Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 18 U 60/21
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 12.04.2021 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld (Az. 6 O 420/20) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert für die Berufung: 9.780,00 €
1
A.
2Die Parteien schlossen auf einem Vertragsformular der Beklagten in den Geschäftsräumen der Firma Autohaus X H GmbH am 12.10.2018 einen Leasingvertrag (Nummer 01) über ein privat zu nutzendes Fahrzeug der Marke C (FIN: # # #). Die Laufzeit betrug 24 Monate bei einer Gesamtfahrleistung von jährlich 10.000 km; die monatliche Leasingrate belief sich auf 345,00 € bei einer Leasing- Sonderzahlung zu Beginn der Laufzeit in Höhe von 1.500,00 €. Mehr oder Minderkilometer sollten ausgeglichen werden; ebenso sollte ein Ausgleich des Minderwertes für einen nicht vertragsgemäßen Zustand des Leasinggegenstandes bei Rückgabe am Vertragsende stattfinden.
3Auf Seite 9 der Antragsunterlagen findet sich unter der Überschrift „Widerrufsinformation“ eine formularmäßige Belehrung. Darin heißt es unter anderem:
4„Sie können ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen widerrufen.“
5Das Fahrzeug wurde dem Kläger am 28.12.2018 übergeben. In der Folge erbrachte er die von ihm geschuldeten monatlichen Leasingraten.
6Mit E-Mail vom 14.08.2020 erklärte der Kläger den Widerruf des Leasingvertrages. Die Beklagte wies den Widerruf mangels Einhaltung der Widerrufsfrist zurück.
7Der Kläger gab das Fahrzeug nach ordentlicher Beendigung des Leasingvertrages zurück. Die Beklagte erstellte unter dem 24.12.2020 ihre Endabrechnung, die mit einem Saldo in Höhe von 15,88 € zulasten des Klägers endete. Der Kläger beglich auch diese Forderung.
8Der Kläger hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, ihm stehe ein gesetzliches Widerrufsrecht zu, da es sich bei dem streitgegenständlichen Leasingvertrag um eine sogenannte „sonstige Finanzierungshilfe“ gemäß § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB handele, auf die die Regelungen des Allgemein-Verbraucherdarlehensvertrages gemäß den §§ 491 ff. BGB im Wesentlichen anzuwenden seien. Er hat behauptet, er sei nicht ordnungsgemäß über das ihm zustehende Widerrufsrecht belehrt worden, weshalb die Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Ihm sei bislang kein Vertragsexemplar ausgehändigt worden, das sämtliche Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB enthalte.
9Auch stehe ihm ein Widerrufsrecht nach den Regelungen zum Fernabsatzvertrag zu, da der Leasingvertrag auf dem Fernabsatzweg unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen worden sei. Er habe sich vor, während oder nach Vertragsabschluss zu keinem Zeitpunkt in einer Filiale der Beklagten befunden. Das Autohaus habe lediglich als Vertragsvermittler gedient, damit letztlich nur als Bote gehandelt. Das Autohaus selbst habe im Verhältnis zur Beklagten keine weitergehenden Befugnisse gehabt, als das Standard- Leasingformular der Beklagten nach deren Vorgabe auszufüllen und die Legitimation bzw. Identität der Klagepartei zu Gunsten der Beklagten zu bestätigen.
10Zudem enthalte die Belehrung unzutreffende Angaben zu den Widerrufsfolgen (Wertersatzpflicht). So entspreche der zweite Absatz nicht der gesetzlichen Rechtslage im Zusammenhang mit entgeltlichen Finanzierungshilfen. Fehlerhaft sei zudem angegeben, dass im Falle des Widerrufs der vereinbarte Sollzins zu zahlen sei. Über sein Widerrufsrecht nach Fernabsatzrecht sei er gar nicht belehrt worden.
11Sein Widerrufsrecht sei nicht durch anderweitige gesetzliche Regelungen zeitlich begrenzt; die vom Gesetzgeber vorgegebene Ausschlussfrist des Widerrufsrechts von einem Jahr und 14 Tagen nach Vertragsschluss gelte im Streitfall nicht.
12Auch habe er sein Widerrufsrecht nicht verwirkt.
