen wird für den Fall von Nachfragen an den „Firmenberater“ der Beklagten verwiesen, der „gern zu einem persönlichen Gespräch“ bereit sei und dieses auf Wunsch auch in den Räumlichkeiten des Adressaten führe. Zum anderen und letztlich entscheidend enthalten die Schreiben auch inhaltlich keine in einen Verfügungssatz gekleidete Regelung, sondern ausdrücklich nur eine Information. So heißt es jeweils gleich lautend und erkennbar als Ergebnis eines elektronischen Datenverarbeitungsprozesses im einleitenden, der tabellarischen Aufstellung der Einzelbeträge vorangestellten Satz:

36

„Die nachfolgende Auflistung gibt Ihnen einen Überblick über die abgerechneten Erstattungsanträge:“

37

Hierdurch wird hinreichend deutlich, dass lediglich über einen bereits erfolgten Vorgang („Abrechnung“) informiert werden sollte, ohne dass durch das Schreiben erst eine Entscheidung über den abzurechnenden Betrag getroffen werden sollte. Mangels Regelungswirkung kommt den Schreiben mithin keine Verwaltungsaktqualität zu.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, vgl. BSG, Beschluss vom 20. Dezember 2005 – B 1 KR 5/05 B. Der Streitwertbeschluss des Sozialgerichts ist bereits durch Beschluss des Senatsvorsitzenden vom 24. September 2018 aufgehoben worden.

39

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.

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