13Er hat erstinstanzlich beantragt,
141. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.745,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, nach Rückgabe des Kraftfahrzeugs mit der Fahrzeugidentifikationsnummer # # #,
152. festzustellen, dass er infolge und ab seiner Widerrufserklärung vom 14.08.2020 aus dem mit der Beklagten abgeschlossene Leasingvertrag mit der Nummer 01 keine Leasingraten mehr schuldet,
163. die Beklagte zu verurteilen, ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Herrn „(…)“ B I. Q, T- Straße 28 a , in K , in Höhe von 864,66 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
17Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Sie hat die Auffassung vertreten, die Klage sei unbegründet, weil dem Kläger kein Widerrufsrecht zustehe. So bestehe schon kein gesetzliches Widerrufsrecht, weil § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB auf Leasingverträge mit Kilometer- Abrechnung nicht anwendbar sei.
20Auch hätten die Parteien kein vertragliches Widerrufsrecht vereinbart.
21Weiter habe dem Kläger kein Widerrufsrecht gemäß §§ 312g, 355 BGB zugestanden. Bei dem streitgegenständlichen Leasingvertrag handele es sich nicht um einen Fernabsatzvertrag. Im Übrigen bestehe ein solches Widerrufsrecht bei Kilometer- Leasingverträgen wie dem hier vorliegenden nicht.
22Unabhängig davon stehe dem Kläger kein Widerrufsrecht mehr zu, da die ihm erteilten Widerrufsinformationen unter Zugrundelegung der gesetzlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Widerrufsinformation vollständig und zutreffend seien. Die von der Beklagten verwendete Widerrufsinformation weiche nicht von dem gesetzlichen Muster ab. Dementsprechend sei die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB gegeben.
23Der Kläger habe zudem sein Widerrufsrecht verwirkt, weil er das Fahrzeug über 20 Monate lang genutzt habe, bevor er den Widerruf erklärt habe.
24Hilfsweise hat die Beklagte darauf verwiesen, dass ihr im Falle eines wirksamen Widerrufs Wertersatz für die Nutzung des Fahrzeugs zustehe.
25Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Kläger habe kein gesetzliches Widerrufsrecht zugestanden. § 506 Abs. 2 BGB sei auf Leasingverträge mit Kilometerabrechnung nicht anwendbar. Ein Widerrufsrecht des Klägers ergebe sich auch nicht aus den §§ 312g, 355 BGB i.V.m. Art. 246a EGBGB, da es sich bei dem streitgegenständlichen Leasingvertrag weder um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag noch um einen Fernabsatzvertrag gemäß § 312c BGB handele. Die Beklagte habe auch erkennbar kein vertragliches Widerrufsrecht gewähren wollen.
26Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung mit der er rügt, das Landgericht habe zu Unrecht die Ansicht vertreten, dass ihm kein Widerrufsrecht nach den Regelungen des Fernabsatzvertrages zustehe. Der streitgegenständliche Leasingvertrag sei als Fernabsatzvertrag einzustufen. Richtigerweise liege nur dann kein Fernabsatzvertrag vor, wenn der Unternehmer sich eines Stellvertreters bzw. Boten bediene, der aus Sicht des Verbrauchers ermächtigt und in der Lage sei, dem Verbraucher verbindliche Informationen über Gegenstand und Inhalt des Vertrages zu geben. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor. Das Gericht habe keinen Beweis zur Frage erhoben, ob und in welchem Umfang der vermittelnde Autohändler für die Beklagte tätig geworden und ob dieser befugt gewesen sei, für die Beklagte rechtsverbindliche Erklärungen abzugeben.
27Er beantragt nach Ablauf und Abrechnung des Leasingvertrages nunmehr,
28das am 12.04.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Bielefeld -Az. 6 O 420/20- abzuändern und
291. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.780,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
302. die Beklagte zu verurteilen, ihn von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Herrn „(…)“ B I. Q, T – Straße 28a, in K , in Höhe von 864,66 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
31Hilfsweise beantragt er,
32das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH (gemäß Vorlagebeschluss des LG Ravensburg vom 24.08.2021,
332 O 238/20) auszusetzen.
34Im Übrigen hat er den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
35Die Beklagte beantragt,
36die Berufung zurückzuweisen.
37Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
38Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin J. Zu dem Inhalt der Zeugenaussage wird auf den Vermerk der Berichterstatterin vom 07.10.2021 Bezug genommen (vgl. B. 596f d.A.)
39Zu dem Vortrag der Parteien im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
40B.
41Die zulässige Berufung des Klägers ist in der Sache unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die Klage des Klägers abgewiesen.
42I.
43Der vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.09.2021 verfolgte Zahlungsantrag in Höhe von 9.780,00 € nebst Zinsen ist zulässig, aber unbegründet.
44Der Übergang von der Leistungs- und Feststellungklage auf eine die insgesamt geleisteten Leasingraten umfassende Leistungsklage stellt eine in zweiter Instanz vorgenommene Klageänderung dar, die § 533 ZPO unterfällt, jedoch im Sinne dieser Vorschrift sachdienlich und damit zulässig ist.
45Der Zahlungsantrag ist jedoch unbegründet, weil dem Kläger kein Recht zum Widerruf des Leasingvertrages zustand.
461.
47Der Kläger kann den Widerruf nicht auf § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 (direkt oder analog) BGB i.V.m. §§ 492, 356b, 357a BGB stützen.
48Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 24.02.2021 (Az. VIII ZR 36/20, MDR 2021, 484ff) entschieden, dass ein Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung, wie er auch hier vorliegt, nicht unter § 506 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB fällt und dass diese Vorschrift auch nicht entsprechend anzuwenden ist. Dem folgt der Senat.
492.
50Auch kann sich der Kläger nicht auf ein vertragliches Widerrufsrecht berufen, da die Parteien ein solches nicht vereinbart hatten. In der Erteilung der mit „Widerrufsinformation“ überschriebenen vorformulierten Widerrufsbelehrung lag kein Angebot der Beklagten auf Gewährung eines vorbehaltlosen vertraglichen Widerrufsrechts, das der Kläger mit Vertragsabschluss hätte annehmen können (BGH, Urteil vom 24.02.2021, VIII ZR 36/20, a.a.O.).
513.
52Dem Kläger steht ferner kein Widerrufsrecht gemäß §§ 312c, 312g Abs. 1 BGB (Fernabsatz) zu.
53a)
54Der streitgegenständliche Leasingvertrag ist bereits nicht als Fernabsatzvertrag im Sinne von § 312 Buchst. c Abs. 1 BGB zu qualifizieren.
55(1)
56Als Fernabsatzvertrag gemäß § 312 c Abs. 1 BGB gilt ein Vertrag, bei dem der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.
57Wie sich aus der Formulierung in § 312c Abs. 2 BGB (Fernkommunikationsmittel…sind alle Kommunikationsmittel, die zur Anbahnung oder zum Abschluss eines Vertrags eingesetzt werden, …) ergibt, ist nicht nur der Vertragsschluss als solcher, sondern auch die Phase der Vertragsanbahnung in die Beurteilung mit einzubeziehen.
58Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich vor allem, wenn der Vertragsschluss selbst unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmittel erfolgte, dem Vertragsschluss aber ein persönlicher Kontakt mit dem Unternehmer oder einer von ihm eingeschalteten Person vorausging (MünchKom zum BGB- Wendehorst, 8. Aufl., § 312 c Rdnr. 21).
59Kein Fernabsatzvertrag liegt vor, wenn der Unternehmer nicht lediglich einen Boten einschaltet (um die auf Vertragsabschluss gerichteten Erklärung des Verbrauchers entgegenzunehmen; s. a. BGH, Urteil vom 16.04.2019, XI ZR 755/17, zitiert nach juris), sondern einen Vertreter oder sonstigen Repräsentanten einsetzt, der nähere Auskunft über den Vertragsinhalt geben kann. Haben während der Vertragsanbahnung persönliche Kontakte zwischen den Parteien selbst oder Vertretern bzw. sonstigen Repräsentanten stattgefunden, handelt es sich nicht um einen Fernabsatzvertrag (OLG Stuttgart, Beschluss vom 08.03.2021, 6 U 91/19, zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 27.02.2018, XI ZR 160/17, NJW 2018, 1387; Palandt-Grüneberg, BGB, 80. Aufl., § 312 c Rdnr. 4; BeckOK-Martens § 312 c Rdnr. 15, wonach es genügt, wenn die Möglichkeit bestand, im Rahmen persönlicher Kontaktaufnahme Fragen zum Vertrag zu klären).
60(2)
61Gemessen daran ergibt sich für den Streitfall, dass jedenfalls anlässlich der Vertragsanbahnung ein persönlicher Kontakt zwischen dem Kläger und der Zeugin J als damaliger Mitarbeiterin des Autohauses X H GmbH und Repräsentantin der Beklagten stattgefunden hat, der eine rechtliche Einordnung des Leasingvertrages als Fernabsatzvertrag ausschließt.
62Unschädlich ist es dabei zunächst, dass die Zeugin J nicht bei der Beklagten angestellt ist, weil sie jedenfalls (mittelbar über das Autohaus X H GmbH) von der Beklagten dazu autorisiert war, den Abschluss von Leasingverträgen vorzubereiten und damit als deren Repräsentantin aufzutreten. Das folgt aus der Aussage der Zeugin J. Diese hat bekundet, dass das Autohaus mit der Beklagten vernetzt sei und ihre Aufgabe u.a. darin bestanden habe, für die von der Beklagten geforderte Bonitätsprüfung die erforderlichen Daten des Kunden abfragen und diese dann in ein von der Beklagten zur Verfügung gestelltes Online- Dokument einzutragen. Auch die weiteren erforderlichen Angaben (wie die Höhe der Leasingraten, die Laufzeit des Leasingvertrages, Zusammensetzung der Leasingraten etc.) seien von der Zeugin in den Vertrag aufgenommen und an die Beklagte weiter geleitet worden. Als sie - die Zeugin – dem dem Autohaus X angefangen habe, sei sie in die Abwicklung dieser Geschäfte eingewiesen worden. Zudem habe sie einmal an einer von der Beklagten veranlassten Schulung teilgenommen.
63Aus der Aussage der Zeugin ergibt sich weiterhin, dass sie die erforderlichen Angaben im Leasingvertrag in der Regel selbstständig beim Kunden ermittelt und in einem persönlichen Gespräch mit diesem kommunizierte. Auch so hat die Zeugin ausgesagt, dass sie, wenn ein Kunde ein Fahrzeug finanzieren möchte, diesen berate. Dazu frage sie zunächst ab, was er sich leisten könne und unterbreitete ihm dann ein entsprechendes Angebot. Wenn der Kunde mit diesem Angebot nicht zufrieden gewesen sei, habe sie nachbessern können; sie habe beispielsweise in dem Fall, dass der Kunde mit der Leasingratenhöhe nicht einverstanden gewesen sei, ihm anraten können, die Anzahlung entsprechend zu erhöhen oder umgekehrt. Es ist unschädlich, dass eine solche Beratung im streitgegenständlichen Fall offenbar nicht in dieser Form stattgefunden war, weil der Kläger bereits mit einem von einem anderen Autohaus bzw. Leasinggeber erstellten Angebot zum Autohaus X H GmbH gekommen ist, ist unschädlich. Denn es ist insoweit ausreichend, dass die Zeugin im Fall der Erforderlichkeit eine entsprechende Beratung hätte vornehmen können und auch vorgenommen hätte. Der Kläger habe – so hat die Zeugin weiter ausgeführt – trotz des Konkurrenzangebots das Fahrzeug bei dem Autohaus X und über die C-Bank leasen wollen.
64Der Senat hat keine Zweifel an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin. Die Zeugin trat sachlich auf und konnte auf die Fragen des Senats sowie auf Nachfragen der Prozessbevollmächtigten der Parteien spontane und nachvollziehbare Antworten geben. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin aufgrund ihres ehemaligen Angestelltenverhältnisses zu dem Autohaus X GmbH einseitig zulasten einer der beiden Parteien ausgesagt hat, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist dabei zu berücksichtigen, dass die Klägerin aktuell nicht mehr beim Autohaus X GmbH beschäftigt ist.
65b)
66Selbst wenn der streitgegenständliche Leasingvertrag als Fernabsatzvertrag im Sinne von § 312c Abs. 1 BGB zu qualifizieren wäre, wäre der Widerruf des Klägers mangels Einhaltung der Widerrufsfrist unwirksam. Denn zum Zeitpunkt des erfolgten Widerrufs am 14.08.2020 war sowohl die 14- tätige Frist des § 355 Abs. 2 BGB als auch die Frist von 12 Monaten und 14 Tagen des § 356 Abs. 3 S. 2 BGB bereits abgelaufen. Aus diesem Grund ist es für den Streitfall auch unerheblich, ob eine den Anforderungen des Art. 246a EGBGB genügende Widerrufsbelehrung vorliegt oder nicht.
67(1)
68Die Frist des § 356 Abs. 3 S. 2 BGB gilt auch im Streitfall. Zwar normiert § 356 Abs. 3 S. 3 BGB normiert, dass S. 2 auf Verträge über Finanzdienstleistungen nicht anwendbar ist, ist unschädlich, da es sich bei dem streitgegenständlichen Leasingvertrag nicht um einen Vertrag über Finanzdienstleistungen handelt (so bereits Urteil des Senats vom 23.08.2021, 18 U 200/20, zitiert nach juris, in Übereinstimmung mit OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.03.2021, 8 U 124/20, Thüringisches OLG, Beschluss vom 05.05.2021, 5 U 1194/20 und OLG Celle, Beschluss vom 24.06.2021, 5 U 1/21; a.A.: OLG München, Urteil vom 18.06.2020, 32 U 7119/19).
69(2)
70Nach der Legaldefinition des § 312 Abs. 5 S. 1 BGB und der maßgeblichen Art. 2 b) Fernabsatzfinanzdienstleistungsrichtlinie (FernAbsFinDl-RL) sind Finanzdienstleistungen Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung, Versicherung, Altersversorgung von Einzelpersonen, Geldanlage oder Zahlung. Zwar ist der Begriff der Finanzdienstleistung weit auszulegen und geht über den Begriff einer entgeltlichen Finanzierungshilfe in § 506 BGB hinaus. Gleichwohl muss sich nach der o.g. Definition die Finanzdienstleistung als „im Zusammenhang mit einer Kreditgewährung“ darstellen. Diese Voraussetzung ist bei einem Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung erkennbar nicht erfüllt.
71Entgeltliche Gebrauchsüberlassungsverträge enthalten als solche keinen Kredit des Sachschuldners an den Zahlungsschuldner. Der Verbraucher verpflichtet sich lediglich zu einer bestimmten periodischen Zahlung als Entgelt für die Möglichkeit des Gebrauchs. Dabei steht die Höhe der in der Regel monatlichen Belastung von vornherein fest. Die periodische Zahlung verschafft dem Verbraucher keine zusätzliche Kaufkraft. Zudem sind Kilometerleasingverträge wie Mietverträge nicht darauf gerichtet, dass der Leasingnehmer den Gegenstand erwirbt. Das kalkulatorische Risiko für den Wert des Mietgegenstandes bei Vertragsende trägt vielmehr der Leasinggeber. Es ist dabei für den Leasingnehmer klar ersichtlich, dass er keine Wertverluste auszugleichen hat, solange er die vereinbarte Fahrleistung nicht überschreitet und das Fahrzeug bei Rückgabe nur eine vertragsgemäße Abnutzung aufweist (so auch im Ergebnis Herresthal, ZVertriebsR 2020, 355).
724.
73Letztlich streitet das Widerrufsrecht des § 312b, 312g Abs. 1 BGB nicht zugunsten des Klägers.
74Die Voraussetzungen des § 312b Abs. 1 Nr. 1 BGB sind nicht erfüllt, weil es sich bei der X H GmbH um einen von der Beklagten (mit der Anbahnung von Leasingverträgen) Beauftragten handelt. Die Geschäftsräume eines solchen Beauftragten stehen Geschäftsräumen des Unternehmers gleich, § 312b Abs. 2 S. 2 BGB.
755.
76Schließlich verweist der Senat darauf, dass der Widerruf daran scheitert, dass dieser wegen Verstoßes gegen das Gebot von Treu und Glauben rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig ist.
77Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente Inhaltsbegrenzung (BGHZ 211,105 = NJW 2016,3518; BGHZ 211,123 = NJW 2016,3512, jeweils mit weiteren Nachweisen). Eine solche Beschränkung eines Rechts kann sich u.a. im Fall einer missbräuchlichen Ausnutzung einer formalen Rechtsstellung ergeben. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung auf eine Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mithilfe einer umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden, wobei die Interessen aller an einem bestimmten Rechtsverhältnis Beteiligten zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 27.10.2020, XI ZR 498/19, NJW 2021,307). Dabei kann u. a. erwogen werden, dass der Widerrufende das Widerrufsrecht ausgeübt hat, um das Fahrzeug nach längerer bestimmungsgemäßer Nutzung zurückgeben zu können, ohne wie er meint auch zum Wertersatz verpflichtet zu sein (BGH, Urteil vom 27.10.2020, XI ZR 498/19 a.a.O.).
78Gemessen daran ist das Verhalten des Klägers als das rechtsmissbräuchliche Ausnutzen einer formalen Rechtsstellung zu werten. Denn der Kläger hat den Widerruf erst erklärt, nachdem der Kilometerleasingvertrag fast beendet war. Dieses Verhalten des Klägers wäre nur dann als nicht rechtsmissbräuchlich zu bewerten, wenn es sachliche, nicht in der bloßen Bereicherung liegende Gründe gegeben hätte, die ihn zum Widerruf veranlasst hätten. Diese könnten etwa in einer Schlechtleistung oder Vertragsverletzung seitens der Beklagten oder in Unstimmigkeiten über die Vertragsabwicklung liegen. Auch könnte ein sachlicher Grund dann bestehen, wenn etwa aufgrund einer noch bestehenden Abnahmeverpflichtung bezüglich des Fahrzeugs ein erheblicher Teil des Vertrages noch nicht endgültig vollzogen worden ist, der Kläger aber dem aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Erwägungen heraus entgehen möchte. Solche sachlichen Gründe hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen; auch sind sie nicht ersichtlich. Der Senat geht deshalb davon aus, dass es rein wirtschaftliche Erwägungen waren, die ihn zur Ausübung des Widerrufsrechts angespornt haben. Der Kläger wollte sich einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil dadurch verschaffen, dass er die Rückzahlung bereits geleisteter Leasingraten verlangt, ohne - was sich aus der Klageschrift und im vorgerichtlichen Anwaltsschreiben ergibt - dafür im Gegenzug der Beklagten zumindest einen Nutzungsersatz zukommen zu lassen. Diese Forderung steht – wirtschaftlich betrachtet – in einem krassen Missverhältnis zu der andererseits von der Beklagten beanstandungsfrei gelieferten Gegenleistung, die in der nahezu 20 Monate währenden Gebrauchsüberlassung besteht der C zu sehen ist.
79Auch rechtfertigt die gegebenenfalls bestehende Verletzung der Vorschriften über die Widerrufsbelehrung nicht das Ausnutzen der formalen Rechtsstellung durch den Kläger. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte überhaupt – wenn gegebenenfalls auch falsch – den Kläger über ein Widerrufsrecht belehrt hat. Zudem befand sich die Beklagte in einem „Belehrungs-Dilemma“. Denn je nachdem, ob man den Vertrag als Finanzdienstleistung einordnet oder nicht, ergeben sich unterschiedliche Belehrungspflichten nach Art. 246a oder 246b EGBGB. Aus diesem Grund wiegen die gegebenenfalls bestehenden Belehrungsfehler nicht so schwer, als dass hier die Beklagte durch die Aufbürdung wirtschaftlich empfindlicher Rechtsfolgen sanktioniert werden müsste (so bereits Urteil des Senats vom 23.08.2021, 18 U 200/20, a.a.O.).
80II.
81Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht gegeben ist, entfällt auch der geltend gemachte Anspruch auf Zinszahlung.
82III.
83Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 280, 286 BGB. Die Beklagte hat sich weder in Verzug mit der Rückzahlung der Leasingraten befunden noch eine anderweitige Pflichtverletzung begangen.
84IV.
85Die vom Kläger beantragte Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO i.V.m. Art. 267 AEUV scheitert bereits daran, dass der Senat kein letztinstanzliches Gericht ist. Denn um ein solches handelt es sich nur, wenn gegen eine Entscheidung in der konkreten Sache kein Rechtsmittel gegeben ist. Als Rechtsmittel in diesem Sinne gilt auch die Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde, die im Streitfall möglich ist (vgl. hierzu Zöller- Greger, ZPO, 32. Aufl., § 148 Rdnr. 3b).
86V.
87Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 30.09.2021 den Rechtsstreit für teilweise erledigt erklärt hat, hat er bereits keinen dieser Erklärung entsprechenden Antrag gestellt, über den der Senat zu entscheiden hätte.
88Ein einer solchen Erklärung entsprechender Antrag wäre zudem gegenstandslos gewesen, weil infolge der zulässigen Klageänderung eine Ersetzung des alten Antrags durch den neuen Antrag eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.1992, I ZR 35/90, NJW 1992, 2235).
89C.
90Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
91Veranlassung für eine Zulassung der Revision besteht nicht. Die Sache hat seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.02.2021, Az. VIII ZR 36/20, keine grundsätzliche Bedeutung mehr; auch die Fortbildung des Rechts verlangt nicht nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Letztlich weicht der Senat mit seiner primären Begründung der Entscheidung nicht von höchstrichterlichen oder anderen obergerichtlichen Urteilen ab, § 543 Abs. 2 ZPO.
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